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Erstes Buch.
Zeit, Ort und Menschen.

Erstes Kapitel.
Die Brüder.

Der gefeierte Name, welcher den Titel dieses Werkes bildet, sagt dem Leser schon, daß der Anfang meiner Geschichte in die erste Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts fällt.

An einem Sommerabende konnte man zwei Jünglinge an den Ufern der Tiber entlang wandeln sehen, nicht weit von jener Stelle ihres sich schlängelnden Laufes, wo sie den Fuß des Berges Aventino bespült. Der Weg, den sie gewählt, war abgelegen und ruhig. Nur in der Ferne sah man die an den Ufern zerstreuten, schmutzigen Häuser, zwischen denen dunkel und zahlreich das hohe Dach und die ungeheuren Türme sich erhoben, welche das feste Schloß eines römischen Edlen erkennen ließen. Auf dem einen Ufer des Stromes erhob sich hinter den Hütten der Fischer der Berg Ianiculus mit seinem dichten, dunklen Laubwerk, durch welches an mehreren Stellen die grauen Mauern vieler mit Türmen versehener Paläste sowie die Turmspitzen und Säulen von hundert Kirchen schimmerten; auf der entgegengesetzten Seite stieg der verlassene Aventino jäh und steil, mit dichtem Grün bedeckt, empor, während von der Höhe aus verborgenen, aber zahlreichen Klöstern durch die ruhige Landschaft und die sich kräuselnden Wellen nicht unharmonisch der Schall der heiligen Glocke drang.

Der ältere der beiden eben erwähnten Männer, der das zwanzigste Jahr zurückgelegt haben mochte, war von hohem, ja sogar Achtung gebietendem Wuchse, und es lag in seiner Haltung etwas Auffallendes, beinahe Edles, trotz der bescheidenen Kleidung, die aus dem langen, fliegenden Oberkleide und der einfachen Tunika, beide von dunkelgrauer Sarsche, bestand, wie sie damals von den anspruchsloseren Schülern getragen wurde, welche die Klöster solcher gewöhnlicher Kenntnisse wegen besuchten, deren Erwerb in jenen Zeiten eine karge Belohnung für angestrengte Arbeiten gewährte. Seine Züge waren schön und wären ohne jenen ungewissen, zerstreuten und schwärmerischen Blick – der so häufig eine Neigung zu Träumereien und Betrachtungen andeutet und verrät, daß Vergangenheit oder Zukunft dem Sinne mehr entsprechen als der Genuß oder die Vorfälle der gegenwärtigen Stunde – in ihrem Ausdruck eher heiter als nachdenklich gewesen.

Der Jüngere, damals noch Knabe, hatte weder in Gestalt noch Zügen etwas besonders Bemerkenswertes, wenn nicht ein außerordentlich lieblicher und freundlicher Ausdruck so genannt werden soll; es lag beinahe etwas Weibliches in der zarten Hingebung, mit der er seinen Begleiter anzuhören schien. Er trug die den niederen Klassen gewöhnliche Kleidung, wenngleich vielleicht etwas zierlicher und neuer; die zärtliche Eitelkeit einer Mutter sprach sich in der Sorgfalt aus, mit welcher die langen, seidenen Locken gekämmt und so abgeteilt waren, daß sie sich unter der Mütze hervordrängten und halb auf die Schultern herabfielen.

Während sie so, jeder den Arm um den Leib des anderen legend, an dem lispelnden Schilfe des Flusses hingingen, war nicht nur in den Manieren und in dem Gange, sondern in der Jugend und augenscheinlichen Liebe der Brüder – denn solche waren sie – eine Anmut und ein Gefühl zu bemerken, welche die Niedrigkeit des Standes, dem sie anzugehören schienen, noch höher hob.

»Lieber Bruder,« sagte der ältere, »ich kann dir nicht sagen, welchen Genuß mir diese Abendstunden bereiten. Ich fühle, daß du allein mich nicht für einen Schwärmer und Träumer hältst, wenn ich von der dunklen Zukunft rede und meine Luftschlösser baue. Unsere Eltern hören auf mich, als ob ich ihnen schöne Dinge aus einem Buche sagte, und meine geliebte Mutter, der Himmel möge sie segnen! wischt die Augen und sagt: »Horch, wie gelehrt er ist!« Wenn ich von meinem Livius aufblicke und rufe: Noch einmal sollte Rom das werden – so staunen die Mönche, gaffen und runzeln die Stirn, als ob ich eine Ketzerei ausgesprochen hätte. Du aber, geliebter Bruder, sympathisierst, wenn du auch meine Gedanken nicht teilst, so gütig mit allen ihren Erzeugnissen – du scheinst meine wilden Pläne zu billigen, meine ehrgeizigen Hoffnungen zu ermutigen – daß ich bisweilen unsere Geburt, unsere Vermögensumstände vergesse und zu Gedanken mich erkühne, als ob nur das Blut des teutonischen Kaisers in unsern Adern flösse.«

»Mich dünkt, geliebter Cola,« sagte der jüngere Bruder, »daß die Natur uns einen schändlichen Streich gespielt – dir gab sie die, wenn auch dunkel von der Familie unseres Vaters stammende königliche Seele; mir nur den ruhigen, demütigen Geist von meiner Mutter niedriger Herkunft.«

