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Achtes Buch.
Die große Kompagnie.

Erstes Kapitel.
Das Lager.

Es war ein wunderlieblicher Tag, gerade in der heißesten Glut eines italienischen Sommers, als man eine kleine Schar Reiter einen Hügel hinaufziehen sah, von welchem aus man eine der schönsten Landschaften Toskanas überblickte. An ihrer Spitze befand sich ein Ritter in einem vollständigen Schuppenpanzer, dessen einzelne Teilchen so fein waren, daß das Ganze einem zarten, merkwürdigen Netzwerke glich, aber gleichwohl so fest zusammengefügt, daß sie dem Speer oder Schwert ebenso kräftig widerstanden hätten wie der stärkste Harnisch, während sie sich mit Leichtigkeit genau jeder Bewegung des schlanken, hübschen Ritters fügten. Er trug einen Hut von dunkelgrünem Sammet mit langen Schwungfedern, während von zwei hinten folgenden Knappen der eine seinen Helm nebst Lanze trug, der andere ein starkes Streitroß führte, vollständig mit Eisenplatten überdeckt, die jedoch seinen stolzen und leichten Gang kaum zu beschweren schienen. Das Gesicht des Kavaliers war hübsch, aber stark markiert und dadurch, daß es in verschiedenen Klimaten lange den Sonnenstrahlen ausgesetzt gewesen, zu einer tiefen Bronzefarbe geschwärzt; einige rabenschwarze Locken quollen unter seinem Hut hervor und fielen auf die glattgeschorene Wange. Der Ausdruck seiner Züge war ernst und bis zur Traurigkeit ruhig; und alle Anmut der unvergleichlichen Szenerie vor ihm konnte die ruhige Schwermut, die auf seinen Augen lagerte, nicht bannen. Außer den Knappen folgten dem Ritter zehn von Kopf bis zu Fuß bewaffnete Reiter; und das leise, murmelnde Gespräch, das sie bisweilen führten, sowie ihr schönes, langes Haar, ihr hoher Wuchs, ihr dichter, kurzer Bart, die ausgesuchte, sorgfältige Ausrüstung an Waffen wie an Pferden, zeigten, daß sie einem härteren und kriegerischen Volke angehörten als die Kinder des Südens. Der Zug schloß mit einem Manne von beinahe riesenhafter Größe, der ein reich verziertes Banner trug, auf welchem eine Säule mit der Inschrift zu sehen war: » Allein unter Trümmern.« Ja, schön war die Aussicht, die mit jedem Schritte ihre mannigfaltige Pracht weiter entrollte. Vorn zur Rechten dehnte sich ein langes Tal aus, hier mit grünem Gehölz bedeckt, das im goldenen Sonnenlicht schimmerte, dort sich in enge, von kleinen Hügeln eingeschlossene Ebenen öffnend, aus deren vielfältig gefärbten Moosen phantastische und duftende Gebüsche hervorwuchsen; zwischen diesen hindurch wand sich ein breiter Silberstrom und trat an verschiedenen Stellen bald an das Licht, bald wurde er durch Wald und Hügel dem Auge entzogen, um wieder durch sein helles Erscheinen zu überraschen. Der gegenüberliegende sanfte Bergabhang war, wie derjenige, welchen die Reiter jetzt hinabritten, mit Weingärten bedeckt, die sich in Bogengängen hinzogen, und die üppigen Beeren lachten hinter all den glänzenden Laubdächern so heiter hervor, als ob die Faune im Schatten einen Festtag hielten. Das Auge des Ritters glitt achtlos über dieses bezaubernde Gelände hin, das im rosigsten Lichte des toskanischen Himmels schlummerte, und heftete sich dann mit ernster Aufmerksamkeit auf die grauen, finsteren Mauern einer fernen Burg, die von dem steilsten der gegenüberliegenden Berge das Tal überschaute.

»Sieh da,« murmelte er vor sich hin, »wie jedes Eden in Italien seinen Fluch hat! Wo das Land am freundlichsten lächelt, findet man gewiß des Räubers Zelt und des Tyrannen Schloß!«

Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, als plötzlich der gellende Ton eines Hifthorns, das in der Nähe zwischen den Weinbergen zur Seite des Weges ertönte, die ganze Schar überraschte. Der Zug hielt sogleich an. Der Anführer gab dem Knappen, der sein Streitroß führte, ein Zeichen. Das edle, erprobte Tier blieb ganz ruhig stehen, außer daß es unablässig an seinem Gebiß kaute und sein schnelles Ohr hin- und herbewegte, als ahnte es eine nahe Gefahr – während der Knappe, ohne sich durch die schwere deutsche Rüstung beschwert zu fühlen, in das Dickicht stürzte und verschwand. Nach wenigen Minuten kam er ganz erhitzt, atemlos zurück.

»Wir müssen auf unserer Hut sein,« flüsterte er: »ich sehe Stahl durch das Weinlaub schimmern.«

»Unser Terrain ist unglücklich gewählt,« sagte der Ritter, als er eilig seinen Helm umschnallte und sein Schlachtroß bestieg; er deutete mit der Hand gegen eine breitere Stelle der Straße, wo die Reiter zum geschlossenen Gefecht mehr Raum hatten, und eilte mit seiner kleinen Schar rasch jener Stelle zu – die Rüstungen der Krieger rasselten schwer, als sie paarweise dahinritten.

Der Platz, auf den der Ritter gedeutet hatte, bildete einen grünen Halbkreis von einigen Ruten Ausdehnung, hinten von dichtem Gebüsch und Gehölz begrenzt, welches sich das Tal hinabzog. Sie erreichten dieselbe sicher; Brust an Brust stellten sie sich halbmondförmig auf; alle Visiere waren geschlossen, nur das des Ritters nicht, der sich kühn und lebhaft rings in der Gegend umsah.

»Hast du gehört, Giulio,« sagte er zu seinem Lieblingsknappen (dem einzigen Italiener der Truppe), »ob man in neuerer Zeit in diesen Gegenden Räuber gesehen hat?«

»Nein, mein Gebieter; im Gegenteil sagte man mir, daß alle Lanzen die Gegend verlassen haben, um sich der großen Kompagnie von Fra Moreale anzuschließen. Die Beliebtheit des Soldes und der Beute bei ihm hat ihm die Söldlinge aller toskanischen Herren zugeführt.«

Kaum hatte er gesprochen, als das Hifthorn wieder beinahe von demselben Ort her, wie zuvor, ertönte; es wurde durch ein kurzes, kriegerisches Geschrei gerade im Rücken der Reiter beantwortet. In demselben Augenblick brach aus dem Dickicht hinten der Schimmer von Panzern und Speeren. Einer nach dem anderen, Zug auf Zug, drangen Bewaffnete aus dem Gebüsch hinter ihnen hervor, während plötzlich aus den Weinbergen vor ihnen noch viel größere Massen mit lautem, trotzigem Geschrei auftauchten.

»Für Gott, für den Kaiser und für Colonna!« rief der Ritter, sein Visier schließend, und die kleine Schar stürzte sich, fest geschlossen, mit eingelegter Lanze auf den vor ihnen stehenden Feind. Etliche zwanzig, welche durch den Angriff niedergerannt waren, bahnten für die Reiter einen Durchgang, und ohne den Angriff der übrigen abzuwarten, wandte der Ritter sein Streitroß und jagte trotz des steilen Abhanges beinahe in vollem Galopp den Hügel hinab; ein Hagel ihnen nachgeschickter Pfeile fiel wirkungslos auf ihre eisernen Rüstungen.

»Wenn sie keine Pferde haben,« rief der Ritter, »so sind wir gerettet!«

Und wirklich glaubten sie auch kaum, daß der Feind an eine Verfolgung denke, denn, oben auf dem Hügel gesammelt, schien er sich mit Beobachtung ihrer Flucht zu begnügen.

Plötzlich brachte sie eine Krümmung der Straße vor einen breiten Fleck Oedland, der hier beinahe eine Ebene bildete und die Senkung des Berges unterbrach. Am Saume dieser Ebene fielen die Sonnenstrahlen auf die Brustharnische einer langen Reihe in Schlachtordnung aufgestellter Reiter, welche die wellenförmige Straße bis jetzt dem Ritter und seinem Gefolge verborgen hatte.

Der kleine Trupp hielt plötzlich an – Rückzug – Vorrücken – beides war ihnen abgeschnitten; zuerst sahen sie nach dem Feinde, der noch immer geschlossen vor ihnen stand, und dann richteten sich aller Augen auf den Ritter.

