George Byron
Marino Faliero - Doge von Venedig
George Byron

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Fünfter Act.

Erster Auftritt.

Saal des Raths der Zehn

Die Zehen nebst den zum Verhör beigezogenen Senatoren, der sogenannten Giunta. Wachen. Officiere.

Israel Bertuccio, Philipp Calendaro als Gefangene. Bertram, Lioni und Zeugen.
Das Oberhaupt der Zehen, Benintende.

Benintende. Nachdem jetzt die verstockten Männer hier
Vielfacher, offenkundiger Vergehen
Vollständig überwiesen sind, bleibt nur
Das Urtheil über sie zu sprechen übrig.
Ein schmerzlich Ding für die, die es vernehmen,
Wie auch für die, die es zu sprechen haben.
Ach daß es mir zufallen mußt' und daß
Für alle künft'ge Zeit mein Vorsitzjahr
Gebranntmarkt ist mit der Erinnerung
Des schändlichsten, umfassendsten Verraths
An einem freien und gerechten Staat,
Dem alle Welt Verehrung zollt, als Bollwerk
Der Christenheit vor Sarazen' und Griechen,
Vor wildem Ungar und barbarischem Franken;
An einer Stadt, die Indiens reiche Schätze
Europen aufgeschlossen hat; der Stadt,
Wo eine Zuflucht einst die letzten Römer
Vor Attila gesucht; der Königin
Des Oceans; des stolzen Genua
Noch stolzerer Rivalin! Solcher Stadt
Erhab'nen Thron zu unterwühlen, haben
Ihr werthlos Dasein diese schlechten Männer
Gewagt, verwirkt! – So mögen sie denn sterben!

Israel. Wir sind bereit, Dank eurer Folterbank!
So laßt uns sterben denn!

Benintende. Wenn Etwas ihr
Uns noch zu sagen habt, was eure Strafe
Vermindern könnt', wird euch die Giunta hören.
Wenn zu gestehn ihr Etwas habt, noch ist
Es Zeit, vielleicht von Nutzen kann's euch sein.

Israel. Wir stehn zu hören, nicht zu sprechen hier.

Benintende. Vollständig ist erwiesen eure Schuld
Durch eure Mitverschworenen, und Das,
Was die Verhältnisse noch beigefügt.
Doch möchten wir von euern eig'nen Lippen
Ein voll Bekenntniß des Verrathes hören.
Am Rande jener schreckenvollen Kluft,
Die Keiner je ein zweites Mal durchschreitet,
Kann Wahrheit einzig euch noch nützlich sein
Auf Erden wie im Himmel. – Was hat euch
Dazu gebracht?

Israel. Das Rechtsgefühl.

Benintende. Und was
Habt ihr gewollt?

Israel. Die Freiheit.

Benintende. Ihr seid kurz.

Israel. Wie unser Leben. Zum Soldaten, nicht
Zum Rathsherrn, wuchs ich auf.

Benintende. Ihr meint vielleicht
Durch dieser Derbheit Kürze zu bewirken,
Daß eure Richter noch den Spruch verschieben?

Israel. Seid kurz wie ich, und seid versichert, Herr,
Daß solche Gunst ich vorzieh' eurer Gnade.

Benintende. Habt keine andre Antwort ihr für das
Gericht?

Israel. Fragt eure Folter, was sie uns
Entrissen hat, ja spannt uns wieder drauf.
Wir haben immer noch ein bischen Blut
Und etwas Schmerzgefühl noch in den Muskeln,
Die ihr zerreißt. Jedoch das wagt ihr nicht,
Denn stürben wir dabei – und wenig Leben
Ließt ihr uns noch für euer Blutgerüst –
Entging euch ja das öffentliche Schauspiel,
Womit in weit're Sklaverei hinein
Ihr eure Sklaven schrecken wollt; denn Seufzer
Sind ja nicht Worte, Todesqual ist kein
Geständniß und ein Ja noch Wahrheit nicht,
Wenn je die Qualen der Natur die Seele
Um einer kurzen Schmerzenspause halb
Zu einer Lüge überwält'gen sollten.
– Nun, sollen wir noch leiden oder sterben?

Benintende. Wer waren eure Mitverschworenen?

Israel. Der ganze Rath.

Benintende. Was wollt ihr damit sagen?

Israel. Das fragt das leidenmüde Volk, das eure
Patrizischen Vergehn getrieben zu
Vergehn.

Benintende. Ihr kennt den Dogen doch?

Israel. Ich focht
Bei Zara unter ihm, indessen ihr
Durch Advokatenkünste euern Weg
Zu gegenwärt'gem Amt gemacht. Wir setzten
Das Leben ein, indem daß mit dem Leben
Von Andern ihr gespielt, ob ihr sie nun
Vertheidigt oder angeklagt. – Und dann
Kennt ganz Venedig seinen Dogen ja
Durch seine Thaten und den Schimpf, den ihm
Der Rath gethan.

Benintende. Habt ihr Besprechungen
Mit ihm gehabt?

Israel. Ich bin ermüdet, Herr,
Ermüdeter durch eure Fragen noch
Als durch die Folterbank. Ich bitte, geht
Zum Urtheil über jetzt.

Benintende. Es kommt sogleich. –
Und Ihr auch, Philipp Calendaro! Habt
Ihr Etwas vorzubringen noch, weshalb
Ihr nicht verurtheilt solltet werden?

Calendaro. Nein!
Nie war ich vieler Worte Mann, und hab'
Nur wenig übrig, die des Redens werth.

Benintende. Ein weiter Wirken der Maschine dort
Dürft' ändern Euern Ton.

Calendaro. Sehr wahr, das dürft'
Es wol; ihr erstes Wirken that's ja auch.
Doch macht sie anders meine Worte nicht,
Und wenn sie's thät –

Benintende. Was dann?

Calendaro. Bestünde, was
Ich auf der Folterbank bekenn', zu Recht?

Benintende. Gewiß.

Calendaro. Wer immer der Verbrecher wär',
Den ich beschuldigte des Hochverraths?

Benintende. Ja, zweifellos wird er vernommen werden.

Calendaro. Und auf mein Zeugniß hin ging er zu Grund?

Benintende. Wenn Eure Beichte ihn im Einzelnen
So schwer verklagt, steht in Gefahr sein Leben.

Calendaro. Dann, Präses, nimm dein stolz Subject in Acht,
Denn bei der Ewigkeit, die vor mir gähnt,
Schwör' ich, du selbst sollst der Verräther sein,
Den ich auf jener Folter nennen will,
Wenn man ein zweites Mal darauf mich spannt!

Ein Mitglied der Giunta. Herr Präsident, das Beste wäre wol,
Wenn man zum Urtheil schritt'. Man bringt doch nichts
Aus ihnen mehr heraus.

Benintende. Unglückliche!
Macht euch gefaßt auf unverweilten Tod,
Denn des Verbrechens Art, das Staatsgesetz
Und die Gefahr, in der die Republik
Noch schwebt, gestattet keine weitre Frist. –
Führt, Wachen sie hinaus auf den Balkon
Der rothen Säulen, wo am Donnerstag
Vor FastnachtDer Giovedi grasso, der fette Donnerstag, was sich nicht wörtlich übersetzen läßt, war jener Tag. sonst der Doge pflegt das Stier-
Gefecht zu sehn. Dort hänge man sie auf,
Daß alles Volk sie deutlich sehen kann,
Doch Gott sei ihren Seelen gnädig!

Die Giunta. Amen.

Israel. Lebt wohl, ihr Herrn! Wir werden schwerlich uns
An Einem Platze wiedersehn.

Benintende. Und daß
Die Menge sie nicht aufzuregen suchen,
Soll vor dem Hängen ihnen knebelnGeschichtlich. Siehe Sanuto. Anhang Note A man
Den Mund. – Jetzt fort mit. euch!

Calendaro. Wie? sollen wir
Nicht einmal einem Freund ein Lebewohl
Mehr sagen dürfen? unsern Beichtiger
Nicht sprechen mehr?

Benintende. Ein Priester harrt auf euch
Im Vorgemach. Was eure Freunde an-
Belangt, so müßte schmerzlich nur für sie,
Nutzlos für euch die Unterredung sein.

Calendaro. Ich wußte wohl, daß Ihr im Leben uns
Geknebelt habt: die Alle wenigstens,
Die nicht den Muth gehabt, ihr Leben
An der Gedanken freien Fluß zu wagen.
Doch glaubte ich, im letzten Augenblick
Würd' man der Rede arme Freiheit uns,
Die man doch sonst den Sterbenden gewährt,
Nicht weigern, doch –

Israel. Laß, wackrer Calendaro,
Sie machen nur! Was helfen ein Paar Worte?
Wir sterben lieber doch, als daß wir ihnen
Verdanken die geringste Gunst! Es wird
Sich unser Blut nur um so schneller dann
Zum Himmel heben gegen sie, und dort
Weit stärker zeichnen ihre Scheußlichkeit,
Als ganze Bände von gesproch'nem oder
Geschrieb'nem Wort des Sterbenden gekonnt.
Sie zittern schon vor unsrer Stimme, ja
Sie fürchten unser Schweigen selbst. So mögen
Sie leben in der Furcht! Sie mögen sich
Mit ihren Nachtgedanken weiter plagen,
Wir aber wollen aufwärts unsre richten.
– Nur zu! wir sind bereit.

Calendaro. O Israel!
Hätt'st du auf mich gehört! Es stünde jetzt
Nicht so mit uns, und jener bleiche Schuft,
Der Hund von Bertram, wär' –

Israel. Ruh', Calendaro!
Was hilft es uns, hieran zu nagen noch?

Bertram. Ach daß ihr doch in Frieden mit mir stürbt!
Ich suchte diese Unthat nicht, sie ward
Mir aufgedrängt. Sagt, daß ihr mir vergebt,
Ich selber kann's ja nimmer mir vergeben.
O grollt nicht so!

Israel. Ich sterbe und verzeih'
Dir, Mann!

Calendaro (spuckt ihn an). Ich sterbe und verachte dich!

(Israel Bertuccio und Philipp Calendaro mit den Wachen ab.)

Benintende. Da diese Sünder nun beseitigt sind,
So ist es Zeit, das Urtheil fest zu stellen,
Das der Verräther größten treffen soll,
Den irgend eine Chronik uns bewahrt,
Marin Faliero selber! – Die Beweise
Sind voll erbracht, der Rechtsweg ist geschlossen,
Zeit und Verbrechen heischt ein rasch Verfahren;
Soll also er hereinberufen werden,
Um zu empfangen seinen Lohn?

Die Giunta. Ja! ja!

Benintende. Avogadori, ordnet an, daß man
Den Dogen führe vor den Rath.

Ein Mitglied der Giunta. Und wann
Soll's an die übrigen Verbrecher gehn?

Benintende. Sobald die Häuptlinge bereinigt sind;
Denn nach Chiozza ist ein Theil geflohn,
Doch Tausende verfolgen sie dahin,
Und auf dem Festland wie auf allen Inseln
Ward solche Anstalt alsbald vorgekehrt,
Daß hoffentlich entrinnen Keiner wird,
Um anderwärts noch sein verleumderisch
Pasquill zu machen gegen den Senat.

Der Doge tritt als Gefangener unter der Begleitung von Wachen ein.

Benitende. Doge! – Denn noch seid Ihr's! und müßt nach dem
Gesetz als solcher noch betrachtet werden,
Bis zu der Stund', da man die Dogenmütze
Euch von dem Haupt herunternehmen wird,
Das eine Krone ja, wie edler sie
Kein Reich ertheilen kann, in ruh'gen Ehren
Nicht tragen mocht', vielmehr Verrath gezettelt,
Um die ihm gleichen Häupter, die Euch doch
Zu dem gemacht, was Ihr jetzt seid, zu stürzen
Und auszutilgen unsern Ruhm in Blut. –
Wir haben Euch im eigenen Gemach
Durch die Avogadori allbereits
Die sämmtlichen Beweise vorgelegt,
Die gegen Euch erbracht, und vollere
Erhoben ihre blut'gen Schatten nie,
Um ins Gesicht Verräther zu bedrohn.
Was habt Ihr vorzubringen noch, Euch zu
Vertheidigen?

Doge. Was soll ich sagen euch?
Was mich vertheidigt, muß ja euch verdammen!
Ihr seid zugleich Verbrecher und Verkläger,
Seid Richter auch und Henker! – Handelt denn
Nach eurer Macht.

Benintende. Euch bleibt kein Hoffen mehr,
Denn schon gestanden haben die Genossen.

Doge. Und wer sind die?

Benintende. Gar viel'! Der erste aber
Steht hier vor Euch: Bertram von Bergamo!
Wollt Ihr 'ne Frage an ihn stellen?

Doge (blickt ihn mit Verachtung an). Nein!

Benintende. Zwei andre Männer, Israel Bertuccio
Und Philipp Calendaro gaben zu,
Daß in Gemeinschaft mit dem Dogen sie
Verrätherei geplant.

Doge. Wo sind die Männer?

Benintende. An Ort und Stelle schon, und geben jetzt
Dem Himmel Rechenschaft für das, was sie
Auf Erden hier gethan.

Doge. Dies Brutusblut,
Ach ist es schon geflossen? und auch sein's,
Des raschen Cassius' vom Arsenal?
Wie nahmen sie ihr Urtheil auf?

Benintende. Denkt an
Das eig'ne, das jetzt kommt. – Ihr lehnt somit
Es ab Euch zu vertheidigen?