»Nein,« erwiderte Cola rasch, »da hättest du das bessere Teil – denn ich wäre nur barbarischen, du aber königlichen Ursprungs. Es gab eine Zeit, wo es höher galt, ein einfacher Römer als ein römischer König zu sein. – Nun, nun, wir können noch große Veränderungen erleben!«

»Ich werde es erleben, daß ich dich als einen großen Mann sehe, und damit will ich zufrieden sein,« entgegnete der jüngere Bruder, liebevoll lächelnd; »daß du ein großer Gelehrter bist, darin kommen schon jetzt alle überein: unsere Mutter weissagt dir Glück, so oft sie von unserer freundlichen Aufnahme bei den Colonna hört.«

»Die Colonna!« sagte Cola mit bitterem Lächeln, »die Colonna – die Pedanten! Die geistlosen Seelen geben sich den Anschein, als kennten sie die Vergangenheit, spielen den Herrn und zitieren das Lateinische falsch bei ihren Gelagen! Sie sehen mich gern an ihrem Tische, weil die römischen Doktoren mich gelehrt heißen, und weil die Natur mir einen kühnen Witz gab, der sie mehr ergötzt als die abgenutzten Scherze eines gemieteten Possenreißers. Ja, sie wollen mein Glück fördern – aber wie? durch eine Stelle im öffentlichen Dienst, welche eine entehrte Kasse durch noch empfindlichere Erpressungen von dem sauer erworbenen Gelde unserer verhungernden Bürger füllen würde! Wenn es auf der Welt ein gemeines Geschöpf gibt, so ist dies ein Plebejer, der durch die Patrizier erhoben wurde, nicht um seinem eigenen Stande Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern um in ihrem Interesse zu kuppeln. Er, der aus dem Volke stammt, wird zum Verräter an seiner Geburt, wenn er sich zu einem Spielzeug ihrer tyrannischen Gleißnerei hergibt, damit sie ihre Hände erheben und rufen: seht, welche Freiheit wir in Rom haben, wenn wir, die Patrizier, einen Plebejer so erheben! – Erhoben sie je einen Plebejer, wenn er die Gesinnungen eines Plebejers hatte? Nein, Bruder; sollte ich über meinen Stand erhoben werden, so soll dies auf den Armen, nicht auf dem Nacken meiner Mitbürger geschehen.«

»Ich hoffe nur, Cola, daß du in deinem Eifer für deine Mitbürger nicht vergessen wirst, wie teuer du uns bist. Keine Größe könnte mich je mit dem Gedanken aussöhnen, daß sie dir Gefahr bringe.«

»Und ich könnte jeder Gefahr lachen, wenn sie zur Größe führte. – Aber Größe – Größe! Eitler Traum! Verspüren wir ihn für den nächtlichen Schlaf. Genug von meinen Plänen; jetzt, teuerster Bruder, von den deinigen

Und der junge Cola verbannte mit der ihm eigenen zuversichtlichen und heiteren Kraft alle wilderen Gedanken und zwang seinen Geist, auf die einfacheren Pläne seines Bruders zu hören und in dieselben einzugehen; das neue Boot, das festtägliche Gewand, die an einem vor dem Ueberfalle der Adeligen sicheren Ort erbaute Hütte und solche ferneren Lieblingsgemälde, wie ein feuriges Auge und fröhliche Lippen sie in den unbestimmten Gefühlen eines angehenden Jünglings heraufbeschwören. Auf Pläne und Bestrebungen, deren Grenzen solche Gegenstände waren, horchte der Gelehrte mit minder strenger Stirn und freundlichem Lächeln; oft noch fiel ihm im späteren Leben diese Unterredung ein, wenn er bei der Frage an sein eigenes Herz, welcher Ehrgeiz der weiseste sei, zurückschrak.

»Und dann,« fuhr der jüngere Bruder fort, »möchte ich nach und nach genug zusammensparen, um ein Fahrzeug zu kaufen, wie wir hier eines sehen, unzweifelhaft beladen mit Korn und Kaufmannswaren – diese würde ich verkaufen – ach, ich würde sie mit so viel Nutzen verkaufen, daß ich dein Zimmer mit Büchern anfüllen könnte und nie mehr eine Klage hören dürfte, du seiest nicht reich genug, um ein altes, in Staub zerfallenes Mönchsmanuskript zu kaufen. Ach, das würde mich so glücklich machen!« Cola lächelte und drückte den Bruder fester an seine Brust.

