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Erster Blick auf den Sarkophag

Die Arbeit des zweiten Winters begann im Laboratorium, wo Mace an die vom letzten Winter übriggebliebenen Wagen und Prunkbahren heranging. Während er sie konservierte und verpackte, machte ich mich mit Callender daran, die beiden vor dem Eingang der Grabkammer stehenden Wächterstatuen zu entfernen. (Abb. 33.) Dann mußte ich die Wand zwischen Sarg- und Vorkammer abtragen.

Hierdurch wurde der große äußere Schrein völlig freigelegt. Damit gewannen wir erst eine Vorstellung von seiner Großartigkeit, seiner prachtvollen Vergoldung und der Schönheit der blauen Fayenceeinlagen mit ihren vergoldeten Schutzemblemen. Nun galt es zunächst, die Grabbeigaben, die zwischen Wand und Schrein aufgestapelt waren, herauszunehmen und in das Laboratorium zu schaffen. (Abb. 64 bis 71.)

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64. Statuette des Tut-ench-Amun im Alter von ungefähr 12 Jahren.
Aus der Sargkammer. Massives Gold; etwa 9 cm hoch, auf 1,22 m langem röhrenförmigen goldenen Stab. Vielleicht wie Heroldsstäbe bei Umzügen getragen.

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65. Alabasterlampe.
Aus der Sargkammer. Wird die Lampe erleuchtet, schimmern durch den Alabasterkelch in strahlenden Farben die Bilder des Königs und der Königin.

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66. Dreiteilige Lampe aus der Sargkammer.
In Lotosblumenform in einem einzigen durchschimmernden Alabasterstück gearbeitet.

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67. Salbgefäß des Königspaares.
Aus der Sargkammer. Alabaster mit Gold und Elfenbein verziert. Zu beiden Seiten der weichliche Nilgott Hapi, den oberen und unteren Nil darstellend.

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68. Salbbüchse mit Jagdszenen.
Aus der Sargkammer. Alabaster. Löwenzunge aus rotem Elfenbein. Die in der Büchse enthaltene Salbe, etwa 450 g, hatte noch ihren Duft bewahrt. Die Büchse ruht auf vier Köpfen, die afrikanische und asiatische Gefangene darstellen.

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69. Die heilige Gans des Amun, die ägyptische Gans.
In Holz geschnitzt und mit schwarzem Harz überzogen.
Aus der Sargkammer.

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70. Straußenfederwedel.
Ebenholz mit Goldbelag, mit Glas- und Alabastereinlagen. Die Platte enthielt nur noch die Überreste von 42 Straußenfedern. Aus der Sargkammer.

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71. Porträtkopf Tut-ench-Amuns.
Vermutlich zur Zeit seiner Thronbesteigung. Aus der Sargkammer. Bemaltes Holz. Der junge König erhebt sich aus einer Lotosblume.

Dann waren als Vorbereitung für das Auseinandernehmen des äußeren Schreins unser primitives Gerüst und die Winde aufzustellen. Darauf mußten die schweren Flügeltüren des äußersten Schreins ausgehängt werden. Als nächstes hoben und entfernten wir die drei Dachteile und nahmen das Gesims auseinander. (Abb. 34.)

Nach dem Gesims wurden die Seitenwände des Schreins in Angriff genommen. Das Hinausbringen war zunächst unmöglich; wir mußten sie an die Wände lehnen, bis wir Platz genug für ihren Transport geschafft hatten, das heißt, bis nach vollendetem Auseinandernehmen der inneren Schreine.

Das nächste und sehr heikle Problem bot uns das leinene Bahrtuch, das den zweiten Schrein vollständig bedeckte. Sein Gewebe war morsch, die herabhängenden Enden waren durch ihr eigenes Gewicht und durch die aufgenähten Metallplättchen gerissen. Glücklicherweise bewährte sich eine Mischung von Chlor und Gummi in einer organischen Zylinlösung zum Versteifen des verdorbenen Stoffes. Sie machte das Gewebe so widerstandsfähig, daß wir es auf eine Holzstange rollen und in das Laboratorium bringen konnten.

