Carl Gustav Carus
Geheimnisvoll am lichten Tag
Carl Gustav Carus

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Von der Wirkung einzelner landschaftlicher Gegenstände auf das Gemüt

Es kann von diesen besonderen Gegenständen auf alle Weise nur dasselbe gelten, was von der Bedeutung des gesamten Naturlebens gesagt wurde, nämlich: daß auch sie wirken werden nach dem Sinne des Lebens, welches in ihnen sich offenbart; das Unorganisierte als erkältend, das sich Bildende als erregend, das Vollendete als beruhigend. Nehmen wir denn zum Beispiel die nackten Felsmassen des Erdkerns in ihrer rauhen Gestaltung, dem höhern organischen Leben noch nirgend Nahrung und Sicherung darbietend, so fühlen wir uns dabei sonderbar zurückgezogen, erhärtet. Verwittert der Fels, bilden sich auf ihm, unter Einwirkung von Luft und Wasser, Licht und Wärme die ersten Spuren der Vegetation in Erzeugung von Flechten und Moosen, so erzeigt sich, bei Erwägung neu hervorgehender Bildung, das Gefühl schon müder und erwärmter. Dasselbe gilt im Verhältnis von nacktem Sand und fruchtbarer Erde. Der Himmel hinwiederum in voller Klarheit, als Inbegriff von Luft und Licht, ist das eigentliche Bild der Unendlichkeit; und wie schon bemerkt wurde, daß das Gefühl in der Richtung auf das Unendliche seinem Wesen nach begründet sei, so deutet nun auch dieses Abbild die Stimmung eines von ihm überwölbten landschaftlichen Ganzen tief und mächtig an, ja, macht sich zum unerläßlichsten und herrlichsten Teil der Landschaft überhaupt. Wie daher durch Wolken, ja selbst durch hochaufgetürmte andere Gegenstände das Anschauen dieser Unendlichkeit mehr und mehr eingeengt und endlich gänzlich verhüllt wird, so regt dies auch im Gemüt mehr und mehr eine beklommene Stimmung an, wenn dagegen das Übergehen dieses Wolkenschleiers in lichte Silberwölkchen, das Zerteilen desselben durch des aufgehenden Mondes oder der Sonne ruhige Klarheit, die innere Trübheit verlöscht und zum Gedanken des Sieges eines Unendlichen über ein Endliches uns erhebt. Endlich das Wasser, als viertes Hauptelement des Naturlebens, inwiefern aus ihm alles Lebendige dieser Erde sich erschließt, in ihm die Unendlichkeit des Himmels sich widerspiegelt (recht eigentlich der Himmel auf Erden zu nennen), zieht uns mit doppelten Banden an, und wie es lebenstätig erbrandend und rauschend das Gefühl erregt und belebt, erweckt uns sein heiterer oder dunkler Spiegel das Gefühl unendlicher Sehnsucht. – Zwischen Wasser, Erd' und Himmel sodann erhebt sich in ungemessener Verschiedenheit die Welt der Vegetation, und auch hier folgt das Gefühl den Lebenszuständen, dem Sinne dieser Gegenstände, so daß eine, allen Boden überstrickende dichte Talvegetation alsbald das Gefühl des üppigsten sich erschließenden Lebens erregt, wenn dagegen in voller Umlaubung des erwachsenen Baumes die ruhige Betrachtung gern verweilt und der vergilbte oder abgestorbene Baum den Sinn zu schwermütiger Stimmung leitet. – Was nun aber belebte Geschöpfe betrifft, so sind diese zwar als solche der Landschaft fremd und entbehrlich, jedoch wirken sie, indem sie die Bedeutung der übrigen Gegenstände hervorheben, zur Verstärkung der Wirkung dieser letzteren im hohen Grade mit. Das scheue, in Waldesnacht einheimische Reh wird den Eindruck einer dunklen Baumgruppe schärfen, eine Reihe von Zugvögeln wird die Jahreszeit näher zur Anschauung bringen, ein schwebender Raubvogel die Gebirgsnatur lebendiger darstellen; ja, auch von menschlichen Gestalten gilt dasselbe, und nur in dieser Beziehung können sie in der Landschaft für zulässig erklärt werden. Der Jäger, im Morgennebel über Felsen klimmend, wird den Sinn der Landschaft klarer andeuten; eine einsame, in Betrachtung der stillen Gegend verlorene Gestalt wird den Beschauer des Bildes anregen, sich an dessen Stelle zu denken; der Pilger wird die Idee der Ferne, ja das Nichtzuermessende der Erdfläche uns zurückrufen; immer aber wird die Landschaft das belebte Geschöpf bestimmen, es wird aus ihr selbst notwendig hervorgehen und zu ihr gehören müssen, solange die Landschaft Landschaft bleiben will und soll.