»Guter Junge,« sagte er, »möge es lieber meine Aufgabe sein, für deine Wünsche zu sorgen. Aber mich dünkt, die Herren jenes Fahrzeuges sind in keinem beneidenswerten Besitze; sieh, wie ängstlich die Leute um sich blicken, vor- und rückwärts: wenn es gleich friedliche Kaufleute sind, so fürchten sie, wie es scheint, selbst in dieser Stadt, einst dem Stapelplatze der zivilisierten Welt, die Verfolgung eines Seeräubers, und ehe die Reise beendigt sein wird, mögen sie diesen Seeräuber in einem römischen Edlen finden. Wie weit sind wir zurückgekommen!«

Das erwähnte Fahrzeug glitt rasch den Fluß hinab, und drei oder vier bewaffnete Männer auf dem Verdeck beobachteten in der Tat aufmerksam die beiden Ufer, als ob sie einen Feind vermuteten. Bald war indessen die Barke aus dem Gesicht verschwunden, und die Brüder verfielen wieder auf jene Gegenstände, welche nur der Zukunft angehören dürfen, um anziehend für die Jugend zu werden.

Als endlich der Abend dunkler wurde, erinnerten sie sich, daß die gewöhnliche Stunde der Heimkehr vorüber sei, und traten den Rückweg an.

»Halt,« sagte Cola plötzlich, »wie unser Gespräch mich alles vergessen ließ! Vater Uberto versprach mir eine seltene Handschrift, die nach dem Geständnis des guten Mönches das ganze Kloster in Verlegenheit setzte. Ich sollte deshalb heute abend in seine Zelle kommen. Warte hier wenige Minuten. Es ist nur noch halbwegs auf den Aventino. Bald bin ich wieder hier.«

»Kann ich dich nicht begleiten?«

»Nein,« antwortete Cola mit ruhiger Freundlichkeit, »du hast den ganzen Tag gearbeitet und mußt müde sein; meine Anstrengungen, wenigstens die körperlichen, waren leicht genug. Du bist überdies zart und scheinst bereits erschöpft; die Ruhe wird dir wohl tun. Ich halte mich nicht auf.«

Der Knabe ließ es sich gefallen, obwohl er lieber seinen Bruder begleitet hätte; aber er war sanft und nachgiebigen Gemütes und widersprach selten dem geringsten Geheiß derer, die er liebte. Er setzte sich auf eine kleine Bank am Ufer nieder, und bald waren der feste Tritt und die hohe Gestalt seines Bruders in dem dichten Laubwerk seinen Blicken entschwunden.

Zuerst saß er ruhig, erfreute sich der kühlen Abendluft und dachte über die Geschichten des alten Rom nach, die ihm sein Bruder während des Spazierganges erzählt hatte. Endlich fiel ihm bei, daß seine jüngere Schwester, Irene, ihn gebeten, ihr einige Blumen nach Hause zu bringen; er sammelte solche, die in der Nähe wuchsen (und manche Blume blühte wild und in Mengen an diesem einsamen Orte), setzte sich wieder und fing an, sie in eines jener Gewinde zu flechten, für welche das südliche Landvolk noch immer die alte Neigung und etwas von der klassischen Geschicklichkeit bewahrt hat.

Während der Knabe so beschäftigt war, hörte man in einiger Entfernung Huftritte und laute Männerstimmen. Sie kamen näher und näher.

»Wahrscheinlich der Zug eines Edlen, der von einem Feste heimkehrt,« dachte der Knabe; »das wird ein hübscher Anblick – ihre weißen Federn und scharlachfarbenen Mäntel. Ich sehe ein solches Schauspiel gern, will ihnen aber doch aus dem Wege gehen.«

So näherte sich der junge Römer, indem er mechanisch immer an seinem Gewinde arbeitete, die Augen nach dem Orte gerichtet, von wo er den Zug erwartete, mehr und mehr dem Flusse.

Jetzt wurde der Zug sichtbar, in der Tat ein stattlicher Trupp; voran Reiter, zu zweien nebeneinander, wo es der Weg erlaubte; ihre Pferde trugen sehr schöne Decken, ihre Federn wehten lustig, und der Glanz ihrer Bruststücke schimmerte durch die Schatten des dämmernden Zwielichtes. Ein großer, bunter Haufen, alle bewaffnet – die einen mit Pike und Panzer, andere mit weniger kriegerischen oder zeitgemäßen Kampfwerkzeugen – folgte den Reitern, und hoch über Federn und Piken wallte das blutrote Banner der Orsini mit in glänzendem Golde gesticktem Wahlspruch und Devise, worin mit Pracht das guelphische Abzeichen und die Schlüssel des heiligen Petrus dargestellt waren. Eine augenblickliche Furcht befiel das Gemüt des Knaben, denn in dieser Stadt schien zu jener Zeit ein von Kriegern umgebener Edler den Plebejern fürchterlicher als ein wildes Tier; aber zur Flucht war es bereits zu spät – der Zug war beinahe an ihn herangekommen.

»He, Knabe!« rief der Anführer der Reiter, Martino di Porto, ein Anhänger des mächtigen Hauses der Orsini; »hast du ein Boot auf dem Flusse gesehen? – Doch, du mußt es gesehen haben – wie lange ist es her?«

»Ich sah ein großes Boot vor etwa einer halben Stunde,« erwiderte der Knabe, durch die rauhe Stimme und das herrische Benehmen des Ritters erschreckt.

