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Die Erzählung des Gutsherrn.

Prolog.

»Traun, Junker, das war gut gemacht und fein;
Ich muß dich loben« – fiel der Gutsherr ein.
»Du hast, wenn deine Jugend man erwägt,
In deine Worte solch Gefühl gelegt,
Daß meiner Meinung nach von allen hier
Dir Niemand gleichen wird an Redezier, [10,990]
Wenn du nur leben bleibst. Mag Gott dir Glück
Verleihn, daß du ausbildest dein Geschick.
Ganz überaus behagt dein Sprechen mir.
Auch ich hab' einen Sohn; doch schwör' ich dir,
Gern gäb' ich drum wohl zwanzig Pfund werth Land,
Und fiel' es eben erst in meine Hand,
Wenn er an Ueberlegung und an Witz
Euch gliche. Pfui! Was hilft uns der Besitz,
Wenn wir uns edler Künste nicht befleißen?
Noch manchmal werd' ich ihn herunterreißen, [11,000]
Wie oft ich that, weil er der Tugend nicht
Sein Ohr leiht, nur auf Würfelspiel erpicht
Und Saus und Braus und Geld- und Gutverprassen,
Und vorzieht, sich mit Knechten einzulassen
Statt umzugehn mit einem feinen Mann,
Von dem er edle Sitten lernen kann.«
»Pah! edle Sitten!« sprach der Wirth darein,
»Gotts Blitz! Es muß euch im Gedächtniß sein,
Daß Jeder hier, der zwei Geschichten nicht
Uns giebt zum Besten, sein Versprechen bricht.« [11,010]

Der Gutsherr sprach: »Ja, Herr, ich weiß recht gut;
Doch bitt' ich, daß ihr nicht so grimmig thut,
Sprech' ein paar Wörtchen ich mit diesem Mann.«

»Nichts weiter mehr! Fangt die Erzählung an.«

»Sehr gern, Herr Wirth«, sprach er, »ich will sofort
Mich unterwerfen. Horcht denn auf mein Wort.
Ich widersetze mich in keinen Stücken,
So weit es meinem schwachen Witz mag glücken,
Und bitte Gott nur, daß es euch gefalle;
Dann, weiß ich, ist es gut genug für Alle. [11,020]

Es stammt noch aus der edeln Briten Tagen
Manch Lied, darin sie alte Wundersagen
Gereimt in ihrer frühsten Sprache Klang,
So wie man einst zum Saitenspiel sie sang,
Auch wohl sie las, um sich zu unterhalten.
Von diesen Liedern hab' ich eins behalten,
Das ich euch sagen will, so gut ich kann.
Doch, meine Herrn, ich bin ein Bauersmann.
Drum bitt' ich euch zuvor, mir zu verzeihn,
Ist meine Sprache nicht gewandt und fein. [11,030]
Rhetorik, ich gesteh' es, lernt' ich nicht
Und rede drum einfältig nur und schlicht.
Nie hab' auf dem Parnaß ich phantasirt
Noch Marcus Tullius Cicero studirt.
Von Farben sind mir keine andern kund,
Als die da wachsen auf dem Wiesengrund
Und die der Maler und der Färber braucht.
Wozu der Redekunst die Farbe taugt,
Davon hat keine Ahnung meine Seele.
Jetzt, wenn ihr wollt, hört zu, was ich erzähle.« [11,040]

Die Erzählung des Gutsherrn.

Im Britenland, Armorica genannt,
War einst ein Ritter, der, in Lieb' entbrannt
Für eine Dame, treu mit Herz und Hand
In ihrem Dienst manch großen Kampf bestand
Und manche Mühen, eh' er sie gewonnen.
Es gab kein schönres Weib unter der Sonnen.
Dazu war sie so hohem Haus entsprossen,
Daß er sein Herz nur zaghaft ihr erschlossen
Und ihr geklagt sein tiefes Weh und Leid,
Bis sie zuletzt des Mannes Würdigkeit, [11,050]
Vor allem aber seine Demuth rührte,
Und sie für seine Qual solch Mitleid spürte,
Um seinen Bitten gern sich zu bequemen
Und ihn zum Ehgemahl und Herrn zu nehmen,
So weit dem Mann die Herrschaft ist gegeben
Ueber das Weib. Um recht beglückt zu leben,
Schwur er alsdann bei seiner Ritterpflicht,
Er wolle Tag und Nacht im Leben nicht,
Wenn sie es selbst nicht wünschte, Herrschaft üben
Und niemals sie durch Eifersucht betrüben, [11,060]
Vielmehr in allen Stücken ihren Willen,
Wie's einem Liebenden geziemt, erfüllen.
Sie sollt' ihm, seinen Stand nicht zu entehren,
Dem Namen nach die Herrschaft nur gewähren.

Und dankend sprach sie voll Bescheidenheit:
»Herr, da ihr selbst so edelsinnig seid,
So ausgedehnte Herrschaft mir zu leihn,
So walte Gott, daß mit dem Willen mein
Nie zwischen uns sich Zwist und Streit erhebe.
Herr, nehmt mein Wort, daß ich mich euch ergebe [11,070]
Als treues Weib, bis Seel' und Leib sich scheiden.«
So fanden Ruh' und Frieden denn die Beiden.
Denn Eins, ihr Herrn, scheint mir gewiß zu sein:
Der Freund muß sich des Freundes Wünschen weihn;
Sonst dauert die Genossenschaft nicht lange.
Die Liebe fügt sich nicht der Herrschaft Zwange.
Tritt Herrschaft ein, gleich lüftet Venus' Sohn
Die Schwingen und Ade! er ist entflohn.
Die Liebe ist so frei wie jeder Geist.
Freiheit begehrt ein edles Weib zumeist, [11,080]
Und mag das Joch der Sklaverei nicht tragen;
Der Mann gleichfalls, soll ich die Wahrheit sagen.
Den meisten Vortheil hat zu jeder Frist,
Wer der Geduldigste im Lieben ist.
Geduld fürwahr ist hohen Lobes werth;
Sie siegt, wie uns das Wort der Weisen lehrt,
Auch da, wo strenge Mittel nichts verschlagen.
Man muß um jedes Wort nicht schmähn und klagen.
Lernt dulden! Sonst – so wahr ich steh' und gehe –
Lernt ihr es doch zuletzt – wohl oder wehe. [11,090]
Denn Niemand in der Welt ist so berathen,
Daß er nie fehlt in Worten oder Thaten.
Zorn, Krankheit, der Gestirne Lauf und Kräfte,
Wein, Kummer oder Aenderung der Säfte
Verursacht oft, daß wir Verkehrtes sprechen.
Man darf sich nicht für jedes Unrecht rächen.
Der Zeit gemäß ziemt Jedem Maß zu halten,
Wer über seinen Willen weiß zu schalten.
Drum sagt' auch ihr, damit er leb' in Ruh,
Geduld der weise, werthe Ritter zu. [11,100]
Und sie versichert ihn mit heil'gen Eiden,
Er solle niemals von ihr Unrecht leiden.
Seht an, ein weiser, freundlicher Vergleich!
Er ward ihr Diener und ihr Herr zugleich:
Knecht in der Liebe, Herr im Ehestande.
So trug er denn als Herr der Knechtschaft Bande?
Der Knechtschaft? Nein; Herr war er ganz und gar,
Da sein die Herrin und Geliebte war.
Denn seine Herrin war sein Weib doch auch,
Wie in der Lieb' es ist Gesetz und Brauch. [11,110]
Und als er sich in solchem Glücke fand,
Kehrt' er mit seinem Weib heim in sein Land
Und lebte – unweit Penmark lag der Ort –
Mit ihr in Herrlichkeit und Freuden dort.

