Raphael Kühner
Cicero's drei Bücher von den Pflichten
Raphael Kühner

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XXI. 72. Nachdem ich nun über die Wohlthaten gesprochen habe, welche sich auf einzelne Personen beziehen; muß ich demnächst über diejenigen reden, welche die Gesammtheit der Bürger und den Staat betreffenDie Staatsdienste. Die öffentlichen Aemter wurden bei den Alten als Wohlthaten angesehen, da die Staatsbeamten keine Besoldung erhielten.. Diese sind theils von der Art, daß sie allen Bürgern nützenZum Beispiel Vergrößerung und Befestigung des Reiches, gemeinnützige Anstalten u. dgl., theils daß sie die Einzelnen zugleich mit berührenZum Beispiel die vom Staate ausgehende Unterstützung des Volkes durch Getreideschenkungen oder billigere Preise des Getreides bei großer Theuerung.; die letzteren erzeugen größeren Dank. Wir müssen uns im Allgemeinen bemühen, wo möglich, Beides zu verbinden und ebenso wie für den Staat, so auch für die Einzelnen Sorge zu tragen, jedoch mit der Rücksicht, daß dieses dem Staate entweder vortheilhaft oder wenigstens nicht nachtheilig sei. Des Gajus GracchusGajus Gracchus (s. zu II. 12, 43. Anm. 365) gab im J. 123 vor Chr. ein Getreidegesetz, nach dem aus dem Staatsschatze Getreide angekauft und den Bürgern um einen höchst billigen Preis wieder verkauft wurde. Getreidespende war groß, und somit erschöpfte sie den Staatsschatz; die des Marcus OctaviusMarcus Octavius bewirkte im J. 120 v. Chr. durch sein Ansehen und seine Beredsamkeit, daß das Getreidegesetz des Gajus Gracchus abgeschafft wurde (Cicer. Brut. 62, 22); jedoch muß er, wie wir aus unserer Stelle sehen, einen anderen Gesetzvorschlag gemacht haben, daß das Getreide vom Staate um einen mäßigeren Preis, als es auf dem Markte verkauft wurde, dem Volke überlassen würde. war mäßig und wie für den Staat erträglich, so für das Volk nothwendig, also den Bürgern wie dem Staate heilsam.

73. Insbesondere müssen die Staatsbeamten dafür sorgen, daß ein Jeder sein Eigentum behält, und daß der Besitz der Privatpersonen von Seiten des Staates keine Schmälerung erfahre. Verderblich war zum Beispiel das Verfahren des PhilippusUeber Philippus s. zu I. 30, 108. Anm. 214. in seinem Tribunate, als er seinen Gesetzvorschlag wegen Vertheilung von Staatsländereien machte. Die Verwerfung dieses Vorschlages ließ er zwar ohne Widerrede geschehen und benahm sich hierbei mit außerordentlich großer Mäßigung; aber neben vielen anderen Aeußerungen, durch die er die Gunst des Volkes erstrebte, machte er auch jene schlimme Bemerkung, es lebten in unserem Staate keine zweitausend Menschen, die Besitz hätten: eine höchst gefährliche Rede, die auf Ausgleichung des Güterbesitzes hinzielte. Und läßt sich wol eine verderblichere Maßregel denken? Gerade zu dem Zwecke sind ja die Staaten und Städte gegründet worden, daß Jedem sein Eigentum gesichert sei. Denn wenn sich auch die Menschen, von einem Naturtriebe geleitet, zu einem geselligen Leben vereinigtenS. oben I. 4, 12., so suchten sie doch den Schutz der Städte, in der Hoffnung dadurch ihren Besitz gesichert zu sehen.

