Carl Gustav Carus
Geheimnisvoll am lichten Tag
Carl Gustav Carus

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Nichts zuviel

Mit diesem Worte treten wir nun zuerst in den eigentlichen Bereich der Lebenskunst selbst; das Vorhergehende konnte nur die Vorbereitung zu derselben genannt werden. Das »Nichts zuviel« ist die erste Bedingung des Maßes und das rechte Maß wieder die erste Bedingung alles Organischen und aller Kunst, als welche beide nur dadurch, daß in ihnen jegliches Einzelne genau in das richtige Verhältnis zum anderen gestellt war, eine Idee irgendwie zu verwirklichen imstande sind. – Schon die größten Geister des Altertums daher, ein Plato und Aristoteles, erklärten eben aus diesem Grunde diesen delphischen Spruch für die wichtigste aller Lebensregeln, und so wird denn auch hier kein anderer nach so vielen Seiten hin zu erwägen sein, als dieses »Nichts zuviel«, dessen Anwendung nun auf die Leitung der verschiedenen Kreise der leiblichen Existenz ebenso wie auf die verschiedenen Richtungen geistigen und gemütlichen Lebens ausführlicher verfolgt werden muß, aus welchem allen dann als Resultat hervorgehen wird, daß schon die vollkommene Durchführung dieser einzigen Regel das Meiste und Ersprießlichste für Gestaltung eines reinen und schönen Lebens gewähren könne.

Nichts zuviel in der Ernährung

Wollte und könnte man alle Krankheiten, durch welche das leibliche Leben des Menschen so unendlich gequält und zerstört wird, ihrer Entstehung in einzelnen Fällen nach mit Sorgfalt zusammenstellen, so würde unbedingt die bei weitem größere Hälfte nur als aus Ursache des Nichteinhaltens obiger Regel hervorgegangen sich nachweisen lassen. Es ist merkwürdig genug, daß, wenn im Tiere das Maß der Ernährung, in seinem halb unbewußten Leben, meist mit großer Bestimmtheit festgestellt ist, der Mensch dagegen so selten mit Bewußtsein erkennt, wie weit eben seine Ernährung sich ausdehnen soll und darf. Nicht, als wenn im Tiere nicht auch bereits solche Überschreitungen vorkämen, denn insbesondere die dem Menschen näher gebrachten geben oft genug Beweise, daß, sobald durch eben diesen Kontakt das Instinktmäßige geschwächt war, nichts als ein abwehrendes Eingreifen von Seiten des Menschen das Tier hindern kann, Unmassen von Nahrung aufzunehmen und so sich krank zu machen oder geradezu umzubringen; im Naturzustande jedoch kommt dies schon deshalb nicht leicht vor, weil gerade seine Trägheit dann zum Schutzmittel des Geschöpfes wird, denn solange das Gefühl des Bedürfnisses es anreizt, übernimmt es wohl willig die Arbeit des Aufsuchens und Aufnehmens der Nahrung, ist aber dies Bedürfnis befriedigt und ist es nicht gerade der Trieb der Fortpflanzung, welcher zu einer neuen Lebensaufgabe wird, so pflegt eine träge Ruhe ihm meist alles zu werden, was es jetzt weiter verlangt.

Anders der Mensch! Er hat sich aus dem Aufnehmen der Nahrung eine eigene Form der Wollust geschaffen, welche er der Entwickelung seines Geschmackssinnes verdankt, und gerade diesem Sinne und der ihm angehörenden Lust opfert er nun nicht selten den größten Teil seines Glücks, d. i. seine Gesundheit.

