George Byron
Marino Faliero - Doge von Venedig
George Byron

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Vierter Act.

Erster Auftritt.

Palast des Patriziers Lioni.

Lioni tritt ein und legt Maske und Mantel ab, wobei ein Diener ihm behilflich ist.

Lioni. Ich will zur Ruhe gehn! Der Schmaus hat mich
Recht müd' gemacht. Es war der üppigste,
Den wir seit Monden hier gehabt, und doch,
Ich weiß nicht, wie es kommt, er hat mich nicht
Erfreut. Es legte Etwas sich so schwer
Mir auf das Herz, und drückte mich selbst in
Des Tanzes flüchtigstem Moment, als ich
Doch Aug' in Aug' gesenkt und Hand in Hand
Mit meiner Liebe Dame flog. Es ging
Wie Eis mir durch das Blut, ein Dunst wie Tod
Umnachtete mein Aug'; ich wollte den
Gedanken weg mir lachen, doch umsonst!
Durch die Musik, die in das Ohr mir schlug,
Vernahm ich deutlich einer Glocke Ton,
Zwar dumpf und fern wie nur die Adria
Ins nächtliche Gemurmel rauscht der Stadt,
Wenn sie das Bollwerk unsres Lido trifft,
So daß ich jenes Fest verließ, eh' es
Der Freude Gipfel noch erklomm. – Ich will
Mir ruh'ger Blut auf meinem Kissen suchen,
Noch mehr: Vergessenheit! – Antonio,
Nimm Mask' und Mantel fort und zünde dann
Die Lampe an in meinem Cabinet.

Antonio. Gut, Herr! Befehlt Ihr zur Erfrischung was?

Lioni. Nichts als nur Schlaf, dem Niemand ja befiehlt.
Doch hoffe ich auf ihn, (Antonio ab.) obgleich die Brust
Mir gar so ängstlich klopft. Versuchen wir,
Ob nicht die Nachtluft bess're Ruh' mir bringt. –
'S ist eine schöne Nacht! Der heft'ge Wind,
Der erst von Osten blies, kroch jetzt zu Bett.
Der Mond scheint voll und klar. – Wie still ist's hier!
    (Tritt an ein offenes Fenster.)
Und welch' ein Gegensatz zu jener Scene,
Die ich verließ, wo greller Fackelglanz
Und jener bleichre Schein der Silberlampen
Längs der Tapetenwände fiel und in
Die feindlich finstre Schattenwelt der großen
Trübschauenden, vergitterten Gewölbe
Künstlichen Lichtes eine Masse warf,
Die Alles zeigte und doch nichts so wie
Es war! – Da brüstete das Alter sich,
Bestrebt, Vergangnes wieder zu gewinnen,
Und um der Jugend Farbe lang sich mühend
In schwerer Arbeit an der Toilette,
Bei manchem Blick in den zu treuen Spiegel, –
Vergaß in Putzes vollstem Stolz sich selbst
Und traute gern dem schmeichlerischen Strahl,
Der zeigt und doch verhüllt, bis es gewähnt,
Man kenne es nicht mehr, und ward zum Spott.
Da gab die Jugend, die so eitler Hilfe
Noch nicht bedurft, ja selbst nicht dran gedacht,
Ihr ächtes Blühn und die Gesundheit hin,
Die keusche Schönheit in dem wüsten Drängen
Aufdringlicher und weinerglühter Zecher,
Und tödtete der Ruhe süße Stunden
Im Wahn, daß dies Vergnügen sei, und tödtet
Sie immer noch, bis bald die Sonne schaut
Auf bleiche Wangen und gesunkne Augen,
Die nicht so frühe schon verwelken sollten.
Die Tanzmusik, das Gastmahl, die Pokale,
Die Blumenketten und der Rosenduft,
Die feur'gen Augen und des Putzes Glanz,
Die weißen Arme und das Rabenhaar,
Die Locken, Spangen und die Schwanenbusen,
Der Schmuck, ein Indien werth, jedoch das Aug'
So fesselnd nicht wie das, was er umspannt,
Die Duftgewänder, die wie leichte Wolken
Von unsrem Himmel unsre Blicke trennen,
Die kleinen Füßchen, die sylphidenhaften,
Wie Ahnung von geheim'rem Ebenmaß
Der schönen Formen, die so zierlich enden
– All' dieser Wahn der schwindelhaften Scene,
Der falsche und der wahre Reiz, Kunst und
Natur, die vor dem trunknen Blick mir schwammen,
Dem dieses Bild der Schönheit war, was nur
Dem durst'gen Pilger in Arabiens Sand
Das Trugbild ist von einem fernen See –
Sie sind dahin! – Nur Sterne sind um mich
Und Flut! Weltkörper, die im Ocean
Sich spiegelnd schaun, ein schön'rer Anblick wol
Als Fackeln, die aus gleißend Glas uns winken!
Das weite Element, das doch dem Raum
Nur was der Ocean der Erde ist,
Legt seine blauen Tiefen vor mir aus,
Von Frühlings erstem Hauche sanft durchweht.
Der hehre Mond zieht seine schöne Straße
Und schmeichelt freundlich den erhab'nen Mauern
Der stolzen, seeumgürteten Paläste,
Die ihre Porphyrsäulen und die Fronten,
Mit manchem Marmor des Orients geschmückt,
Altären gleich an dem Kanal hin reihn,
Ein jeder einer großen That Trophä',
Und aus den Wassern steigen wen'ger kaum
Bewundernswerth als jene größern,
Geheimnißvollen Riesenbauten, die
Gleichsam von der Titanen Hand geformt,
An Zeiten mahnen im Aegypterland,
An die sonst nichts mehr mahnt. – Wie lieblich rings!
Nichts regt sich herb! gleich einem Geiste schwebt
Vielmehr was geht, im Einklang mit der Nacht.
Das Klimpern einer wachsamen Guitarre,
Die der Geliebte der Geliebten schlägt,
Die dann das Fenster öffnet sachte, sachte,
Beweis, daß er nicht ungehört, indeß
Ihr Händchen – schön wie's Mondeslicht, von dem
Ein Theil es scheint, so zart und weiß erbebt's,
Wenn's leise öffnet eines Ladens Spalt,
Um mit Musik die Liebe einzulassen –
Sein Herz erregt, wie er die Saiten fast;
Der Ruderschlag mit seinem Phosphorblitz,
Das schnelle Flimmern fernen Lichterscheins,
Von Gondeln her der Schiffer Sängerchor,
Der sich in Versen fernher Antwort gibt;
Ein Schattenbild, das am Rialto schwankt;
Manch schimmernd Dach und schlanke Kirchthurmspitze –
– Das sind die Bilder, sind die süßen Töne,
Die unsre meergebor'ne Stadt durchziehn,
Die erdbeherrschende! – Wie hold und sanft
Ist diese Stund' der Ruh'! Ich dank' dir, Nacht!
Du hast die Ahnungsschauer weggescheucht,
Die im Getümmel ich nicht wurde los,
Und unterm Segen deiner güt'gen Macht
Will ich zur Ruhe gehn, obschon die Ruh'
Als Unrecht fast an solcher Nacht erscheint. (Man hört außen klopfen.)
Horch! was ist das? Wer kommt um solche Zeit?

