Luis Vaz de Camões
Lusiade
Luis Vaz de Camões

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Siebenter Gesang

                           

1.

So waren sie denn endlich zu dem Lande,
    Dem heißersehnten, muthig vorgedrungen,
Das sich dahin streckt von des Indus Sande
    Zum Ganges, der im Paradies entsprungen.
Auf! tapfres Volk! das auf dem fernen Strande
    Nach Sieg nur strebt, durch heißen Kampf errungen,
Du landest schon, schon ist ein Reich Dir offen,
Wo Du kannst Ueberfluß und Reichthum hoffen.

2.

Euch mein' ich! Lusus würd'ge, tapfre Kinder!
    Die solch' ein kleiner Theil Ihr seyd der Erde,
Nicht nur der Erd', im Schaafstall auch nicht minder
    Ein kleiner Theil von unsers Heilands Heerde!
Euch, des unreinen Volkes Ueberwinder,
    Ob es auch Drangsal koste und Beschwerde,
Habgierig nie und stets gehorsam schaltend
Der Mutter, in der Himmel Wahrheit waltend.

3.

Euch Portugiesen! wenig zwar, doch eben
    So tapfer auch, um nimmer drum zu zagen.
Euch! die ihr gebt und gabet tausend Leben,
    Des Kreuzes Heil in alle Welt zu tragen;
Euch hat der Himmel Rathschluß es gegeben,
    Viel Großes für die Christenheit zu wagen,
Ob Wenige Ihr auch für Christum streitet,
Weil er den Niedern hohen Ruhm bereitet. 175

4.

Ihr seht der Deutschen stolze Heerde weiden
    Auf fetten Fluren, reichbegabten Auen
Und gegen Pedrus Stuhl rebellisch streiten,
    Und neuen Hirten, neuer Lehr' vertrauen,
Und immer fort mit wildem Krieg sie schreiten
    Und niemals der Verblendung Irrthum schauen
Und fechten, nicht um Türken zu besiegen,
Nein! in des Glaubens Joch sich nicht zu schmiegen.

5.

Ihr seht den harten Britten! König nennet
    Er sich der alten heil'gen Stadt der Christen,
Die doch nur Mahoms schnöden Scepter kennet.
    Wie muß sich Ehr' und Wahrheit drob entrüsten!
Dort in des Nordens Schnee, weit abgetrennet,
    Will er mit neuem Christenthum sich brüstenAnspielung auf die Reformationsversuche, die eben um die Zeit, als Camoens sein Lied dichtete, in England Statt fanden.
Und gegen Christen nur sein Schwert entblößen,
Nicht, um sein Erb' im Morgen auszulösen!

6.

Ein falscher König konnte Herrschaft gründen
    Im Lande, wo Jerusalem jetzt weinet,
Dem niemals, ihn dem Glauben zu verbünden,
    Das himmlische Jerusalem erscheinet!
Was soll ich, Gallier!Der Dichter rügt es sehr ernstlich, daß die Könige von Frankreich die gallicanische Kirche von jeher freyer von dem Einfluß des Pabstthums erhielten als andre Monarchen. dann von dir verkünden,
    Der sich den Allerchristlichsten vermeinet,
Nicht, solchen Namen mehr stets zu bewähren,
Nein! ihn zu schänden und ihn zu verkehren!

7.

Du suchst ein Recht in andrer Christen Landen;
    So weit auch Deine Grenze schon sich breitet,
Willst nicht am Nil, an des CynifusEin Strom in Afrika, mit welchem der Dichter die Länder der Mauren oder Mohren bezeichnet. Stranden
    Mit unsrer Kirche Widersachern streiten.
Dort zieh Dein Schwert, wo Glaube nicht vorhanden,
    Dort mögest Du Dir Kampf und Ruhm bereiten!
Nur Karls und Ludwigs Namen willst Du erben,
Nicht Heil, wie sie, im frommen Streit erwerben. 176

8.

Was soll ich sagen noch von jenen Staaten,
    Die, schlaffer Ruh' und Müßiggang ergeben,
Nicht eingedenk der alten Heldenthaten,
    Nach Reichthum geizen und nach Lüsten streben.
Ach! Tyranney wird Feindschaft nie entrathen,
    Daß dort die Völker nur in Zwietracht leben.
Ich meine Dich, Italia! versunken
In Krieg und Fehden und von Wollust trunken!

9.

O arme Christen! Eines Heils Genossen!
    Ihr seyd die Zähne, die einst Cadmus streute,
Von denen Jeder, Einem Leib entsprossen,
    Zu tödten nicht die andern Brüder scheuteAls Cadmus, nach der Fabel, seine Kampfgenossen durch eine große Schlange getödtet sah, erlegte er dieselbe und säete ihre Zähne auf das Feld. Daraus erwuchsen denn nun freylich bewaffnete Männer, allein es währte auch nicht lange, so fielen sie selbst übereinander her und tödteten sich..
Seht Ihr das Grab, wo Christi Leib verschlossen,
    Nicht jener argen Hunde schnöde Beute,
Die, nur zu Eurer Schande eng verbunden,
Des alten Landes Scepter Euch entwunden?

10.