74. Auch dafür muß man sorgen, daß die Bürger nicht, was bei unseren Vorfahren oft wegen Armut des Staatsschatzes und während der immerwährenden Kriege geschah, eine persönliche Steuer zu geben habenDa die öffentlichen Einkünfte des Römischen Staates gering waren, so sah sich der Staat bei dringenden Fällen oft genöthigt den Bürgern persönliche Steuern aufzulegen., und damit dieses nicht geschehe, müssen schon lange vorher Maßregeln ergriffen werden. Tritt aber die Nothwendigkeit einer solchen Abgabe in irgend einem Staate ein – ich will mich lieber so ausdrücken, um nicht für unseren Staat eine schlimme VorbedeutungSeit der Besiegung des Macedonischen Königs durch Lucius Aemilius Paullus im J. 104 v. Chr. waren keine persönlichen Steuern mehr bezahlt worden (s. Kap. 22, §. 76.), da der Staatsschatz aus den Provinzen genug Einkünfte hatte, um alle Bedürfnisse des Staates zu bestreiten; selbst alle sonstigen Abgaben in Italien wurden seit der Besiegung des Mithridates durch Pompejus im J. 60 aufgehoben. Dies dauerte bis zu dem Jahre 43 v. Chr., wo die Triumvirn, da der Staatsschatz durch Cäsar und Antonius verschleudert worden war, und die Unterhaltung großer Heere gewaltige Summen Geldes erforderte, sich genöthigt sahen persönliche Steuern von den Römischen Bürgern zu erheben. So ist also die schlimme Vorahnung Cicero's ein Jahr später, als er diese Stelle niederschrieb, in Erfüllung gegangen. Was die Lesart der Stelle betrifft, so ist gewiß die Lesart: malo enim quam nostrae ominari der von Klotz gewählten: malo enim alii quam n. o. vorzuziehen. Unger vergleicht sehr passend: Cicer. Finn. II. 19, 61: propter suas voluptates; malo enim dicere quam voluptates; und ad Fam. III. 10. pro tua dignitate; malo enim dicere quam pro salute. auszusprechen; auch rede ich hier nicht von unserem, sondern nur im Allgemeinen vom Staate, – alsdann muß man Alle zu überzeugen suchen, daß sie sich ihrer eigenen Erhaltung wegen in die Nothwendigkeit fügen müssen.

Ferner haben alle Staatsbeamten auch die Verpflichtung dafür Sorge zu tragen, daß ein reichlicher Vorrath von den nothwendigen Lebensbedürfnissen vorhanden sei. Wie die Herbeischaffung derselben gewöhnlich bewerkstelligt werde und werden solle, braucht nicht erörtert zu werden, da ja die Sache auf der Hand liegt; der Punkt mußte nur berührt werden.

75. Die Hauptsache aber bei jeder Besorgung eines öffentlichen Geschäftes und Amtes ist auch den leisesten Verdacht von Eigennutz von sich fern zu halten. »Hätte mich doch,« sagte der Samnite Gajus PontiusGajus Pontius, der Sohn des Herennius, ein tapferer Heerführer der Samniten, schloß im J. 321 v. Chr. die Römer bei Caudium, einer Stadt Samnium's, in den Caudinischen Pässen ein und ließ sie durch's Joch gehen. Im J. 292 wurde er gefangen genommen und enthauptet., »das Schicksal für die Zeiten aufbewahrt, und wäre ich doch erst dann geboren worden, wenn die Römer einmal anfangen Geschenke anzunehmen! Ich hätte sie nicht länger herrschen lassen.« Fürwahr er hätte noch manche Menschenalter warten müssen. Denn erst vor Kurzem ist dieses Uebel in unsern Staat eingedrungen. Daher bin ich wohl zufrieden, daß Pontius damals lebteDer Sinn: Wären die Römer damals schon so bestechlich gewesen, wie es später der Fall war, so namentlich in dem Jugurthinischen Kriege; so würden die Samniten, zumal unter der Führung des tapferen Pontius, ohne Zweifel den Römischen Staat vernichtet haben., wenn er wirklich so viel Kraft besaß. Es sind noch keine hundert und zehn JahreLucius Calpurnius Piso gab im J. 140 v. Chr. als Volkstribun das erwähnte Gesetz; Cicero schrieb dieß im J. 44; es waren also genau genommen nur 105 Jahre; Cicero wählte aber eine runde Zahl., daß Lucius Piso den Gesetzvorschlag wegen Zurückforderung erpreßter Gelder machte, da vorher kein solcher Vorschlag gemacht war. Aber in der Folge hatten wir so viele Gesetze der Art, eines immer strenger als das andere, so viele Angeklagte, so viele Verurtheilte, den so gefährlichen Italischen KriegSeit Gajus Gracchus waren nach Verdrängung des Senates die Römischen Ritter im Besitze der Gerichte. Diese, die zugleich Pächter der Römischen Staatseinkünfte in den Provinzen waren, übten viele Ungerechtigkeiten aus. Suchten nun die Statthalter der Provinzen diesem Unwesen zu steuern, so geschah es ganz gewöhnlich, daß dieselben wegen Erpressungen angeklagt und von den Rittern, welche die Rechtspflege hatten, verurtheilt wurden. Marcus Drusus der Jüngere (s. zu I. 30, 108. Anm. 217) gab nun das Gesetz, daß Untersuchungen gegen die stattfinden sollten, die sich bei den Gerichten hätten bestechen lassen. Die Folge davon war, daß der Ritterstand aus Furcht vor diesen Untersuchungen den Drusus stürzte und mit ihm zugleich sein Gesetz wegen Ertheilung des Bürgerrechtes an die Italischen Bundesgenossen. Dadurch wurde der Italische Krieg, der auch der Marsische oder Bundesgenossenkrieg heißt und von 91 bis 89 v. Chr. dauerte, erregt., den die Furcht vor gerichtlichen Untersuchungen erregt hatte, und nach Aufhebung der Gesetze und GerichteZuerst durch Sulla, dann durch Cäsar. die so abscheuliche Ausplünderung und Beraubung unserer Bundesgenossen, daß wir nur durch die Ohnmacht Anderer, nicht aber durch unsere eigene Kraft bestehen.

