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Erzählung der Frau N. N.

Vor neun Jahren um die Zeit der Heuernte ritt ich eines Abends mit Pjotr Ssergejewitsch, der damals Hilfs-Untersuchungsrichter war, zur Bahnstation, um die Post zu holen.

Das Wetter war herrlich, aber auf dem Rückwege hörten wir plötzlich einen fernen Donner und sahen eine böse schwarze Wolke, die direkt auf uns loszog. Die Wolke näherte sich uns, und wir ritten auf sie zu.

Auf diesem dunklen Hintergrunde hoben sich grell unser weißes Haus, die weiße Kirche und die silbernen Pappeln ab. Es roch nach Regen und frisch gemähtem Gras. Mein Begleiter war besonders gut aufgelegt. Er lachte viel und redete lauter Unsinn. Er sagte, daß es gut wäre, wenn wir unterwegs auf ein mittelalterliches Schloß mit Zinnen und Türmen, wo alles von Moos überwuchert wäre und wo Eulen hausten, stießen und uns darin vor dem Regen verstecken könnten, und wenn uns schließlich ein Blitz träfe …

Da lief aber schon über das Korn und den Hafer die erste Welle, und ein heftiger Windstoß hob eine Staubwolke in die Luft und ließ sie kreisen. Pjotr Ssergejewitsch lachte und gab seinem Pferde die Sporen.

»Wie schön!« rief er aus. »Wie wunderschön!«

Er hatte mich mit seiner lustigen Stimmung angesteckt; ich dachte daran, daß ich gleich bis auf die Haut naß werden würde oder auch vom Blitze getroffen werden könnte, und fing gleich ihm zu lachen an.

Dieser Sturm und der rasche Ritt gegen den Wind raubten mir den Atem; ich fühlte mich wie ein Vogel, und meine Brust hob und senkte sich in höchster Erregung. Als wir unsern Hof erreichten, hatte sich der Wind bereits gelegt, und große, schwere Regentropfen prasselten auf den Rasen und auf die Dächer nieder. In der Nähe der Stallungen war kein Mensch zu finden.

Pjotr Ssergejewitsch zäumte eigenhändig beide Pferde ab und brachte sie in den Stall. Ich stand indessen an der Schwelle und sah auf die schrägen Regenstreifen; der süßliche, aufregende Heuduft war hier stärker als draußen im Felde; die Wolken und der Regen dämpften das Tageslicht, und alles sah wie in der Dämmerung aus.

»Das war ein Schlag!« sagte Pjotr Ssergejewitsch nach einem sehr starken, dröhnenden Donnerschlage, auf mich zugehend; es krachte, als ob der Himmel in Stücke ginge. »Das war doch schön?«

Er stand neben mir an der Schwelle, nach dem schnellen Ritt noch immer keuchend, und sah mich an. Ich fühlte, daß er mich bewunderte.

»Natalja Wladimirowna,« sagte er mir, »ich würde alles hingeben, nur um immer so stehen und auf Sie schauen zu dürfen. Sie sind heute so schön.«

Er blickte mich flehend und entzückt an, sein Gesicht war blaß, in seinem Bart glänzten Regentropfen, und es kam mir vor, daß auch sie mich mit Liebe ansahen.

»Ich liebe Sie,« sagte er. »Ich liebe Sie und bin glücklich, daß ich Sie sehe. Ich weiß, daß Sie nicht die Meinige werden können, aber ich will nichts, und ich brauche nichts; ich will nur, daß Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe. Schweigen Sie, sagen Sie nichts, schenken Sie mir keine Beachtung; aber fühlen Sie, wie teuer Sie mir sind, und lassen Sie mich Sie anschauen.«

Seine Erregung überkam auch mich. Ich sah sein begeistertes Gesicht, ich hörte seine Stimme, die sich mit dem Rauschen des Regens vermengte, und stand regungslos und wie bezaubert da.

Ich wollte immer diese glänzenden Augen sehen und seine Stimme hören.