Antonio tritt auf.

Antonio. Ein Mann ist draußen, gnäd'ger Herr, der Einlaß
In dringendem Geschäft begehrt.

Lioni. Ist es
Ein Fremder?

Antonio. Das Gesicht trägt er verhüllt,
Doch ist Geberde mir und Stimm' bekannt.
Ich bat ihn um den Namen, doch den wollt'
Er nur Euch selbst vertraun. Er bittet höchst
Inständig, daß er vorgelassen werde.

Lioni. Die Stund' ist seltsam und das Thun verdächtig,
Doch scheint nicht viel Gefahr dabei zu sein.
Man greift im eig'nen Haus den Nobile
Nicht an. Indeß, ist mir auch nichts bewußt,
Daß einen Feind ich in Venedig hätte,
Erheischt die Klugheit ein'ge Vorsicht doch.
Drum laß ihn ein und ziehe dich zurück.
Doch rufe eilig einige Kam'raden.
Ihr wartet draußen dann. – Wer mag der Mann
Wol sein?

(Antonio geht und kehrt mit dem vermummten Bertram zurück.)

Bertram. Mein lieber edler Herr Lioni!
Ich hab' nicht übrig Zeit, auch du hast's nicht.
Schick drum den Diener fort; ich muß mit dir
Alleine sein.

Lioni. Die Stimme Bertrams scheint's!
So geh', Antonio, geh'! (Antonio ab.)
                                      Nun, Fremdling, was
Begehrst zu solcher Stunde du?

Bertram (enthüllt sich). Ich bitt'
Um eine Gnade, edler Gönner, Euch.
Gar manche habt dem armen Schützling Bertram
Ihr schon gewährt; fügt diese noch hinzu
Und Ihr macht glücklich mich.

Lioni. Du weißt, daß ich
Von deiner Kindheit an bereit stets war,
In Allem dich, was Leute deines Stands
Nur vorwärts bringen mag, zu unterstützen.
Ich würd' die Bitte ungehört gewähren,
Wenn diese Stunde nicht, dein Aufzug und
Die seltsam hast'ge Art der Bitte mir
Den Argwohn rege machte, dein Besuch
Sei durch Geheimes, Wichtiges bewirkt.
Doch fahre fort! Was ist geschehn? Etwa
Ein unbesonnenes Gezänk? ein Glas
Zu viel? ein Streit, ein Dolchesstoß? wie hier
Fast täglich ja geschieht. Wofern du nicht
Vergossen adlig Blut, verbürg' ich mich
Für deine Sicherheit. Doch mußt du dann
Das Weite suchen, Freund! Rachsüchtige
Verwandte sind in ihrer ersten Wuth
Hier weit gefährlicher als das Gesetz.

Bertram. Ich dank' Euch, gnäd'ger Herr! Jedoch –

Lioni. Doch – was?
Du hast doch deine Hand nicht gegen Einen
Von unsrem Stand gekehrt? Wenn so, dann geh'
Und flieh! Gesteh' es nicht! Ich möchte nicht
Verderben dich; doch darf ich dann dich nicht
Erretten. Wer Patrizierblut vergießt –

Bertram. Nicht zu vergießen, nein! zu retten ein
Patrizierblut kam ich hierher, und dies
Hat Eil', denn die verlorene Minute
Kann leicht ein Leben kosten; hat die Zeit
Die Sense für ein doppelschneidig Schwert
Ja ausgetauscht, und nimmt statt Sand den Staub
Von edlen Gräbern für ihr Stundenglas!
Geht morgen früh' nicht aus!

Lioni. Weshalb denn nicht?
Was soll die Drohung heißen? Sprecht!

Bertram. Such' nicht
Sie zu verstehn, doch thu, wie ich dich bitte!
Verbleib daheim, was immer auch geschehe.
Wenn es Getümmel gibt, wenn Weiber kreischen,
Wenn Kinder schrein und Männer selber stöhnen,
Wenn Waffen klirren und die Trommeln rollen,
Wenn die Trompete gellt, die Glocke schallt
Und ringsum Alles scheint Allarm! Dann geh'
Nicht aus, bis erst die Glocke schweigt, und dann
Selbst nicht, bis ich zurückgekehrt.

Lioni. Nochmals,
Was soll das heißen, Mann?