»Gerade vorwärts segelnd, mit grüner Flagge an dem Steuer?«

»Dasselbe, edler Herr.«

»Vorwärts denn! eh' der Mond aufgeht, wollen wir ihrem Laufe Einhalt tun,« sagte der Anführer. »Vorwärts! – nehmt den Knaben mit, damit er nicht zum Verräter werde und die Colonna alarmiere.«

»Orsini, Orsini!« schrie der Haufe; »vorwärts, vorwärts!« und ungeachtet seiner Bitte und Vorstellungen wurde der Knabe in die Mitte genommen und atemlos, beinahe unter Tränen fortgeschleppt, während das arme, kleine Gewinde noch immer an seinem Arme hing und ihm eine Schleuder in die widerstrebende Hand gedrückt wurde. Trotz seiner inneren Unruhe fühlte er noch immer eine kindliche Neugierde, den Ausgang der Verfolgung anzusehen.

Aus der lauten und heftigen Unterhaltung seiner Umgebung erfuhr er, daß das Boot, das er gesehen, Proviant für eine oben an dem Flusse von den Colonna besetzte Feste enthalte, welche damals in tödlicher Fehde mit den Orsini lagen, und Zweck des Unternehmens, in das der Knabe auf so unglückliche Weise geraten, war, die Zufuhr abzufangen und sie für die Mannschaft von Martino di Porto zu verwenden. Diese Nachricht vermehrte seine Bestürzung einigermaßen, denn der Knabe gehörte einer Familie an, welche unter dem Schutze der Colonna stand.

Aengstlich blickte er unter Tränen alle Augenblicke nach dem sich an dem Aventino emporziehenden Pfade; aber noch immer erschien sein Beschützer, sein Beschirmer nicht.

Sie waren eine Strecke weitergekommen, als plötzlich eine Straßenbiegung ihnen den Gegenstand ihrer Verfolgung zeigte, wie er bei dem Lichte der ersten Sterne rasch auf dem Strome dahinglitt.

»Jetzt seien die Heiligen gesegnet,« rief der Anführer; »sie ist unser!«

»Halt!« flüsterte ein deutscher Hauptmann, indem er zu Martino heranritt; ich höre bei den Bäumen da unten Töne, die ich nicht liebe – horch! das Wiehern eines Pferdes! – bei meiner Ehre, dazu noch der Schimmer eines Panzers.«

»Eilen wir, meine Herren,« rief Martino; »der Reiher soll dem Adler nichts anhaben – treibt die Pferde an!«

Unter fortwährendem Geschrei drängten die Leute zu Fuß vorwärts, bis, als sie beinahe das von dem Deutschen bezeichnete Buschholz erreicht hatten, eine kleine, dichte, von Kopf bis zu Fuß bewaffnete Reiterschar unter den Bäumen hervorstürzte und mit eingelegter Lanze die Reihen der Verfolger angriff.

»Colonna! Colonna – Orsini, Orsini!« tönte es laut und ungestüm von beiden Seiten. Martino di Porto, ein Mann, von kräftigem Körperbau und durch seine Wildheit ausgezeichnet, hielt mit seinen, hauptsächlich aus deutschen Söldlingen bestehenden Reitern den Angriff, ohne zu wanken, aus. »Nehmt euch vor den Griffen des Bären in acht,« rief der Orsini, als sein Gegner, Roß und Reiter, vor seiner Lanze zurückwich.

Der Kampf war kurz und hitzig, die vollständige Rüstung der Reiter auf beiden Seiten schützte dieselben vor Wunden – nicht so unverletzt kamen die halbbepanzerten Fußgänger der Orsini durch, wie sie, hart aufeinander drängend, gegen die Colonna anrückten. Nach einem Hagel von Steinen und Wurfpfeilen, die wirklich nur wie Hagelkörner auf die dicken Panzer der Reiter fielen, schlossen sie ihre Reihen und hemmten durch ihre Zahl den Lauf der Pferde, während Speer, Schwert und Streitaxt ihrer Gegner eine unbarmherzige Verheerung in der nicht an Zucht und Ordnung gewöhnten Schar anrichteten. Und Martino, der sich wenig darum bekümmerte, wie viele von diesem niedrigen Pöbel gemordet wurden, gab, als er seinen Feind durch das ungestüme Drängen und den sich bildenden Kreis seines Fußvolkes in die Enge getrieben sah (denn der Kampfplatz war, obwohl breiter als die Straße, doch beschränkt enge), einigen seiner Reiter ein Zeichen, und war eben im Begriff, auf das jetzt beinahe dem Auge entschwundene kleine Fahrzeug zuzuschreiten, als ferner Hörnerschall durch einen der in der Nähe befindlichen Feinde beantwortet wurde und das Geschrei: »Colonna zu Hilfe!« aus der Ferne wiedertönte. In wenigen Augenblicken sah man einen zahlreichen Reitertrupp in vollem Galopp, mit dem stattlich wehenden Banner der Colonna an der Spitze.

»Daß diese Zauberer die Pest bekommen! wer hätte gedacht, daß sie uns so schlau geahnt haben!« murmelte Martino; »wir sind dieser Ueberlegenheit nicht gewachsen!« und die Hand, welche vorher zum Angriff Befehl erteilt, gab jetzt das Zeichen zum Rückzuge.