XXII. 76. PanätiusS. zu I. 2, 7. Anm. 71. lobt den AfricanusEs ist Africanus der Jüngere. S. zu I. 22, 76. Anm. 171., daß er uneigennützig gewesen sei. Warum sollte er ihn nicht loben? Doch besaß er andere größere Eigenschaften. Das Lob der Uneigennützigkeit gehört nicht allein dem Manne an, sondern jenen Zeiten. Des ganzen Macedonischen Schatzes, der sehr bedeutendNach Vellej. P. I. 9, 6. 210 Millionen Sesterzen; der sestertius galt zu Cicero's Zeiten etwa 15 Pfennige; also etwa 10,937,500 Thaler. Doch weichen die Angaben anderer Schriftsteller davon ab. S. Beier zu dieser Stelle. Uebrigens war nicht sowol dieser erbeutete Schatz die Ursache davon, daß die Römischen Bürger von jetzt an keine direkten Abgaben zu zahlen hatten, als vielmehr der Umstand, daß Macedonien, Illyrien und andere eroberte Länder große Abgaben an den Römischen Staat bezahlen mußten. war, bemächtigte sich PaullusUeber Lucius Aemilius Paullus (s. zu I. 32, 116. Anm. 249). und brachte eine so große Geldsumme in den Staatsschatz, daß die Beute dieses einzigen Heerführers den persönlichen Abgaben ein Ende machte; aber in sein eigenes Haus brachte er Nichts außer dem ewigen Gedächtnisse seines Namens. AfricanusAfricanus der Jüngere zerstörte Karthago 146 v. Chr. S. zu I. 22, 76. Anm. 171., dem Beispiele seines Vaters folgend, war nach der Zerstörung Karthago's um Nichts reicher. Wie? Lucius MummiusLucius Mummius zerstörte Korinth gleichfalls im J. 146 v. Chr. Mit den erbeuteten Kunstwerken schmückte er besonders die Stadt Rom aus; einige aber schenkte er auch anderen Städten Italiens. Vgl. Strabo VIII. v. 6. Nach Plin. 34, 7. starb er so arm, daß er seiner Tochter keine Mitgift hinterließ., der sein Amtsgenosse in der Censur gewesen war, war er reicher, als er die reichste Stadt von Grund aus vernichtet hatte? Italien wollte er lieber schmücken als sein Haus, wiewol mir durch den Schmuck Italiens auch sein Haus selbst geschmückter erscheint.