Doge. Ich kann
Nicht Rede stehen meinen Unterthanen,
Noch ein gesetzlich Recht euch zugestehn,
Zu richten mich. Zeigt mir erst das Gesetz.

Benintende. In Fällen großer Noth muß man ergänzend
Nachhelfen dem Gesetz. Die Väter setzten
Für solch Verbrechen keine Strafe an,
Wie auch im alten röm'schen Recht die Strafe
Des Vatermörders ganz vergessen blieb.
Sie konnten das nicht strafbar registriren,
Was keinen Namen, keinen Sinn selbst hatte
In Herzen, die so groß. Wer sollte ahnen,
Daß die Natur solch eine Unthat zeugte,
Sohn gegen Ahn', Fürst gegen Vaterland?
Erst Eure Missethat hat uns vermocht,
Die Richtschnur aufzuziehn, nach der man künftig
Die Hochverräther solcher Gattung strafe,
Die durch Verschwörung König werden wollen,
Die mit dem Scepter nicht zufrieden noch,
Es gerne in ein doppelschneidig Schwert
Verwandelten. War denn der Dogenstuhl
Euch nicht genug? Was ist denn edler als
Venedigs Fürstenthron?

Doge. Venedigs Thron!!
O ihr verriethet mich! Ihr – ihr – die ihr
Hier sitzt! – Verräther, die ihr seid! – Ich war
Euch ebenbürtig an Geschlecht, und weit
Durch meine Thaten euch voraus. Da rieft
Ihr mich von meinen ehrenvollen Mühn
In fremdem Land, zur See, im Feld, am Hof.
Ihr sondertet mich aus als Opferthier,
Daß ich gekrönt, doch hilflos und gebunden
Am Altar stehen sollt', den ihr allein
Bedienen dürft. Ich suchte nicht die Wahl,
Ich wünscht' sie nicht, ich träumte nicht davon,
In Rom erst traf sie mich und ich gehorchte.
Doch als ich ankam, mußt' ich finden, daß
Ganz abgesehn von eurer Eifersucht
Aufpasserei, womit ihr immerdar
Der Dogen beste Absicht habt gekreuzt,
Ihr in der kurzen Dauer meiner Fahrt
Von Rom zur Stadt das kleine Sonderrecht
Verstümmelt hattet, das der Doge noch
Besaß. – All dies ertrug ich lang' und trüg'
Es noch, ward nicht am Ende selbst mein Herd
Durch eurer Unzucht Schmutz befleckt, – und der,
Den unter euch ich seh', der Schmutzige,
Der rechte Richter für ein solch Gericht –

Benintende. (unterbricht ihn). Kraft seines Amts sitzt Michel Steno hier
Als jener Vierzig Einer, die der Rath
Der Zehn von dem Senat erbeten hat,
Als einen Beistand des Patrizierthums,
Um unser Urtheil in so schwierigem
Und unerhörtem Fall zu unterstützen.
Die über ihn verhängte Strafe ward
Gelöscht, weil ja der Doge selbst, der das
Gesetz zu schützen hat, es stürzen wollt'
Und somit nicht verlangen kann, daß Andre
Man nach den Satzungen bestrafen soll,
Die selber er verläugnet und verletzt.

Doge. Von seiner Strafe sprecht ihr? Nein, viel lieber
Seh ich ihn hier, wo über meinen Tod
Er jubeln mag, als in dem Scheinarrest,
Den euer äußerliches Gaukelspiel
Von Richterspruch als Strafe ihm dictirt!
So schlecht sein Thun auch war, war's golden noch,
Vergleich' ich es mit eurem Rechtesschutz.

Benintende. Und ist es möglich, daß Venedigs Doge,
Der große Mann, der fünfundsiebzig Jahr'
Und so viel Ehren auf dem Haupte trug,
Sich also Knaben gleich, von seinem Zorn
Hinreißen lassen könnt', daß jed' Gefühl,
Treu', Weisheit, Rücksicht er mit Füßen trat,
Weil achtlos ihn ein junger Mann beschimpft?

Doge. Ein Funke zeugt die Brunst, der letzte Tropfen
Macht, daß die Schale überläuft, und meine
War eben voll! Ihr habt den Fürsten und
Das Volk gedrückt: ich wollte sie befrein.
Es sollte nicht so sein! Des Sieges Preis
Wär' Ruhm gewesen und Triumph und Rache,
Und hätt' Venedigs Namen zum Rivalen
Von Griechenland und Syrakus gemacht,
Als diese frei Jahrhunderte lang blühten,
Hätt' meinen Namen Gelon beigesellt
Und Thrasybul. Doch es mißlang! Ich weiß,
Heut' lohnet Schande mir dafür und Tod;
Die Zukunft wird erst richten, wenn Venedig
Frei oder nicht mehr ist. Bis dahin ruht
Der wahre Urteilsspruch. – Säumt länger nicht!
Ich hätt' euch keine Gnad' geschenkt und such'
Auch keine jetzt. Mein Leben setzte ich
Auf einen großen Wurf. Da er mißlang,
Nehmt, was ich euch im andern Falle nahm.
Ich stünde jetzt in Mitten eurer Gräber,
Jetzt mögt ihr meins umdrängen und zerstampfen,
Wie ihr mit meinem Herzen es gethan,
Als ich am Leben war.

Benintende. Somit gesteht
Ihr ein und billigt die Gerechtigkeit
Des Richterspruchs?

Doge. Daß mir der Wurf mißlang,
Gesteh' ich ein. Das Glück ist ja ein Weib,
In meiner Jugend ward mir seine Gunst;
Ich fehlte nur, daß ich gehofft, sein Lächeln
Würd' mir auch treu sein in der letzten Stund'.

Benintende. Ihr habt an unsrer Billigkeit somit
Nichts auszusetzen?

Doge. Edle Venezianer!
Plagt mich mit Fragen nicht! Aufs Schlimmste bin
Ich ja gefaßt. Doch regt sich noch in mir
Ein Bischen von dem Blut aus schönern Tagen,
Und allzu duldsam bin ich nicht. Erspart,
Ich bitte, weitres Fragen mir, das doch
Zu nichts ja führt, als daß durch Solches das
Verhör zum Wortstreit wird. Ich würde doch
Erwiedern nur, was euch aufs Neu verletzte,
Und eure Feinde – die ein Heer schon – freute.
Wol sollte diesen düstern Mauern fremd
Das Echo sein, doch Wände haben Ohren,
Ja mehr als das, sie haben Zungen auch.
Und fände Wahrheit auch nicht einen Weg,
Hier durchzugehn, so könntet doch ihr selbst,
Die ihr mich richtet, fürchtet und zermalmt,
Nicht schweigend tragen bis zu eurem Grab,
Was Gutes oder Schlechtes dann von mir
Zu hören ihr bekämt. Zu mächtig wär'
Ein solch Geheimniß selbst für eure Seelen.
So laßt's in meiner schlafen nur, wofern
Ihr die Gefahr nicht wecken wollt, die dann
Noch größer würd' als die, der ihr entgingt;
Ja so gefährlich würde, was ich sagte,
Hätt' ich die Freiheit offen es zu künden.
Denn wahre Worte sind Begebenheiten
Und Worte eines Sterbenden sind solche,
Die weit ihn überleben, oft ihn rächen.
Begrabt drum meine Worte, wenn ihr gern
Mich überlebt. Nehmt meinen Rath, und ob
Ihr gleich gar oft das Leben mir verbittert,
Laßt ruhig sterben mich. Das könnt ihr mir
Wol thun. Ich läugne nichts, vertheid'ge nichts,
Erbitte nichts, als Schweigen nur für mich
Und des Gerichtes Spruch!

Benintende. Daß Alles Ihr
Gesteht, erspart uns die Notwendigkeit,
Zur Folter unsre Zuflucht noch zu nehmen,
Um Euch die ganze Wahrheit auszupressen.

Doge. Zur Folter! O ihr habt mich längst darauf
Gespannt, ja täglich seit ich Doge ward.
Doch wenn ihr noch die körperliche Folter
Hinzuthun wollt, so thut es! Diese Glieder
Sind alt genug, daß unterm Stahl sie brechen.
Doch hier im Herzen lebt ein Etwas mir,
Das eure Instrumente brechen wird.

Ein Officier tritt auf.

Officier. Die Herzogin Faliero, edle Herrn,
Ersucht die hohe Giunta um Audienz.

Benintende. Vereinte Väter,Der venezianische Senat bediente sich der gleichen Ansprache wie der römische: »versammelte Väter«. wollt ihr vor sie lassen?

Ein Mitglied der Giunta. Sie hat vielleicht Enthüllungen zu machen,
Die für den Staat so wichtig sind, daß die
Genehmigung sich des Gesuchs empfiehlt.

Benintende. Ist dies die Willensmeinung Aller?

Alle. Ja.

Doge. O wundervoll Gesetz Venedigs, das
Die Gattin zuläßt in der schönen Hoffnung,
Sie werde zeugen gegen ihren Gatten!
Wie ruhmvoll für Venedigs keusche Damen!
Doch solche Lästerer der Frauenehre,
Wie hier sie sitzen, sind nur consequent.
Nun, schnöder Steno, hält dies Weib nicht Farbe,
So will ich dir verzeihn dein schamlos Lügen,
Verzeihen dein Entrinnen dir der Strafe,
Mein hartes Ende und dein elend Leben.

Die Dogaresse tritt auf.

Benintende. Beschlossen hat, Signora, das Gericht:
So seltsam sie, die Bitte zu gewähren;
Und was der Zweck auch sein mag, ruhig Euch
Mit jener Achtung anzuhören, die
Wir Euern Ahnen, Rang und Tugend schulden.
– Doch Ihr verblaßt – heda! – Seht nach der Dame!
Bringt sogleich einen Stuhl.

Angiolina. 'S ist eine Schwäche,
Die gleich vorübergehen wird – sie ist
Es schon! – Verzeiht, ihr Herrn – ich setz' mich nicht
Vor meinem Fürsten und Gemahl, wenn er
Zu stehn beliebt.

Benintende. Was wünscht, Signora, Ihr?

Angiolina. Ein schreckliches Gerücht, das aber nur
Zu wahr, wenn Alles was ich seh' und höre,
Nicht Traum nur ist, hat auch mein Ohr erreicht.
Ich komme nun, das Schlimmste zu erfahren,
Selbst in der schlimmsten Form. Verzeiht, daß ich
So jäh hereintrat, mich so schwach benahm.
Ist denn – ich kann's nicht sagen – kann der Frage
Nicht Worte leihn – doch ach! ihr habt mir mit
Dem abgewandten Blick, der finstern Stirne
Die Antwort schon ertheilt. – O Gott, dies Schweigen
Ist das des Grabs.

Benintende (nach einer Pause). Erspare uns und dir
Das Fürchterliche auszusprechen, was
Vor Gott und Menschen unerbittlich Pflicht
Uns ist.

Angiolina. Sprecht doch! – Ich kann's, ich kann's nicht glauben,
Auch jetzt noch nicht. – Ist er – verdammt zum –

Benintende. Ach!

Angiolina. Und war er schuldig?

Benintende. Die natürliche
Verwirrung nur, Signora, Eures Geists
In dieser Stund' läßt solche Fragen Euch
Verzeihn; sonst wär' ein Zweifel dieser Art
An so gerechtem, oberstem Gericht
Ein schwer Vergehn. – Doch fragt den Dogen selbst.
Wenn die Beweise er verläugnen kann,
Magst für so schuldlos du ihn halten wie
Dein eigen Herz.

Angiolina. Ist's also, mein Gemahl?
Mein hoher Fürst? Freund meines armen Vaters?
Du mächtigster im Feld, du weisester
Im Rath? – Straf Lügen diesen Mann! – Du schweigst?

Benintende. Gestanden hat er seine Schuld bereits,
Und läugnet, wie du siehst, auch dir sie nicht.

Angiolina. Ach aber sterben darf er nicht! Verschont
Die wen'gen Jahre doch, die Gram und Scham
Zu wenig Tagen bald vermindern werden.
Ein Tag mißlungenen Vergehns kann doch
Fast achtzig Jahre braven Thuns nicht tilgen?

Benintende. Vollzogen werden soll der Spruch, sogleich
Und ohne Milderung. So ist's beschlossen.

Angiolina. Wol war er schuldig, doch auch Gnade gibt's.

Benintende. In diesem Fall verträgt sich Gnade nicht
Mit der Gerechtigkeit.

Angiolina. Ach Herr! wer nur
Gerecht ist, der ist hart. Wer blieb' am Leben,
Würd' Jeder hier, wie Rechtens ist, gerichtet?

Benintende. Auf seiner Strafe ruht das Wohl des Staats.

Angiolina. Er war Soldat und hat gedient dem Staat,
Er war Gen'ral und hat befreit den Staat,
Er ist ein Fürst und hat regiert den Staat.

Ein Mitglied des Raths. Er war Verräther und verrieth den Staat.

Angiolina. Und war Er nicht, gab's keinen Staat jetzt mehr,
Den man vernichten oder retten konnte;
Und ihr, die ihr hier sitzt und euern Retter
Zum Tod verdammt, ihr stöhntet auf der Bank
Der türkischen Galeeren, oder hacktet
In Ungarns Schachten an der Sklavenkette.

Ein Mitglied des Raths. Ihr irrt, Signora! noch gibt's Männer hier,
Die lieber sterben, denn als Sklave leben.

Angiolina. Und gibt es Solche inner dieser Mauern,
So zählst du nicht dazu. Der wahrhaft Tapfre
Ist gegen den Gefall'nen edel. – Wie?
Gibt's keine Hoffnung mehr?