Ihr seht, wie standhaft sie an Jenem halten,
    Was Brauch und Satzung Ihnen ist geworden,
Nur gegen Volk, wo Christi Lehren walten,
    Einher zu ziehn mit nimmer müden Horden.
Und unter Euch will nur Alecto schalten,
    Die Samen streut, daß Brüder Brüder morden!
Wie könnt Ihr je Euch Sicherheit bereiten,
Da Ihr mit ihnen und mit Euch müßt streiten?

11.

Kann nur die Gier nach großer Länder Strecken
    Im fernen Ausland Muth und Kraft Euch leihen
Und Christi Grab nicht Euer Herz erwecken,
    Und will es sich nur ird'schen Schätzen weihen,
Seht Africa des Goldes viel verdecken!
    Seht der Assyrer goldne Stickereyen!
Und seht des Pactolus und Hermus Wellen
In ihrem Bett von Goldsand reich erschwellen! 177

12.

Und der Erfindung neues wildes Grausen,
    Die Tod nur trägt auf flammenden Geschossen,
Mag nur die Wälle von Byzanz umbrausen
    Und wo sich sonst des Türken Macht ergossen.
Er kehre nur in seiner Berge Klausen
    Am Kaukasus, im Scythenland entsprossen
Ist türkisches Geschlecht, das sich so breitet
Und in Europa Wohnplatz sich bereitet.

13.

O seht! wie Grieche, Thrake und Armene
    In fernem Land zu Euch die Hände ringen,
Gezwungen, ihrer Liebe theure Söhne
    Dem schnöden Koran zum Tribut zu bringen.
O! duldet nicht, daß Menschheit so man höhne,
    Dort rühmet Euch das Siegesschwert zu schwingen!
Nicht wollet nach der Schmach des Ruhmes streben,
Nur gegen Euch den Arm der Macht zu heben.

14.

Doch während Ihr, von Blindheit nur geschlagen,
    Euch selbst nur mordet auf des Frevels Bahnen,
Gebricht es nicht an Christenmuth und Wagen
    Im kleinen Reich der wackern Lusitanen.
In Asien darf es die Krone tragen,
    Von Africas Gestad' wehn seine Fahnen,
Ihm huldigt selbst der vierte Theil der Erden,
Und wird noch Einer kund, Sein wird er werden!

15.

Nun laßt uns auch die Blicke wieder richten
    Auf der berühmten Schiffer fernres Walten,
Nachdem, der Stürme wilden Kampf zu schlichten,
    Der blonden Venus hohe List erhalten,
Nachdem das Land, auf das nur stand ihr Dichten,
    Beginnt sich weit und herrlich zu entfalten,
Das Land, das sie zu Christi Kreuz erheben
Und dem sie neue Sitt' und Herrschaft geben. 178

16.

Als sie der neuen Küste nahe schweben,
    Sehn sie im Meere Fischerböte gleiten,
Aus Calecut, die ihnen Kunde geben
    Vom Weg dahin und dann die Fahrt geleiten.
Nach Calecut will nun die Flotte streben,
    Weil diese Stadt die schönste war im weiten
Und schönen Malabar und dort regierte,
Der dieses ganzen Landes Scepter führte.

17.

Vom Ganges hier, vom Indus dort umflossen,
    Liegt dieses Land, dem hoher Glanz geworden,
Gen Süden von dem Weltmeer eingeschlossen
    Und von Emodos Höhlen gegen Norden.
Manch Königreich ist in dem Land' entsprossen,
    Verschieden Recht und Glauben seiner Horden.
Hier werden Götzen, Mahom dort verehret,
Dort wieder Thiere, die das Land ernähret.

18.

Und in des großen Urgebirges Gründen,
    Das Asien immitten ganz durchschneidet
Und das verschiedne Namen auch verkünden,
    Wie es verschiedne Regionen scheidet,
Ist jener Ströme Bronnen zu befinden,
    Für welche Tod des Indus Meer bereitet,
Und die den ganzen Erdstrich fast umschlingen
Und ihm den Namen Chersonesus bringen.

19.

Der ganzen Breite langgestreckte Auen,
    Die fernhin zwischen beiden Strömen liegen,
Sind einer Pyramide gleich zu schauen
    Und Ceylon liegt dabey, dem Meer entstiegen,
Und in der Näh', wie Sagen uns vertrauen,
    Wo an den Ganges sich die Fluren schmiegen,
Ernähren sich die, die am Ufer wohnen,
Von Düften nur aus zarter Blumen Kronen. 179

20.

Es zeigen dieser Reiche Unterthanen
    Vielfache Sitten, Bräuche, Namen, Weisen,
Hier sind von Deli die, hier die Patanen,
    Die sich an Zahl und Land die stärksten preisen.
Hier hat Decanern und hier Orianen
    Des Ganges Strom Entsündigung verheißenDie Einwohner von Decan und die Orianer, am Ausfluß des Ganges wohnhaft, schreiben dem Wasser desselben eine Kraft der Sühnung zu und baden sich deshalb in seinen Wellen.,
Und mehr als Alle sieht man hier Bengalen
Im Ueberfluß der höchsten Fülle strahlen.

21.

Hier ist Cambajas tapfres Reich gelegen,
    Wo Porus einst geherrscht nach alten Sagen,
Narsinga hier, das Edelsteine hegen
    Und Gold nur will, und nicht die Waffen tragen,
Hier sieht man schon aus fernen Meereswegen
    Weithin den Rücken des Gebirges ragen,
Das Malabar mit hoher Mauer decket,
Daß es nicht Canara zu Boden strecket.