Bertram. Nochmals sag' ich,
Frag' nicht! Jedoch bei Allem, was dir werth
Auf Erden und im Himmel, bei den Seelen
Der großen Ahnen all, bei deinem Hoffen
Es ihnen gleich zu thun, und Sprossen einst
Zu lassen, ihrer, deiner werth! Bei Allem,
Was Holdes dir Erinn'rung, Zukunft beut,
Was hier und dort du zu befürchten hast!
Bei jeder Wohlthat, die du mir gethan,
Und die ich gerne jetzt mit größrer dir
Vergält', bleib hier! Vertraue deinen Laren
Und meinem Wort, daß sicher du, wofern
Du thust, was ich dir rath'; wo nicht, bist du
Verloren, Herr!

Lioni. Ja, in Verwund'rung bin
Ich's schon! Du bist wahrhaftig toll! Was hab'
Zu fürchten ich? Wer sind denn meine Feinde?
Und wenn ich welche hab', wie kommst denn du
Dazu, mit ihnen eins zu sein? – Du? du?
Und wenn es so, warum kommst du mir jetzt?
Warum nicht früher schon?

Bertram. Nicht Antwort kann
Ich geben drauf. Willst aus du gehn, trotz dem
Ich dich gewarnt?

Lioni. Ich bin es nicht gewohnt,
Vor eitlem Drohen feig zurück zu schrecken,
Wenn ich die Gründe nicht erkennen kann.
Zur Stunde, wo der Rath zusammen tritt,
Sei früh' sie oder spät, werd' wahrlich ich
Bei denen nicht zu finden sein, die fehlen.

Bertram. O sprich nicht so! Noch einmal, bist du Willens
Doch auszugehn?

Lioni. Ich bin's. Und nichts, bei Gott!
Soll hindern mich daran.

Bertram. So lebe wohl!
Mög' deiner Seel' der Himmel gnädig sein! (Will fort.)

Lioni. Halt! – Es ist mehr als meine Sicherheit,
Was mich bestimmt, dich noch zurückzurufen.
Wir dürfen so nicht scheiden, Mann! Wir kennen
Uns ja so lange schon!

Bertram. Von Kindheit an
Wart immer Ihr mein Schutzherr, gnäd'ger Herr.
In unsrer Jugend sorgenlosen Tagen,
Wo man den Rang vergißt, vielmehr noch nicht
Der höhern Stände kaltes Vorrecht kennt,
Da spielten wir zusammen, haben oft
Die lust'gen Streiche und den Schmerz getheilt.
Mein Vater war der Schützling Eures Vaters,
Ich seines Sohnes Pflegebruder fast.
So waren wir zusammen Jahre lang.
O glückliche, gemüthlich schöne Stunden!
O welche Kluft liegt zwischen Einst und Jetzt!

Lioni. Du bist es, Bertram, der die Zeit vergaß.

Bertram. Nicht jetzt, noch jemals werd' ich das! Was immer
Geschehen mag, ich rette Euch. Als wir
Zum Mann herangereift und Ihr, wie sich's
Für Euren Stand gebührt, dem Staate Euch
Geweiht, indeß der niedre Bertram dem
Geschäft des Niedern überlassen blieb,
Habt Ihr mich nicht verlassen; und hat mir
Das Glück nicht wohl gewollt, war der nicht Schuld,
Der mehr als einmal mich gestützt, gerettet,
Wenn mit der Flut des Schicksals ich, die leicht
Den Schwächern mitreißt, schwer zu kämpfen hatte.
Nie wallte edler Blut in einem Herzen
Als in dem deinen; das hast du erprobt
Am armen Volksmann Bertram. Wollte Gott!
Die andern Senatoren glichen dir.

Lioni. Was hast du gegen den Senat zu sagen?

Bertram. Ich? nichts!

Lioni. Ich weiß, es gibt hier böse Geister,
Die dumpf von Aufruhr murren und Verrath,
In engen Gäßchen lauernd, und vermummt
Und leise fluchend Nachts herum sich treiben,
Entlassene Soldaten, unzufrieden
Verzweifelt Volk, das in den Schenken lärmt;
Du hast dich Solchen sonst nicht zugesellt.
Wahr ist's, daß in der letzten Zeit ich dich
Aus dem Gesicht verlor; doch warst du ja
Ein mäßig Leben immerdar gewohnt
Und brachst dein Brod mit wackeren Genossen.
Stets sahst du heiter aus. Was ist mit dir?
In deinem hohlen Aug', den bleichen Wangen,
Der Unruh' deines Wesens scheint der Gram
Mit Scham und des Gewissens Pein zu kämpfen
Und dich zu Grund zu richten.

Bertram. Eher trifft
Wol Scham und Kümmerniß die Tyrannei,
Die selbst die Luft hier in Venedig füllt
Und Menschen toll macht wie im letzten Krampf
Der Pest, wenn aus dem Leben sie die Seele
In Wahnsinn reißt.

Lioni. Bertram! du hast gewiß
Mit irgend einem Strolch dich eingelassen.
Das ist nicht deine früh're Sprache, sind
Die eigenen Gedanken nicht; ein Schuft
Hat dich mit Haß berauscht, doch darfst du nicht
Verloren gehn. Du warst stets gut und brav
Und taugest nicht zu all der bösen That,
Wozu dich Laster, Schurkerei will pressen.
Bekenn's! Vertraue mir! Du kennst mich ja.
Was ist's, das dich und Andre so verbindet,
Und was dein alter Freund verhindern muß,
Der einz'ge Sohn von deines Vaters Freund?
So daß die Freundschaft wie ein Erbstück ist,
Das unsern Kindern wir vermachen müssen,
Wie wir es selbst erhalten und vermehrt.
Ich sag: was bist zu thun du im Begriff,
Daß für gefährlich ich dich halten muß,
Und selbst das Haus soll hüten wie ein Kranker?