»Sie schweigen, und das ist schön!« sagte Pjotr Ssergejewitsch. »Bleiben Sie so!«

Mir war so wohl zumute. Ich lachte vor Vergnügen und rannte durch den Regen nach Hause; auch er lachte und lief mir hüpfend nach.

Wir stürzten beide wie Kinder polternd, durchnäßt und atemlos ins Zimmer. Mein Vater und mein Bruder, die nicht gewohnt waren, mich lachend und ausgelassen zu sehen, blickten mich erstaunt an und begannen gleichfalls zu lachen.

Die Gewitterwolken verzogen sich, der letzte Donner war verhallt, aber im Barte Pjotr Ssergejewitschs glänzten noch immer Regentropfen. Er sang und pfiff den ganzen Abend bis zum Abendbrot, spielte mit unserem Hund und jagte ihm so wild von Zimmer zu Zimmer nach, daß er beinahe den Diener, der den Samowar brachte, umwarf. Beim Abendbrot aß er sehr viel, redete Unsinn und behauptete, daß, wenn man im Winter eine frische Gurke esse, man im Munde den Duft des Frühlings habe.

Als ich vor dem Schlafengehen das Licht anzündete und mein Schlafzimmerfenster weit aufmachte, überkam mich ein eigentümliches, unbestimmtes Gefühl. Ich dachte daran, daß ich frei, gesund, vornehm und reich sei, daß ich geliebt werde; doch vor allen Dingen, daß ich vornehm und reich sei; vornehm und reich, mein Gott, wie schön ist das! … Und als ich nachher im Bette lag und vor der nächtlichen Kühle, die aus dem Garten in mein Zimmer drang, leicht zitterte, fragte ich mich, ob ich Pjotr Ssergejewitsch liebte oder nicht … Ich konnte mir darüber keine Rechenschaft geben und schlief schließlich ein.

Und als ich am nächsten Morgen auf meinem Bette die zitternden Sonnenflecke und die Schatten der Lindenzweige sah, lebte in meiner Erinnerung alles, was gestern vorgefallen war, von neuem auf. Das Leben erschien mir so reich, bunt und voller Reize. Ich kleidete mich, immer vor mich hinträllernd, an und lief in den Garten …

Was weiter kam? Nichts. Im Winter, als wir wieder in der Stadt wohnten, besuchte uns Pjotr Ssergejewitsch sehr selten. Leute, die man auf dem Lande kennen gelernt hat, haben nur im Sommer und auf dem Lande ihren Reiz; aber im Winter und in der Stadt verlieren sie die Hälfte ihrer Anziehungskraft. Wenn sie bei uns in der Stadt am Teetische sitzen, so scheint es uns immer, daß sie viel zu weite Röcke anhaben und ihren Tee viel zu lange umrühren. Pjotr Ssergejewitsch sprach auch in der Stadt zuweilen von seiner Liebe, es klang aber ganz anders als auf dem Lande. In der Stadt fühlten wir viel deutlicher die Mauer, die uns voneinander trennte: ich war reich und vornehm, und er arm, bürgerlicher Abstammung, Sohn eines Küsters und nur Hilfs-Untersuchungsrichter; wir beide, -- ich, weil ich jung war, und er, ich weiß nicht warum, -- hielten diese Mauer für stark und unüberwindlich. Wenn er uns in der Stadt besuchte, so lächelte er gezwungen und kritisierte die vornehme Welt, oder schwieg, wenn sonst jemand im Zimmer war. Es gibt keine Mauer, die man nicht durchbrechen kann, aber die Romanhelden von heute sind, soweit ich sie kenne, viel zu schüchtern, schwächlich, träge und ängstlich; sie finden sich viel zu leicht und viel zu schnell mit dem Gedanken ab, daß sie Pechvögel sind und daß das Leben sie betrogen hat; statt zu kämpfen, kritisieren sie alles, finden die ganze Welt banal und denken dabei gar nicht, daß auch ihre Kritik allmählich zu einer Banalität ausartet.

