Carl Gustav Carus
Geheimnisvoll am lichten Tag
Carl Gustav Carus

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Über Landschaftsmalerei

Die Idee der Landschaftsmalerei

Zuvor aber muß ich bei landschaftlichen Darstellungen überhaupt unterscheiden: die Art derselben nach ihrer Wahrheit, nach ihrem Sinne und nach ihrem Gegenstande. – Die Wahrheit der Darstellung berücksichtigen wir natürlich zuerst, denn sie verschafft ja gleichsam erst den Leib des Kunstwerks, durch sie ist es zuerst überhaupt da und aus den Räumen einer bloß willkürlichen Gestaltung zur Wirklichkeit, in welcher alle bildende Kunst sich bewegen soll, gebracht. Auf welche Weise nun fühlst Du Dich wohl bewegt, wenn Du in einem wohlgelungenen Bilde die weiteste, reinste Ferne, den klaren oder bewegten Wasserspiegel, das Spiel des zarten Laubes an Büschen und Bäumen oder irgendeine andere Form des unerschöpflichen Reichtums landschaftlicher Natur gut und treu nachgebildet findest? – Gewiß insofern Dir Naturkenntnis und Einbildungskraft, das ist das Organ, geworden ist, die farbigen Striche des Pinsels, bei welchem doch von Naturwahrheit immer nur bis auf einen gewissen Grad die Rede sein kann, zu deuten, gewiß, sage ich, fühlst Du Dich hinschauend immer mehr in jene Gegend versetzt, Du glaubst die heitere reine Luft mit einzuatmen, Du sehnst Dich, unter jenen Bäumen zu wandeln, Du meinst das Rauschen des Wassers zu vernehmen, und somit hineingezogen in den heiligen Kreis des geheimnisvollen Naturlebens, erweitert sich der Geist. Du fühlst das ewig waltende Leben der Schöpfung, und indem alles bloß Individuelle, Ärmliche zurücktritt, stärkt und erhebt Dich dieses Eintauchen in einen höheren Zyklus, vergleichbar einem durch das Eintauchen in den stygischen Strom unverwundbar gewordenen Achilles. – Daß indes die bloße Wahrheit nun doch noch nicht das eigentlich Höchste und allein Anziehende des Bildes sei, kann die Vergleichung mit dem Spiegelbilde am füglichsten dartun; versuche es nur, betrachte die landschaftliche Natur im Spiegel! Du siehst sie mit allen ihren Reizen, allen Farben und Formen wieder abgebildet, und doch, wenn Du nun dieses Spiegelbild festhältst und es vergleichst mit dem Eindruck, welchen ein vollendetes landschaftliches Kunstwerk Dir gewährte, was bemerkst Du? – Offenbar ist das letztere an Wahrheit immer unendlich zurück; das Reizende schöner Naturformen, das Leuchtende der Farben wird im Bilde nie auch nur zur Hälfte erreicht; allein zugleich fühlst Du das rechte Kunstwerk als ein Ganzes, als eine kleine Welt (einen Mikrokosmos) für sich und in sich; das Spiegelbild hingegen erscheint ewig nur als ein Stück, als ein Teil der unendlichen Natur herausgerissen aus seinen organischen Verbindungen und in widernatürliche Schranken geengt, und nicht, gleich dem Kunstwerke, als die in sich beschlossene Schöpfung einer uns verwandten, von uns zu umfassenden geistigen Kraft, vielmehr als ein einzelner Ton aus einer unermeßlichen Harmonie, welcher, indem er eben immer mehr und mehr hinzufordert, die volle innere Beruhigung nie gewährt, welche teils aus der freien, unbeschränkten Hingebung an die Natur selbst, teils aus der Beschauung des gediegenen Kunstwerks genommen wird.

Indem sich nun aus dem Vorhergehenden klärlich ergibt, daß die Wahrheit der landschaftlichen Darstellung allein noch nicht die verlangte Befriedigung gewährt, so wird es zugleich deutlich, daß auch hier, was ich schon im ersten Briefe von jedem Kunstwerke forderte, hinzukommen müsse, nämlich, daß es fühlbar werde, wie dasselbe der schaffenden Kraft eines Menschengeistes sein Dasein verdanke, und ebendeshalb als aus einer Einheit hervorgegangen, ein in sich selbst entwickeltes und beschlossenes, gleichsam organisches Ganzes sei. Dieses zugegeben, so muß ferner, da die Seele im Erfinden eines Werkes nur in einem gewissen Zustande, nur in einer gewissen Richtung zu denken ist, das Kunstwerk selbst notwendig auch einen gewissen Zustand aussprechen, welches denn wieder in der landschaftlichen Kunst nur geschehen kann, indem die landschaftliche Natur von einer gewissen, jener inneren Stimmung gleichnamigen Seite aufgegriffen und dargestellt wird. Dies führt uns weiter; denn da dieser Sinn nur durch Darstellung von Gegenständen ausgedrückt wird, da also das Aussprechen dieses Sinnes die schickliche Wahl des Gegenstandes (von welcher im einzelnen noch späterhin) mit einschließt, so können wir die Hauptaufgabe landschaftlicher Kunst nun bestimmter aussprechen, als:

Darstellung einer gewissen Stimmung des Gemütslebens (Sinn) durch die Nachbildung einer entsprechenden Stimmung des Naturlebens (Wahrheit).