Was nun die eigentliche landschaftliche Kunst betrifft, so setzt sie offenbar schon eine höhere Bildung und Erfahrung voraus. Es liegt eine gewisse Abstraktion und Selbstaufopferung darin, die Außenwelt, früher nur das Element für unsere Tätigkeit, auch an und für sich als etwas Schönes und Erhabenes gelten zu lassen; es liegt ein gewisser Grad philosophischer Ausbildung darin, einzusehen oder wenigstens zu ahnen, daß die gesamte Erscheinung der Natur die Offenbarung einer durchaus nicht menschlich zu vereinzelnden, sondern vielmehr den Sinnen unzugänglichen, unendlich erhabenen alleinigen Gottheit sei, demnach aber auch in dem Weltganzen überhaupt und in den uns wahrnehmbaren Teilen desselben insbesondere die hohe Schönheit an und für sich anzuerkennen und zum Ziele künstlerischer Nachbildung zu wählen. Kurz, es wird hier gefordert, daß der Mensch die egoistische Beziehung der ganzen Natur auf sich völlig aufgebe und eine reine Anschauung der Schönheit des Weltganzen in sich aufnehme. Nur aus diesem Sinne also (er mag nun als klares Bewußtsein oder bloß als dunkles Gefühl im Künstler leben) konnte die eigentliche Landschaftskunst hervorgehen. Der Mensch mußte die Göttlichkeit der Natur als der eigentlichen leiblichen Offenbarung, oder menschlich ausgedrückt, als der Sprache Gottes anerkennen, er mußte diese Sprache erlernen, er mußte in dem Sinne der Natur zu empfinden vermögen (denn auf eine tote Abformung kam es hierbei, wie das Beispiel vom Spiegelbilde zeigte, nicht an), damit er endlich in dieser Sprache (von Dichtern sagt man in dieser Beziehung sinnvoll: wie mit Engelszungen) das weltliche Evangelium der Kunst den Menschen verkünden könne.

Es kann daher schwerlich als Anfang wahrer Landschaftskunst betrachtet werden, wenn in einigen der alten Schriftsteller gemalte Prospekte von Städten und dergleichen erwähnt werden, denn es liegt im Sinne dieser Malerei, daß ihr menschliche Zwecke vorliegen, daß es ihr um kenntliche Darstellung eines für Geschichte oder Politik wichtigen Ortes zunächst zu tun ist, und sie kann nur dann zum wahren bedeutungsvollen Kunstwerke werden, wenn der Künstler von dem Sinne und Charakter, welcher sich in einer gewissen Gegend ausspricht, so durchdrungen wird, daß er in diesem Geiste ihre Formen gleichsam von neuem zu erschaffen vermag. Weshalb man denn auch bemerkt, daß oft diejenigen Bilder den Charakter einer Gegend am schönsten darstellen, in welchen der Künstler gar keiner an Ort und Stelle entworfenen Zeichnung folgte, sondern frei und treu aus seinem Geiste die Szene des Naturlebens, welches ihn ganz erfüllt hatte, wiedergab. – Es verhält sich daher die Prospektmalerei gerade wie die Porträtmalerei. Wie in der Sintflut von gewöhnlichen Familienporträten der Zweck bloß das Kenntlichmachen irgendeines Menschen ist, so daß ihr Interesse mit dem Menschen stirbt, so auch der Prospekt; und in beiden rächt sich das Vernachlässigen des Eindringens in hohe, echte Naturwahrheit, wenn hingegen ein Bild der Fornarina von Raffael oder die Nachbildung einer Küste von Sizilien von Claude Bilder sind, welche, solange sie dauern, den Schauenden begeistern werden, und zwar, ohne daß er zu wissen braucht, nach welchem Urbilde sie der Künstler erschuf. Eben dies ist der Grund, warum wir auch da uns nicht befriedigt fühlen, wo irgendeiner poetischen Idee, dem Aussprechen irgendeines an sich schönen und reinen Gefühls, die innere Naturwahrheit geopfert oder wenigstens nachgestellt wird. Es geschieht dies in einer Gattung von Kunstwerken, welche wir mit dem Namen der sentimentalen bezeichnen möchten, in welcher die Natur als Symbol, als Hieroglyphe nur geachtet wird und man genug getan zu haben glaubt, wenn die Objekte nur so weit kenntlich wurden, daß ihre symbolische Bedeutung empfunden werden kann. Nimm zum Beispiel die Landschaft, welche Heck in Sternbalds Wanderungen beschreibt, wo im engen Tale man einen Pilger zur Höhe hinwandeln sieht, wo im Mondenlicht das Kreuz einer Kirche schimmert. Wir sehen hier eine christlich-sittliche Idee ausgesprochen, welcher an sich wir unsere volle Zustimmung nicht versagen können; aber sollen wir das Bild wahrhaft lobenswert finden, so reicht diese Gesinnung nicht hin, es reicht nicht die reinliche, geschickte Darstellung und Anordnung hin, sondern es müßte das Ganze so unschuldig, so rein natürlich aufgefaßt sein, daß wir auch ganz abgesehen von jener Idee uns an der treu ausgesprochenen Szene dieses Naturlebens erfreuen könnten, ja daß ein Mensch, dem gerade ähnliche christliche Ideen völlig fremd wären, die Kühle des Tales, das Heimliche und Klare der Mondbeleuchtung, die Wahrheit des sich allmählich zur Höhe hinaufziehenden Weges freudig empfinden müßte. Denn es wird nun einmal hier gefordert, daß der Mensch sich in denselben Fall wie bei der Naturbeschauung versetzt finde, welche, je nachdem der Mensch ist, bald so, bald so und in jedem Sinne immer schön erscheinen kann; so daß ihm auf keine Weise irgend die individuelle Naturansicht eines andern aufgedrungen, sondern seine individuelle Freiheit der Ansicht ganz unbeschränkt gelassen wird. Faust ahnt in dem ihn umkreisenden Pudel das dämonische Wesen, dem Wagner ist er ein bloßer Hund, und beide haben in ihrem Sinne recht. – Aber gerade bei solchen Ideen nun fühlt sich der Künstler so leicht dazu verführt, die Naturwahrheit hintanzusetzen, er achtet die Natur an sich geringer, und hat er nach malerischen Regeln notdürftig so viel dargestellt, daß Tal, Mondschein und Kirche nur hinlänglich erkannt werden, so glaubt er die Brücke fertig zu haben, um den Beschauer in das Land der Ideen zu tragen, nicht bedenkend, ob er eine bloße Lattenbrücke, welche bei näherer Besichtigung als unstatthaft erkannt wird, gezimmert und als ungeschickten Architekten sich bewiesen habe. – Ein solches aber wäre die Behandlungsweise, welche ich mit dem Namen der sentimentalen Landschaftskunst als unzulänglich bezeichnen wollte, und so würden wir denn wiederum darauf geführt, daß, wie nur eine gesunde Seele in gesundem Körper den wahren Menschen macht, wie nur in gleichmäßiger Durchdringung von Vernunft und Natur das Weltall besteht, auch nur echte Harmonie, das ist vollkommene Vereinigung des Sinnigen und Wahren, das echte landschaftliche Kunstwerk bezeichne.