Nachdem das Bahrtuch und seine hölzernen Stützen entfernt waren, konnten wir an den zweiten Schrein gehen, ein schönes, vergoldetes Stück, das fast ganz dem ersten gleicht; nur fehlen die blauen Fayenceeinlagen. (Abb. 36.)

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36. Der zweite Schrein.
Eichenholz mit Goldstuck überzogen. Wände mit Darstelllungen und Texten aus heiligen Büchern geschmückt.

Seine Türflügel waren sorgfältig mit einem Strick verschlossen, der durch zwei metallene Krampen lief und versiegelt war. (Abb. 37.)

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37. Ebenholzriegel an der Flügeltür des zweiten Schreins.
Durch Metallklammern geschoben und mit einem Strick an diese geknotet. Am Strick Tonsiege! mit zwei Siegelabdrücken. Tut-ench-Amuns Namen und Titel (links oben), Amtssiegel der königlichen Totenstadt (rechts oben).

Das Tonsiegel war unverletzt. Es trug Abdrücke zweier verschiedener Stempel. Der eine zeigte den Vornamen Tut-ench-Amuns, der andere das Amtssiegel der königlichen Totenstadt. Mit großer Vorsicht wurden die Stricke gelöst und die Türflügel zurückgeschlagen. (Abb. 38.) Da kam ein dritter, ebenfalls versiegelter und unversehrter Schrein zutage, dessen Siegelabdrücke die gleichen waren wie auf dem zweiten Schrein.

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38. Öffnen der Tür des zweiten Schreins.

Wieder glaubten wir, daß das Öffnen der nächsten Tür die Lösung des Geheimnisses brächte, das die Jahrtausende bewahrt hatten. Mit unterdrückter Erregung ging ich an das Öffnen des dritten Schreins, und ich werde diesen spannenden Augenblick wohl nie vergessen. Ich zerschnitt den Strick, entfernte das kostbare Siegel, zog die Riegel zurück, öffnete die Türen, und ein vierter Schrein stand vor uns. Auch er glich den andern, nur war er noch prächtiger und schöner gearbeitet als der dritte. Welch unbeschreiblicher Augenblick für einen Archäologen: Wieder standen wir vor dem Unbekannten! Was barg nun dieser Schrein? In heftiger Erregung zog ich die Riegel der letzten unversiegelten Türen zurück; langsam schlugen sie auf. (Abb. 39.)

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39. Öffnen der Tür des vierten, innersten Schreins.

Vor uns stand, den ganzen Schrein ausfüllend, der ungeheure gelbe Quarzitsarg, unberührt, als hätten fromme Hände ihn eben erst geschlossen! (Abb. 40.) Welch herrlicher Anblick, gesteigert durch das Glitzern des Goldes auf den Schreinen! Über das Fußende des Sarkophags breitete schützend eine Göttin Arme und Flügel, als wollte sie den Eindringling abwehren. In Ehrfurcht standen wir vor diesem beredten Zeichen einer Gedankenwelt, die vor mehr als dreißig Jahrhunderten lebendig war.

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40. Erster Blick auf den Steinsarg, der den vierten, innersten Schrein ausfüllte.

Nun war es an der Zeit, die drei Schreine auseinanderzunehmen und herauszuschaffen. Erst dann konnten wir uns der Arbeit am Steinsarg selbst widmen. So mühten wir uns einen Monat lang, nahmen den zweiten und dritten Schrein auseinander, bis der innerste, der letzte und kleinste, ganz freigelegt war und als goldene Kapelle vor uns stand. (Abb. 41.)

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41. Der vierte, innerste Schrein.
Eichenholz mit Goldstuck überzogen. Er umschließt den Steinsarg.

Die Flügeltüren und die Westwand sind mit Flachreliefs geschmückt. Geflügelte Schutzgöttinnen bewachen in erhabener Ruhe und Größe den Toten. Die übrigen Wände sind mit religiösen Inschriften bedeckt.