Benintende. Es kann nicht sein.

Angiolina (zum Dogen). So stirb, Faliero, weil so sein es muß,
Doch mit dem Geist von meines Vaters Freund.
Du machtest schuldig schwerer Unthat dich,
Die halb gesühnt durch dieser Männer Härte.
Ich hätte sie gebeten, heiß erfleht,
Sie angebettelt wie ein Hungriger
Um Brod, ich hätt' geweint, geschrien, wie sie
Einst werden schrein zu ihrem Gott um Gnad',
Und Antwort werden finden, wie sie mir
Geworden ist – – wenn Solches deines Namens,
Wenn es des meinen würdig war, und wenn
Die Grausamkeit in ihrem kalten Blick
Mir nicht verkündet hätt', daß Ingrimm nur,
Kein Herz in ihnen lebt. So mache dich
Als Fürst bereit zu deinem letzten Gang.

Doge. Ich lebt' zu lang', um nicht zu wissen, wie
Man stirbt. Dein Anflehn dieser Leute da
Ist nur des Lammes Blöcken vor dem Fleischer,
Der Schrei des Schiffers in der Brandung Wuth!
Ich nähme nicht ein ewig Leben an,
Das mir die Hand von Schelmen bot, vor deren
Maßloser Schlechtigkeit ich seufzende
Nationen retten wollt'.

Michel Steno. Doge! ein Wort
Mit dir und mit der edeln Dame hier,
Die ich so schwer gekränkt. Ich wollt', mein Schmerz
Und Scham und Reu' vermöchten auszulöschen
Die unerbittliche Vergangenheit!
Doch da dies nicht kann sein, so wollen wir
Als Christen von einander gehn, in Frieden,
Und tief zerknirscht erflehe ich deshalb,
Verzeihung nicht, nein! euer Mitleid nur
Und widme Euch dafür mein schwach Gebet.

Angiolina. Dir, weiser Benintende, Oberrichter
Venedigs, geb' die Antwort ich für den
Signor. Sag' diesem Wüstling Steno, daß,
Was er gekratzt, in Loredano's Tochter
Nicht Tieferes erregt, als flüchtig Mitleid
Mit solchem Wicht. O hätt' ein Andrer ihn
Verachtet, wie ich Mitleid fühl' mit ihm!
Die Ehre zög' ich tausend Leben vor,
Wenn meines so vervielfacht werden könnt',
Doch möcht' ich nicht, daß nur ein einzig Leben
Von Andern löschte für das hohe Gut,
Das nimmer doch ein Mensch benagen kann: –
Den Sinn für Tugend, der nicht das als Lohn
Im Auge hat, was guter Name heißt,
Nein! nur sie selbst. Mir war des Spötters Wort,
Was Wind dem Felsen ist; doch gibt es ach!
Empfindlichere Geister auch, die solch
Ein Wort wie Wirbelwind das Wasser trifft,
Für die der Schande Schatten schon ein Stoff
Und schrecklicher als Tod ist, hier und dort,
Und deren Fehl darin besteht, daß sie
Des Lasters Spott ganz außer Fassung bringt,
Und die gestählt zwar gegen Lockungen
Der Lust wie gegen jede Schmerzensqual,
Doch schwach sich zeigen, wenn der stolze Namen,
Auf den sie ihre Hoffnungen gestellt,
Behaucht nur wird, wie Adler eifersüchtig
Auf ihren hohen Horst. Mög', was wir hier
Erblicken, fühlen, leiden – Lehre sein
Dem Schuft, der sich in seiner Milzsucht Wuth
Begeifernd warf auf Wesen höh'rer Art.
Insekten haben Löwen toll gemacht,
Den größten Helden warf ein Pfeil im Fuß,
Ein ehrvergessen Weib ward Trojas Fluch,
Und ein geschändetes vertrieb für immer
Die Könige aus Rom; die Gallier zog
Nach Clusium ein schwer gekränkter Gatte,
Und dann nach Rom, das damals fast verging;
Sein Leben kostete Caligula
Ein wüster Griff, doch seine Grausamkeit
Ertrug die Welt; durch einer Jungfrau Schmach
Ward Spanien zur maurischen Provinz,
Und Steno's Lüge in zwei schmutz'gen Zeilen
Zog dieser Stadt ein Blutbad zu, bracht' in
Gefahr den schon achthundertjähr'gen Rath,
Nahm einem Fürsten seine Kron', ja selbst
Das kronenlose Haupt und schmiedete
Ein neu Gericht für ein gedrücktes Volk!
Mag jener Mensch – der Dirne gleich, die einst
Persepolis in Brand gestreckt – stolz, wenn
Er will, drauf sein, ein Stolz wär's seiner werth!
Doch möge er die letzte Stunde nicht
Des Mann's – der, was, er jetzt auch sein mag, doch
Ein Held einst war – selbst nicht durch sein Gebet,
Das er uns aufdringt, schmähn. Aus solchem Quell
Fließt niemals doch was Gut's, und nichts,
Nicht jetzt noch je, begehren wir von ihm!
Wir überlassen ihn der tiefsten Tiefe
Der menschlichen Erniedrigung – sich, selbst!
Vergebung ist für Menschen, nicht für Schlangen;
Für Steno haben wir sie nicht, doch auch
Kein Rachgefühl. Ein Ding wie er muß stechen,
Ein höher Wesen spürt's, das ist der Lauf
Der Welt. Wer an der Natter Zähnen stirbt,
Quetscht das Gezücht, doch fühlt er keinen Haß.
Es war des Wurms Natur, und mancher Mensch
Ist in der Seele mehr Gewürm, als das,
Was in den Gräbern lebt.

Doge (zu Benintende). Signor, vollendet,
Was Ihr für Eure Pflicht erkennt.

Benintende. Eh' wir
An die Erfüllung gehen dieser Pflicht,
Ersuchen wir die Fürstin, sich zurück-
Zuziehn: es würde sie zu sehr erschüttern,
Wenn Zeugin Dessen sie verblieb.

Angiolina. Ich weiß,
Daß es so sein wird, doch ich muß es tragen.
Es ziemt mir so, und mit Gewalt nur wird
Man von der Seite des Gemahls mich reißen.
Macht fort und fürchtet weder Schrein noch Stöhnen,
Und wenn mein Herz auch bricht, es schweigt. – Sprecht nur
Es lebt Etwas in mir, was Alles zwingt.

Benintende. Marin Faliero, Doge von Venedig,
Von Val Marino Graf, Senator auch
Und seiner Zeit Feldherr und Admiral,
Venedigs Edler, oft und viel betraut
Vom Staat mit hohem, ja mit höchstem Amt,
Vernimm den Richterspruch: – Durch viele Zeugen,
Beweise und dein eigenes Geständniß
Bist du des Hochverrates überführt,
Und Hochverrats wie bisher unerhört
Vor diesem Hof – dein Urtheil ist der Tod!
Dein Hab und Gut soll eingezogen werden,
Dein Name ausgelöscht aus unsern Büchern;
Nur an dem Fest des allgemeinen Danks
Für diese unsre wunderbare Rettung
Sollst du bemerkt noch im Kalender sein;
Mit Erderschütt'rung, Pestilenz und Krieg
Und mit dem Teufel nur wird man dich nennen,
Wenn unser Dankgebet zum Himmel steigt,
Daß Land und Leben er vor dir geschützt;
Der Platz im Dogensaal, wo bei den Andern,
Die ruhmbedeckt vor dir geherrscht, dein Bild
Einst glänzen sollt', verbleibe leer und schwarz,
Wie eingehüllt in einen Todtenschleier,
Und drunter soll der Spruch zu lesen sein:
»Dies ist die Stelle des Marin Faliero,
Enthauptet wegen großer Frevelthat.«

Doge. Was? Wegen Frevelthat? Doch 's mag so sein!
Es ist ja doch umsonst. Der schwarze Fleck,
Der meinen hingewürgten Namen deckt
Und meine Züge birgt, zu bergen scheint,
Wird dennoch mehr Beschauer an sich ziehn
Als jene hundert Köpfe, die im Schmuck
Des Pinsels glänzen rings, als jene All',
Die sklavisch Euch gedient, das Volk gedrückt.
»Enthauptet wegen großer Frevelthat!!«
Was Frevelthat! wär' es gerechter nicht,
Wenn ihr das Factum klar dort sagen wolltet,
Daß euch der Leser Beifall könnte geben
Und auch erführ', woraus die That entsprang?
Wenn ihr ihm sagt, daß einst ein Doge sich
Verschwor, so sagt ihm auch warum – erzählt
Ihm die Geschichte eures Staats! –

Benintende. Die Zeit
Wird drauf die Antwort geben, unsre Söhne
Der Väter Urtheil richten, das ich jetzt
Dir künd': – Als Doge in dem Herzogskleid
Und mit der Mütze soll man dich hinaus
Zur Riesentreppe führen, wo du einst
Bekleidet wardst, wie alle unsre Fürsten.
Dort soll man dir die Krone an dem Fleck,
Wo man sie einst dir aufgesetzt, entreißen,
Abschlagen soll man dir den Kopf, und Gott
Mög' deiner Seele gnädig sein!

Doge. Ist dies
Der Giunta Spruch?

Benintende. Er ist's.

Doge. Ich kann ihn tragen. –
Und wann?

Benintende. Sogleich. – Mach' deinen Frieden noch
Mit Gott. In einer Stunde wirst du vor
Ihm stehn.

Doge. Das thu' ich schon. Und vor den Seelen
Der Männer, die mein Blut vergießen, steigt's
Zum Himmel auf. – Wird all mein Grundbesitz
Dann confiscirt?

Benintende. Er wird's: die Fährniß auch,
Juwelen, Schätze jeder Art – zweitausend
Dukaten ausgenommen. Ueber sie
Magst du verfügen.

Doge. Das ist hart. Ich hätte
Die Güter bei Treviso gern behalten,
Die ich Graf Lorenz, Bischof von Ceneda,
Zu Lehen trug für mich und meine Erben,
Um sie – da all mein städtisch Eigenthum,
Palast und Schätze euch verfallen wird –
Zu theilen zwischen Weib und Vetterschaft.

Benintende. Auf dieser letztern ruht des Staates Acht;
Ihr Haupt, dein Neffe ist selbst schwer bedroht.
Jedoch verschiebt der Rath für's erste noch
Die Untersuchung über ihn. Wenn ein
Besitzthum deiner Wittwe du vermachst,
So fürchte nichts, wir werden ihr gerecht.

Angiolina. Ihr Herrn, ich will von eurer Beute nichts.
Wißt, daß ich mich von nun an Gott nur weih'
Und in dem Kloster suche ein Asyl.

Doge. So komm! Hart mag noch diese Stunde sein,
Doch nimmt auch sie ein End'. – Hab' ich noch sonst
Ein Leiden zu bestehen als den Tod?

Benintende. Du hast zu beichten nur und dann zu sterben
Der Priester ist bereit, das Richtschwert bloß,
Sie warten draußen dein. – Jedoch vor Allem
Denk' nicht daran, zum Volke noch zu sprechen.
Es drängen Tausende sich um die Thore,
Doch diese sind verschlossen. Nur die Zehn,
Avogadori, Giunta und die Häupter
Der Vierzig werden schaun, wie man dich richtet.
Sie sind bereit, den Dogen zu begleiten.

Doge. Den Dogen?!

Benintende. Ja! Als Fürst hast du gelebt,
So sollst du sterben auch; und bis zu dem
Moment, wo dann die Trennung vor sich geht
Von Kopf und Rumpf, soll Kopf und Dogenkrone
Vereinigt sein. Als du mit niedrigen
Verräthern complottirt, vergaßest du
Dein hohes Amt. Das thun wir nicht. Den Fürsten
Erkennen wir selbst auf dem Richtplatz an;
Des Hunds, des Wolfes Tod ward den Genossen,
Doch du sollst fallen wie der Löwe fällt,
Umringt von denen, die ein stolzes Mitleid
Dir weihn, das Unvermeidliche beklagend,
In das dein Zorn und löwenhaft Gewüth'
Dich riß. – Jetzt überlassen wir dich dir,
Daß du dich vorbereitest: mach es kurz.
Wir werden dich geleiten an den Ort,
Wo wir zuerst als deine Unterthanen,
Als dein Senat dich fanden und gegrüßt,
Und scheiden müssen nun von dir als solche
Für immer, eben dort. – Ihr Wachen, gebt
Dem Dogen das Geleit an sein Gemach. (Alle ab.)

Zweiter Auftritt.

Gemach des Dogen.

Der Doge als Gefangener; die Dogaresse um ihn beschäftigt.

Doge. Jetzt, da der Priester fort, hat's keinen Werth,
Die nichtigen Minuten zu verlängern.
Ein Schmerz nur noch, der Trennungsschmerz von dir,
Dann mögen auch die letzten Körner Sands,
Die mein noch sind von der gewährten Stund',
Entfliehn – und fertig bin ich mit der Zeit.

Angiolina. O Gott! und ich war Schuld, mir unbewußt!
Und diese Leichen-Eh', den schwarzen Bund,
Den du entsprechend meines Vaters Wunsch
Bei seinem Tod versprachst, bezahltest du
Mit deinem nun!

Doge. Nicht so! Stets war Etwas
In meinem Geist, das irgend ein gewaltig
Unglück sich vorgemalt. Es wundert nur
Mich, daß es jetzt erst kam, doch hat man mir's
Vorausgesagt.

