Vom Staat
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1141 21. Nun, sagte Lälius, leuchtet mir erst die Behauptung des Cato ein, eine Staatsverfassung sey weder das Werk Eines Zeitpunkts noch Eines Menschen.S. oben Cap. 1. Denn es liegt am Tage, wie durch jeden einzelnen König unser Staat an Vorzügen und zweckmäßigen Einrichtungen gewonnen hat. Wir kommen aber jetzt auf Den, der meines Erachtens in Hinsicht auf Staatseinrichtung den schärfsten Blick hatte.A. M. vergleicht mit dem Servius Tullius in dieser Hinsicht den Pabst Sixtus V. Allerdings, erwiederte Scipio. Nach Jenem nämlich, meldet die Geschichte, regierte, zuerst ohne durch einen Volksbeschluß die Befugnisse erhalten zu haben, Servius Tullius,Er heißt in der Handschrift (wahrscheinlich durch Versehen des Abschreibers) von der ersten Hand Servius Sulpicius. der Sohn, wie es heißt, einer Sclavin aus Tarquinii und eines Clienten des Königs. Er wurde unter den Sclaven erzogen und mußte bei der Tafel des Königs aufwarten; allein der Funke des Talents, der schon damals aus dem Knaben hervorleuchtete, blieb nicht unbemerkt, da er in allen Verrichtungen und Aeußerungen große Gewandtheit verrieth.Ueber die Abkunft des Servius Tullius haben Untersuchungen angestellt Dionys. von Halik. IV, 1. 2. Livius I, 39. Einen etymologischen Witz über seinen Namen findet man bei Valer. Max. de Nomin. Ratione S. 882. und 880. ed. Torren. Und so gewann denn Tarquinius, dessen eigene Kinder damals noch ganz klein waren,Nach Dionys. III, 65. hatte er keine männliche Nachkommen, aber Enkel männlichen Geschlechts. den Servius so lieb, daß man 1142 denselben allgemein für seinen Sohn hielt, und bildete ihn mit der größten Sorgfalt in allen den Kenntnissen aus, die er selbst gelernt hatte, wie nur immer ein junger Grieche eine ausgezeichnete Bildung erhalten konnte.Von seiner Bildung spricht Livius I, 39, der überhaupt viel mit Cicero übereinstimmt. Als aber Tarquinius durch die Nachstellungen der Söhne des Ancus das Leben verloren, und Servius, wie gesagt, ohne [förmlichen] Beschluß, wiewohl mit Willen und Zustimmung der Bürger den Thron bestiegen hatte, (er war nämlich, als man fälschlich vorgab, Tarquinius sey nur an einer Verwundung krank gelegen, und lebe noch, mit den Zeichen der Königswürde bekleidet, zu Gericht gesessen, hatte Verschuldete durch Geld aus seinen Mitteln losgekauft, sich sehr freundlich [gegen die Bürger] bewiesen, und ihnen den Glauben beigebracht, er halte auf Befehl des Tarquinius Gericht;) da hielt er sich von den Vätern [dem Senat] unabhängig: das Volk aber ließ er, nachdem Tarquinius begraben war, abstimmen; und nachdem ihn dasselbe zum König gemacht, brachte er auch den [gewöhnlichen] Gesetzesvorschlag wegen seines Oberbefehls in der nach Curien stimmenden Volksversammlung zur Vollziehung. Die erste Handlung seiner Regierung war, daß er durch einen Krieg die [den Römern] von den Etruskern zugefügten Beleidigungen rächte. Als er dabei eine bedeutende * * * Man kann aus Dion. Hal. IV, 27. ergänzen: »Strecke von Ländereien den Einwohnern von Cäre, Tarquinii und Veji abgenommen hatte, vertheilte er die eroberten Grundstücke unter Diejenigen, die neuerdings das Römische Bürgerrecht erhalten hatten.

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1143 22. * * *Wir enthalten uns bei dieser sehr streitigen Stelle lieber aller Ergänzung, anstatt mit A. Majus eine Zeile oder mit Franke [de Tribuum ratione 8. Slesv. 1824] mehrere einzuschalten. achtzehen aus der ersten [Vermögens-] Klasse. Später, nachdem er eine große Zahl von Rittern aus der ganzen Masse des Volks herausgehoben hatte, theilte er den Rest des Volkes in fünf Klassen, und schied die Aeltern von den Jüngern,Die Jüngern (Juniores) sind die siebzehn bis sechs und vierzigjährigen. Die Aeltern (Seniores) darüber. wobei er die Eintheilung so zu machen wußte, daß die [Resultate der] Abstimmungen nicht in der Hand der Menge, sondern der Wohlhabenden waren,Weil (sagt Paulus beim Gellius XVI, 10.) ihr Vermögen gleichsam als Pfand für ihr Interesse an der Erhaltung des Staates eingelegt ist. und veranstaltete, worauf immer in einem Staate gehalten werden muß, daß das Uebergewicht nicht in den Händen der Ueberzahl war.Dadurch wurden, nach der Bemerkung des Dionys. IV, 20. 21. die Römischen Comitien im Grunde aristokratisch. Dürfte ich diese Vertheilung nicht als euch bekannt voraussetzen, so würde ich sie hier entwickeln. Es ist also, wie ihr seht, das Verhältniß folgendes. Die [drei] Rittercenturien [Ramnes, Tities, Luceres, die alten und die neuen] nebst den sechs Stimmen [der Rittercenturien, die noch zu den von Tarquinius Priscus bestimmten hinzugefügt worden waren] und die erste (Vermögens-) Klasse [, achtzig Centurien] die Centurie eingerechnet, die zum größten Nutzen der Stadt den Zimmerleuten zugestanden ist, haben neun und achtzig Centurien: schließen sich nun an diese von den hundert und vier Centurien (denn so 1144 viele sind dann noch von der Gesammtsumme [die aus hundert und drei und neunzig besteht] übrig) auch nicht mehr als acht an, so ist die übrige Stimmenmehrheit im Volke schon vollkommen [auf der Seite der ersten Vermögensklasse, nämlich sieben und neunzig]: und doch ist die weit größere Masse (der Bürger), nämlich sechs und neunzig Centurien, weder von der Stimmgebung ausgeschlossen, damit Dieß nicht den Schein des Uebermuthes [von Seiten der Reichen] haben möchte, noch zu einflußreich, damit sie nicht gefährlich werden kann.Es möchte hier nicht an der Stelle seyn, eine ausführliche Aufzählung der verschiedenen Meinungen über diese Centurienberechnung, worüber schon wenigstens zehn Abhandlungen, ja ganze Bücher, geschrieben worden sind, zu geben, Es genüge hier blos die Angabe, daß wir uns an Orelli's einfache und Nichts ändernde Berechnung angeschlossen haben. Die verschiedenen Ansichten hat der Uebersetzer in seiner Ausgabe dieses Werkes (so viele damals bekannt waren) dargestellt. Seitdem haben ihre Stimmen noch abgegeben C. Göttling im Hermes XXVI, 1. S. 84–128, C. F. Bähr in Erschs und Grubers Encycl. 16. u. d. W. Centuriae, K. Beier in Jahns Jahrb. 1827, I, 3, J. Orelli in seiner Ausgabe des Cicero. Vgl. auch v. Kobbe's Uebersetzung, 8. Göttingen, 1824. Dabei war er auch selbst in der Wahl der Worte und Benennungen behutsam, indem er die Reichen assiduos nannte, weil sie Geld zahlten [aes dabant],S. Creuzers Römische Antiquitäten S. 96. Diejenigen aber, die entweder nicht mehr als fünfzehnhundert Aß, oder ausser ihrer Person gar Nichts bei der Vermögensschätzung [census] angaben, Proletarier hieß; so daß der Staat von ihnen gleichsam den Nachwuchs [an Menschen, proles], das heißt die Fortpflanzung der Bürgermasse zu erwarten schien. Von jenen sechs und neunzig Centurien aber wurden in der letztenNach Göttlings Verbesserung, ima statt una. Centurie damals bei der Schätzung mehr Köpfe gezählt, als fast in der ganzen ersten [aus achtzig Centurien bestehenden] Klasse. Auf diese Weise wurde einerseits Keiner von dem Stimmrecht ausgeschlossen, andererseits war der Stimme Derjenigen am meisten Einfluß zugetheilt, denen am meisten daran lag, daß der Staat im bestmöglichen Zustande sey. Ja auch den Accensis velatis,Eigentlich: Ueberzähligen Leichtbekleideten; ursprünglich eine Art von Kriegern bei der Legion, später eine Art von Priestern S. 7. (Orelli Insec. Latt. T. S. 487. f.) den Zinkenbläsern, den Hornbläsern, den Proletariern * * * In diese Lücke fällt die weitere Erörterung über den Census; vielleicht auch die durch Servius Tullius geschehene Erweiterung der Stadt, erste Prägung von Erzmünzen, Einführung von Maß und Gewicht; worauf ein Uebergang zur Vergleichung Rom's mit Sparta und Karthago gefolgt zu seyn scheint.

