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Praeludium

»Hier liege ich in finsterer Höhlennacht; von den Wänden fließt das Wasser in klaren Tropfen, und der Fels ist schwarz und feucht. Meine Kniee sind wund vom harten Steinboden, und ich habe vergessen, ob es Wochen, ob es Tage, oder ob es Stunden sind, die ich hier weile.

Mein Ohr war verschlossen vor den Geräuschen der Welt, nur in dem Brausen des Windes, der vom Apennin her kommt, höre ich Gottes Stimme.

Meine Augen sahen nichts, ich hatte sie abgekehrt von der Schönheit der Welt, vor ihnen gähnte die Nacht der Berghöhle, nur durch die Zweige der Steineichen draußen schlüpfte ein einziger goldner Sonnenstrahl in meine Verborgenheit. Und in ihm sah ich Gottes Herrlichkeit.

Gott …

Ich lag wie in meinem eignen Grabe. Wer war ich? War ich wirklich Bernardones Sohn, in dessen leichtsinnigen Händen das rollende Gold gleißte? War ich der ausgelassene Jüngling, der mit den Genossen ein Leben der Freude führte? der prunkende Kleider trug und ein tapferer Ritter zu sein begehrte? Oder war ich eine nackte, zitternde Seele in den Händen des Allmächtigen?

Ja, ich bin eine nackte, zitternde Seele in den Händen des Allmächtigen – und nichts sonst. Nackt und zitternd, aber in seinen Händen …

Liege ich noch in meinem Höhlengrabe auf den wunden Knieen, oder hat seine Hand mich hinweggerückt in den Jubel des Paradieses? Kann denn die Erde die Wonne der Seele tragen, die sich in Gottes Händen fühlt? Muß der Felsen nicht zerspringen, und das Steingrab nicht bersten, in das Du, Gott, die Fülle deiner Liebe gießest über ein armes, kleines Menschenherz?«


Um den Gipfel des einsamen Subasio geht der Nachtwind. Er rauscht und braust nicht wie der Gewitterwind, der auf schwarzen Sturmwolken in schwülen Sommernächten durchs umbrische Gebirge reitet. Er heult nicht wie der heiße Föhn, wenn er aus Afrikas Sandwüsten sich auf die blühenden Fluren Italiens stürzt. Er klagt nicht wie der Herbstwind in den Olivengärten, der große Regentropfen wie Tränen von den früchteschweren Zweigen schüttelt.

Er geht auf leisen Sohlen durch den Wald, wie eine Mutter zwischen den Betten ihrer Kinder; er streichelt wie eine sanfte Hand die Stirne des Einsamen, der den Rätseln des Lebens nachsinnt, des Büßers, der verlorene Jahre, verlorene Liebe beweint.

Über der umbrischen Ebene liegt schwarzblau die Sommernacht, und die südlichen Sterne stehen groß und strahlend am Himmel. Aus der Kalksteinhöhle, die in der Flanke des Subasio wie ein nächtliches erloschenes Auge in das Land starrt, tritt ein Mensch. Im schwachen Sternenlicht leuchtet sanft ein dunkles Augenpaar, um einen jungen Mund beben noch die Schauer der Ekstase. Sein Gang ist unsicher, strauchelnd, und wie aus einer andern Welt zurückgekehrt, blickt er sich um.

Die Nacht ist erst im Kommen; am westlichen Himmel liegt noch ein fahler rötlicher Schimmer und läßt die weichen Umrisse der Hügel erkennen. Um ihn ist es einsam und still. Weithin kein menschliches Haus, und hinter ihm trotzt der kahle Steingipfel des Berges, über dem ein großer, heller Stern leuchtet. Kein Wasser rauscht, kein Tier bewegt sich, keine ferne Menschenstimme, deren Ruf sich an sein Ohr drängt.

Gott aber schreitet durch die schweigende Nacht. Von den Sternen hat er sich den Kranz geschlungen, unter seinen Füßen breitet sich das erschauernde Land, und die starren Berge neigen sich vor seiner Majestät.

Kann eine Menschenseele Dir begegnen, ohne daß sie niedersinkt in stummer Ehrfurcht, ohne daß sie vergeht in hingebender Liebe?

Der einsame Mensch breitete die Arme aus in die Nacht; es war nichts in ihm als Gott, und er begehrte auch nichts als nur Gott. Alles hatte er vergessen, was vorher war und nachher sein würde, was er gewünscht und begehrt, was er geliebt und gehaßt hatte; er war allein vor ihm, und seine Gedanken, sein Wünschen, sein Fühlen, es hieß alles Gott. Und ihm war, als müsse er zerschmelzen in Gluten der Hingebung.

