Conrad Ferdinand Meyer
Huttens letzte Tage
Conrad Ferdinand Meyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Buch der Vergangenheit

VI  Das Geflüster

Erinnrung plaudert leise hinter mir
Auf diesen stillen Inselpfaden hier.

Sie rauscht im Eichenlaub, im Buchenhag,
Am Ufer plätschert sie im Wellenschlag,

Und mag ich schreiten oder stille stehn,
So kann ich ihrem Flüstern nicht entgehn.

Da streck' ich lieber gleich mich aus ins Gras!
Erinnrung, rede laut! Erzähle was!

Hier lagre dich, zeig dein Geschichtenbuch!
Und wir ergötzen uns an Bild und Spruch.
 
 

VII Gloriola

Wir malten eine Sonnenuhr zum Spaß,
Als ich in Fuldas Klosterschule saß.

Ringsum ein Spruch gedankentief und fein
Und schlagend mußte nun ersonnen sein.

Herr Abbas sprach: "Zwei Worte sind gegönnt,
Ihr Schüler, sucht und eifert, ob ihr's könnt!"

Hell träumend ging ich um, mich mied der Schlaf,
Bis mich wie Blitzesstrahl das Rechte traf:

"Ultima latet." Stund um Stunde zeigt
Die Uhr, die doch die letzte dir verschweigt.

Herr Abbas sprach: "Das hast du klug gemacht.
Es ist antik und christlich ist's gedacht."

Manch Kränzlein hab' ich später noch erjagt,
Wie dieses erste hat mir keins behagt;

Denn Süßres gibt es auf der Erde nicht
Als ersten Ruhmes zartes Morgenlicht.
 
 

VIII Der Stoff

Als ich von hoher Schule Weisheit troff,
Bat ich die Muse: Jungfrau, gib mir Stoff.

"Wohlan, Herr Ritter", sagte sie, "bedenkt,
Ob etwa jemand Euch das Herz gekränkt?"

Ich sprach: Die Lötze schenkten mir Gewand
Und nahmen's wieder mir mit Räuberhand.

Zornmütiger Querelen zweimal zehn
Ließ gegen Sohn und Vater ich ergehn.

Was, Muse, nun? Gib Stoff! Hilf ab der Not!
Sie sang: "In Schwaben rinnt ein Bächlein rot."

Da rannt' ich wütend Herzog Ulrich an,
Der Vetter Hansen schimpflich abgetan.

Und wieder sprach ich zu der Muse nun:
Ich bin der starke Knecht. Frau, gib zu tun!

Sie lachte. "Ritter, mäßigt Euren Sturm!
Sonst singt Ihr um den Steckelbergerturm."

Gib, Muse, Stoff! Erhöre mein Gesuch!
Gib Stoff! Ein starkes, dauerhaftes Tuch!

"Ein sächsisch Mönchlein aus der Kutte schloff.
Da, Ritter, habt Ihr einen guten Stoff!"
 
 

IX Epistolae obscurorum virorum

Wir scharten uns zu lust'gem Mummenschanz,
Kapuzen über vollem Lockenkranz!

Wir trugen Pfaffenlarven heuchlerisch
Und blitzten draus mit Augen jugendfrisch.

Wir schlurften tappig mit Sandalentritt,
Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt.

Gründlich studierten wir beim Becherklang
Der Mönchlein närrischen Gedankengang.

Die Dummheit haben wir mit Witz verziert,
Die Torheit mit Sentenzen ausstaffiert!

Wir haben sie zum Spott der Welt gemacht,
Wir haben uns und sie zu Tod gelacht!

Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht
Aristophanischer Unsterblichkeit.

Schleiferius! Caprimulgius! Ochsenhorn!
Schlaraff! Der saubre Täufling Pfefferkorn!

Wir brachen keck in ihre Zellen ein
Und hausten schlimm in ihrem Bücherschrein.

Wir sprachen ihr Latein – ergötzlich Spiel –
Und Briefe schrieben wir im Klosterstil:

"Laetificor archiangelice
Cum una speciosa virgine!"

Hellauf! Der Narrenglöcklein schriller Schall!
Und heißa, hussa, Jagd und Peitschenknall!

Die Pfaffen sprangen über Stock und Stein,
Der Esel bockte, grunzend lief das Schwein.