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23. * * * [Meiner Ansicht nach ist ein Staat am besten eingerichtet, wenn in seiner Verfassung eine zweckmäßige Mischung des monarchischen, aristokratischen und demokratischen Princips ist, und die Strafgewalt die Bürger nicht aufreizt und empörtDieses Fragment aus Nonius Marcellus haben wir hier stehen lassen, um die Orellische Paragraphenreihe nicht zu unterbrechen. Es steht nicht mit Sicherheit an dieser Stelle.]

* * * [Demnach ist Karthago fünf und] sechzig Jahre älter [als Rom], weil es neun und dreißig Jahre vor der 1146 ersten Olympiade erbaut wurde. Und jener älteste Lykurgus hatte fast dieselbeIn dem Fragment aus Nonius ausgesprochene. Ansicht.Hier hatte C. wieder den Polybius (VI, 43.) vor sich. Vergl. auch Aristot. Rep. II, 11. Demnach, scheint mir, haben wir jenes Gleichgewicht und diese Mischung der drei Verfassungsarten mit jenen Völkern gemein gehabt. Was aber das Eigenthümliche unserer Verfassung ist, das ihr einen so überwiegenden Vorzug verleiht, das will ich, wo möglich, noch genauer erörtern, weil es sich zeigen wird, daß sich seines Gleichen in keinem Staate findet. Denn das bisher Entwickelte fand sich in solcher Mischung bei der Spartanischen und Karthagischen Verfassung, wie in der unsrigen, daß es nicht durch eine bestimmte Regel in ein rechtes Verhältniß gebracht war. Denn ein Staat, in welchem ein Einzelner in ununterbrochenem Besitze einer [ihm übertragenen] Gewalt, besonders der königlichen, ist, mag auch in demselben sich immerhin ein Senat befinden, wie damals, zur Zeit der Könige, Einer in Rom war; wie zu Sparta nach der Lykurgischen Verfassung; mag auch dem Volke noch einiges Recht eingeräumt seyn, wie es unter unsern Königen war; so gibt doch eben der Name König ein Uebergewicht; und ein solcher Staat ist und heißt demnach nothwendig eine Monarchie.Vergl. die Ansicht Joh. Müllers in der Allgem. Gesch. I, S. 50. Eine solche Form der Verfassung ist aber aus dem Grunde sehr unhaltbar, weil sie durch den Mißbrauch eines Einzigen nur gar zu leicht zur verderblichsten aller Formen ausartet. Denn das Königthum an sich ist nicht nur nicht zu verwerfen, sondern möchte leicht allen übrigen 1147 einfachen Formen bei weitem vorzuziehen seyn,Dieß sind Gedanken aus dem dritten Buche von Plato's Gesetzen. (wenn ich ja irgend eine einfache Regierungsform für zweckmäßig erklären könnte:) aber nur so lange es nicht ausartet, und seine [rechte] Haltung behält. Das aber ist die [rechte] Haltung, daß durch die ununterbrochene rechtmäßige Gewalt eines Einzigen, durch seine Gerechtigkeit und Weisheit das Wohl und die [Rechts-] Gleichheit und die Ruhe Aller geschützt und beaufsichtigt werde. Im Allgemeinen fehlt (jedoch) einem Volke viel, das einen König über sich hat, besonders die Freiheit; die nicht darin besteht, daß wir einen gerechten Oberherrn haben, sondern [daß wir] gar keinen [haben] * * * Vielleicht ist in dieser Lücke die Ermordung des Servius und der Uebergang der Königsgewalt auf den Tarquinius Superbus ausgefallen.

[Lücke von zwei Seiten.]

24. * * * . . . Denn jener ungerechte und harte Herrscher hatte im Laufe seiner Regierung eine Zeit lang das Glück im Gefolge seiner Unternehmungen. Er überwand nicht nur ganz Latium in einem Kriege, und nahm die wohlhabende und reiche Stadt Suessa Pometia ein;Vgl. Livius I, 53. sondern, mit ungeheurer Beute an Gold und Silber bereichert, löste er auch das Gelübde seines VatersEigentlich seines Großvaters vgl. Cap. 21. durch Erbauung des Capitoliums, legte Pflanzstädte an,Nämlich Signia und Circeji. S. Dionys. IV, 63. Livius I, 56. und schickte nach der 1148 Sitte Derjenigen, von welchen er abstammte, prachtvolle Geschenke, gleichsam als Opfergaben von der Beute, nach Delphi an den Apollo.