Angiolina. Wer sagt' es Euch voraus?

Doge. Es sind gar viele Jahre her; so viel,
Daß im Gedächtniß sie mir zweifelhaft,
Doch hat sie die Geschichte aufbewahrt.
Als ich noch Jüngling war und dem Senat
Als Stadthauptmann und Schultheiß diente in
Der Stadt Treviso, reizte einst – es war
Ein Festtag just – der träge Bischof, der
Die Hostie trug, mein hitzig, jugendlich
Gemüth durch sein verzüglich, lässig Thun
Und stolz Erwiedern auf mein scheltend Wort.
Da hob den Arm ich auf und schlug ihn so,
Daß unter seiner heil'gen Last er fiel,
Und als er wieder auf vom Boden stand,
Hob zitternd er in heil'gem Zorn die Hände
Zum Himmel auf, und auf die Hostie deutend,
Die ihm entfallen, wandt' er sich nach mir
Und sprach: »Der Tag wird kommen, wo einst Der,
Den du zu Boden warfst, auch dich so wirft.
Der Ruhm wird fliehn aus deinem Haus,
Die Weisheit sich von deiner Seele trennen,
Und in der besten Reife des Gemüths
Wird Herzenstollheit sich bemächt'gen dein,
Verzehren wird dich wilde Leidenschaft,
In einem Alter, wo sie sonst verstummt
Und sich in Tugend kehrt; und Majestät,
Die alle andern Häupter schmückt, wird dich
Nur krönen, um dir wegzumähn das Haupt.
Die Ehrenstellen werden für dich nur
Vorläufer sein des Falls, dein graues Haar –
Der Schande, beide dann – des Tods, doch nicht
Des Tods, wie einem alten Mann er ziemt.«
So sprechend ging er weg. – Die Stunde ist
Nun da.

Angiolina. Und konnt'st nach dieser Warnung du
Nicht von dir wenden solch unsel'gen Tag?
Durch Reue sühnen, was du einst verbrachst?

Doge. Ich muß gestehn, die Worte gingen mir
Ins Herz, so daß ich ihrer stets gedacht'
Inmitten dieses Lebens-Labyrinths,
Als ob mir eine Geisterstimme spräch'
In überird'schem Traum, und ich bereute;
Doch war des Schicksals Schluß zu hemmen nicht
An mir. Ich konnt' nicht ändern, was sein sollt'
Und wollt's auch fürchten nicht. – Noch mehr! Du wirst
Was Alle wissen, nicht vergessen haben,
Daß an dem Tag, da ich als Doge hier
Bei meiner Rückkehr landen sollt' von Rom,
Ein Nebel von so ungewohnter Dicke
Dem Bucentaur voranging wie die Wolke,
Die Israel einst aus Aegypten führte,
Daß ganz verwirrt der Steuermann uns zwischen
Den Säulen von San Marco fuhr ans Land,
Wo man die Frevler hinzurichten pflegt,
Statt an der Riva della Paglia, wie
Man sonst gewöhnlich thut, daß ganz Venedig
Ob dieser Vorbedeutung tief erschrack.

Angiolina. Was hilft's jetzt – ach! – sich Solches zu erinnern?

Doge. Ich finde gleichwol einen Trost darin
Zu denken, daß dies Alles nur ein Werk
Des Schicksals sei; denn lieber möcht' vor Gott
Ich beugen mich als vor dem Menschenvolk,
An eine Vorbedeutung lieber glauben,
Als diese Sterblichen, die meistens ja
So werthlos sind wie Staub, und grad' so schwach
Als werthlos auch, für etwas mehr zu halten
Als für das Werkzeug einer höhern Macht.
Unfähig waren sie an und für sich,
Sie konnten nicht die Sieger Dessen sein,
Der doch für sie so manche Schlacht gewonnen.

Angiolina. Zu höherer Betrachtung nütze die
Minuten, die dir bleiben, und in Frieden
Mit diesem Volke eil' dem Himmel zu.

Doge. Ich bin in Frieden, der Gewißheit Frieden,
Daß eine Stunde sicher kommen wird,
Wo ihre Enkel und die stolze Stadt
Und dieses blaue Meer und Alles, was
Sie groß und herrlich macht, Ruin und Fluch,
Und Hohn und Spott der Völker werden sein,
Carthago, Tyrus, eine Meeres-Babel!

Angiolina. Sprich doch nicht so! Noch immer, bis zuletzt
Geht über dich der Sturm der Leidenschaft.
Du täuschest dich, und kannst sie doch nicht treffen.
Sei ruhiger!

Doge. Ich stehe in der Ewigkeit
Und schaue in die Ewigkeit, und sehe
So deutlich wie dein holdes Antlitz ich
Zum letzten Mal erblick' – die Tage, die
Ich künd' vor aller Zeit, als einst bestimmt
Den meerumrauschten Mauern hier, und denen,
Die darin wohnen.

Ein Trabant (tritt vor). Doge von Venedig!
Die Zehn sind in Erwartung Eurer Hoheit.

Doge. Leb' wohl denn, Angiolina! Laß mich noch
Einmal umarmen dich! – Verzeih' dem Greis,
Der dir ein zärtlicher Gemahl, jedoch
Auch ein verhängnißvoller war. Lieb' mein
Gedächtniß! Ich erbät' dies nicht, wenn ich
Am Leben blieb'; doch kannst du milder mich
Beurtheln dann, wenn meine Rachgefühle
In Ruh' du weißt. Sonst blieb mir ja von all
Den Früchten dieser langen Zeit von Ruhm,
Von Reichthum, Macht und Herrlichkeit und Namen,
Die doch gewöhnlich ein'ge Blumen lassen,
Daß sie dem Grabe blühen, nichts, selbst nicht
Ein wenig Freundschaft, Liebe, Achtung – nein!
Nicht so viel selbst, daß prahlende Verwandte
Ein Epitaph mir weihn! In einer Stunde
Hab' ich entwurzelt all mein früher Leben
Und Alles überlebt, nur nicht dein Herz,
Dein reines, gutes, edles Herz, das wol
Mit ungeschwächtem, doch nicht lautem Schmerz
Noch mein – – du wirst so blaß! – – o Gott! sie sinkt!
Ach sie hat keinen Athem mehr noch Puls!
He Wachen! helft! Ich kann sie so nicht lassen;
Und doch ist's besser; jeder Augenblick,
Wo sie nicht lebt, erspart ihr einen Schmerz.
Wenn ab sie schüttelt diesen flücht'gen Tod,
Ruh' in dem ew'gen ich. – Ruft ihre Frau'n!
Noch einen Blick! – Wie kalt die Hand! – so kalt,
Wie meine sein wird, eh' sie zu sich kommt.
Geht achtsam mit ihr um – und nehmt von mir
Den letzten Dank. – Jetzt bin ich ganz bereit.

(Das weibliche Gefolge Angiolinas tritt ein und umgibt die ohnmächtige Gebieterin. Der Doge mit den Wachen ab.)

Dritter Auftritt.

Hof im Dogenpalast.

Die äußeren Thore sind gegen das Volk hin abgeschlossen. Der Doge tritt im Herzogsgewande ein, begleitet vom Rath der Zehen und andern Patriziern, und escortirt von Wachen. Er schreitet nach der Riesentreppe vor; dort steht der Scharfrichter mit seinem Schwert. Sobald der Doge hier angelangt ist, nimmt ihm eines der Häupter der Zehen die Dogenmütze ab.

Doge. So ist es mit dem Dogen jetzt vorbei
Und ich bin wieder ganz Marin Faliero!
Das ist ein süß Gefühl, empfind' ich's auch
Nur einen Augenblick. Hier ward ich einst
Gekrönt und nun – der Himmel ist mein Zeuge!
Mit wie viel mehr Befriedigung ich jetzt
Ablege diesen gold'nen Herzogstand
Als ich empfangen den unsel'gen Schmuck.

Ein Mitglied der Zehen. Du zitterst doch, Faliero!

Doge. Nur vor Alter.So gab der Maire von Paris, Bailli, wirklich einem Franzosen zur Antwort, der ihm auf dem Wege zur Hinrichtung (in der ersten Periode der Revolution) diesen Vorwurf machte. Nach Vollendung meiner Tragödie las ich zum ersten Mal sei 6 Jahren wieder das Venice preserved und fand ich eine ähnliche Antwort bei einer andern Veranlassung, in Renault's Munde. Ich werde wol den Leser nicht erst zu versichern brauchen, daß dies Zusammentreffen ein rein zufälliges ist. Bei einem so bekannten Meisterwerke wie Otway's Stück ist, hätte ja eine Nachahmung gar zu leicht entdeckt werden müssen.

Benintende. Faliero, hast du uns um Etwas noch,
Was mit dem Rechte sich verträgt, zu bitten?

Doge. Ich möchte meinen Neffen eurer Gnade,
Mein Weib empfehlen euerm Rechtsgefühl,
Denn mich bedünkt, mein Tod, und solch ein Tod
Sollt' Alles zwischen Staat und mir begleichen.

Benintende. Man wird für sie besorgt sein, unerachtet
Du eine unerhörte Unthat sannst.

Doge. Wol unerhört! Denn keine Chronik gibt's,
Die nicht viel Hundert' von Gekrönten zeigte,
Die sich verschworen gegen Land und Volk;
Es zu befreien aber starb nur Ein
Regent, und heute stirbt dafür der Zweite.

Benintende. Und wer sind Die, die solchem Ziele fielen?

Doge. Der König Sparta's und Venedigs Doge:
Einst Agis, und Faliero heut'!

Benintende. Hast du
Hier Etwas noch zu sagen, noch zu thun?

Doge. Darf sprechen ich?

Benintende. Ja, doch bedenke wohl:
Das Volk steht draußen, außer dem Bereich
Der Menschenstimm'.