22.

Und Gate wird dort das Gebirg geheißen,
    Und, sich erstreckend von den Felsenwällen,
Will eine schmale Zunge Land's sich weisen,
    Um welche wilde Meeres-Fluthen schwellen.
Hier ist die Stadt, vor Allen hoch zu preisen,
    Hier Calecut, der Keine gleich zu stellen
An Füll' und Schönheit, wo der Herrscher weilet,
Dem des Samorims Name zugetheilet.

23.

Schon hat ins Meer der Anker eingeschlagen,
    Da muß ein Portugies zum König ziehen,
Um ihm die Ankunft derer anzusagen,
    Die aus so fernen Landen hergediehen.
Und als ihn hin des Stromes Wellen tragen,
    Die Landabwärts zum nahen Meere fliehen,
Läuft alles Volk, daß es den Mann betrachte
Und auf des Fremdlings Farb' und Kleidung achte. 180

24.

Und unterm Volk, das rings herbey geflossen,
    Ist ein Muhamedaner auch zu finden,
Dem fernen Land der Barbarei entsprossen,
    Wo Antheus einst sich wollte Herrschaft gründenAntheus soll Tanger gegründet und über das ehemalige Mauritanien, das jetzige Fes und Marocco, geherrscht haben..
Ob der nun, als von Nachbarn und Genossen,
    Vom Volk der Lusitanen kann verkünden,
Ob, weil er einst der Helden Schwert erkannte,
Genug! daß Schicksal ihn so weit verbannte!

25.

Den Boten schauend will er froh ihn grüßen
    Und, da ihm kund die Sprache der Hispanen,
Spricht er: Was hat so weit, laß mich es wissen,
    Geführt in andre Welt Euch Lusitanen!
Und Jener: durch des Meeres Tiefen müssen
    Wir neuen Weg den Menschenkindern bahnen,
Den Indus suchend in den fernsten Weiten,
Um Gottes Wort auf Erden auszubreiten.

26.

Voll Staunen ist ob solcher Fahrt und Reise
    Der Mohr, der Monçayde sich benennet,
Als ihm die Nöthen in des Meeres Kreisen,
    Auf ihrer Fahrt des Boten Mund bekennet;
Allein, da, nach des Admirals Geheiße
    Zum König hin zu ziehn, der Bote brennet,
Spricht Jener, in der Stadt sey nicht der König,
Doch bis zu ihm des Weges auch nur wenig.

27.

Und unterdeß dem Könige die Kunde,
    Von solcher Ankunft man vermelden werde,
Möcht' er nur ruhn in seiner Hütte Runde
    Und kosten, was erzeuge hier die Erde.
Dann zögen sie zur Flotte hin zur Stunde
    Wenn er gerastet von des Wegs Beschwerde,
Denn, zu erfreun sey nichts so sehr im Stande,
Als Nachbarn finden im entfernten Lande. 181

28.

Der Bote nahm, was Gutes war vorhanden,
    Beym edlen Monçayd mit frohen Mienen;
Als hätte Freundschaft lange schon bestanden,
    Ließ er sich speisen, tränken und bedienen.
Dann kehrt' er mit dem Mohren zu den Stranden,
    Wo, dem bekannt, die Schiffe bald erschienen;
Dann wollen sie zu Gamas Schiff gelangen
Und fröhlich wird der brave Mohr empfangen.

29.

Der Admiral will an das Herz ihn drücken,
    Als ihm Castiliens holde Laute beben.
Er setzt sich und der Mohr muß nah ihm rücken
    Und ihm von Land und Allen Nachricht geben.
Wie einst auf Rhodopes umbuschten Rücken
    Die Wälder, lauschend, Orpheus rings umgeben,
Als seine goldne Leyer war erklungen,
So ward der Mohr von Allen jetzt umschlungen.

30.

Und er begann: Ihr Männer! deren Landen
    So nahe liegen meiner Heimath Auen,
Was führt Euch wohl zu diesen fernen Stranden,
    Euch solchem Wege rüstig zu vertrauen?
Traun! was Euch aus der Heimath festen Banden,
    Dort wo des Tago, Minho Wässer thauen,
Auf neuen Meeren zog in ferne Welten,
Das kann nicht Kleines seyn, nicht Schlechtem gelten.

31.

Gott ist mit Euch! Der hat Euch wohl beschieden,
    Ein Werk in seinem Dienste zu vollbringen.
Drum leitete, drum schützt' er Euch hienieden,
    Drum konntet Ihr Feind, Meer und Sturm bezwingen!
Wißt dann! Ihr seyd in Indiens Gebieten,
    Die edle Steine, feines Gold Euch bringen,
Und süße Düfte, heiße Spezereyen
So manchem reichen frohen Volk verleihen. 182

32.

Und die Provinz, in deren weiten Porten
    Ihr Anker nahmt, heißt Malabar, ergeben
Dem Heidenthum von jeher aller Orten,
    Wie alle hier in gleichem Wahne leben.
Jetzt ist sie vielen Herrschern zinsbar worden,
    Da Einem nur sie früher war gegeben.
Es ward der letzte, der sie unzertrennet
Beherrscht, Sarama Perimal genennet.

33.