25. Und hier komme ich nun an den Wendepunkt [Kreislauf], dessen natürliche Bewegung und UmdrehungDas hat er von Plato (Rep. VIII. S. 546), wie er selbst im 2. Buche von der Weissagung (Cap. 2.)) bemerkt. ich euch vom Entstehen an auseinander zu setzen und zu entwickeln gedenke. Denn Das ist eben der Gipfel der Einsicht in die Staatsverhältnisse, um die sich mein ganzer Vortrag dreht, zu erkennen, was die Verfassungen für einen Verlauf und für eine Wendung nehmen, um euch, durch die Erkenntniß, wohin sich jede neigt, in den Stand zu setzen, hemmend einzugreifen und (dem gedrohten Umschwunge) zum voraus zu begegnen.So spricht Aristoteles (Rep. V, 9.) gleichfalls: und im Anfange desselben Buches von den Veränderungen der Staatsverfassungen. Denn jener König, von welchem ich spreche, war, nachdem er erst sich mit dem Morde des besten Königes befleckt hatte, nicht mehr reines Gemüthes; und da er selbst die höchste Bestrafung seines Verbrechens fürchtete, wollte er auch gefürchtet seyn. Späterhin, durch seine Siege und Reichthümer gehoben, pochte er in übermüthigem Stolze darauf, verlor die Herrschaft über sein Benehmen, und vermochte die zügellosen Begierden der Seinigen nicht mehr zu bändigen.In demselben Sinne spricht Cicero auch de Fin. III, 22. Und so kam es denn, daß, als sein ältester SohnOvid (Fast. 691) und Eutropius (I, 7.) sagen, es sey von Dreien der Jüngste gewesen. der Tochter des Tricipitinus, Lucretia, die des 1149 Collatinus Gemahlin war, Gewalt angethan, und die züchtige und edle Frau wegen dieser Entehrung sich selbst den Tod gegeben hatte, ein durch Geist und Thatkraft ausgezeichneter Mann, L. Brutus, jenes ungerechte Joch harter Knechtschaft von dem Nacken seiner Mitbürger abschüttelte: und ungeachtet er Privatmann war, hielt er doch den ganzen Staat zusammen und aufrecht, und war der Erste, der in unserm Staate die Lehre [praktisch] aufstellte, daß, wo es sich um Rettung der Freiheit seiner Mitbürger handle, Jeder aus dem Privatstande heraustreten müsse [Keiner Privatmann sey]. Auf seinen Rath und unter seiner Leitung standen die Bürger auf, da zu der noch ganz frischen Beschwerde des Vaters der Lucretia und ihrer Verwandten sich die Erinnerung an den Uebermuth des Tarquinius und vieles durch ihn und seine Söhne geschehenen Unrechts gesellte, und sprach die Verbannung nicht nur des Königes selbst, sondern auch seiner Kinder und der ganzen Familie der Tarquinier aus.

26. Seht ihr also, wie aus einem König ein Despot geworden, und durch Eines Schlechtigkeit die Verfassung aus einer guten zur schlechtesten umgewandelt worden ist? Denn ein Gewaltherrscher [Despot] des Volks ist eben Der, den die Griechen einen Tyrannen nennen: denn unter einem Könige verstehen sie einen Mann, der wie ein Vater für sein Volk sorgt, der Die, über welche er gesetzt ist, in dem besten Lebenszustande erhält. Allerdings eine preiswürdige Art von Staatsverfassung die sich aber nur zu sehr zur heillosesten hinneigt, und zu ihr nur zu leicht hinabsinkt. Denn sobald ein solcher König zu ungerechter Gewaltherrschaft sich hingeneigt hat, so wird gleich ein Tyrann aus ihm; und ein 1150 häßlicheres und scheußlicheres, Göttern und Menschen verhaßteres Ungethüm läßt sich nicht denken; und, trotz der Menschengestalt, übertrifft er doch an Unmenschlichkeit die gräßlichsten Ungeheuer. Denn Wer kann so Einen mit Recht noch einen Menschen nennen, der mit seinen Mitbürgern, ja mit der ganzen Menschheit in keinem menschlichen Gesellschaftsverhältnisse stehen will?Mit dieser Stelle verdient verglichen zu werden Cicero von der Freundschaft 15. Doch über diese [Miß-] Art [Ausartung] werde ich späterhin zu sprechen noch eine passendere Stelle finden, wenn mich der Gang der Darstellung mahnt, über Diejenigen zu sprechen, die, auch nachdem der Staat schon frei geworden war, nach Gewaltherrschaft trachteten.

27. Da habt ihr nun eine Schilderung der ersten Entstehung eines Tyrannen: diese Namen nämlich haben die Griechen Demjenigen gegeben, der mit Ungerechtigkeit König ist: unsere Sprache hat Alle mit dem Namen Könige benannt, die eine ununterbrochene [lebenslängliche] Gewalt über ihre Völker allein [und ungetheilt] besitzen. Daher sagte man vom Spurius Cassius, M. Manlius und Spurius Mälius,Des Cassius Versuch fällt in's Jahr Roms 267. (Liv. II, 41.), der des Mälius in's Jahr 316. (Liv. IV, 14.). sie haben sich zu Königen aufschwingen wollen: und erst neuerlich * * * Man kann, nach A. M., nicht unpassend ergänzen: – »hat Tiberius Gracchus einige Monate lang eine Art von Königsherrschaft ausgeübt, oder wenigstens den Staat unterjochen wollen: weswegen er mit vollem Rechte mit dem Leben gebüßt hat,« Cic. von der Freundsch. 12. Vellej. Paterc. II, 4.

[Lücke von zwei Seiten.]

1151 28. * * * nannte Lykurgus zu Sparta den Rath der AltenNach Plutarch im Leben Lykurgs 26. waren diese Männer über sechzig Jahre alt.; nur machte er ihn zu schwach an Zahl,In Athen bestand der Rath aus fünfhundert, zu Massilia aus sechshundert Bürgern. nämlich acht und zwanzig, in deren Hände er die oberste Leitung und Berathung gab, während der König die höchste [vollziehende] Gewalt hatte. Dieselbe Einrichtung nahmen denn auch die Unsrigen an, und übersetzten sogar den Amtstitel, indem sie Die, die Jener den Rath der Alten [γέροντας, γερουσίαν] hieß, Senat [von senes] nannten, wie es auch (wie gesagt) Romulus bei der Auswahl der Väter machte. Immer überwiegt und überragt jedoch des Königes Gewalt, Macht und Name [Rang]. Lasse man auch immerhin daneben das Volk noch etwas gelten, wie Lykurgus und Romulus wirklich thaten; durch eine solche Freiheit wird es sich nicht befriedigt finden, sondern da man sie ihm nur ein wenig zu kosten gegeben hat, so wird es darnach nur noch mehr dürsten.Gedanke des Plato im Staatsmann S. 301. Auf jeden Fall wird die Besorgniß nie verschwinden, es möchte (ein Fall, der gemeiniglich eintritt) einmal ein ungerechter König [auf den Thron] kommen. Darum steht denn das Glück eines Volkes auf schwachen Füßen, das, wie vorhin gesagt, von dem [guten] Willen oder dem Charakter eines Einzelnen abhängt.