Für jeden indes, der nicht völlig eingeweiht ist in die Mysterien unserer besonderen Lebensvorgänge und der Entstehung unserer Krankheiten, muß es allerdings beim ersten Blick einigermaßen seltsam erscheinen, daß hier die ungewöhnlich vermehrte Ernährung unseres Körpers etwas so Gefährliches genannt wird, während der Laie im Gegenteil glauben möchte, es könne ja dergleichen immer nur zum besonderen Vorteil des Ganzen gereichen. Offenbar wird es somit notwendig, vor allen Dingen hier etwas näher einzugehen in die Aufklärung solchen scheinbaren Widerspruchs und in die Entstehungsgeschichte unserer Krankheiten, denn erst wer die hier obschwebende Gefahr mit ganzer Deutlichkeit erkennt und versteht, läßt nun auch hoffen, daß er mit desto größerer Konsequenz und um so entschiedenerem Ernste überall daran denken werde, ihr sich zu entziehen und gegen ihr Drohen sich zu schüren. Und so ist denn hier zuerst deutlich zu machen, wie alles und jedes Kranksein, dem der wunderbare Bau des Menschen, abgesehen von Verletzungen und mechanischen Schädigungen, unterliegen kann, in dreifacher Form ihn zu erfassen vermag: und diese drei Formen heißen Fieber, Entzündung und Verbildung. Von diesen dreien muß es aber jedem unmittelbar einleuchten, daß die ersten beiden unbedingt und die letztere Form zum großen Teil (inwiefern die Verbildung am häufigsten in krankhafter Zunahme besteht) durch widernatürliches Anhäufen von Stoffen verursacht werden wird, und daß schon insofern es auf der Hand liege, daß jedes zu große Ansammeln von Bildungsmaterial leicht entweder Fieber oder Entzündung oder Schwellung und sonstige Wucherungen bewirken werde; alles Vorgänge, welche, weil an sich dem Leben feindlich, zulegt wieder gar wohl mit Zerstörung endigen können. Dies alles ist denn so wahr, daß mehrfältig bei genauen, lange fortgesetzten Wägungen eines Menschen es sich als Regel bewies, daß, sobald, auch bei einer und derselben Nahrung, der Körper plötzlich anfing zuzunehmen und schwerer zu werden, gewöhnlich unmittelbar ein Erkranken bevorstand. Rufen wir uns hierbei das früher Gesagte zurück, von dem Illusorischen in der Erscheinung des lebenden Körpers überhaupt, wie er zwar als ein wirkliches Ganzes und Unveränderliches eine Zeitlang erscheine und doch eigentlich durchaus nur ein im steten Wechsel von Zerstörung und Wiederbildung schwankendes Phänomen sei, so werden wir jetzt leichter begreifen, warum die Gefahr des Erkrankens unfehlbar näherliegen müsse bei zu reichlichem Aufnehmen nährender Stoffe als bei einem zu geringen; da im ersteren Falle es immer die Frage bleibt, ob diejenigen Gebilde, welche das zum Erhalten des Gleichgewichts nötige Ausscheiden bewirken sollen, hierzu, wohl auch hinlänglich befähigt sein möchten, während im andern Falle man hiervon im voraus überzeugt sein kann und folglich auch Stockungen um so weniger befürchtet werden dürfen. Will man sich übrigens noch der wichtigen und schwierigen Vorgänge erinnern, wodurch alle aufgenommene Nahrung erst zum wahren Eigentum des Körpers wird, der merkwürdigen Apparate und Tätigkeiten der Verdauung, der hierzu nötigen eigentümlichen Absonderungen und der fernerhin unerläßlichen Organe für Übergang verdauter Stoffe in den Blutkreislauf, so erhält man um so mehr zugleich die Überzeugung, wie leicht ein so außerordentlich Künstliches an und für sich der Gefahr von Störungen ausgesetzt sein müsse, so daß man jetzt vollständig einsehen wird, wie allemal, wenn diese Gefahr nun noch durch irgendeinen Überfluß von Bildungsmaterial gesteigert wurde, hier sogleich alles dazu vorbereitet sei, um ein ganzes Heer von Krankheiten eindringen zu lassen. Da es nun aber jedenfalls eine der ersten Früchte echter Lebenskunst genannt werden muß, uns möglichst gegen alles Krankwerden zu schüren und sicherzustellen, und da jetzt ganz deutlich sein wird, wie sehr eine treue Befolgung jenes »Nichts zuviel« gerade hier wichtig werde, so wird es nun ganz an der Zeit sein, von solchen allgemeinen Betrachtungen gegenwärtig mehr auf Einzelnes und besonders Wichtiges einzulenken.

Vor allem merkwürdig tritt uns denn hier entgegen die Bedeutung des Fastens, welches bei den meisten Völkern seit alter Zeit als ein Teil der zum religiösen Kultus gehörigen Gebräuche sich eingeführt fand. Einesteils nämlich hatte sich da zeitig schon die Überzeugung Bahn gebrochen, es sei der Mensch nach Vollgenuß schwerer Nahrung als weniger befähigt zu betrachten für erhabene Stimmung und klare Erkenntnis, und andernteils erkannten Gesetzgeber und Priester bald, es gebe kein besseres Mittel, sowohl das Tierische im Menschen zu bezähmen, als auch ihn für Höheres empfänglich zu machen, zugleich aber ihn gegen alle Folgen der Unmäßigkeit und überhaupt gegen Krankheiten zu schüren, als geeignete Beschränkung seiner Ernährung, gleichsam als Haltepunkte im Gange derselben; welches alles dann natürlich am besten in der Form erreicht zu werden pflegte, daß dergleichen Vorschriften rein als Aussprüche des göttlichen Willens den Völkern verkündet wurden.

