Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heimfahrt.

Die Städte, die wir auf dem Wege von Konja nach Smyrna sahen, waren alle zerstört. In Magnesia lagen die Trümmer der Ansiedelung wie sonnengebleichte von Geiern zerfressene Kadaver; Obdachlose schlichen in den Ruinen und suchten in Staub und Asche nach verlorenem Gut. Die Heilquelle von Magnesia aber war beim Brande nicht versiegt; sie sprang im Gewölbe an der Strasse und die Reisenden zu Wagen und zu Pferd liessen sich vom Brunnenmeister einen Becher reichen. Nahe bei der Quelle war ein schattiger Baumgarten, eine alte Ulme ragte über alle andern Bäume empor, reich und saftig war ihre Krone, der Stamm aber war hohl, und in der Höhlung über dem starken Wurzelwerk wohnte ein Bettler. Während der Kriegsjahre hatte er hier gehaust, und am Tage des Brandes und der Plünderung sass er gelehnt an die hölzernen, lebendigen Wände, die zu den erhitzten Blättern hinauf das Wasser der Erde sogen; ihm konnte nichts geschehen, und an diesem Tage des Unglücks, wie an allen andern Tagen des Jahres, wehrte er die Hunde von seinem Essen mit geschwungener Krücke, die Menschen aber mit ihrer Habe, schreiend unter Todesangst, flohen an ihm vorüber, ohne seiner zu achten.

Die Strasse der Zerstörung führt von Konja zum Meer, und Smyrna ist ihre letzte Station. Vom güterbeladenen Hafen aus erscheint die Stadt wie das glückhafte Tor zu einem reichen fruchtbaren Lande. Die blendenden Fronten jedoch der ausgebrannten Häuser im Halbkreis um die breite Bucht haben, wenn man sich nähert, die Grässlichkeit des geschmückten Todes. Sie stehen fast vollzählig noch mit ihren öden Ornamenten aus Stuck, mit ihren von Säulen getragenen Portalen und mit den Türhöhlen, aus denen die reichen Bewohner am Unglückstage schreiend gestürzt sind, getrieben von der im Landwind heransengenden Brandwelle; über die Quaistrasse liefen sie, hindurch durch das Feuergefecht, hinter sich das andrängende Flammenmeer, vor sich die See, und so sprangen diese Kaufleute, ihre geschmückten Weiber und die schönen grossäugigen Kinder ins Wasser, wie die Tiere nach Rettung strebend, ersäuft wie diese, verzweiflungsvoll getrennt voneinander, sich verlierend im Wirrwarr, beschossen vom Land aus, vielfach nicht aufgenommen von den regungslosen Panzerschiffen, und auf manchen Schiffen spielte Tanzmusik.

Am Abend, als wir auf dem langsam durch die Minenfelder kreuzenden Dampfer die Bucht von Smyrna verliessen, stand ich mit Irfan am Heck, wir gedachten der anderen Städte, – jener Städte, die wir in der Salzwüste gesehen hatten, an den Tagen nach Caesarea; damals stiegen sie plötzlich auf, diese wasserumflossenen, wie aus glasigen Quadern gebauten, fern in der dürren silbernen Fläche, «Die Stadt, die wir am Abend erreichen», pflegte Irfan zu sagen, und dann war die Spiegelung – mit dem Wasser und den Zypressen, die kristallene Stadt der Verheissung, – schon verschwunden. Und so gedachten wir im Gespräch, wie oft in der Nacht im freien Lager es uns getrieben hatte aufzustehen und hinaus zu schauen in die Ferne der hohen Ebenen; im Mondlicht war der Horizont geheimnisvoll bewegt, er rief der zaudernden Hoffnung, zuletzt aber stets ward er dem unruhvollen Herzen schrecklich, – denn er umschliesst und begrenzt, und über ihn hinaus wissen wir nichts. – Anders ist die Ferne des Meeres, ohne Angst, sie wandert mit uns, unsere Wege bereitend und im weiten Kreise aufleuchtend, dort wo die See hindurchzieht unter der sinkenden Wölbung. Wenn in später Stunde Inseln auftauchen, wenn im Frühlicht die Ufer sagenhafter Länder dampfend aus der Flut sich heben, so erscheinen die unabsehbaren Wasser als das Versöhnende, das alles zu allem führt und alles verbindet. Es ist die grosse Begleitung des Heimatlosen in uns, dieses Wandern der See, das Heranziehen geballter Nebel hoch in der klaren Luft, schwerer Wolken, die mit ihren Wettern ostwärts fahren, oder der andern, der leichten, die schweben wie stille, weisse Vogelscharen, selig und von ruhigen Winden getragen. Seltsam war es mir, bis zu welchem Ernst Irfan, der auf gefahrvollem Pfade vor sich selbst flüchtige, kühne und verräterische, nun bezwungen wurde und im Tiefsten erfasst von den in ihrem reinen Bereiche waltenden Kräften der Natur; nachts vor allem, wenn der Vordermast des Schiffes den kleinen Weg, den wir fuhren und unser zitterndes Schwanken dunkel und ungeheuer hinzeichnete auf den Weiten des gestirnten Gewölbes.