»Wenn du willst, mein Gebieter,« sagte der Anführer der Nordländer, der die Unentschlossenheit des Ritters bemerkte, »so fechten wir bis auf den letzten Mann. Du bist der einzige Italiener von allen, die ich kennen lernte, für den ich gern sterbe.«

Dieses schlichte Geständnis wurde mit beifälligem Gemurmel von den übrigen aufgenommen, und die Krieger drängten sich näher um den Ritter. »Nein, tapfere Bursche,« sagte der Colonna, sein Visier aufschlagend, »nach so mannigfachen Schicksalen sind wir nicht bestimmt, in einem so unrühmlichen Kampfe unterzugehen. Wenn dies Räuber sind, wie wir annehmen müssen, so können wir unseren Durchzug erkaufen. Sind es die Truppen eines Herrn, so haben wir mit der Fehde, in der er begriffen ist, nichts zu schaffen. Gebt mir jenes Panier – ich will zu ihnen hinüberreiten.«

»Nein, mein Gebieter,« sagte Giulio; »solche Plünderer achten eine Fahne als Waffenstillstandszeichen nicht immer. Es ist Gefahr – –«

»Gerade dieser trotzt Euer Anführer. Rasch!«

Der Ritter nahm das Banner und ritt bedächtig auf die Reiter zu. Als er näher kam, konnte sein kriegerisches Auge die Vollkommenheit ihrer Ausrüstung, die Stärke und Schönheit ihrer Pferde, und die feste Ordnung ihrer langen, schimmernden Linie nur bewundern.

Als er nahe genug war und sein prächtiges Banner in der Mittagssonne schimmerte, begrüßten ihn die Soldaten. Es war ein gutes Vorzeichen und als ein solches sah er es auch an. »Edle Herren,« sagte der Ritter, »ich komme als Herold zugleich und Anführer des kleinen Trupps, der soeben dem unerwarteten Angriff der Bewaffneten auf jenem Hügel entging – und als Ritter von dem Ritter, als Soldat von dem Soldaten Beistand verlangend, stelle ich meine Leute unter den Schutz eures Anführers. Führt mich zu ihm!«

»Herr Ritter,« antwortete einer, der der Hauptmann der Abteilung zu sein schien, »es tut mir leid, einen Mann von so ritterlichem Benehmen aufhalten zu müssen, und dies um so mehr, da ich das Wappen eines der mächtigsten Häuser Italiens erblicke. Aber unsere Befehle sind streng, und wir müssen jeden Bewaffneten in das Lager unseres Generals bringen.«

»Lange von meinem Vaterlande abwesend, wußte ich nicht,« versetzte der Ritter, »daß in Toskana Krieg geführt wird. Erlaubt mir, nach dem Namen des Generals, von dem Ihr sprecht und nach dem des Feindes, gegen den Ihr zieht, zu fragen.«

Der Hauptmann lächelte.

»Walter von Montreal ist der General der großen Kompagnie und Florenz gegenwärtig sein Feind.«

»So sind wir, wenn auch in kühne, doch in Freundeshand gefallen,« versetzte der Ritter nach einem augenblicklichen Schweigen. »Mit Herrn Walter von Montreal bin ich aus alten Zeiten bekannt. Erlaubt mir, daß ich zu meinen Gefährten zurückkehre und sie in Kenntnis setze, daß, wenn der Zufall uns zu Gefangenen gemacht, wir wenigstens nur genötigt sind, uns dem geschicktesten Krieger unserer Zeit zu ergeben.«

Der Italiener wandte dann sein Pferd, um zu seinen Gefährten zu reiten.

»Ein schöner Ritter und von keckem Benehmen,« sagte der Hauptmann der Abteilung zu seinem Nachbar; »obgleich ich kaum glaube, daß es die Schar ist, die wir aufzuheben befehligt sind. Gelobt sei übrigens die Jungfrau, seine Leute scheinen aus dem Norden zu sein. Diese können wir vielleicht anzuwerben hoffen.«

Der Ritter stieß mit seinen Leuten jetzt zu dem Trupp, und nachdem ihnen ihr Wort abgenommen war, keinen Versuch zur Flucht machen zu wollen, wurde eine Abteilung von dreißig Reitern abgesandt, um die Gefangenen in das Lager der großen Kompagnie zu führen.

Nachdem sie die Hauptstraße verlassen, sah sich der Ritter in einem engen, zwischen Hügeln hinführenden Passe, der über einen düsteren Waldweg die Schar auf eine Stelle brachte, von wo aus sie einen vollkommenen Ueberblick über eine große Ebene hatten, die mit den Zelten eines für die damalige Kriegführung in Italien bedeutenden Heeres bedeckt war. Ein Fluß, über welchen aus Stämmen des nahen Gehölzes in der Eile kunstlose Brücken geschlagen waren, trennte die Reiter allein noch von dem Lager.

»Ein schöner Anblick!« sagte der gefangene Ritter mit Begeisterung, als er sein Pferd anhielt und die bunten, kriegerischen, breiten, sich durchkreuzenden Straßen von Leinwand übersah.

Einer der Hauptleute der großen Kompagnie, der neben ihm ritt, lächelte wohlgefällig.

»Es gibt wenig Meister in der Kriegskunst, welche Fra Moreale gleichkommen,« sagte er, »und wild, zügellos, aus allen Ländern und Gegenden zusammengetrieben – aus Höhlen und von Marktplätzen, aus dem Gefängnis und aus Palästen, wie es seine Truppen sind, hat er doch schon eine Manneszucht unter sie gebracht, welche selbst das Reichsheer beschämen dürfte.«

Der Ritter erwiderte nichts, spornte aber sein Pferd über eine der kunstlosen Brücken und befand sich bald mitten im Lager. Aber derjenige Teil desselben, den er nun betreten, verdiente wenig von dem der Armee hinsichtlich ihrer Disziplin gespendeten Lobe. Ein unordentlicheres, unruhigeres Getümmel glaubte der an die ernste Regelmäßigkeit der englischen, französischen und deutschen Manneszucht gewöhnte Ritter nie gesehen zu haben; hier und dort konnte man trotzige, bärtige, halbnackte Räuber sehen, welche das Vieh vor sich hertrieben, das sie soeben auf ihren räuberischen Streifzügen erbeutet. Bisweilen stand, schnatternd und mit heftigen Gebärden zankend, ein Haufen liederlicher Weiber um Gruppen wilder, zottiger Nordländer versammelt, die ungeachtet der klaren Helle des Sommernachmittags schon tief in Trinkgelagen begriffen waren. Flüche, Gelächter, trunkene Heiterkeit und trotziges Geschrei ertönten von allen Seiten, und gerade vor den Augen und beinahe auf dem Wege des Zuges wurde in der Eile ein Kampf mit gezogenen Messern von den rohen, wilden Bravos von Kalabrien und Apenninen begonnen und zu Ende geführt. Gaukler und Marktschreier, Taschenspieler und Trödeljuden trugen überall ihre Kunststücke und Waren zur Schau, offenbar vollständig an das gesetzlose, stürmische Treiben gewöhnt, in welchem sie ihre verschiedenen Erwerbszweige ausübten. Trotz des Schutzes der Reiter, welche sie begleiteten, konnten die Gefangenen doch nicht unbelästigt durchkommen. Gruppen von garstigen, unverschämten, zerlumpten Kindern schienen aus dem Boden zu wachsen und umgaben ihre Pferde wie Bienenschwärme, während sie das gellendste Geschrei ausstießen und mit wilden Gebärden Geld mehr forderten, als sich erbaten, das, wenn man ihnen welches gab, sie nur noch unersättlicher machte. Bisweilen bemerkte man in der Menge die hellen Augen und olivenfarbenen Wangen, das halb zänkische, halb fröhliche Lachen von Mädchen, kaum der Kindheit entwachsen, deren große Jugend ihre vollständige, unverbesserliche Verworfenheit doppelt schrecklich machte.

»Ihr habt den Anstand der großen Kompagnie nicht übertrieben!« rief der Ritter ernst seinem neuen Bekannten zu.