77. Kein Fehler also, um auf den Punkt wieder zurückzukommen, von dem ich ausging, ist häßlicher als der Geiz, zumal bei den Großen, denen die Leitung des Staates anvertraut ist. Denn mit dem Staate Wucher treiben ist nicht nur schimpflich, sondern auch frevelhaft und verrucht. Den Ausspruch des Pythischen ApolloPlutarch. Agis c. 9. und Instit. Laced. p. 239 F.: ’Αλκαμένει καὶ Θεοπόμπω τοι̃ς βασιλευ̃σι χρησμός εδόθη· ’Α φιλοχρηματία Σπάρταν ολει̃., Sparta werde durch nichts Anderes als durch Habsucht zu Grunde gehen, halte ich daher für eine Weissagung, die er nicht allein den Lacedämoniern, sondern auch allen mächtigen Völkern gethan hat. Durch Nichts aber können die Staatsmänner leichter das Wohlwollen der Volksmenge gewinnen als durch Uneigennützigkeit und Genügsamkeit.

78. Wer aber ein Volksfreund sein will und aus diesem Grunde die gleiche Vertheilung der Grundstücke versucht, so daß die Besitzer aus ihrem Besitze vertrieben werden, oder wer der Ansicht ist, dargeliehenes Geld müsse den Schuldnern erlassen werden; der erschüttert die Grundfesten des Staates: zuerst die Eintracht, die nicht da bestehen kann, wo dem Einen sein Vermögen genommen und einem Anderen geschenkt wird, sodann die Billigkeit, die gänzlich aufgehoben wird, wenn nicht Jedem das Seinige zu behalten gestattet ist. Darauf beruht ja, wie ich oben bemerkte, das Wesen des Staates und der Stadt, daß Jedem der Besitz seines Vermögens frei und unverkümmert bewahrt wird.

79. Ueberdieß erreicht man bei dem Verderben, das hierdurch dem Staate bereitet wird, nicht einmal die Gunst, die man sich verspricht. Denn wem sein Eigentum genommen wird, der ist sein Feind; wem es aber gegeben wird, der läßt es sich nicht merken, daß er es zu bekommen gewünscht hat, und besonders bei Erlassung geliehenen Geldes verbirgt er seine Freude, um den Schein zu vermeiden, als ob er zahlungsunfähig gewesen sei. Derjenige hingegen, der das Unrecht erlitten hat, behält es im Andenken und äußert seinen Schmerz ganz unverhohlen. Selbst wenn die Anzahl der mit Unrecht Beschenkten größer ist als die der widerrechtlich Beraubten, so sind darum jene doch noch nicht die Stärkeren. Denn dergleichen Fälle werden nicht nach der Zahl, sondern nach dem Gewichte beurtheilt. Kann man darin aber wol eine Billigkeit finden, wenn der, welcher kein Grundstück hatte, der Besitzer eines Grundstückes wird, das seit vielen Jahren oder auch Menschenaltern der Besitz eines Anderen war, der dagegen, welcher ein Grundstück hatte, es verliert?

XXIII. 80. Wegen dieser Art von Ungerechtigkeit vertrieben die Lacedämonier ihren Ephorus LysanderLysander, einer der fünf Ephoren in Sparta, welche die höchsten obrigkeitlichen Personen in diesem Staate waren, und der König Agis III., ein edler Mann, überzeugt, daß der Staat der Spartaner nur durch Wiederherstellung der einfachen und strengen Verfassung Lykurgs vom Untergange gerettet werden könne, faßten um 244 v. Chr. den Plan, durch Schuldentilgung und eine neue Vertheilung des Grundeigentums dem zerrütteten Staate wieder aufzuhelfen. Agis' edler Sinn ist hierbei um so bewunderungswürdiger, als er selbst den größten Güterbesitz hatte. Die Ausführung des Planes scheiterte aber an dem anderen Könige Leonidas und an den reichen Vornehmen. Ein Aufruhr wurde von ihnen gegen Agis erregt und Agis 241 ermordet; Lysander mußte in die Verbannung gehen. Wenn aber Cicero den Verfall des Spartanischen Staates und das Verderben des übrigen Griechenlands von dem Plane des Agis und Lysander ableitet, so ist er in einem großen Irrtume begriffen. und richteten, was nie zuvor bei ihnen geschehen war, ihren König Agis hin, und seit dieser Zeit folgen so verderbliche Zwistigkeiten, daß theils GewaltherrscherNach dem Tode Kleomenes des Dritten, der den Plan des Agis wieder aufgenommen hatte, gerieth Sparta in die Hände mehrerer Gewaltherrscher, unter denen sich besonders Nabis durch Schlechtigkeit auszeichnete. sich erhoben, theils die Vornehmen verjagt wurden, und auf diese Weise der so herrlich eingerichtete Staat in Verfall gerieth. Nicht genug aber, daß er allein fiel, zog er auch das übrige Griechenland in sein Verderben, indem die Uebel, die von Lacedämon ausgingen, wie eine ansteckende Seuche, immer weiter um sich griffen. Wie? Unsere GracchenUeber die Gracchen s. zu II. 12, 43. Anm. 365., die Söhne des großen Tiberius Gracchus und die Enkel des Africanus, wurden sie nicht durch die Streitigkeiten wegen Ländereienvertheilung zu Grunde gerichtet?