Du Fest der jugendlichen Grausamkeit,
Verklungen bist du längst! Streng ward die Zeit.

Als wir im losen Mummenschanz getobt,
Da hat man unsres Witzes Salz gelobt;

Doch als die Wahrheit wir im Ernst gesagt,
Da wurden wir, die Jäger, selbst gejagt.

Wir irren heimatlos, geächtet, arm
Und essen fremdes Brot in Not und Harm.

Die Pfäfflein, denen unsre Hetze galt,
Sie tafeln alle noch gesund und alt.

Die Mönchlein, die wir kniffen bis aufs Blut,
Sie bechern alle wieder wohlgemut;

Und schneidet eines apfelschälend sich
Und quillt ein Tropfen Bluts bescheidentlich,

So stöhnt es: "Würd'ge Brüder, schauet hier!
Das blut'ge Märtertum erleiden wir!"
 

X Der Vetter Hans

Ein schöner Mensch, mit dem das Glück gedahlt,
Hat dunklem Schicksal schweren Zoll bezahlt.

Fortunens Liebling war der Vetter Hans,
Der mich an Lebenskraft verdunkelt ganz.

Oft dacht' ich, dem die Wange früh gebleicht:
In einem solchen Körper lebt sich's leicht!

Das Haupt mit dem gepflegten Bart, er trug's
Siegreich und war von schlankem Edelwuchs.

Er ritt und focht und tanzte meisterhaft,
War aller Fraun und Mädchen Leidenschaft.

Er freite flink. Das junge Weib gefiel
Dem Herzog und der Teufel trat ins Spiel.

Der Herzog sank vor Vetter Hans aufs Knie:
"Dein Weib! Nicht leben kann ich ohne sie!"

Das fand der Vetter Hans ein komisch Wort
Und er bespottet's weidlich hier und dort:

"Der Herzog wendet an den Rechten sich!
Den Mann ums Weib zu bitten! Lächerlich."

Das Lachen ward dem Herzog hinterbracht
Und Vetter Hans hat sich zu Tod gelacht.
 

XI Der Ritter ohne Furcht und Tadel

Als in Pavia ich studierte, ward
Mir dort gezeigt der tapfre Held Bayard.

Der "Ritter ohne Furcht", der nie geflohn,
Befehligte die welsche Garnison.

Nach längst verschollnen Moden trug er sich,
Er und sein Knappe schritten feierlich.

Die abgekommne Cortesie erhob
Er hoch und seufzt': "Das junge Volk ist grob!"

Entgegen hielt den Spiegel zücht'ger Zeit
Er unsrer heut'gen Ungebundenheit.

Zu Grabe werde, gab er zu verstehn,
Mit ihm der letzte wahre Ritter gehn.

Lang, hager, würdevoll, galant mit Fraun,
Dabei ein bißchen komisch anzuschaun,

Hob er den Zeigefinger, wann er schalt,
Als eine unvergleichliche Gestalt.

Man grüßte tief und raunte sich ins Ohr,
Der "Ritter ohne Tadel" sei ein Tor.

Doch, daß ich sein gespottet, reut mich schwer;
Denn, Hutten, bist du nicht ein Tor wie er?

Ins Abendgold hat er zurückgeschaut –
Dein Auge späht, wo kaum der Morgen graut.

Dein Ohr vernimmt durch Nebel und durch Nacht
Den Siegesjubel einer künft'gen Schlacht.

Wie Mittagsglut hast du den Strahl verspürt,
Der kaum der Berge Spitzen noch berührt.

Bayard sah das Entschwundene verschönt,
Bayard, den du mit manchem Witz verhöhnt!

Er war ein Narr der eignen Phantasie –
Die Zukunft aber, Hutten, kennst du die?

Wer weiß, erlebst du noch die neue Welt,
Ob sie dem fränk'schen Edelblut gefällt!

Wer weiß, ob nicht das Ziel, drob du verscherzt
Der Erde Güter, ist's errreicht, dich schmerzt?

Bayard, der ohne Furcht und Tadel war,
Vergib! Reich mir die Hand! Wir sind ein Paar.

Wir sind ein fahrend Ritterpaar, Bayard,
Und taugen beide nicht zur Gegenwart.
 