Bertram. Frag' mich nicht weiter! Ich muß fort.

Lioni. Und ich?
Ich muß gemordet werden? nicht? Sprachst du
Nicht so, mein lieber Bertram? Wie?

Bertram. Wer spricht
Von Mord? Sagt' ich etwas von Mord? Es ist
Nicht wahr! Ich sprach kein solches Wort.

Lioni. Du thatst
Es nicht, jedoch aus deinem wilden Blick,
Der so ganz anders ist als sonst, starrt mich
Der Mörder an. Wenn deiner Wünsche Ziel
Mein Leben ist, so nimm's. Bewaffnet bin
Ich nicht – doch dann hinweg! Ich möchte nicht.
Was mir vom Leben noch verbleibt, der Gnade
Und Laune danken solcher seinen Herrn,
Wie du und die sind, die dich angeworben.

Bertram. Eh' ich dein Blut vergieße, wag' ich meins,
Eh' ich ein Haar auf deinem Haupte krümm',
Bring' tausend Köpfe keck ich in Gefahr,
Von denen mancher ganz so edel ist
Wie deiner, ja noch edler selbst.

Lioni. Ei steht
Es so? Verzeih' mir, Bertram! ich bin wol
Nicht werth, daß von so hohen Hekatomben
Man weg mich läßt. Wer sind denn die, die in
Gefahr hier sind, und wer macht die Gefahr?

Bertram. Venedig und was in ihm lebt und webt,
Ist mit sich selbst entzweit wie manch Geschlecht
Und wird zu Grunde gehn vor Morgengraun!

Lioni. Noch weitre, dunkle, schreckensvolle Wunder!
Doch so viel seh' ich ein: du oder ich,
Vielleicht wir beide stehn an Abgrunds Rand.
Sag's nur heraus! Gerettet bist du dann
Und rühmlich deine That; denn rühmlicher
Ist retten selbst als morden, und gar
Im Dunkel morden – pfui! Das wäre ein
Geschäft für dich! Wie säh' es aus, wenn auf
Dem Speer vor dem entsetzten Volk das Haupt
Des Manns du trügst, deß Herz dir offen war?
Das kann mein Schicksal sein, Bertram! denn hier
Schwör' ich: wie groß auch immer die Gefahr,
Und Noth, die du mir kündest, sei, ich tret'
Entgegen ihr, wofern du mir nicht klar
Die Sache sagst, die dich hierher geführt.

Bertram. Gibt's denn kein Mittel dich zu retten mehr?
Die Stunden fliehn und bald bist du verloren,
Du, der mir immer wohlgethan, der mir
Allein bei jedem Schicksalswechsel treu
Verblieb! Doch zum Verräther mach' mich nicht!
Laß retten dich, doch schone meine Ehre!

Lioni. Wo ist denn Ehr' bei einem Mörderbund?
Und wer Verräther denn, als wer den Staat
Verräth?

Bertram. Ein Bund bleibt immer ein Vertrag
Und bindet brave Herzen um so mehr,
Wenn Worte müssen für Gesetze gelten.
Auch lebt nach meiner Meinung kein Verräther
So schnöd' wie der, der in dem eig'nen Haus
Dem Mann, der ihm vertraut hat, stößt den Dolch
Ins Herz.

Lioni. Wer aber stößt in meine Brust
Den Dolch?

Bertram. Ich nicht! Zu Allem hätt' ich wol
Mein Herz empor geschraubt, zu diesem nicht!
Du sollst nicht sterben! Nein! Daß so viel Leben,
Daß ich des Lebens Leben selbst, die Freiheit
Der künftigen Geschlechter wag', nur um
Der Mörder nicht zu sein, wie du mich schiltst,
Daran erkenne, wie du theuer mir.
Noch einmal, Herr, beschwör' ich dich! Geh' nicht
Aus deinem Haus!

Lioni. Umsonst! Jetzt gleich geh' ich.

Bertram. So geh' Venedig lieber als mein Freund
Zu Grund! Ich will enthüllen, will verwirren,
Verrathen und vernichten! – Welch' ein Schurke
Werd' ich um deinetwillen. – Ach!

Lioni. Sag lieber:
Du wirst des Freundes Retter und des Staats.
Sprich! Zög're nicht! Belohnung, jedes Pfand
Für deine Sicherheit wird dir, und Lohn,
Wie ihn der Staat den Besten nur gewährt,
Ja selbst des Adels Glanz verbürg' ich dir,
Wenn reuig du die volle Wahrheit sagst.

Bertram. Ich hab' es neu bedacht, es kann nicht sein.
Ich liebe dich, du weißt's! Daß hier ich steh',
Ist ein Beweis, der letzte, nicht der schwächste.
Doch da ich meine Pflicht für dich gethan,
Muß jetzt ich für mein Vaterland sie thun.
Leb' wohl – für dieses Leben – lebe wohl!

Lioni. He da! Antonio! Pedro! an die Thür!
Laßt Niemand durch! Verhaftet diesen Mann!

(Antonio und andere Diener treten ein und fassen Bertram.)

Lioni (fährt fort). Tragt Sorge, daß ihm nichts geschieht; bringt rasch
Mein Schwert und meinen Mantel mir, bemannt
Die Gondel mit vier Rud'rern – schnell! (Antonio ab.) Wir gehn
Zu Herrn Giovanni Gradenigo jetzt,
Und lassen Marc Cornaro zu ihm holen.
Doch fürchte nichts, der Haft bedarf es schon
Für deine Sicherheit, wie für das Wohl
Der Republik.

Bertram. Und wohin geht es dann?

Lioni. Zuerst zum Rath der Zehn, dann zu dem Dogen.

Bertram. Zum Dogen?

Lioni. Sicherlich! Ist er das Haupt
Des Staates nicht?

