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Durch den Taurus.

Irfan hätte über die zwei Tage, da wir getrennt arbeiteten, viel zu erzählen gehabt, aber die Gegenwart des Hauptmanns, der kurz berichtete, war ihm ein Hindernis. – Wir sassen auf der Plattform unseres Wagens und tranken in Eis gekühlte Limonade. Es war zehn Uhr nachts, da wir wegfuhren. Die Ebene, aus der wir zum Gebirge emporstiegen, war ganz erfüllt vom Mondlicht, in dem die Palmen mit ihrem leise schäumenden Geräusch gebreitet wehten. Die Hänge am Fuss des Taurus und ihre getürmten Felsentrümmer wuchsen, wie von innen durchleuchtet, weit im Halbrund um das schimmernde Becken der Tiefe. Da wir eindrangen ins Gebirge, stürzten die Giessbäche an uns vorüber, hindurch unter den Brücken; aufdampfend in eisiger Klarheit jagten sie abwärts, schlugen das bis in die Tiefen erdröhnende Gestein, färbten im Vorüberfluten ihre Strasse mit Glanz bis zu den Rändern des fliehend geworfenen Schaumes; bald kochten sie verhüllt in den mächtigen, gehöhlten Stufen ihres Sturzes, und bald fuhren sie entblösst wie geschmolzener Stahl dem Bade der unabsehbar schwimmenden Ebene entgegen.

«Lukri fehlt uns», sagte Irfan, «wir drei zusammen, das geht nicht, es ist zu deutlich alles, scheint es Ihnen nicht so?» Und ohne auf eine Antwort zu warten, sagte er: «Haben Sie gesehen wie ich heute vom Pferd sprang? – Wissen Sie», sagte er sodann, «ich frage mich bisweilen, was wird eigentlich aus solchen Augenblicken, aus den schönen und vollendeten Handlungen, die man tut; dann und wann sieht sie einer, hier und dort taucht es ihm wieder einmal auf und schliesslich – wenn ich so bedenke», fuhr er fort, «was mein Leben war, diese Kette von Abenteuern, als Jüngling einst, wo nichts schwer schien, und dann die vierzehn Jahre Krieg und die letzten davon unter einem so gewaltigen Führer, der alles mit seinem Willen bewegt, alles geschieht durch ihn, nichts ist ausgenommen, nichts steht für sich; und gäbe es auch für uns die Spur, die Fährte zur Führerschaft, dies alles ist schon ganz erfüllt, und nichts bleibt uns übrig.» – «Sie haben nicht», sagte ich ihm, «gestern sprach ich mit dem alten Joseph davon, Sie haben den Begriff des Helden nicht, Ihre Tat muss zur Macht führen, oder sie tritt als Tat nicht in Erscheinung!» – «Ja», sagte er, «auch da selbst, wo die Macht ist, bleibt kein Raum für den Helden. Es gibt einen alten Spruch, der sagt: ‹Wer die schwere Tat geheissen tut, der leistet das Schwerere, als der sie freiwillig tut.› – All das ist wahr, aber ich, ich bin nicht im Gesetz, ich habe ein gemischtes Blut, ich kann die Grenzen meiner Heimat nicht kennen; alles wäre unerträglich, wenn nicht die Schönheit und die Haltung und der Erfolg, die Gefahr und das Gelingen darüber hinweghelfen würden, aber nirgends ist jemand, der ganz zu mir gehört, und jetzt bisweilen bin ich schon müde.»

Wir hielten auf offener Strecke, in einem schroffen, tiefen Gebirgstal, tief unten schäumte das Wasser, der Mond stand hoch; der Hauptmann, der auf seinem Bett gelegen war, erwachte, brannte seine Pfeife an und kam zu uns heraus. Irfan sprach mit dem Heizer, die Strecke war nicht frei. «Was kann los sein?» frug der Hauptmann; Irfan hob die Hand gleichgültig: «Sehen Sie», sagte er, «da kommt mir nun etwas in euerer Denkweise ganz unsinnig vor: unser Zug hält, er hält, weil ein Hindernis da ist, wir werden uns nicht daran beteiligen dieses Hindernis zu entfernen, wenn es entfernt ist, werden wir weiterfahren, vorher nicht, – was gibt es da zu fragen, warum sich den Sinn mit Dingen beschweren, die nur den Streckenwärter angehn?» – Wie wir weiter fuhren, ging der Hauptmann schlafen. Wir hielten zum zweiten Mal; aus dem breiten Tale, über dem wir nun standen, hörte man dieses unvergessliche Geräusch der Wagenkarawanen herauf, der zweiräderigen Ochsengespanne mit Vollrädern, die jedes einen hohen, starken Ton geben, in schrillen und bisweilen in vollen Akkorden unablässig durch die Nächte ihre langsamen Strassen dahinsingen seit Menschengedenken.