 

XII Romfahrt

Erwerben wollt' ich fremder Muse Gunst,
Den edlen Kranz der alten Redekunst.

Latein gedrechselt hab' ich manches Jahr
Und ein Latein, das schlank und zierlich war.

Nun blieb mir die Rotunde noch zu sehn,
Als Pilger auf das Capitol zu gehn.

Am Wege traf ich manchen Lorbeerstrauch
Und Myrtenbusch und manchen Fladen auch.

Gewölk und schneid'ger Wind und Tannenduft
Bekommt mir besser als die welsche Luft.

Die Trümmer sah ich alter Römerpracht
Zur Festung dienen einer Priestermacht.

Entartet und verheuchelt sah ich da
Den Kopf des Claudiers und der Claudia.

Ich sah ein Weib, das mit sich handeln ließ,
Die man die "allgemeine Kirche" hieß.

Ich fand von feiler Schreiberschar entweiht
Die ciceronische Beredsamkeit.

Ich sah, wie man in dieser Pfaffenstadt
Uns ohne große Kunst zum Narren hat,

Sah unsrer Väter Glauben in der Hand
Ungläub'ger Priester als ein Gängelband.

Sag' ich es kurz und klassisch, was ich sah
Am Tiberstrom? Cloaca maxima!

Mich freute Tempel nicht, noch Monument.
Mein Volk verachtet sehn! Das würgt und brennt!

Mir den Geschmack zu bilden hofft' ich dort
Und bitter war der Mund mir immerfort.

Mir gor das Blut, die Galle regte sich,
Ich sprach: Jetzt, Hutten, schilt! sonst tötet's dich.

Vor Petri neuem Tempel höhnt' ich laut:
Der Simon hat's mit unserm Geld gebaut!

Was soll die übermüt'ge Pfarre da
Mit Zinne, Porticus und Statua?

Wir wissen es, wer hier zu Miete saß:
Der unverschämten Hölle frechster Spaß!

Der Stier im Wappen sagt: Hie hat gehaust
Der Borgia Lust, davor's dem Teufel graust!

Der zehnte Leo nun verkauft den Geist,
Der über seinem roten Käppchen kreist!

Du malest, Raphael, zu seinem Glanz?
Freund! Mal ihm einen dreisten Totentanz,

Damit der Unfehlbare nicht vergißt,
Daß er, wie wir, ein armer Sünder ist.

Ich ging. Mit einem derben Kohlenstrich
Beschrieb des Vaticanes Mauer ich:

"In diesen tausend Kammern thront der Trug!
Ein Deutscher kam nach Rom und wurde klug."
 
 

XIII Die Ablaßbude

Und, sieh, da wälzte sich das Rad der Zeit,
Wir traten mit der welschen Macht in Streit.

Ich schrie: Ihr Männer, geht mir an die Hand:
Des Papstes Ablaßbude wird berannt!

Erkaufen Gold und Silber Seelenheil,
So steht es bald auf allen Märkten feil.

Die Ware wird von Jung und Alt gesucht
Und nur der arme Schlucker bleibt verflucht.

Die Tasche wende jeder! Ist sie leer,
So trete keck in unser Lager er!

Das rat' ich dir, du heilsbedürft'ger Mann,
Der keinen Ablaßzettel lösen kann!

Wir greifen nach dem Himmel unverwehrt!
Uns wird die Seligkeit umsonst beschert!

Ich sprach ein rauhes Deutsch in Hast und Zorn,
Es dröhnte wie vom Turm das Wächterhorn.

Antwort erscholl wie Sturm und Meergebraus:
"Herr Hutten, fasset an und räumet aus!"
 

XIV Lügengeister

Der Zaubrer Faust erschien am Hof zu Mainz,
Er liebt der Kardinäle Purpur, scheint's.

Verhangen ward ein Saal und blaß erhellt
Für die Besuche der Gespensterwelt.

Der Kurfürst setzte sich. Ihm stand ich links.
Der bleiche Magier harrte seines Winks.

Natürlich ging die erste Frage da
Nach der erlauchten Bübin Helena.

Er rief der Leda Kind. Es zeigte sich
Ein blanker Fuß und tanzte wunderlich.

