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Barbara Bryk hatte am rechten Fuß furchtbare Brandwunden erlitten. Der von Roman Czarnecki herbeigeholte Arzt stutzte. Aber die Brandwunden waren nicht das Schlimmste. Ein schweres Nervenfieber, dem die Erregungen der letzten Monate vorgearbeitet hatten, stellte sich ein. Der erschöpfte Körper schien es nicht überstehen zu können.

Bild: Ludwig Berwald

»Pan, Pan, wenn Ihr nicht wäret!« schluchzte die Alte manchmal.

Aber der Waldhüter knurrte. »Was mir Spaß macht, macht mir Spaß!«

Er besorgte fast alles. Er drohte den Dörflern mit Anzeige und setzte es durch, daß sie der Pani Eusebia wieder dies und das verkauften. Wenn auch die Pani nur widerwillige Gesichter sah, sie bekam doch Ware.

Barbara Bryk lag teilnahmlos da, meist schlief sie. Sie delirierte vor sich hin, nur manchmal kam eine furchtbare Aufregung über sie, daß man sie kaum halten konnte. Es schien, als hätte sie Furcht vor sich selbst und wolle sich selbst entfliehen. Oder sie kämpfte bis zur Erschöpfung mit dem Satan und schrie, daß sie zu schwach sei.

Doch sie wurde sofort ruhiger, wenn Roman Czarnecki sich an ihr Bett setzte. So oft er konnte, geschah es auch.

So verging eine Woche nach der anderen. Der Dezember kam. Seit dem Sonntag der Hexenprobe war fast ein Monat vergangen. Der Arzt war zufrieden, das Fieber nahm ab, der Puls wurde regelmäßiger. Eines Tages fühlte sich Barbara Bryk besser. Sie lag bleich, abgemagert in den Kissen. Das Haar war ihr während der Krankheit ausgegangen. Sie war nicht mehr schön. Nur ihre Hände waren feiner geworden.

Sie lag und starrte auf diese Hände. Die Vergangenheit schien verwischt zu sein, kein Gedanke daran kam ihr.

Da sah sie unweit ihres Lagers ihre Schuhe stehen. Sie atmete rascher und blickte sie groß an, als sehe sie daran etwas Absonderliches. Und plötzlich kam es wie ein Blitz: wie sie die Schnüre daran aufgeknüpft in der furchtbaren Stunde. Die Stunde selbst, alles, alles rang sich empor. Die Gedanken ordneten sich. Sie schrie, wollte sich aufrichten und war zu schwach dazu. Mit weit offenen, entsetzten Augen erlebte sie das Ganze noch einmal. Wie sie zur heiligen Jungfrau gefleht, wie man sie mißhandelt hatte, wie sie den Fuß auf das glühende Eisen gesetzt. An alles dachte sie, nur an Seweryn Kalinka nicht.

Wieder ergriff sie die Aufregung. Die heilige Jungfrau hatte sie nicht erhört. Also war sie eine Hexe? Ihr Kopf verwirrte sich. Sie wimmerte vor sich hin. Also war sie eine Hexe, war sie dem Satan ausgeliefert?

»Hilfe! Hilfe!« schrie sie plötzlich verzweifelt. Gell klang es durchs ganze Haus.

Die Pani Eusebia stürzte herein.

»Er wird mich holen,« schrie Barbara Bryk angstvoll, mit großen, irren Augen – »er holt mich! Heilige Mutter Gottes, erbarm' dich! Warum hilfst du nicht? Keiner hilft, keiner ist stärker!« Und raunend: »Einer doch … er hat's mir selber gesagt … wo ist er, Mutter?«

Sie phantasierte fort, bis es klopfte. Die Tür ging auf – der Waldhüter stand auf der Schwelle.

»Da – da!« Ein jubelnder Schrei: »Rette mich … rette mich! Du bist stärker … der Stärkste von allen … stärker als der Feurige!«

Sie streckte beide Arme aus. Er zögerte.

»Warum kommst du nicht? Schütze mich doch … dann tut er mir nichts!«

Immer weiter bog sie sich vor. Um sie zu beruhigen, trat er an ihr Bett. Da umklammerte sie ihn und ließ ihn nicht los. Dabei lachte sie leise vor sich hin: »Nun bin ich sicher.«

Er stützte ihren Kopf. Ganz ruhig wurde sie. Sie lächelte, hob ein paarmal die Augen zu ihm, dann schlief sie ein.

Die Pani Eusebia war ächzend aus dem Zimmer gelaufen. Reglos hielt Roman Czarnecki den blassen Kopf. Dann ließ er ihn vorsichtig nieder aufs Kissen. Und scheu wie ein Dieb küßte er die blutleeren Lippen.

Sie regte sich. Im Schlaf öffnete sie die Lippen ein klein wenig. Und als er sich noch einmal darauf niederbog, schlang sie die mageren Arme um seinen Hals. Wie eine Kette umfingen sie ihn. Er mußte so gebückt bleiben.

Vorsichtig wollte er sich freimachen. Da schlug sie die Augen halb auf.

»Ich liebe dich!« murmelte sie. »Bleib bei mir!«

Ein Zucken lief über sein Gesicht. »Ich bin's ja nur,« sagte er hart, um seine Traurigkeit zu verbergen. »Ich … nur der Waldhüter!«

»Wer sonst?« murmelte sie … »Du bist … der Stärkste … stärker als alle … ich … lieb' dich!«

Sprach sie im Fieber?

»Barbara! Pani!« rief er und schüttelte sie. »Kommt zu Euch!«

Sie öffnete die Augen ganz weit. Lange sah sie ihn an. Ein blasses Rot flog über ihr Gesicht. Die Arme, die so lange seinen Hals umschlungen, sanken.