»Signor,« erwiderte der andere, »Ihr dürft den Kern nicht nach der Schale beurteilen. Wir sind kaum noch im Lager angekommen. Das sind die mehr von dem Pöbel als den Soldaten besetzten Außenteile. Zwanzigtausend Mann von der Hefe aller Städte Italiens, wie man gestehen muß, folgen dem Lager, um, wenn es nötig wird, zu fechten, mehr aber, um zu plündern und zu rauben – solche Leute seht Ihr jetzt. Bald werdet Ihr einen anderen Schlag sehen.«

Das Herz des Ritters schwoll hoch. »Und solchen Leuten ist Italien preisgegeben!« dachte er. Aus seinen Träumereien wurde er durch lautes Beifallsrufen einiger lustigen Zecher am Wege gerissen. Er wandte sich um und sah unter einem langen Zelt, um einen breiten Tisch, auf welchem Wein und Speisen standen, etwa dreißig oder vierzig Bravos. Ein zerlumpter Minstrel oder Jongleur, mit ungeheurem Schnurr- und Backenbart, schlug mit ziemlicher Geschicklichkeit eine Laute, die ihn auf allen seinen Wanderungen begleitet hatte – plötzlich ging er in eine wilde, kriegerische Melodie über und begann mit tiefer, lauter Stimme folgenden Gesang:

Das Lob der großen Kompagnie.

1.

Ho, dunkler Mann vom gold'nen Süd – ho, Blonder von dem Nord,
Ho, Eisenkleid und heller Speer – was eilet ihr denn fort?
Von Bergen, aus Höhlen und auch von fernem Strand
Lockt uns die große Kompagnie, zu ziehen in dies Land.
O, dieser heit're, fröhliche Schwarm
Mit leichtem Herz und schwerem Arm –
O, die Lanzen der Freien!

2.

Ho, Bürger in der weiten Stadt – ho, Fürsten auf dem Schloß,
Apuliens Kraft, Romagnas Stolz, Toskanas alter Sproß!
Ihr zaget, erbleichet, erschreckt bis in den Tod,
Seht ihr von Montreals Kompagnie die Fahne blutigrot.
O, wie glänzt euer Leben so hell –
O, wie blitzt euer Stahl so schnell!
Wilde Lanzen der Freien!

3.

Ho, Wappenschild, was zitterst du auf Normanns Grab so sehr,
Du schwankest ja, es treibet wohl der Wind dich hin und her?
»Wir schwanken ohne Atem – der Tod will aufersteh'n,
Um Montreals Kompagnie und seinen Ruhm zu seh'n.«
Seit Roger gewann das Königreich,
Wer kam da eurem Ruhm je gleich,
Tapfere Lanzen der Freien?

4.

Ho, die ihr einen Namen sucht, durch tapf're Tat erreicht,
Ho, die ihr Schätze häufen wollt, hier wird es euch so leicht;
Ho, die ihr Ruh' und Stille haßt und des Gesetzes Zwang,
Ho, spornt zu Montreals Kompagnie.
Die Dirne teilt den Lagerplatz,
Der Geizhals seinen reichen Schatz
Mit den Lanzen der Freien!
Der Freien!
Der Freien!
O, die Lanzen der Freien!

Dann griff, wie durch seinen eigenen Gesang zu wilderer Begeisterung hingerissen, der Jongleur auf einmal in die Saiten und stimmte einen Gesang an, der bewundernswert das Gemälde bezeichnete, das seine in rohen, aber lebhaften und munteren Knittelversen sich bewegenden Worte zu schildern versuchten.

Der Marsch der großen Kompagnie.

Tira, tirala – es schmettern die Trompeten
Und von des Berges Höh' die mächt'ge Trommel schallt,
Germanen und Hunnen und Inselländer viel,
Die den Franzosen schlugen so wacker bei Crezy,
Daß seine Rose tauschte die Farbe mit fleur-de-lis,
Lombarden und viele von Piemont und Rom,
Und von des Südens Landen der schwarzgelockte Sohn.
Tira, tirala, sie kommen rasch herbei,
Wie stattlich sie erscheinen, gerüstet Reih an Reih.
Und schwarz, wie eine Wolke, erscheint es hinterdrein,
Wie die See ihre Wogen wirft ans Ufer herein.
Schnell, öffnet eure Tore, heraus mit eurem Gold!
Um euer Blut zu schonen, gebt uns den reichen Sold!
Weh, Bürger, weh! es führt sie heran
Der hellste Kopf und der tapferste Mann.
Auf dem roten Mantel trägt er ein weißes Kreuz,
Er blicket wie ein Adler, und nach des Löwen Art
Trägt er wohl anzuschauen den königlichen Bart.
Der Fürst und die Geißel des Landes ist er hie,
Der königliche Ritter der großen Kompagnie.
Hurra – hurra – hurra!
Hurra für die Armee, hurra für Montreal,
Hurra auch für das Gold, gewonnen durch den Stahl.
Hurra – hurra – hurra!
Für die Lanzen der Freien!

Als der volle Chor dieser verzweifelten Gesellen jauchzend einfiel und von allen Seiten der vertraute und wohlbekannte Refrain, sobald die Worte zu den Ohren der entfernteren Gruppen oder Nachzügler drangen, wiederholt wurde, war die Wirkung, welche dieser freche, zügellose Gesang hervorbrachte, unbeschreiblich. Es war unmöglich, nicht den eigentümlichen Eindruck zu teilen, welchen dieses verwegene Leben auf die trotzigen Männer übte, die sich ihm ergeben, und selbst der tapfere und stolze Ritter, der es mit anhörte, tadelte sich wegen einer unwillkürlichen Anwandlung von Sympathie und Wohlgefallen.

Er wandte sich etwas ungeduldig und gereizt zu seinem Begleiter, der an dem Gesang teilgenommen hatte, und sagte: »Herr, für die Ohren eines italienischen Edelmannes, der das Elend seines Vaterlandes kennt, ist dies kein willkommener Gesang. Ich bitte, beeilen wir uns.«

»Ich bitte Euch höflich um Verzeihung, Signor,« sagte der Mann von der Freikompagnie; »aber das Leben, das man bei den Freilanzen führt, ist wahrhaftig so anziehend unter Fra Moreale, daß wir bisweilen vergessen – – aber verzeiht mir – wir wollen weiter.«

Nach wenigen Augenblicken sprengte der Zug über eine kleine Umschanzung und befand sich in einem Quartier, das zwar auch, aber in ganz anderer Art, belebt war. Lange Reihen Bewaffneter waren zu beiden Seiten des Weges aufgestellt, der nach einem großen Zelte auf einem kleinen Hügel führte, über welchen eine blaue Fahne wehte; auf diesem Wege gingen bewaffnete Soldaten in großer Ordnung hin und her, aber mit einem heiteren, selbstgefälligen Ausdruck auf ihren schwärzlichen Gesichtern. Einige, welche in das Zelt gingen, trugen Packe und Ballen auf ihren Schultern – diejenigen, welche herauskamen, schienen ihre Last losgeworden zu sein; sie öffneten dann und wann ungeduldig ihre Hände und schienen wieder und wieder das darin enthaltene Geld zu zählen.

Der Ritter sah seinen Begleiter fragend an.

»Das ist das Zelt der Kaufleute,« sagte der Hauptmann »sie haben freien Zutritt im Lager; ihr Eigentum wie ihre Person werden streng respektiert. Sie kaufen jedes Soldaten Anteil an der Beute um ein wohlfeiles Geld, und beide Teile sind mit dem Handel zufrieden.«

»So scheint es also, daß eine Art roher Gerechtigkeit unter Euch beobachtet wird,« sagte der Ritter.

»Roh! Diavolo! Keine Stadt ist in Italien, die über solche Gerechtigkeit und solche unparteiischen Gesetze nicht froh wäre. Dort stehen die Zelte der Richter, die bestimmt sind, alle unter den Soldaten vorkommenden Streitigkeiten zu untersuchen. Das Zelt rechts, mit der goldenen Kugel, bewohnt der Zahlmeister des Heeres. Fra Moreale bleibt gegen seine Soldaten nicht im Rückstande. Im Inneren geht alles wie die Räder einer Maschine; aber die Maschine selbst, das gebe ich zu, verursacht Unordnung genug nach außen.«

Wirklich hatte der Johanniterritter durch diese Mittel die bestgerüstete und zufriedenste Streitmacht in Italien zusammengebracht. Jeder Tag brachte ihm Rekruten. Unter den Söldnern Italiens sprach man nur von den Reichtümern, die man in seinem Dienst erwerbe, und jeder Krieger im Solde einer Republik oder eines Tyrannen seufzte nach der gesetzlosen Fahne von Fra Moreale. Uebertriebene Erzählungen von dem Glück, das man in den Reihen der großen Kompagnie machen könne, drangen über die Alpen, und eben jetzt erblickte der Ritter, als er weiter in das Lager hineinkam, auf manchem Zelt das stolze Banner und den Wappenschmuck des deutschen Adels und französischer Ritterschaft.