81. AratusAratus flüchtete als siebenjähriger Knabe aus seiner Vaterstadt Sicyon nach Argos, weil sein Vater Klinias, Führer der Volkspartei in Sicyon, von dem Gewaltherrscher dieses Staates ermordet war. Zum Jüngling herangewachsen, faßte er den Plan seine Vaterstadt von der drückenden Gewaltherrschaft zu befreien, was ihm auch gelang (250 v. Chr.). Später trat er als Führer des Achäischen Bundes auf. Im J. 213 ließ ihn Philippus II., König von Macedonien, vergiften. aus Sicyon hingegen wird mit Recht gepriesen. Fünfzig Jahre war seine Vaterstadt in den Händen von Gewaltherrschern gewesen, als er von Argos gegen Sicyon aufbrach, heimlich in die Stadt eindrang und sich derselben bemächtigte. Nachdem er den Herrscher Nikokles unvermuthet überwältigt hatte, rief er sechshundert Verbannte, die zu den Wohlhabendsten der Stadt gehört hatten, zurück und gab so durch sein Erscheinen dem Staate seine Freiheit wieder zurück. Doch jetzt bemerkte er eine große Schwierigkeit hinsichtlich der Güter und Besitzungen. Einerseits nämlich hielt er es für höchst unbillig, wenn die Zurückgerufenen, deren Güter Andere in Besitz genommen hatten, darben sollten; andererseits fand er es nicht eben sehr billig, wenn ein Besitzstand von fünfzig Jahren gestört würde, weil in dem so langen Zeitraume Vieles durch Erbschaften, Vieles durch Kauf, Vieles durch Heirat rechtmäßiges Besitztum geworden war. Er urtheilte daher, den Letzteren dürfe, was sie hätten, nicht genommen, und die Ersteren, die es früher besessen hatten, müßten entschädigt werden. 82. Er sah nun ein, daß er zur Anordnung dieser Angelegenheit Geld nöthig habe, und sagte daher, er wolle deßhalb nach Alexandrien reisen, und bestimmte, daß man Alles bis zu seiner Rückkehr im bisherigen Stande belassen solle. Sofort eilte er zu seinem Gastfreunde PtolemäusPtolemäus Philadelphus (284–246 v. Chr.)., dem zweiten Könige seit der Erbauung Alexandriens, setzte ihm seine Absicht seiner Vaterstadt die Freiheit zu sichern auseinander und belehrte ihn über die Lage der Dinge. Der große Mann beredete leicht den reichen König ihm mit einer großen Geldsumme150 Talente. Nach Plutarch hatte ihm Aratus vorher zu wiederholten Malen kostbare Gemälde geschenkt. auszuhelfen.