Doge. Ich spreche ja zu Zeit
Und Ewigkeit, von der ich bald ein Theil
Sein werde, nicht zu Menschen. – Elemente!
In die ich aufgelöst zu werden eile,
Laßt meine Stimme wehen über euch
Gleich einem Geist! Du blaue Flut, die du
Mein Banner trugst! Ihr Winde, die damit
Gespielt, als ob ihr's liebtet, die mein Segel
So oft geschwellt, wenn's zu Triumphen flog!
Du Erde meines Vaterlands, für die
Ich blutete! Du fremde Erde, die
Dies treue Blut aus mancher Wunde trank!
Ihr Steine hier, in die mein Blut nicht dringt,
Wenn es zum Himmel raucht! Du Aether, der
Es in sich nimmt, du Sonne, die du das
Beschaust, und Du, der Sonnen zündet und
Verlöscht! Bezeugt's! Ich bin nicht schuldlos; doch
Sind diese frei von Schuld? Ich geh' zu Grund,
Doch Rache wird mir blühn. Entfernte Zeiten
Erheben aus der Zukunft Abgrund sich
Und zeigen meinem Auge, eh' sich's schließt,
Das Schicksal dieser stolzen Stadt. Für ewig
Trifft sie und Alle, die in ihr, mein Fluch.
Ja in der Stille wird der Tag gezeugt,
Wo sie, die einstmals gegen Attila
Ein Bollwerk baute, sich ergeben wird,
Unblutig, schmählich sich ergeben wird
Der Nachwelt Bastard-Attila, wo sie
Nicht soviel Blut bei ihrem Todeskampf
Vergießen wird als diese alten Adern,
Zu ihrem Schutz so oftmals angezapft,
Ihr nun als Opfer weihn; gekauft wird sie
Und verkauft und das Leibgedinge werden
Von einem Herrn, der sie dazu verachtet;Wenn das dramatische Gemälde zu grell erscheinen sollte, so möge der Leser nur die Geschichte der prophezeiten Periode oder vielmehr die wenigen Jahre ins Auge fassen, welche dieser Periode vorangingen. Voltaire berechnete ihre »nostre bene merite Meretrici« auf 12,000 regulaire, ohne die Freiwilligen und die Localmiliz, auf welchen Gewährsmann hin weiß ich nicht; dies ist vielleicht der einzige Theil der Bevölkerung, der nicht abgenommen hat. Venedig zählte ehedem 200,000 Einwohner, jetzt etwa 90,000 und was für welche! Wenige kennen den Zustand, in den die verruchte Tyrannei Österreichs diese unglückliche Stadt gebracht hat, vollständig und Niemand vermag ihn zu beschreiben. Der dermalige Verfall und die Entartung Venedigs unter den Barbaren zeigt nur wenige rühmliche Ausnahmen. Da ist ein Pasquaglio, der letzte und ach! nachgeborene Sohn aus der Ehe der Dogen mit der Adria, dessen Fregatte in der denkwürdigen Schlacht bei Lissa mit weit größerer Tapferkeit focht als irgend eines der französischen Schiffe, die ihm beigesellt waren. Im Jahre 1811 fuhr ich mit der Flotte und ihren Prisen nach Hause, und erinnere mich dabei Sir William Hoste und die andern bei diesem ruhmvollen Treffen betheiligten Officiere in den anerkennendsten Ausdrücken über das Benehmen Pasquaglio's sprechen gehört zu haben. Da ist ferner der Abbate Morelli, ferner Alvise Querini, der nach einer langen und ehrenvollen Laufbahn sich über das seinem Vaterlande zugefügte Unrecht einigermaßen durch literarische Arbeiten in Gemeinschaft mit seinem Neffen Vittor Venzon, dem Sohne der berühmten Schönheit, der Heldin von La Biondina in Gondoleta, tröstet. Da haben wir ferner den Patricier und Dichter Morosini, den Dichter Lamberti, Verfasser der Biondina und vieler anderer schätzbarer Werke, und in den Augen des Engländers nicht zuletzt Frau Michelli, die Uebersetzerin Shakespeare's. Dann folgen der junge Dandolo, der Improvisator Carter, Giuseppe Albrizzi, der vollendete Sohn einer vollendeten Mutter, Aglietti und wenn sonst nichts wäre, der unsterbliche Canova. – Cicognara, Mustoxithi, Bucati etc. etc. rechne ich nicht, weil der eine ein Grieche ist, und die andern wol 100 Meilen weit im übrigen Italien geboren, somit wenn nicht Fremde, so doch Ausländer sind.
Vom Reich wird zur Provinz herab sie sinken,
Von einer Großstadt zum verkomm'nen Flecken;
Aus Sklaven wird bestehen ihr Senat,
Aus Bettelvolk ihr Adel und ihr Volk
Aus Kupplerschaft. Wenn dann in deinen Schlössern
Der Jude sitzt,Die Hauptpaläste an der Brenta gehören jetzt den Juden, die in den ersten Zeiten der Republik nur in Mestre wohnen und die Stadt Venedig nicht betreten durften. Der ganze Handel befindet sich in den Händen der Juden und Griechen, und Ungarn bilden die Garnison. der Ungar in dem Amt
Und Griechen schreiten über deinen Markt
Und lächeln drob, weil's nun der ihre ist;
Wenn deine Nobile's ihr bitter Brod
In engen Straßen betteln, ihren Adel
In ihrer Noth als Sporn des Mitleids nützen;
Wenn jene Wen'gen, denen noch ein Rest
Von ihrer großen Väter Erbe blieb,
Den Hof dem Landvogt der Barbaren machen,
Den eines Königs Lieutenant hier bestellt,
In dem Palast, wo sie regiert als Herr'n,
In dem Palast, wo sie erwürgt den Herrn,
Noch stolz auf Namen, die sie doch entehrt,
Oft Sprossen einer Ehebrecherin, –
Die ihrer Schuld mit kräft'gen Gondoliers
Und fremden Kriegern sich noch rühmen mag, –
Und prahlend noch mit ihrer Schandgeburt
Bis in die dritte Bastardgen'ration;
Wenn deine Söhne ganz herabgedrückt,
Vom Sieger dem Besiegten noch als Knecht
Geschenkt; verachtet von den Feigen selbst
Der größern Feigheit halb; gescholten selbst
Vom Lasterhaften ihrer Laster halb,
Die von so ungeheuerlicher Art,
Daß jedes Strafgesetz heraus sie fordern,
Sie zu ersinnen oder nur zu nennen;
Wenn du von Cypern, jetzt dir unterthan,
Nichts dein mehr nennst als dessen Schmach und Schande
In deinen wen'ger tugendhaften Töchtern,
Die schlimm'rer Unzucht weit'res Sprichwort werden;
Wenn an dir kleben alle bösen Schäden,
Die drücken ein erobert Land: das Laster,
Doch ohne Glanz, die Sünde ohne Reiz,
Daß selbst der Liebe Strahl sie nicht verschönt,
Statt ihrer vielmehr nur Gewohnheitslust,
Nur Kitzel ohne Leidenschaft, nur kalt
Studirte Sinnlichkeit, die Schwachheit der
Natur entwürdigend zu einer Kunst;
Wenn dies und mehr schwer auf dir liegen wird;
Wenn Lachen ohne Lust, Spaß ohne Freud',
Wenn Jugend ohne Ehr' und Alter ohn'
Respect, Gemeinheit, Unmacht, das Gefühl
Des Weh's, das zu bekämpfen du zu schwach
Und gegen das du nicht zu murren wagst,Wenn die Prophezeiung des Dogen merkwürdig erscheinen sollte, so möge man die folgende ins Auge fassen, welche Alamani vor 200 Jahren gab. »Es gibt eine sehr seltsame Prophezeiung über Venedig, welche also zu der stolzen Republik spricht: »»Wenn du nicht anders wirst, so wird deine Freiheit, die schon im Begriff ist, davon zu fliegen, nicht 100 Jahre über dein tausendstes Lebensjahr dauern.«« Wenn wir die Zeit, da Venedig frei wurde, auf die Gründung derjenigen Regierungsform zurückführen, unter welcher die Republik blühte, so finden wir, daß die erste Dogenwahl im Jahre 697 statt fand. Addiren wir 100 zu 1000 Jahren, so finden wir, daß der Sinn der Prophezeiung der ist: »»deine Freiheit wird nicht bis 1797 dauern.«« Nun ging aber Venedig im Jahre 1796, dem fünften Jahr der französischen Republik unter; es ist somit wol noch nie ein Prophezeiung genauer eingetroffen. Die Verse Alamannis heißen:
    Se no cangi pensier, un secol solo
    Non conterà sopra 'l millesimo anno
    Tua libertà, che va fuggendo a volo.
Ginguené, Hist. lit. de l'Italie, t. IX. p. 144.

Zur letzten der bewohnten Wüsten dich gemacht,
– – Dann in dem Röcheln deines Todeskampfs,
Inmitten deiner Mörder, denke mein!
Du Höhle der Verworf'nen, die sich stets
Aufs Neu' berauscht in deiner Fürsten Blut!Von den ersten 50 Dogen dankten 5 ab, 5 wurden die Augen ausgestochen und sie verbannt, 5 wurden ermordet, 9 abgesetzt, so daß 19 von 50 den Thron auf gewaltsame Art Verloren, neben 2, die in der Schlacht fielen. Dies geschah Alles längst vor der Regierung des Marino Faliero. Einer seiner nächsten Nachfolger Andrea Dandolo starb aus Aerger. Unter den späteren Nachfolgern mußte Foscari seinen Sohn wiederholt gefoltert und verbannt sehen, wurde dann selbst abgesetzt und starb am Springen eines Blutgefäßes, als er die Glocke von San Marco die Wahl seines Nachfolgers einläuten hörte. Morosini wurde des Hochverraths angeklagt, weil er Candia verlor; doch geschah dies, ehe er Doge wurde. Als solcher eroberte er Morea und erhielt den Namen der Peloponnesier.
Gehenna der Gewässer! Meeres-Sodom!
So weih' ich dich den unterird'schen Göttern!
Dich und dein Nattervolk! (Wendet sich gegen den Scharfrichter.)
                                          Jetzt Sklave thu',
Was deines Amts! Wie ich den Feind schlug, schlag'!
Schlag', wie ich die Tyrannen hätt' geschlagen!
Schlag wie mein Fluch so tief – und einmal nur!

(Der Doge wirft sich auf die Knie; wie der Scharfrichter das Schwert erhebt, fällt der Vorhang.)

Vierter Auftritt.

Der Markusplatz und die Piazetta.

Das Volk drängt sich um die verschlossenen Gitterthore des Dogenpalastes.

Erster Bürger. Ich bin am Thor und kann die Zehn jetzt sehn:
In ihrer Amtstracht stehn sie um den Dogen.

Zweiter Bürger. Ich komm' trotz aller Müh' nicht zu dir durch.
Wie ist's? Erzähl's uns wenigstens, da nur,
Wer bis ans Gitter kommen kann, was sieht.

Erster Bürger. Zum Dogen geht jetzt Einer hin und nimmt
Die herzogliche Kappe ihm vom Kopf.
Jetzt hebt sein stechend Auge er zum Himmel.
Ich seh' wie's blitzt und wie sein Mund sich regt,
Still! still! – Doch nein! 's ist wie gemurmelt nur.
Verflucht sei die Entfernung! Seine Red'
Ist unverständlich und die Stimme thut,
Als spräch er fernen Donner. Könnten wir
Nur einen einz'gen Satz verstehn!

Zweiter Bürger. Still! still!
Vielleicht wir fangen doch noch einen Ton.

Erster Bürger. Es ist umsonst! Ich kann ihn nicht verstehn.
Wie doch im Wind sein graues Haupthaar weht
Wie Flocken Schaumes auf der Flut! – Jetzt! jetzt!
Er kniet – sie bilden einen Kreis um ihn!
'S ist Alles mir verdeckt, doch seh' ich in
Der Luft das hochgeschwung'ne Schwert. – Hört ihr?
Jetzt fällt's! (Das Volk murrt.)

Dritter Bürger. Sie haben Den gemordet, der
Die, Freiheit uns gegeben hätt'.

Vierter Bürger. Er war
Leutselig stets mit dem gemeinen Mann.

Fünfter Bürger. Sie haben wohl daran gethan, daß sie
Verschlossen jedes Thor. O hätten wir,
Als man hierher uns lud, gewußt, was man
Im Schild geführt, wir hätten Waffen mit
Hierher gebracht und sie gezwungen!

Sechster Bürger. Sagt,
Wißt ihr gewiß, daß er enthauptet ist?

Eins der Häupter der Zehen»Un Capo de' Dieci« sind die Worte in Sanuto's Chronik. tritt mit einem blutigen Schwert auf den Balkon des Dogenpalastes, der gegen den Markusplatz sieht. Er schwingt das Schwert dreimal vor dem Volk und ruft:

Dem Erzverräther ist sein Recht geschehn!

Die Thore werden geöffnet, die Volksmenge stürzt herein und gegen die Riesentreppe, wo die Hinrichtung stattgefunden hat. Einer der Vordersten ruft den Hintenstehenden zu:

Der blutige Kopf rollt von der Riesentreppe!

 

(Der Vorhang fällt.)

 

Anhang.

Note A.

(Die folgende treffliche Uebersetzung aus der alten Chronik verdanke ich dem Herrn F. Cohen, welchem auch der Leser für eine Arbeit erkenntlich sein möge, die ich selbst trotz meinem vieljährigen Umgang mit Italienern nicht so rein und getreu hätte ausführen können.)

Geschichte des 49.Nach einer vor uns liegenden Liste war er der 54ste. Dogen Marino Faliero. 1354.

Am 11. September, im Jahre unseres Herrn 1354 wurde Marina Faliero zum Dogen der Republik Venedig erwählt. Er war Graf von Val di Marino in der Markgrafschaft Treviso und ein Ritter und reicher Herr obendrein. Sobald die Wahl geschehen war, wurde im großen Rath beschlossen, daß eine Deputation von 12 Nobili an den Dogen Marino Faliero entsendet werden solle, der eben auf der Heimreise von Rom begriffen war. Er war nämlich zur Zeit, da er gewählt wurde, Gesandter am Hofe des heiligen Vaters zu Rom. Der heilige Vater selbst hielt übrigens zu Avignon Hof.

Als der Herr Doge Marino Faliero am 3. Tag des Octobers 1354 in dieser Stadt landen wollte, erhob sich ein dicker Nebel, der die Luft dermaßen verfinsterte, daß er sich genöthigt sah, am St. Markusplatz zwischen den zwei Säulen zu landen, wo gewöhnlich die Uebelthäter hingerichtet werden, was Jedermann für ein sehr schlimmes Zeichen hielt. – Auch darf ich eine weitere Vorbedeutung nicht vergessen, die ich in einer Chronik gefunden habe. Als nämlich Herr Marino Faliero Schultheiß und Stadthauptmann von Treviso war, zeigte sich einmal der Bischof bei einer Procession sehr säumig im Herbeibringen des heiligen Sacramentes. Nun war besagter Marino Faliero von so heftiger und wilder Gemüthsart, daß er den Bischof deshalb herumpuffte, und mit dem Sacramente fast zu Boden warf. Deshalb ließ es der Himmel auch geschehen, daß der Doge später so außer sich gerieth und sich einen schlimmen Tod bereitete.

Als dieser Doge den Herzogsstuhl 9 Monate und 6 Tage inne hatte, suchte er sich bei seinem bösen und ehrgeizigen Wesen auf die folgende Art, wie ich dies in einer alten Chronik gelesen habe, zum Herrn von Venedig zu machen. An einem Donnerstag war nämlich wie gewöhnlich ein Stiergefecht abgehalten worden, worauf sich nach der Sitte jener Zeit Jedermann nach dem Dogenpalaste begab und sich dort in einem seiner Säle mit den Damen unterhielt. Bis 1 Uhr wurde getanzt und dann ein Bankett servirt. Der Doge bestritt, wenn er vermählt war, die Unkosten und nach dem Bankett begab sich Alles nach Hause.

Nun erschien bei diesem Feste unter Andern auch ein gewisser Herr Michele Steno, ein sehr junger und armer, aber schlauer und unternehmender Edelmann, welcher in eine der Damen der Dogaresse verliebt war. Als nun Herr Michele unter den Damen auf der Tribüne stand, benahm er sich so unpassend, daß der Doge befahl, ihn von der Tribüne fortzubringen, worauf die Leute des Dogen ihn vor die Thüre setzten. Herr Michele glaubte eine solche Beschimpfung nicht so ohne Weiteres hinnehmen zu können und schlich, als das Fest vorüber war und alle Anderen den Palast verlassen hatten, noch kochend vor Wuth in den Audienzsaal, wo er gewisse unziemliche Worte, die sich auf den Dogen und die Dogaresse bezogen, in den Stuhl einkratzte, auf welchem der Doge gewöhnlich saß; denn damals saß der Doge noch nicht auf einem mit Taffet überzogenen, sondern auf einem einfachen hölzernen Stuhl. Herr Michele schrieb also: »Marin Faliero, der Mann der schönen Frau, Andere küssen sie, aber er füttert sie.« Der Senat befahl den Avogadori der Republik, die Sache aufs strengste zu untersuchen. Sofort wurde von den Avogadori eine große Geldsumme ausgesetzt, um herauszubringen, wer die Worte geschrieben. Bald erfuhr man, daß es Michele Steno gewesen. Der Rath der Vierzig beschloß deshalb seine Haftnahme; Steno gestand, er habe in einem Anfall von Wuth, weil man ihn in Gegenwart seiner Geliebten von der Tribüne entfernt habe, die Worte geschrieben. Nach gepflogener Berathung wurde nun Steno in Anbetracht seiner Jugend und seiner Verliebtheit zu einer zweimonatlichen Haft verurtheilt. Nach Verbüßung derselben sollte er auf ein Jahr aus Stadt und Land Venedig verbannt sein. Dieser milde Spruch regte den Dogen aufs Aeußerste auf; er war der Ansicht, der Rath habe hiebei nicht so gehandelt, wie es der Respect vor seiner herzoglichen Würde erheischte; er meinte, man hätte den Herrn Michele zum Strang oder wenigstens zu lebenslänglicher Verbannung verurtheilen müssen.