»Ihr seht,« sagte der Hauptmann, indem er nach diesen Insignien deutete, »wir haben in unserer wilden Stadt auch unsere verschiedenen Stände. Und während wir sprechen, eilt vielleicht mancher goldene Sporn vom Norden hierher!«

In dem Quartier, das sie jetzt betreten hatten, war alles still und feierlich; nur von fern vernahm man das undeutliche Summen oder das plötzliche Geschrei der Menge draußen, das durch die Entfernung zu einem nicht unangenehmen Tone gemäßigt wurde.

»Seht! hier sind wir vor dem Zelte des Generals,« sagte der Hauptmann.

Mit Purpur und Gold verziert, lag Montreals Zelt etwas von den übrigen entfernt. Das Rauschen des Stromes, den sie überschritten, tönte lieblich zum Ohre, und eine große, weithin ihre Aeste ausbreitende Buche warf ihren Schatten über das prächtige Zelt.

Während seine Mannschaft draußen wartete, wurde der Ritter sofort zu dem gefürchteten Abenteurer geführt.

Zweites Kapitel.
Adrian zum zweitenmal Montreals Gast.

Oben an einem Tische, umgeben von Männern teils kriegerischen, teils bürgerlichen Standes, die er seine Räte nannte, und mit denen er anscheinend alle seine Pläne beriet, saß Montreal. Diese Männer, aus verschiedenen Städten ausgewählt, waren genau mit den inneren Angelegenheiten der Staaten, denen sie angehörten, bekannt. Bis auf einen Bruchteil konnten sie die Stärke und Streitmacht eines Signors, den Reichtum eines Kaufmanns, die Macht des Pöbels angeben. Und so präsidierte Montreal in seinem gesetzlosen Lager ebenso als Staatsmann wie als General. Solche Kenntnisse waren für den Befehlshaber der großen Kompagnie unschätzbar. Sie machten es ihm möglich, die rechte Zeit zum Angriff des Feindes zu berechnen, sowie auch die Summe, die er für Einstellung der Feindseligkeiten verlangen konnte. Er wußte, mit welchen Parteien er unterhandeln konnte – wo er fordern – wo er nachgeben mußte. Und gewöhnlich wollte es der Zufall, daß das Erscheinen von Montreals Banner vor den Mauern einer Stadt das Signal zu Streitigkeiten und einem Aufstande innerhalb derselben war. Vielleicht förderte er dadurch eine noch weitergehende als nur seine jetzige Politik.

Der Diwan war in voller Beratung, als ein Offizier eintrat und Montreal einige Worte ins Ohr flüsterte. Seine Augen glänzten. »Führt ihn herein,« sagte er eilig. »Meine Herren,« fuhr er dann gegen seine Räte gewendet, fort, indem er sich die Hände rieb, »ich denke, der Vogel ist in unserem Netz. Laßt uns sehen.«

In diesem Augenblick öffnete sich der Vorhang, und der Ritter trat ein.

»Wie!« murmelte Montreal, die Farbe wechselnd, in augenscheinlichem Verdruß. »Soll ich immer so getäuscht werden?«

»Herr Walter von Montreal,« sagte der Gefangene, »ich bin wieder Euer Gast. In diesen veränderten Zügen erkennt Ihr wohl kaum noch Adrian di Castello.«

»Verzeiht mir, edler Signor,« sagte Montreal, als er sich mit großer Höflichkeit erhob; »der Mißgriff meiner Leute störte mein Gedächtnis einen Augenblick. – Ich freue mich, eine Hand wieder einmal zu drücken, die, seit wir das letztemal schieden, so viele Lorbeeren erworben hat. Gern hörte ich von Eurem Ruhme. Heda!« fuhr der Häuptling, in die Hände klatschend, fort, »sorgt für Erfrischung und Ruhe dieses edlen Ritters und seines Gefolges. Signor Adrian, ich werde augenblicklich bei Euch sein.«

Adrian entfernte sich. Montreal, die Anwesenheit seiner Räte ganz vergessend, ging mit eiligen Schritten im Zelte auf und ab; dann berief er den Offizier, der Adrian eingeführt hatte, und sagte: »Graf Landau bewacht den Paß noch immer?«

»Ja, General!«

»So begib dich eilig wieder dorthin – der Hinterhalt muß bis Einbruch der Nacht aushalten. Wir haben den falschen Fuchs gefangen.«

Der Offizier ging, und kurz darauf hob Montreal die Versammlung auf. Er begab sich zu Adrian, dem er ein Zelt neben dem seinigen angewiesen hatte.

»Mein Herr,« sagte Montreal, »allerdings hatten meine Leute den Befehl, jeden anzuhalten, der die Straßen nach Florenz passieren würde. Ich liege mit dieser Stadt in Fehde. Gleichwohl erwartete ich einen ganz anderen Gefangenen als Euch. Ich habe wohl nicht nötig, zu sagen, daß Ihr und Eure Leute frei seid.«

»Ich nehme, edler Montreal, die Höflichkeit so offen an, als sie erwiesen wird. Darf ich hoffen, sie später zu erwidern? Indessen erlaubt mir, ohne daß ich damit irgend eine Mißachtung ausdrücken will, zu gestehen, daß ich, hätte ich gewußt, daß die große Kompagnie in dieser Gegend läge, meinen Weg geändert hätte. Ich hatte gehört, Eure Waffen seien (etwas edler nach meiner Ansicht) gegen Malatesta, den Tyrannen von Rimini, gerichtet!«

»So war es. Er war mein Feind; er ist mir jetzt tributpflichtig. Wir besiegten ihn. Er bezahlte uns den Preis seiner Freiheit. Wir marschierten über Asciano nach Siena. Für sechzehntausend Gulden verschonten wir die Stadt und hängen jetzt wie eine Gewitterwolke über Florenz, das seinen unbedeutenden Beistand zu Riminis Verteidigung zu schicken wagte. Unsere Märsche sind eilig und rasch, und unser Lager in dieser Ebene eben kaum aufgeschlagen.«

»Ich höre, die große Kompagnie sei mit Albornoz verbündet, und ihr General insgeheim ein Soldat der Kirche. Ist es so?«

»Ja – Albornoz und ich verstehen einander,« versetzte Montreal nachlässig; »und dies um so mehr, da wir einen gemeinsamen Feind in Visconti, dem Erzbischof von Mailand, haben, den wir beide zu zermalmen schworen.«

»Visconti! der mächtigste der italienischen Fürsten! Daß er den Zorn der Kirche mit Recht auf sich geladen hat, weiß ich – und begreife leicht, daß Innocenz die Verzeihung widerrufen hat, welche die Intrigen des Erzbischofs von Clemens VI. erlangten. Aber ich verstehe nicht ganz, warum Montreal einen so heimtückischen, furchtbaren Feind aus freien Stücken gegen sich aufreizt.«

Montreal lächelte grimmig. »Kennt Ihr,« fragte er, »den ungeheuren Ehrgeiz dieses Visconti nicht? Beim heiligen Grabe, er ist gerade der Feind, mit dem meine Seele zusammentreffen möchte! Er hat einen Geist, würdig, mit Montreals Geist zu kämpfen. Ich habe mich zum Herrn seiner geheimen Pläne gemacht – sie sind riesenhaft! Mit einem Wort, der Erzbischof beabsichtigt die Eroberung von ganz Italien. Sein unermeßlicher Reichtum besticht die Feilen – sein durchdringender Scharfsinn bestrickt die Leichtgläubigen – sein kühner Mut schreckt die Schwachen. Jeden Feind unterdrückt er – jeden Verbündeten macht er zum Sklaven. Er gerade ist der Fürst, dessen Fortschritte Walter von Montreal verhindern muß. Denn gerade er (sagte er leise zu sich selbst) ist der Fürst, der, wenn man ihn seine Macht noch weiter ausdehnen läßt, die Pläne Walters von Montreal vereiteln und seine Kraft brechen wird.«

Adrian schwieg, und zum erstenmal schlich sich ein Verdacht hinsichtlich der wahren Pläne des Provençalen in seine Brust.

