Vom Staat
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1234 Uebersicht des fünften Buches.

Hier beginnt die Unterhaltung des dritten Tages, der gleichfalls eine Einleitung voranging, wo Cicero in eigener Person sprach. Das Buch ist aber nicht weniger verstümmelt, als das vorhergehende. Es wurde darin ohne Zweifel von dem Charakter eines Staatsmannes gesprochen, von der Bildung, die er sich erwerben müße, von seinem Benehmen u. dgl. Auch hierüber hat man eine ausführliche Abhandlung von Hrn. Villemain, die von Pierre a. a. O. verdeutscht ist. Wir geben hier blos eine Uebersicht des Vorhandenen und Zusammengestellten.

Roms Größe kann nur bestehen, so lange die Sitten der Vorfahren bestehen und geachtet werden. Der gegenwärtige Sittenverfall hat den Staatsverfall herbeigeführt (Cap 1.). Numa war, nach Sitte der alten Griechischen Könige, öffentlicher Richter in der Mitte des Volkes (C. 2.), – Für den Staatsmann ist Kenntniß der Gesetze und Rechte Mittel, nicht Zweck (C. 3.), – Er sucht zu bewirken, daß die Scham, nicht Furcht vor Strafe, von Uebertretung der Gesetze zurückschrecke (C. 4.). Ein geregeltes Familienleben ist Grundlage des Staatsglückes (C. 5.). – Glück der Bürger ist Ziel des Staatslenkers (C. 6.). – Sein Lohn ist Ehre und Ruhm; sein Charakter sey fest (C. 7.). – Beredsamkeit ziert ihn: aber ihr Mißbrauch schändet ihn (C. 8.). –

1235 Fünftes Buch.

1. [– das war, als der Römische Staat nicht etwa nur bereits sehr verdorben und lastervoll, sondern so gut wie ganz aufgelöst war, [wenigstens] der Ansicht zu Folge, welche das Gespräch über den Staat ausdrückt, die von den bedeutendsten Männern jener Zeit geführt wurde. Wie denn auch Tullius selbst, nicht in der Person des Scipio, oder irgend eines Andern, sondern aus seiner eigenen Seele im Anfang des fünften Buches sich ausspricht, nachdem er erst einen Vers des Ennius vorausgeschickt hat, worin es heißt.

Aufrecht steht Roms Macht, nur durch Sitten und Männer der Vorzeit:Aus den Annalen des Ennius V, 1.

einVers, sagt er, in welchem wegen seiner Kürze und Wahrheit der Dichter eine Art von Orakel ausgesprochen zu haben scheint. Denn weder die Männer, hätten nicht unter den Bürgern solche Sitten geherrscht, noch die Sitten, wären nicht solche Männer an der Spitze gestanden, hätten einen Staat gründen oder so lange aufrecht erhalten können, der sich zu einer solchen Höhe erhob, der so verdient und in so großer Ausdehnung seine Herrschaft ausbreitete. Darum lag es auch vor unserer Zeit in der Sitte unseres Vaterlandes, ausgezeichneten Männern die Leitung anzuvertrauen, und die durch Rang hervorragenden Männer hielten denn auch wieder ihrerseits die alte Sitte und die Einrichtungen unserer 1236 Vorfahren aufrecht. Unser Zeitalter dagegen, auf das sich der Staat wie ein treffliches Gemälde, aber mit von Alter etwas verblichenen Farben, vererbt hatte, versäumte es nicht blos, es mit denselben Farben wieder aufzufrischen, die es ursprünglich gehabt hatte, sondern ließ es sich nicht einmal angelegen seyn, wenigstens die Zeichnung und gleichsam die äußersten Umrisse jenes Gemäldes zu erhalten. Denn wo ist noch eine Spur von den alten Sitten, durch die Roms Macht, wie der Dichter sagt, aufrecht stand? Sind sie doch so ganz in Vergessenheit versunken, daß man sie nicht blos nicht mehr übt, sondern sogar nicht mehr kennt. Und was soll ich von den Männern sagen? Eben weil es an Männern fehlte, sind die Sitten untergegangen: und über diesen großen Schaden müssen wir nicht blos Rechenschaft ablegen, sondern eigentlich, wie eines todeswürdigen Verbrechens Angeklagte, gewissermaßen uns vor Gericht stellen und verantworten. Denn durch unsere Verdorbenheit, nicht durch einen Unglücksfall, ist es dahin gekommen, daß unser Staat [unsere Verfassung] zwar dem Namen nach noch besteht, aber dem Wesen nach längst verloren ist. Dieses Geständniß legt Cicero lange nach dem Tode des Scipio ab, den er in seinem Werke über den Staat redend eingeführt hat. – Augustin. de Civ. Dei II, 21.Augustinus sagt noch an einer andern Stelle (II, 25.): »Zu dieser Aeußerung fühlte ich mich gedrungen, da die Römischen Schriftsteller selbst, schon vor der Erscheinung unseres Herrn Jesu Christi, zu sagen und zu schreiben kein Bedenken trugen, der Römische Staat sey schon früher durch die höchst verdorbenen Sitten seiner Bürger zu Grunde gerichtet und im Grunde ganz vernichtet gewesen.«]