Irfan hatte seinen traurigen Abend. «In der Mongolei» sagte er, «herrschte einer, so, wie es mir zu herrschen gefiele, der Ungern-Sternberg. Früher, wenn ich solche Wagenzüge hörte, dachte ich immer an einen vergangenen Herrscher, von dem ich auch häufig träumte; seit der letzten russischen Reise denke ich an den Balten, niemals an den General.» – So nannte er Mustapha Kemal. – Er stand auf; «und dabei» sagte er, «leben wir in einer Zeit, da es wieder Führer gibt, aber an uns ging es vorbei, sie schienen alle verschwunden und jetzt steigen sie auf, wie aus Gräbern; was auf der Welt konnte diesen Führern entgegen sein, da sie uns fehlten?» frug er. «Das, was ihnen immer entgegen ist, das Bürgerliche», sagte ich ihm, «Ich weiss nicht, was das ist», erwiderte er, «bisweilen in Deutschland glaubte ich es zu spüren, ein Gebräu aus Tüchtigkeit, Unvermögen und Zweifel an der Form oder dergleichen», sagte er. «Vielleicht, und viel Leiden und das feinste Gehör und die Gewalt der Sehnsucht, aus der dann auch das Höchste entsteht; alles hat seine Bestimmung, und die Natur verwirft hier und dort, im Königlichen und im Geringsten, die herrlichsten Versuche um des einen willen, das not tut.» Wir verabschiedeten uns, um einige Stunden zu ruhen.

Mit ruhigem Bedacht traf Irfan wieder seine Vorbereitungen für die Nacht. «Was ist unsere Jugend», rief er mir herüber, «ein Trunk, der im Trinken bitter wird, ehe man sichs versieht, – ein persischer Vers», sagte er, «es ist wohl wahr.» – Irfan war viel mehr als nur ein Herr von allzugut geschultem Benehmen, er hatte eine wirkliche bewundernswürdige Kraft in sich, eine Kraft, die dieses ganze behende und ununterbrochen beherrschte Wesen beinahe tragisch erscheinen liess; irgendwo war bei diesem liebenswürdigen, verwegenen, grausamen und scharfen Reiter ein namenloses und schmerzliches Erstaunen, dass dies alles, all dieser Glanz und dieser Wille nichts genützt habe, dass seine Einsamkeit ebenso gross sei, ja grösser, als wenn er irgend ein dumpfer, gewöhnlicher und gutmütiger Kerl wäre wie Lukri, grösser, als wenn er einseitig, eigentümlich und mitten im Wurf unterbrochen wäre. Ein Erstaunen, das den schöpferischen Menschen nie befallen kann, höchstens in früher Jugend; während hier einer, der völlig auf das äussere Leben mit jeder Fiber eingestellt, nun doch einsam dasteht wie ein vergessener Wächter in der Steppe, altert, grau wird, zerfällt, die straffe Sehne entspannt, ans Feuer kauert und nicht mehr weiss, was dies alles bedeutet hat, diese sprühende Garbe auf dem lichtweissen Stamme der steigenden Flamme, einmal – und dann zusammengesunken in Asche, leise in sich hineingedämmert, verglost, und all dies niemand zu Liebe und keinem zum Heil.

*

 

Wir hatten wenig Musse in Konja, der seldschukkischen Hauptstadt. Was hier noch an bedeutenden Bauwerken besteht, zeugt wie jene herrlichen Trümmer, die wir in Nighde sahen, von dem älteren Reitervolke, das den Türken voranging und das eindrang in die erhabenen Formen später Gesittung, die es auf dem Wege der Eroberung vorfand. Nicht nur zu übernehmen ward ihm gegeben, nein, ihm entsprang aus dieser tiefen Begegnung eine verjüngte, einmalige, seltsame Kunst. Heute stehen ihre Reste da als ein Zeichen für den schicksalhaften Tausch, der einem Volke widerfährt, das seine politische Macht und Kraft hingibt an die Werke des Geistes und seine Verführungen. Der Türke, der dem Seldschukken folgte, war gefeit gegen solchen Zauber. Es gibt heute noch in der verödeten Provinzstadt ein von hohen Mauern umschlossenes, ausgedehntes Gehöft, in welchem nicht nur die Spuren des verrauschten hohen Lebens wohlerhalten erscheinen, nein, wo sogar etwas von der Würde, dem Glanz und dem Nerv ferner, formenreicher Zeitalter lebendig und spürbar wird. Dieses Gehöft umfasst das Hauptkloster der Derwische, es ist der Sitz des Oberhauptes dieser mächtigsten Kongregation in der mohammedanischen Welt.