Wer, der nicht selbst vermählt war, kann verkünden
Die Seligkeit, das Glück und Wohlbefinden,
Wie zwischen Mann und Gattin es besteht?
Ein Jahr und mehr in diesem Glück vergeht,
Da faßt der Ritter, der Arviragus
Von Cairrud hieß, den rühmlichen Entschluß, [11,120]
Ein Jahr – vielleicht auch zwei – in Engelland,
– Das gleichfalls ward Britannien genannt –
Nach Waffenehr' und Kriegesruhm zu ringen,
Da diese Mühn ihm über Alles gingen.
Mein Buch läßt ihn zwei Jahre dort verweilen.
Doch jetzt muß von Arviragus ich eilen
Zu seinem treuen Weibe, Dorigenen.
Sie liebt' ihn wie ihr Leben, und mit Sehnen
Weint sie und seufzt ob seiner langen Fahrt,
So wie es oft der edeln Frauen Art. [11,130]
Sie trauert, fastet, wacht, klagt jämmerlich
Und ist vor Sehnsucht so ganz außer sich:
Es ist die weite Welt ihr nichts mehr werth.
Die Freunde sehn, was ihren Geist beschwert,
Und spenden Trost, so viel in ihrer Macht.
Sie predigen und reden Tag und Nacht,
Sich doch nicht zwecklos selbst zu Tod zu quälen.
Sie lassen es an keinem Trostgrund fehlen
Und sich es eifrigst angelegen sein,
Sie von dem schweren Kummer zu befrein. [11,140]

Gräbt man an einem Steine lange Frist,
So kann allmählich, wie ihr Alle wißt,
Darein Gestalten man und Zeichen prägen.
So sind mit Zuspruch sie ihr angelegen,
Bis sie, durch Hoffnung und Vernunft bewegt,
Auch ihrem Geist die Tröstung eingeprägt,
Sodaß ihr großer Kummer mählich schwand
Und sie des Herzens Toben überwand.

Auch schrieb Arviragus in all dem Wehe
Nach Hause, daß es ihm ganz wohl ergehe; [11,150]
Er sei schon auf dem Wege heimatwärts.
Sonst bräche wohl vor Kummer ihr das Herz.

Und wie sie nun begann ihr Leid zu stillen,
Baten die Freunde sie, um Gottes willen
Mit ihnen froh durch Flur und Feld zu ziehn,
Um ihren schwarzen Grillen zu entfliehn;
Und sie befolgte schließlich ihren Rath.
Sie sah wohl, daß sie so am besten that.

Nun stand ihr Schloß dicht an des Meeres Strand.
Lustwandelnd mit den Freunden ging am Rand [11,160]
Der Küste oft sie längs den hohen Riffen
Und spähte all den Barken nach und Schiffen,
Die ihres Weges segelten daher.
Da ward vor Gram ihr Busen wieder schwer.
Und sie sprach oftmals zu sich selber: Wehe!
Bringt denn von allen Schiffen, die ich sehe,
Keins meinen Herrn? Dann wäre gleich mein Herz
Geheilt von allem seinen bittern Schmerz.
Ein andermal wohl saß sie wie im Traum
Und schaut' hinunter von der Küste Saum. [11,170]
Sie sah die Klippen schwarz und grimm sich heben
Und fühlte so von Schreck ihr Herz erbeben,
Daß ihr den Dienst versagten ihre Glieder.
Dann sank sie auf den grünen Rasen nieder
Und schaute jammernd in die See hinaus
Und rief mit Seufzen und mit kaltem Graus:

»O ew'ger Gott, deß Fürsicht diese Welt
Nach sichern Regeln leitet und erhält,
Du hast, sagt man, kein Ding umsonst gemacht.
Doch dieser Klippen grimme Höllennacht [11,180]
Ist eher wohl wie der Vernichtung Graun,
Denn wie ein schönes Schöpfungswerk zu schaun
Nach des allweisen Gottes ew'gem Rath.
Was meintest du mit so sinnloser That?
Nicht Nord noch Süd, nicht Ost noch West beut hier
Herberg und Nahrung, nicht für Mensch noch Thier.
Kein Heil, nur Leid wird dadurch angerichtet.
Siehst du nicht, wie die Menschheit es vernichtet?
Viel hunderttausend Leiber sind versenkt
Am Felsenriff, an die jetzt Niemand denkt. [11,190]
Und doch, das schönste Werk, das du vollbracht,
Ist Er, den du nach deinem Bild gemacht.
Drum müßtest du doch große Liebe hegen
Zur Menschheit. Wie denn kommt's, daß du dagegen
Solch Mittel schufst, das wieder sie vernichtet?
Dadurch kein Heil, nur Leid wird angerichtet?
Gelehrte werden zwar mit tiefen Gründen
Auf's beste Alles eingerichtet finden;
Doch ich kann diese Gründe nicht verstehn.
So schütze Gott denn, der den Wind läßt wehn, [11,200]
(Dies ist mein Schluß) auch meinen Herrn vor Leid.
Ich lasse den Gelehrten allen Streit.
Doch wollte Gott, die schwarzen Felsenzinken
Möchten um seinethalb zur Hölle sinken;
Sie werden noch das Herz vor Furcht mir brechen.«
So hört man sie mit bittern Thränen sprechen.

Die Freunde sahen, daß der Gang zum Meere
Statt der Erheitrung nur ihr Weh vermehre,
Und führten sie zum Spiel an andre Stellen.
Sie brachten sie zu Bächen und zu Quellen [11,210]
Und wo man sonst Vergnügen finden mag.
Man tanzte, spielte Dame, spielte Schach.