Denn, als in diese Länder Völker kamen,
    Dorther wo Mecca liegt, am Meer gegründet,
Zu predigen hier Mahoms Lehr' und Nahmen,
    Wie solches meine Aeltern mir verkündet,
Ward, als sie streuten dieses Glaubens Samen,
    Von solcher Predigt Perimal entzündet,
Daß er, um ganz den Glauben zu erwerben,
Sich vornahm, als ein Heil'ger nur zu sterben.

34.

Er rüstet Schiffe, groß und reich befrachtet
    Mit seltnen Waaren, feinen Spezereyen,
Weil er zum Grabmal des Propheten trachtet,
    Um Gaben ihm und seinen Dienst zu weihen.
Doch will er denen, die er liebt und achtet,
    Vorher am Reiche Antheil noch verleihen
Und, da ihm keine eignen Erben leben,
Den Niedern Macht, den Armen Reichthum gehen.

35.

Dem giebt er Cochim, Jenem Cananor,
    Dem Chale, dem der Pfefferinsel Reiche,
Und diesem Coulam, diesem Cranganor,
    Daß Jedes Antheil seinen Diensten gleiche.
Da tritt sein liebster Diener noch hervor! –
    Schon ist getheilt, doch, daß er Keinem weiche,
Giebt er ihm Calecut, die reiche, große,
Das kleinste, doch das beste aller Loose. 183

36.

Denn Kaiser will er noch, daß man ihn heiße,
    Und als die Andern unterthan ihm geben,
Und so beginnt drauf Perimal die Reise,
    Um sich zu weihn dem frommen heilgen Leben.
Samori nennt sich denn auf solche Weise,
    Um über all' die Andern sich zu heben,
Der Diener und nach ihm des Stammes Glieder,
Wie auch sein Sproß, der jetzige Gebieter.

37.

Es beut der Götzendienst des ganzen Landes
    Nur ein Gewebe toller Phantasien.
Das Volk geht nackt, nur muß sich des Gewandes,
    Noch um die Hüften zur Verhüllung ziehen.
Zwiefach ist hier der Unterschied des Standes:
    Nairen heißen, die zu Macht gediehen,
Und Paleanen, die Geringern, denen
Verboten ist, sich zu vermischen Jenen.

38.

Nie dürfen sie aus ihren Schranken weichen,
    Nie jener Kaste Töchter sich erkühren.
Die Lebensart, die ihren Vätern eigen,
    Muß Jeder auch der Söhne wieder führen,
Zur Schande will Nairen es gereichen,
    Wenn irgend Paleanen an sie rühren:
Sie halten sich für unrein dann und baden,
Sich der Vefleckung wieder zu entladen.

39.

So hielten einst sich die Israeliten
    Auch ferne von Samarias Geschlechte;
Doch sonderbarer noch sind andre Sitten
    Zu Lande hier und andre Bräuch' und Rechte.
Nie haben Paleanen noch gestritten,
    Nur die Nairen ziehen zum Gefechte
Den König schützend und der Waffen Schimmer
Und Schild und Schwert weicht von den Kriegern nimmer. 184

40.

Es heißen ihre Priester die Braminen,
    Ein alter Name, lang und hoch verehret.
Und dessen Vorschrift waltet unter ihnen,
    Der uns, was Weisheit sey, zuerst gelehretNach Diogenes Laertius soll Pythagoras zuerst der Weltweisheit den bescheidnern Namen der Philosophie oder Liebe zur Weisheit gegeben und sich selbst dem zu Folge einen Philosophen genannt haben..
Nicht darf ein Thier zu ihrer Nahrung dienen
    Und, Lebendes zu tödten, ist verwehret;
Nur, daß sie da, wo Venus Rechte walten,
Noch sonder Zwang und freier dürfen schalten.

41.

Die Weiber dürfen Alle gleich belohnen
    Und Ihrer Kaste Jeglichem sich gatten.
Heil dieser Sitte! diesen Nationen!
    Die nimmer Schmerz und Eifersucht umschatten.
Und dieser Brauch und andre Bräuche wohnen
    Im Lande hier, die Manches noch verstatten.
Auch sind, vereint durch Schifffahrt, hier zu haben
Von China bis zum Nil der Erde Gaben.

42.

So sprach der Mohr und überall schon breiten
    Gerüchte sich vom Kommen dieser Helden.
Da müssen flugs sich Einige bereiten,
    Dem Könige, was wahr daran? zu melden.
Schon nahen, und zugleich mit ihnen schreiten
    Viel Andre noch, die sich dazu gesellten,
Die Räthe, sich des Auftrags zu entbrechen
Und mit der Flotte Admiral zu sprechen.

43.

Doch dieser, dem Erlaubniß angewiesen
    Vom König war, sich an das Land zu heben,
Zieht mit den Edlen seiner Portugiesen,
    Um welche reiche Kleider prachtvoll schweben,
Der Farben buntes Ineinanderfließen
    Muß diesem Volke frohes Staunen geben,
Indeß die Ruder nach dem Takt geschwungen,
Schon aus dem Meer sind in den Fluß gedrungen. 185

 

44.

Am Ufer steht, umgeben von Nairen,
    Ein Catual in festlich hohem Prangen,
(So heißen, die des Landes Wohl regieren,)
    Um mit Umarmung Gama zu empfangen.
Dann läßt er eine Tragbahr herrlich zieren
    Und bietet sie, mit Decken reich umhangen,
Dem Admiral, daß er, nach Landesweise,
Auf Menschenschultern nach der Hauptstadt reise.

