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Barbara Bryk hatte wirklich eine große graue Katze mitgebracht. Damals, als sie so weit über Land ging. Es war ein schönes Tier, das bald an ihr hing. Oft hatte sie es im Schoß und kraute ihm den Kopf. »Die Wölfe fürchten sich vor dir,« raunte sie ihm zu. »Bleib bei mir, bis Seweryn Kalinka wiederkommt.« Sie lachte fast lautlos vor sich hin. »Nun, Mutter,« fragte sie manchmal, »wer hat recht gehabt? Die Wölfe haben sich andere Liebchen genommen, und mich frißt keiner!«

Aber die Alte hatte böse Ahnungen. »Bitt' die Heiligen, daß sie es dir nicht anrechnen! Ach, ich wollt', der November käm' und mit ihm die Sachsengänger. Was leicht hängt, fällt oft schwer ab!«

»Keine Sorge. Seweryn Kalinka wird vor Lachen Schmerzen haben. Niemand läßt sich blicken – selbst der Waldhüter nicht.«

Es war ungewohnt still um das Haus. Der Forst rauschte von drüben. Der Taubenstößer schrie, die Spechte klopften. Aber Menschen sah man fast gar nicht mehr. Lieber machten die Dörfler Umwege über Umwege, ehe sie hier vorübergingen.

Die acht Tage waren vorbei – aber kein Bursch' zeigte sich. Ihnen allen war der Appetit vergangen. Die große Mehrzahl hatte sich der gewaltigen Erregung, die durchs Dorf ging, nicht entziehen können. Unter den so lange vernachlässigten Schönen suchte sich jeder ein neues Liebchen. Die Beglückten, die stets noch eine geheime Furcht hatten, daß Barbara Bryk eines schönen Tages ihre Galans von neuem an sich ziehen könnte, strengten ihre Phantasie bis aufs äußerste an und erfanden immer neue Geschichten, um sie abzuschrecken. Es gelang ihnen leicht. Und glaubte hin und wieder dieser und jener doch nicht ganz, so hütete er sich wohl, bei der Stimmung des Dorfes seine Zweifel laut werden zu lassen. Noch weniger aber traute er sich an Barbara Bryk heran. Man konnte ja erstens doch nicht wissen, ob nicht wirklich der Gottseibeiuns dahinter steckte, und zweitens lehrte die Erfahrung, daß es gefährlich war, mit dem Mädchen anzubinden, auch wenn der Satan ihr nicht half.

So hatte sich Barbara Bryk mit einem Schlage gerettet. Eine übermütige Fröhlichkeit war die ersten Tage über sie gekommen. Mit lachenden Augen, ohne etwas fürchten zu müssen, schritt sie hin. Das Bewußtsein der Sicherheit, das sie lange nicht gehabt, machte ihren Gang so fest wie je.

»Heilige Mutter Gottes, ich dank' dir,« sagte sie oft für sich. »Es ist ja nicht nur meinetwegen – es ist wegen Seweryn Kalinka!« Und wenn sie an ihn dachte, glühte ihr Gesicht, und der Kittel ward ihr zu eng.

Allmählich ward sie es gewohnt, daß niemand sie mehr belästigte, und empfand es nicht mehr als so großes Glück. Betrat sie die Dorfstraße, schlossen sich die Türen, die Kinder liefen vom Spiel fort, die alten Weiber bekreuzten sich. Keiner sprach mit ihr. Es war langweilig.

Eines Tages streichelte sie am Zaun die graue Katze, als Roman Czarnecki, der Waldhüter, gemächlich den Weg entlang geschlendert kam.

Eine jähe Freude zuckte in ihr auf. Sie wußt' selbst nicht, weshalb. Dann nickte sie. Jetzt wird er abbiegen – es geht keiner hier vorüber!

Aber Roman Czarnecki bog nicht ab. Als wäre nichts geschehen, verfolgte er den alten Weg.

Und wieder die plötzliche Freude. Vielleicht weil ein Mensch endlich wieder in ihre Nähe kam. Ob er sie grüßen, ob er mit ihr sprechen würde? Sie streichelte die Katze nicht mehr, aber sie sah auch nicht auf.