Und eines Tages in der Morgenzeit
Ging man in einen Garten, nicht gar weit,
Wo man für Speis' und Trank schon mit Bedacht
Gesorgt, und Alles wohl zurecht gemacht,
Den ganzen Tag zu weihn der Freud' und Lust.
Es war im Mai der sechste Morgen just,
Und Maienregen hatte sanft gemalt
Den Garten, der in Laub und Blüthen strahlt. [11,220]
Auch hatten Menschenhände so geschickt
Und sorglich diesen Garten ausgeschmückt,
Daß nie ein andrer war von solchem Preis:
Es wäre einzig denn das Paradeis.
Der Blumen Duft, des Anblicks frische Pracht,
Er hätte jedes Herz wohl leicht gemacht,
Das nicht mit allzugroßer Sorgenschwere
Oder zu großer Qual belastet wäre.
So strahlt' in Schönheit er und Anmuthsglanz.

Das Mittagsmahl ward mit Gesang und Tanz [11,230]
Beschlossen. Nur Dorigena allein
Sie klagt' und seufzt' in ihres Herzens Pein.
Denn sie sah ihn nicht in der Tänzer Schaar,
Der ihr Gemahl und ihr Geliebter war.
Doch mußt' ein Weilchen sie darein sich finden,
Und ihren Schmerz durch Hoffnung überwinden.

Und unter Andern, die da tanzten, sah
Auch einen Junker dort Dorigena,
So frisch von Antlitz und so lustig, traun,
Geputzt, wie kaum der Maimond selbst zu schaun. [11,240]
In Tanz und Sang besiegt' er Jedermann,
Der ist und war, seitdem die Welt begann;
Ja, soll von ihm ich treulich Kunde geben:
Er war der Besten einer, die da leben.
Jung, stark und weise, tugendhaft und reich,
Gerühmt von Allen und geliebt zugleich.
Und kurz, muß ich es sagen klar und baar,
Was unbekannt selbst Dorigenen war,
Der muntre Bursch, Aurelius genannt,
Frau Venus' Dienstmann, war vor Lieb' entbrannt [11,250]
Zwei Jahr' und mehr für sie vor allen Wesen,
Die das Geschick zur Liebsten ihm erlesen.
Doch sprach er nie zu ihr von seiner Pein,
Trank ohne Kelch den Schmerz in sich hinein.
Verzweifelnd wagt' er dennoch nichts zu sagen;
Andeutend nur in allgemeinen Klagen
Verrieth des Herzens Qualen sein Gesang:
Er sagt', er liebe sonder Minnedank.
Darüber dichtet' er in manchen Weisen,
In Liedern, Rundgesängen, Klagen, Leysen, [11,260]
Er wage seine Schmerzen nicht zu künden,
Doch schmacht' er Furien gleich in Höllenschlünden,
Und wie der Echo, welche dem Narciß
Ihr Leid verschwieg, sei ihm der Tod gewiß.

In andrer Art, als eben ich gesagt,
Hat nie sein Weh zu künden er gewagt;
Nur, daß zuweilen er bei Tanz und Reigen,
Wo junge Mädchen sich dienstfertig zeigen,
Vielleicht so in das Angesicht ihr blickte,
Als fleht' er, daß ihn ihre Huld beglückte; [11,270]
Doch blieb ihr seine Absicht unbekannt.
Doch eh' sie jetzt von dannen sich gewandt,
Fiel sie mit ihm, da er ihr Nachbar war,
Und sie ihn schon gekannt gar manches Jahr
Als einen Mann von Ehr' und Würdigkeit,
In ein Gespräch. Aurelius weiß gescheit
Allmählich näher seinem Ziel zu gehn
Und spricht, als er die rechte Zeit ersehn:
»Wüßt' ich (bei Gott, der diesen Weltenbau
Erschuf), daß es euch freute, gnäd'ge Frau, [11,280]
So wünscht' ich, damals, als Arviragus
Zur See ging, wär' ich selbst, Aurelius,
Dahin gegangen, von wo Niemand noch
Zurückkam. Ist mein Dienst vergebens doch!
Mein Minnedank ist ein gebrochnes Herz.
Habt Mitleid, gnäd'ge Frau, mit meinem Schmerz!
Ein Wort von euch ist Tod mir oder Labe.
O läg' ich euch zu Füßen doch im Grabe!
Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Seid mir hold,
O Süße, wenn ihr mich nicht tödten wollt.« [11,290]

Sie aber blickte auf Aurelius:
»Ist solches euer Willen und Entschluß?
Ich wußte nicht, was eure Meinung war.
Doch jetzt«, sprach sie, »ist sie mir völlig klar.
Bei jenem Gott, der Seele mir und Leib
Geschenkt, will nie ich als ein treulos Weib,
So viel an mir, in Wort noch That mich zeigen.
Dem ich vermählt bin, bleib ich stets zu eigen.
Nehmt dies als letzte Antwort von mir an.«

Doch sprach sie scherzend so zu ihm alsdann: [11,300]
»Aurelius, bei Gott im Himmel droben
Will dennoch meine Lieb' ich euch geloben,
Da eure Klage gar zu jammerhaft,
Wenn Stein für Stein die Klippen fort ihr schafft
Längs der Bretagne, daß kein Felsenriff
Am Landen hindre Nachen oder Schiff.
Ich sage, wenn von Klippen ihr so rein
Die Küste macht, daß fürder keinen Stein
Man sieht, dann will vor Allen ich sofort
Euch lieben, wie ich kann. Hier nehmt mein Wort, [11,310]
Denn freilich, weiß ich, das wird nicht geschehn.
Laßt drum des Herzens Thorheit euch vergehn.
Wie kann es einem Manne doch behagen,
Nach eines andern Mannes Weib zu jagen,
Der sie besitzt, so oft es sein Begehr!«

Aurelius aber seufzte tief und schwer
Und sprach: »Sonst wollt ihr mir nicht gnädig sein?«
»Bei Gott«, sprach sie, »der mich geschaffen, nein!«
Aurelius hört das Wort mit bittern Schmerzen
Und er versetzt aus kummervollem Herzen: [11,320]
»Unmöglich, gnäd'ge Frau, ist dies Gebot –
Und mich ereilt sofort ein grauser Tod.«
Er sprach das Wort und wandte sich sodann.