Das leere Gaukelspiel, das mich verdroß,
Entzückte den vernarrten Pfaffentroß.

Was schiert die Metze mich? Herr Nekromant,
Seid Ihr mit edlern Toten nicht bekannt?

– "Wen fordert Ihr?" Den Kaiser Constantin!
Er rief. Ein Purpurtragender erschien.

Ich frage Majestät, ob ihr gedenkt,
Daß sie dem Papst die ew'ge Stadt geschenkt?

"Ja", nickte das Gespenst. Wie? Wo? Und wann?
Ein Märchen ist's, das Eigennutz ersann!

Es ist Betrug und das beweis' ich stramm
Mit scharfer Kunst, die nennt man Criticam.

Du bist ein Pfaffengeist! Zur Hölle fort!
Der Lügenkaiser schwand vor meinem Wort.
 
 

XV Das Hütlein

Es war in Brüssel vor dem Ständehaus.
Die Sage ging: "Der Kaiser reitet aus!"

Noch hatt' ich nie das junge Haupt geschaut,
Dem wir des Reiches höchstes Amt vertraut.

Ein edles Roß ist unsre Zeit. Es stampft.
Es wiehert mutig. Seine Nüster dampft.

Ob er die Zügel klug und kühn ergreift?
Ob er's bewältigt? Ob's ihn wirft und schleift?

Da wir Poeten abergläubisch sind,
Erdacht' ich ein Orakel mir geschwind:

Für diesen Kaiser gelte fort und fort
Das erste seinem Mund entfallne Wort!

Er kam. Ein Hütlein trug er, meiner Treu,
Mit Reiherfedern, funkelnagelneu!

Der Himmel macht' ein mißvergnügt Gesicht,
Sich selber fragend: Regn' ich oder nicht?

Jetzt klatschten Tropfen auf das Pflaster schwer,
Die junge Stirne legt' in Falten er

Und lugte sorgend zu den Wolken auf.
"Mein altes Hütlein!" rief er, "Kämmrer, lauf!"

Ich aber sprach zu mir: Das wird nicht gut!
Sein erster Ruf geht nach dem alten Hut.
 
 

XVI Das Kindlein in Mainz

O Mainz, du lust'ger Sitz, du traute Stadt,
Die Huttens Feder oft belobet hat!

Der Mainzer Albrecht war mir redlich hold
Und bot mir manchen Trunk in purem Gold.

Er lauschte meinen kühnen Scherzen gern,
Ich nannt' ihn meinen Freund und meinen Herrn.

Ich spottete vor seinem Ohre dreist,
Er zürnte nicht, er ist ein freier Geist;

Doch in der Stunde der Versuchung, ach,
Der Geist war willig und das Fleisch war schwach.

Ihm hielt ich Treue, bis er mich verstieß.
Wo lebt der Freund, den Hutten je verließ?

Die Kanzelei von Rom schrieb Brief um Brief,
Bis mich der Albrecht nicht mehr zu sich rief.

Geächtet wurde Luther und gebannt...
Ich lebte von der Faust und streift' im Land.

Ein treuer Rüde, stahl ich wieder hin
Zum Mainzer mich und still umschlich ich ihn.

Ich blickt' ihm ins Gemach; er saß beim Mahl,
Landfremden Pfaffen bot er den Pokal.

Gemunkel ging: mit Luther sei's vorbei,
Der eingetan und aufgehoben sei.

Die langen welschen Nasen nickten fein
Und freuten sich an ihren Schelmerein.

Er lächelte! Mir gab es einen Stich –
Mein Edelfalke, Gott behüte dich!

Ade, mein Albrecht, mein verlorner Hort!...
Ich schlich betrübt mich in die Krone fort,

Wo einst bei Becherklang ich manche Nacht
Mit witzigen Gesellen durchgelacht.

Hier setzt' ich mich zu einem Kruge Bier,
Des Wirtes Kind gesellte sich zu mir.

Das Mägdlein, mein' ich, stand im vierten Jahr,
Ich fuhr ihm durch das blonde Ringelhaar:

Sag mir dein Nachtgebetlein, wie du's weißt!
Das Kind hub an: "Gott Vater, Sohn und Geist,

Dein  Name sei gelobt! Hüt uns vor drei:
Vor Wassernot und Brand und Kriegsgeschrei!