Fest geschlossen wandten sich Martinos Reiter in der größten Ordnung zur Flucht; der zu Fuße gehende Volkshaufen, welcher der Beute wegen gekommen war, blieb jetzt zurück, um sich niedermetzeln zu lassen. Sie versuchten es, dem Beispiel ihrer Führer zu folgen, wie hätten sie aber alle den fliegenden Schlachtrossen und den scharfen Lanzen ihrer Gegner entkommen wollen, deren Blut durch den Kampf erhitzt war und welche die in ihrer Gewalt befindlichen Leben ansahen, wie ein Knabe das Wespennest, das er zerstört. Die Menge zerstreute sich nach allen Richtungen – Einige entkamen wirklich auf die Hügel, wo die Pferde keinen festen Fuß fassen konnten – andere stürzten sich in den Fluß und schwammen an das entgegengesetzte Ufer – die weniger Erfahrenen, welche geradeaus flohen, erleichterten dadurch, daß sie dem Feinde den Weg verstopften, ihren Anführern die Flucht, fielen aber selbst Leiche auf Leiche, niedergemetzelt von den grausamen und unwiderstehlichen Verfolgern.

»Keine Gnade den Räubern – jeder erschlagene Orsini ist ein Räuber weniger – kämpfet für Gott, den Kaiser und die Colonna!« Dieses und ähnliches Geschrei hörten die entmutigten und fallenden Flüchtlinge gleich einer Totenglocke. Unter denen, welche gerade auf dem den Reitern am meisten zugänglichen Wege flohen, war Colas jüngerer, so unschuldigerweise zu dem Streit gekommener Bruder. Eilig floh er, schwindelig vor Schrecken – armer Knabe, der vorher kaum von der Seite der Eltern oder des Bruders gekommen war! die Bäume schwanden an ihm vorüber – die Ufer wichen zurück – fort stürzte er, und hart hinter ihm tönten die Hufschläge – das Geschrei – das Fluchen – das rohe Gelächter des über Tote und Sterbende hinjagenden Feindes. Jetzt war er an der Stelle, wo sein Bruder ihn verlassen hatte; eilig blickte er rückwärts und sah, wie des Reiters eingelegte Lanze und starrender Helmschmuck ihn beinahe erreichte; verzweifelnd blickte er auf, und siehe da! sein Bruder trat aus dem blühenden Farngesträuch, mit dem die Anhöhe bewachsen war, und eilte ihm zu Hilfe.

»Rette mich, rette mich, Bruder!« schrie er laut, und der Ton drang zu Colas Ohr; – das Schnauben der hitzigen Rosse fühlte er heiß; – einen Augenblick später fiel er mit dem wilden Schrei: »Gnade, Gnade!« zu Boden – eine Leiche; die Lanze des Verfolgers war vom Rücken bis zur Brust durch und durch gedrungen und spießte ihn gerade an den Rasen, auf dem er voll Jugendblüte und sorgloser Hoffnung noch vor nicht ganz einer Stunde gesessen hatte.

Der Reiter zog seinen Speer heraus und eilte, seinen Gefährten folgend, fort nach neuen Opfern. Cola war herangekommen, – war an der Stelle – kniete neben dem gemordeten Bruder. Unter Hörner- und Trompetenklang kam jetzt eine vornehmere Gruppe, als die eben beschriebene, näher, welche auch wirklich nur der Vortrab der Colonna gewesen war. An ihrer Spitze ritt ein bejahrter Mann, dessen lange, weiße Haare unter dem mit Federn geschmückten Helm hervorguckten und sich mit dem ehrwürdigen Barte vermengten. »Was ist das?« fragte der Anführer, indem er sein Pferd anhielt, »was ist geschehen, junger Rienzi?«

Der Jüngling blickte in die Höhe, als er diese Stimme hörte, und warf sich dann vor das Pferd des alten Nobile, rang die Hände und rief in kaum verständlichen Tönen aus: »Es ist mein Bruder, edler Stephan, – ein Knabe, ein reines Kind! – das beste – das sanfteste! Seht, wie sein Blut sich mit dem Grase mischt; – zurück, zurück – die Hufe eurer Pferde treten in des Blutes Strom! Gerechtigkeit, o Herr, Gerechtigkeit! – Ihr seid ein mächtiger Mann!«

»Wer erschlug ihn? Ein Orsini ohne Zweifel; es soll Gerechtigkeit dir werden.«

»Dank, tausend Dank,« murmelte Rienzi, wankte wieder zu seinem Bruder, hob das Antlitz von dem Grase auf und wollte die Schläge seines Herzens fühlen; eilig zog er seine Hand zurück, denn sie war blutrot, hob sie in die Höhe und rief laut: »Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!«

Die um den alten Stephan Colonna versammelte Gruppe wurde, obwohl an solche Auftritte gewöhnt, von dem Anblick ergriffen. Ein hübscher Knabe, dem dicke Tränen über die Wangen rollten, und der heute neben Colonna ritt, zog sein Schwert: »Herr,« sagte er halb schluchzend, »nur ein Orsini kann ein so unschuldiges Wesen morden; lasset uns keinen Augenblick verlieren – eilen wir den Schurken nach!«

»Nein, Adrian, nein,« erwiderte Stephan, indem er die Hand auf des Knaben Schulter legte, »dein Eifer ist lobenswert, aber wir müssen uns vor einem Hinterhalte hüten. Unsere Leute haben sich zu weit gewagt. – Heda! – blaset zum Rückzug!«

In wenigen Minuten brachten die Hörner die Verfolger zurück, – unter ihnen den Reiter, dessen Lanze einen so verhängnisvollen Stoß geführt hatte. Er war der Anführer derer, welche mit Martina di Porto im Kampfe lagen, und das aus seine Rüstung gepreßte Gold sowie die Verzierungen seines Schlachtrosses ließen seinen Rang vermuten.