Schon als ich auf den Marmorfliesen des Hofes stand, es war fünf Uhr abends, umfing mich alles mit einer nie geahnten, zarten Kostbarkeit. Die Farbe frisch geschälter Fichtenstämme lag auf den hellen Gebäuden, die Wasser in den mit goldenen Rändern eingesäumten Brunnen und in den breiten, flachen Becken spiegelten regungslos eine von draussen völlig getrennte, unbewegt durchsonnte Luft, und die Vögel sanken und stiegen aus den Kronen der Platanen, man hörte nur ihr Gefieder leise rauschen, sonst herrschte grosse Stille. Ein uralter Mönch erhob sich, er lag auf der schmalen, freien Terrasse, die vor den Zellen lief, er sonnte sich; an den kleinen gewundenen Säulen trat er vorbei, würdig ging er die Stufen hinunter, er neigte sich vor uns indem er die Arme auf der Brust kreuzte; wir waren mit Lukri gekommen, den wir in Konja wieder getroffen hatten; Irfan begleitete uns nicht bei diesem Besuch. Der Mönch bat uns zu warten, er wandte sich zu dem Hauptgebäude, um uns beim Meister zu melden. Bald darauf traten vier Mönche aus der Türe, in welcher der Bote verschwunden war, sie stellten sich auf, eine Gasse bildend und beugten sich in ihren hohen spitzen Mützen; grüssend schritten wir hindurch, zwischen Säulen, breite Stufen hinan über die Terrasse und hinein, in den grossen weinfarbenen Empfangsraum, und hier war der Meister. Er sass gegenüber der hohen Türe, durch die wir traten, aufgerichtet auf den Kissen.

Nie in meinem Erinnern habe ich eine so fürstliche Haltung gesehen. Müde erscheint das, was wir als vornehm zu spüren gewöhnt sind, vor solch kühner, geschmeidig kraftvoller Hoheit. Vor diesem noch jungen König der Mönche erschien mir Irfan plötzlich wie etwas Unedles und Angestrengtes. Im engen, schwarzbraunen Seidenkaftan unter der grünen Mütze sass der Nachkomme des Gründers dieses weltgeschichtlichen Ordens, aufgerichtet und beweglich; er war klein, schmal gebaut, seine dunkelbraunen Hände waren von der schönsten Prägung, er war ganz turkmenisch-seldschukkisch, sein Kopf rund und zierlich, die Backenknochen zeichneten sich, und die Augen hatten das schwarze Brennen des im Dunkel reissend dahinziehenden Wassers. Jede Gebärde war königlich, unwidersprechlich und von herrlichem Stolz. Ich gedachte der schwarzen Rüstung Karls des Fünften in Wien, aus der das Fürstliche so gebieterisch und lässig zugleich spricht. Ich konnte das Empfinden des schweren, in hohen ausgenommenen Geschlechtern matt gewordenen Ungeschlachten nicht verscheuchen, vor dieser Gebärde, die vor mir sich vollzog wie jener Hieb Saladins nach der Flaumfeder.