Es wäre somit jedenfalls eine dankenswerte, aber sehr umfängliche Arbeit, einmal alle die Anordnungen sowohl für wirkliches, zeitweise bestimmtes Vermeiden jeder Nahrung, als auch alle besonderen diätetischen Vorschriften für Beschränkung und gänzliches Verbieten gewisser Nahrungsmittel in verschiedenen Völkern und Zeiten genau aufzusuchen und zusammenzustellen, dann aber, soviel als möglich, die Gründe aus Physiologie und Medizin genauer anzugeben, weshalb wohl das eine oder das andere geboten oder verboten wurde, wobei sich dann gewöhnlich, sobald man auf den Grund ginge, finden würde, daß meistens hier sehr verständige und tief aus der Natur der Völker und Klimate genommene Rücksichten sich nachweisen ließen. Es kann hier der Ort natürlich nicht sein, auf etwas der Art ausführlich einzugehen, allein ich darf noch nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, wie z. B. bei den Israeliten namentlich das Verbot des Schweinefleisches schon in bezug auf vielen Fettgenuß eine ganz gute Begründung fand in einem südlichen Volke, welches solche stickstofflose, vermöge ihres starken Gehalts an Kohlenstoff sich mehr für kalte Klimate eignende Nahrung allemal besser vermeiden wird, während bekanntlich Polarvölker Tran und Robbenfett mit Nutzen massenweise verbrauchen. Ähnlich das Verbot alles Fleischgenusses bei den Hindu-Völkern, denen in ihrer feucht-heißen Luft die Fleischkost gewiß leichter als Milch- und Pflanzennahrung Wüstigkeit und Faulfieber gebracht haben würde. Und ganz verwandte Gründe lassen sich denn auch nachweisen für Mohammeds Verbot des Weines bei seinen arabischen Stämmen; Volker, die, an und für sich an Mäßigkeit und geringe Nahrungsquantitäten gewöhnt, durch spirituose Reizmittel notwendig noch leichter als andere zu Ausschweifung und Unordnung aller Art gebracht werden mußten. Eine neue und höhere Richtung nahm dagegen, wie so vieles, auch das Fasten in der christlichen Zeit, indem hier das, was schon bei den Israeliten in den mancherlei Vorschriften über Nahrungsmittel (so z. B. des ungesäuerten Brotes) nach seiner Beziehung auf Geistesstimmung angedeutet war, entschiedener hervortrat und sich betätigte, freilich dann auch wieder (so in den ganz strengen Fastenvorschriften einzelner Mönchsorden) nicht selten bis zum schädlichen Exzeß ausgedehnt wurde; wie denn selbst noch jetzt vielfältig in katholischen Ländern hinsichtlich des Fastens an einzelnen Tagen und Wochen darin arge Mißverständnisse und Verkehrtheiten vorkommen, daß, anstatt dergleichen Tage überhaupt durch eine geringe Nahrungsaufnahme auszuzeichnen, man sich nur den Fleischgenuß versagt, um dagegen mit Fisch-, Mehl- und Eierspeisen sich zu überladen. Was unsere Aufgabe betrifft, so möchte nun zunächst die physiologische Bedeutung einer periodischen Nahrungsenthaltung etwas deutlicher hervorgehoben werden; denn wer nur einigermaßen fähig ist, das »Nichts zuviel« gerade in dergleichen ordentlich zu begreifen, wird gewiß, um sich selbst vor Schaden zu hüten, auch eben hiernach seine Maßregeln zu nehmen wissen. Zu wünschen wäre dann freilich zunächst, daß von dem merkwürdigen Vorgange dessen, was wir die Verdauung nennen, in weiteren Kreisen klarere Begriffe verbreitet wären, als sie bei den meisten gefunden werden. Trifft man doch z. B. noch häufig auf die Vorstellung (absurdere zu geschweigen), als handle es sich hier um einen reinen, kurz abgemachten Auflösungsprozeß (wie etwa Kupfer in Scheidewasser sich löst), während dagegen bei diesem Vorgange doch wesentlich nur, unter katalytischer Einwirkung gewisser Absonderungen, die Rückbildung aufgenommener Nahrungsmittel in eine ihrem Urstoffe ähnliche Substanz stattfindet; eine Rückbildung, durch welche pflanzliche sowohl als tierische Körper in jene halb- und endlich ganzflüssigen eistoffigen Elemente umgewandelt werden, aus welchen sie zuerst bei ihrer organischen Entwickelung sich hervorgebildet hatten. Natürlich erklärt es sich nun auch erst von hieraus vollständig, warum ein solcher Vorgang nur allmählich und in einer bestimmten längeren Zeitdauer durchzuführen ist, und so hat man denn gegenwärtig durch Benutzung physiologischer Experimente an Tieren und Beobachtung pathologischer Zustände an Menschen nun auch so genaue Kenntnis von all diesen Prozessen erhalten und es selbst dahin gebracht, ziemlich genaue Tabellen entwerfen zu können über die Zeit, deren die einzelnen Nahrungsstoffe bedürfen, um in jenen urflüssigen Zustand zurückverwandelt oder, mit anderen Worten, verdaut zu werden. Es ergibt sich hierbei, daß diese Zeitdauer, je nachdem der Stoff ein leicht löslicher oder schwer löslicher und sehr heterogener ist, eine sehr verschiedene sein und von 10 und 20 Minuten bis zu 10 und 20 Stunden und mehr sich ausdehnen kann, so daß nun schon hierdurch es klar wird, wie nur eine sehr geregelte Zeit in Aufeinanderfolge der Aufnahme von Nahrungsmitteln, bei einer zugleich ebenso gehörig abgemessenen Menge derselben, imstande sein kann, denjenigen gesunden Zustand des Organismus zu erhalten, aus welchem jenes Gefühl von Wohlsein hervorgeht, in dem dann die erste Bedingung aller höheren körperlichen und geistigen Tätigkeiten begründet bleibt.