»Dank, mein Sohn, Dank,« sagte der alte Colonna zu diesem Ritter, »du hast dich gut und tapfer gehalten. Aber sage mir, wenn du es weißt, denn du hast ein Adlerauge, welcher von den Orsini erschlug diesen armen Knaben? – schändliche Tat; seine Familie steht überdies unter unserem Schutze!«

»Wen? Jenen Knaben?« erwiderte der Reiter und nahm den Helm vom Kopfe, um sich die heiße Stirn zu wischen; »saget Ihr so? Wie kam er denn zu Martinos Schurken? Ich fürchte, der Irrtum kam ihm teuer zu stehen. Ich konnte nur Orsinisches Gesindel in ihm vermuten, und so – und so –«

»Ihr erschluget ihn!« rief Rienzi mit einer Donnerstimme und stand vom Boden auf. »Nun denn, Gerechtigkeit! Stephan, mein Gebieter, Gerechtigkeit! Ihr habt sie mir versprochen, und ich fordere sie!«

»Mein armer Jüngling,« sagte der alte Mann mitleidig, »gegen die Orsini habe ich dir Rache versprochen; siehst du aber nicht, daß hier ein Irrtum obgewaltet? Ich wundere mich nicht, daß dein Kummer zu groß ist, als daß du jetzt der Vernunft Gehör geben könntest. Wir müssen diese Sache für dich ausmachen.«

»Und lasset hierfür Messen für des Knaben Seele lesen; der Unfall geht mir sehr nahe,« sagte der jüngere Colonna, indem er eine Goldbörse hinwarf. »Kommt nächste Woche zu uns in den Palast, junger Cola – nächste Woche. Mein Vater, es wäre wohl am besten, wir kehren zu dem Boote jetzt zurück: vielleicht sind wir zu deinem Schutze nötig.«

»Gewiß, Gianni; einige von euch bleiben zurück, um für die Leiche des armen Kindes zu sorgen: – ein schmerzlicher Zufall! Wie konnte es geschehen?«

Der Trupp ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war: außer Adrian blieben nur zwei gemeine Soldaten da; der erstere wartete noch einige Augenblicke und versuchte Rienzi zu trösten, der, als wäre er seiner Sinne beraubt, bewegungslos dastand, dem stattlichen Zuge, während er dahinritt, nachsah und in sich hineinmurmelte: »Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! sie muß mir dennoch werden.«

Den weinenden widerstrebenden Adrian rief die laute Stimme des älteren Colonna hinweg. »Laß mich dir Bruder sein,« sagte der wackere Junge, indem er leidenschaftlich die Hand des Schülers an sein Herz drückte; »ich habe einen Bruder wie dich nötig.«

Rienzi gab keine Antwort; er gab nicht auf ihn acht und hörte ihn nicht – trübe und ernste Gedanken, Gedanken, in welchen der Keim zu einer mächtigen Umwälzung lag, beschäftigten sein Inneres. Mit einem Schauder wachte er aus demselben auf, während die Soldaten nun ihre Schilde zusammenfügten, um eine Art Bahre daraus für den Leichnam zu machen, brach dann in Tränen aus, als er hastig sie aufbrechen ließ, und drückte den Toten an seine Brust, bis er buchstäblich von dem strömenden Blute durchdrungen war.

Der Blumenkranz des armen Kindes hatte selbst beim Fallen sich nicht von seinem Arme losgemacht und hing, in sein Gewand verwickelt, noch immer an ihm. Dieser Anblick rief in Cola all die Zärtlichkeit, das gütige Herz und die gewinnende Anmut seines teuren Bruders – seines einzigen Freundes zurück! Er schien das vorzeitige und unverdiente Schicksal des unschuldigen Knaben noch unmenschlicher zu machen. »Mein Bruder! mein Bruder!« seufzte der Ueberlebende, »wie soll ich vor unsere Mutter treten? – wie ohne dich Nacht und Einsamkeit ertragen? – so jung, so unschuldig! Seht, ihr Männer, er war nur zu sanft. Und sie wollen uns nun Gerechtigkeit verweigern, weil sein Mörder ein Edler und ein Colonna ist. Und auch noch dieses Gold – Gold für das Blut eines Bruders! Wollen sie« – und die Augen des jungen Mannes funkelten wie Feuer – »wollen sie uns keine Gerechtigkeit verschaffen? Die Zeit wird es lehren!« Während er so sprach, beugte er sein Haupt über die Leiche, seine Lippen bewegten sich wie im Gebet, und sein Antlitz war blaß wie der Tote neben ihm – nicht aber war es mehr der Kummer, der diese Blässe verursachte!

