Karel Capek
Das Jahr des Gärtners
Karel Capek

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Der Gärtner im Mai

Seht ihr, vor lauter Sorgen mit dem Auflockern und dem Umgraben, mit dem Aussetzen und Beschneiden haben wir fast die größte Freude und den besonderen Stolz des Gärtners vergessen, sein Felsengärtlein oder Alpinum. Wahrscheinlich nennt man es deshalb Alpinum, weil dieses Fleckchen Garten seinem Züchter einen halsbrecherischen Alpinismus zu betreiben ermöglicht; will er zum Beispiel dort zwischen diese beiden Steine ein kleines Mannsschild einsetzen, muß er den einen Fuß ganz leicht auf diesen Stein stellen, der ein wenig locker sitzt, während er den andern schwebend in der Luft balanciert, um nicht das Pölsterchen dieser Erysimum oder blühenden Felsensteinkrauts zu zertreten. Er muß die kühnsten Grätschen, Hocken, Drehungen, Haltungen, Stellungen, Sprünge, Ausfälle, Rumpfbeugen, Griffe und Übungen anwenden, um zwischen den malerisch aufgeschichteten und nicht gerade fest sitzenden Steinen seines Felsengärtleins einsetzen, auflockern, herumstochern und jäten zu können.

Die Pflege eines Felsengärtleins entpuppt sich demnach als ein aufregender und schwieriger Sport. Aber außerdem bietet es unzählige begeisternde Überraschungen, wenn man etwa in der schwindelnden Höhe des Ellbogens einen blühenden Busch von weißlichem Edelweiß, eine Gletschernelke oder irgendein andres Kind der Hochgebirgsflora, wie man sie nennt, im Felsen entdeckt. Doch was soll ich euch hier erzählen; wer sie nicht mühsam aufgezogen hat, all diese Miniaturglockenblumen, Steinbrech, Pechnelken, Alpenehrenpreis, Sandkraut, Felsenblümchen und Schleifenblumen, Steinkraut, Alpendoppelblume, Silberwurz, Heiderich, Berghauswurz und Fetthenne, Lavendel, Fingerkraut, Brockenblume und Kamille, Alpengänsekresse, Gipskraut, Becherglocke und die verschiedenen Thymiane, Zwergschwertlilie, olympisches Hartheu und das orangefarbige Habichtskraut und Heideröschen, Enzian, Alpenhornkraut, Berggrasblume und Leinkraut, nicht zu vergessen den Aster alpinus, den niedrigen Beifuß, Leberbalsam, Wolfsmilch, Seifenkraut, Reiherschnabel, Gemskresse, Mauerrute, Täschelkraut, noch das Löwenmaul, die Bergsamenblume und unzählige andere wunderhübsche Blümchen, wie zum Beispiel Steinschmückel, Steinsame, Bärenschote und andere, nicht minder wichtige, wie die Schlüsselblume, das Alpenveilchen usw., – wer also all das nicht großgezogen hat, ungeachtet vieler anderer, von denen ich wenigstens noch die Lotwurz, Acaena, Schnabelkraut, Bahio und Mastkraut und Felsmiere nenne, der soll nicht von den Schönheiten dieser Welt sprechen, denn er sah nicht das Lieblichste, das diese rauhe Erde in einem zärtlichen Augenblick (von bloß einigen hunderttausend Jahren) hervorgebracht hat. Wenn ihr so ein Pölsterchen des Dianthus Musalae sähet, besät mit den allerrosigsten Blüten, die man sich nur –

Doch was soll ich euch erzählen; nur die Züchter von Felsengärtchen kennen dieses Entzücken eines Sektierers.

Ja, denn der Züchter eines Felsengärtchens ist nicht nur Gärtner, sondern auch Sammler, und zählt dadurch zu den schweren Monomanen. Zeigt ihm nur zum Beispiel, daß bei euch die Campanula Morettiana gedeiht, und er wird sie in der Nacht, mordend und schießend, stehlen kommen, denn er kann nicht mehr ohne sie leben; ist er zu feig oder zu dick zum Stehlen, wird er weinen und betteln, ihr sollt ihm wenigstens von ihr und sei es auch nur den allerkleinsten Ableger geben. Seht ihr, das kommt davon, wenn ihr vor ihm mit euren Schätzen prahlt und großtut.

Oder ereignet es sich, daß er in einer Gärtnerei einen Blumentopf ohne Namenstäfelchen findet, aus dem etwas Grünliches hervorsprießt. »Was haben Sie denn da?« geht er den Gärtner an.

»Das?« meint der Gärtner verlegen, »das ist irgendeine Glockenblume, ich weiß selber nicht, welche –«

»Geben Sie mir sie«, sagt der Monomane, Gleichgültigkeit vortäuschend.

»Nein« entgegnet der Gärtner, »die verkaufe ich nicht.«

»Aber schauen Sie«, beginnt der Monomane eindringlich, »ich kaufe doch schon so lange bei Ihnen, nun sagen Sie selbst, was liegt Ihnen schon daran, nicht?«

Nach vielem Reden, nachdem er bereits fortgegangen und wieder zu dem rätselhaften und namenlosen Blumentopf zurückgekehrt war und sichtlich zu erkennen gegeben hatte, daß er ohne ihn auf keinen Fall weggehen würde, und wenn er hier neun Monate herumstreichen müßte, nachdem er sämtliche Sammlerkniffe und Überredungskünste angewendet hatte, trägt der Züchter des Felsengärtchens schließlich die geheimnisvolle Glockenblume nach Hause, sucht ihr das beste Plätzchen in seinem Alpengärtchen aus, setzt sie mit unendlicher Zärtlichkeit ein und geht sie täglich begießen und bespritzen, mit jener Aufmerksamkeit, wie sie nur so eine Kostbarkeit verdient. Und die Glockenblume wächst wirklich wie besessen.