83. Mit dieser kam er nach Sicyon zurück, zog fünfzig der vornehmsten Männer zur Berathung und untersuchte mit ihnen die Rechte sowol derer, die fremdes Eigentum besaßen, als auch derer, die das Ihrige verloren hatten; und durch Abschätzung der Besitzungen brachte er es dahin, daß er die Einen beredete lieber Geld zu nehmen und ihre Besitzungen abzutreten, die Anderen es für vortheilhafter zu halten, daß ihnen der Werth ihrer Grundstücke in Geld ausgezahlt werde, als daß sie wieder in den vorigen Besitz derselben einträten. Das Ergebniß dieses Verfahrens war, daß die Eintracht wiederhergestellt wurde und Alle ohne Klagen auseinander gingen. O welch ein großer Mann! Er hätte es verdient in unserem Staate geboren zu werden. So geziemt es sich mit seinen Mitbürgern umzugehen, nicht aber, wie wir es schon zweimalS. oben II. 8, 29. erlebt haben, den Speer der Versteigerung auf dem Markte aufzustecken und die Güter seiner Mitbürger durch die Stimme des Ausrufers feil zu bieten. Jener Grieche hingegen war der Ansicht, – und darin that sich die Weisheit und Vortrefflichkeit des Mannes kund – für das Wohl Aller müsse Sorge getragen werden, und darin besteht die höchste Vernunft und Weisheit eines braven Bürgers, die Vortheile der Mitbürger nicht zu trennen, sondern sie mit gleicher Billigkeit zu umfassen. – Sie sollen umsonst in einem fremden Hause wohnenDen Sinn der Worte erklärt Madvig im Philologus 1848. S. 143 so: Die Worte: »Sie sollen umsonst in einem fremden Hause wohnen« werden gleichsam wie aus dem Munde eines Gewaltherrschers ausgesprochen. Darauf sagt Cicero sich verwundernd: »Wie so?« Die zum Nachtheil der Hausbesitzer ausgeübte Erlassung der Miethe für Wohnungen auf eine bestimmte Zeit wird hier gemeint. Dieselbe hatte schon im J. 48 Marcus Cälius Rufus (Case. B. C. III, 21. Dio C. XLII, 22.) versucht, aber vergeblich; im J. 47 aber soll sie nach Dio C. XLII, 32. Cäsar selbst durchgesetzt haben.. – Wie so? Ich habe es gekauft, gebaut, ich erhalte es, ich verwende Geld darauf, und du sollst gegen meinen Willen den Genuß von meinem Eigentume haben? Was heißt das Anderes als dem Einen das Seinige rauben und dem Anderen fremdes Gut geben? 84. Neue Schuldbücher aber, was bedeuten sie Anderes, als daß du mit meinem Gelde Grundstücke kaufest und diese dann besitzest, während ich kein Geld haben soll?

XXIV. Man muß daher Vorsichtsmaßregeln treffen, daß keine Schuldenlast entstehe, die dem Staate nachtheilig sein kann, und dieses Uebel läßt sich durch manche Mittel verhüten. Sind aber einmal die Schulden gemacht, so darf man sich nicht eines Mittels bedienen, wodurch die Wohlhabenden das Ihrige verlieren, die Schuldner dagegen fremdes Gut gewinnen.. Denn es gibt kein Band, das den Staat kräftiger zusammenhalten kann als Treue und Glauben, die jedoch gar nicht bestehen können, wenn nicht die Bezahlung des geliehenen Geldes nothwendig ist. Zu keiner Zeit wurde mit größerer Leidenschaft auf Tilgung der Schulden hingearbeitet als unter meinem ConsulateCicero meint die Verschwörung des Catilina; die große Schuldenlast der Verschworenen war eine der wichtigsten Ursachen dieser Verschwörung.. Mit Waffen und Feldlager wurde die Sache von Leuten jeder Gattung und jedes Standes versucht; aber ich leistete ihnen einen so kräftigen Widerstand, daß dieses ganze Uebel aus unserem Staate entfernt wurde. Nie war die Schuldenlast größer und nie wurde sie genauer und leichter bezahlt; denn sobald die Hoffnung auf Betrug vernichtet warCicero erklärte in der zweiten Rede gegen Catilina (9, 18), er werde die Güter der Schuldner versteigern lassen: Meo beneficio tabulae novae proferentur, verum auctionariae., erfolgte die Nothwendigkeit der Bezahlung. Aber ein MannCäsar wird hier gemeint, der zur Zeit der Catilinarischen Verschwörung im höchsten Grade verschuldet war und im Verdachte stand Theilnehmer an dieser Verschwörung zu sein. Durch die acht Jahre dauernden Gallischen Kriege befreite er sich von seinen Schulden und verschaffte sich große Schätze. Trotzdem wurde während seiner Dictatur durch ihn das Gesetz gegeben, daß die Güter nach dem Werthe, den sie vor dem Bürgerkriege gehabt hatten, abgeschätzt werden sollten, weil der Werth der Güter durch den Krieg so sehr gesunken war, daß viele Schuldner nicht im Stande waren ihre Schulden abzutragen. Cäsar ergriff daher diese Maßregel nicht seinetwegen, sondern um den Schuldnern aufzuhelfen. S. Caesar. Bell. Civ. III, 1. Das Urtheil Cicero's über das Verfahren Cäsar's ist offenbar ungerecht., der jüngst obsiegte, damals aber besiegt wurde, setzte das, was er früher beabsichtigt hatte, zu einer Zeit durch, als ihm nichts mehr daran liegen konnte. So stark war seine Sucht zu sündigen, daß er an dem Sündigen selbst Vergnügen fand, auch wenn kein Grund mehr dazu dawar.