»Aber edler Montreal,« nahm der Colonna dann das Wort, »gebt mir, wenn, wie ich nicht zweifle, Ihr dazu imstande seid – gebt mir die neuesten Nachrichten über meine Vaterstadt. Ich bin ein Römer, und stets beschäftigt Rom meine Gedanken.«

»Und zwar mit Recht,« versetzte Montreal rasch. »Du weißt, daß Albornoz als Legat des Papstes das Heer der Kirche in die päpstlichen Staaten führte. Er nahm Cola di Rienzi mit sich. Als er in Monte Fiascone ankam, eilte eine Menge Römer aus allen Ständen dorthin, um dem Tribun ihre Huldigungen darzubringen. Ueber der Liebe des Volkes zu seinem Gefährten wurde der Legat vergessen. Ob Albornoz auf die dem Tribun erwiesenen Achtungsbeweise eifersüchtig wurde oder nicht – denn er ist stolz wie Luzifer – oder ob er die Wiederherstellung von dessen Macht fürchtete, weiß ich nicht. Aber er hielt ihn in seinem Lager zurück und weigerte sich trotz aller Bitten und Deputationen der Römer, ihn gehen zu lassen. In seiner Schlauheit erreichte er gleichwohl einen der Hauptzwecke von Rienzis Freilassung. Durch seine Vermittlung bewirkte er die Unterwerfung Roms unter die Kirche, und der Reiz seiner Gegenwart füllte sein Lager mit römischen Rekruten. Als sie gegen Viterbo marschierten, zeichnete sich Rienzi rühmlich durch Waffentaten gegen den Tyrannen Johann di Vico aus. Ja, er focht wie ein Mann, der würdig ist, der großen Kompagnie anzugehören. Dies steigerte den Eifer der Römer, und die Stadt verlor die Hälfte ihrer Einwohner, die sich unter die Befehle des tapferen Tribunen stellten. Auf die dringenden Bitten dieser würdigen Bürger – (vielleicht dieselben, welche früher ihren Liebling in Sankt Angelo eingeschlossen hatten) antwortete der feine Legat nur: ›Waffnet euch gegen Johann di Vico – besiegt die Tyrannen auf dem Gebiet der Kirche – stellt das Erbe des heiligen Petrus wieder her, so soll Rienzi zum Senator ernannt werden und nach Rom zurückkehren.‹

Diese Worte flößten den Römern einen so großen Eifer ein, daß sie dem Legaten willig ihre Hilfe liehen. Aquapendente, Bolzena ergaben sich, Johann di Vico wurde halb durch Gewalt, halb durch Furcht zur Unterwerfung gebracht, und Gabrielli, der Tyrann von Agobbio, ist seither unterlegen. Der Ruhm gehört dem Kardinal, aber das Verdienst Rienzi.«

»Und jetzt?«

»Albornoz behandelte den Senator-Tribun fortwährend mit großem Gepränge und schönen Worten, sprach aber keine Silbe von seiner Wiedereinsetzung in Rom. Dieser Ungewißheit überdrüssig (so erfuhr ich durch geheime Nachrichten), verließ Rienzi das Lager und begab sich mit geringer Begleitung nach Florenz, wo er Freunde hat, die ihn mit Waffen und Geld versehen werden, damit er nach Rom ziehen kann.«

»Aha! nun errate ich,« sagte Adrian halb lächelnd, »für wen man mich hielt!«

Montreal errötete leicht. »Richtig geraten!« sagte er.

»Mittlerweile stritten sich in Rom,« fuhr der Provençale fort, »Euer würdiges Haus und das der Orsini, die zur höchsten Gewalt erwählt worden waren und das Ansehen nicht behaupten konnten, das sie errungen hatten. Francesko Baroncelli, Dieser Baroncelli, der dem Leser schon in einem früheren Teile dieses Werkes vorgeführt wurde, wird von Matteo Villani als »ein Mann von niedriger Geburt und wenig Gelehrsamkeit geschildert – er war Schreiber auf dem Kapitol.« – Mitten unter den mit Waffengewalt geführten Zwistigkeiten unter den Baronen ging Baroncelli damit um, sich zum Herrn des Kapitols und, was als ein Beistand von nicht geringer Wichtigkeit betrachtet wurde – der großen Glocke zu machen, durch deren Töne Rienzi so oft das römische Volk unter die Waffen gerufen hatte. Baroncelli wurde als Tribun gekrönt, in ein Gewand von Goldbrokat gekleidet und mit dem Szepter Rienzis belehnt. Seine Grausamkeit gegen die Großen erschien im Anfang als Beschützung der Niederen; aber die Ausartungen seiner Söhne (die im Text nicht übertrieben sind) und seine eigene tierische und zugleich verwegene Grausamkeit machten ihn bald bei dem Volke verhaßt, dem er seine Erhebung verdankte. Er war so töricht, sich gegen den Papst zu erklären, und dies veranlaßte Innocenz hauptsächlich, den früheren, ausgezeichneteren Tribunen in sein Amt wieder einzusetzen. Wie Rienzi, wurde auch Baroncelli exkommuniziert, und so war auch bei ihm der Fluch der Kirche die unmittelbare Ursache seines Sturzes. Im Dezember 1353 wurde er bei einem Versuche, zu fliehen, vom Pöbel niedergemacht. Einige behaupteten indessen, er sei im Kampfe gegen Rienzi erschlagen worden, andere ließen durch eine Zahlenverwechslung ihn nach dem Tode Rienzis auf diesen folgen. ein neuer Demagog, ein unwürdiger Nachahmer Rienzis, erhob sich auf den Ruinen des von den Adeligen gebrochenen Friedens, erhielt den Titel Tribun und trug dieselben Insignien, deren sich sein Vorgänger bedient hatte. Aber weniger klug als Rienzi, ergriff er die antipäpstliche Partei; und so sah sich der Legat in den Stand gesetzt, den päpstlichen Demagogen gegen den Usurpator zu spielen. Baroncelli war ein schwacher Mann, seine Söhne begingen in possenhafter Nachahmung der hochgeborenen Tyrannen von Padua und Mailand jede Art von Ausschweifungen. Schändung von Jungfrauen und Entehrung von Matronen kontrastierten etwas stark gegen den feierlichen, majestätischen Anstand von Rienzis Regierung; kurz, Baroncelli wurde von dem Volke ermordet. Und wenn Ihr mich jetzt fragt, wer Rom regiere, so antworte ich: die Hoffnung auf Rienzi.«

»Ein seltsamer Mann und ein wandelbares Schicksal. Wie werden beide enden!«

»Der erste durch plötzlichen Mord, das letztere in ewigem Ruhme,« antwortete Montreal kaltblütig. »Rienzi wird wieder eingesetzt werden; dieser tapfere Phönix wird durch Sturm und Wolken sich zu seinem eigenen Holzstoß schwingen; ich sehe es vorher, ich bemitleide, ich bewundere ihn. – Und dann,« setzte Montreal hinzu, »sehe ich noch weiter

»Aber warum fühlt Ihr so bestimmt, daß Rienzi, wenn er wieder eingesetzt wird, fallen muß?«

»Ist es nicht jedem Auge klar, außer dem seinigen, das von Ehrgeiz geblendet ist? Wie kann der Geist eines Sterblichen, wie groß er auch sein mag, dieses höchst verderbte Volk durch gewöhnliche Mittel regieren? Die Barone – Ihr kennt den unbezähmbaren Trotz Eurer römischen Standesgenossen – sind an Mißbrauch gewöhnt und hassen alles, was nur einem Gesetze ähnlich ist; die Barone also, für einen Augenblick gedemütigt, werden auf eine Gelegenheit lauern und sich erheben; das Volk wird ihn wieder verlassen. Oder auch, in einer Hinsicht durch Erfahrung klug geworden, wird der neue Senator einsehen, daß die Volksgunst eine laute Stimme, aber einen feigen Arm hat. Er wird, gleich den Baronen, sich mit fremden Schwertern umgeben. Eine Abteilung der großen Kompagnie wird seinen Hof bilden; sie werden die Herrschaft über ihn gewinnen. Um sie zu bezahlen, muß er das Volk besteuern. Dann wird das Idol verabscheut. Keine italienische Hand kann diese harten Dämonen des Nordens beherrschen; sie werden sich empören und abfallen. Ein neuer Demagoge wird das Volk anführen, und Rienzi wird das Opfer sein. Denkt an meine Prophezeiung!«

»Und dann das Weiter, das Ihr seht?«

»Gänzlicher Verfall Roms für undenkliche Zeiten; Gott schafft nicht zwei Rienzi – oder,« sagte Montreal stolz, »Einströmung eines neuen Lebens in den abgenützten, kranken Körper – die Gründung einer neuen Dynastie. Wahrlich, wenn ich um mich blicke, so glaube ich, der Lenker der Nationen beabsichtigt die Wiederherstellung des Südens durch Einfälle des Nordens, und aus dem alten fränkischen und germanischen Geschlecht werden die Throne der künftigen Welt erbaut werden!«

Als Montreal so sprach, gestützt auf sein Schlachtschwert, mit seinen schönen, heldenhaften Zügen – in ihrem freien, kühnen, furchtlosen Ausdruck so verschieden von dem finstern, verschmitzten Verstande, der die Züge des Südens charakterisiert – beredt durch Enthusiasmus und Nachdenken – da mochte er als kein unwürdiger Vertreter des Geistes der nordischen Ritterschaft, von dem er sprach, erscheinen. Und Adrian glaubte beinahe einen von den alten Goten, den Geißeln der westlichen Welt, vor sich zu sehen.