Nun war es des Schicksals Schluß, daß der Doge Marino Faliero den Kopf verlieren sollte. Wenn aber eine Wirkung eintreten soll, so ist nöthig, daß erst die Ursache dieser Wirkung erscheine; und so kam es denn, daß am gleichen Tage, wo das Urtheil über Herrn Michele Steno gefällt wurde, nämlich am ersten Fasttag, ein Edelmann aus dem Hause Barbaro, ein jähzorniger Herr, in das Arsenal ging und von dem Galeerenmeister gewisse Dinge verlangte. Dies that er in Gegenwart des Arsenalaufsehers. Als dieser das Begehren des Herrn Barbaro hörte, erwiderte er: »Nein! das kann nicht geschehen.« Es gab nun heftige Worte zwischen dem Herrn Barbaro und dem Arsenalaufseher, und schließlich schlug der Nobile den letztern mit der Faust über das Auge, und da er einen Ring am Finger hatte, so schnitt der Ring Jenen so, daß Blut floß. Der Arsenalaufseher lief nun, zerschlagen und blutig wie er war geradeswegs zum Dogen, um sich zu beklagen und diesen zu bitten, dem Herrn aus CàCà = casa = Haus. Barbaro, eine schwere Strafe aufzuerlegen. »Wie kannst du wollen, daß ich Etwas für dich thue?« erwiderte der Doge; »erinnere dich des schmählichen Hohns, den man über mich geschrieben hat, und erinnere dich auch, wie dieser Bruder Liederlich, dieser Michele Steno, bestraft worden ist. Daran kannst du abnehmen, wie der Rath der Vierzig unsere Person achtet.« – Hierauf erwiderte der Arsenalaufseher: »»Herr Doge, wenn Ihr Euch zum Fürsten machen und alle diese geilen Herrchen in Stücke hauen wollt, so bin ich der Mann dazu, wenn Ihr mir dabei nur etwas unter die Arme greift; und dann mögt Ihr sie Alle bestrafen.«« – Als der Doge dies hörte, sagte er: »Wie ließe sich denn das bewerkstelligen?« – Und dann sprachen sie weiter in der Sache.

Der Doge schickte nach seinem Neffen, Herrn Bertuccio Faliero, der bei ihm im Palaste wohnte, und sie besprachen sich über das Complott. Und ohne das Haus zu verlassen, ließen sie auch Philipp Calendaro, einen Seemann von großem Ruf, und Bertuccio Israello. einen sehr schlauen und verschlagenen Mann, herholen. Nachdem sie sich unter einander berathen, kamen sie überein, noch einige Andere in das Geheimniß zu ziehen; und so trafen sie sich mehrere Nächte hinter einander bei dem Dogen in dessen Palast. Und folgende Männer wurden einzeln berufen: Niccolo Fagiuolo, Giovanni da Corfu, Stefano Fagiono, Niccolo dalle Vende, Niccolo Bionda und Stefano Trevisano. Es ward ausgemacht, daß 16 bis 17 Führer in verschiedenen Theilen der Stadt aufgestellt werden sollten; ein Jeder sollte 40 wohlbewaffnete Leute anwerben; diese sollten jedoch ihre eigentliche Bestimmung nicht erfahren. An dem bestimmten Tage wollten sie dann an verschiedenen Punkten Streit unter einander anfangen, damit der Doge einen Vorwand bekäme, die Glocke von San Marco anschlagen zu lassen, welche nur auf Befehl des Dogen geläutet werden durfte. Beim Ertönen dieser Glocke sollten die 16 oder 17 mit ihrer Mannschaft durch die verschiedenen Straßen, die nach dem Markusplatze führen, gegen San Marco rücken. Wenn dann die regierenden Nobili auch nach dem Platze kämen, um die Ursache des Auflaufs zu erfahren, wollten die Verschworenen sie in Stücke hauen. Hierauf sollte der Doge Marino Faliero zum Herrn von Venedig ausgerufen werden. Nachdem Alles so weit festgestellt war, kamen sie überein, ihr Vorhaben Mittwoch den 15. Tag des April im Jahre 1355 auszuführen. Sie hielten ihren Anschlag so geheim, daß sich Niemand von ihren Schlichen Etwas träumen ließ.

Aber der Herr, der diese glorreiche Stadt stets unter seine Obhut genommen und sie wegen ihrer Rechtschaffenheit und Strenggläubigkeit nie verlassen hat, gab es einem gewissen Beltramo aus Bergamo ein, die Ursache zu werden, daß das Complott ans Licht käme, und zwar auf folgende Art. Dieser Beltramo, welcher einem Herrn Niccolo Lioni in Santo Stefano zugehörte, hatte erfahren, was vor sich gehen sollte; er ging daher in dem genannten Monat April nach dem Hause des vorbesagten Herrn Niccolo Lioni und erzählte diesem alle Einzelnheiten der Verschwörung. Als Herr Niccolo diese Dinge hörte, war er vor Schreck fast des Todes. Beltramo bat ihn, die Sache ganz geheim zu halten, denn wenn er sie dem Herrn Niccolo gesagt, so sei es geschehen, damit Herr Niccolo am 15. April zu Hause bleibe und so sein Leben rette. Als Beltramo wieder fort wollte, befahl Herr Niccolo seinen Dienern Hand an ihn zu legen und ihn einzusperren. Herr Niccolo ging nun zu Herrn Giovanni Gradenigo Nasoni, der nachmals Doge wurde und der ebenfalls in Santo Stefano wohnte und theilte ihm Alles mit. Die Sache erschien diesem von der höchsten Wichtigkeit, wie sie in der That auch war. Sie gingen daher zusammen zu Herrn Marco Cornaro, der in San Felice lebte, und nachdem sie auch mit diesem darüber gesprochen, beschlossen sie nach dem Hause des Herrn Niccolo Lioni zurückzukehren, und den besagten Beltramo noch einmal zu verhören. Nachdem sie ihn ausgefragt und Alles gehört hatten, was er zu sagen hatte, begaben sich die Drei nach der Sakristei von San Salvatore und schickten nach den Räthen, den Avogadori, den Häuptern der Zehen und denen des großen Raths. Als Alle beisammen waren, trugen sie ihnen die ganze Geschichte vor. Alle erschraken in den Tod hinein. Sie beschlossen zunächst Beltramo herbeiholen zu lassen. Als er vor sie gebracht war, verhörten sie ihn und überzeugten sich, daß die Sache sich wirklich so verhalte.

Obschon im höchsten Grade bestürzt, trafen sie doch sofort ihre Maßregeln. Sie schickten nach den Häuptern der Vierzig, nach den Officieren vom Nachtdienst, nach den Amtleuten der Stadtviertel und den fünf Polizeihauptleuten. Diese erhielten den Befehl, ihrer Mannschaft noch andere tüchtige und zuverlässige Leute beizugesellen, dann nach den Häusern der Rädelsführer zu gehen und sie zu verhaften. Auch der Vorstand des Arsenals wurde verhaftet, damit die Verschworenen dort kein Unheil anrichten könnten. Bei Anbruch der Nacht versammelten sie sich im Palast. Als sie beisammen waren, ließen sie die Thore des Palastvierecks schließen und dem Wächter des Glockenturms verbieten, die Glocke zu läuten.

Inzwischen waren die oben erwähnten Verschworenen abgefaßt und nach dem Palast gebracht worden. Als der Rath der Zehen sich überzeugt hatte, daß der Doge mit im Complott sei, beschloß er sich noch 20 der hervorragendsten Männer des Staats zum Zwecke der Berathung beizuordnen, die jedoch an der Abstimmung keinen Theil haben sollten.

Die Staatsräthe waren folgende: Herr Giovanni Mocenigo aus dem Viertel von San Marco, Herr Almoro Veniero von Santa Maria aus dem Kastellviertel, Herr Tommaso Viadro aus Canaregio, Herr Giovanni Sanudo aus Santa Croce, Herr Pietro Trivisano aus San Paolo, Herr Pantalione Barbo il Grando aus Ossoduro.

Die Avogadori der Republik waren Zufredo Morosini und Herr Orio Pasquaglio. Diese stimmten nicht mit.

Der Rath der Zehen bestand aus den Herren: Giovanni Marcello, Tommaso Sanudu, Micheletto Dolfino, den drei Häuptern; Luca da Legge und Pietro da Mosto, als den Untersuchungsrichtern, und den übrigen Mitgliedern Marco Polani, Marino Veniero, Lando Lombardo und Nicoletto Trivisano aus Sant' Angelo.

Noch spät in der Nacht, der Morgen graute schon, wählten sie eine Commission (Giunta) von 20 Edelleuten aus den weisesten, würdigsten und ältesten Nobili von Venedig. Sie sollten mitberathen, aber nicht stimmen. Aus dem Hause Faliero wurde Keiner gewählt; Niccolo Faliero und ein zweiter Niccolo Faliero von San Tommaso wurden vielmehr aus dem Rathe gestoßen, weil sie zur Familie des Dogen gehörten. Dieser Beschluß, eine Zwanziger-Commission (Giunta) zu berufen, fand den Beifall des ganzen Landes. Sie bestand aus den Herren: Marco Giustiniani, Andrea Contarini, Simone Dandolo, Niccolo Volpe, Giovanni Loredano, Marco Diedo, Giovanni Gradenigo, Andrea Cornaro, Ritter, Marco Soranzo, Rinieri da Mosto, Gazano Marcello, Marino Mósini, Stefano Velegno, Niccolo Lioni, Filippi Orio, Marco Trivisano, Jacopo Bragadino und Giovanni Foscarini.

Diese zwanzig wurden also in den Rath der Zehen berufen. Man ließ hierauf den Herrn Dogen Marino Faliero holen, der sich eben in Gesellschaft von andern vornehmen Herren, Edelleuten und sonst hervorragenden Männern, von denen aber Keiner ahnte, was vorging, im Palaste befand.

Zugleich wurde Bertuccio Israello, einer der Rädelsführer und Haupt der Verschworenen in Santa Croce verhaftet und gebunden vor den Rath gebracht; ebenso Zanello del Brin, Nicoletto di Rosa, Nicoletto Alberto und der Guardiaga, nebst vielen Schiffern und allerlei Volk. Sie wurden vernommen und der Thatbestand des Complotts festgestellt.

Am 16. April that der Rath der Zehen den Ausspruch, daß Filippo Calendaro und Bertuccio Israello an den rothen Säulen des Palastbalkons, von wo aus der Doge das Stiergefecht anzusehen pflegt, gehenkt werden sollten. Dieselben wurden mit Knebeln im Munde aufgehängt.

Am nächsten Tage wurden verurtheilt: Niccolo Zuccuolo, Nicoletto Blondo, Nicoletto Doro, Marco Giuda, Jacomelli Dagolino, Nicoletto Fidele, der Sohn des Filippo Calendaro, Marco Torello genannt Israello, Stefano Trevisano, der Geldwechsler von Santa Margherita und Antonio delle Bende. Diese wurden sämmtlich zu Chiozza festgenommen, wohin sie zu entwischen versucht hatten. Auf Grund des ihnen vom Rath der Zehen gesprochenen Urtheils wurden sie hierauf an den folgenden Tagen gleichfalls gehenkt, einige einzeln, andere paarweise, und zwar an die Palastsäulen, wobei an den rothen Säulen angefangen und so weiter bis an den Canal fortgearbeitet wurde. Andere Gefangene wurden freigesprochen, weil sie zwar in die Verschwörung verwickelt gewesen, jedoch in so fern keinen eigentlichen Antheil daran gehabt hatten, als ihnen von den Häuptern der Verschwörung nur gesagt worden war, sie sollten bewaffnet erscheinen und würden dann im Staatsdienste verwendet, um gewisse Verbrecher aufzuheben. Weiter wußten diese nichts. Unter diesen Freigelassenen befanden sich Nicoletto Alberto, der Guardiaga, sowie Bartolommeo Ciricolo und dessen Sohn und noch mehrere Andere, die nicht schuldig waren. Am Freitag den 16. April wurde ferner von vorbesagtem Rath der Zehen der Spruch gefällt, der Herr Doge Marino Faliero solle enthauptet werden und die Hinrichtung auf der Plattform der steinernen Treppe stattfinden, wo die Dogen ihren Eid ablegen, ehe sie den Palast betreten.