Die altägyptischen Handwerker hatten es beim Aufbau der Schreine in dem engen Raum recht schwer gehabt. Zunächst hatten sie die einzelnen Teile der Schreine in genauer Reihenfolge an den Wänden aufstapeln müssen; die Teile und Füllungen des äußersten Schreins also zuerst, die des innersten zuletzt. Dann haben sie sicher erst den innersten Schrein aufgestellt und zuletzt den äußersten. Die Zimmermanns- und Schreinerarbeiten sind mit großer Geschicklichkeit ausgeführt. Jedes Stück ist sorgfältig mit Nummer und Orientierungszeichen versehen. Die Schöpfer der Schreine sind bestimmt große Meister gewesen. Das Aufstellen aber ist offenbar in Eile von unzuverlässigen Leuten ausgeführt worden; denn die einzelnen Teile sind verwechselt und nach den verkehrten Himmelsrichtungen hin aufgestellt, so daß die Schreintüren sich nach Westen statt nach Osten öffneten, und das Fußende nach Osten gerichtet war statt nach Westen. Die Goldverzierungen sind beschädigt, tiefe Eindrücke von Hammerschlägen sind auf ihnen sichtbar. An einigen Stellen sind ganze Stücke abgeschlagen, und Holzspäne und anderer Abfall sind nie weggeräumt worden.

Das Abheben des Daches vom letzten Schrein legte die Deckplatte des Sarkophags bloß, die Entfernung der Seitenteile befreite das großartige Steindenkmal vollends. (Abb. 42.) Wir fühlten uns überreich belohnt beim Anblick des frei stehenden, herrlichen Steinsarges, dieses Kunstwerkes aus einem einzigen imposanten Block edelsten gelben Quarzits. Er ist 2,75 Meter lang, 1,50 Meter breit und 1,50 Meter hoch.

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42. Abheben des Daches vom vierten, innersten Schrein.

Es war am 3. Februar 1924, als wir dieses Meisterwerk, das zu den besten seiner Art gehört, völlig überblickten. Sein Gesims ist reich gegliedert in Hohlkehle, Rundstab und Inschriftenfries. (Abb. 43.) Die Hochreliefs der vier Schutzgöttinnen Isis, Nephthys, Neith und Selket halten an den vier Ecken ihre weit ausgebreiteten Flügel und ihre geöffneten Arme schützend um den Steinsarg. (Abb. 44.) Um die Basis läuft eine Fußleiste, die mit den Schutzzeichen des Osiris und der Isis bedeckt ist. Die Ecken des Steinsarges ruhten auf Alabasterplatten.

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43. Der Steinsarg nach Entfernung des vierten Schreins.
2,75 m lang; 1,50 m breit; 1,50 m hoch. Die Deckplatte hat in der Mitte einen Sprung, der sorgfältig verkittet und übermalt ist.

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44. Die Göttin Selket.
Eine der vier Schutzgöttinnen, die mit ihren weitausgebreiteten Flügeln und ausgestreckten Armen schützend den Steinsarg umfassen.

Als unser Licht auf dieses herrliche Denkmal fiel, beleuchtete es den in verschiedenen Formen laut werdenden letzten feierlichen Ruf zu Göttern und Menschen. Wir fühlten hier vor dem Sarg des jungen Königs die Erhabenheit, die auch noch dem Tod eignet. Tiefe, ehrfurchtsvolle Stille herrschte in der Gruft. Die Zeit schien erwartungsvoll stillzustehen. Ich glaubte den Augenblick zu erleben, da sie den königlichen Toten in den Sarg betteten; so frisch, so unberührt von der Zeit schien das alles, daß wir, je mehr wir um uns schauten, um so stärker mit hineingezogen wurden in das Leid dieses Todes, und den Wunsch, daß der Abgeschiedene ungehindert durch die grauenvollen Gänge der Unterwelt zu voller Glückseligkeit eingehen möge, zu dem unsern machten, jenen vier Göttinnen an den Sargecken gleich, die für ihn zu sprechen schienen, indem sie ihn schützend umfingen. Sind sie nicht ein zu Stein gewordenes ägyptisches Klagelied?

Die Deckplatte besteht aus rötlichem Granit und ist der Farbe des Steinsarges durch Bemalung angeglichen. Das Gerät zum Aufwinden der Platte war in Bereitschaft. Ich gab den Befehl. Unter tiefem Schweigen hob sich die riesige Platte mit ihrem Gewicht von mehr als zwölf Zentnern. Das Licht fiel in den Steinsarg. Der erste Blick in sein Inneres verwirrte und enttäuschte uns zunächst. Nichts war zu sehen als deckende feine Leinentücher. (Abb. 45.)