Da kam die Schaar der andern Freunde an.
Sie gingen auf und ab in den Alleen
Und wußten nichts von dem, was hier geschehn.
Von neuem ward die Lustbarkeit begonnen,
Bis sich verfärbt das helle Licht der Sonnen,
Das streitig ihr der Horizont gemacht,
Mit andern Worten: – bis es wurde Nacht. [11,330]
Dann gehn sie heim mit Frohsinn und mit Scherz –
Nur nicht Aurelius. Ach, ihm war sein Herz
So voll von Kummer beim Nachhausegehn:
Er glaubte nicht vom Tode zu erstehn.
Er wähnt', er fühlte schon sein Herz erkalten,
Und himmelwärts die Händ' emporgehalten
Sprach hingeworfen auf die nackten Knie'
Er sein Gebet in wilder Phantasie.
Vor Weh erlosch ihm des Verstandes Licht.
Er sprach – doch was er sagte, wußt' er nicht. [11,340]
Zerrißnen Herzens hat mit Klaggebet
Zuerst er zu dem Sonnengott gefleht.
Er sprach: »Apoll, dem jeder Pflanze Leben,
Gras, Blume, Baum zur Leitung übergeben,
Der ihrer jedem, je nachdem du kreisest,
Du zum Gedeihen Zeit und Stunde weisest,
Wie deine Bahnen auf und abwärts rücken;
O Phöbus, schau mit deinen gnäd'gen Blicken
Aurelius an. Sieh, Herr, ich bin verloren.
Es hat mir meine Herrin Tod geschworen, [11,350]
Da ich doch schuldlos bin. Schenk du dem armen,
Dem todeswunden Herzen doch Erbarmen!
Wohl weiß ich, Phöbus, nächst der Herrin mein
Kannst du am besten Hülfe mir verleihn.
Erlaube, daß ich dir das Mittel weise,
Wie du magst helfen und in welcher Weise.

Lucina, deine Schwester, sie, die hehre
Hülfreiche Göttin, Königin der Meere,
Die, ob Neptun auch auf dem Meere schaltet,
Doch über ihn als höchste Herrin waltet, [11,360]
Sie trägt nach deinem Feuer stets Begehren,
Daran sich zu erleuchten und zu nähren.
Drum, wie du weißt, folgt stets sie deiner Spur.
Also begehrt die See auch von Natur
Zu folgen ihr, die minder oder mehr
Als Göttin herrschet über Ström' und Meer.
Drum, Phöbus, laß mein Flehen dich erweichen,
Brich mir das Herz nicht, thu dies Wunderzeichen,
Daß du bei deinem nächsten Gegenschein
– Er wird just in dem Bild des Löwen sein – [11,370]
Sie bittest, daß sie solche Springflut bringe,
Die mindestens fünf Faden höher dringe
Als um Armorica die höchsten Sphären.
Laß diese Flut zwei volle Jahre währen;
Dann mag ich sagen: »Haltet euer Wort,
O Herrin, denn die Felsen sind nun fort.«
Dies Wunder, Herrscher Phöbus, thu für mich,
Laß sie nicht schnellern Laufes ziehn als dich.
Bitte die Schwester, sag' ich, in zwei Jahren
Nicht schnellern Laufs als du dahin zu fahren, [11,380]
Dann wird gleichmäßig voller Mondenschein
Und Tag und Nacht fortdauernd Springflut sein.
Doch will sie nicht erfüllen mein Begehren,
Mir so die holde Herrin zu gewähren,
So bitte sie, die Felsen alsogleich
Zu senken in ihr eignes finstres Reich,
Wo Pluto haust im tiefen Schooß der Erden;
Sonst kann nie mein die holde Herrin werden.
Dein Delphisch Haus will barfuß ich betreten.
Sieh mich mit Thränen auf den Wangen beten, [11,390]
O Herr, zum Mitleid wende deinen Sinn!«

Und bei dem Worte fiel er jammernd hin
Und blieb in Ohnmacht liegen lange Zeit.
Sein Bruder, der bekannt mit seinem Leid,
Hat ihn erhoben und zu Bett getragen.

So laß ich denn mit des Gedankens Plagen
Den Jammermann sich hier verzweifelnd quälen.
Mag Leben oder Tod er sich erwählen.

Arviragus, des Ritterstandes Blume,
Kehrt in Gesundheit und mit hohem Ruhme [11,400]
Mit andern werthen Herren nun zurück.
Wie groß, Dorigena, ist jetzt dein Glück!
Du drückst den Ehgemahl voll Liebeslust,
Den ritterlichen Jüngling, an die Brust;
Der wie sein eignes Herzblut werth dich hält
Und auch im Traum nicht auf die Frage fällt,
Ob Jemand mit ihr, da er fern von hier,
Von Liebe sprach; er zweifelt nicht an ihr.
Es denkt an derlei Dinge nicht sein Herz,
Er tanzt, turnirt und lebt in Freud' und Scherz. [11,410]
So laß ich ihn im Jubel und im Glück
Und kehre zu Aurelius zurück.
Siech lag der Arme und in Höllenpein.
Es mochte wohl zwei Jahr und länger sein,
Bevor den Fuß er auf den Boden setzte,
Und Niemand war, der ihn mit Tröstung letzte
Als nur sein Bruder, ein studirter Mann.
Dem nun vertraut' er all sein Leiden an.
Sonst keinem andern Wesen mocht' er wagen
Von dieser Sache nur ein Wort zu sagen. [11,420]
Geheimer trug im Herzen er sein Weh
Als jemals Pamphilus für Galatee.
Von außen schien die Brust gesund und heil,
Doch saß im Herzen ihm der spitze Pfeil,
Und überheilte Wunden, wie bekannt,
Sind stets die schlimmsten für des Feldscheers Hand,
Wenn sich der Pfeil nicht greifen lassen will.

Sein Bruder weint indeß und jammert still,
Bis einst ihm einfällt, was ihm selbst vor Jahren
Zu Orleans in Frankreich widerfahren. [11,430]
Denn wie oft von Begierde ein Student
Kurzweil'ge Künste zu erlernen brennt,
Und sucht in allen Winkeln, allen Ecken,
Seltsame Wissenschaften zu entdecken,
So fiel ihm ein, wie er an einem Tag
Zu Orleans, wo er der Studien pflag,
Bei seinem Freunde, einem Kandidaten
Der Rechte, auf ein magisch Buch gerathen,
Das dieser, waren Studien andrer Art
Auch sein Beruf, in seinem Pult verwahrt. [11,440]
Das Buch gab von dem Mond genau Bescheid.
Der acht und zwanzig Häuser Wirksamkeit
Und mehr solch thöricht Zeug war drin gelehrt,
Was heut'gen Tags nicht eine Fliege werth.
Bei uns muß ja der heil'gen Kirche Glauben
Der Täuschung jede Kraft zu schaden rauben.
Sobald er dieses Buches sich entsann,
Fing ihm sein Herz vor Lust zu hüpfen an.
Still sprach er zu sich selber: Unverweilt
Wird nun mein armer Bruder auch geheilt. [11,450]
Man kann Erscheinungen unzweifelhaft
Erzeugen durch geheime Wissenschaft,
So wie die Gaukler schlau das Volk bethören.
Ich habe oft bei Festen sagen hören,
Daß Gaukler schon in eine weite Halle
Ein Boot auf einem großen Wasserschwalle
Gebracht, das rudernd auf und ab geschwommen.
Ein grimmer Leu auch schien hineinzukommen;
Oft sproßten Blumen wie auf einer Au,
Ein Weinstock dann mit Trauben weiß und blau. [11,460]
Man sah ein Schloß von Stein und Kalk erstehn,
Und, wenn's beliebte, alsobald vergehn.
So wenigstens erschien es Jedermann.