1237 2. * * *Es ist hier die Rede von den alten Königen, welche selbst als Richter zu Gericht saßen. Es spricht hier wahrscheinlich Manilius, der (wenn ihm, wie natürlich, im Werke auch eine Rolle übertragen war) nothwendig die Vertheidigung des Rechts übernehmen mußte, was er auch oben (I, 13.) zu thun verspricht. A. M. Nichts sey eines Königs so würdig, als die Auseinandersetzung Dessen, was der Billigkeit gemäß ist, und dazu gehörte die Erklärung über Recht und Unrecht, weil die einzelnen Bürger ihre Rechtsstreitsachen den Königen zur Entscheidung vorlegten.Der öfter angeführte Leipziger Recensent (1824. 6.) vermuthet, es möchte entweder das Fragment, welches das dritte Capitel ausmacht, vor das zweite zu setzen, oder das vierte und fünfte zwischen das zweite und dritte einzuschalten seyn: denn es sey am Schlusse des zweiten und im vierten und fünften die Rede von einem Könige, wie er seyn soll, welcher Gesetzgeber und Sittenbegründer zugleich sey; das dritte Capitel dagegen handle von der Kunde des Rechts, und schließe sich besser an den Anfang des zweiten an. – So viel diese Ansicht für sich hat, so wollten wir sie doch lieber in der Anmerkung mittheilen, als die eingeführte Ordnung der Capitel stören. Aus diesem Grunde wurden auch dem Könige ausgedehnte und ergiebige Ländereien als Eigenthum angewiesen, die er als Ackerfeld, Baumpflanzungen und Weideplätze brauchen konnte,S. hierüber Plinius N. G. XVIII. 3. und die angebaut wurden, ohne daß die Könige selbst dabei Arbeit und Mühe hatten, damit keine Sorge für ihre Privatgeschäfte sie von den Angelegenheiten ihrer Völker abziehen möchte. Auch war überhaupt kein Privatmann Entscheider oder Schiedsrichter in einer Streitsache; sondern Alles wurde 1238 in den Gerichtssitzungen der Könige entschieden.Nämlich vor Servius Tullius. S. Dionys. IV, 25. Besonders scheint mir unser Numa auf dieser alten Sitte der Griechischen Könige gehalten zu haben. Denn die Uebrigen, wiewohl sie auch dieses Amt verwalteten, führten doch großentheils Kriege, und bildeten das Kriegsrecht [vorzugsweise] aus. Jener langedauernde Friede aber unter Numa war für diese Stadt die Quelle des Rechts und der Religion: auch würde er wohl Gesetze verfaßt haben; und ihr wißt, daß noch welche [von ihm] vorhanden sind: überhaupt die Eigenschaft des Staatsbürgers, von dem wir sprechen * * *

[Lücke von unbestimmbarer Größe.]