1152 29. Und hier zeigt sich denn das erste Hervortreten, die erste Erscheinung und der Ursprung der Tyrannei, in demjenigen Staate, den Romulus nach Auspicien gegründet, nicht in einem solchen, den, wie Plato berichtet, Sokrates in jener PeripatetischenDiese Stelle ist ein Beweis, daß der Ausdruck Peripatetisch und Peripatetiker nicht blos Aristotelisch und Aristoteliker, sondern auch Akademisch und Academiker bezeichnet haben muß, wiewohl man später jene Unterscheidung gemacht hat und wir sie mit Recht beibehalten. Uebrigens findet sich jene Angabe auch noch bei andern Schriftstellern. Vgl. Neumann zu den Fragmenten der Republiken des Aristoteles S. 17. Unterhaltung im Ideal entworfen hat. So möge denn, wie Tarquinius, ohne eine neue Gewalt bekommen zu haben, sondern nur durch Mißbrauch derjenigen, die er besaß, den Umsturz der ganzen [bisherigen] Verfassung herbeigeführt hat, Diesem ein Anderer gegenübergestellt seyn, ein gutgesinnter, weiser, den Vortheil und die Würde der Staatsbürger verstehender Mann, gleichsam der Pfleger und Vorsorger des Staats, denn so soll Der heißen, der (Wer es immer sey) der Leiter und Lenker des Bürgervereins ist. Diesen Mann laßt euch schildern; denn er ist es, der durch Rath und That den Staat schützen kann. Weil aber dieser Name bisher in unserer Unterhaltung noch nicht eigentlich vorgekommen ist [nämlich der Name Consul], und wir im Verfolg unseres Vortrages einen Mann dieser Art [Staatsbeamten] öfters werden berühren müssen, * * * Ohne Zweifel fällt in diese Lücke die Schilderung eines Consuls, wie er seyn soll, bei welcher Cicero um so mehr mit Liebe verweilt haben mag, da er sich selbst und seine Führung des Consulats fast wie ein erreichtes Ideal betrachtete; was aus einer Menge von Stellen seiner Schriften hervorgeht. Von dieser Schilderung mag er dann auf die historische Darstellung der Veränderung der Römischen Verfassung, und dann zu einem kurzen Blicke auf die Platonische Republik übergegangen seyn, wo die Handschrift wieder fortfährt.

[Lücke von zwölf Seiten.]

1153 30. * * * [Plato] hielt für nöthig, [daß der gesammte Boden des Staats unter die Bürger zu gleichen Theilen vertheilt sey; und nahm einen Staat, wie man ihn mehr wünschen, als hoffen darf, von ganz kleinem Umfange an,Nach Plato (Rep. V, S. 737.) soll der Staat aus 5040 Bürgern bestehen und auf dieser Zahl bleiben (S. 740. 746. 771.). Aristoteles (Eth. ad Nic. X, 10.) sagt, ein Staat könne weder aus zehen, noch aus hunderttausend Bürgern bestehen. In der Republik (VII, 4.) sagt er, er soll nicht groß seyn, und an einer andern Stelle (II, 8.) werden 10000 als Normalzahl angenommen, Man sieht hier den von Griechischen Städten und Städtchen hergenommenen Maßstab. und so brachte er einen heraus, nicht, wie er in der Wirklichkeit möglich ist, sondern einen, an dem man die möglichen bürgerlichen und politischen Verhältnisse studiren könnte. Ich aber, wenn mir irgend mein Vorhaben gelingt, werde, ganz nach den von ihm erkannten Grundsätzen, aber nicht an dem Schatten und Scheinbilde eines Staates, sondern an einem [wirklichen] vom ersten Range, die Ursache jedes Heils und Unheils im Staatsleben, wie mit einem Stabe darzustellen streben. Nachdem nämlich jene zweihundert und vierzig Jahre unter den Königen [mit den Regierungen der Zwischenkönige macht es etwas mehr aus] vorüber und Tarquinius vertrieben war, herrschte im Römischen Volke ein so großer Haß 1154 gegen den Königsnamen, als nach dem Hinscheiden, oder vielmehr dem Abschiede des Romulus die Sehnsucht nach diesem gewesen war. Und so wie das Volk damals nicht ohne einen König seyn konnte, so konnte es nach Vertreibung des Tarquinius den Namen König nicht mehr nennen hören. * * * Die hier noch folgenden Worte Hic facultatem cum.... müssen unübersetzt bleiben, da man über sie nur blind rathen müßte. Die Lücke mag eine tiefere Entwicklung der Ursachen der Römischen Staatsveränderung, ein Lob des Brutus und Collatinus, und Anderes über die neue und freie Verfassung enthalten haben.

[Lücke von sechszehn Seiten.]

31. * * * [Nachdem nun jene treffliche Einrichtung des Romulus ungefähr zweihundert und zwanzig Jahre unverändert bestanden hatte * * * Nonius Marcellus, angeblich aus dem zweiten Buche der Rep.]Man kann hier aus Augustin. (de Civ. Dei V, 12.) so fortfahren: – »wurden die Römer der königlichen Regierung müde, führten eine jährige Regierung zweier Staatsoberhäupter ein und nannten sie Staatsberather (Consules) vom Rathgeben (consulere), nicht Könige oder Herren vom Regieren oder Herrschen.