85. Von dieser Art der Schenkungen nun, wobei dem Einen gegeben und dem Anderen genommen wird, werden sich die fern halten, die für die Wohlfahrt des Staates Sorge tragen, und ihr Hauptbestreben wird darauf gerichtet sein, daß durch Gleichheit vor dem Gesetze und den Gerichten ein Jeder im Besitze des Seinigen bleibe, daß weder die Geringeren wegen ihrer Niedrigkeit übervortheilt werden, noch den Wohlhabenden die Mißgunst ein Hinderniß werde das Ihrige zu behaupten oder wiederzuerlangen, daß sie endlich durch alle möglichen Mittel im Kriege wie im Frieden den Staat an Herrschaft, Land und Einkünften vergrößern. Das sind Grundsätze großer Männer, das war die Handlungsweise unserer Vorfahren; wer diesen Pflichten nachkommt, der wird neben dem höchsten Vortheile des Staates auch für seine Person große Gunst und Ehre erlangen.

86. Bei diesen Vorschriften für das Nützliche sind nach der Ansicht des Stoikers AntipaterAntipater war ein Freund und Lehrer des jüngeren Cato. aus Tyrus, der unlängst zu Athen gestorben ist, zwei Punkte von Panätius übergangen, nämlich die Sorge für die Gesundheit und die für das Vermögen. Ich glaube, der große Philosoph überging sie, weil sie sich von selbst verstehen; denn das läßt sich nicht leugnen, sie gehören in das Gebiet des Nützlichen.

Was also die Gesundheit anlangt, so erhält man sie durch die Kenntniß seines Körpers, durch die Beobachtung dessen, was ihm zu nützen oder zu schaden pflegt, durch die Enthaltsamkeit in der ganzen Nahrungs- und Lebensweise, die zur Erhaltung des Körpers dient, durch Vermeidung der Wollust, endlich durch die Kunst derjenigen, zu deren Wissenschaft dieß gehört.

87. Das Vermögen aber soll durch Mittel erworben werden, die von Unsittlichkeit frei sind; erhalten aber soll man es durch Genauigkeit und Sparsamkeit; durch dieselben Mittel soll es auch vermehrt werden. Diesen Gegenstand hat der Sokratiker Xenophon vortrefflich in seinem Buche mit der Aufschrift »Oekonomicus«Xenophon's, des Sokratikers, d. h. des Schülers von Sokrates, Schrift Oekonomikus ist vollständig erhalten. abgehandelt; ich habe es etwa in deinem jetzigen Alterim einundzwanzigsten Lebensjahre. aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.