»Lebt Ihr noch, Pani?« grüßte er. »Ich hatt' mehr drüben zu tun, im anderen Revier. Da kam ich wenig hier in die Nähe.«

»Warum sollt' ich nicht leben, Pan Czarnecki? Stirbt es sich so leicht?«

»Kann schon sein – was geht's mich an! Nun, schießt Ihr noch tüchtig?«

Sie schüttelte den Kopf. Die Katze fauchte.

»Still,« murmelte sie und, mit einem halben Blick auf den Waldhüter, mit einem schielenden Blick, wie ihre Mutter ihn hatte: »Bald kochen wir Bilsenkraut und Nieswurz, wenn Herrchen kommt … wart, mein Liebling … hui, wie er durch die Nacht fährt!« Und laut: »Ich brauch' den Revolver nicht. Sucht ihn nur! In einer Ecke wird er wohl liegen!«

Prüfend sah er sie an. »Erinnert Euch meiner Worte: Ihr braucht einen stärkeren Freund gegen die Wölfe. He, was meint Ihr, Pani?«

Seine Augen bekamen einen Moment einen seltsamen Ausdruck. Barbara Bryk beugte sich über die graue Katze. Sie war leicht rot, aber vor Freude. Solchen Blick, der ihr sagte, wie sehr sie gefiel, hatte sie lange nicht mehr aufgefangen. Und fast kokett strich sie sich über das Haar und sprach, während ihre Augen sich halb verschleierten: »Ihr meint einen Bräutigam, Pan! Sagt es nur deutlich!«

Er lachte. »Wenn Ihr so wollt –!«

Sie wiegte sich leicht, sah ihn an, sah zur Seite, sah ihn wieder an. »Dank' für den Rat. Ich hab' einen … einen starken. Wißt Ihr das nicht?«

Jäh schüttelte es ihn, eh' er sich bezwingen konnte. » Psia krew,« stieß er zwischen den Zähnen hervor, »was redet Ihr da?« Seine Finger krampften sich um den Gewehrriemen. Und ruhiger: »Ist es der Lukas oder der Mieczyslaw oder der Sigmund, Pani? Man will seine Freunde doch kennen!«

»Stärker, Pan Czarnecki, stärker!«

Er schüttelte den Kopf. »Stärker ist allenfalls der Seweryn. Aber sein Arm langt nicht hierher.«

Sie bog das Haupt etwas zurück. »Ihr müßt weit fort gewesen sein, daß Ihr mit mir redet, und daß Ihr nicht wißt, mit wem ich's halte. Das ganze Dorf spricht nichts anderes. Stärker wie alle Menschen, Pan … hütet Euch!« Sie blickte ihn groß an. »Versteht Ihr nicht?«

Wie befreit atmete er auf. »So, so … Der, dessen Namen man nicht nennt … Ihr habt recht: das ganze Dorf erzählt es!«

Mit einer ungestümen Bewegung ließ sie die graue Katze vom Arm. »Ihr wart im Dorf, Ihr wißt es, und Ihr sprecht doch mit mir? Was fällt Euch ein?«

»Hui, böse Augen, böse Augen! Was geht's mich an? Aber, wie gesagt, Pani – Ihr braucht einen Freund, der stärker ist!«

»Noch stärker? Ihr seid von Sinnen!« Sie lachte wild, gezwungen. »Es gibt keinen stärkeren in der Welt.«

»Doch!« erwiderte er gemächlich. »Paßt nur auf! Der Stärkere kommt noch! Lebt wohl – viel zu tun!«

Er ging. So ruhig ging er wie immer.

Barbara Bryk drückte die Hände auf das Flechtwerk des Zaunes. Heftig atmete ihre Brust. »Heda, Pan!« schrie sie. »Wenn Ihr so viel wißt, so sagt mir noch eins! Wer ist stärker als mein feuriger Liebster?«

»Mit Eurer Erlaubnis: Roman Czarnecki, der Waldhüter!«

* * *

 


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