* * * wurde jenes Gesetz ganz anfgehoben.Hier war entweder von der Abschaffung des Ostracismus in Athen durch den Hyperbolus vergleichungsweise die Rede, oder von der Aufhebung der vom Römischen Volke gegebenen Verordnung wegen Zurückgabe des Privateigenthums der Tarquinier. In dieser Erwägung entfernten unsere Vorfahren sowohl den ganz unschuldigen Collatinus, blos weil seine Verwandtschaft mit den Tarquiniern Verdacht erregte,S. Livius II, 2. und über das Folgende Liv. II, 7. als auch alle andern 1155 Tarquinier, weil der Name verhaßt war. In gleicher Rücksicht ließ P. Valerius [Poplicola] nicht nur die Gewaltstäbe, [Fasces] senken, wenn er in der Volksversammlung zu reden begann, sondern ließ auch sein Haus in die Niederung am Fuße des Velischen Hügels versetzen, nachdem er bemerkt hatte, daß bei dem Volke ein Argwohn gegen ihn rege geworden war, weil er auf einem höhern Platze des Velischen Hügels zu bauen angefangen hatte, gerade an der Stelle, wo der König Tullus gewohnt hatte. Er war es auch (und darin zeigte er sich besonders als Poplicola [Volksfreund]), der dem Volke das Gesetz vorschlug, welches zuerst in der nach Centurien stimmenden Volksversammlung gegeben wurde, daß kein Staatsbeamter einen Römischen Bürger der Berufung [Provocation] an das Volk zum Trotze hinrichten oder auch nur körperlich züchtigen lassen dürfe. Daß aber auch sogar eine Provocation von den Königen an das Volk statt gefunden habe, beweisen die Bücher der Hauptpriester,Libri pontificales oder pontificii. auch deuten es unsere Auguralbücher an; und daß man überhaupt von jedem Urtheile und von jeder Strafe provociren dürfe, sprechen die zwölf Tafeln in mehreren Gesetzen aus;S. Cicero von den Gesetzen III, 3. Vgl. Dirksen über die Zwölf-Tafel-Fragmente S. 634. 646. auch spricht schon die historische Angabe, daß die zehen Männer, die die Gesetze verfaßten, bei ihrer Wahl die Begünstigung erhielten, daß man von ihnen nicht provociren dürfe, hinlänglich für den Satz, daß alle übrigen Staatsbeamten diese Begünstigung nicht hatten: überdieß enthält das consularische 1156 Gesetz des L. Valerius Potitus und M. Horatius Barbatus,Im Jahre Roms 305. Beide trugen zur Abschaffung des Decemvirats bei. die der Eintracht wegen eine weise Volksthümlichkeit ausübten, die unverbrüchliche Bestimmung, daß kein Beamter gewählt werden sollte, von dem keine Provocation stattfände.Vgl. Livius III, 55. Im J. R. 454. gab M. Valerius noch ein bestimmteres Gesetz über diesen Gegenstand. Auch enthalten die Porcischen Gesetze, deren drei sind, von drei Porciern vorgeschlagen,Von drei Porcischen Gesetzen (und zwar von drei Porciern gegeben) über die Provocation wußte man bisher Nichts. bekanntlich nichts Neues, außer die feierliche Bestätigung [jenes Gesetzes]. Es ließ demnach Publicola, nachdem jenes Gesetz über die Provocation durchgegangen war, gleich die Beile aus den Gewaltstabbündeln [Fascen] herausnehmen, wählte sich dann den Tag darauf den Spurius Lucretius zum Amtsgenossen, und ließ seine Lictoren zu ihm, weil er der Aeltere war, hinübertreten: auch war er der Erste,Nach Livius II, 1. that Dieß auch Brutus. Dionysius V, 19. erzählt, Publicola habe die Beile außerhalb der Stadt in den Fascen gelassen, innerhalb derselben aber herausgenommen. der die Sitte einführte, daß die Lictoren immer nur vor Einem Consul einen Monat um den andern hergehen sollten, damit es nicht zur Zeit der Volksfreiheit mehr Zeichen der Oberherrlichkeit gebe, als zur Zeit des Königthums gewesen wären. Nach meiner Ueberzeugung zeigte der Mann keinen geringen Grad von Staatsweisheit, indem er dadurch, daß er dem Volke in den gehörigen Schranken Freiheit gewährte, desto leichter das Ansehen der Staatsoberhäupter aufrecht erhielt. Nicht ohne Grund 1157 aber trage ich euch diese so uralten und so veralteten Dinge vor; sondern ich brauche ausgezeichnete Personen und Zeitpunkte als Beispiele für die Menschen und Ereignisse, auf welche ich dann im weitern Verlauf meiner Rede zu kommen gedenke.

32. In diesem Zustande hatte also der Senat den Staat in jenen Zeiten in Händen; so daß bei hergestellter Volksfreiheit dennoch nur Weniges durch das Volk vollzogen wurde, das Meiste dagegen durch das Ansehen des Senats, und dem Herkommen und der Sitte gemäß: und daß die Consuln der Zeit nach nur eine einjährige Macht besaßen, dem Wesen aber und dem Rechte nach eine königliche.Nach Polybius VI, 11. Vgl. Gibbons Gesch. des Verfalls und Unterg. des Röm. Reichs I, 3. S. 163. Ein Punkt aber, der zur Aufrechterhaltung der Macht der Vornehmen von der höchsten Wichtigkeit war, wurde mit der größten Strenge behauptet, nämlich daß die Beschlüsse der Volksversammlungen nur dann Gültigkeit hatten, wenn sie durch die Zustimmung der Väter gebilligt waren.Das erzählt Livius I, 17. 22. IV, 3. 49. VI. 4. Aber es änderte sich nach und nach ganz: s. Cic. pro Pl. 3., und Dionys. II, 14. sagt, er wisse nicht ob das Eine oder das Andere besser sey. In dieselben Zeiten fällt auch die Ernennung des [ersten] Dictators T. Larcius, ungefähr zehen Jahre nach Einführung der Consularregierung, und diese neue Gattung der Obergewalt schien der königlichen am meisten zu gleichen und sich ihr zu nähern. Im Ganzen aber war, ohne daß das Volk etwas dagegen hatte, die Leitung 1158 des Staates mit überwiegendem Ansehen in den Händen der Vornehmen: und im Laufe jener Zeit wurden von den tapfersten Männern den mit dem höchsten Oberbefehl bekleideten Dictatoren und Consuln ausgezeichnete Thaten im Kriege und Frieden verrichtet.

33. Aber (ein Fall, der dem natürlichen Laufe der Dinge gemäß eintreten mußte) das Volk suchte, nachdem es von den Königen befreit war, sich etwas mehr Recht anzueignen; und es gelang ihm Dieß in einer kurzen Zeitfrist, ungefähr im sechzehnten Jahre [nachher], unter den Consuln Postumus Cominius und Sp. Cassius.Im Jahr Roms 261. Es geschah Dieß zwar vielleicht nicht nach vernünftiger Berechnung; allein der natürliche Gang der Entwicklung des Staatslebens macht oft die Berechnung zu Schanden.Interessante Vergleichungspunkte bietet die Stelle des Cicero vom Redner II, 48. Denn den Satz müßt ihr einmal fest halten, den ich gleich vorne herein aufgestellt habe,Nämlich I, 27. und 45. daß, wofern nicht in einem Staate ein richtiges Gleichgewicht des Rechts und der Pflicht und der Dienste statt findet, so daß einerseits die Beamten hinlängliche Macht, andererseits die Vornehmen den gehörigen Einfluß durch ihre Einsicht besitzen, und dabei das Volk dennoch Freiheit genug hat, die Verfassung sich nicht auf die Dauer in unverändertem Zustande halten kann. Als nämlich unter den Bürgern wegen [zu großer Verarmung durch] Schulden Unruhen entstanden waren, zogen sich die Plebejer anfangs auf den 1159 heiligen Berg,Diesen Namen gab ihm das Volk erst, und weihte ihm den Juppiter, nachdem es sich dort die Volkstribunen ertrotzt hatte. Ueber die Sache vgl. Creuzers Röm. Antiq. S. 151. dann auf den Aventinischen Hügel. Ja nicht einmal Lykurgs strenge Staatszucht vermochte die Zügel diesem Griechenvolke so straff zu halten. Denn auch zu SpartaVgl. K. O. Müller Gesch. Hellen. Stämme und Städte III, 114. Dess. Dorier II, 130, Tittmanns Darst. d. Griech. Staatsverfassungen S. 413. Göttling zur Politik des Aristoteles S. 475. ff. für diesen Schluß des Capitels. wurden, unter der Regierung des Theopompus,Nämlich in der fünften Olympiade, 130 Jahre nach Lykurg. fünf Männer aufgestellt, die dort Ephoren heißen, in Kreta aber zehen, Kosmi genannt, und zwar so wie als Gegengewicht gegen die Consulargewalt [bei uns] die Volkstribunen, so bei Jenen Jene gegen die königliche eingeführt.

