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Die Königsmumie

Von der Bestattung Tut-ench-Amuns geben nur einige Gegenstände Kunde, die in großen Tonkrügen in der Erde versteckt entdeckt wurden. Sie enthielten allerlei Dinge, die bei der Bestattung des jungen Königs verwendet waren, dann in die Krüge verpackt und beseitigt wurden, wie das bei ägyptischen Beisetzungen üblich gewesen zu sein scheint. Über den Dienst der »Gottesdiener« und der »Vorlesepriester«, die an der Feier teilgenommen haben müssen, finden wir keinen Aufschluß. Daß jedoch König Eje, der Nachfolger Tut-ench-Amuns, als Sempriester bei der Feier fungierte, erkennen wir aus dem Bild an der Nordwand der Sargkammer. Die Darstellung auf der Ostwand zeigt weiter, daß die Mumie des Königs auf einem Schlitten von Hofleuten und hohen Beamten zum Grabe gezogen wurde.

Die Grabbeigaben Tut-ench-Amuns beweisen hinreichend, daß die meisten nach seinem Tode, während der Zeit des Einbalsamierens und anderer Beisetzungsvorbereitungen, angefertigt sind. Denn die Grabstatuen, Särge und die Maske zeigen Spuren rascher Arbeit und stellen den König, wie die Mumie lehrt, im Alter seines Todes dar.

Der Thronsessel stammt freilich noch aus dem Palast von Amarna, und auf den goldnen und silbernen Prunkstäben ist der König zur Zeit seiner Thronbesteigung dargestellt.

So hing es denn hauptsächlich von dem Nachfolger ab, wie die Stücke der Grabausstattung, die nicht bei Lebzeiten hergestellt werden konnten, ausfielen.

Man muß annehmen, daß das Grab nach der Totenfeier noch lange Zeit offen und den Handwerkern überantwortet blieb. Denn die den Sarkophag umschließenden Schreine konnten erst aufgestellt werden, nachdem die großen Särge im Sarkophag untergebracht und dieser geschlossen war. Außerdem muß die Wand zwischen Vor- und Grabkammer erst nach der Aufstellung der Schreine errichtet und das Totengut erst danach in die Kammern gebracht worden sein.

Wo befanden sich die kostbaren Gegenstände der Kammern während der langen Zeit, die diese Arbeiten erforderten? Vielleicht wurde die Grabausstattung von der königlichen Werkstatt erst nach vollkommener Fertigstellung des Grabes geliefert. In diesem Fall hätten wir uns freilich die Leichenfeier ganz anders zu denken, als wir es gewöhnt sind. Wir hatten bisher angenommen, daß die Beigaben hinter dem Sarge getragen und damit der Leichenzug noch feierlicher und prächtiger gestaltet wurde. War das Grab geschlossen, so wurde es mit dem Siegel des toten Königs, nicht mit dem des Nachfolgers, versiegelt.

Die Mumie war genau in Ostwestlage bestattet und die Insignien in der Richtung der »beiden Länder«, Ober- und Unterägypten, niedergelegt. Die Amulette und religiösen Schmuckstücke waren, dem Ritual des Totenbuches entsprechend, gewissenhaft in die verschiedenen Lagen der Binden eingeordnet. Das Begießen der Mumie mit Weihöl bildete einen wesentlichen Bestandteil der Königstotenfeier. Daß der Körper auf das Sorgfältigste balsamiert, gewickelt und mit allen Beigaben geschmückt war, ehe die Flüssigkeit über ihn ausgegossen wurde, steht fest. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Salben von religiöser Bedeutung und wurde vor oder während der Totenriten vorgenommen.

Mag nun der Zweck des Salbens ein noch so heiliger gewesen sein, für die Wissenschaft war es jedenfalls recht unheilvoll. Denn es steht fest, daß der schlechte Zustand der Holz- und Metallsärge seinen Grund in der reichlichen Ölanwendung hat.