45.

Ein gleicher Sessel trug den Malabaren,
    Um Gama hin zum König zu geleiten
Und all die andern Portugiesen waren
    Geordnet, wie das Fußvolk zieht zum Streiten.
Es strömt das Volk in wild verworrnen Schaaren,
    An diesen Fremden seinen Blick zu weiden
Und möchte gern mehr wissen noch und fragen,
Wenn nichts sich einst mit Babel zugetragen.

46.

Doch jenen Beiden, die mit Red' und Worten,
    Wie Zeit und Stoff Gelegenheit gewähren,
Sich unterhalten von der Sessel Borden,
    Kann Monçayd das Nöthige erklären.
Als sie nun einziehn in der Hauptstadt Pforten,
    Muß sich der Blick nach einem Tempel kehren,
Der sich erhebt in stattlich hohem Prangen,
Mit offnem Thor die Gäste zu empfangen.

47.

Hier sind der Götzen Bilder aufbehalten,
    Aus Holz und kaltem Marmelstein gehauen,
An Farben bunt und vielfach an Gestalten,
    Nach Satans Phantaseyen anzuschauen,
Wie der Chimera Glieder sich entfalten,
    Ist dieser scheuslichen Gebilde Grauen.
Die Christen stehn und staunen nur, da ihnen
In Menschenform nur Gottes Bild erschienen. 186

48.

Mit Hörnern ist des Einen Bild versehen,
    Wie Ammon Zevs in Lybien getragen,
Da hier aus einem Rumpf zwey Köpfe gehen,
    Wie Janus Bild einst war in alten Tagen.
Den sieht man dort mit hundert Armen stehen,
    Gleich den Giganten nach der Dichter Sagen;
Und dem ist hündisch das Gesicht verkehret,
Wie Memphis den Anubis einst verehret.

49.

Als ihr Gebet die Heiden nun verrichtet,
    Wie Brauch und Aberglauben mit sich brachten,
Wird stracks der Weg zum König hin gerichtet,
    Ohn' irgendwo auf Etwas sonst zu achten;
Indeß sich stets der Auflauf noch verdichtet
    Und näher drängt, den Fremdling zu betrachten,
Und Jung und Alt und Kinder, Mädchen, Frauen
Von Thür und Dächern nach dem Zug nur schauen.

50.

Und dieser naht und nicht mit trägem Schritte
    Den Gärten schon, in deren Duftgehegen
Des Königs Wohnung, nach des Landes Sitte,
    Nicht thürmend ragt, doch prachtvoll ist gelegen.
Die Großen baun dort in der Bäume Mitte,
    Wo sich Gebüsche kühlend stets bewegen,
So daß die Herrscher dieser heißen Zonen
Zugleich die Stadt, zugleich das Land bewohnen.

51.

Des Schlosses Pforten sind gar schön gezieret
    Durch Dädals Kunst mit Bildern und Gestalten,
Daß sich der Blick in ferne Zeit verlieret
    Und Wunder sieht am alten Indus walten.
So lebhaft ist hier Alles ausgeführet,
    Was die Geschichten grauer Zeit enthalten,
Daß, wem davon nur Kenntniß ist vergönnet,
Durch Schatten gleichsam Wirklichkeit erkennet. 187

52.

Hier ist ein Heer, wo der Hydaspes gleitet
    Im Orient, gebildet zu befinden,
Der Führer, der mit seinen Schaaren schreitet,
    Will Alles mit dem Thyrsus überwinden,
Und, aufgebaut durch seine Macht, verbreitet
    Sich Nisas Stadt, da, wo sich Fluthen winden,
Und Alles formten so des Künstlers Hände,
Daß Semele den Sohn selbst wieder fändeSelbst Semele, Mutter des Bacchus, müßte ihres Sohnes Lüge wieder erkennen..

53.

Ein Heer Assyrer, nimmermehr zu zählen,
    Leert trinkend dort des ganzen Stromes Wellen,
Gehorsam eines schönen Weibs BefehlenSemiramis.,
    In deren Brust nur rohe Triebe schwellen,
Was kann sie noch zu ihrer Wollust wählen,
    Wem noch als ihrem Zelter sich gesellen,
Wenn sich der Sohn von ihrem Lager wendet?
O schnöde Brunst! die ganz die Menschheit schändet.

54.

Und weiterhin in Lüften flatternd schwingen
    Sich, herrlich prangend, Griechenlands Paniere;
Die dritte Monarchie, um zu bezwingen
    Des Ganges Wellenrauschende Reviere.
Wohl muß dem jungen Führer es gelingen,
    Daß ew'ger Lorbeer seinen Scheitel ziere,
Nicht Philipps Kraft ist dieser Held entsprossen,
Aus Jovis Flammen selbst er aufgeschossen.

55.

Als solches nun beschaun die Portugiesen,
    Läßt weiter sich der Catual vernehmen:
Bald kömmt die Zeit, zu Kampf und Sieg gewiesen,
    Um alle diese Siege zu beschämen,
Denn höh're Thaten, nicht zu gleichen diesen,
    Vollbrächten einst, die aus der Ferne kämen!
Dies ist der Spruch der Magier gewesen,
Die alle Zukunft in den Sternen lesen. 188

56.