34. Gegen jene Schuldenlast hätten unsere Vorfahren vielleicht ein Heilmittel aufgefunden, welches auch dem Scharfblicke des Atheners SolonCicero zielt auf die Seisachthie (Schuldenerlassung). S. Böckhs Staatshaushaltung der Athener I, S. 17. II, S. 349. ff. kurze Zeit zuvor nicht entgangen war; und worauf auch einige Zeit nachher unser Senat verfiel, da aus Veranlassung der zügellosen Begierde eines Einzigen auf einmal die leibdienstfällig gewordenen Bürger frei wurden, und die Leibfrohn der Schuldner nachher ganz aufhörte:Das erzählt Livius XIII, 28. und Valer. Max. VI, 1. 9. wie denn überhaupt bei Uebeln der Art, wenn die Plebejer bei einem Staatsunglück einen ihre Kräfte übersteigenden Aufwand hatten machen müssen, des allgemeinen Wohls wegen irgend ein Mittel zur Linderung und Heilung 1160 aufgesucht wurde. In jenem Falle jedoch war diese Maßregel unterlassen worden, und dadurch dem Volke Veranlassung gegeben, daß durch die beim Aufstande gewählten zwei VolkstribunenDion. v. Halik. VI, 89. gibt an, es seyen fünf gewesen. Vgl. Creuzers Röm. Antiq. S. 149–157. Cicero spricht auch darüber im Werke von den Gesetzen III, 7. die Macht und das Ansehen des Senats geschwächt wurde, wiewohl Beides immer noch gewichtvoll und bedeutend blieb, da die weisesten und muthvollsten Männer durch Waffen und Rath den Staat schützten: Männer, deren Ansehen um so höher glänzte, weil sie, ungeachtet ihrer weit vor den Uebrigen erhabenen Stellung, dennoch weniger Genüsse suchten, ja auch in der Regel Jenen an Reichthümern nicht überlegen waren.Creuzer a. a. O. S. 157. f. Vgl. Sallust. Catil. VII. Und darum war eben eines Jeden Tüchtigkeit im Staate um so willkommener, weil sie im Privatleben die einzelnen Bürger durch That, Rath und Geld auf's theilnehmendste unterstützten.

1165 35. Bei dieser Lage des Staates klagte der Quästor den Spurius Cassius, der damit umging, sich auf den Königsthron zu schwingen, ungeachtet der hohen Gunst, in welcher er bei dem Volke stand, an, und bestrafte ihn, wie ihr gehört habt, als sein Vater selbst erklärte, er wisse, daß sein Sohn sich dieses Verbrechens schuldig gemacht, selbst mit dem Tode, ohne daß das Volk sich dagegen setzte.Darüber spricht Livius II, 41. und Dionys, VIII, 79. Mit abweichenden Ansichten Valer. Max. V, 8. 2. Florus I, 26. Auch war jenes Gesetz, welches, ungefähr im vier und fünfzigsten Jahre nach der ersten Ernennung von Consuln, die beiden Consuln Spurius Tarpeius und Aulus Aternius,Im J. R. 300. In den Consulverzeichnissen heißen sie Sp. Tarpejus Montanus Capitolinus und A. Haterius Fontinalis. in einer nach Centurien abstimmenden Volksversammlung über die Bezahlung einer Geldsumme als Strafe, gaben, etwas dem Volke 1166 sehr willkommenes. Zwanzig Jahre später wurde aus dem Grunde, weil die Censoren L. Papirius und P. PinariusDieses Censoren-Collegium war bisher unbekannt. durch Strafansätze eine Menge Pflugvieh aus dem Besitze der Privatpersonen in den Besitz des Staates gebracht hatten, durch ein Gesetz der Consuln C. Julius und P. Papirius zu Strafbezahlungen ein leichter Geldansatz für das Vieh bestimmt.Nach Dionys. X, 50. war die höchste Strafe zwei Rinder und dreißig Schafe, nach Gellius XI, 1. dagegen zwei Schafe und dreißig Rinder gewesen.

36. Einige Jahre früher aber, als der Senat das höchste Ansehen genoß, wurde, ohne daß das Volk sich weigerte oder widersetzte, die Maßregel ergriffen, daß die Consuln und die Volkstribunen ihre Stellen niederlegten und Zehen-Männer [Decemvirn] mit der höchsten Gewalt und ohne daß man von ihnen provociren konnte, gewählt wurden, die neben dem Besitze des Oberbefehls auch [ein Ganzes von] Staatsgesetzen abfassen sollten. Als Diese nun zehen Tafeln mit Gesetzen, die von höchster Unpartheilichkeit und Einsicht zeugten, verfaßt hatten,Cicero scheint für Diejenigen zu sprechen, welche den Einfluß Griechischer Gesetze, und die Absendung einer Gesandtschaft von Rom nach Griechenland zu diesem Zwecke, läugnen. S. über die Sache Creuzers Röm. Antiq. S. 184–187. ernannten sie für das folgende Jahr zehen Andere [von gleichem Range und mit gleicher Vollmacht], die weder wegen Redlichkeit noch wegen Gerechtigkeit sich gleiches Lob [wie die Ersten] erwarben. Doch verdient aus ihrer Mitte C. Julius eine besondere Auszeichnung, der von einem vornehmen Manne, dem L. Sextus, in dessen 1167 Zimmer, wie er angab, in seiner Gegenwart ein Leichnam ausgegraben worden war, ungeachtet seiner höchsten Gewalt als Decemvir, von dem keine Provocation galt, dennoch einen Bürgen forderte, und erklärte, er könne sich nicht entschließen, jenes treffliche Gesetz unbeachtet zu lassen, welches verbiete, über das Leben eines Römischen Bürgers anderswo, als in einer nach Centurien abstimmenden Volksversammlung, zu entscheidenDie Sache erzählt Livius III, 33.