Nun schließ' ich so. Treff' einen Freund ich an
In Orleans noch aus der frühern Zeit,
Der mit den Mondeshäusern weiß Bescheid
Und mit natürlicher Magie daneben,
Der kann dem Bruder die Geliebte geben.
Denn ein Gelehrter macht durch Zauberein,
Daß vor der Menschen Augen Stein für Stein [11,470]
Verschwinden der Bretagne schwarze Riffe,
Daß ab und zu am Felswand ziehn die Schiffe,
Und ein paar Tage die Erscheinung weilt.
Dann wird mein Bruder von der Qual geheilt.
Sie muß nothwendig halten ihr Versprechen;
Wo nicht, kann er mit Schimpf sich an ihr rächen.
Was frommt's, daß ich dabei mich noch verweile?
Er geht zu seines Bruders Bett in Eile.
Der fand gleich solche Tröstung in dem Gang
Nach Orleans, daß er vom Lager sprang [11,480]
Und augenblicklich auf den Weg sich machte,
Weil er Erlösung dort zu finden dachte.

Als sie beinahe schon die Stadt erreicht
– Es fehlten nur noch tausend Schritt vielleicht –,
Kam einsam ein Student des Wegs spaziert,
Der auf Latein sie höflich salutirt
Und darauf sagt, was ganz erstaunt sie macht:
»Ich weiß den Grund, der euch hieher gebracht.«
Und eh' sie weiter einen Schritt gegangen,
Erzählt er ihnen selbst all ihr Verlangen. [11,490]

Der Brite richtet dies' und jene Frage
An ihn nach Kameraden frührer Tage.
Er sagte ihm, daß sie gestorben wären,
Und er beweinte sie mit manchen Zähren.

Aurelius stieg von seinem Roß sodann
Und schloß sofort dem Magier sich an,
Ging heim mit ihm und ließ sich's wohl behagen.
An Speisen ward die Fülle aufgetragen
Nach Herzenslust. Ein Haus so gut versehn
Hat niemals noch Aurelius gesehn. [11,500]
Er zeigt' ihm, eh' man Abends ging zu Tisch,
Manch Rudel Wild in Park und Waldgebüsch.
Mit ragenden Geweihen waren da
So große Hirsche, wie man jemals sah.
Wohl hundert Stück erlegte man durch Hunde;
Vom blut'gen Pfeil troff manche bittre Wunde.
Dann sah er, als das Wild war fortgebracht,
Ein schön Revier zu einer Falkenjagd –
Den Reiher beizten dort die Falkoniere –;
Auf ebnem Plan dann Ritter im Turniere. [11,510]
Und endlich mußte sich bei einem Reigen
Ihm zu Gefallen die Geliebte zeigen.
Es kam ihm vor, als tanzt' er selbst dabei.
Und als der Meister dieser Zauberei
Sah, es sei Zeit, da klatscht' er in die Hände,
Und sieh! Ade! der Jubel war zu Ende.
Und während all die Wunder aufgeführt,
Hat Keiner doch sich aus dem Haus gerührt.
Sie saßen (nur sie drei) ganz müßig immer
Bei seinen Büchern in dem Studienzimmer. [11,520]

Und seinen Pagen rief der Meister jetzt
Und sprach: »Ist schon das Nachtmahl aufgesetzt?
Fast eine Stund' ist's, daß ich euch gebot
Uns zu bereiten unser Abendbrod,
Als diese beiden werthen Männer hier
Sich in die Bücherei verfügt mit mir.«

»Herr«, sprach der Page, »Alles ist indessen
Besorgt. Beliebt's euch, könnt sofort ihr essen.«
»So«, sprach er, »gehn wir denn zu Tische nun.
Verliebten Leuten thut es wohl, zu ruhn.« [11,530]

Nach Tisch begann Verhandlung man zu pflegen,
Welch Honorar dafür sei zu erlegen,
Mach' er von Klippen frei das Britenland
Von der Garonne bis zum Seinestrand.
Er that sehr schlimm und schwor bei seinem Heil,
Kaum sei für tausend Pfund die Müh' ihm feil;
Gern ging' er auch für diesen Preis nicht dran.

Worauf Aurelius ganz entzückt begann,
Und rief: »Pfui, über eure tausend Pfund!
Die weite Welt, dies ganze Erdenrund, [11,540]
Gleich gäb' ich's euch, hätt' ich darüber Macht.
Ein Wort, ein Mann! Der Handel ist gemacht.
Ich zahl' euch redlich aus, bei meinem Eid!
Doch seht euch vor, daß aus Saumseligkeit
Ihr uns nicht länger warten laßt als morgen.«

Er sprach: »Wahrhaftig, nein, seid außer Sorgen.«
Aurelius hat sich drauf zu Bett gelegt,
Und fast die ganze Nacht der Ruh gepflegt.
Theils sel'ge Hoffnung, theils auch Müdigkeit
Beschwichtigte des wunden Herzens Leid. [11,550]

Des andern Morgens, als der Tag begann,
Da zog Aurelius mit dem Wundermann
Stracks zu dem Britenlande hin. Sie machten
Da Halt, wo sie Quartier zu nehmen dachten.
Es war just, wie die alten Bücher sagen,
In des Decembers frostig kalten Tagen.

Phöbus war kalt, sein Licht wie Messing fahl.
Da er zur Zeit, wo er den heißen Strahl
Vom Himmel goß, hell schien wie glänzend Gold.
Jetzt war zum Steinbock er hinabgerollt; [11,560]
Da in der That erschien er denn ganz bleich.
Mit Reif und Regen hat das grüne Reich
Der Gärten rings der bittre Frost verheert.
Der doppelbärt'ge Janus sitzt am Herd.
Aus seinem Stierhorn zecht er tüchtig Wein;
Vor ihm steht Salzfleisch vom nahrhaften Schwein,
Und »Glück zu Weihnacht!« rufet Jedermann.

