Ignaz Franz Castelli
Wiener Lebensbilder
Ignaz Franz Castelli

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I.
Die Hausmannskost.

»Kommen Sie doch einmahl zu mir, und nehmen Sie mit einem Löffel Suppe bey mir vorlieb!« so sagte schon öfters ein junger Mann zu mir, den ich nur einige Mahl im Kaffehhause und im Theater gesehen hatte, und der sich überall an mich drängte, ohne daß ich Lust empfand, seiner Einladung zu folgen und in nähere Verbindung mit ihm zu treten. Ich würde dir den Mann ein bischen näher beschreiben, mein lieber Leser, wenn er nicht gerade so ausgesehen hätte, wie du des Tages hunderte siehst, und wenn ich nicht fürchtete, seine Wirklichkeit zu beleidigen, indem ich ihn dir nach dem Scheine mahle. »Sie müssen zu mir kommen,« sprach er, »müssen meine Frau kennen lernen, eine Frau, wie die Welt nicht zehn aufzuweisen hat, und meine Kinder, ich soll's als Vater nicht sagen, aber solche Kindleins sind der wahre Segen Gottes. Sie müssen mein Hauswesen kennen lernen, ich bin einer der glücklichsten Hausväter, die es geben kann, und ein wahres Zugpflaster für junge Herren, die sich vor dem Ehestande scheuen. Geben Sie mir doch 2 einmahl die Ehre, lieber Freund, Sie werden ohne Ceremonien empfangen, und nur mit Hausmannskost vorlieb nehmen müssen, aber vergnügt werden Sie seyn, davon bin ich überzeugt.« –

Obwohl ich eben kein Feind von splendiden Tafeln und ausgesuchten Gerichten bin, so schlag' ich doch auch eine freundlich gebothene Hausmannskost nicht ab, besonders wenn ein Freund mich dazu bittet, bloß aus der Ursache, um ein freundschaftliches Wort mit mir zu wechseln. Es thut mir wohl, wenn ich manchmahl aus dem Gesurre und Gewirre der großen Welt heraus komme, und ein echt patriarchalisches Viertelstündchen verleben kann, und ein Glas alter Oesterreicher Wein mundet mir da besser als Bordeaux, Sauternes und Champagner an großen Tafeln, wo ich nichts höre, als von der gestrigen wälschen Oper sprechen, und nichts sehe, als lackirte Gesichter und verlarvte Menschen. Dieser Freund aber wollte mir weder zu Gesichte noch zu Herzen steh'n.

Gestern begegnete er mir wieder auf der Straße. Kaum erblickte er mich, so lief er auch schon auf mich zu, faßte mich unter dem Arm, und fragte. »Wohin, mein Werthester?« »Zum Mittagsmahle,« antwortete ich. »Schön, schön!« erwiederte er, »nun hab' ich Sie einmahl, nun laß' ich Sie auch nicht wieder los. Sie müssen bey mir Hausmannskost einnehmen.« Vergebens 3 nahm ich eine frühere Einladung zum Vorwande, mein zudringlicher Freund hörte die Entschuldigung nicht an. Was wollt' ich thun? Ich mußte ihm folgen, bey mir denkend: Versuch's! Der geschwätzige Mann hat vielleicht eine liebenswürdige Frau, wohlerzogene Kinder, und einen guten Tisch.

Wir kamen zum Hause. Es war in der Vorstadt; wir stiegen in das dritte Stockwerk hinauf. – Schon auf der Treppe hört' ich Kinder schreyen, sich balgen und weinen. »Ach!« rief mein Führer lachend, »hören Sie meine lieben, kleinen Jungen? Die Bursche haben schon Hunger, sie erwarten mich.« – »Nun,« dachte ich mir, »wenn die lieben, kleinen Jungen während des Essens solch einen Spectakel machen, das wird angenehm werden.«

Wir läuten an, eine hagere, blaßgelbe Frau öffnet uns, und fährt vor Erstaunen zurück, als sie mich gewahr wird. »Liebes Kind,« sprach mein Führer, »das ist Herr C., mein Freund, von dem ich schon so oft mit dir sprach, er will heute bey uns mit Hausmannskost vorlieb nehmen.« Das ohnedieß schon lange Gesicht der Frau verlängerte sich bey diesen Worten noch mehr, sie machte mir eine Verbeugung, die mehr einer Zuckung des Ärgers ähnlich sah, und dehnte die Worte: »Sehr erfreut –« so langsam, daß sie fast klangen wie: »hohl' dich der Henker!«