37. Noch ein drittes Jahr waltete die Decemviralregierung, und zwar die des zweiten Jahres, da diese keine Andern an ihrer Stelle hatte wählen wollen. Bei diesem Zustande des Staates, von dem ich schon mehrmals gesagt habe, daß er nicht von Dauer seyn könne,S. oben I, 45. II, 33. weil die Gleichheit der Rechte unter den verschiedenen Ständen der Bürger aufgehoben war, hatten die Vornehmen den ganzen Staat in ihrer Gewalt, da an der Spitze zehen Männer vom höchsten Range standen, ohne das Gegengewicht der Volkstribunen, und ohne andere Beamte an der Seite zu haben, und ohne daß die Provocation an das Volk gegen Todesstrafe und körperliche Züchtigung vorbehalten war. Aus deren Ungerechtigkeit entstand nun auf einmal die größte Verwirrung und eine Umwandlung der ganzen Staatseinrichtung: da die Decemvirn zwo Tafeln mit Gesetzen, welche die Gleichheit der Rechte aufhoben, hinzufügten, wodurch das Recht der Verheirathung, was sonst sogar getrennten Völkern nicht versagt zu werden 1168 pflegt, nämlich die Verbindung zwischen dem Plebejer- und Patricierstande, durch eine empörende Anordnung vermehrt wurde:Hier ist ausgefallen erstlich die Abschaffung und Bestrafung der Decemvirn; ferner die Wahl von Kriegstribunen mit Consulargewalt anstatt der Consuln: der Versuch des Sp. Mälius, die Königswürde an sich zu reißen; seine Bestrafung durch den Dictator Cincinnatus; der Anfang der Censur; welches Alles im dritten und vierten Buche des Livius erzählt wird, Wahrscheinlich schloß auch hier Scipio seinen Beweis, daß die Mischung von Macht und Rechten, wie sie sich nach und nach in der alten Römischen Republik gebildet, die beste Regierungsform sey. (ein Gesetz, das späterhin durch den Canulejischen Volksbeschluß wieder abgeschafft worden ist,) und überhaupt in dem gesammten Umfang ihrer Macht das Volk nach den Eingebungen ihrer Lüsternheit, ihrer Härte und ihrer Habsucht beherrschten. Es ist ja eine bekannte und in vielen Geschichtswerken ausführlich erzählte Thatsache, daß, als ein gewisser Decimus Virginius seine Tochter, eine Jungfrau, wegen der zügellosen Lust eines jener Decemvirn auf dem Forum mit eigener Hand getödtet, und im Schmerz hierüber zu dem Heere, welches damals im Algidum stand, sich geflüchtet hatte, die Soldaten den Krieg, den sie eben zu führen hatten, aufgaben und anfangs den heiligen Berg, wie bei einer ähnlichen Veranlassung früher geschehen war, sodann den Aventinischen Hügel bewaffnet besetzten * * * S. Dirksen a. a. Orte S. 703. ff. Der Decemvir Appius hatte das Gesetz betrieben. Das Canulejische Gesetz wurde im J. R. 306. gegeben. Liv. IV, 1. ff.

[Lücke von acht Seiten.]

1169 [– wo dann L. Quinctius zum Dictator ernannt wurde –Wenige Jahre nach Abschaffung des Decemvirats.] [Philargyrius zu Virg. Landb. III, 125.]

* * * Daß [diese Einrichtung] von unsern Vorfahren besonders gebilligt, und mit großer Weisheit beibehalten worden, das ist meine entschiedene Ueberzeugung.

38. Als nach Endigung dieser Rede des Scipio eine kleine Pause entstand, während welcher Alle auf die Fortsetzung warteten, begann Tubero: Weil denn, mein Africanus, diese Aelteren hier dir keinen Einwurf machen, so will ich dir sagen, was ich an deinem Vortrage vermisse. Das höre ich recht gerne, erwiederte Scipio. Es scheint mir, sagte Jener, du habest [blos] eine Lobrede auf unsere Verfassung gehalten, da dich doch Lälius nicht über unsere, sondern über Staatsverfassung überhaupt zu sprechen aufgefordert hatte.Nämlich oben I, 20. 21. 30. 35. Und dennoch hat mich dein [bisheriger] Vortrag nicht belehrt, durch welche Ordnung, welche Sitten und Gesetze wir eben jene von dir gepriesene Verfassung aufstellen und erhalten können.

39. Ich denke, antwortete Africanus, wir werden baldVielleicht ein Vorausblick auf Das, was im Anfange des sechsten Buches enthalten gewesen zu seyn scheint. eine passendere Gelegenheit finden, über Einrichtung und Erhaltung der Staaten zu sprechen. Ueber die Frage des Lälius aber nach der besten Staatsverfassung glaubte ich hinlänglich befriedigend gesprochen zu haben. Denn erstlich hatte ich die drei beifallswürdigen Arten von Verfassungen beschrieben; darauf drei jenen entgegengesetzte verderbliche: dann den 1170 Satz aufgestellt, von jenen sey keine einzeln für sich [rein] die beste; die aber sey jeder einzelnen vorzuziehen, die alle Elemente der drei ersten in gut geordneter Mischung [in gehörigem Gleichgewicht] in sich habe. Daß ich aber unsern Staat als Beispiel gebraucht habe, dabei hatte ich nicht den Zweck, ein Ideal der besten Verfassung aufzustellen: denn dazu bedurfte es keines Beispiels: sondern damit an einem vorzüglich bedeutenden Staate in der Wirklichkeit erkannt werden möchte, was denn Das sey, was sich theoretisch denken und darstellen ließe.Aehnliche Gedanken finden sich in der Vorrede des Livius zu seinem Geschichtswerke, Ganz in Cicero's Sinn spricht Dionys. V, 75. Willst du aber, ohne von irgend einem Volke ein Beispiel gelten zu lassen, die an sich beste Verfassung kennen lernen, so muß ich eben die Natur selbst als Bild beiziehen, weil du denn doch diese Schilderung [unserer] Stadt und [unseres] Volkes all * * * Vielleicht kann man fortfahren: allzu speciell, und darum vielleicht nicht philosophisch genug zu finden scheinst. In dieser Lücke mag übrigens der Anfang jener ausführlichen Erörterung über die Gerechtigkeit ausgefallen seyn, die (nach Augustinus de Civ. Dei II, 21.) im zweiten Buche unseres Werkes begann, und im dritten das ganze Buch hindurch fortgesetzt wurde. Weil nämlich Tubero die bisherige Schilderung zu speciell findet, läßt sich Scipio auf das Recht der Natur überhaupt, und auf das der menschlichen Gesellschaft, ein. Wie viel fehlt, läßt sich eben so wenig genau ausmitteln, als der bestimmte Zusammenhang der noch folgenden Bruchstücke dieses Buches.

[Große Lücke.]