Erst nach diesen Vorbegriffen wird es demnach auch im einzelnen vollkommen verständlich, warum jedenfalls es der Erhaltung des kostbaren Gutes der Gesundheit im hohen Grade förderlich sein müsse, wenn nicht in wenig unterbrochener Weise größere Quantitäten von Nahrung eingeführt, sondern dabei stets gewisse Pausen eingehalten werden, welche je nach den Umständen bald längere, bald kürzere sein müssen, allemal aber dann wohltätige Ruhepunkte gewähren, während denen der Leib einesteils Zeit behält, alle nun wieder sich auflösende und zum Abwerfen geeignete Stoffe loszuwerden, andernteils aber Säfte und Kräfte zu sammeln, um, wenn nun wieder neue Nahrungsaufnahme stattfindet, diese um so regelmäßiger und erfolgreicher für sich zu verarbeiten. Darf man nämlich überhaupt jenes das Wesen der Verdauung ausmachende Rückführen der Nahrungsstoffe in ihren Urzustand eine Art umgekehrter Gärung nennen, und weiß man, daß keine Gärung, wenn sie unterbrochen und gestört wird, zu den gewünschten Resultaten führen kann, so wird es sofort vollkommen einleuchten, daß es immer nur eine schlechte Verdauung geben muß, wenn, indem irgendeine aufgenommene Speise eben diesen Prozeß erleiden soll, derselbe durch neu aufgenommene Nahrung ganz gehemmt oder wenigstens wesentlich gestört wurde. – Schon im Orient daher, wo von jeher soviel Weisheit ihre erste Quelle hatte, haben deshalb erfahrene Ärzte die Schädlichkeit fort und fort gehäufter Nahrungsaufnahme gepredigt, und so hatte ich bereits in jener früheren Vorlesung über Lebenskunst folgenden hübschen Ausspruch solchen Arztes angeführt, den ich hier zu wiederholen nicht umhin kann:Er findet sich in einer Geschichte arabischer Ärzte: Extrait de l'ouvrage arabe d'Ibn Aby Ossaibi'ah sur l'histoire des Médecins. Traduction française accompagnée des notes par M. I. Dr. B. Sanguinetti. Journal Asiatique 1855. No. 22.

»Als einst der Kalif Cosroes den berühmten Arzt Harith fragte: ›Welches ist die Basis aller Kunst, Krankheiten zu heilen?‹, antwortete dieser: ›Alazm.‹ – ›Was bedeutet Alazm?‹ fragte Cosroes. – ›Es bedeutet die Lippen zu schließen (d. h. zu fasten) und den Gliedern Ruhe zu gönnen.‹ – ›Du hast recht gesagt‹, antwortete der Kalif, ›aber welches ist das schwerste Übel?‹ – Da antwortete Harith: ›Die Aufnahme der Nahrungsmittel, immer die einen über die anderen, denn das ist, was die menschlichen Geschöpfe zugrunde richtet und was die Löwen selbst zerstört im Schoße der Wüste.‹«

Und so sagt man auch, daß es in türkischen Stämmen in der Regel zum Tischgebet gehöre, nicht bloß um Verleihen der nötigen Nahrung zu flehen und für deren Genuß zu danken, sondern zugleich darum zu bitten, daß es auch an angemessenem Fortschaffen der täglich wieder in unserem Körper zerfallenden Substanz und sämtlicher Nahrungsüberreste nie fehle, als worin denn abermals ein naives Naturgefühl von dem notwendigen steten Stoffwechsel des Organismus sich ausspricht.

Überhaupt muß es zugegeben werden, daß es an Ermahnungen und Vorschriften zum Vermeiden des »Zuviel« in der Nahrungsaufnahme nie gefehlt habe, daß indes freilich die tausendfältige Wiederholung derselben durch Ärzte und Lehrer auch gar sehr dahin deutet, daß das Sündigen gerade gegen diese Vorschriften zu den häufigsten Vergehungen gehört, welche die Menschen sich gegen ihre Gesundheit zuschulden kommen lassen. Es ist daher nicht mehr als konsequent, wenn Herr Flourens sein hübsches kleines BuchP. Flourens, De la Longévité humaine et de la Quantité de vie sur le Globe. Paris 1855. gleich mit dem Beispiele des Luigi Cornaro eröffnet, welcher bekanntlich im 35. Jahre seine Gesundheit durch ein üppiges Leben dergestalt ruiniert hatte, daß seine Ärzte ihm das Leben absprachen, von da an aber dann mit der skrupulösesten Regelmäßigkeit seine ganze Lebensweise und namentlich seine Ernährung abwog und dadurch es erreichte, daß er noch hundertundfünf Jahre alt wurde und diesen Sieg einer weisen Diätetik im dreiundachtzigsten Jahre durch eine eigne Schrift feierte, worin er unter anderen seine Landsleute auf folgende Weise apostrophiert, welche freilich auch auf andere Nationen vielfältige Anwendung gestattet:

»O unglückliches Italien! Bemerkst du nicht, wie dir die Schlemmerei jedes Jahr mehr Einwohner raubt, als Pest, Krieg und Hunger verwüsten könnten? Deine wahren Geiseln sind die fortwährenden Feste, welche so übermäßig sind, daß die Tische nicht ausreichen wollen, die Speisen zu stellen und man Braten und Früchte in Pyramiden aufstapeln muß, um ihnen Platz zu schaffen. Welcher Wahnsinn, welche Torheit! Entfernt diesen Tod aus eurer Mitte und diese Pest, einst unbekannt unsern Vätern!« – Außerdem verfehlt er auch nicht, auf gut italienisch phrasenreich seine eigene Gesundheit herauszustreichen, indem er das Bild eines hohen, glücklichen Alters zeichnet: »Sie mögen kommen und sich wundern über mein Wohlbefinden«, sagt er, »wie ich ohne Hilfe zu Pferde steige, Treppen und Hügel hinauflaufe, wie ich lustig, amüsant und zufrieden bin, wie frei von Gemütssorgen und widerwärtigen Gedanken. ... Mein Umgang sind weise, gelehrte und ausgezeichnete Leute von Stand, und wenn diese nicht bei mir sind, lese und schreibe ich. Von diesen Dingen tue ich jedes zu seiner Zeit, bequem, in meiner schönen Behausung, welche in der besten Gegend Paduas gelegen und mit allen Mitteln der Baukunst auf Sommer und Winter eingerichtet, auch mit Gärten am fließenden Wasser versehen ist. Im Frühling und Herbst gehe ich für einige Tage auf meinen Hügel in der schönsten Lage der Euganeen; da mache ich wohl eine leichte, vergnügliche Jagd mit, wie sie für mein Alter paßt. Einige Zeit bringe ich dann in meiner schönen Villa in der Ebene zu. ... Im Frühling und Herbst besuche ich die nahen Städte, sehe und spreche meine Freunde. ... Und damit der Fülle meines Alters kein Trost fehle, sehe ich eine Art leiblicher Unsterblichkeit in Gestalt meiner Nachkommenschaft vor Augen. Wenn ich nach Hause komme, habe ich nicht einen oder zwei, sondern elf Enkel vor mir, zwischen zwei und achtzehn Jahren, alle kerngesund, voll Talent und Neigung (soviel bis jetzt zu sehen) für Bildung und gute Sitten.«

Gehen wir aber jetzt näher ein auf den diätetischen Teil der Lebenskunst, so ergibt sich bald, daß die größte Schwierigkeit hier, wie bei so vielen Dingen, stets darin liegt: »auf die rechte Weise zu individualisieren.« – Und auf welche ungeheure Verschiedenheit stößt man hier schon beim ersten Überblick! – Messe man nur ab gegeneinander: das Nahrungsbedürfnis der verschiedenen Alter, der besonderen Konstitutionen und Beschäftigungen, der Menschen verschiedener Klimate und Wohnstätten, und wie höchst verschiedenartig werden da jedesmal die Verhältnisse sich ergeben! – Da es indes unmöglich ist, im voraus für jede besondere Persönlichkeit in dieser Beziehung allgemeingültige Regeln zu geben, so bleibt nichts anderes übrig, als in einer gewissen Reihe ähnlicher Individuen je nach dem ungefähren Quantum des täglichen Sichaufreibens, möglichst der Wahrheit sich annähernd, die Quantität der Stoffe zu bestimmen, durch welche, sei es nun in fester oder flüssiger Form, dieses Quantum wieder ersetzt werden muß; wo sich dann freilich finden wird, daß die für gewöhnlich eingeführte Nahrungsmenge der meisten Menschen jenes Quantum bei weitem übersteige, folglich eben dadurch auch reichliche Gelegenheit gebe, durch eine so veranlaßte Störung des organischen Gleichgewichts Krankheiten, wenn auch nicht direkt zu erzeugen, doch jedenfalls mannigfaltig vorzubereiten. Natürlich ist nun überdies nicht gleichgültig, durch welche Stoffe und in welcher Form eben jenes Quantum verlorengegangener und ausgeschiedener Substanzen wiederersetzt werde, und auch da muß nun die Wahl je nach der Art von Eigentümlichkeit, welche eben ins Auge gefaßt wird, sorgfältig getroffen werden, indem auch darin, daß von keinem einzelnen »zuviel« aufgenommen wird, ein großes Moment der Gesundheitserhaltungskunde, als dem ersten und wesentlichsten Teile der Lebenskunst, sich begründet.