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45. Blick in den Steinsarg.
Man sieht den mit dem linnenen Bahrtuch bedeckten mumienförmigen ersten Sarg.

Aber als die Platte höher emporgewunden war, als wir die verhüllenden Leinentücher eins nach dem andern wegziehen konnten, und als das letzte entfernt war, da brachen wir alle in einen Ruf erstaunten Entzückens aus! Strahlend war das Bild, das sich uns bot! Ein goldenes Abbild des jungen knabenhaften Königs in herrlichster künstlerischer Ausführung lag im Steinsarg. (Abb. 46.)

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46. Der erste, äußere Sarg nach Entfernung des Bahrtuches.
Holz mit Goldstuck überzogen. Länge 2,25 m.

Es war der Deckel des wunderbaren mumienförmigen Sarges, der, etwa 2,25 Meter lang, auf einer niedrigen Totenbahre mit Löwenköpfen ruhte. Der Mumiensarg füllte den ganzen Steinsarkophag. So war zu vermuten, daß er der äußerste einer Reihe von Särgen war, die einer in dem andern lagen und deren innerster die sterblichen Reste des Königs umschloß. Zwei geflügelte Göttinnen, Isis und Neith, umfassen den Sarg. Der reiche Goldstuck ist so strahlend, als käme er eben aus der Werkstatt. Außerordentlich geschickt wird die Wirkung dadurch erhöht, daß die sehr flachen Reliefs auf dem Körper einen starken Kontrast bilden zu dem Kopf und den Händen des Königs, die aus schwerem Gold in vollendeter Bildhauerarbeit plastisch ausgearbeitet sind. Die über der Brust gekreuzten Hände halten die königlichen Insignien: Krummstab und Wedel (Geißel), die in tiefblauer Fayence ausgelegt sind. Die Gesichtszüge sind wundervoll in Gold getrieben, die Augen aus Arragonit und Obsidian, Augenbrauen und Lider mit lapislazulifarbigem Glas eingelegt. (Abb. 47.) Fast unheimlich wirklich erschien die Gestalt. Der mit Federmuster verzierte Sarg hatte seinen leuchtenden Goldton bewahrt, das Metall des Gesichts und der Hände aber hatte einen leichten Edelrost angesetzt und erweckte so den Eindruck der Totenblässe. Die Stirn des jungen, knabenhaften Königs ist mit den beiden Königssymbolen, der Schlange und dem Geier, geschmückt, den Wahrzeichen Ober- und Unterägyptens. Beide sind in leuchtenden Farben herrlich ausgeführt.

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47. Der Kopf des ersten Sarges.
Aus schwerem Gold. Um die Königsabzeichen an der Stirn, Schlange und Geier, liegt ein kleiner Blumenkranz. In den Händen Krummstab und Geißel. Osirisbart.

Was aber in all der kostbaren Schönheit den tiefsten Eindruck machte, das war der rührende kleine Blumenkranz, der Abschiedsgruß der jugendlichen Witwe an ihren geliebten Gatten. All die königliche Pracht, all die königliche Herrlichkeit, all der Glanz und Schimmer des Goldes verblaßt gegen die armen verdorrten Blumen, die noch in dem blassen Schein ihrer einstigen Farben schimmerten. Sie sprachen am eindringlichsten von der Flüchtigkeit der Jahrtausende.

So waren wir über die steile Treppe, den Gang, die Vorkammer und die Sargkammer zu den goldnen Schreinen und dem Steinsarg vorgedrungen und standen nun vor seinem Inhalt, einem vergoldeten Sarg in Gestalt des jungen Königs. Tiefe Stille umfing uns, aber wir glaubten durch sie noch den geisterhaften Schritt der scheidenden Klagenden zu hören.

Wir löschten die Lampen, stiegen die sechzehn Stufen hinauf und erblickten wieder den blauen ägyptischen Himmel, den die Sonne strahlend beherrscht. Aber nur mit Mühe konnten wir unsere Gedanken loslösen von der Pracht des dahingegangenen Pharao und seiner letzten Bitte auf dem Sarg, die sich uns in das Herz geschrieben hatte: »O Mutter Nut! Breite deine Flügel über mich aus wie die unvergänglichen Sterne.«


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