Aurelius zeigt, so viel er irgend kann,
Dem Meister Ehrfurcht und Ergebenheit,
Und fleht mit Eifer und mit Emsigkeit [11,570]
Ihn zu befrein von seinem Höllenschmerz,
Sonst stieß' er sich das Schwert noch in sein Herz.
Der Magier fühlt solch Mitleid für den Mann,
Daß er sich Tag und Nacht müht, was er kann,
Den Zeitpunkt zu erspähen für sein Ziel;
Das heißt für solch ein täuschend Zauberspiel
Durch Visionen oder Gaukeltand
(Der Sternkunst Phrasen sind mir unbekannt),
Daß sie und jeder Andre glauben müßte,
Kein Felsen sei an der Bretagne Küste, [11,580]
Oder sie sein im Meeresgrund verschwunden.
Zuletzt hat er die rechte Zeit gefunden
Für alle die verdammte Schwindelei
Abgöttischer verruchter Hexerei.
Die Tafeln von Toledo (corrigiert
In jedem Punkt) hatt' er mit sich geführt
Mit Jahren, Jahressummen, Wurzeldaten,
So wie mit allen andern Apparaten;
Zu jedem Centrum und zu jedem Bogen
Genau die Proportionen ausgezogen, [11,590]
Um jedesmal die Gleichung aufzufinden.
Durch die acht Sphären konnt' er so ergründen,
Wie weit vom Haupt des festen Widders droben
Alnath in seinem Lauf sei vorgeschoben,
Deß Standpunkt in der neunten Sphäre war.
Dies Alles war berechnet auf ein Haar.
So wußt' er denn sofort das erste Haus
Und fand den Rest durch Proportion heraus.
Des Mondes Aufgang war ihm auch bekannt,
In weß Quadrat und Gegenschein er stand, [11,600]
Desgleichen wie er nun sein Unternehmen
Dem Haus des Mondes müsse anbequemen.
Er war vertraut mit jeder Observanz
Und all dem Teufelsspuk und Firlefanz,
Der bei den Heiden jener Zeit in Brauch.
Darum verschob er es nicht länger auch,
Und ein paar Tage schien durch Zauberei
Der ganze Strand von Klippen wirklich frei.

Aurelius, schon ganz verzweiflungsvoll,
Ob sein geliebtes Weib er haben soll, [11,610]
Ist auf das Wunder Tag und Nacht gespannt;
Und als er nun kein Hinderniß mehr fand
Und fortgeräumt die Felsen alle sah,
Zu seines Meisters Füßen fiel er da
Und rief: »O, elend Wesen, das ich bin!
Dir, Herr, und Venus, meiner Königin,
Dank' ich die Rettung von dem kalten Graus.«
Und seinen Weg nahm er zum Gotteshaus,
Wo, wußt' er, seine Herrin weilen müßte.
Und als er seine Zeit ersehn, da grüßte [11,620]
Mit banger Brust, den Blick voll Demuthssinn,
Er seines Herzens höchste Herrscherin.
»Euch, meine Herrin«, sprach der Schmerzensmann,
»Euch fürcht' und lieb' ich, wie mein Herz nur kann.
Nichts Aergres wüßt' ich, als euch zu mißfallen.
Wär' ich von solchem Siechthum nicht befallen
Um euch, daß euch zu Füßen ich sofort
Sonst stürbe, sagt' ich von der Pein kein Wort.

Doch ich muß sterben oder muß euch's klagen.
Ihr tödtet schuldlos mich mit grimmen Plagen. [11,630]
Und fühlt ob meinem Tod ihr keine Reue,
So seht euch vor und brecht nicht Eid und Treue.
Erbarmt euch; wollet mich um Gottes Huld
Nicht tödten! Lieb' ist meine ganze Schuld.
Ihr wißt, was ihr verhießt bei eurer Ehre –
Wiewohl ich nichts von euch als Recht begehre,
Nein, hohe Herrin, Alles nur als Gnade.
Doch wißt ihr selbst, was einst auf jenem Pfade,
In jenem Garten ihr mir in die Hand
Verspracht und euer Wort mir gabt zum Pfand, [11,640]
Mich heiß zu lieben? Nicht verdien' ich's zwar,
Allein Gott weiß, daß euer Wort dies war.
Um eure Ehre, gnäd'ge Frau, ist's nun
Mir mehr als um mein Leben selbst zu thun.
Was ihr mir anbefohlen, ist geschehn.
Kommt, wenn es euch beliebt, es anzusehn.
Thut wie ihr wollt, doch denkt an euer Wort.
Ich finde todt mich oder lebend dort.
Mein Tod, mein Leben ist in eurer Hand;
Doch wißt: – Verschwunden ist die Felsenwand.« [11,650]

Er geht. Da steht sie mit entsetztem Muth,
In ihrem Antlitz ist kein Tropfen Blut.
Die Falle hatte sie nicht vorgesehn.
»Weh«, rief sie, »weh! wie konnte das geschehn?
Ich stand im Wahn, daß solche Zauberei,
Solch Wunder ganz und gar unmöglich sei,
Da dem Naturgesetz es widerstreitet.«
Betrübt und kummervollen Herzens schreitet
Sie heim; sie kann vor Schreck beinah nicht gehn.
Zwei Tage wohl – ein Jammer war's zu sehn, [11,660]
Wechselt mit Ohnmacht sie und Schrein und Klagen.
Doch wollte sie die Ursach Keinem sagen;
Denn ihr Arviragus war über Land.
Doch also sprach sie zu sich selbst gewandt
Mit bleichem Antlitz und von Gram verstört
In ihrem Kummer, wie sogleich ihr hört.

»Weh«, rief sie, »dir, Fortuna, muß ich's klagen,
Die plötzlich du in Ketten mich geschlagen.
Ich sehe keine Hülfe, deine Bande
Zu brechen: Tod harrt meiner oder Schande. [11,670]
Und Eines muß ich wählen von den beiden.
Doch wollt' ich lieber mich vom Leben scheiden
Als meinen eignen Leib mit Schmach bedecken,
Oder mit Meineid meinen Ruf beflecken.
Doch durch den Tod werd' ich davon befreit.
Manch edles Weib hat sich vor dieser Zeit
Und manche Jungfrau mit den eignen Händen
Getödtet, um nicht ihren Leib zu schänden,
Wie vielfach kund die Weltgeschichte thut.

Die dreißig Zwingherrn, die im freveln Muth [11,680]
Den Phidon zu Athen beim Fest erschlagen,
Ließen die Töchter auch in Bande schlagen
Und nackt sie schleppen vor das Blutgerüste
Als Opfer ihrer schändlichen Gelüste.
Sie mußten auf dem Estrich in dem Blut
Des Vaters tanzen – strafe Gott die Brut!
Man sah vor Furcht die armen Mädchen beben,
Und um nicht ihre Unschuld preis zu geben,
So sprangen sie, eh man es sich versah,
In einen Brunnen und ertranken da. [11,690]

Auch die Messenier waren ausgegangen,
Um funfzig Spartermädchen einzufangen,
Daß ihrer Lust sie fröhnten; doch es war
Nicht eine einz'ge von der ganzen Schaar,
Die leben blieb und nicht mit Heiterkeit
Vielmehr den Tod zu wählen war bereit,
Als daß sie ihre Unschuld ließ beflecken.
Wie also sollte mich der Tod erschrecken?