Bertram. Vielleicht, wenn graut der Tag.

Lioni. Wie meinst du? Doch wir werden's bald erfahren.

Bertram. Weißt du's gewiß?

Lioni. Gewiß, soweit es mit
Gelinden Mitteln geht; wo nicht, so kennt
Ihr das Gericht der Zehn und wißt, San Marco
Hat Kerker auch und in den Kerkern erst
Die Folterbank.

Bertram. Dann wendet sie nur an,
Eh' diese Dämmerung am Himmel wächst.
Nur noch Ein solches Wort und stückweis sollt
Zu Grund ihr gehn am gleichen Tod, den ihr
Mir zugedacht. (Antonio tritt wieder ein.)

Antonio. Die Barke ist bereit
Und Alles fertig, gnäd'ger Herr.

Lioni. Behalt'
Mir den Gefangenen im Aug'! – Bertram!
Ich will im Gehn zu Seiner Herrlichkeit,
Dem weisen Gradenigo, mit dir reden. (Alle ab.)

Zweiter Auftritt.

Dogenpalast. – Gemach des Dogen.

Der Doge und sein Neffe Bertuccio Faliero.

Doge. Sind unsres Hauses Mannen all versammelt?

Bertuccio Faliero. Sie stehen, harrend des Signals, bereit
In unserem Palasthof zu San Polo.Dem Familienpalast des Dogen.
Ich komm', die letzte Ordre zu empfangen.

Doge. Es wäre gut gewesen, wenn wir Zeit
Gehabt, aus meinem Lehen Val Marino
Noch mehr von unsern Leuten beizuziehn.
Jetzt ist's zu spät.

Bertuccio Faliero. Es ist wol besser, Ohm,
Wie's jetzo ist. Ein plötzlich starkes Wachsen
Der Leute unsres Hauses hätt' Verdacht
Erweckt; und so getreu und heldenkühn
Auch die Vasallen jener Gegend sind,
So sind sie doch zu roh und händelsüchtig,
Um jene stille Mannszucht lang' zu halten,
Die wir bedürfen für solch wicht'gen Dienst,
Bis fertig wir mit unsern Feinden sind.

Doge. Wol wahr! Doch wenn einmal gegeben das
Signal, sind dies die rechten Leute auch
Zur That. Die städt'schen Sklaven haben all
Ihr eig'nes Nebenziel, ihr Vorurtheil
Für oder gegen einen Nobile,
Das bald zum Uebergriff sie führt, bald auch
Zur Schonung da, wo Mitleid Wahnsinn wär'.
Die wilden Bauern, jene Hörigen
Aus meiner Grafschaft Val Marino aber,
Sie folgen dem Befehle ihres Herrn,
Ohn' seiner Feinde Lieb' und Haß zu wägen.
Für sie wär's gleich: Cornaro oder Memmo,
Gleich Gradenigo oder Foscari;
Sie machen sich aus solchen Namen nichts,
Sind nicht gewohnt, vor einem Rath zu knien.
Ein Mann im Harnisch ist ihr Oberherr,
Nicht einer im Talar.

Bertuccio Faliero. Wir sind genug!
Und dafür, daß die Unsern dem Senat
Nicht freundlich sind gesinnt, steh ich Euch ein.

Doge. Gut denn! Der Würfel ist ja schon gefallen.
Doch für ein krieg'risch Thun im Felde lob'
Ich meine Bauern mir. Sie waren's, die
Durch's Ungarheer des Glückes Sonne trugen,
Als die Herrn Bürger nach den Zelten flohn
Und zitterten, bis unsere Trompeten
Victoria geschmettert. Ja, so lang'
Der Widerstand gering, wirst diese Bürger
Du Löwen ähnlich sehn wie ihre Fahne,
Wenn's aber schwer zu thun gibt, wirst du wünschen,
Wie ich's jetzt wünsche, daß im Rückhalt wir
Von Eisenbauern einen Haufen hätten.

Bertuccio Faliero. Dann, Oheim, wund're ich mich nur, daß du
Entschlossen bist, so schnell den Schlag zu thun.

Doge. Schnell muß ein solcher Schlag stets oder nie
Geschehn! Als ich die Schwäche falscher Scheu,
Die allzu weich mich einen Augenblick
Mit den Empfindungen des Einst gequält,
Bemeistert hatte, wollt' ich gleich auch schlagen,
Theils um nicht mehr zurückzufallen in
Ein solch Gefühl, theils weil von jenen Allen –
Nur Israel und Calendaro nehm'
Ich aus – ich Keines Treue kenn' und Muth.
Heut' kann uns ein Verräther draus entstehn,
Wie gestern tausend den Senat verriethen.
Doch einmal drin, den Degen in der Hand,
So müssen weiter sie, sich selbst zu lieb.
Ist ein Streich nur gethan, so kommt gleich der
Instinkt des erstgebor'nen Cain, der in
Der Menschenbrust stets lauert irgendwo,
Wenn Zeit und Umstand ihn auch schlafend hält,
Und treibt den Rest wie Wölfe darauf los.
Sieht Blut das Volk, so schreit es bald nach mehr,
Wie's erste Weinglas oft zum Rausche führt,
Und schwerer ist es dann zu bändigen,
Wenn es im Gang, als wenn's zu treiben erst.
Doch bis es so weit ist, kann andern Sinns
Ein Strohhalm sie, ein Ton, ein Schatten machen. –
Wie spät ist es?

Bertuccio Faliero. Es graut beinah' der Tag.

Doge. Dann ist es Zeit, die Glocke anzuschlagen.
Sind schon die Leute dazu aufgestellt?

Bertuccio Faliero. Sie werden's sein; doch haben sie Befehl.
Erst wenn durch mich sie Eure Ordre hören,
Den ersten Schlag zu thun.