Am folgenden Tage den 17. April um die Mittagsstunde, wurde hierauf bei verschlossenen Palastthoren dem Dogen der Kopf abgeschlagen. Die Herzogsmütze war ihm abgenommen worden, ehe er an die Treppe kam. Als die Hinrichtung vorüber war, heißt es, sei Einer vom Rath der Zehen unter die Palastsäulen gegenüber dem Markusplatze getreten, habe dem Volke das blutige Schwert gezeigt und mit lauter Stimme gerufen: »Der schreckliche Spruch ist an dem Verräther vollzogen.« – Dann wurden die Thore geöffnet und alles Volk stürzte herein, um den Leichnam des enthaupteten Dogen zu sehen.

Es muß bemerkt werden, daß der Rath Giovanni Sanudo nicht gegenwärtig war, als der obige Spruch gefällt wurde; er war nämlich krank und durfte nicht ausgehen. So gaben nur 14 Herren ihre Stimmen ab, nämlich fünf Staatsräthe und neun vom Rathe der Zehen.

Es ward ferner gesprochen, daß alle Güter und fahrende Habe, sowol des Dogen, als der übrigen Verräther dem Staat verfallen sollten. Als eine Gnade wurde dem Dogen vom Rathe der Zehen gestattet, über 2000 Dukaten von seinem Vermögen frei zu verfügen. Es ward ferner beschlossen, daß künftig die Staatsräthe, die Avogadori der Republik, die Mitglieder des Raths der Zehen und die der Commission, welche an den Berathungen über den Dogen und die übrigen Verräther Theil genommen, das Recht haben sollten, bei Tag und bei Nacht in Venedig und von Grado bis Cavazere Waffen zu tragen. Es ward ihnen ferner gestattet zwei bewaffnete Diener zu halten, die in den Häusern dieser Herren wohnten und speisten. Wer selbst keine zwei Diener hielt, durfte das Recht auf seine Söhne oder Brüder übertragen, aber nur auf zwei. Die Erlaubniß Waffen zu tragen, erhielten ferner die vier Notare der Kanzlei, das heißt des obersten Gerichtshofes, welche die Zeugenaussagen entgegennahmen. Es waren dies Amedio, Nicoletto di Lorino, Steffanello und Pietro de Compostelli, der Secretär der Officiere vom Nachtdienst.

Nachdem der Doge enthauptet und die Verräther gehenkt waren, verblieb der Staat in großer Ruhe und Frieden. Wie ich in einer Chronik gelesen, brachte man den Leichnam des Dogen in einer Barke mit acht Fackeln nach seiner Gruft in der Kirche von San Giovanni e Paolo, wo er beerdigt wurde. Diese Gruft befindet sich in der Kapelle Santa Maria della Pace, welche von Bischof Gabriel von Bergamo gebaut worden war. Sein Grabmal ist ein steinerner Sarg, in welchen die Worte eingegraben sind: Heic jacet Dominus Marinus Faletro Dux. Im Saale des großen Raths wurde sein Portrait nicht gemalt, an der Stelle vielmehr, wo es hingehörte, sieht man die Worte: Hic est locus Marini Faletro, dacapitati pro criminibus. Man hat geglaubt, daß sein Palast an der Brücke der Kirche San Apostolo geschenkt worden sei. Doch kann dies nicht wol sein oder müßte das Haus von der Familie zurückgekauft worden sein, denn es gehört noch immer dem Cà Faliero.

Wir müssen noch bemerken, daß Einige an die Stelle, wo sein Portrait hätte sein sollen, folgende Worte setzen wollten: Maximus Faletro Dux, temeritas me cepit. Poenas lui, decapitatus pro criminibus. Andere schlugen den Vers vor, der würdiger wäre, auf sein Grabmal gesetzt zu werden:

Dux Venetum jacet heic, patriam qui prodere tentans,
Sceptra, decus, censum perdidit, atque caput.

Note B.

Petrarca über die Verschwörung des Marino Faliero.

Auf den jungen Doge Andrea Dandolo folgte ein alter, der erst spät an das Steuer der Republik gelangte, aber immer noch früher, als für ihn und sein Land ersprießlich war; es war Marino Faliero, ein mir bekannter Mann, mit dem ich schon vor alten Zeiten auf vertrautem Fuße stand. Man hatte ihn falsch beurtheilt, denn er zeigte, daß er mehr mit Muth als mit Verstand ausgestattet war. Nicht zufrieden mit der ersten Würde, trat er mit dem linken Fuß in den Dogenpalast; denn dieser Doge der Venetianer, eine zu jeder Zeit heiliggehaltene Obrigkeit, welche von Alters her fast wie eine Gottheit in jener Stadt verehrt wurde, wurde kürzlich in der Vorhalle des Dogenpalastes enthauptet. Ich würde die Ursachen eines so bedeutenden Ereignisses von Anfang an besprechen, wenn nicht so verschieden und entgegengesetzt darüber gesprochen würde. Niemand aber entschuldigt ihn, Alle behaupten, er habe eine Aenderung in den staatlichen Einrichtungen der Republik, die ihm von den Aeltesten übergeben worden war, vornehmen wollen. Was wollte er denn mehr? Ich dächte doch, er habe erhalten, was man keinem Andern zugestand. Während er das Amt eines Gesandten beim Papste versah und an den Gestaden der Rhone über den Frieden unterhandelte, welchen ich vor ihm vergebens abzuschließen versucht hatte, wurde ihm die Ehre des Dogenthums übertragen, um die er sich nicht beworben und die er nicht erwartet hatte. In das Vaterland zurückgekehrt, dachte er an Etwas, was noch Keinem eingefallen war, und erlitt etwas, was noch nie Einer zu leiden gehabt hatte; denn in dieser berühmtesten, erlauchtesten und schönsten Stadt, die ich je sah, wo seine Vorgänger die größten Ehren und Gepränge des Triumphes genossen hatten, wurde er in entwürdigender Weise herangeschleppt, der herzoglichen Abzeichen entkleidet und um einen Kopf kürzer gemacht, so daß er mit seinem Blute die Schwelle des Tempels, die Vorhalle des Palastes und die Marmortreppe besudelte, die so oft durch feierliche Festlichkeiten oder feindliche Trophäen geschmückt ward. Ich habe den Ort festgestellt, jetzt komme ich an die Zeit. Es war im Jahr 1355 nach Ch. G., am 18. Tag des April. So groß ist das Geschrei hierüber, daß, wenn einer die Ordnung und Bräuche jener Stadt in Betracht zieht, und wie viele Veränderungen durch den Tod eines einzigen Mannes drohen konnten (obschon, wie man erzählt, noch viele Andere im Complott waren und dasselbe Urtheil empfingen oder noch erwarten), man sich wird sagen müssen, daß in unserer Zeit kein größeres Ereigniß in Italien Statt hatte. Du erwartest vielleicht hier mein Urtheil hierüber; ich spreche das Volk frei, wenn man dem Gerücht glauben darf, obwol es hätte sanfter züchtigen und seinen Schmerz mit größerer Milde hätte rächen können; aber ein gerechter und zugleich großer Zorn in einem zahlreichen Volke ist nicht so leicht zur Mäßigung zu stimmen, besonders wenn ein unbesonnener und wandelbarer Pöbel den Zorn noch durch heftiges Geschrei anspornt. Ich beklage diesen Unglücklichen, und zugleich zürne ich ihm, daß er, den doch ungewöhnliche Ehren schmückten, in den letzten Jahren seines Lebens so Tolles erstrebte. Sein Unglück ist um so schwerer, als aus dem gegen ihn gefällten Spruche hervorgeht, daß er nicht nur unglücklich, sondern geradezu aberwitzig war, und daß er sich durch so lange Jahre hindurch den Ruf der Weisheit durch eitle Künste erschwindelt hatte. Ich ermahne die Dogen, die ihm folgen werden, denn dieses Beispiel ist ihnen wie ein Spiegel vors Auge gestellt, in welchem sie sehen mögen, daß sie nicht Herren, sondern Dogen, ja nicht einmal Dogen, sondern nur geehrte Diener der Republik sind. Du bist gesund, und da die öffentlichen Angelegenheiten schwanken, so wollen wir uns bemühen, unsere Privatangelegenheiten mit größter Bescheidenheit zu lenken.

Aus dieser Uebersetzung der lateinisch geschriebenen Briefe Petrarca's geht hervor:

1) Daß Marino Faliero ein persönlicher Freund Petrarca's gewesen war: antica dimestichezza, (alte Vertraulichkeit) drückt sich der Dichter aus.

2) Daß Petrarca der Ansicht war, Faliero habe mehr Muth als Verstand besessen, più di corragio che di senno.

3) Daß auf Seiten Petrarca's einige Eifersucht obwaltete, denn er sagt, Marino Faliero habe den Frieden abgeschlossen, den er selbst vergeblich zu vermitteln gesucht habe.

4) Daß dem Faliero die Ehre der Dogenschaft übertragen wurde, ohne daß er sie erwartete oder sich darum bewarb (che nè chiedeva nè aspettava), was noch bei keinem Andern der Fall gewesen war (ciò che non si concedette altro), ein Beweis von der hohen Achtung, in der er stehen mußte.

5) Daß er wegen seiner Weisheit hochgeschätzt wurde, eine Meinung, die er erst durch die letzte Handlung seines Lebens verscherzte (si usurpò per tanti anni una falsa fama di sapienza). »Er hatte sich so viele Jahre lang den falschen Ruf eines weisen Mannes zu erschwindeln gewußt«. Ich bin zu glauben geneigt, daß dies doch etwas schwierig gewesen wäre. Man kommt in der Regel über die Menschen vor ihrem 80. Lebensjahre ins Klare, wenigstens in einer Republik.

Aus diesen und andern geschichtlichen Bemerkungen, die ich sammelte, läßt sich jedoch abnehmen, daß Marino Faliero viele von den Eigenschaften eines Helden, nicht aber dessen Glück besaß, und daß seine Leidenschaften zu heftig waren.

Die armselige und ungenaue Erzählung, welche Dr. Moore von ihm gibt, fällt damit zu Boden.

Petrarca sagt, es sei in jener Zeit nichts geschehen, was in Italien ein größeres Aufsehen gemacht hätte. Er weicht insofern von dem Thatbestand ab, als er erzählt, Faliero sei, als er erwählt wurde, an den Ufern der Rhone gewesen, statt in Rom; andere Berichte sagen, die ihm entgegengeschickte Deputation der Republik habe ihn zu Ravenna getroffen. Was hier das Richtige ist, habe ich nicht zu entscheiden, und ist auch gleichgiltig. Wäre Faliero in seinem Unternehmen glücklich gewesen, so hätte er Venedig und vielleicht ganz Italien ein anderes Gesicht gegeben. Was sind nun beide?

Note C.

Venezianische Gesellschaft und Sitten.

– Das Laster,
Doch ohne Glanz, die Sünde ohne Reiz,
Daß selbst der Liebe Strahl sie nicht verschönt.
Statt ihrer vielmehr nur Gewohnheitslust.

Siehe oben.

»Zu diesen Angriffen der Regierung gegen den Clerus, zu den beständigen Kämpfen zwischen den verschiedenen Körperschaften, zu den Unternehmungen, welche von der Masse des Adels gegen die eigentlichen Machthaber ins Werk gesetzt wurden, zu all diesen Neuerungsplänen, welche stets mit einem Staatsstreich endeten, kam noch eine weitere Ursache, die nicht weniger dazu angethan war, Verachtung gegen die alten Lehren zu verbreiten: es war dies die alles Maß übersteigende Verderbniß der Sitten.«

»Die Freiheit der Sitten, die man lange als einen Hauptreiz der venezianischen Gesellschaft gerühmt hatte, war in eine anstößige Frechheit ausgeartet. Die Bande der Ehe wurden in diesem katholischen Lande weniger heilig gehalten, als bei solchen Völkern, deren Religion und Gesetz eine Lösung derselben gestattet. Da man das Bündniß nicht lösen konnte, that man, als bestehe es nicht zu Recht. Dieser Grund der Nullität, den das verheirathete Paar frecherweise vorschützte, wurde mit gleicher Leichtfertigkeit von den ebenso verderbten Priestern und obrigkeitlichen Personen angenommen; und diese unter einem anderen Namen laufenden Scheidungen wurden so häufig, daß ein besonderes Ausnahmsgericht für diese wichtigste Handlung der bürgerlichen Gesellschaft aufgestellt wurde; den öffentlichen Scandal solchen Verfahrens zu beschränken, wurde Sache der Polizei. Im Jahre 1782 beschloß der Rath der Zehen, daß jede Frau, die um eine Trennung ihrer Ehe nachsuche, die Entscheidung der Richter in einem ihr von dem Gerichtshof bezeichneten Kloster abzuwarten habe.Correspondenz des französischen Geschäftsträgers Schlick. Depesche vom 24. August 1782. Bald darauf forderte derselbe Rath alle Processe dieser Art vor seine Schranken.Ebendort. Depesche vom 31. August. Da dieser Eingriff in die geistliche Gerichtsbarkeit einige Einsprache von Rom aus hervorrief, behielt sich der Rath nur das Recht vor, Trennungsgesuche abzuweisen, und gestaltete die Überweisung solcher Fälle, die er nicht zum Voraus abgewiesen hatte, an das geistliche Gericht.Ebendort. Depesche vom 3. September 1785.«

»Es gab allerdings einen Moment in der Geschichte Venedigs, wo der Ruin der Familiengüter, die Verderbniß der Jugend und die häuslichen Zwistigkeiten, welche durch solche Mißbräuche hervorgerufen wurden, die Regierung bestimmte, von ihren Grundsätzen in Betreff der ihren Unterthanen gewährten Freiheit der Sitten abzugehen: alle öffentlichen Dirnen wurden aus Venedig ausgewiesen! Aber ihre Abwesenheit genügte schon nicht mehr, um einem Volke, das in der anstößigsten Zügellosigkeit aufgewachsen war, die Sittlichkeit wieder zu geben. Die Ausschweifung drang jetzt bis in den Schooß der Familien und selbst bis in die Klöster, so daß man sich genöthigt sah, jene Frauenzimmer wieder zurückzurufen, ja sogar zu entschädigen,Das Decret, durch welches sie zurückgerufen wurden, bezeichnet sie als nostre bene merite meritrcci; es wurde ihnen ein Fonds ausgeworfen und einige Häuser, case rampane genannt, ihnen angewiesen; daher das Schimpfwort carampane. denn sie waren nicht selten im Besitz wichtiger Geheimnisse und konnten mit Nutzen zur Zugrunderichtung von Männern benützt werden, die ein größeres Vermögen gefährlich machte. Seit jener Zeit nahm die Ausschweifung noch mehr über Hand: es gab Mütter, die nicht nur die Unschuld ihrer Töchter, sondern diese selbst mittelst eines Vertrags verkauften, welcher durch die Unterschrift eines öffentlichen Beamten sanctionirt war, und dessen Rechtsgiltigkeit unter dem Schutze des Gesetzes stand!«Mayer, Beschreibung von Venedig. Bd. 2. und Archenholtz, Gemälde von Italien. Bd. 1. Cap. 2.