1171 40. * * * [Scipio, den] ich schon längst suche, und zu welchem ich zu gelangen wünsche. Lälius. Du suchst vielleicht einen Einsichtsvollen. Scipio. Richtig; Den gerade. Lälius. Nun so hast du ja selbst unter den hier Anwesenden eine hübsche Auswahl; du darfst nur gleich bei dir selbst den Anfang machen. Möchte doch, erwiederte Scipio, unter dem ganzen Senat eine verhältnißmäßige Wahl seyn. Doch ich nenne einen Solchen klug, der, wie ich oft in Afrika gesehen habe, auf einem ungeheuren gewaltigen Thiere sitzend, dieses Thier zu bändigen und zu leiten versteht, und wirklich die Bestie durch einen kleinen Zuspruch, ohne einen körperlichen Zwang, dahin zu bringen weiß, wohin er will. Lälius. Ich weiß es, und habe es oft gesehen, als ich dein Legat dort war.Lälius war des Scipio Legat im dritten Punischen Kriege bei Karthago. S. Appian. Pun. 126.. Jener Inder also oder Pöner bändigt Ein großes Thier, das dabei gelehrig und von Menschen gelenkt zu werden gewöhnt ist: die Seelenkraft aber, die in dem menschlichen Geiste verborgen liegt, und welche Vernunft heißt, zügelt und bändigt nicht [nur] eins, und zwar ein solches, das leicht zu zähmen wäre, wenn sie Dieß einmal zu Stande bringt, was sie [jedoch] sehr selten vermag. Denn [im Zaum] halten muß man nicht nur jene unbändige * * * Vielleicht fuhr er fort: – »Leidenschaft, die den Menschen zur Rache treibt, sondern die gewaltigen Triebe der Sinnlichkeit u. dgl., die Den, der sie nicht zu beherrschen versteht, wie wilde Rosse einen schwachen Fuhrmann, mit fortreißen und zu Tode schleifen.« Die Bruchstücke, die das folgende Capitel enthält, sind von A. Majus aus dem Nonius mit einiger Wahrscheinlichkeit hier eingeschaltet worden.

[Lücke von wenigstens vier Seiten.]

1172 41. [– Sie nährt sich von Blut, und tobt bei aller Grausamkeit so wild und frech, daß jammervolle Menschenleichen sie kaum zu sättigen vermögen –]

[– Die Begierde [beginnt] mit Verlangen, [steigt bis zur] frechen Lust und wälzt sich [endlich] in üppiger Sinnlichkeit –]

[– Drei Leidenschaften sind es, die die Menschen in blinder Hast zu allen Verbrechen hetzen. Zorn, Begierde, Sinnenlust. Der Zorn will Rache, die Begierde Schätze, die sinnliche Lust Genüsse – (Lact.)]

[– Die vierte, die Aengstlichkeit, neigt sich zur Traurigkeit und zum Gram hin, und quält sich immer selbst –]

[– solche Angst sinkt im Unglück zur Selbsterniedrigung, zur hoffnungslosen Furchtsamkeit und zur gänzlichen Erschlaffung aller Thätigkeit herab –]

[– [da wird endlich die Vernunft] wie ein ungeschickter Fuhrmann, vom Wagen [geworfen,] fortgeschleift, überfahren, weggeschleudert, zerfleischt –]

[– die Aufregungen der Gemüther gleichen einem bespannten Wagen, zu dessen richtiger Lenkung ein Haupterforderniß ist, daß der Fuhrmann den Weg recht wisse; hält er sich auf demselben, so mag der Wagen noch so rasch fortrollen, er wird nicht anstoßen; kommt er vom Wege ab, dann mag er so sachte und langsam fahren, als er will, es geht gefährlich über Stock und Stein, oder er stürzt einen 1173 Abhang hinunter, oder er kommt wenigstens wider Willen an einen Ort hin, wo er nicht hinkommen sollte – Lact.]

42. * * * genannt werden kann. Da sprach Lälius: Ja, schon sehe ich den Mann, den ich erwartete; ich sehe, was du ihm für eine Pflicht und für ein Geschäft auflegst. Natürlich, erwiederte Africanus, nur das Eine: denn dieses Eine umfaßt so ziemlich alle übrigen: daß er es nie aufgebe, sich selbst zu belehren und zu beobachten; daß er Andere ihn nachzuahmen veranlasse; daß er durch den Glanz, der aus seinem Geiste und seinem Leben strahlt, sich selbst seinen Mitbürgern wie einen Spiegel vorhalte.Hierüber verbreitet sich Plato ausführlich im fünften Buche seiner Republik. Denn wie beim Saiten- oder Flötenspiel, und im mehrstimmigen Gesange selbst, ein Zusammenstimmen der von einander verschiedenen Töne beobachtet werden muß, deren Tactverwirrung und Misklänge dem Ohre des Kenners unerträglich sind; und wie diese zusammentreffende Uebereinstimmung und dieser Einklang durch gehöriges Maßhalten selbst der verschiedenartigsten Stimmen bewirkt wird; so kommt durch Zusammenstimmung der verschiedenartigsten Elemente Einklang in einen Staat, wenn in ihm die höchsten, niedrigsten und die dazwischen stehenden mittlern Stände, wie Töne, in geregelter Haltung im Gleichgewichte stehen: und was die Musiker im Gesange Harmonie nennen, das ist im Staate die Eintracht, das festeste und beste Bindungsmittel der Erhaltung des Ganzen für jedes Gemeinwesen; und diese ist ohne Gerechtigkeit schlechterdings unmöglich.

43. [Nachdem sich nun Scipio ziemlich ausführlich und reichhaltig darüber verbreitet hatte, welchen Nutzen dem Staate die Gerechtigkeit gewähre, und wie verderblich ihm der Mangel derselben sey;Dieß hat er aus dem 7ten Briefe des Plato S. 335. nahm Philus das Wort, einer der Theilnehmer an der Unterhaltung, und verlangte ein noch tieferes Eindringen und eine noch ausführlichere Erörterung der Lehre von der Gerechtigkeit,Abermals eine Nachahmung des Plato am Schlusse des ersten Buches seiner Republik. weil eine ziemlich allgemein verbreitete Meinung den Satz für wahr halte, daß ein Staat nicht verwaltet werden könne, ohne daß Unrecht geschehe. Augustin de Civ. Dei II, 21.]

44. * * * voll Gerechtigkeit seyn. Darauf sagte Scipio: da gebe ich euch Recht, und erkläre, daß Alles, was bisher über den Staat gesagt worden, nichts werth ist, und daß wir nicht weiter gehen können, wenn nicht bis zur Ueberzeugung dargethan ist, daß nicht nur der Satz, es könne ein Staat nicht ohne Unrecht verwaltet werden, sich nicht halten läßt, sondern daß dagegen die Wahrheit unerschütterlich fest steht, ohne die höchste Gerechtigkeit sey die Verwaltung des Staates unmöglich. Doch für heute, wenn ihr es zufrieden seyd, genug. Das Uebrige, und dessen ist nicht wenig, wollen wir auf morgen verschieben. Dieß wurde beliebt, und für diesen Tag die Unterhaltung geschlossen.


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