3. [Doch muß er, wie ein guter Hausvater, Etwas vom [Acker-]Bau, Bauwesen und Rechnen verstehen – Nonius.]

* * * Scipio. [Wenn ein Gutsverwalter sich bemüht, die Natur der Wu]rzeln und Sämereien kennen zu lernen, wirst du Das mißbilligen? Manilius. Keinesweges: wenn er nur sonst das Seine thut. Scipio. Meinst du, jenes sey das eigentliche Geschäft eines Verwalters? Manilius. Nichts weniger: es möchte darüber nur gar zu leicht die Sorge für den eigentlichen Anbau des Landes vernachläßigt werden. Scipio. So wie also der Verwalter die Natur des Bodens kennt, der Rechnungsführer mit der Buchführung umzugehen versteht, Beide aber sich nicht mit dem Genusse des Wissens begnügen, sondern dieses zu vortheilhafter Ausübung gebrauchen; so muß unser hier gezeichneter [Staats-]Lenker zwar bemüht gewesen seyn, das Recht und die Gesetze kennen zu lernen, ihre Quellen gründlich zu erforschen; aber 1239 er darf sich durch häufiges Beantworten einzelner Rechtsanfragen, durch Leserei und Schreiberei nicht in dem Geschäfte stören lassen, gleichsam der Rechnungsführer und Gutsverwalter des Staates seyn zu können; er sey des höchsten Rechts ganz kundig, ohne welches Niemand gerecht seyn kann; er sey des bürgerlichen nicht unkundig, aber so, wie der Steuermann der Sternkunde, der Arzt der Naturlehre: Beide bedürfen jene Wissenschaften zu ihrer Kunst; aber lassen sich durch sie von ihrem eigentlichen Geschäfte nicht abhaltenIn diesem Sinne spricht Polybius IX, 20. Darauf aber wird dieser Mann sehen * * *

[Lücke von unbestimmbarer Größe.]

4. * * * [– am besten befinden sich solche St]aaten, in welchen die bessern Bürger nach Lob und Ehre trachten, Unehre aber und Schande fliehen, [und wo sie] nicht sowohl durch Furcht und Strafe, die von den Gesetzen bestimmt ist, geschreckt werden, als durch die Scheu vor dem Unrecht, durch welches Gefühl die Natur dem Menschen eine Furcht vor nicht ungerechtem Tadel eingeflößt hat. Diese Scheu vermehrte jener Lenker der StaatenRerum publicarum; oder: »der öffentlichen Angelegenheiten« –? noch durch die [öffentliche] Meinung, und vervollkommnete sie durch Anstalten und bildende Angewöhnung, so daß die Scham die Bürger nicht weniger von Vergehungen abhielt, als die Furcht. Das Bisherige gehört nun zu [seinem] Lobe, und hätte sich noch ausführlicher und mit mehr Fülle des Ausdrucks darstellen lassen.

1240 5. Zum Gebrauche aber und zur Anwendung im Leben dient besonders jene bestimmte Anordnung durch Veranstaltung förmlicher Ehen, durch die Bestimmung über gesetzliche Kinder, über die geweihten Sitze der Penaten und Familien-Laren, so daß [durch den Staatsverband] alle [Bürger] nicht nur gemeinschaftliche, sondern auch [Jeder] eigenthümliche Vortheile haben sollte,Aristotelische Ansicht. Rep. II, 5. und ein beglücktes Leben nur möglich war, wenn im Staate Alles in guter Ordnung ging, und ein [auf diese Weise] wohlgeordneter Staat sich im höchsten Grade beglückt fühlen mußte. Deswegen kommt es mir immer unbegreiflich vor, was denn für eine große Gelehr * * * Hier hört die Vaticanische Handschrift ganz auf. An eine Ergänzung ist, da Nichts mehr folgt, woraus man auf etwas Zwischenliegendes schließen könnte, nicht zu denken.

