C. F. Meyer
Die Hochzeit des Mönchs
C. F. Meyer

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Jetzt kreischte der andere in rasender Wut: 'Du Böser, du Mörder meiner Kinder! Ich durchblicke dich! Du willst mich beerben und mit meinem Geld deine wahnsinnigen Feldzüge führen!' Da gewahrte er seine Schwiegertochter, welche vor dem zögernden Mönch durch das Gesinde und über die Schwelle getreten war. Trotz seiner Leibesschwachheit stürzte er ihr mit wankenden Schritten entgegen, ergriff und riß ihre Hände, als wollte er sie zur Verantwortung ziehen für das über sie beide gekommene Unheil. 'Wo hast du meinen Sohn, Diana?' keuchte er.

'Er liegt in der Brenta', antwortete sie traurig, und ihre blauen Augen dunkelten.

'Wo meine drei Enkel?'

'In der Brenta', wiederholte sie.

'Und dich bringst du mir als Geschenk? Dich behalte ich?' lachte der Alte mißtönig.

'Wollte der Allmächtige', sagte sie langsam, 'mich zögen die Wellen, und die andern stünden hier statt meiner!'

Sie schwieg. Dann geriet sie in einen jähen Zorn. 'Beleidigt dich mein Anblick und bin ich dir überlästig, so halte dich an diesen: er hat mich, da ich schon gestorben war, an den Haaren gerissen und ins Leben zurückgezogen!'

Jetzt erst erblickte der Alte den Mönch, seinen Sohn, und sein Geist sammelte sich mit einer Kraft und Schnelligkeit, welche der schwere Jammer eher gestählt als gelähmt zu haben schien.

'Wirklich? Dieser hat dich aus der Brenta geholt? Hm! Merkwürdig! Die Wege Gottes sind doch wunderbar!'

Er ergriff den Mönch an Arm und Schulter, als wollte er sich desselben Leib und Seele bemächtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepreßten Arm des nicht Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf der andern Seite des Sessels nieder mit hängenden Armen und gefalteten Händen, das Haupt auf die Lehne legend, so daß nur der Knoten ihres blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar blieb. Der Gruppe gegenüber saß Ezzelin, die Rechte auf das gerollte Breve wie auf einen Feldherrnstab gestützt.

'Söhnchen, Söhnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und List gemischten Zärtlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du Stab und Stecken meines Alters wirst mir nicht zwischen diesen zitternden Händen zerbrechen! ... Du begreifst', fuhr er in einem schon trockneren, sachlichen Ton fort, 'daß, wie die Dinge einmal liegen, deines Bleibens im Kloster nicht länger sein kann. Ist es doch kanonisch, nicht wahr, Söhnchen, daß ein Mönch, dessen Vater verarmt oder versiecht, von seinem Prior beurlaubt wird, um das Erbgut zu bebauen und den Urheber seiner Tage zu ernähren. Ich aber brauche dich noch viel notwendiger. Deine Brüder und Neffen sind weg, und jetzt bist du es, der die Lebensfackel unseres Hauses trägt! Du bist ein Flämmchen, das ich angezündet habe, und mir kann nicht dienen, daß es in einer Zelle verglimme und verrauche! Wisse eines' – er hatte in den warmen, braunen Augen ein aufrichtiges Mitgefühl gelesen, und die ehrerbietige Haltung des Mönches schien einen blinden Gehorsam zu versprechen –, 'ich bin kränker, als du denkst. Nicht wahr, Isaschar?' Er wendete sich rückwärts gegen eine schmale Gestalt, welche, mit Fläschchen und Löffel in den Händen, durch eine Nebentür leise hinter den Stuhl des Alten getreten war und jetzt mit dem blassen Haupt bestätigend nickte. Ich fahre dahin, aber ich sage dir, Astorre: Läßt du mich meines Wunsches ungewährt, so weigert sich dein Väterchen, in den Kahn des Totenführers zu steigen, und bleibt zusammengekauert am Dämmerstrand sitzen!'

Der Mönch streichelte die fiebernde Hand des Alten zärtlich, antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Gelübde!'

Ezzelin entfaltete das Breve.

'Deine Gelübde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke! Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die heilige Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, erklärt sie für ungültig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein dürrer Finger zeigte auf das Pergament mit dem päpstlichen Siegel.

Der Mönch näherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt rückwärts, als stünde er auf einer Turmhöhe und sähe das Geländer plötzlich weichen.

Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme: 'Wem hast du dein Gelübde gegeben, Mönch? Dir? oder der Kirche?'

'Natürlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Söhnchen! Er will uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin die Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn der Mönch hier, sein Sohn, und stiftet – sollte das Geschlecht mit ihm erlöschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat – ein Hospital von einer gewissen Ausdehnung und Großartigkeit, um welches uns die hundert Städte' – er meinte die Städte Italiens – 'beneiden sollen. Nun, Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe, darf ich an den Mönch ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?'

Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, daß er in Krämpfe fiel. Noch aber ließ er den Arm des Mönches, welchen er wieder ergriffen hatte, nicht fahren.

Isaschar näherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz gefüllten Löffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete mit einer Anstrengung den Kopf ab. 'Laß mich in Ruhe!' stöhnte er, 'du bist auch der Arzt des Vogts!' und schloß die Augen.

Der Jude wandte die seinigen, welche glänzend schwarz und sehr klug waren, gegen den Tyrannen, als flehe er um Verzeihung für diesen Argwohn. 'Wird er zur Besinnung zurückkehren?' fragte Ezzelin.

'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder erwachen, aber nicht für lange, fürchte ich. Diese Sonne sieht er nicht untergehen.'

Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um den ohnmächtigen Vater beschäftigt war.

'Stehe mir Rede, Mönch!' sagte Ezzelin und wühlte – seine Lieblingsgebärde – mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Gelübde gekostet, die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreißig' – der Mönch nickte –, beschworen hast?'


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