Auch wollten noch die Seher prophezeyen,
    Sprach er dann weiter, daß vor diesen Helden
Kein Sterblicher je werde Schutz verleihen,
    Weil gegen Schicksal nichts die Menschen gelten.
Zu solchem Glanze sollen sie gedeihen
    In Krieg und Frieden, daß in allen Welten
Noch würde der Besiegten Ruhm erheben,
So hohen Siegern unterthan zu leben.

57.

Und so, bey freundlichem Gespräch', erreichen
    Sie nun den Saal des Kaisers, der auf Kissen
Gelehnet ruht, die keinen andern gleichen,
    Da alle solcher Kunst und Fülle missen;
In des Monarchen edler Miene zeigen
    Sich Weisheit, Güte, Kraft und hohes Wissen.
Ein Goldgewand hält seinen Leib umgeben,
Sein Haupt ein Tuch, wo Edelsteine weben.

58.

An seiner Seite reicht, das Knie gebücket,
    Ehrwürdig in der Jahre Zahl ergrauet,
Ein Greis ihm Blätter, von dem Kraut gepflücket,
    Vom wärmenden, das gern der Kaiser kauetEs ist im Morgenland gemeine Sitte, beynahe stets Betel zu kauen.;
Und ein Bramin, den hohe Würde schmücket,
    Geht drauf zu Gama, als er nah ihn schauet,
Ihn vorzustellen nach des Hofs Gesetzen,
Allein der Kaiser winkt ihm, sich zu setzen.

59.

Dem Herrscher nah hat Gama Sitz erhalten,
    Seitwärts die Andern, deren neue Trachten,
Sonst nie gesehn und seltsam fremdes Walten
    Des Kaisers Augen forschend rings betrachten,
Als Gama's weise Worte draus erschallten,
    Die, wie auch solches billig ist zu achten,
Des Königs Gunst ihm bald zu Wege bringen,
Und alles Volkes, das sie hört erklingen. 189

60.

Der große König jener Regionen,
    Wo stets im Umschwung, der den Himmel drehet,
Die Sonne weicht aus unsrer Erde Zonen
    Zu andern hin, wenn uns die Nacht umwehet,
Vernahm vom Echo Deines Reiches Thronen
    Im Aufgang hier, in Indien erhöhet,
Und Deinem Scepter Alles untergeben
Und will mit Dir in Freundschafts-Bündniß leben.

61.

Mich sendet er durch vieler Fluthen Kreise,
    Dir zu verkünden, daß von allen Dingen,
Die Meer und Land mit nimmer müdem Fleiße
    Aus jedem Erdstrich herrlich dar uns bringen,
Vom Tago bis zum Nil, von Seelands Eise
    Bis wo der Sonne Lauf es muß gelingen,
Den Aethiopen Tag und Nacht zu gleichen,
Die höchste Fülle strömt in seinen Reichen.

62.

Und wolltest Du mit heil'ger Freundschaft Schwüren
    Und mit Verträgen Dich ihm fest verbinden,
Daß jedes Reich zum andern dürfte führen
    Die Schätze, die in Jeglichem sich finden;
Bald würde man noch höhern Reichthum spüren,
    Für den die Menschen Alles überwinden,
Denn jedes Reich gewönn' in dem Vereine,
Das Deine Nutzen, hohen Ruhm das Seine.

63.

Und, daß der Freundschaft eng geschlungne Bande
    Auf ewig möchten zwischen beiden walten,
Verspricht er, wenn, zum Drangsal dieser Lande,
    Der wilde Krieg im Reiche wollte schalten,
Flugs Waffen, Krieger, Schiffe Deinem Strande
    Und, gegen Dich als Bruder sich zu halten
Und ob er deß zu Dir sich recht versehen,
Das möchte mir Dein sichres Wort gestehen. 190

64.

So sprach der Admiral der Portugiesen,
    Worauf der Heyden König dies dagegen:
Viel Ehre habe der Gesandte ihm erwiesen,
    Des fernen Volkes Wunsch ihm darzulegen;
Allein vor seinem endlichen Entschließen,
    Woll' er noch Rath mit seinen Treuen pflegen,
Um so noch mehr von ihm und seinen Schaaren
Und seinem Land und König zu erfahren.

65.

Indessen mög' er ausruhn von der weiten
    Fahrvollen Reise, denn in wenig Tagen
Woll' er auf seine Botschaft ihm bescheiden,
    Was seinem Herrn er Gutes solle sagen.
Und schon beginnt die Nacht sich zu verbreiten,
    Ihr Ziel zu setzen allen Erdenplagen,
Mit süßem Schlaf die Glieder zu erquicken
Und fest der Menschen Augen zu umstricken.

66.

Bey Jenem, der am Ufer ihn empfangen,
    Erhält nun Gama Wohnung mit den Seinen,
Und festlich hoch wird diese Zeit begangen,
    In Lust und Freude Alle zu vereinen.
Doch, auch gewohnt, streng an der Pflicht zu hangen,
    Muß ihm vor Allem nöthig jetzt erscheinen,
Noch mehr vom Land, aus dem die Fremden kämen,
Und ihrem Brauch und Glauben zu vernehmen.

67.