»Jetzt erkennt Ihr mich!« sagte er rauh. »Ihr habt so lange gedacht, ich sei der Seweryn Kalinka!«

Ein jäher Schreck befiel sie bei dem Namen. »Laß ihn nicht herein!« schrie sie … »Er will mich morden … schütz mich!« Wieder drängte sie sich an ihn.

»Barbara!« rief er. Die Kehle war ihm zugepreßt. »Ist das wahr, Barbara Bryk?«

Sie preßte sich nur fester an ihn und zitterte noch vor Schreck.

»Wie heiß' ich … sag es mir!«

»Roman Czarnecki!«

Er sprang auf, daß sie zurücksank, durchmaß die Stube. »Ich … ich!« sagte er. Und plötzlich blieb er vor ihr stehen.

Sie hatte die Augen geschlossen; sie wollte sie aufschlagen.

»Sieh mich nicht an,« sprach er. Es arbeitete in ihm.

Da sanken ihre Lider von neuem.

»Kannst mich … denn gern haben? Mich, den Waldhüter?«

Wieder die blasse Röte. Und noch einmal hoben sich ihre Arme und umfingen ihn. Wild jauchzte er auf.

»Seit wann?«

»Immer.«

»Barbara!«

Sein Mund suchte ihre Lippen. Wie ein Rausch ergriff es ihn. Vor den Wölfen, vor der Hölle, vor Seweryn Kalinka hatte er sie sich gerettet.

Sie war müde. In seinem Arm schlief sie ein.

»Auf morgen, Pani!« sagte Roman Czarnecki zu der Alten, als er das Häuschen verließ. Er mußte sich matt laufen, um mit allem Neuen fertig zu werden. Durchs Dorf schritt er in weitem Bogen über die Felder weg. Die Dörfler haßten ihn. Er lachte darüber. Sie wußten jetzt, daß er seinen Hütejungen noch in der Nacht zum Gendarm geschickt. Aber ob sie wollten oder nicht – sie mußten sich gut mit ihm stellen, schon wegen des Holzes und Reisigs, das sie jetzt im Winter aus dem Walde brauchten.

Barbara Bryk schlief zehn Stunden ohne Unterbrechung. Als sie aufwachte, konnte sie sich aufrecht setzen. Die Milch schmeckte ihr. Neues Leben durchströmte sie, eine wohlige Wärme der Genesung. Dann dachte sie an Roman Czarnecki. Seit sie sich ihm gleichsam ganz ausgeliefert hatte, war sie ruhig und fürchtete nichts mehr.

Es war noch früh. In einer Stunde konnte er dasein. Sie lächelte. Schmücken wollte sie sich für ihn, schön sein. Sie ließ sich den Spiegel geben, sie sah hinein …

Plötzlich fiel ihr das Glas aus der Hand, glitt von der Decke und zerklirrte am Boden in Scherben. Und in schluchzendem Weinen barg sie das Gesicht in den Händen.

Das war sie! Dieses blasse, eingefallene Krankengesicht gehörte ihr. Und ihr reiches Haar – wo war's? O, sie war ja häßlich – häßlich!

Sie weinte trostlos. Und so hatte Roman Czarnecki sie gesehen, so hatte sie sich ihm aufgedrängt! In Scham und Schmerz riß sie mit den kraftlosen Fingern an der Decke. Dann lag sie lange, ohne sich zu rühren.

Als die Pani Eusebia die Stube betrat, sagte ihr Barbara ruhig: wenn sie nicht wolle, daß sie sterbe, solle sie den Waldhüter nicht mehr einlassen.

Dann lauschte sie auf jeden Tritt. Er kam. Er klopfte, bat, flehte, drohte – ihr Herz hämmerte zum Zerspringen, aber sie schwieg. Jeden Tag ging es nun so, bis sie ihm sagen ließ, man würde ihn benachrichtigen, wenn er wieder kommen solle.

So ward es Weihnachten, Neujahr. Die Heiligen Drei Könige zogen auch durch Radolice. Der Januar wich dem Februar.

Längst hatte Barbara Bryk schon das Bett verlassen. Aber sie durfte noch nicht aus dem Zimmer. Ihr Gesicht ward voller, gesünder; ihr Haar wuchs wieder. Endlich erlaubte ein windstiller Tag einen kurzen Weg. Sie übte sich wieder im Gehen.

Eines Morgens dehnte sich ihre Brust, als sie in den Spiegel sah. Sie war so schön wie früher. Und mit den alten, festen Schritten ging sie nach dem Walde. Sie fand ihren Weg. Weiße Schneelast lag auf den Bäumen. Der Schritt klang nicht. Hungriges Wild zog vorüber. Noch eine kurze Strecke, dann war ihr Ziel erreicht. Ihr Ziel war die Behausung Roman Czarneckis.

Sie war doch müde. Der erste weitere Weg war es, den sie nach ihrer Krankheit machte. Tiefatmend lehnte sie sich einen Augenblick an einen Baum.

Da kam ihr jemand entgegen. Beide Hände preßte sie aufs Herz.

Er ging mit gesenktem Haupt. Mit erhobenem schritt sie auf ihn zu. Er hörte sie und hob gleichgültig den Kopf.

Doch als sähe er eine Erscheinung, taumelte er zurück. Da trieb das rote Blut in ihre Wangen.

»Gelobt sei Jesus Christus, Roman Czarnecki,« sagte sie laut. »Die Barbara Bryk läßt dir sagen, daß du wieder kommen kannst!«

Ein wilder Jubelruf. Mit drei Sätzen war er bei ihr, mit Riesenkräften hob er sie empor und trug sie zitternd durch Wald und Schnee – Barbara Bryk, die Hexe.

Bild: Ludwig Berwald

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