Den Schiffern gnade Du in Nacht und Sturm!
Sei Bruder Martins Burg und fester Turm!

Umschleicht ihn mit dem Dolch ein Mörder wild,
So deck ihn, Herr, mit Deinem starken Schild!

Und leidet Dein Gerechter Hungersnot,
So schick ihm Du durch Deine Raben Brot!"

Wer lehrte dich, mein Kindlein, dies Gebet?
– "Die Mutter heißt mich's beten früh und spät."

Nun mein' ich aber, daß kein Leid geschieht
Dem Mann, für den in Mainz ein Kindlein kniet.
 
 

XVII Die Mainzerspieße

Sie machten mir ein Kämmerlein bereit,
Doch mied der Schlaf mich drinnen lange Zeit.

Ich hörte, wie das Pflaster dumpf erklang:
Die Mainzer Scharwach schritt mit schwerem Gang.

Mich heimelt's aus den alten Zeiten an,
Denn oft mit diesem Heer  gedieh mir Span,

Wann nächtlich ich, vom Humpen übermocht,
Mit ihnen auf der Gasse klirrend focht.

Versuchte Männer sind's von Schluck und Hand,
Geworben rings in Hoch- und Niederland.

Ich lauscht' im Finstern heiter und mir schien:
Die Spieße sangen etwas vor sich hin.

Ein alter Bierbaß sang gemütlich vor
Und zehen Bässe brummten nach im Chor:

"Das reine Wort sie sollen lassen stan
Und dafür keinen Dank noch Löhnung han.

Gerichtet ist der Fürste dieser Welt,
Uns tut er nichts, wie saur er auch sich stellt – "

Ich, von den Mainzerspießen auferbaut,
Sang mit in meiner dunkeln Kammer laut:

"Drum fürchten wir uns wahrlich nicht zu sehr,
Denn unser Gott ist eine starke Wehr."

XVIII Die Gebärde

's war in der Krone, daß mich einer fand,
Der mich in meinem ersten Flaum gekannt.

Der Ott von Gemmingen. Er drückte sich
Durch das Gelag und rückte neben mich.

"He da!" Utz! Lieber Utz! Was ward aus dir?
Bist du am Hof von Mainz ein großes Tier?

Bist Doctor juris utriusque du?
Des Kaisers Schreiber oder Rat dazu?

Nein? Nun, was bist du denn? Des Hofgerichts?"
Ich aber sagte trocken: Ich bin nichts.

Jetzt mustert' er mein ausgedient Gewand,
Die hohlen Wangen auch, die magre Hand.

"Eins bist du: Siech! Das redet dein Gesicht!"
Ich glaubte mich geheilt und bin es nicht.

Da streckt' den Finger er und zog damit
Sich sauber um die Gurgel einen Schnitt.

Du rätst...? Er nickte. Drob hab' ich gelacht.
Dann hab' ich der Gebärde nachgedacht.

Unleidlich scheint dem frohen Kind der Welt
Dein Dasein, Hutten – drum verbrauch's als Held!

Wovor des kühnsten Mannes Busen zagt,
Das sei von dir in freier Lust gewagt!

XIX Mißverständnis

Der Vater sprach zu mir mit leisem Hohn:
"Verstehst du's, bau mir eine Presse, Sohn!"

(Sie nennen Presse dort im Frankenland,
Was andern Ortes Kelter wird genannt.)

Sprach's und verritt. Ich ohne viel Geschrei
Berief die Meister schwarzer Kunst herbei.

Da ward gesetzt, gedruckt, gepreßt, gedreht,
Viel tausend Blätter flogen rings verweht.

Auf einem ward dem Cajetan gedroht:
"Schlagt, fromme Leute, den Legaten tot!"

Hier stand: "Und würd' ich drüber Lands verjagt,
Ich Hutten breche durch, ich hab's gewagt!"

Und dort: "Die harsche Luft der Freiheit weht,
Ich Hutten sporn' und stachle früh und spät."

Das war ein heißer und ein zorn'ger Wein,
Den ich gepreßt am Steckelbergerrain.
 