Gewiß wird nun jeder, in dem irgendein ernster Wille lebt, sein Leben zu etwas Höherem zu verwerten, und zu dem Endzweck zuerst das Mittel hierzu, d. i. seine Gesundheit, zu erhalten, sobald er nach Obigem sich von der Bedeutung dieses »Nichts zuviel« recht durchdrungen hat, nun auch bald die Art ausfindig machen, wie eine solche goldene Regel gerade für ihn in der Ausführung sich zu gestalten habe. Eben für Dinge dieser Art gibt es in jeder nicht sehr verdorbenen Natur noch immer einen sichern Maßstab, wenn auch nur in der Form eines dunklen Gefühls, aber er muß freilich beachtet werden, dieser Maßstab, und das Gemeingefühl muß richtig aufgefaßt und in der rechten Weise in bestimmten Formen verdeutlicht werden, und wenn dann Verwöhnungen an bloß erkünstelte Genüsse überall möglichst vermieden bleiben, werden auch Irrungen hierin immer höchst selten vorkommen. Freilich diejenige Einfachheit, wie sie das kleine Kind zeigt, dem die Brust der Mutter oder Amme alle Bedürfnisse befriedigt und dem meist regelmäßig der Schlaf kommt, wenn der Punkt der Sättigung eintritt, diese verliert sich späterhin mehr und mehr, aber wenn sie nur übergeht in ein gewisses Achten auf sich selbst, auf das, was der Körper als Ersatz des täglich Abgeworfenen bedarf, so wird unschwer die rechte Mittelstraße auch hier gefunden werden, wobei natürlich im Übergange vom kleinen Kinde zum Erwachsenen zuerst das Eingreifen von Eltern und Erziehern zurechtweisend einzutreten hat, da es immer Zeit braucht, bis das verlorene sichere Unbewußte einem genügenden Grade des »Erkenne-dich-selbst« Platz macht.

Es scheint nun hier zunächst wichtig und lehrreich, etwas länger bei den Folgen zu verweilen, welche das Überschreiten desjenigen Maßes der Nahrung, welches in dem »Nichts zuviel« ausgedrückt ist, in verschiedenen Konstitutionen und Altern herbeiführen kann und oft genug wirklich herbeiführt. Daß es am gewöhnlichsten die Organe der Verdauung sind, welche dabei für solche Vergehungen leiden müssen, versteht sich von selbst, und alle die vielfach verschiedenen, oft so gefährlichen Krankheiten des Magens und Darmkanals, welche Diätfehlern so häufig folgen, werden daher meist zur ersten Geisel der Sünde gegen das delphische Gebot. Schwerer aber fast noch, und besonders von größtem Einflüsse auf seelisches Leben, pflegt diejenige Einwirkung zu sein, welche zwar erst später eintritt, dann aber sofort ein krankhaftes Verhältnis des Blutlebens herbeiführt, wodurch nach und nach die Harmonie aller Lebensfunktionen untergraben und zulegt, auf langsamere, aber nicht minder sichere Weise, ein allgemeines Verderben herbeigeführt wird. – Es sind dies Zustände, welche namentlich in höheren Jahren, wo die Energie und Widerstandskräfte im ganzen sich allemal vermindern, demjenigen Organismus drohen, der seit längerer Zeit dem »Nichts zuviel« keine Rechnung getragen hatte. Entschieden sehen wir daher z. B. bei Südländern, wo eine größere Beschränkung der Nahrung schon in der ganzen Natur der Bevölkerung liegt und Unmäßigkeit im ganzen zu den seltenern Fehlern gehört, in der Regel weit mehr Greise mit vollen, frischen Geisteskräften als unter den Bewohnern nördlicher Gegenden, wo so sehr häufig Fettleibigkeit, Wassersuchten, dumpfe Seelenzustände, Schlagflüsse und Lähmungen die höheren Jahre belästigen und abkürzen; Zustände, welche zumal da, wo übermäßiges Biertrinken zur Gewohnheit wurde (wie in vielen Orten deutscher Lande), nur zu häufig beobachtet werden. Alle diese Leiden aber entwickeln sich in den meisten Fällen nur dadurch, daß bei Eintritt einer verhältnismäßig zu großen Menge nährender Stoffe, zuvörderst ins Lymph- und dann ins Venensystem und in die allgemeine Blutmasse, wieder zuerst der Pfortaderkreislauf gestört wird, die großen Absonderungen von Leber und Nieren Unordnungen erfahren und von da aus endlich selbst Herz- und Hirnfunktionen abnorm werden. Auf diese Weise kommen hier insbesondere alle jene in ihren Formen ins Unendliche variierenden Krankheitskomplikationen zustande, gegen welche jährlich Tausende an den Quellen von Karlsbad, Kissingen, Marienbad usw. Hilfe suchen, aber auch dort nur dann sie nachhaltig finden, wenn eine vorsichtige, jedes »Zuviel« streng vermeidende Diät, nicht bloß die Kur selbst unterstützt, sondern auch nach derselben in einer neuen Lebensordnung pünktlich beobachtet wird. Es ist wirklich unglaublich, wieviel verschiedene Gestalten dann eine solche krankhafte Ernährung, sogar bei einer Menge an und für sich keineswegs zu groben Exzessen geneigter Persönlichkeiten annimmt, wieviel hier teils aus Unachtsamkeit und Mangel an jeder Kenntnis über die langsamen und doch oft so schweren Folgen dieser Fehler, teils auch nur aus alter Gewohnheit, gegen die Gesundheit gesündigt wird, und wenn es mir gelänge, nur hierauf eine irgend namhafte Anzahl intelligenter Personen aufmerksam gemacht zu haben und sie dadurch gegen so viele ihnen drohende Leiden sicherzustellen, so würde ich schon darin eine würdige Belohnung dieser Arbeit finden.