Doge. Gut so! Will denn
Der Morgen nie zur Ruh' die Sterne bringen,
Die überall am Himmel flimmern noch?
Ich bin beruhigt und gefaßt; es hat
Die Müh', die mich gekostet der Entschluß,
Mit Feuer diesen Staat zu reinigen,
Nur fester meinen Geist gemacht. Ich hab'
Geweint, gebebt, als ich der Pflicht gedacht,
Der schrecklichen; jetzt aber brachte ich
Zu strenger Ruh' die eitle Leidenschaft
Und schau' dem Sturm, der naht, in's Angesicht,
Wie der Pilot der Admiralsgaleere.
Doch wirst du's glauben, Vetter? Dieser Kampf
Hat mehr mich mitgenommen, als da Völker
Ihr Schicksal hängen sahen an der Schlacht
Und eine Phalanx ich geführt, wo Tausend
Den sichern Tod vor Augen sahn. Ja, das
Verdorbne Blut den Adern von ein Paar
Verworfenen Despoten abzuzapfen
Und für ein ähnlich hohes Ziel wie das,
Das einst Timoleon unsterblich machte,
Hat mehr gekostet mich als all die Müh'
Und Noth von einem Leben voller Krieg.

Bertuccio Faliero. Mich freut's, zu sehn, daß Eure früh're Weisheit
Die Furien niederrang, die Euch so hart
Zerzaust, eh' Ihr entschlossen wart.

Doge. So war
Es stets mit mir: beim ersten Dämmerschein
Des Ziels war stets ich aufgeregt. Dann hatte
Die Leidenschaft noch allzu großen Raum.
Doch in des Handelns Stund' war ich so ruhig,
Wie nur die Todten, die dann um mich lagen.
Das wußten die, die mich zu dem gemacht,
Was ich jetzt bin, und die auf jene Macht
Vertraut, die über meine Stimmung ich
Behielt, war nur der erste Sturm vorbei.
Doch sie bedachten nicht, daß manchmal auch
Der Ueberlegung Rache Tugend dünkt
Und nicht als Antrieb nur der Wuth erscheint.
Schläft das Gesetz auch, wacht das Rechtsgefühl,
Und Schwerverletzte thun dem Ganzen oft,
Indem dem Einzelnen sie Unrecht thun,
Ein Recht und rein'gen damit ihre That
Vor sich. – – Mich dünkt, der Tag bricht an. Nicht so?
Sieh nach, dein junges Aug' sieht deutlicher.
Die Luft nimmt schon des Morgens Frische an;
Mir wenigstens erscheint es so, die See
Blinkt heller durch die Fenster.

Bertuccio Faliero. Ja. Der Himmel
Fleckt sich im Osten schon.

Doge. Nun fort! Sieh' zu,
Daß sie sofort die Glocke ziehn, und mit
Dem ersten Schlage von San Marco rück'
Mit unsres Hauses ganzer Macht nach dem
Palast. Hier harr' ich dein. Die sechzehn Führer
Und ihre Fähnlein rücken dann zugleich
In abgesonderten Colonnen an.
Ihr selber, merkt's! besetzt das große Thor,
Die Zehn vertrau' ich Niemand an als uns.
Das übrige Patriziergeschmeiß
Mag dann das wen'ger sichre Schwert der uns
Verbündeten vernichten. Und vergeßt
Nicht, daß dann Alles rufen soll: »San Marco!
Die Genuesen kommen! Auf! Zu Hilfe!
San Marco und die Freiheit!« – Jetzt an's Werk!

Bertuccio Faliero. Lebt wohl denn, edler Ohm! Wir sehn in Freiheit
Uns wieder, und als Herrscher oder nie!

Doge. Komm, mein Bertuccio, laß dich noch umarmen,
– Jetzt rasch! Schon wird es heller. Sende mir
Gleich einen Boten, der mir melde, wie
Es geht, wenn bei den Truppen du erscheinst;
Dann läute – läut' die Glocke von San Marco!

(Bertuccio Faliero ab.)