»Da sehen Sie mal her«, zeigt der stolze Besitzer sie seinen Gästen, »das ist eine besondere Art von Glockenblume. Niemand konnte sie noch bestimmen; ich bin neugierig, wie sie blühen wird.«

»Das ist eine Glockenblume?« fragt der Gast. »Das hat ja fast Blätter wie der Meerrettich.«

»Was fällt Ihnen ein«, erwidert der Besitzer. »Meerrettich hat doch viel größere und nicht so glänzende Blätter. Es ist bestimmt eine Glockenblume; aber vielleicht ist es«, fügt er bescheiden hinzu, »eine species nova

Infolge der vielen Feuchtigkeit wächst die betreffende Glockenblume mit staunenerregender Schnelligkeit. »Sehen Sie mal her«, sagt ihr Besitzer. »Sie meinten unlängst, es wären Blätter wie vom Meerrettich. Haben Sie schon jemals einen Meerrettich mit solchen Riesenblättern gesehen? Mein Lieber, das ist irgendeine Campanula gigantea, die wird Blüten haben so groß wie ein Teller.«

Schließlich beginnt diese einzigartige Glockenblume einen Stengel in die Höhe zu treiben, und darauf – nun ja, es ist doch nur Meerrettich; der Teufel mag wissen, wie der zum Gärtner in den Blumentopf gekommen ist!

»Hören Sie mal«, fragt der Gast einige Zeit später, »wo haben Sie denn die Riesenglockenblume? Blüht sie noch nicht?«

»Nein, die ist mir eingegangen. Sie wissen ja, solche heikle und kostbare Arten – Es war höchstwahrscheinlich irgendeine Hybride.«

*

Mit dem Bestellen von Blumen ist es überhaupt ein Kreuz. Im März erledigt der Gärtner die Bestellung meistens nicht, weil es gewöhnlich friert und die Kulturen noch nicht herausgekommen sind, im April erledigt er sie ebenfalls nicht, weil er zu viel Bestellungen hat, und im Mai erledigt er sie wieder nicht, weil er größtenteils ausverkauft hat. »Himmelschlüssel habe ich nicht mehr, wenn Sie aber wollen, gebe ich Ihnen diese Königskerzen, die blühen auch gelb.«

Manchmal aber kommt es doch vor, daß die Post den Korb mit den bestellten Kulturen bringt. Hurra! Gerade für dieses Beet hier brauchen wir etwas sehr Hohes, zwischen dem Eisenhut und dem Rittersporn; wir geben diesen Diptamus hin, auch Hirschkraut oder Brennender Strauch genannt, gewiss; der Setzling, den wir bekommen haben, ist zwar sehr klein, aber er wird rasch wachsen.

Ein Monat vergeht, aber der Setzling will nicht in die Höhe gehen; es sieht wie niedriges Gras aus – wäre es nicht ein Diptamus, bei Gott, man könnte glauben, es sei ein Dianthus. Wir müssen ihn ordentlich begießen, damit er wächst; er hat ja auch irgendwelche rosa Blüten –

»Sehen Sie mal her«, wendet sich der Gartenmann an den erfahrenen Gast, »das ist ein niedriger Diptamus, nicht wahr?«

»Sie wollten sagen Dianthus«, verbessert der Gast.

»Natürlich, Dianthus«, sagt der Hausherr rasch, »ich habe mich nur versprochen; ich dachte nämlich gerade, daß sich zwischen den hohen Perennen ein Diptamus besser ausnehmen würde, meinen Sie nicht auch?«

Jedes Handbuch für Gärtner besagt, daß »man sich Kulturen am besten aus Samen beschafft«. Aber es erwähnt nicht, daß die Natur, soweit es die Samen betrifft, ihre eigenen Gewohnheiten hat. Es ist nämlich ein Naturgesetz, daß entweder kein einziger von den angebauten Samen aufgeht oder alle auf einmal. »Hier würde eine dekorative Distel gut herpassen, zum Beispiel so eine Kratzdistel oder Krebsdistel.« Und schon kauft man von jedem ein Säckchen voll, setzt aus und freut sich, wie schön die Samen keimen werden. Nach einiger Zeit muß man sie auseinandersetzen; und der Gärtner jubelt, daß er hundertsechzig Töpfe mit üppigen Sämlingen hat, und meint, dieses Züchten aus Samen sei doch noch das beste.

Dann sollen die Sämlinge in die Erde kommen; was aber fängt der Mensch mit hundertsechzig Disteln an? Schon hat er jedes freie Plätzchen ausgenützt, und noch immer bleiben mehr als hundertdreißig übrig; soll er sie auf den Mist werfen, wo er sich so viel Mühe mit ihnen gegeben hat?

»Herr Nachbar, wollen Sie nicht ein paar Sämlinge der Kratzdistel? Sie ist wirklich sehr dekorativ.«

»Meinetwegen.«

Gott sei Dank, der Herr Nachbar bekam dreißig Sämlinge, mit denen er jetzt verlegen im Garten herumläuft und einen Platz sucht, wo er sie einsetzen könnte. Bleibt noch der Nachbar von unten und von gegenüber.

Gott helfe ihnen, bis die zwei Meter hohen dekorativen Disteln herangewachsen sind!


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