Welches sind nun aber die besonderen, in den mannigfaltigen Verwandlungen der landschaftlichen Natur ausgesprochenen Stimmungen? – Wenn wir erwägen, daß alle diese Verwandlungen nichts anderes sind als Formen des Naturlebens, so können auch die verschiedenen in denselben ausgesprochenen Stimmungen nichts anderes als Lebenszustände, Stadien des Naturlebens, bezeichnen. Nun ist aber das Leben selbst in seinem Wesen unendlich, und nur seine Formen sind stetiger Veränderung unterworfen, im steten Hervor- und Zurücktreten begriffen, so daß wir dadurch in jeder individuellen Lebensform auf vier Stadien hingewiesen werden, welche als Entwicklung und vollendete Darstellung, Verwelkung und völlige Zerstörung sich unterscheiden lassen. Mehrfache Zustände aber entstehen, indem diese vier ursprünglichen sich untereinander verbinden, indem die Entwicklung selbst krankhaft gehemmt wird, die vollendete Kraft im Kampfe mit der eindringenden Zerstörung erscheint oder aus der Zerstörung wieder eine neue Entwicklung hervortritt. Beispiele hierzu lassen nun im Naturleben, inwiefern es Gegenstand landschaftlicher Darstellung werden kann, in Menge sich nachweisen. Die nächsten bieten die stets wechselnden Jahres- und Tageszeiten dar, wo Morgen, Mittag, Abend und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter jene Stadien ganz bestimmt zeigen und auch die erwähnten Kombinationen nicht fehlen, indem ein Trübewerden des Morgens, ein Reif auf Blütenbäumen, ein Vertrocknen der Pflanzen in der Sonnenhitze, ein Gewitter am Mittage, das Aufgehen des Mondes in der Nacht, das Erstehen neuer Knospen aus dem erstorbenen Stamme, wie so unzählige andere, hierhergehören.

Nun aber auch im Gemüte selbst, welche Reihe von Stimmungen wird hier vorkommen können? – Offenbar auch nur, wie im ewigen Naturleben, Erheben und Versinken einzelner Lebensformen, so im ewigen Leben der Seele, Erstehen und Vergehen einzelner Äußerungen des Gemütslebens.

Das Gefühl des Aufstrebens, der Ermutigung, der Entwicklung, das Gefühl wahrer innerer Klarheit und Ruhe, das Gefühl des Hinwelkens, der Schwermut und die Fühllosigkeit, Apathie sind auch hier die vier Stadien, auf welche, als auf die ursprünglichen Grundtöne, das Gemütsleben mit all seiner unendlichen Mannigfaltigkeit sich zurückführen läßt; ja selbst die im Naturleben nachgewiesenen nächsten Kombinationen dieser ursprünglichen Zustände finden auch hier wieder statt: es kann im Aufstreben das Gefühl der Unmöglichkeit des Erreichens Melancholie erzeugen; aus dem Andringen äußerer zerstörender Momente gegen das Gefühl der vollendeten Kraft ein innerer Kampf erregt werden, es kann aus Apathie die Ermutigung sich hervorheben usw.

Wie nun aber die angeschlagene Saite eine zweite, ihr gleichnamige, wenn auch höhere oder tiefere, mit in Schwingungen versetzt, so müssen auch in Natur und Gemüt die verwandten Regungen sich hervorrufen, und auch hierin erscheint wieder die Individualität des Menschen als untrennbarer Teil eines höheren Ganzen. Das unbefangene Gemüt wird daher vom angeregten, aufstrebenden Naturleben, reinem Morgenlicht, heiterer Frühlingswelt ermutigt und belebt, von reiner blauer Sommerluft und voller, ruhiger Blätterfülle der Waldung erheitert und beruhigt, vom Erstarren der Natur im trüben Herbst schwermütig gestimmt und von den Leichentüchern der Winternacht in sich selbst gewaltsam zurückgedrängt und gelähmt. Das befangene Gemüt, welches schon von einer vorwaltenden Regung beherrscht wird, trägt dagegen auch wohl seine Regung auf die aufgenommenen Vorstellungen über, sie selbst mehr oder weniger verfärbend; ja, das kranke Gemüt kann von allem verkehrt affiziert werden, vom Frühlingsmorgen sich niedergedrückt sowie im möglichsten Jammer und äußeren Ungemach sich heimisch, ja erheitert finden, welches denn unsere, auf das Gesunde und Naturgemäße sich beziehenden Betrachtungen nicht weiter irren kann.

Nicht zu übersehen ist endlich noch, wie der Gegensatz zwischen Empfindung und Vorstellung (als Totales und Individuelles) sich seinem Wesen nach in den Vorstellungen selbst, wie sie die landschaftliche Natur darbietet, wiederholt. Einmal gilt dies nämlich von dem in diesen Vorstellungen bemerkbaren Gegensatze zwischen Farbe und Gestalt, und es wird daher offenbar zum Beispiel eine und dieselbe Gegend eine ganz andere Stimmung ansprechen, einen anderen Charakter darstellen, wenn sie in anmutiges Grün, oder wenn sie in totes Gelb, Braun oder Grau gekleidet ist.Das Betrachten freier Natur durch verschieden gefärbte Gläser gibt hierüber manche wichtige Belege. Ganz vorzüglich aber muß bemerkt werden, daß unter den Vorstellungen landschaftlicher Natur vorzüglich diejenigen den Regungen des Gemüts entsprechen, welche auf die Art der Witterung sich beziehen; ja man könnte wohl sagen, daß der Wechsel verschiedener Stimmungen der Atmosphäre (des Wetters) sich genau so für das Naturleben zeige wie der Wechsel verschiedener Stimmungen des Gemütes für das Seelenleben.


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