Nun fragt man sich natürlich, ob die andern Königsmumien des Neuen Reiches nicht in gleicher Weise gesalbt worden waren. Und ich bin geneigt, das trotz der bei ihnen vorgefundenen geringen Reste von Harzmasse anzunehmen.

Man darf nicht vergessen, daß die im Versteck zu Der-el-Bahri und in dem Grab Amenhoteps II. entdeckten Königsmumien ihrer ursprünglichen Hüllen und Särge beraubt und von den Priestern der 20. und 21. Dynastie in roh gezimmerten Särgen untergebracht waren. Indem sie nun nach so kurzer Zeit aus Hüllen und Särgen befreit wurden, entgingen sie dem zerstörenden Einfluß der Öle, denen Tut-ench-Amun ungestört weiter unterworfen blieb. Die Grabräuber und die Priester, die die beraubten Mumien geborgen hatten, hatten die beste Konservierungsarbeit geleistet.

Ohne diesen Brauch des Mumiensalbens wären die Hüllen des Tut-ench-Amun und die Mumie mit ihren Beigaben in dem festen Goldsarg gewiß in dem Zustand erhalten geblieben wie am Tage der Beisetzung.

Am 11. November begannen wir die Untersuchung der Königsmumie. Nachdem der aufgelegte Schmuck und die Goldstreifen entfernt waren, lag die Königsmumie in ihren schlichten äußeren Hüllen und ihrer Goldmaske vor uns. (Abb. 57.) Sie füllte das gesamte Innere des Goldsarges aus und war 1,85 Meter lang. Die äußeren Hüllen bestanden aus einem großen linnenen Bahrtuch, das dreimal längs und viermal quer mit Leinenstreifen umbunden war.

siehe Bildunterschrift

57. Die Königsmumie im Goldsarg.
Nach Entfernung der äußeren Belagstücke.

Da die Leinenbinden infolge Verkohlung ganz morsch geworden waren, bestrichen wir sie mit erhitztem Paraffinwachs, das beim Gerinnen einen dünnen Überzug bildete und die unteren Leinenschichten möglichst wenig durchdrang. Nach der Erkaltung schnitt Dr. Derry die nun gefestigten äußeren Binden von oben bis unten durch, so daß wir die Lage in großen Stücken entfernen konnten. (Abb. 58.) Aber damit waren die Schwierigkeiten noch nicht beseitigt. Die dicken unteren Hüllen fanden wir in einem noch schlimmeren Zustand von Verkohlung und Zerfall. Selbst nachdem der größte Teil der Binden entfernt war, mußte die verhärtete Salbenschicht unter den Gliedern und dem Rumpf weggemeißelt werden, ehe es gelang, die Überreste des Körpers zu heben.

siehe Bildunterschrift

58. Untersuchung der Königsmumie.
In Gegenwart einer ägyptischen Kommission. Dr. Derry macht den ersten Schnitt.

In besserer Verfassung als die übrigen waren die Binden an Kopf und Füßen. Sie waren von dem Öl verschont geblieben und hatten nur mittelbar durch Oxydation gelitten. Soweit sich feststellen ließ, war die Bandagierung die übliche. Feinstes, batistartiges Leinen ist dafür verwendet. Die zahlreichen an der Mumie gefundenen Gegenstände waren in die verschiedenen Lagen der umfangreichen Umhüllung eingebunden, so daß der König buchstäblich vom Kopf bis zu den Füßen damit bedeckt war.

Die Entfernung einiger Bindelagen enthüllte ein prächtiges Diadem, das sich rings um den Kopf des Königs legte. (Abb. 63.) Es ist von erlesener Schönheit; in der Form bildet es eine schlichte Kopfbinde nach. Das reichverzierte Goldband ist mit Karneolringen besetzt, deren Mittelpunkt gehämmerte, runde Goldplättchen sind. Hinten sitzt der Knoten, der als eine von Blumen umgebene Scheibe gestaltet ist. Lange goldne, dem Stirnreif gleichende Bandenden hängen von ihm herab. Ähnliche, aber breitere Bänder gehen von den Enden des Reifes aus; auf ihren oberen Rändern sitzen Uräusschlangen.

siehe Bildunterschrift

63. Diadem des Königs in Form einer Kopfbinde.
Aus der Sargkammer. Gold mit Edelsteineinlagen. An der Stirnseite der Nechbetgeier mit Obsidianaugen.