Ihre Unterredung wurde hier durch den Ton einer Trompete unterbrochen, und eben trat ein Offizier mit der Meldung ein, daß florentinische Gesandte angekommen seien.

»Ihr müßt mich schon wieder entschuldigen, edler Adrian,« sagte Montreal, »und mir erlauben, daß ich Euch wenigstens für heute nacht als meinen Gast betrachte. Hier könnt Ihr sicher ruhen, und wenn Ihr reist, sollen meine Leute Euch bis an die Grenzen des Gebietes begleiten, das Ihr zu besuchen beabsichtigt.«

Adrian, der einen so berühmten Mann nicht ungern näher kennen lernte, nahm die Einladung an.

Als er allein war, stützte er das Haupt auf die Hand und war bald in Nachdenken versunken.

Drittes Kapitel.
Treue und unglückliche Liebe. – Der Ehrgeiz überlebt die Liebe.

Seit der schrecklichen Stunde, in welcher Adrian Colonna die leblose Gestalt seiner angebeteten Irene gesehen, hatte der junge Römer den gewöhnlichen Wechsel eines abenteuerlichen Wanderlebens in jenen aufregenden Zeiten erfahren. Sein Vaterland schien seinem Herzen nicht mehr teuer. Sein Rang schloß ihn von der Stellung aus, welche bei der Wiederherstellung der Freiheit Roms einzunehmen einst sein Bestreben gewesen war; und er fühlte, daß, wenn je eine solche Umwälzung zustande gebracht werden könne, dies einem Manne vorbehalten sei, für dessen Geburt und Gewohnheiten das Volk Sympathie und verwandte Gefühle hegte, und der seine Hand zu ihrem Schutze erheben könnte, ohne seinem Stande abtrünnig, der Richter seines eigenen Hauses zu werden. Er war an verschiedene Höfe gereist und hatte mit Auszeichnung auf mehreren Schlachtfeldern gedient. Geliebt und geehrt, wo er sich auch nur vorübergehend aufhielt, hatte kein Wechsel des Aufenthaltes seine Schwermut gelindert – keine neuen Bande hatten das Andenken an die Verlorene verscheucht. In jener Zeit leidenschaftlicher und poetischer Romantik, welche durch Petrarca mehr vertreten, als geschaffen wurde, hatte die Liebe bereits angefangen, einen zarteren und heiligeren Charakter, als man bisher gekannt, anzunehmen – sie hatte nach und nach den göttlichen Geist eingesogen, welchen sie von dem Christentum erhält, und der ihren irdischen Kummer mit den Gefühlen und Hoffnungen des Himmels verbindet. Demjenigen, der an eine Unsterblichkeit glaubt, ist Treue bis in den Tod ein leichtes, weil der Tod die Hoffnung nicht verwischen kann und die Seele des Trauernden schon halb in der anderen Welt lebt. Es ist ein Zeitalter, das an einem späteren Fortleben verzweifelt – den Tod als eine Trennung für ewig darstellt – und in dieser eilen die Menschen, während sie um die Toten trauern, sich wieder mit dem Leben auszusöhnen. Denn wahr ist der alte Lehrsatz, daß es keine Liebe ohne Hoffnung gibt. Und alle jene romantische Verehrung, welche der Eremit von Vaucluse für Laura fühlte oder erdichtete, fand ihren Tempel in dem öden Herzen Adrian Colonnas. Er war wirklich der Liebende seiner Zeit! Wenn er auf seiner Pilgerschaft von Land zu Land an den Mauern eines stillen, einsamen Klosters vorüberkam, dachte er ernstlich über die feierlichen Gelübde nach und faßte in seinem Innern den Entschluß, daß ein Kloster in späteren Jahren auch ihn aufnehmen solle. Die jahrelange Abwesenheit hatte indessen die verdunkelte und erschütterte Liebe zu seinem Vaterlande wieder einigermaßen belebt, und er fühlte ein Verlangen, die Stadt wieder einmal zu besuchen, in welcher er Irene zum erstenmal erblickt hatte. »Vielleicht,« dachte er, »hat die Zeit unvorhergesehene Veränderungen hervorgebracht, und ich kann noch bei der Wiederherstellung meines Vaterlandes behilflich sein.«

Aber mit diesem Ueberrest von Patriotismus war kein Ehrgeiz verbunden. Auf dieser heißen Bühne des Handelns, auf welcher das Verlangen nach Macht jede Brust aufzuregen schien, und Italien für Tausende von kräftigen Armen und unternehmenden Geistern das Eldorado des Reichtums oder das Utopien der Herrschaft geworden war, gab es wenigstens eine Brust, welche die wahre Philosophie des Eremiten fühlte. Adrians Wesen, obgleich tapfer und männlich, war eigentümlich mit jener Feinfühligkeit des Temperaments durchtränkt, welche vor roher Berührung zurückbebt und für die eine gebildete, wissenschaftliche Muße der höchste Genuß ist. Seine Erziehung, seine Erfahrung und sein Geist hatten ihn seinem Zeitalter weit vorangestellt, und er blickte mit tiefer Verachtung auf die gemeinen Schurkereien und elenden Ränke, durch welche italienischer Ehrgeiz seinen Weg zur Macht suchte. Die Erhebung und der Fall Rienzis, der, was auch seine Fehler sein mochten, wenigstens der reinste und ehrenhafteste unter den Regenten war, die ihre Erhebung nur sich selbst verdankten, hatten dazu beigetragen, ihn auch an dem Erfolg edler Bestrebungen verzweifeln zu lassen, wie er vor dem der selbstsüchtigen zurückbebte. Und die träumerische, aus seiner unglücklichen Liebe entsprossene Schwermut diente noch mehr dazu, ihn den alltäglichen, schalen Zwecken der Welt zu entwöhnen. Sein Charakter war von Schönheit und Poesie erfüllt – und dies nur um so mehr, als er seine Gefühle nicht in der wirklichen Beschäftigung des Dichters ausdrücken konnte! In seinem Innern eingeschlossen, verbreiteten sich dieselben über alle seine Gedanken und gaben seiner ganzen Seele die Färbung. Bisweilen malte er sich in der seligen Zerstreuung seiner Träume das Los aus, das er hätte finden können, wenn Irene am Leben geblieben wäre und das Schicksal sie vereinigt hätte – fern von dem stürmischen und gemeinen Treiben Roms – in einer noch unbefleckten Einsamkeit des schönen italienischen Bodens. Vor seinem Auge erhob sich die liebliche Landschaft, das Schloß an den Ufern des wellenloses Sees, die Weingärten im Tale, die dunklen auf dem Hügel wogenden Wälder, und diese Heimat, der Versammlungs- und Zufluchtsort alles Gesanges und aller Liebe Italiens, erleuchtet von dem » Lampeggiar dell' angelico riso,« das ein Paradies in dem Antlitz schafft, das wir lieben. Oft durch solche Träume in völlige Vergessenheit seines Verlustes gewiegt, fuhr der junge Wanderer aus seiner eingebildeten Seligkeit auf und sah die einsame, leere Straße um sich oder die vom Monde beschienenen Kriegszelte, oder schlimmer als alles, das Gewimmel und die Festlichkeiten eines fremden Hofes.

Mochten nun für einen Augenblick solche Gedanken, vielleicht durch den Namen von Irenes Bruder heraufbeschworen, der nie zu seinem Ohre drang, ohne tausend Erinnerungen zu wecken, den Geist des jungen Colonna bewegen oder nicht, er blieb gedankenvoll und in sich gekehrt, bis er durch seinen eigenen Knappen gestört wurde, der von Montreals Dienern begleitet, sein einsames, aber reichliches Mahl auftrug. Flaschen mit dem edelsten Florentiner Wein – Speisen mit all der Kunst zubereitet, die Italien jetzt leider verloren hat! – Becher und Teller von Gold und Silber, verschwenderisch mit fremden Edelsteinen geschmückt – zeugten von dem fürstlichen Luxus, der im Lager der großen Kompagnie herrschte. Allein Adrian sah in allem nur die Beraubung seines entwürdigten Vaterlandes, in diesem Glanze beinahe einen Hohn. Sein einsames Mahl war bald beendigt; er wurde des einförmigen Zeltes überdrüssig, und, gelockt von der kühlen Luft des sich neigenden Abends schlenderte er nachlässig hinaus. Er ging an dem Ufer des Baches hin, der sich glänzend an Montreals Zelt hinschlängelte, und als er eine etwas einsame, von den kriegerischen Wohnungen abgelegene Stelle fand, warf er sich am Rande des Wassers nieder.