Hingeführt werde demnach der junge Landschaftsmaler auf Beachtung des Zusammenhanges, welcher notwendigerweise gewisse Gebirgsformen mit der innern Struktur ihrer Massen in Übereinstimmung setzt, und auf die Notwendigkeit, mit der wieder diese innere Struktur aus der Geschichte dieser Gebirge folgt, ferner auf die Notwendigkeit einer gewissen Vegetation für gewisse Standorte, auf den innern, durchaus regelmäßigen und gesetzmäßigen Bau des Vegetabils, auf die Umstände, welche die Entwicklung der Pflanze, des Baumes, des Strauches bald so, bald so modifizieren, auf die verschiedene Natur und die verschiedene Bewegung der Gewässer, aufgeklärt werde er über die eigentümlichen Gesetze der atmosphärischen Erscheinungen, die verschiedenartige Natur der Wolken, ihre Bildung und Auflösung, wie ihre Bewegung. Sind ihm aber so die tiefern Elemente der Erde, des Wassers, der Luft, wie sie die Grundlage der verschiedenen Erscheinungen des Erdlebens bilden, zugänglicher geworden, so mögen nun insbesondere die Lebenswirkungen des vierten und geistigsten Elementes, des Feuers, des Lichts, durch dessen Spannung er ja überhaupt allein zu sehen und zu bilden vermag, ihm erläutert werden; die Gesetze des Sehens, die verschiedenen Brechungen und Spiegelungen des Lichtes, die Entstehung der Farbe, die geheimnisvollen Gegensätze und Beziehungen der Farbe mögen ihm angedeutet werden, und so, wenn auch seine ganze Richtung kein erschöpfendes Eingehen in diese Mysterien gestattet, werde ihm wenigstens die Ahnung von dem Bedeutungsvollen der verschiedenen Seiten des Erdlebens, die er nachzubilden unternimmt, damit er ein solches Nachbilden bei aller Freudigkeit und Heiterkeit nicht unternehme ohne Ehrfurcht, ja, nicht ohne Andacht.