Der Nachkomme sass aufgerichtet, im Kreuz geschmeidig, wie ein junger Sieger, der zu Pferd inmitten des Heeres steht, sich wendet mit der rechten Hand auf der Kruppe und befiehlt. Die Mönche kauerten beim Eingang am Boden. Wir Gäste sassen zur Rechten und Linken des Ordensmeisters. Während die Gebräuche vorüberzogen, – wir tranken ein honigfarbenes Getränk aus chinesischen Schalen, – war das Gespräch verstummt, das Licht flutete immer noch breit auf den dunkeln Teppich des einfarbigen Raumes. Der Grossderwisch sass schon im Schatten, Hände und Gesicht wurden blass, er spielte mit einer goldenen Kette, die ihm am Halse hing. Jetzt befahl er, die Diener liefen, sie kamen zurück mit Truhen und Teppichen. Der Nachkomme stand auf, alle neigten sich, er schritt durch das Zimmer, Hess die Truhen öffnen und die Teppiche breiten. Alles geschah ohne Laut, er stand und schaute über unsern Beifall hinweg. Stirnreife, Dolche, Gürtel und köstliche Gewänder entnahmen die Dienenden den Truhen, sie entrollten Teppiche, geheimnisvollen Irrgang geometrischer Vision, dunkle, warme, tiefe, federleichte und die seidenen blassen mit dem fliehenden Glanz, Nun beugte sich der Herr über all diese Schätze plötzlich selbst rasch nach dem geöffneten juwelengeschmückten Behälter der Schätze, er griff Geschmeide heraus und streute es auf die weiche, vielgefärbte Wolle, die von rötlichen Fransen umgeben, beim Eingang im vollen Lichte des Abends lag. Hierauf ging er mit weiter Gebärde an all dem vorbei und schritt uns voran durch den Hof den Weihern vorüber und in den gewölbten Palast, der das Grab seines Ahnen birgt, bei Tag und Nacht von silbernen Ampeln erhellt. Dort schloss sich das Tor hinter ihm. Uns aber führte ein kleiner, alter Mönch in die Kammer, dem Grabgewölbe angebaut; dort waren auf Schäften und in Laden Pergamente und heilige Bücher aufbewahrt, gebunden in rotes Leder und in fein geschmiedete Netze aus Gold. Wie ein Zauberer, behutsam, ging der Alte damit um, noch mit der ursprünglichen Scheu, dem Grauen vor der magischen Gewalt des Geschriebenen, des unheimlichen Zeichens, das über die Zeiten und Geschlechter hinweg den Sinn so gewaltig angeht, dass einer, zu tief von solchen Zeichen berührt, in Narrheit und Entsetzen geraten könnte über die Sprache, die ein anderer, ein ferner, längst vergangener, das Unheil bemeisternd, mit leichtem Sinn hingeschrieben hat. Bei dem Alten holte uns ein Riese, ganz übermässig in der hohen, braunen Mütze; er führte uns in den leeren, spiegelglatten Raum der Andacht, wo die Derwische ihre schweren Übungen verrichten.

Viele Reisende haben mit Neugier und mit Ernst die heulenden und die tanzenden Derwische gehört, gesehen und auch in mannigfaltiger Weise geschildert. Es steht uns nicht an, diese fremde Versenkung in Gott ergründen zu wollen, jedes Beginnen dieser Art ist Vermessenheit; es gibt heute mehr denn je die strenge Grenze, die wir halten sollen, und uns ist geheissen, unsere Seele zu wahren, denn was kann der Mensch geben, dass er sie wieder löse. – Und nochmals wurden wir zu dem Meister des Ordens gerufen; diesmal in den Grabraum selbst, wo er seine Andacht verrichtet hatte; und nochmals wollte er uns Schätze zeigen, diesmal in dem hohen, schwarz und silbern ausgeschlagenen Raume die geheimsten, die er besass; plötzlich hatte er es anbefohlen, mit Scheu und Staunen gehorchten die Mönche. Die köstlichen Lampen Harun al Raschids wurden uns gezeigt, Teppiche seltenster Arbeit, unzählige, unvergleichlich schöner als die ersten. Dann aber zuletzt der tausendjährige Teppich, vor tausend Jahren aus Bagdad geschenkt.

Die Macht, die einem Anblick über unser Gemüt gegeben ist, wurde mir bei diesem Gebilde klar. Die unsägliche Schönheit der sanften Farben beugte einen bis zur Rührung, darüber gänzlich erfüllt aber war das Wunder der Bewegung: die ehrfürchtige Gebundenheit orientalischer Zeichen war hier zum ersten Male gelöst, das Gesetz war in seinem enthüllten Wandel ergriffen und hier bewahrt, es zogen die Gestalten der Welt gefiedert schwebend über wiegenden Pflanzen wunderbare Kurven entlang, ein unendliches Wechseln, Ineinandergreifen, Sinken und Steigen war hier vor unseren Blicken, mir war als müsse es klingen; so nahe war hier die Schönheit, dass man meinte, die Gestalten ihres blendenden Reigens, einzeln, nach geheimer Vorschrift ihre seligen Schritte schreiten zu sehen.

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