Als ein umgeschaffenes Wesen erhob sich Cola von dem blutenden Körper und dem innerlichen Gebet. Mit seinem jüngeren Bruder erstarb seine eigene Jugend. Ohne dieses Ereignis wäre der zukünftige Befreier Roms vielleicht nur ein Träumer, ein Gelehrter, ein Dichter – der friedliche Nebenbuhler Petrarcas, ein Mann voll Gedanken, nicht voll Taten geblieben. Von diesem Moment an vereinigten sich dagegen alle seine Gaben, seine Tätigkeit, seine Gedanken, die Richtung seines Geistes in einem einzigen Punkt. Vaterlandsliebe, bis jetzt nur ein Traumbild, mischte sich in die lebendige und kräftige, beständig entflammte, standhaft verhärtete und durch Pietät geheiligte Leidenschaft – aus Rache!

Zweites Kapitel.
Ein historischer Ueberblick – nur von denjenigen zu überschlagen, welchen nichts daran liegt, ob sie verstehen, was sie lesen.

Jahre waren vergangen und der Tod des jungen Römers war über weniger zu entschuldigenden Morden bald vergessen – vergessen beinahe von den Eltern des Erschlagenen über dem zunehmenden Rufe und dem Glücke des älteren Sohnes – niemals weder vergessen noch vergeben von diesem Sohne selbst. Aber zwischen diesem blutigen Eingange und dem darauf folgenden politischen Drama – zwischen dem unbestimmten Interesse eines Traumes und den geschäftigeren, tätigeren und dauernden Aufregungen eines ernsteren Lebens ist es wohl nicht am unrechten Platze, dem Leser eine kurze Uebersicht von dem Zustande und den Verhältnissen der Stadt, in welche die Hauptereignisse dieser Geschichte fallen, zu geben – einen Ueberblick, der zu dem vollständigen Verständnis der Beweggründe der handelnden Personen und der vielfachen Verwickelungen des Knotens für viele vielleicht notwendig ist.

Ungeachtet der Menge von verschiedenen Volksstämmen, die gezwungen ihren Wohnsitz in der Hauptstadt der Cäsaren aufgeschlagen, hatte die Bevölkerung Roms doch einen überschwenglichen Begriff von ihrer Obergewalt über die übrige Welt beibehalten; sie war der ehernen Tugenden der Republik entartet, besaß aber immer noch das trotzige, halsstarrige Ungestüm, das von dem Plebs des alten Forums unzertrennliche Attribut. Unter diesem wilden, aber durchaus nicht tapferen Pöbel behaupteten sich die Vornehmen weniger als scharfsinnige Tyrannen, denn als unbarmherzige Banditen. Vergebens hatten die Päpste gegen diese unbiegsamen, strengen Patrizier angekämpft. Ihre Würde wurde verlacht, ihren Befehlen Trotz geboten, sie selbst öffentlich beschimpft, und die Päpste, welche das ganze übrige Europa im Zuge hielten, wohnten als Gefangene im Vatikan, wo sie sich fortwährend bedroht sahen. Achtunddreißig Jahre vor den Ereignissen, welche zu schildern ich im Begriffe stehe, hatte ein Franzose, unter dem Namen Clemens V., den Stuhl des heiligen Petrus bestiegen, und der neue Papst vertauschte, mehr aus Klugheit als Tapferkeit, den Aufenthalt in Rom mit dem ruhigen Avignon; so wurde die üppige Stadt einer ausländischen Provinz der Hof des römischen Papstes und der Thron der christlichen Kirche.

Somit selbst von den Banden, welche die Anwesenheit des Papstes dem Namen nach ihr auferlegte, befreit, hatte die Macht der Edlen, außer ihren eigenen Launen oder der gegenseitigen Eifersucht und Befehdung, eigentlich keine Grenzen mehr. Obgleich sie durch märchenhafte Stammregister ihren Ursprung von den alten Römern abzuleiten sich anmaßten, waren sie dem größten Teile nach doch wirklich die Söhne der kühnen nordischen Barbaren, und mehr durch italienische List befleckt als von dem Vaterlande zugetanen Gesinnungen erfüllt – bewahrten sie die Verachtung ihrer fremden Vorfahren einem eroberten Lande und einem entarteten Volke. Während das übrige Italien, besonders Florenz, Venedig und Mailand, sich in Zivilisation und Kunst immer mehr den anderen Staaten Europas näherte, schienen die Römer eher rückwärts als vorwärts zu schreiten – ohne gute Gesetze, ohne Industriefleiß, dem ritterlichen Auftreten eines kriegerischen wie den Tugenden eines friedlichen Volkes fremd, wohnte in ihnen noch immer Sinn und Verlangen nach Freiheit, und noch immer suchten sie durch wilde Paroxismen und verzweifelte Kämpfe für Rom den Namen »Hauptstadt der Welt« zu behaupten. Während der beiden letzten Jahrhunderte hatten sie mehrere Umwälzungen erfahren, kurz, oft blutig, aber immer ohne Erfolg. Noch immer schwebte ihnen das leere Trugbild einer Volksherrschaft vor. Die dreizehn Stadtteile ernannten je ihr Oberhaupt, und die Versammlungen dieser obrigkeitlichen Personen, welche man Caporioni nannte, besaßen in der Theorie ein Ansehen, das sie nie weder den Mut noch die Kraft hatten, geltend zu machen. Noch hörte man den stolzen Namen Senator; aber zu jener Zeit war dieses Amt zwei oder drei Männern übertragen, welche bisweilen von dem Papste, bisweilen von den Adeligen gewählt wurden. Das an den Namen sich knüpfende Ansehen schien keine bestimmten Grenzen zu haben; es war eine oberste Diktatur oder ein lässiges Puppenspiel, je nachdem der jeweilige Machtinhaber die Kraft hatte, die angenommene Würde zu behaupten. Nur dem Adel wurde diese verliehen, und nur von Adeligen wurden alle Gewalttätigkeiten verübt. Wenn je öffentliche Rechtspflege stattfand, so wurden Privatfeindschaften verhandelt, und Herstellung der nötigen Ordnung war nichts anderes als Vollziehung von Racheplänen.