»Die Sprechzimmer der Klöster für die Damen und die Häuser der Courtisanen, welche die Polizei übrigens durch eine Menge Spione sorgfältig überwachte, waren die einzigen Orte, wo die Gesellschaft Venedigs zusammenkam, und wo trotz der Verschiedenheit des Hauses doch die gleiche Freiheit bestand. Musik, Gelage, Galanterien waren in den Sprechzimmern ebensowenig verboten, wie in den Casinos. Es gab eine Anzahl Casinos für öffentliche Vergnügungen, wo das Spiel den Hauptgegenstand der Unterhaltung bildete. Es war ein seltsamer Anblick, Personen beiderlei Geschlechts maskirt oder auch gravitätisch in ihre Amtstracht gehüllt, um eine Tafel sitzen zu sehen, wo sie ihr Glück versuchten und sich bald der Verzweiflung, bald dem Wahn der Hoffnung hingaben, ohne dabei ein Wort zu sprechen.«

»Die Reichen hatten ihre eigenen Casinos, in denen sie incognito lebten. Die Frauen, die sie verließen, fanden ihrerseits Ersatz in der Freiheit, die sie genossen. Die Verderbniß der Sitten hatte sie ihres Einflusses auf Staat und Gesellschaft beraubt. Wir haben die ganze Geschichte Venedigs sorgfältig geprüft und nicht Eine Frau gefunden, welche den leisesten Einfluß geübt hatte.«

Daru, Geschichte der Republik Venedig. V. Bd. S. 95.

Note D.

Der alte venezianische Adel und die Ursachen seines Verfalls.

Vom Reich wird zur Provinz herab sie sinken.
Von einer Großstadt zum verkomm'nen Flecken,
Aus Sklaven wird bestehen ihr Senat,
Aus Bettelvolk ihr Adel, und ihr Volk
Aus Kupplerschaft.

V. Act. 3. Scene.

Die venezianischen Nobili, obschon alle gleich vor dem Gesetz, theilten sich seltsamer Weise in drei Klassen, die erste bezeichnete man als die vom sangue bló oder sangue colombin, vom blauen oder taubenblut; die zweite als de mezo d. h, mittelgut, und die ärmste als Bernaboti oder Barnabiten, weil sie in kleinen und wohlfeilen Häusern in der Pfarrei von St. Barnabas wohnten.

Man kann sich leicht denken, daß der arme Adel in einem Staate, der alle ehelichen Söhne eines Nobile als adelig betrachtete, zahlreich sein mußte, indem der Handel längst keine Quelle des Reichthums mehr bildete und dem Adel nur noch die Beamtenstellen geblieben waren. Diese Klasse nun, welche von den bürgerlichen oder militärischen Aemtern der Republik gelebt hatte, mußte durch die Revolution zu Grunde gerichtet werden. Die Ursache von dem allgemeinen Ruin aber, der die venezianische Aristokratie traf, ist nicht so deutlich ersichtlich, um so weniger, als die Gesetze des Fede comesso in dem alten Venedig sehr strenge waren.

Wie das zuging, werde ich deshalb nach den Belehrungen, die ich hierüber empfing, darzustellen versuchen. Die erste und vorzüglichste Ursache war wol die außerordentliche Trägheit und Verschwendung der letzten Adelsgeneration, welche dem Ahnherrn des Sir Roger de Coverley geglichen zu haben scheint, der, wie dieser uns erzählt, einen Pfandschein, der die Hälfte seines Vermögens betraf, mit angezogenen Handschuhen unterzeichnete; nur mit dem Unterschiede, daß der venezianische Nobile sein Vermögen nur für die Dauer seines Lebens verpfänden konnte. Dieser Umstand scheint auf den ersten Anblick ein Schutz für die alten Häuser von Venedig gewesen zu sein; allein derselbe war in den meisten Fällen nur scheinbar ein solcher.

In fast allen Ländern laufen nämlich die Gesetze der Ehre den Landesgesetzen gerade entgegen. Dies ist oft ein großer Unfug; bisweilen aber wird dadurch auch eine gesunde Moral unterstützt. So war es auch hier. Das Gesetz des Fede commesso gestattete nämlich dem Sohn die Schulden des Vaters auf sich zu nehmen; zwar geschah dies ohne Präjudiz für den Nachfolger, da es aber als ein Ehrenpunkt galt, diese Last zu übernehmen, so trat auch des Sohnes Sohn dafür ein und die Schulden einer Generation liefen durch verschiedene folgende durch.

So war der Stand der Dinge, als die alte Regierung gestürzt und damit auch das Gesetz des Fede commesso hier wie in allen von Frankreich revolutionirten Ländern abgeschafft wurde. Die Folge davon war die unmittelbare Beschlagnahme des so belasteten Besitzthums. Dies war unvermeidlich; der Gläubiger der Familie Cornèr oder irgend eines andern venezianischen Hauses legte die Hand auf das, was sein war.

So war eine der mittelbaren Folgen der Revolution der sofortige Fall einer großen Zahl venezianischer Familien des sangue blò und morèl de meze. Die Revolution wirkte jedoch unmittelbar noch vernichtender auf die sogenannten Barnabilen, die sich mit einem Schlag von allen gewinnbringenden Staatsämtern ausgeschlossen sahen. Und dies war noch nicht Alles: die Töchter des armen Adels hatten sämmtlich Pensionen besessen, welche sie ihren Gatten als Mitgift mitbrachten. Nun wurden Stellen und Pensionen, obschon fürs Leben gewährt, abgeschafft. Dafür zahlte der aus Emporkömmlingen bestehende Stadtrath, der auf den Trümmern der Aristokratie erblüht war, ein elendes Almosen von zwei venezianischen Liras per Tag an diejenigen, welche sich so weit herabließen, es anzunehmen. So klein diese Gabe aber selbst in diesem Lande war, wo die Lebensmittel bei Weitem billiger sind als Gegenstände des Luxus, so nahmen doch Viele dieselbe an, weil sie in dem Wahne lebten, sie werde, wenn bessere Verhältnisse einträten, erhöht werden. Allein die Franzosen erhöhten sie nicht, wie man sich leicht denken kann; und die österreichische Regierung (was nur diejenigen glauben konnten, welche mit der Verfahrungsweise des Wiener Cabinets vertraut waren) beschnitt noch dieses elende Scherflein und knüpfte es an Bedingungen, welche weder der revolutionäre Stadtrath noch die Franzosen ungroßmüthig genug gewesen waren, aufzuerlegen.

Der Stadtrath gab seine kleine Entschädigung – und da das ganze Festland im Besitz des Feindes war, konnte er vielleicht nicht mehr geben – wenigstens ebenso bedingungslos als die Pensionen, die sie ersetzen sollte, einst gewährt worden waren. Die Franzosen ließen es dabei. Aber die Oesterreicher haben sie nicht nur auf solche Personen beschränkt, welche nicht 200 Ducati (25 Pfd. St.) jährliches Einkommen haben, sondern sie bestehen auch noch darauf, daß das Gratial in ihrem Gebiet verzehrt werden muß. Die Strenge, womit diese Bedingung festgehalten wird, ergibt sich aus folgendem Beispiel: Eine Dame, welche die eingeführten Bestimmungen nicht kannte, war zwei Jahre lang im südlichen Frankreich abwesend gewesen. Nach ihrer Rückkehr bat sie um die rückständige Pension, ohne dabei mitzutheilen, wo sie gewesen war. Die Rückstände wurden nach den gewöhnlichen Schwierigkeiten ausbezahlt. Als man aber ihre vorübergehende Ortsabwesenheit in Erfahrung brachte, ward ihr auferlegt, das Erhaltene wieder heraus zu bezahlen, unter der Androhung von jeder künftigen Unterstützung ausgeschlossen zu werden.

Ich habe gesagt, nach den gewöhnlichen Schwierigkeiten. Ich will diese jetzt näher auseinander setzen. Eine andere Dame beanspruchte den siebenmonatlichen Rückstand ihrer Pension, der während ihres Aufenthalts in der Lombardei und auf venezianischem Gebiet verfallen war. Diesen Anspruch hätte sie leicht durch ihren Paß beurkunden können, in welchem der Tag ihrer Ankunft in jeder Stadt durch die Unterschrift des österreichischen Polizeibeamten beglaubigt war. Nichtsdestoweniger brauchte sie sieben Monate, bis sie zur Befriedigung ihrer Ansprüche kam. Diese Zeit ging mit Einreichung von Bittschriften hin, immer auf Befehl, immer auf gestempeltem Papier und mit fast täglichem Besuch der Hälfte der Amtsstuben von Venedig, entweder in Person oder durch Bevollmächtigte.Dies ist keineswegs ein vereinzelter Fall. Ein venezianischer Richter war von den Oesterreichern abgesetzt, aber pensionirt worden. Er war anfangs zu indolent, um seine Gebühr nach dem Beispiel der Andern in Empfang zu nehmen. Endlich kam er um seine Rückstände ein, die man ihm versagte. Wie, rief er, Sie wollen mir nicht geben, was Andere erhalten haben? – Nein! war die Antwort, im Gegentheil auch jene Andern wird man veranlassen, es wieder herauszugeben. – Man bemerke, daß diese Pensionen kraft eines feierlichen und gedruckten Decrets bezahlt worden waren.

Doch ich wende gerne mein Auge von einem Gemälde ab, wo jedes Detail peinlich ist, und nachdem ich von dem Besitzthum des venezianischen Adels gehandelt, will ich Einiges über seine äußere Auszeichnung berichten. Die Patrizier waren, wie gesagt, gleich vor dem Gesetz und hatten keine Titel, außer dem Titel Eccellenza, wenn auch einige den Grafentitel von Besitzungen auf dem Festlande trugen, ehe sie in den venezianischen Adel eingereiht wurden. Einige hatten auch Titel als Entschädigung für ihre gefallene Größe oder vielmehr als Erinnerung daran. So führten die Querinis, die früheren Herren von Crema, diesen Titel fort, nachdem Crema im Staat Venedig aufgegangen war.

Doch ließen diese Familien ihre Titel gewöhnlich einschlafen, indem sie die Eigenschaft eines titellosen venezianischen Nobile für höher als jede andere Auszeichnung erachteten. Es scheint dies keineswegs eine wunderliche Koketterie gewesen zu sein. Die alte Republik verkaufte nämlich Titel zu einem gewissen Preis an Jeden, der es bezahlen konnte, wenn der Betreffende auch nicht einmal die Erziehung eines Edelmannes genossen hatte.Der Rang eines Grafen war etwa was in England Ritter (Knight) heißt. Wenn ich recht berichtet bin, bezahlte man für den Titel 20–40 Pfd. Es war daher natürlich, daß ein Herr von Crema fürchtete, mit solcher gräflichen Canaglia vermengt zu werden, und Alles, was er mit solchem Volke gemein haben mochte, aufgab.

Da die große politische Revolution, welche in Venedig Statt hatte, den Glanz des libro d'oro vernichtete, so sah sich Mancher veranlaßt, seine Festlandtitel wieder vorzuholen. Doch begnügte sich die Mehrzahl mit dem Titel Cavaliere,Venedig hatte keinen Ritterorden; es war seinen Bürgern gesetzlich verboten, Mitglieder eines fremden Ordens zu sein. der nicht nothwendig Ritter bedeutet und in Italien fast ebenso freigebig ertheilt wird, wie der Squiretitel in England. Der venezianische Adel gab indessen in seiner großen Majorität einen Beweis seines richtigen Tacts und seiner Würde, als Oesterreich ihn einlud, nach Beglaubigung seiner Rechtsansprüche Adel und Titel bei ihm in Antrag zu bringen, indem er einfach eine Anerkennung seines Ranges verlangte, ohne das ihm gemachte Anerbieten weiter zu benützen. Nur Wenige schlugen einen andern Weg ein, und erhielten Patente als Fürsten etc. – Rose, Briefe aus dem nördl. Italien, Bd. 2, S. 105.

 


 


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