Es ist mir ganz außer Zweifel, wenn ein Künstler auf diese Weise zeichnet, so kann er nicht schlecht zeichnen. Ich habe davon die auffallendsten Beispiele gesehen; so sind mir Zeichnungen vorgekommen von Gebirgen, gezeichnet von Geognosten, welche, ohne irgend Künstler zu sein, die Notwendigkeit der Nachbildung einer gewissen merkwürdigen Gebirgsform empfanden, und diese Zeichnungen hatten so viel inneres Leben, so viel Charakteristisches, daß man einige technische Unbehilflichkeit gar nicht achtete und sie bei weitem vorziehen mußte andern ähnlichen Zeichnungen, von sehr routinierten Künstlern gegeben, aber ohne Ahnung von der eigentlichen Natur des dargestellten Gegenstandes, weshalb denn oft der bestimmter Empfindende eine Zeichnung der letztern Art ebensogut ihrer Behandlung nach für Darstellung eines Schwammes als für Darstellung eines Gebirges hätte nehmen können. Ebenso ist es mit den von Wissenden gegebenen Zeichnungen von Pflanzen und Tieren. – Ich weiß übrigens wohl, daß es auch unter Künstlern von jeher so fromme und treue Gemüter gegeben hat, daß ihnen, ihrem innersten Wesen nach, schon alles Nachzubildende so wichtig und heilig erschien, daß nichts übergangen, nichts naturwidrig und liederlich behandelt werden konnte; allein auch diesen werden dergleichen Belehrungen, wenn auch weniger notwendig, doch immer von Nutzen sein, denn der beste Wille hilft hier oft nicht, man muß wissen und erfahren; und erhalten wir die Resultate tüchtiger Forschungen und langer Erfahrungen, so werden wir, da wir ein Unendliches vor uns haben, uns immer gefördert empfinden.

Nur eins kann ich nicht umhin hierbei über die Art der Mitteilung solcher Belehrungen anzufügen, obwohl es für Dich kaum einer Erörterung hierüber noch bedarf, da Du schon empfunden hast, was ich meinte, wenn ich sagte: daß diese Mitteilungen geistreich und lebendig sein möchten. – Es gibt nämlich ein totes Wissen, ein Wissen des Buchstabens und nicht des Lebens, dies ist Meltau für die Künstlernatur; damit verschone man sie auf alle Weise! – Frei und in freier Natur müßte der junge Künstler auf die Stufen des Heiligtums der Isis geleitet werden, von dem Erfahrenen, dem Eingeweihten müßte er in klaren, ruhigen Stunden selbst aufgeklärt werden, und dann werden solchen Erkenntnissen die schönsten Früchte entsprießen.

Es ist in Wahrheit merkwürdig, daß bei dem bisherigen Unterricht in Landschaftsmalerei man die Notwendigkeit eines solchen naturwissenschaftlichen Teiles so ganz übersehen konnte, da man in anderen Zweigen bildender Kunst die Unerläßlichkeit des Zuziehens naturwissenschaftlicher Studien so bald einsah und zum Beispiel für die Darstellung menschlicher Gestalt recht gut gewahr wurde, wie große Aufklärung man von dem Studium des Gliedbaues menschlicher Gestalt, Beachtung ihrer Knochen- und Muskelbildung usw. für das richtige Auffassen und Wiederhervorbringen des Typus einer reinmenschlichen Form erwarten dürfe.

Soweit denn meine Betrachtungen über die Art und Weise, wie im allgemeinen die Bildung des Auges für richtige Naturerkenntnis im jungen Künstler von außen her wahrhaft gefördert werden könne.

Die Sprache der Natur soll also der Künstler reden lernen, und der Hörsaal, wo ein solcher Unterricht von ihm empfangen werden kann, ist nur die freie Natur selbst; Wald und Feld und Meer, Gebirg' und Fluß und Tal, deren Formen und Farben er nun unablässig, ja lebenslänglich studieren soll, wo des Lernens und Übens kein Ende sein kann, und wo wir sagen dürfen, wie im Divan steht:

»Daß Du nicht enden kannst,
Das macht Dich groß!«

Ist nun aber die Seele durchdrungen von dem inneren Sinne dieser verschiedenen Formen, ist ihr die Ahnung von dem geheimen göttlichen Leben der Natur hell aufgegangen, und hat die Hand die feste Darstellungsgabe sowie auch das Auge den reinen, scharfen Blick sich angebildet, ist endlich die Seele des Künstlers rein und durch und durch ein geheiligtes, freudiges Gefäß, den Lichtstrahl von oben aufzunehmen, dann werden Bilder vom Erdenleben einer neueren höheren Art, welche den Beschauer selbst zu höherer Naturbetrachtung heraufheben, und welche mystisch, orphisch in diesem Sinne zu nennen sind, entstehen müssen, und die Erdlebenbildkunst wird ihren Gipfel erreicht haben.


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