4 Es ist nichts unangenehmer, als wenn man bemerkt, daß man Leute genire, zu denen man noch dazu gegen seinen Willen gekommen ist. Ich wäre schon lieber zehn Meilen weit entfernt gewesen, aber mein neugebackener Freund sprach: »Lassen wir jetzt die Hausfrau ihre Zubereitungen machen,« und führte mich in ein Nebengemach, mir seine Wohnung zu zeigen. – »Ich besitze nicht viele Zimmer,« sagte der Zufriedene, »aber Alles bequem und reinlich.« Ich mußte mich bücken, um ins Cabinett zu gelangen, in welchem zwey kleine schmutzige Jungen das Unterste zu oberst gekehrt hatten. Alle Möbel und der ganze Fußboden waren mit Papierschnitzelchen, Bildern, Messern, Löffeln und Spielzeug aller Art bedeckt. »Es ist das einzige wahre Glück, Familienvater zu seyn,« sagte mein Wirth, indem er einen Sessel abräumte, um ihn mir anzubiethen. »He! Carl! Ludwig! macht dem fremden Herrn euer Compliment!« »Ich mag nicht,« sagte Carl, und der Vater zischelte mir in die Ohren: »Ein Teufelsjunge, er hat Charakter. – Gleich kommt her zu mir!« rief er etwas barscher. Die Kleinen lachten und kamen nicht. Der Papa nahm sie bey den Ohren, indem er mich versicherte, daß sie sehr gehorsam wären. – »Nun, Carl! hast du deine Lection gelernt? recitire mir deine Fabel.« Weinend murmelte der Jüngere zwischen den Zähnen: 5

»Um das Rhinoceros zu seh'n,
beschloß ich auszugeh'n,«

und lief wieder zu seinem Spielzeug zurück. »Recht brav,« sagte der Vater, »nun kommt die Reihe an dich, Ludwig. Ah, Sie werden sehen, der Bube ist ein Genie. Gedanken bringt er Ihnen vor, man muß erstaunen. Sage mir, Ludwig: welches ist das vorzüglichste Weltwunder?« »Eine Pastete,« antwortete der Knabe schnell und bestimmt. Der Vater lachte laut auf und sagte zu mir: »Nicht wahr, diese witzige Antwort hätten Sie nicht erwartet? Den Buben muß ich zur Diplomatik zu bringen suchen.«

Endlich macht die blasse Frau die Thüre auf, schreyt herein: »Zum Speisen!« und schlägt die Thüre gleich wieder unsanft hinter sich zu. »Essen, essen'« schreyen die Kinder, indem sie sich vor uns hinaus drängen; wir folgen, und der Papa placirt mich am Tische zwischen seinen zwey Sprößlingen, mich versichernd, daß sie mir während des Speisens tausend Spaß machen würden. Ein großer Pudel kratzt gleich mit den Füßen an mir, um von mir etwas zu erhalten, und ein Staar hüpft auf dem Tische herum; die Frau reicht mir eine weiße Serviette, indem die übrigen noch Kennzeichen frühern Gebrauches tragen. Mama servirt die Suppe, sie ist zu wenig gesalzen. Papa bemerkt dieß mit der artigen 6 Anmerkung. »Meine Julie ist gar nicht schlimm, darum salzt sie so wenig.« Da muß denn Frau Julie selbst vom Tische aufsteh'n um Salz zu hohlen, welches beym Tischdecken vergessen worden ist. Sie entschuldigt sich, daß ihr Stubenmädchen eben heute zu ihrer kranken Mutter gerufen worden sey, aber der kleine Carl ruft lächelnd. »Die Mama lügt, wir haben gar kein Stubenmädchen!« Da bekommt er mit dem Löffel einen Klaps auf die Finger, fängt an zu heulen, und wird erst dann wieder still, als ihm die Mama ein Stück Zuckerwerk herbey hohlt, welches er statt der Suppe verzehrt. »Sie müssen schon mit unserer magern Kost vorlieb nehmen,« spricht die Frau zu mir, indem sie mir den Soliteur vorlegt, welcher auf dem Gemüse in Gestalt einer Bratwurst lag, »ich habe nicht gewußt, daß wir einen Gast haben; denn mein Mann spielt mir immer solche Streiche.« Ich wurde roth bis hinter die Ohren. »Ey was!« sagte der Mann, »bey einem Freunde nimmt man's nicht so genau, Herr C. wird mit einem freundlichen Gesichte und Hausmannskost vorlieb nehmen.« Die Frau warf ihm einen grimmigen Blick zu.