XXV. 88. Aber auch eine Vergleichung ist oft nothwendig – das war der vierte Punkt, den Panätius übergangen hatteS. I. 3, 10.. Denn man vergleicht häufig körperliche Vorzüge mit Glücksgütern und die Glücksgüter mit körperlichen VorzügenUnger hält die Worte: et externa cum corporis, sowie auch die folgenden: cum corporis externa hoc modo: dives esse potius quam maximis corporis viribus für unächt, da sie eine Tautologie und die letzteren auch einen Gedanken enthalten, dessen Wahrheit Cicero schwerlich behauptet haben würde. Allein da Cicero hier nicht erklärt, daß dieß seine Ansicht sei, sondern daß nur bei der Vergleichung eine solche Frage aufgeworfen werden könne, und da ferner der als Subjekt ausgedrückte Gegenstand corporis commoda und externa als der bevorzugte bezeichnet wird; so möchte ich Unger's Ansicht nicht beistimmen. Derselbe Gelehrte hat auch die Stelle: Sed toto – disputatum est, welche in allen Handschriften am Ende des Buches zwischen den Worten: officiorum genus und Reliqua stehen, in den §. 87. nach den Worten: e Graeco in Latinum convertimus versetzt. Allerdings würde die Stelle hier einen passenderen Platz einnehmen. Allein da kurz vorher von Reichtum, Einkünften, Wirtschaft, Verleihung des Geldes auf Zinsen die Rede ist, so konnte C. in Beziehung auf die Worte (§. 90.): »Doch dieser ganze Gegenstand – handelt« anknüpfen., sowie auch körperliche Vorzüge untereinander und Glücksgüter mit Glücksgütern. Mit Glücksgütern werden körperliche Vorzüge zum Beispiel so verglichen, daß man Gesundheit dem Reichtume vorzieht; mit den körperlichen Vorzügen Glücksgüter so, daß man lieber reich sein will als die größte Leibeskraft besitzen; körperliche Vorzüge unter einander so, daß Gesundheit höher als sinnliches Vergnügen geschätzt wird, Stärke höher als Schnelligkeit; Glücksgüter unter einander so, daß Ruhm vor Reichtum, städtische Einkünfte vor ländlichenStädtische Einkünfte, z. B. aus Fabriken, welche vornehme Römische Bürger durch Sklaven betreiben ließen, wie Plutarch, von Crassus in dessen Lebensbeschreibung Kap. 2. erwähnt; Corn. Nep. erzählt von Atticus in dessen Lebensbeschreibung Kap. 14, §. 3., alle seine Einkünfte hätten in Epiroticis und urbanis possessionibus bestanden. Vorzug haben. 89. Zu dieser Art der Vergleichungen gehört eine Aeußerung des alten CatoUeber Cato den Aelteren s. zu I. 23, 79. Anm. 176.. Auf die Frage, was in der Wirtschaft das Zuträglichste sei, erwiderte er: »Gute Viehzucht,« Was zweitens? »Ziemlich gute Viehzucht.« Was drittens? »Schlechte Viehzucht.« Was viertens? »Feldbau.« Und da der Andere weiter fragte: »Was hältst du von dem Ausleihen des Geldes auf Zinsen?« so machte Cato die Gegenfrage: »Was hältst du vom Menschenmorde?«Cato meint den Geldwucher und sagt, dieser dürfe bei der Vergleichung vom Nützlichen gar nicht genannt werden, ebenso wenig wie Menschenmord. Hieraus und aus manchem Anderen muß man einsehen, daß Vergleichungen des Nützlichen oft eintreten und daß ich diesen Punkt mit Recht als den vierten bei der Untersuchung der Pflichten hinzugefügt habe.

90. Doch dieser ganze Gegenstand, die Erwerbung und Anlegung des Geldes – ich wünschteKlotz hat das Wort vellem als verdächtig in Klammern eingeschlossen, doch mit Unrecht. S. die folgende Anmerkung. auch die Benutzung desselben – wird besser von gewissen EhrenmännernCicero nennt so mit Ironie die Geldwechsler oder Wucherer. Diese verstehen zwar die Kunst Geld zu erwerben und vortheilhaft anzulegen recht gut, aber nicht so die Kunst das Geld gut und edel zu benutzen. Das zu lehren gehört in die Pflichtenlehre., die bei dem mittleren JanusEs gab drei bedeckte Durchgänge mit dem Namen Janus auf dem Forum: Janus summus, imus und medois. Bei dem medius hatten die Geldwechsler ihre Buden. ihren Sitz haben, als von irgend einem Philosophen irgend einer Schule erörtert. Indeß muß man sich doch damit bekannt machen; denn es gehört in das Gebiet des Nützlichen, worüber dieses Buch handelt. Das Uebrige werde ich demnächst abhandeln.


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