Doge (allein). Fort ist er, und an jedem Fußtritt hängt
Ein Leben. – 'S ist geschehn! Jetzt flattert ob
Venedig schon der Rache düstrer Engel
Und zögert noch, eh' er die Schale gießt,
So wie die Beute erst der Aar beschaut
Und einen Augenblick sich wiegt im Aether
Und die Bewegung seiner Schwingen hemmt,
Eh' sicher treffend niederfährt sein Schnabel.
O Tag, der du so lahm im Wasser schleichst,
Schreit' zu, schreit' zu! Ich schlug' nicht gern im Dunkel,
Ich möchte sehn, daß fehl kein Streich mir ging.
Ihr aber blaue Wellen, ehedem
Sah ich euch schon gefärbt und tief gefärbt
Von Ungarn-, Mauren-, Genuesen-Blut,
Und auch Venedigs Blut floß mit, jedoch
Als Sieger nur. Jetzt sollt ihr ungemischt
Den Scharlach tragen, kein Barbarenblut
Wird uns versöhnen mit dem bösen Roth,
Freund wird und Feind in dem Gemetzel fallen.
Und hab' ich darum achtzig Jahr gelebt,
Ich, den sie den Erhalter einst der Stadt
Genannt? Bei dessen Namen die Million
Die Mützen in die Lüfte warf, und Rufe
Von Zehentausenden erschollen, die
Vom Himmel Segen flehten über mich
Und Ruhm und lange Jahr' – und solch ein Tag!
Doch wie der Tag auch schwarz steh' im Kalender,
Ihm sollen helle tausend Jahre folgen!
Der Doge Dandolo erlebte neunzig Sommer,
Nahm Reiche weg und schlug die Krone aus.
Ich will verzichten auf die Kron', dem Staat
Die Freiheit schenken – doch durch welche Mittel?
Der edle Endzweck wird sie heil'gen müssen.
Was sind auch ein paar Tropfen Menschenbluts?
Nein! das Tyrannenblut ist menschlich nicht.
Wie eingefleischte Molochs haben sie
Von unsrem sich genährt, bis dieser Tag
Sie in die Gräber stürzt, die sie so voll
Gemacht. – O Welt! O Menschen! was seid ihr?
Was ist das beste Wollen doch, daß wir,
Verbrechen zu bestrafen, thun sie müssen!
Und morden, als ob nur dies Eine Thor
Zum Tode führte, da doch wen'ge Jahre
Schon überflüssig machten Schwert und Speer!
Und ich am Rand des unbekannten Reichs
Schick' noch so viele Herolde voraus?
Nicht denken darf ich dran! (Pause.) Horch! War das nicht
Wie ein Gesumm' von fernen Stimmen, wie
Das Echo kriegerisch vereinter Tritte? –
Wie unser Wunsch doch Schattentöne selbst
Erzeugt! Es kann nicht sein! – – Noch nicht scholl das
Signal. – Warum noch nicht? – Bertuccio's Bote
Sollt' auf dem Wege doch schon sein zu mir,
Er selbst vielleicht zieht stöhnend eben jetzt
Auf seinen Angeln jenes Thor zurück
Zum hohen Thurm, wo die gewalt'ge Glocke
Orakelhaft sich schwingt, die nie ertönt,
Wenn nicht des Fürsten Tod, des Staats Gefahr
Ihr Warnungsrufe schreckensvoll entreißt.
Sie möge thun, was ihre Schuldigkeit,
Und mög' der Schreckenston, der letzte, sein,
Bis dieser starke Thurm einst schwankt. – Wie kommt's?
Noch immer still? – Gern ging ich selber hin,
Doch ist mein Posten hier als Mittelpunkt
Der oft unein'gen Elemente, die
Bündnissen dieser Art gemein, damit
Im Falle des Conflicts des Schwachen Schwanken
Ich kräft'gen kann; denn wenn's zum Kampfe kommt,
Wird er am heftigsten entbrennen im
Palast. Hier muß deshalb mein Posten sein,
Wie es dem Meister der Bewegung ziemt.
Jetzt horch! – Er kommt! – er kommt! Das ist er ja!
Bertuccio's, meines braven Neffen, Bote!
Was bringt er wol? Ob er heranrückt? ob's
Gelang? – – Ha! diese, hier!! – Dann ist's vorbei.
Doch wage ich ein letztes Mittel noch.

(Ein Officier vom Nachtdienst tritt, mit Wachen ein.)

Officier. Um Hochverrath verhaft' ich, Doge, dich!

Doge. Mich, deinen Fürsten um Verrath? Wer sind
Denn die, die ihren eigenen Verrath
In solche Ordre einzuhüllen wagen?

Officier (zeigt den Befehl vor). Hier mein Befehl von den vereinten Zehn.

Doge. Und wo sind sie versammelt, und warum?
Der Rath hat nicht Gesetzesmacht, wenn nicht.
Der Fürst den Vorsitz führt; mein Amt ist dies.
Bei deiner Pflicht befehl' ich dir, laß mich
Hinunter, oder führe mich nach dem
Gemach des Raths.

Officier. Es kann nicht sein, Herr Doge.
Der Rath ist nicht in dem gewohnten Saal,
Er sitzt im Kloster von San Salvatore.

Doge. Ihr wagt es, den Gehorsam mir zu weigern?

Officier. Ich dien' dem Staat und muß getreu ihm dienen.
Der Wille derer, die den Staat regieren,
Ist Vollmacht mir.

Doge. So lang' die Vollmacht aber
Nicht meine Unterschrift besitzt, ist sie
Gesetzlich nicht, und so mißbraucht, rebellisch.
Hast deines Lebens Werth du wohl erwogen,
Als einen Dienst, der so gesetzeswidrig,
Du übernahmst?

Officier. Mit Worten hier zu streiten,
Ist meines Amtes nicht, vielmehr zu handeln.
Ich bin bestellt nur, deinen Kopf zu hüten,
Nicht über dich als Richter zu entscheiden.

Doge (bei Seite). Wir müssen Zeit gewinnen – wenn nur bald
Die Glocke schallt, kann Alles gut noch enden.
Beeil' dich, Neffe! eile, eile, eil'!
Noch schwanket unser Schicksal in der Wage.
Weh' dem Besiegten! Sei's der Fürst, das Volk!
Patrizier oder Sklav'!
    (Die große Glocke von San Marco schlägt an.)
                                  Sie schallt – sie stürmt!
(Laut). Hört's, Officier der Nacht, und ihr Trabanten,
Die ihr die Schergenspieße ängstlich faßt,
'S ist eure Todtenglocke – läute fort,
Du lust'ger Ton! – Wie nun, ihr armen Schelme,
Was zahlt für euer Leben ihr?

Officier. O Himmel!
Die Schwerter los! Bewacht die Thür' – wenn nicht
Der Schreckenston bald schweigt, ist Alles hin!
Der Officier hat seinen Weg verfehlt,
Ein unvorhergeseh'nes Hinderniß,
Ein furchtbares, hat ihn gehemmt. – Anselmo!
Geh' schnell mit deiner Mannschaft nach dem Thurm!
Der Rest verbleibt bei Mir! (Ein Theil der Wache rückt ab.)

Doge. Wenn dir an deinem
Geringen Leben liegt, so bitte drum!
Nur nach Secunden zählt sich seine Frist.
Entsende deine Schergen nur, sie werden
Nicht wiederkehren mehr.

Officier. In Gottes Namen!
So sterben sie in ihrer Pflicht; das will
Auch ich.