Kurze Wege sind unser Teil und diesmal, wie wir Reisegefährten uns trennten, war uns das Zufällige und Unwahrscheinliche eines Wiedersehens sehr deutlich, merkwürdig dadurch, dass jeder es hinhielt vor die Erinnerung an jene häufigen Trennungen während der Reise, wenn es galt Wasser, bewohnte Ansiedelungen, eine Furt oder einen Gebirgsübergang zu suchen; damals war die Trennung so straff erfüllt in ihrer Dauer von der notwendigen Rückkehr zur gemeinsamen Arbeit, jetzt war das Band gelöst und jeder kehrte zum Eigenen zurück.

Die letzte Nacht blieben wir auf Deck. In der frühen Morgenstunde erreichten wir Konstantinopel. Alles war noch im Schweigen, die Schiffe ruhten im Hafen, in grossen Kreisen strömte das Wasser milchig und grün, schwarz lag es an den Ufern, der Himmel aber als klare Vorhalle des Lichtes spannte sich, von zartem Feuer leise überschauert, bis die Helle des Ostens plötzlich hervorbrach, und es aufflammte über den herrlich ruhenden Gebirgen. Der hoheitsvolle Umriss der Stadt erhob sich nun aus dem Glanz.

Das Vorbeigeführtwerden an den Möglichkeiten der sichtbaren Welt, an ihren lebendigen Formen und an den Zeichen der Vergangenheit, alles ohne den Einhalt des Willens und ohne die Wahl des Wunsches, – wie nah ist dies den Bildern des Schlafes, auch hier wird Ersehntes uns schweigend entzogen, Unverhofftes uns plötzlich geboten, und auch hier ist dem sinnenden Auge der Schattenwurf unabänderlichen Geschicks erkennbar.

Es stürzt der ereignisreiche Anblick unaufhaltsam vorüber, so der Sturm im Ägäischen Meer des Nachts, so die gestillte von Schiffen belebte See am Morgen, das Aufsteigen der griechischen Küste, dem Himmel und dem Meere unspürbar fast entnommen, und dennoch jede Form bis zum letzten Ausklang erfüllt. Auch der Augenblick in Athen, der weisse Wind, der durch die Säulen der Akropolis heroisch stürzte, und wieder dann die nächtliche Fahrt zu jenem Mittag hinüber, da die Fruchtbarkeit Korfus unter der Julisonne brausend sich trug und erfüllte. Als des Lichtes blendender Ausklang in der Wonne sommerlicher Kraft erschien ein Sichelblitz irgendwo geworfen beim Hieb in saftige Kräuter, er jagte dahin über sattes Wiegen reifen Korns, über die feuchte Dämmerung der Weiher, grellem Gestein, metallenen Wäldern vorüber, – so sehr war alles in höchster Freude des Daseins gespannt, dass dieses eine Leuchten das Meer und das Land im Glanz vereinte. Wie wurde all dies vorübergerissen. – Bis zum Ziel, bis das Gewohnte wieder an uns herantrat. Denn was die Ferne uns gewaltig verkündet hatte, das stand ein letztes Mal im geisterhaften Abglanz des Ostens, in Venedig leise und abgewandt vor unserem Blick.

*

 


 << zurück