Die letzten Strahlen der Sonne zitterten auf der Welle, die musikalisch über ihr steiniges Bett hintanzte, und von einem kleinen Buschholz auf dem entgegengesetzten Ufer tönte der kurze, abgebrochene Gesang solcher kühneren Bewohner dieser purpurnen Atmosphäre herüber, welche der Lärm des Lagers nicht von ihrem grünen Wohnsitze verscheucht hatte. Die Wolken lagen regungslos im Westen, in jenem so tiefen, satten Blau, das man nur über jenen Landschaften sieht, die ein Claude oder ein Rosa so gern malten, und gedämpfte, köstliche Rosenfarben schimmerten über den grauen Gipfeln der fernen Apenninen. Aus der Ferne tönte das Summen des Lagers, unterbrochen von dem Wiehern zurückkehrender Pferde, bisweilen von dem Schall des Hifthorns, und in regelmäßigen Zwischenräumen von dem waffenklirrenden Schritt der nahen Schildwache. Und gegenüber zur Linken des Gehölzes, auf einer von Schilf, Moos und schwankendem Gesträuch bedeckten Anhöhe, erhoben sich die Ruinen einer alten etruskischen Mauer oder eines Gebäudes, dessen Name verloren gegangen, dessen Zweck unbekannt war.

Die Szenerie, welche vor Adrians Blicken lag, war so ruhig und lieblich, daß man fast unmöglich sich mit dem Gedanken vertraut machen konnte, gerade jetzt sei hier der Aufenthalt kühner Räuberbanden, in deren größerem Teile die menschliche Seele zum Tier herabgesunken, und für die Mord oder Raub die gewöhnliche Beschäftigung des Lebens war.

Noch in seinen Träumereien versunken und gedankenlos Steine in den plätschernden Bach hinabwerfend, wurde Adrian durch den Schall von Tritten aufgeschreckt.

»Ein hübscher Ort, um der Laute und den Balladen der Provence zuzuhören,« sagte Montreals Stimme, als der Johanniterritter sich auf dem Rasen neben dem jungen Colonna niederstreckte.

»Ihr hegt also immer noch Eure alte Liebe für Nationalmelodien?« sagte Adrian.

»Ja, ich habe noch nicht meine ganze Jugend überlebt,« antwortete Montreal mit einem schwachen Seufzer. »Aber wie dem auch sei, die Weisen, welche einst meine Einbildungskraft ergötzten, gehen jetzt meinem Herzen zu nahe. So lasse ich, wenngleich ich jeden Jongleur und Minnesänger willkommen heiße, sie nur ihre neuesten Melodien singen. Ich kann nicht wünschen, je die Poesie wieder zu hören, die ich hörte, als ich jung war

»Verzeiht mir,« sagte Adrian mit großer Teilnahme, »aber gern hätte ich, wenn ich nicht durch eine geheime Scheu bis jetzt davon abgehalten worden wäre, gern hätte ich mir erlaubt, mich nach jener liebenswürdigen Dame zu erkundigen, mit der wir vor sieben Jahren die wohlriechenden Orangenhaine und rosigen Wasser von Terracina im Mondschein betrachteten.«

Montreal wandte sein Antlitz ab; er legte seine Hand auf Adrians Arm und sagte mit tiefer, dumpfer Stimme: »Ich bin jetzt allein!«

Adrian drückte schweigend seine Hand. Er war höchst überrascht bei der Nachricht von dem Tode eines so sanften, so lieblichen und so unglücklichen Wesens.

»Die Gelübde meines Ritterordens,« fuhr Montreal fort, »welche Adeline der Rechte einer gesetzmäßigen Gattin beraubten – die Schmach ihres Hauses – der zornige Kummer ihrer Mutter – die wilden Wechselfälle meines gefahrvollen Lebens – der Verlust ihres Sohnes – alles dies nagte in der Stille an ihrem Leben. Sie starb nicht (sterben ist ein zu rauhes Wort!), sondern sie sank hin und entschwebte in den Himmel. Wie an einem Sommermorgen ein sanfter Traum über uns hineilt, und immer mehr an Deutlichkeit verliert, bis er gleichsam ganz in Licht übergeht, und wir erwachen – so entschwand Adelines scheidender Geist, bis ihm das Tageslicht Gottes anbrach.«

Montreal hielt einen Augenblick inne und begann dann wieder: »Solche Gedanken machen den Mutigsten von uns bisweilen schwach, und wir Provençalen sind in diesen Dingen närrisch! – Gott weiß, sie war mir sehr teuer!«

Der Ritter verbeugte sich, bekreuzte sich andächtig, und seine Lippen murmelten ein Gebet. So sonderbar dies unserem aufgeklärteren Zeitalter erscheinen mag, so trug doch die Moral damals ein so kriegerisches Gewand, daß dieser Mann, auf dessen Wort Städte in Brand gesteckt wurden und Ströme von Blut flossen, weder in seinen noch in den Augen des größeren Teiles seiner Zeitgenossen ein Verbrecher war. Sein Orden, halb mönchisch, halb kriegerisch, war das Sinnbild seines Charakters. Er trat die Menschen mit Füßen, aber er demütigte sich vor Gott, und so genau er den feinen Skeptizismus Italiens kannte, hatte derselbe doch den starren, einfachen Glauben des kühnen Provençalen nicht erschüttert. Weit entfernt, einen Mangel an Uebereinstimmung zwischen seinem Gewerbe und seinem Glauben zu erkennen, hielt er, wie ein echter Normanne, denjenigen für keinen wahren Ritter, der nicht ebenso dem Kreuze ergeben, wie schonungslos mit dem Schwerte war.

»Und Ihr habt außer dem einen, das Ihr verloret, kein Kind?« fragte Adrian, als er Montreals gewöhnliche Ruhe wiederkehren sah.

»Keines!« sagte Montreal und seine Stirn wurde wieder düster. »Kein liebentsprossener Erbe wird mir in dem Glücke nachfolgen, das ich zu gründen hoffe. Niemals auf Erden werde ich in den Zügen ihres Kindes das Ebenbild Adelines sehen! Doch sah ich in Avignon einen Knaben, den ich gern an mich genommen hätte: denn ich meine, sie müsse ihre Seele in seine Augen gepflanzt haben, so ähnlich waren sie den ihrigen. Gut, gut, der provençalische Baum hat noch andere Zweige, und ein noch nicht geborener Neffe muß werden – was? die Sterne haben es noch nicht entschieden! Aber der Ehrgeiz ist jetzt noch das einzige, was mir in der Welt zu lieben übrig bleibt.«

»So verschieden wirkt dasselbe Unglück auf verschiedene Charaktere,« dachte der Colonna. »Für mich hatten die Kronen keinen Wert mehr, als ich nicht mehr träumen konnte, sie auf Irenes Stirn zu drücken!«

Die Aehnlichkeit ihres Schicksals zog indessen Adrian mächtig zu seinem Wirte hin, und die beiden Ritter besprachen sich mit mehr Freundschaft und Offenherzigkeit, als dies bisher der Fall gewesen war. Endlich sagte Montreal: »Beiläufig, ich habe noch nicht einmal nach dem Ziel Eurer Reise gefragt.«

»Ich muß nach Rom,« sagte Adrian, »und die Nachrichten, die Ihr mir gegeben, sind mir ein weiterer Grund zur Eile. Wenn Rienzi zurückkehrt, bin ich vielleicht so glücklich, zwischen dem Tribun-Senator und den Edlen vermitteln zu können, und wenn ich meinen Vetter, den jungen Stephanello, jetzt das Haupt unseres Hauses, willfähriger finde als seine Väter, so will ich nicht daran verzweifeln, die minder mächtigen Barone zu versöhnen. Rom bedarf der Ruhe, und wer regiert, muß, wenn er nur gerecht ist, von den Edlen und den Plebejern unterstützt werden!«