Doge. Der Aar fliegt edlerm Wilde nach
Als dir, du Thor, und deinen Myrmidonen.
Leb' nur, wenn du durch Widerstand nicht bringst
Gefahr; und wenn so lang Umnachtete
Noch schauen können in der Sonne Strahl,
So lerne frei zu sein.

Officier. Und lerne du,
Gefang'ner sein. (Das Glockengeläute hört auf.)
                            Schon hat es aufgehört,
Das Hochverrathssignal, das diesen Bluthund
Von Pöbel hetzen sollte gegen edel
Patrizisch Wild. Die Todesglocke hat
Ertönt, doch nicht für den Senat.

Doge (nach einer Pause). Es schweigt.
Ja, jetzt ist Alles aus.

Officier. Nun, Doge, heiß'
Mich noch den Sklaven des empörten Raths!
Hab' meine Pflicht ich nicht gethan?

Doge. Gib Frieden,
Du Ding! Ein würdig Werk hast du vollbracht,
Den Blutpreis dir verdient, und wirst den Lohn
Von denen auch, die deiner sich bedient,
Empfahn. Doch wardst, mich zu bewachen, du
Hierher gesandt, und nicht zu schwatzen, wie
Du selbst gesagt. So thu' denn deine Pflicht,
Doch thue schweigend sie wie dir geziemt.
Denn bin ich dein Gefang'ner, bin ich doch
Dein Fürst.

Officier. Ich wollt' die Achtung nicht verletzen,
Die Eurem Rang gebührt. Hierin gehorch'
Ich Euch.

Doge (bei Seite). Jetzt bleibt mir nichts mehr als zu sterben,
Und ach! wie nahe dem Erfolg! Gern wär'
Ich in der Stunde des Triumphs gefallen,
Doch so zu kommen drum!

(Ein zweiter Officier vom Nachtdienst mit dem gefangenen Bertuccio Faliero.)

Zweiter Officier. Wir faßten ihn,
Als er den Thurm verließ, wohin er als
Des Dogen Abgesandter den Befehl
Zum Läuten hatt' gebracht, das schon begann.

Erster Officier. Sind alle Straßenpässe wohl besetzt,
Die zum Palaste führen?

Zweiter Officier. Ja. Indeß
Das ist jetzt ohne Werth. In Ketten liegen
Die Häupter all, und ein'ge werden schon
Verhört. Zerstreut ist ihre Mannschaft, viel'
Sind eingesteckt.

Bertuccio Faliero. Mein Ohm!

Doge. Mit dem Geschick
Zu streiten ist umsonst. Der Ruhm entwich
Aus unsrem Haus.

Bertuccio Faliero. Wer hätte das gedacht!
Ach! einen Augenblick nur früher –

Doge. Ja!
Der Augenblick hätt' von Jahrhunderten
Geändert das Gesicht! – Doch dieser gibt
Der Ewigkeit uns hin. Wir werden ihm
Wie Männer in das Antlitz schaun, die den
Triumph nicht suchen im Erfolg, und die
Mit ihrem Geiste jedem Schicksal trotzen.
Verlier' den Muth nicht! nur ein Uebergang,
Ein kurzer, ist's. Ich ginge gern allein;
Doch schicken sie, wie es den Anschein hat,
Zusammen uns, so laß uns gehn, wie's unsrer
Und unsrer Väter würdig ist.

Bertuccio Faliero. Ich werde
Dir keine Schande machen, Ohm.

Erster Officier. Ihr Herrn!
Wir haben den Befehl, euch beide in
Getrennten Räumen zu bewachen, bis
Der Rath euch zum Verhör beruft.

Doge. Verhör?
So wollen bis zuletzt fortführen sie
Ihr Possenspiel? – Nun denn! sie mögen thun
Mit uns, wie wir's mit ihnen hätten, nur
Mit etwas wen'ger Prunk. Das Ganze war
Ein Glücksspiel nur von zweien Mordgesellen,
Die's Loos geworfen, wer zuerst soll sterben,
Wo sie gesiegt durch falscher Würfel Brauch! –
Wer war denn unser Judas? he?

Erster Officier. Hierauf
Euch Antwort zu ertheilen bin ich nicht
Befugt.

Bertuccio Faliero. Ich will für ihn die Antwort geben:
Ein sich'rer Bertram war's, er beichtet
Jetzt eben der geheimen Commission.

Doge. Bertram, der Bergamask! Wie schlecht ist oft
Das Werkzeug, das uns dient zu Rettungsthaten!
Der Mensch, den doppelter Verrath jetzt schwärzt,
Wird ernten Lohn und Ehren! Die Geschichte
Gesellt ihn zu des Capitoles Gänsen,
Die einst geschnattert, bis daß Rom erwacht',
Und die nun feiern jährlichen Triumph,
Indessen Manlius, der dann die Feinde
Zurückwarf, von Tarpeja's Felsen ward
Gestürzt.

Erster Officier. Er brütete Verrath und wollt'
Den Staat beherrschen.

Doge. Nein! Er rettete
Den Staat und wollte, was er hergestellt,
In neue Formen gießen. Doch das ist
Jetzt eitler Wortkram nur. – An euer Werk!

Erster Officier. Wir müssen, edler Herr Bertuccio, Euch
Verbringen in ein inneres Gemach.

Bertuccio Faliero. Oheim, lebt wohl! Ich weiß nicht, ob wir lebend
Uns wiedersehn, doch unsre Asche darf
Vielleicht sich mischen.

Doge. Und die Seelen auch,
Die aufwärts schwebend dann vollbringen werden.
Was unsrem schwachen, vielbeschwerten Staub
Mißlang. Die Herrn sind doch nicht stark genug,
Um das Gedächtniß Derer auszulöschen,
Die gern von ihren schuld'gen Thronen sie
Herabgestürzt, und solch ein Beispiel zeugt
Nachfolger stets, wenn auch in weiter Fern'.

 


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