Unter der Königshaube kamen weitere Leinenlagen zum Vorschein und unter diesen eine Kappe aus feinem Leinen, die sich dem geschorenen Kopf des Königs eng anschmiegte. Sie war mit Gold und Fayenceperlen kunstvoll in Schlangenmuster bestickt, ein goldenes Stirnband hielt sie fest. Leider war das Gewebe der Haube stark verkohlt und zerfallen. Die Perlenarbeit aber hatte weniger gelitten, so daß das Muster vollständig war, solange es noch an dem Kopfe des Königs saß. Jeder Versuch, das Stück abzulösen, hätte es vernichtet; so überzogen wir es mit einer feinen Wachsschicht und ließen es an seinem Platze.

Ganz besondere Sorgfalt erforderte nun das Abnehmen der letzten Leinenhülle auf dem stark verkohlten Kopfe des Königs. Schon bei der leisen Berührung mit einem Zobelhaarpinsel zerfielen die spärlichen Überreste des morschen Gewebes und enthüllten ein friedvolles, sanftes Jünglingsantlitz. Edel und vornehm war es, gut geschnitten, mit scharf gezeichneten Lippen. (Abb. 59 und 60.) Das Auffallendste an dem Gesicht war die außerordentliche Ähnlichkeit mit seinem Schwiegervater Echnaton, die schon auf seinen Statuen bemerkbar ist.

siehe Bildunterschrift

59. Kopf der Mumie von vorn.
Nach der Auswicklung, mit Resten einer Kappe und eines Stirnbandes. Bemerkenswert die gutgeformten Gesichtszüge.

siehe Bildunterschrift

60. Kopf der Mumie von der Seite.
Beachtlich der ungewöhnlich lange Schädel, die scharfgeschnittenen Lippen und die Ohren mit den Löchern. Die Nase ist durch den Druck der Binden teilweise flachgedrückt.

Diese starke Ähnlichkeit, die keine Zufälligkeit sein kann, stellt die Forschung vor eine ganz neue und überraschende Tatsache. Möglicherweise klärt sie manches Dunkel um Sakerç und um Tut-ench-Amun auf. Beide gelangten durch ihre Heirat mit Echnatons Töchtern auf den Thron; von ihrer Herkunft erfahren wir nichts. Ich möchte nun annehmen, daß sie illegitime Söhne des Königs waren.

Schließlich lehrt der Kopf der Mumie noch, daß trotz der damals in der Kunst vorherrschenden Neigung, an der Überlieferung festzuhalten, die besser ausgeführten Darstellungen des Königs getreue Bildnisse sind. Um des Königs Hals waren zwei Arten symbolischer Kragen und zwanzig in sechs Schichten verteilte Amulette gelegt. Jede dieser Schichten war durch zahlreiche Bindenlagen von der andern getrennt. Die Brust schmückten fünfunddreißig Gegenstände in siebzehn Gruppen, die sich auf dreizehn Schichten verteilten und in ein kompliziertes System von Leinenbinden eingewickelt waren.

In den Binden über Brust und Bauch fanden sich zwei Gruppen von Fingerringen, über dem rechten Handgelenk fünf, neben dem linken acht Stück. Sie bestehen aus massivem Gold, Lapislazuli, mattweißem und grünem Chalzedon, Türkis und einer aus schwarzem Harz.