 

XX Jacta est alea

Nachdem ich meinen großen Wurf getan,
Da hub der Vater mich zu schelten an:

"Du trittst mit Rom in Fehde? Bist du toll?
Mich wundert's, Ulrich, wie das enden soll!

Poet war schlimm und klingt erbärmlich schon,
Doch Ketzer ist noch weit ein schlimmrer Ton!

Erlebt' ich's nicht! Ein Sohn in Bann und Acht,
Der meinen grauen Haaren Schande macht!

So, Ulrich, mehrst du deines Stammes Glanz?
Jetzt gehst du halb zerlumpt, bald bist du's ganz!

Was kümmert dich, ob unser Haus zerfällt?
Was kümmert irgend noch dich auf der Welt?

Wenn nur in Holzschnitt du und Kupferstich
Den Lorbeer trägst – was anders kümmert dich?

Du lächelst? Du verziehst den Mund zum Scherz?
Ich wußt' es nicht: du hast ein schlechtes Herz."

Der Vater sprach's und blickte finster drein,
Mit Tränen bat das fromme Mütterlein:

"Mein süßer Ulrich, laß das böse Spiel!"
Ich gab zur Antwort: Nein! Der Würfel fiel.

Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern!
Bleib du mir milde wie der Abendstern!

Du kränkst mich, Vater, nicht, so herb du bist!
Hier schlägt ein Herz, das guter Meinung ist.

Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand,
So laß mich treten aus des Hauses Band!

Ich sei ein Fremdling dir! Du bleibst in Ruh,
Mein Gut, du teilst es meinem Bruder zu.

Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht,
Der nur im Bildnis mir die Stirn umflicht!

Ich selber trage sonder Prunk und Glanz
Im Leben einen schlichten Dornenkranz.

Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn.
Ein jeder weiß, daß ich der Hutten bin,

Den weder Zeit noch Tod noch Acht noch Bann
Vom Herzen seines Volkes scheiden kann!

Burg Steckelberg, die von der Höhe schaut,
Von Frankens schönen Hügeln rings umblaut,

Die Brücke nieder! Öffne mir dein Tor!
Ich reit' aus dir zum letzten Mal hervor.

Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück!
Ich fahr' in Kampf und kehre nicht zurück.
 
 

XXI Der Edelstein

Als ich gen Zürich ritt im Abendschein,
Da rief ich aus: "Du schmucker Edelstein!"

Bei Meister Zwingli lebte man nicht schlecht,
Er deckte mir den Tisch mit einem Hecht.

Den hab' ich auf der Brücke dann verdaut,
Lustwandelnd nahes Schneegebirg geschaut –

Da sah ich einen unterm Volke gehn,
Von dessen Hute Geierfedern wehn.

Dem bog ich fluchend aus dem Wege schnell,
Denn Herzog Ulrich war's, der Mordgesell!

O blaue Flut, o freier Bergeshauch,
Gibst ein Asyl du dem Tyrannen auch?
 
 

XXII Der Comtur

Als ich entlang das helle Seegestad
Nach Pfäffers ritt ins heiße Felsenbad,

Wo man in Unterwelt und Wellenguß
An schwankem Seile niederschweben muß,

Wo keck zur Hölle fahren Mann und Weib
Und wiederkehren mit geheiltem Leib –

Fand ich in Küsnach gastlich Nachtquartier
Und scherzend sagte der Comtur zu mir:

"Braucht Ihr Moneten? Tuet nicht verschämt!
Der Pächter brachte zwanzig Gulden. Nehmt!

Werft keinen nieder! Hier ist's unerlaubt.
Nehmt! Und Ihr habet bloß den Staat beraubt!

Mein teurer Ritter, nehmet ungeziert!
Wir werden morgen säkularisiert

Und lieber als dem Staat, der alles frißt,
Gönn' Euch ich's, der ein Mensch und Würfler ist."

Ich strich es ein und schwang mich in den Sitz
Und lachte: Herr Comtur, Ihr habet Witz.

Und weiter oben, wo sich biegt der See
Und nah und näher tritt der ew'ge Schnee,

Bespiegelt' in der Flut ein Eiland sich,
Daran ich leichten Sinns vorüber strich.

Ich ließ es rechts im flücht'gen Wellenspiel
Und ahnte nicht mein letztes Wanderziel.
 
 


 << zurück weiter >>