6. [– Ich verwende deswegen alle Zeit auf die Erwägung des großen Einflusses eines solchen Mannes, wie ich ihn in meinem Werke, deiner Ansicht nach ziemlich gründlich, geschildert habe. Merkst du also, worauf nach meinen Grundsätzen jener Lenker des Staates alle seine Bestrebungen gerichtet haben muß? Denn so spricht im fünften Buche, denke ich, Scipio: So wie der Zweck des Steuermanns beglückte Fahrt, der des Arztes [Herstellung und Erhaltung der] Gesundheit, der des Feldherrn Sieg ist; so hat dieser Lenker des Staates das glückliche Leben der Staatsbürger zum Zwecke: daß es durch Macht gesichert, durch Wohlhabenheit behaglich, durch Ruhm verherrlicht, durch Tugend ehrenwerth 1241 sey: denn diese für die Menschen beglückendsten und wünschenswerthesten Erfolge sollen die Thätigkeit jenes Mannes krönen. Cicero ad Att. VIII, 11.]

[– preist doch auch selbst eure Literatur jenen Lenker des Vaterlandes, dem es mehr um das Wohl des Volkes zu thun ist, als um Durchsetzung seines Willens. Augustin. Epist. ad Nectar. 104.]

7. [– Tullius konnte Das nicht verhehlen, in demselben Werke, in welchem er über den Staat spricht, und zwar, wo die Rede ist von der Bildung eines Mannes, der an der Spitze des Staates stehen soll, von dem er sagt, er müsse durch Ruhm genährt werden: und im weitern Verfolge führt er an, seine Vorfahren haben viele außerordentliche und glänzende Thaten aus Begierde nach Ruhm verrichtet. – Augustin. de Civ. Dei V, 13.]

[– Tullius stellt in seinem Werke vom Staate den Satz auf: der an der Spitze des Staates stehende Mann müsse durch Ruhm genährt werden, und so lange stehe der Staat fest, als Jenem von Allen Ehre erwiesen werde. – Petr. Pictav. Epist. ad calumn. Bibl. PP. Lgd. T. XXII. p. 824.] [Das nächste Bruchstück bleibt als unverständlich weg.]

[– diese Tugend nennt er Tapferkeit; in ihr ist begriffen Seelengröße und erhabene Verachtung des Todes und des Schmerzens. Nonius.]

8. [– Marcellus [wird geschildert] als feurig und kampflustig: Maximus als besonnen und bedächtlichOffenbar auf das Benehmen dieser Männer im zweiten Punischen Kriege zu beziehen. Die folgenden, in dieses Capitel eingereihten, vier Bruchstücke geben für sich keinen Sinn. Ebd.]

1242 9. [– der Lakonier Menelaus besaß eine gewisse Anmuth durch die Lieblichkeit des Ausdrucks – [Ein Lenker des Staats] befleißige sich der Kürze im Vortrage. – Seneca bei'm Gellius XII, 2.]

[– durch dergleichen ungehörige Künste, verlangt Tullius, soll sich ein gewissenhafter Richter durchaus nicht täuschen lassen. Er sagt nämlich: Da Nichts im Staate so unbestochen seyn muß, als die Stimmgebung und das Urtheil [die ausgesprochene Abstimmung]; so begreife ich nicht, warum Der, welcher beides durch Geld bestochen hat, Strafe verdient haben soll; Wer [dasselbe aber] durch Beredsamkeit thut, Lob davon trägt. Mir wenigstens scheint Der um so mehr Schaden zu stiften, der durch seine Rede, als Der durch Geld den Richter besticht. weil einen verständigen Mann mit Geld Niemand bestechen kann, wohl aber durch SprechenWir übersetzen nach der Lesart der Ausgaben »prudentem,« vermuthen aber fast, es müsse »imprudentem« heißen. Dann wäre der Sinn: »weil Niemand Einen, ohne daß er es bemerkt, mit Geld bestechen kann, wohl aber durch Worte.« Ammian. Marcellin. XXX, 4.]

[– diese Aeußerung des Scipio fand bei Mummius ganz besondern Beifall: denn er hegte eine wirklich übertriebene Abneigung gegen die Rhetoren. – Nonius.]


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