Übrigens möge man sich in diesen Betrachtungen ja nicht dadurch irremachen lassen, daß in der neuesten Zeit eine gewisse Unvollkommenheit des Blutlebens, die wir als Blutarmut oder anämischen Zustand bezeichnen, so sehr, und namentlich im jugendlichen Alter, sich verbreitet hat, indem man etwa darauf schließen möchte, daß ja somit die Generation eben an einer zu geringen Ernährung leide und also eine verstärkte Nahrungsaufnahme vollkommen indiziert sei. Der tiefer blickende Arzt überzeugt sich nämlich im Gegenteil bald, daß einesteils diese verkümmerten Zustände heranwachsender Menschheit oftmals rein der krankhaften Beschaffenheit der Erzeuger angehören, indem Eltern mit kranken Unterleibsorganen, Leber- und Milzstockungen, Drüsenleiden und anderen Folgen vernachlässigter Diät und üppigen Lebens sehr gewöhnlich Kinder in die Welt setzen, welche, weil sie Anlage zu schlechter Verarbeitung aufgenommener Nahrung bereits mitbringen, nun nicht imstande sind, eine gesunde Blutbildung zu entwickeln; oder andernteils muß er sich sagen, daß entweder sonstige mitgebrachte und forterbende Krankheitsanlagen (wohin insbesondere Verschleppung syphilitischer Übel und skrofulöse Zustände gehören) sowie Überladung des Kindes mit geistigen Anstrengungen und vorzeitige Aufregungen der Phantasie nebst Mangel an Luft und Bewegung die schlechte Blutreinigung begründeten. Es zeigt sich aber auch, daß, wenn wir einen solchen Blutmangel dann geradezu mit rücksichtsloser Einführung ungewöhnlicher Mengen von Nahrungsstoff begegnen wollen, oft nur desto größere Zerrüttungen des Organismus veranlaßt werden, dergestalt, daß auch hier Ausgleichung der inneren kranken Verhältnisse die erste Aufgabe ärztlichen Handelns wird, mit welcher sodann allerdings eine vorsichtig geleitete Förderung der Ernährung selbst, durch kräftige, insbesondere stickstoffhaltige Nahrungsmittel, Hand in Hand gehen muß.

Indem nun aus allem Vorhergehenden die Wichtigkeit einer vorsichtig geordneten Aufnahme der Nahrungsstoffe im allgemeinen sattsam sich ergeben wird, kann ich nicht umhin, hier noch über Zeit und Wahl dieser Stoffe einiges im speziellen hinzuzufügen und zunächst die Verschiedenheiten anzudeuten, welche eintreten müssen in bezug auf verschiedenes Alter und verschiedene Konstitution. Gleich hinsichtlich des ersteren ist aber jedenfalls der Unterschied sehr mächtig. Wenn der Säugling sich am besten befindet, wenn er während seines Wachseins etwa alle zwei Stunden die nährende Milch saugt, und auch dem heranwachsenden Kinde kleinere Quantitäten Nahrung, 5-6mal des Tages gereicht, am meisten zusagen, dieweil hier überhaupt die Substanz des Körpers schnell sich umsetzt und der Magen rasch verdaut, so sind dagegen dem alternden Körper die gerade umgekehrten Verhältnisse gewiß überall die angemessensten. Hier, wo jene zersetzende, gegen die Urstoffe rückbildende Gärung, welche wir »Verdauen« nennen, um so viel langsamer vonstatten geht und auch die fortwährende Zersetzung des Organismus selbst einen so viel trägeren Gang nimmt, wird es allerdings immer am besten sein, wenn im Durchschnitt, außer einem einfachen Morgenimbiß, der Mensch nach den fünfziger Jahren nur eine einzige Mahlzeit hält und dabei das Quantum von Nahrungsstoff dem Körper übergibt, welches eben mit dem in 24 Stunden erlittenen Substanzverlust am nächsten übereinstimmt; denn wenn so einerseits das platonische Wort: »Der Leib hört nie auf, unterzugehen« am ungestörtesten sich erfüllen kann, so wird auch andererseits am besten dafür gesorgt sein, daß die unausgesetzt geforderte Wiederherstellung und Ersetzung des Leibes auf diese Weise am vollkommensten erreicht werde. Dem ärztlichen Beobachter wenigstens wird es niemals entgehen, wie viele Krankheiten unter älteren Personen namentlich und allein durch Vernachlässigung dieser Regel begründet werden. Bleibt doch allerdings, und insbesondere für geringere Naturen, in höheren Jahren, wo manche andere Genüsse sich verringern oder ganz aufhören und wo das Leben überhaupt so viel ärmer zu werden pflegt, die Versuchung besonders groß, um so mehr nun den Tafelfreuden sich hinzugeben, sie möglichst zu vervielfältigen und zu vermehren, dadurch aber freilich auch sich in sich selbst den Feind der Gesundheit, d. h. eine überwiegende, nicht mehr zu normaler Fortbildung des Körpers zu verwendende Menge von Nahrungsstoff zu erziehen; einen Feind, welchem späterhin dann auch so viel Bejahrte wirklich unterliegen. – Mag man daher immerhin von obiger Regel unter Umständen insofern eine Ausnahme machen, als man sich, bei einem sehr bewegten, schneller konsumierenden Leben, noch eine leichte Abendmahlzeit oder, wenn das Hauptmahl gegen Abend genommen wird, nach englischem Gebrauch ein zweites Frühstück gestattet, immer wird darüber am meisten gewacht werden müssen, daß das gesamte Quantum des Ersehenden dem des Zerstörten und Ausgestoßenen im allgemeinen nahekomme oder es doch nicht wesentlich überschreite.