Montreal hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und murmelte dann vor sich hin: »Nein, es kann nicht sein!« Er sann eine kleine Weile nach, während er die Stirn mit der Hand bedeckte, und sagte dann laut: »Nach Rom wollt Ihr. Gut, wir werden uns bald unter seinen Trümmern begegnen. Wißt, beiläufig gesagt, daß mein Zweck hier schon erreicht ist; diese florentinischen Kaufleute haben in meine Bedingungen gewilligt; sie haben einen zweijährigen Frieden erkauft; morgen wird das Lager abgebrochen und die große Kompagnie marschiert nach der Lombardei. Dort vereinige ich, wenn meine Pläne gelingen und die Venetianer die verlangte Summe zahlen, die Bursche (unter Landau, meinem Leutnant), dem Viscont zum Trotz, mit der Seestadt und werde dann meinen Herbst in Frieden im Glanze von Rom zubringen.«

»Herr Walter von Montreal,« sagte Adrian, »Eure Offenheit macht mich vielleicht vermessen; aber wenn ich Euch wie einen feilschenden Krämer von dem Verkauf Eurer Freundschaft und Schonung sprechen höre, so frage ich mich: ›Ist das der große Johanniterritter, und haben die Menschen ihn richtig beurteilt, wenn sie versichern, der einzige Makel an seinen Lorbeeren sei seine Habsucht?‹«

Montreal biß sich in die Lippe; nichtsdestoweniger antwortete er ruhig: »Meine Offenherzigkeit rächt sich, Herr Adrian. Gleichwohl kann ich einen so geehrten Gast nicht mit dem Eindruck scheiden lassen, der den Schein zwar für sich hat, aber nicht gerecht ist. Nein, tapferer Colonna; das Gerücht tut mir unrecht. Ich schätze das Gold, denn durch Gold erwirbt man Macht! Es füllt das Lager – es erstürmt die Stadt – es erkauft den Markt – es erbaut den Palast – es gründet den Thron. – Ich schätze das Gold – es ist das notwendige Mittel zu meinem Zweck!«

»Und dieser Zweck – –«

»Ist – gleichviel welcher,« sagte der Ritter kaltblütig. »Gehen wir in unsere Zelte, der Tau fällt stark, und die Malaria weht über diese häuserlose Oede.«

Sie erhoben sich – aber bezaubert von der Schönheit der Stunde zögerten sie noch einen Augenblick am Bache. Die frühesten Sterne beschienen seine sich kräuselnden Wellen und ein köstliches Lüftchen säuselte lieblich in dem glänzenden Laubwerk.

»Wenn wir so hinblicken,« sagte Montreal sanft, »so kehren wir die alte Fabel von der Medusa, welche uns die Dichter erzählen, um, und sehen und denken uns aus dem Stein heraus. Erst vor einer kleinen Weile vergoldete das Sonnenlicht die Welle – jetzt glänzt dieselbe ebenso hell und gleitet ebenso munter unter den Sternen dahin; gerade so rollt der Strom der Zeit; ein leuchtender Körper folgt dem andern, ebenso willkommen – ebenso erhellend – ebenso schnell verschwindet er wieder! – Ihr seht, die Poesie der Provence blüht immer noch unter meinem Panzer!«

Adrian begab sich bald zur Ruhe; aber seine Gedanken und die Töne lauter Fröhlichkeit, die von Montreals Zelt herüberschallten, wo der Anführer die Hauptleute seiner Bande bewirtete, eine Lustbarkeit, von welcher den römischen Edelmann auszuschließen er zart genug war, hielten ihn lange wach, und kaum war er in einen unruhigen Schlummer verfallen, so störten noch unwillkommenere Laute seine Ruhe. Mit der frühesten Dämmerung war das ganze Lager in Bewegung – das Knarren des Seilwerks – die Tritte von Menschen – laute Befehle und laute Flüche – das langsame Rollen von Bagagewagen – und das Klirren der Waffen deuteten auf den Aufbruch des Lagers und den nahen Abzug der großen Kompagnie.

Noch ehe Adrian angekleidet war, trat Montreal in sein Zelt.

»Ich habe,« sagte er, »hundert Lanzen unter einem zuverlässigen Führer angewiesen, die Euch, edler Adrian, an die Grenzen der Romagna begleiten sollen; sie warten, bis es Euch genehm ist. In einer Stunde breche ich auf; der Vortrab ist schon in Bewegung.«

Adrian hätte gern die angebotene Begleitung abgelehnt, aber er sah, daß es den Stolz des Anführers, der sich bald entfernte, nur kränken würde. Eilig legte er seine Waffen an – die frische Morgenluft und die heitere Sonne, welche stolz über die Hügel emporstieg, belebten seinen müden Geist. Er ging in Montreals Zelt und fand ihn allein; vor ihm lagen Schreibmaterialien, und ein triumphierendes Lächeln verbreitete sich über seine Züge.

»Das Glück überschüttet mich mit neuen Gunstbezeugungen!« sagte er heiter. »Gestern ersparten mir die Florentiner die Mühe einer Belagerung – und heute (erst seit ich Euch zuletzt sah – vor wenigen Minuten) kommt Euer neuer Senator von Rom in meine Gewalt.«

»Wie! haben Eure Leute Rienzi festgenommen?«

»Nicht so – viel besser! Der Tribun änderte seinen Plan und begab sich nach Perugia, wo sich meine Brüder gegenwärtig aufhalten – er suchte sie auf – sie versahen ihn mit Geld und Soldaten genug, um den Gefahren des Weges zu trotzen und die Schwerter der Barone zu verachten. So schreibt mein guter Bruder Arimbaldo, ein Gelehrter, den der Tribun gewiß mit alten Erzählungen von römischer Größe und unansehnlichen Versprechungen von anerkennender Beförderung geködert zu haben glaubt. Ich bin eben im Begriff, in der Eile meine Zufriedenheit mit der Uebereinkunft auszudrücken. Meine Brüder werden den Senator-Tribun selbst bis an die Mauern des Kapitols begleiten.«

»Ich verstehe immer noch nicht, wie dies Rienzi in Eure Gewalt bringt.«

»Nicht! Seine Soldaten sind meine Geschöpfe – seine Kameraden meine Brüder – sein Gläubiger bin ich! Laßt ihn denn Rom beherrschen – bald kommt die Zeit, wo der Vizeregent weichen muß dem – –«

»Anführer der großen Kompagnie,« unterbrach ihn Adrian mit einem Entsetzen, das der kühne Montreal, zu sehr mit seinen aufregenden Gedanken beschäftigt, nicht bemerkte. »Nein, Ritter von der Provence, schmählich sind wir den heimischen Tyrannen unterlegen; aber nie werden die Römer so erbärmlich sein, daß sie das Joch eines fremden Usurpators dulden sollten.«

Montreal sah Adrian scharf an und lächelte finster.

»Ihr mißversteht mich,« sagte er, »und es wird Zeit für Euch sein, den Brutus zu spielen, wenn ich mir die Rolle Cäsars anmaße. Inzwischen sind wir nur Wirt und Gast. Reden wir von etwas anderem.«

Nichtsdestoweniger kühlte diese letztere Besprechung die beiden Ritter für die kurze Zeit ab, welche sie noch beisammen waren, und sie schieden mit einer Förmlichkeit, welche schlecht zu der freundschaftlichen Unterredung des vorigen Abends paßte. Montreal fühlte, daß er sich unvorsichtigerweise enthüllt habe, aber Vorsicht lag nicht in seinem Charakter, wenn er sich an der Spitze eines Heeres und vom Glück begünstigt wußte; und in diesem Augenblick vertraute er so fest auf das Gelingen seiner kühnsten Pläne, daß er sich wenig darum kümmerte, wen er beleidigte oder beunruhigte.

Langsam machte sich Adrian mit seiner seltsamen, wilden Begleitung auf den Weg. Er zog von der Ebene aus eine steile Anhöhe hinauf – und als er oben angekommen war, zeigte ihm die Straßenbiegung das ganze, auf dem Marsche begriffene Heer – die wehenden Fahnen – die in der Sonne blitzenden Rüstungen, Linie hinter Linie, wie ein Strom von Stahl, und die ganze Ebene, auf welcher sich die Kriegsmacht hinbewegte – während der feierliche Tritt von Tausenden Bewaffneter bisweilen von jauchzender, kriegerischer Musik übertäubt und erstickt wurde. Als sie so dahinzogen, entdeckte Adrian endlich auf einem schwarzen Streitroß die stattliche, über die anderen hervorragende Gestalt Montreals, die sich sogar in dieser Entfernung noch ebenso sehr durch seine prächtige Rüstung wie durch seinen stolzen Wuchs auszeichnete. So zog er dahin mit seinem stolzen Heere – in der Blüte seiner Hoffnungen – das Haupt einer mächtigen Armee – der Schrecken Italiens – jetzt ein Held – später vielleicht ein Monarch!

Drei kurze Monate später – und sechs Fuß Erde reichten für diese Größe hin.


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