Das hausmannsköstliche Diner bestand aus einer magern, aber durch Saffran sehr stark gefärbten Suppe, einigen Radischen und einem Stückchen Butter, welches so klein war, daß die Kinder immer vergebens um 7 Butterbrot schrien, dann folgte Rindfleisch, bey dem meine Augen vergebens ein Stückchen Fett suchten, hierauf erschien aufgewärmtes Sauerkraut mit jener allereinzigsten Bratwurst, und endlich noch eine Schüssel, in welcher ich nichts als Sauce gewahr wurde. »Das ist Hühner-Fricassee,« sagte mein liebenswürdiger Gastfreund, »das bereitet mein Weibchen comme il faut.« Ich war recht froh, zu vernehmen, was ich denn eigentlich esse; denn ich fand in dem Meer von Sauce nichts als einige Hühnerfüßchen. Mein Freund lud mich oft zum Trinken ein, versichernd, der Wein sey zwar nicht stark, aber echt und ganz unschädlich. Die letzte Eigenschaft glaubt' ich ihm gleich auf's Wort, denn der gutmüthige Rebensaft schmeckte so, als ob die hauswirthliche Frau Gemahlinn aus einer Bouteille zwey gemacht hätte.

Meine liebenswürdigen beyden kleinen Nachbarn incommodirten mich nicht wenig während des Essens. Carl schlenkerte immer unter dem Tische mit den Füßen und versetzte mir Stöße auf das Schienbein, und Ludwig wischte sich ganz ohne gêne die Hände an meinem Beinkleide ab. Jetzt aber erschien die Hauptcatastrophe der Familienfreuden: Carl wollte seinem Bruder ein Knöchelchen wegstibitzen, schlug dabey seinen eigenen Teller über den Tisch hinab, und die liebe fette Sauce ergoß sich über meinen neuen, blauen Frack. Die Mama, 8 anstatt sich mit mir zu beschäftigen, schlug nur ein Lamento über ihren zerbrochenen Teller auf; sie lief den Kleinen nach, um sie zu schlagen, diese aber retteten sich hinter den Sopha; der Papa stand auf um die Mama zu besänftigen, der Hund bellte, ich blieb allein am Tische sitzen, und der liebe Staar machte sich auf meinem Kopfe bequem, indem er mir in den Haaren herum pickte.

Endlich nahm mein Freund wieder seinen Platz ein, indem er lächelnd sagte: »Sehen Sie, Werthester, das ist so meine Unterhaltung, und da fühl' ich mich glücklicher in meinen vier Pfählen, als ein König in seinem Pallaste.« Er fragte, ob ich nach Tische Kaffeh zu nehmen gewohnt sey, es sey zwar keiner bereitet, aber er besitze eine Maschine, in welcher er binnen fünf Minuten fertig sey. Ich dankte ihm, indem ich sagte, der Kaffeh schade mir, ich hätte sehr viel gegessen, und die frische Luft sey mir jetzt das Nöthigste, weßwegen ich mich empfehlen müsse. – »Nun, so leben Sie wohl, mein Werthester!« sagte mein Freund, »auf baldiges Wiedersehen. Sie kennen nun den Weg zu mir, kennen meine Familie und wie man bey mir lebt. Wie es heute war, ist's alle Tage; ich hoffe, Sie werden noch recht oft mit Hausmannskost bey mir vorlieb nehmen.«

Ich weiß nicht mehr, was ich antwortete, sondern nur, daß ich schnell meinen Hut nahm, die Thüre suchte, fort lief, und – – ich laufe noch immer. 9


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