Sieh den Tyrannen Aristoclides.
Der liebt' ein Mädchen einst, Stymphalides. [11,700]
Ihr Vater war ermordet in der Nacht:
Da hat sie sich zum Tempel aufgemacht
Diana's und ihr Bildniß so umschlungen,
Daß nie es ihren Armen ward entrungen;
Daß nimmer sie sich von ihm trennen ließ,
Bis man am selben Platz sie niederstieß.

Nun, war so groß der Jungfraun Widerwillen,
Der Männer schandbares Gelüst zu stillen,
Muß wohl ein Eheweib mit eignen Händen
Sich tödten, denk' ich, eh' sie sich läßt schänden. [11,710]

Was soll vom Weib des Hasdrubal ich sagen,
Die zu Karthago selber sich erschlagen?
Als in die Stadt das Heer der Römer drang,
Nahm alle ihre Kinder sie und sprang
Ins Feuer, weil sie lieber sterben wollte,
Eh' ihr ein Römer Schmach anthuen sollte.

Hat nicht Lucretia ebenso geendet
Zu Rom, als sie Tarquinius geschändet?
Denn als ein Schimpf erschien ihr dieses Leben,
Wenn sie den guten Namen hingegeben. [11,720]

Auch gaben zu Milet in Kriegesnoth
Die sieben Mädchen selber sich den Tod
Aus Furcht, die Gallier möchten sie entehren.
Ich könnt' euch mehr als tausend Fälle lehren
Aus der Geschichte von ganz gleicher That.
So tödtete das Weib des Abradat
Nach seinem Tod sich selbst; ihr Herzblut goß
Sie in des Gatten Wunden, tief und groß,
Und sprach: Den Leib soll wenigstens kein Mann
Mir schänden, wenn ich's irgend wehren kann! [11,730]

Was soll ich noch von mehr Exempeln sagen?
Da sich so Viele lieber selbst erschlagen,
Als daß sie sich die Ehre nehmen ließen.
So wär's für mich auch besser, darf ich schließen,
Statt so entehrt zu sein, mich zu entleiben.
Treu will ich dem Arviragus verbleiben.
Sonst such' ich selbst im Tod mir Trostes Rath,
Wie einst Demotions liebe Tochter that.
Damit sie der Entehrung Schmach entgehe.

O Sedasus, mit tiefstem Herzenswehe [11,740]
Lies't man, wie schrecklich deine Töchter alle
Gestorben sind in einem gleichen Falle.

Wo nicht noch mehr, doch gleich bedauerlich
War jene Jungfrau, die zu Theben sich
Nikanors wegen selbst ums Leben brachte
Und jene, die es ebenso dort machte:
Als sie ein Mann vom Macedonerlande
Entehrt, wusch durch den Tod sie ab die Schande.
Was soll von Niceratos Weib ich sagen,
Die aus dem gleichen Grunde sich erschlagen? [11,750]

Wie treu war nicht des Alcibiades
Geliebte? Lieber starb sie, eh sie es
Mit ansah, daß er unbeerdigt bliebe?
Sieh und wie groß war erst Alcestens Liebe!
Was sagt Homer Penelopen zum Preis,
Von deren Keuschheit jeder Grieche weiß?
Ja, von Laodamia steht geschrieben.
Daß, als vor Troja ihr Gemahl geblieben,
Sie nicht mehr leben wollte nach dem Helden.
Ein Gleiches kann von Portia ich melden. [11,760]
Sie konnte nimmer ohne Brutus leben,
Dem sie mit ganzem Herzen sich ergeben.
Mit höchstem Ruhm rings im Barbarenland
Wird Artemisia's Frauensinn genannt.
O Fürstin Teuta, spiegle stets auf's neue,
Sich jedes Weib an deiner Gattentreue.«

So klagt Dorigena zwei Tag' ihr Leid
Und hält zum Sterben immer sich bereit.
Doch als zur dritten Nacht der Ritter werth,
Arviragus, nach Haus zurückgekehrt, [11,770]
Fragt er, was ihre bittern Thränen meinen;
Da hub sie an noch heftiger zu weinen.

»Ach«, rief sie, »daß ich jemals ward geboren!
So habe ich gesagt und so geschworen.«
Und sagt' ihm Alles, was ihr schon vernommen;
Die Wiederholung kann zu nichts euch frommen.
Worauf ihr Mann mit heiterem Gesicht
In milder Weise also zu ihr spricht:
»Dorigena, ist's weiter nichts als dies?«

»Nein, nein«, sprach sie. »doch ist, bei Gott, gewiß [11,780]
Dies schon zu viel, selbst wenn es Gott so will.«
»O Frau«, sprach er, »was still ist, das laß still!
Vielleicht mag's heut noch besser sich gestalten.
Du sollst dein Wort, bei meiner Treue, halten,
So wahr mir Gott mag seine Gnade leihn!
Eh' möcht' ich todt gleich auf der Stelle sein
Aus Lieb' und Sorg' um dich, eh' man soll sagen,
Du habest deines Eides dich entschlagen.
Ihn muß man wahren als sein höchstes Gut.«

Doch bei dem Wort brach er in eine Flut [11,790]
Von Thränen aus und sprach: »Du stirbst sofort,
Wagst du, so lang du athmest, nur ein Wort
Von diesem Unglück irgendwem zu sagen.
Ich will mein Weh, so gut ich kann, ertragen.
Zeig' auch kein kummervoll Gesicht und Wesen,
Aus dem des Herzens Trübsal sich läßt lesen.«
Den Pagen und ein Mädchen rief er drauf
Und sprach: »Macht mit Dorigena euch auf
Und führt sie zu dem Ort, den sie euch zeigt.«
Sie gehn, nachdem sie grüßend sich verneigt. [11,800]
Doch wußten selbst sie nicht, weshalb sie gingen,
Da sie zu Niemand sprach von diesen Dingen.

Da kam Aurelius, der Junker, her,
Er, welcher für Dorigena so sehr
Entbrannt von Liebe war. Er traf sie grade
Mitten im Ort auf sehr belebtem Pfade.
Sie ging den nächsten Weg just zu dem Garten,
Wo sie verheißen hatte, sein zu warten.
Er wollte gleichfalls zu dem Garten gehn.
Denn fleißig hatt' er nach ihr ausgesehn, [11,810]
Ob sie wohl nicht das Haus verlassen sollte.
So wie es Zufall oder Schickung wollte,
Trifft er sie, grüßt mit freundlichem Gesichte
Und fragt, wohin sie ihre Schritte richte.