Und Gott stand vor ihm mit erhobenen Segenshänden, und der Saum seines Kleides streifte das umbrische Land. Seine Hand aber deutete in die Ebene, durch die ein Fluß seinen schmalen, silberglänzenden Lauf hatte.

»Siehe da!« sagte er zu ihm.

Da sah der Mensch unter Gottes Hand Lichter aufglänzen, kleine, dürftige Lichter, wie sie in den Hütten der Armen brennen. Sonst konnte ihr schwaches Licht nicht zu den Höhen der Berge dringen, aber als Gott darauf deutete, erkannte sie der Mensch.

Da ging die Einsamkeit von ihm. Tausende von Brüdern waren da unten in der Ebene, und er sah hinein in ihre Kammern voll Schmerzen. Er sah ihre Armut, ihre Stumpfheit, ihre Verzweiflung; er fühlte ihre Hilflosigkeit, ihre Gebundenheit, ihre Freudlosigkeit. Und er erkannte schauernd, was Gott von ihm wollte. Und das Gefühl, das wie ein schmerzhaft seliger Brand sein Inneres durchglühte, reckte seine Arme aus und loderte wie Feuerflammen den Hütten der Armen im Tale zu.

»Ihr alle selig wie ich! Nicht mehr enterbt, nicht mehr zerdrückt, nicht mehr in Furcht und Grauen. Ich führe euch den Weg, den Gott mich geführt, den Weg zu seiner Liebe. Wir sind Brüder, Brüder!«

Mit heißen Augen blickte er in das dunkle Land, und Tränen drängten sich unter seinen Wimpern.

»Und wenn sie dir nicht glauben, dich verlachen, dich einen Narren schelten und weiter elend sind? Wenn sie sagen: Was will uns des reichen Mannes Sohn zu unserm Troste geben? Will er unserer spotten in seinen weichen Kleidern? Er hat gut fröhlich sein! Noch nie ist ein Evangelium aus dem Munde eines reichen Mannes zu uns gekommen.«

Der Mensch stürzte auf die Kniee und hob seine Augen zu den Sternen.

Keine Antwort kam herab, nur ein Vogel regte sich verträumt im Nest. Das leise Rascheln traf sein Ohr.

Er grübelte. »Wenn ich ihre Armut von ihnen nehmen könnte und ihre Krankheit und ihre Blöße? – dann würden sie mir glauben.«

Die Liebe brannte in seinem Herzen, und er fühlte, daß sie eine Macht war, der nichts widerstehen konnte.

»Ich kann ihre Armut nicht von ihnen nehmen und all ihr Elend, ich kann ihre Krankheit nicht heilen und ihre hungernden Kinder sättigen, ich kann ihre weinenden Augen nicht lachen machen, und wenn ich meinen Leib für sie brennen ließe …«

»Nein, du kleiner Mensch, das kannst du nicht, aber etwas anderes kannst du …«

Des Mannes Augen leuchteten auf.

»Ja, eines kann ich! Ich kann arm werden wie ihr und dennoch reich sein, ich kann Mühsal tragen wie ihr und dennoch fröhlich sein, ich kann alles wegwerfen und dennoch Schätze austeilen.

Und dann – wenn ich mit blutenden Füßen zu euch komme und mit darbendem Leib, wenn ich von dem bittern Brot des Bettlers mich sättige, wenn ich, wie Jesus, keine Stätte habe, da ich mein Haupt hinlege, wenn ich kein Weib habe, das meines Herzens Trost und Wonne ist, – dann werdet ihr mir glauben. Dann werde ich sagen: Alle Wonne der Seele ist in Gott, alle Nahrung der Seele ist in Gott, alle Ruhe, alle Freude ist in Gott. Seht mich, den Armen, den Sünder, den Verachteten, wie ich selig bin!

Ja, dann – –

So will Gott mich zu euch schicken!«

 

Er blickte sich um wie im Traum. Die Nacht war nicht mehr Nacht, und die Einsamkeit war nicht mehr Einsamkeit. Die Geheimnisse des Lebens, der Zusammenhang zwischen Menschen und Menschen und zwischen Gott und den Menschen war ihm so klar und durchsichtig, daß er staunte.

Und sachte begann der Mensch sein purpurnes Sammetgewand abzulegen und die blinkende Waffe am goldgezierten Gürtel und die weichen Schuhe von den verwöhnten Füßen und das weiße Unterkleid von feiner Leinwand. Und nackend stand der Mensch vor Gott und seinen Brüdern in der schweigenden Nacht, im Glanz der Sterne.

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