Drum, als der goldgeschmückte Strahlenwagen
    Des Deliers den Morgen will gewähren,
Ruft er den Monçayd, durch tausend Fragen,
    Sich von dem neuen Volke zu belehren;
Daß dieser ihm von Allem solle sagen
    Und, was er wiss und meine, frei erklären,
Wer diese Fremden, da er wohl vernommen,
Daß sie aus seiner Heimath Nähe kommen? 191

68.

Und, daß er nicht der Worte solle sparen,
    Des Herrschers Dienst gehorsam sich zu zeigen,
Damit sich dann dem möge offenbaren,
    Was frommen werde seines Scepters Reichen,
Und drauf der Mohr: Ich will, was ich erfahren,
    So wenig es auch ist, Dir nicht verschweigen.
Es wohnt dies Volk an Spaniens Gestaden,
Wo Phoebus und mein Land im Meer sich baden.

69.

Sein Glaub' ist des Propheten Wort und Lehre,
    Den, von der Unbefleckten Schoos geboren,
Der Gott, der Herr ist über Erd und Meere,
    Durch seinen Geist zum Sohne sich erkohren.
Der Ruff von dieses Volkes Waffenehre
    Hat noch in meinem Land sich nicht verloren;
Denn unsre Väter haben es erfahren,
Wie schwer der Arm sey dieser Heldenschaaren.

70.

Sie trieben uns aus jenen fetten Auen,
    Wo Städte hoch am reichen Tago ragen
Und Guadianas frische Wellen thauen,
    Mit mehr als Menschen Kraft und Muth und Wagen.
Sie schreckte nicht der Meere Sturm und Grauen,
    Nach Africa des Krieges Schwert zu tragen,
Daß wir auch dort selbst sicher uns nicht fänden
Und Stadt und Burg erlägen ihren Händen.

71.

Nicht minder tapfer haben sie gerungen,
    Nicht minder klug in allen andern Kriegen,
Ob furchtbar die Hispanen eingedrungen,
    Ob Andre von Pirene niederstiegenNicht nur mit den Spaniern, sondern mit allen Völkern welche den Portugiesen jenseits der Pyrenäen liegen, mithin auch mit Römern etc. haben sie muthig gefochten. Dies ist wohl die beste Erklärung der nicht ganz deutlichen Zeile in dieser Stanze.;
So daß es keinem fremden Schwert gelungen,
    Die Trefflichen im Kampfe zu besiegen.
Nie fanden, wer auch je sich wollte stellen,
Für diese Hannibale sich Marcellen. 192

72.

Und, wenn Dir das, was ich Dir jetzt berichtet,
    Noch nicht genügt, so laß sie selber sprechen.
Sie sind ein Volk, das nicht auf Lügen dichtet
    Und Falschheit dünkt den Wackern ein Verbrechen.
Die Flotte sieh! die Waffen aufgeschichtet!
    Die Nacht des Erzes, alles zu durchbrechen,
Du wirst Dich freun, die Künste dieser Schaaren,
Zu Krieg und Frieden trefflich, zu gewahren.

73.

Und schon entbrennt Verlangen in dem Heiden,
    Selbst das zu sehn, was ihm der Mohr verkündet,
Und eilig läßt er Böte drum bereiten,
    Um hin zu ziehn, wo sich die Flotte findet.
Mit ihm ist Gama! seine Fahrt geleiten
    So viel Nairen, daß das Meer verschwindet.
Schon sehn sie hoch die Admirale prangen,
Schon werden sie am Bord von Paul empfangen.

74.

In Purpur glänzen Flaggen, Wimpel, Binden,
    Aus eines Wurms Gespinnste reich gewoben,
Und Schildereien sind darauf zu finden,
    Von wildem Kampf und hoher Stärke Proben,
Wo sich der Feldschlacht Thaten heiß entzünden,
    Wo wilder Zweikampf grausam wird erhoben
Und von den Dingen, die sich hier entfalten,
Wird fest der Blick des Catuals gehalten.

75.

Schon will er fragen, aber sich zu setzen,
    Wird er zuvor von Gama angewiesen,
Und, sich an jenen Freuden zu ergötzen,
    Die Epikur den Schülern so gepriesen;
Aus schäumenden Gefäßen sich zu letzen,
    In welchen Noä süße Gaben fließen.
Doch dessen muß der Heide dort entbehren,
Nach seiner Kaste Satzungen und LehrenDie Braminen dürfen nur mit denen von ihrer Kaste zusammen speisen. Hieraus erhellet, daß der Dichter den Catual für ein Glied derselben gehalten hat.. 193

76.

Da wollen die Drommeten schmetternd hallen,
    Des Krieges Bild in Frieden zu erzwingen
Und, flammend, höllische Maschinen schallen,
    Daß auch des Meeres Tiefen noch erklingen.
Der Heide merkt darauf mit Wohlgefallen,
    Doch möcht' er nur Bescheid von jenen Dingen,
Von jener Thaten Umriß flugs erhalten,
Die stumme Poesie dort will entfalten.

77.

Nun steht er auf! mit ihm die Gama, Beyde,
    Coëlho seitwärts und des Mauren Blicken
Zeigt sich ein Greis im wilden Kriegsgeschmeide,
    Den weißes Haar und Würd' und Hoheit schmücken,
Deß Namen nimmer wird mit scheelem Neide,
    Der Zeiten Hand den Sterblichen entrücken.
Ein griechisches Gewand muß ihn umflechten
Und einen Zweig hält er in seiner Rechten.