Ich wurde geliebt, das Glück war so nahe, daß ich es mit meiner Schulter berührte; ich lebte vergnügt in den Tag hinein und versuchte gar nicht, mir Rechenschaft darüber abzugeben, was ich von der Zukunft erwartete und vom Leben verlangte; und die Zeit ging dahin … Menschen zogen mit ihrer Liebe an mir vorbei, heitere Tage und warme Nächte lösten einander ab, Nachtigallen schlugen, das frisch gemähte Gras duftete, und all das Liebe, das mir in der Erinnerung später so erstaunlich erschien, glitt schnell, spurlos und von mir mißachtet vorüber und zerschmolz wie ein Nebel … Wo ist es nun alles geblieben?

Mein Vater starb, und ich wurde älter; alles, was mich bezauberte, was mich zärtlich umfing und mit Hoffnung erfüllte, ist zu einer bloßen Erinnerung geworden, und ich sehe nichts als eine gleichförmige, öde Steppe vor mir; in der Steppe ist keine Menschenseele, und am Horizont ist es so schrecklich und finster …

Da klingelt es wieder … Es ist Pjotr Ssergejewitsch. Wenn ich im Winter die Bäume sehe und daran denke, wie sie im Sommer für mich grünten, so flüstere ich:

»Ihr meine Lieben …«

Und wenn ich Menschen sehe, mit denen ich meinen Frühling verbracht habe, so wird mir traurig und warm ums Herz und ich flüstere dasselbe.

Pjotr Ssergejewitsch ist, dank der Verwendung meines Vaters, schon längst in die Stadt versetzt worden. Er ist etwas gealtert und abgemagert. Er macht mir keine Liebeserklärungen mehr, spricht keine Dummheiten, verachtet seine Amtstätigkeit, hat irgendein Leiden, ist vom Leben enttäuscht und lebt ohne jede Lust dahin. Er setzte sich an den Kamin und blickte schweigend ins Feuer. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und fragte:

»Nun, was gibt's?«

»Nichts besonderes …« erwiderte er.

Wir schwiegen beide wieder. Der rote Widerschein vom Kamin zitterte auf seinem traurigen Gesicht.

Und mir fiel wieder alles Vergangene ein, meine Schultern begannen zu beben, mein Kopf fiel auf die Brust und ich brach in Tränen aus. Ich fühlte tiefes Mitleid mit mir selbst und mit diesem Menschen, und ich sehnte mich so leidenschaftlich nach allem, was vergangen war, und was uns das Leben nicht mehr zu geben vermochte. Und ich dachte nicht mehr daran, daß ich reich und vornehm sei.

Ich schluchzte laut, preßte mir die Schläfen zusammen und flüsterte:

»Mein Gott, mein Gott, wie ist doch mein Leben zugrunde gerichtet …«

Und er saß schweigend da und sagte mir nicht: »Weinen Sie nicht.« Er fühlte, daß die Zeit gekommen war, wo man weinen mußte. Ich las es in seinen Augen, daß er mit mir Mitleid hatte; und auch er tat mir leid, und ich ärgerte mich zugleich über diesen schüchternen Unglücksmenschen, der weder mein noch sein Leben hatte einzurichten verstanden.

Als wir uns im Vorzimmer verabschiedeten, brauchte er auffallend viel Zeit, um seinen Pelzmantel anzuziehen. Er küßte mir zweimal stumm die Hand und sah mir lange in mein verweintes Gesicht. Ich glaube, daß er in diesen Augenblicken an das Gewitter, an die Regenstreifen, an unser Lachen und an mein Gesicht von damals dachte. Er wollte mir offenbar etwas sagen, sagte aber nichts, sondern schüttelte nur den Kopf und drückte mir fest die Hand. Gott mit ihm!

Nachdem ich ihn hinausbegleitet hatte, kehrte ich in mein Boudoir zurück und setzte mich auf den Teppich vor den Kamin. Die rote Kohlenglut war mit Asche überzogen und verglomm. Der Frost klopfte noch wütender an die Fensterscheiben, und der Wind im Schornstein sang sein Lied.

Das Dienstmädchen kam herein. Sie glaubte, daß ich eingeschlafen sei, und rief: »Gnädiges Fräulein …«


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