Die Ober- und Unterarme und die Hände waren für sich gewickelt und dann mit dem Körper zusammen bandagiert. Beide Unterarme verschwanden fast unter der Fülle von prächtigen Armreifen. Sieben waren es am rechten und sechs am linken Unterarm. Alle sind reich mit Gold und Silbergold geschmückt, teils mit Skarabäen besetzt, teils mit Goldkörnchen oder durchbrochenen Karneolplättchen verziert. Ihr Durchmesser beweist, daß sie an einem sehr schlanken Arm gesessen haben. Sie sind sämtlich kein Totenschmuck, sondern zweifellos als persönliche Schmuckstücke bei Lebzeiten getragen worden.

Jeder einzelne Finger war zunächst mit feinen Leinenbinden umwickelt und dann in goldne Hülsen gesteckt. Über den Leib waren zehn Gegenstände in fast ebensoviel Lagen verteilt. Die Beine waren in Massen von Binden und Wickeln gehüllt, um der Mumie die vorschriftsmäßige Form zu geben. Als wir diese Stück für Stück entfernt hatten, lag am rechten Schenkel ein ungewöhnlich schön und fein gearbeiteter Dolch in einer goldnen Scheide. Sein Griff ist in Streifen gegliedert, in denen Goldkörnchenverzierungen und Einlagen von bunten Steinen miteinander wechseln. Der Knauf ist aus einem Bergkristall geschnitten. Das Erstaunliche und Einzigartige aber an dieser herrlichen Waffe ist, daß die Klinge aus Eisen besteht und noch in vollem Glanz wie Stahl schimmerte!

Dieses Auftreten des Eisens bedeutet einen der ersten Schritte zum Niedergang des ägyptischen Reiches, des Weltreiches der Bronzezeit. Das Eisen wurde der erste fremde Eindringling, und von dieser Zeit an nimmt der fremde Einfluß in Ägypten zu, bis er sich schließlich zur vollkommenen Fremdherrschaft steigert.

An den Füßen saßen Sandalen aus getriebenem Gold; ihr Muster ahmt Flechtwerk nach. Jede Zehe steckte in einer besonderen Goldhülse, an der die Nägel und die ersten Zehenglieder angegeben sind. Um das rechte Fußgelenk lag ein etwas roh gearbeiteter Fußreif aus Golddraht. Dies waren die letzten der 143 Gegenstände, die sorgsam angeordnet über Kopf, Hals, Brust, Leib und Glieder des jungen Königs in 101 verschiedenen Gruppen verteilt waren.

Die gefundenen Gegenstände können in zwei Gruppen eingeteilt werden, in religiöse Amulette und in persönliche Gebrauchsgegenstände. Die letzteren sind viel feiner und dauerhafter ausgeführt. Die prachtvollen Stücke verschaffen uns einen tiefen Einblick in das Können der geschickten Kunsthandwerker Thebens. Der Geschmack, der sich hier entfaltet, übertrifft alle Erwartung, besonders wenn man in Rechnung stellt, daß wir am Ausgang der 18. Dynastie stehen. Eine gewisse Geziertheit, ein Mangel an Durchführung bis ins Letzte ist freilich nicht zu verkennen. Darin macht sich bereits der Verfall bemerkbar, der sich mit dem Eisen und andern fremden Einflüssen einschlich. Trotzdem würde es unsern heutigen Goldschmieden und Juwelieren schwer werden, die Feinheit des Königsschmuckes zu überbieten.

Die Mumie des Königs wies keine Zeichen eines gewaltsamen Todes auf. Die große Fülle von Binden, Zieraten und Amuletten zeigt uns die Sorge um seine sterblichen Überreste und um sein Wohlergehen im Jenseits.

Zwei hochbedeutsame Tatsachen sind durch die Untersuchung der Königsmumie festgestellt worden: das Alter des Königs bei seinem Tod – aller Wahrscheinlichkeit nach 18 Jahre – und die auffallende Ähnlichkeit seines Körperbaues mit seinem Schwiegervater Echnaton.

Die Mumie des Königs ist wieder eingehüllt worden und wird in ihrem Grab und in ihrem Sarg bleiben.


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