78.

Und einen Zweig hält – – aber mich verblenden,
    Mich Rasenden, tollkühner Wünsche Fahren,
Wollt Ihr Euch nicht Tagiden zu mir wenden
    Und mein auf schwerem langen Wege wahren!
Euch ruf' ich an, sonst kann ich nicht vollenden,
    Das Meer in solchen Stürmen nicht befahren!
Helft Ihr mir nicht, so wird mir kaum gelingen,
Mit schwachem Kahn die Fluthen zu bezwingen.

79.

Seit ich begeisterten Gemüths gesungen
    Von Eurem Tago, Euren Lusitanen,
Hat mich das Glück zu mancher Fahrt gezwungen
    Und Schmach und Arbeit folgte meinen Bahnen.
Bald hab' ich mit des Meeres Wuth gerungen,
    Bald drohte Tod mir unter Martis Fahnen.
Wie Canace, daß sie zum Orcus wandreCanace liebte ihren Bruder so heftig, daß sie, in einer Hand den Griffel, in der andern ein Messer haltend, ihm so den letzten Brief schrieb und dann sich durchbohrte. Siehe Ovids Heroide! Dextra tenet calamum, strictum tenet altera ferrum.,
Hielt eine Hand das Schwert, den Kiel die Andre! 194

80.

Bald wollte mich der Armuth Drangsal schrecken,
    Mein Brod von fremder Milde zu erflehen;
Bald glaubt' ich Hülf' und Hoffnung zu entdecken,
    Um neue größre Nöthen zu bestehen;
Bald rettet' ich in wilder Meere Strecken
    Mein Leben noch aus bittern Todeswehen,
Nur durch ein Wunder ward mir Heil gegeben,
Wie Judas König einst das längre LebenEzechias, König von Judäa, vernahm von Jesaias, daß die Stunde seines Todes gekommen wäre. Allein durch Gebet und Thränen erhielt er von Gott einen Aufschub von funfzehn Jahren. So wundervoll als dies war, meint der Dichter, sey auch seine Rettung gewesen..

81.

Und nicht genug o! Nymphen! daß verwiesen
    Mein Leben ward zu Elend, Noth und Bangen!
Wenn nicht von Denen, die mein Lied gepriesen,
    Ich hätte solchen Sängerlohn empfangen.
Statt Muße, wie ich hoffte, zu genießen,
    Durch meines Lorbeerkranzes Ruhm und Prangen,
Ward unerhörte Arbeit mir gemessen
Und dann des Sängers hartes Loos vergessen.

82.

Seht Nymphen! solche hohe Seelen wohnen
    In Euren Großen, an des Tago Wellen!
So wissen sie den Dichter zu belohnen,
    Der Thaten hohe Glorie kann gesellen.
O! welch ein Vorbild künftigen Maronen!
    Um ihre Brust zu kühnem Flug zu schwellen!
Daß sie mit Liedern Thaten noch begingen,
Die niemals soll Vergessenheit umringen.

83.

Doch laßt nur Ihr in solcher Nöthen Drange,
    Mir Eure Gunst, Ihr Lieblichen! nicht fehlen!
Vor Allem jetzt, da, herrlich im Gesange,
    Ich hoher Thaten Viele soll erzählen.
Euch leb' ich nur! Euch schwor ich es schon lange,
    Unwürdiges nie meinem Lob zu wählen,
Und, sollt' ich schmeichelnd je die Macht erheben,
So sey mir nie der Sünde Schuld vergeben! 195

84.

Auch will ich, Nymphen! Jene nicht besingen,
    Die ihrem König, ihrem Vaterlande,
Nicht Jegliches zum Opfer wollten bringen,
    Zu hohem Frevel und zu stetter Schande!
Noch Jene kränzen, die nur ewig ringen,
    Nach hoher Macht und hoher Würden Stande,
Nur, um sich dann in schnödem Stolz zu brüsten
Und sonder Zwang zu dienen ihren Lüsten.

85.

Noch soll der Mann in meinem Lied ertönen,
    Der Kraft und Leben nur für sich verwendet,
Und, blindem Pöbel immerdar zu fröhnen,
    Gleich Proteus sich in tausend Formen wendet,
Noch Jener, schwör' ich, herrliche Camönen!
    Der mit dem Blick voll Würde mich nicht blendet
Und, um ein wackrer Diener bald zu heißen,
Den Armen Hab' und Nothdurft will entreißen;

86.

Noch Jener, dem es recht und billig scheinet,
    Mit Eifer über das Gesetz zu wachen,
Und billig doch, und recht es nicht erscheinet,
    Das Volk für seinen Schweiß bezahlt zu machen.
Noch Jener, der es hohe Weisheit meinet,
    Mit wenig Kund' und Wissenschaft der Sachen,
Dem Lohn der That, der er sich nie vermessen,
Mit Räuberhand noch irgend abzupressen.

87.

Nur Jenen will ich Lob und Lieder weihen,
    Die Gott und König bieten Leib und Leben
Und sterbend noch zu höherm Glanz gedeihen,
    Weil ihre Hand nach Ruhm nur wollte streben!
Apoll und Musen mögen Gunst verleihen
    Und doppelte Begeist'rung noch mir geben,
Indeß ich, Odem schöpfend, jetzt verweile,
Daß ich zur Harfe kräftiger dann eile. 196

 


 


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