Sie ruft, wie halb im Wahnsinn: »Es befahl
Zum Garten mir zu gehen mein Gemahl,
Um dort mein Wort zu halten, weh, mein Wort!«

Aurelius erstaunt und fühlt sofort,
Von ihren Weheklagen tief bewegt,
Sein Herz vom stärksten Mitgefühl erregt [11,820]
Für sie und ihren würdigen Gemahl,
Der fest am Wort zu halten ihr befahl:
So schrecklich war's ihm, bräche sie die Treue.
Und es ergriff sein Herz die tiefste Reue.
Er sah, das Beste sei für sie und ihn,
Könn' er den Lockungen der Lust entfliehn,
Statt daß der ritterlichen Zucht Gesetze
Er durch so niedre Frevelthat verletze.

Drum sprach er so mit kürzestem Entschluß:
»Madam, sagt euerm Herrn, Arviragus, [11,830]
Daß, da ich seinen großen Edelmuth
Erkenne, und wie weh euch selbst es thut,
Daß lieber er für sich will Schmach erdulden,
Als euern Treubruch gegen mich verschulden,
Ich lieber ew'ges Wehe leiden wollte,
Als daß ich eure Liebe trennen sollte.
Nehmt, gnäd'ge Frau, zurück in eure Hand
Jegliche Sicherheit und jedes Pfand,
Das ihr mir irgendwann in euerm Leben
Vor dieser Zeit verpfändet und gegeben. [11,840]
Mein Wort hier, daß um kein Versprechen ich
Euch jemals mahne – so empfehl' ich mich
Von euch, der treusten, besten aller Frauen,
Die je im Leben mir vergönnt zu schauen.
Doch wahre jedes Weib nun auch ihr Wort
Und denke an Dorigena hinfort.
Zu edeln Thaten wird ein Junker dann
So gut bereit sein, wie ein Rittersmann.«

Und dankend fällt sie vor ihm auf die Knie'.
Dann geht nach Haus zu ihrem Gatten sie, [11,850]
Dem Alles sie erzählt, was ich gesagt,
Und dem (ihr glaubt mir's gern) es so behagt,
Daß es unmöglich ist, es zu beschreiben.

Was nützt es, länger noch dabei zu bleiben?
Dorigena lebt mit Arviragus
Stets in der höchsten Seligkeit Genuß.
Nie trübte Aerger ihren heitern Sinn;
Er hielt sie werth wie eine Königin,
Und sie blieb treu dem Gatten immerfort.
Von ihnen sag' ich ferner euch kein Wort. [11,860]

Aurelius, der Müh' und Geld verloren,
Verflucht den Tag, an welchem er geboren.
»Weh«, rief er, »daß ich je zur bösen Stunde
Dem Philosophen jene tausend Pfunde
Von reinem Gold versprach! Was soll ich thun?
Ich seh', es geht mit mir zu Ende nun.
Mein Erbgut muß ich zu verkaufen sehn.
Ich will am Bettelstab von hinnen gehn,
Daß ich nicht Schimpf auf meine Sippschaft lade,
Gewährt er mir nicht eine beßre Gnade. [11,870]
Vielleicht erhalt' ich's, an bestimmten Tagen
Von Jahr zu Jahr die Schuld ihm abzutragen
Und werd' ihm für die große Rücksicht danken;
Doch halt' ich ihm mein Wort, und ohne Wanken
Er schließt den Koffer auf mit trübem Sinn,
Bringt all sein Geld zum Philosophen hin –
Es waren wohl fünfhundert Pfund an Werth –
Und bittet, daß die Gunst ihm sei gewährt,
Das Uebrige terminweis abzutragen.

»Meister, ich darf zu meinem Ruhm wohl sagen, [11,880]
Daß ich bis jetzt mein Wort noch nie gebrochen.
Ich zahl' euch sicher, was ich euch versprochen
Und schuldig bin, müßt' ich im bloßen Hemde
Am Bettelstab auch fahren in die Fremde.
Doch gäbet ihr mir gegen Sicherheit
Noch für den Rückstand zwei, drei Jahre Zeit,
So wär' ich froh. Nicht braucht' ich loszuschlagen
Mein Erbgut. Weiter will ich euch nichts sagen.«

Der Philosoph hört ihn erst ruhig an
Und fragt ihn höchst kaltblütig also dann: [11,890]
»Hab' ich dir nicht gehalten meinen Pakt?«
»Gewiß«, sprach er, »getreulich und exakt.« –
»Hast du dein Liebchen nicht nach deinem Willen?«
»Nein, nein!« spricht er, und seufzt dabei im Stillen. –
»Was war der Grund, wenn man ihn hören kann?«
Aurelius fängt zu erzählen an
Und sagt ihm, was ihr schon gehört zuvor;
Es nützte nichts, trüg' ich's noch einmal vor.
»Arviragus aus freier edler Wahl
Zog vor, in Trübsal und in Herzensqual [11,900]
Zu sterben, eh' sie bräche ihren Eid.«
Dann schildert er ihm Dorigenens Leid,
Wie gräßlich der Verlust ihr ihrer Ehre,
Wie lieber selbst sie todt gewesen wäre;
Wie sie ihr Wort gab in schuldloser Meinung,
Da nie sie hörte von derlei Erscheinung.
»So hatt' ich solches Mitleid denn mit ihr,
Daß ich so unbedenklich, wie er mir
Sie schickte, so sie ihm zurück gesendet.
Und hiemit ist die Sache nun beendet.« [11,910]
Der Philosoph versetzt: »Mein Bruder werth,
Ihr beide habt gleich edeln Sinn bewährt.
Du bist ein Junker, er ein Rittersmann.
Doch helfe Gottes gnäd'ge Macht, es kann
Auch ein Gelehrter grade wohl so gut
Wie ihr beweisen seinen Edelmuth.
Herr, ich erlasse dir die tausend Pfund,
Als wärst du eben aus der Erde Grund
Gekrochen und mir völlig unbekannt.
Ich nehme keinen Deut von deiner Hand [11,920]
Für meiner Müh und meiner Kunst Beweise.
Du hast für mich bezahlet Trank und Speise;
Es ist genug. Lebt wohl, ich wünsch' euch Glück!«
Und nahm sein Roß und ritt des Wegs zurück.

Herrschaften, jetzt möcht' ich die Frage thun,
Wen haltet für den Edelsten ihr nun?
Erklärt euch, ehe ihr euch weiter wendet.
Hier schließ' ich; mein Geschichtchen ist beendet.

*


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