Hinsichtlich der Wahl hierzu verwendeter Stoffe soll wieder im allgemeinen die Individualität und Stellung der Person selbst das wesentlichste Maß abgeben. Wir unterscheiden nämlich hier vorzüglich feste und flüssige, schwer- und leichtverdauliche, erhitzende und kühlende, stickstoffhaltige und stickstofflose Nahrungsmittel, und damit nun die Bestimmung des rechten Verhältnisses auch in dieser Beziehung überall das »Zuviel« hinlänglich vermeiden lehre, ist zu beachten, daß immer flüssige, kühlende und stickstoffhaltige am meisten den zarteren Konstitutionen und dem kindlichen und jugendlichen Alter angemessen bleiben, während in höheren Jahren und bei mehr energischen Naturen eine Zugabe von erwärmenden, stickstofflosen und schwerer löslichen Stoffen dem Körper meistens besser zuzusagen pflegt; eine Beziehung, in welcher dann unter gröberen Naturen kaum ein schrofferer Gegensatz gefunden werden kann als der zwischen dem die heiße Wüste durchziehenden, von etwas Kaffee, Reis und Milch lebenden Araber und dem zwischen Eis und Meer dem Robbenfang obliegenden Eskimo, welchem nur Speck und Tran, in Massen genossen, das Mittel wird, durch solche wesentlich kohlenstoffhaltige Nahrung zugleich eine intensivere Wärme zu erzeugen. Doch auch unter geistigeren Naturen fehlen ähnliche Gegensätze nicht, wie es denn z. B. merkwürdig ist, daß Musiker im allgemeinen ein größeres Nahrungsbedürfnis haben als Gelehrte (namentlich philosophische Forscher) und Dichter. So waren Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Hummel, Rossini und andere stets große Esser und Liebhaber des Weins, während Männer wie Kant, Herder, Klopstock und ähnliche immer durch Frugalität sich auszeichneten, wobei jedoch vielleicht schon das mit zu berücksichtigen bleibt, daß der Musiker stets an Gemeinsamkeit mit vielen, behufs der Ausführung seiner Werke, gewiesen ist, während der Gelehrte und Dichter mehr auf sich selbst reduziert wird, es aber keinem Zweifel unterliegt, daß Geselligkeit überhaupt auch am ersten zur Verwöhnung an materielle Genüsse verleitet; denn der Mensch ist ein leichtbewegtes Geschöpf und wird durch Gewohnheit bald hierin, bald dorthin gezogen, wo dann oftmals Lebensweisen entstehen können, welche, wenn auch nicht durchaus angemessen, doch (sobald sie nicht zum Exzeß werden) eben durch diese Gewohnheit sehr lange ohne Nachteil ertragen werden, bis dann endlich nichtsdestoweniger die schädliche Einwirkung sich geltend macht. Daß übrigens insbesondere jedes »Zuviel« in flüssigen Nährstoffen, also solchen, welche am schnellsten in die Organisation eingehen, auch am ersten sich als schädlich erweisen muß, ist somit selbstverständlich und bereits hinsichtlich des zu vielen Biertrinkens oben angedeutet worden, als bei welchem noch der Lupulingehalt so leicht eine nachteilige Nebenwirkung auf das Nervenleben herbeiführt, welche, mit zu reichlicher Blutbildung verbunden, Schlagflüsse häufigst genug erzeugt, während mäßiger Weingenuß, besonders aber die reichliche Aufnahme eines frischen, reinen Wassers oder leichter kohlensaurer Wässer, am meisten beiträgt, eine gute Gesundheit zu erhalten.


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