Indem sie ihre Paläste zu fürstlichen Schlössern und Festungen machten, jeder seine Unabhängigkeit von Obrigkeit und Gesetz dartat, Festungen anlegte und Vorrechte auf dem angestammten Boden der Kirche ansprach, sicherte der römische Adel seine Stellung und machte sich noch verhaßter dadurch, daß er fremde Kriegsvölker, hauptsächlich Deutsche, in Sold nahm – sie waren besser geordnete, im Dienst disziplinierter und in Führung der Waffen geschickter als der freieste Italiener jener Zeit; so vereinigten sie in sich richterliche und militärische Gewalt nicht zum Schutze, aber zum Verderben Roms. Zu den mächtigsten unter diesen Adeligen gehörten die Orsini und die Colonna; ohne Unterlaß dauerten die sich vererbenden Fehden, und jeder Tag war Zeuge von den Ergebnissen ihrer gesetzlosen Zwiste durch Blutvergießen, Entführungen und Feuersbrünste. Schmeichelei oder Zuneigung des Petrarca, welchem nur zu leicht von den neueren Geschichtschreibern geglaubt wurde, legt den Colonna, namentlich zu der Zeit, von der wir sprechen, eine Anmut und eine Würde bei, die ihnen nicht eigen war. Gewalttaten, Betrug, Mord, schmutzige Habsucht bei für sich in Anspruch genommenen öffentlichen Aemtern, übermütige Bedrückung ihrer Mitbürger und feige Kriecherei gegen Mächtigere, mit nur wenigen Ausnahmen, bilden Hauptcharakterzüge der ersten Familie Roms. Aber reicher als der übrige Adel, waren sie üppiger und vielleicht auch verständiger; ihrem Stolze wurde dadurch noch geschmeichelt, daß sie Beschützer von Künsten waren, in welchen sie selbst nie eine Fertigkeit erlangen konnten. Von diesen zahllosen Unterdrückern wandten sich die römischen Bürger mit heftigem und ungeduldigem Bedauern zu der unbestimmten und dunklen Vorstellung von einstiger Freiheit und Größe. Sie vermischten die Zeiten des Kaiserreichs mit denen der Republik und betrachteten den teutonischen König, der jenseits der Alpen erwählt wurde, den Kaisertitel aber von den Römern annahm, als einen Abtrünnigen von der ihm anvertrauten gesetzlichen Gewalt und seiner rechtmäßigen Heimat, in dem irrigen Wahn, daß, wenn Kaiser und Papst ihren Wohnsitz in Rom nähmen, Freiheit und Recht wieder ihren natürlichen Schutz unter der wiederauflebenden Oberherrschaft des römischen Volkes suchen würden.

Die Abwesenheit des Papstes und des päpstlichen Hofes trug viel zur Verarmung der Bürger bei, und sie hatten offenbar noch mehr von den Plünderungen der zahlreichen schonungslosen Räuberhorden zu dulden, welche die Romagna überschwemmten, alle öffentlichen Straßen versperrten und bisweilen insgeheim, bisweilen offen, von dem Adel in Schutz genommen wurden, der häufig seine Banditengarnisonen aus ihnen rekrutierte.

Aber außer den geringeren und gemeineren Plünderungen war in Italien eine noch weit furchtbarere Klasse von Freibeutern aufgestanden. Ein Deutscher, der sich den stolzen Titel eines Herzogs Werner beilegte, hatte wenige Jahre vor dem Zeitpunkte, dem wir nahe stehen, unter dem Titel »die große Compagnie« eine beträchtliche Macht angeworben und organisiert, mit der er ohne einen anderen Zweck als den schamloser Plünderung, Städte belagerte und Staaten verheerte. Bald fand sein Beispiel Nachahmung; zahllose, auf ähnliche Weise errichtete »Compagnien« durchzogen plündernd nach allen Richtungen das Land. Plötzlich erschienen sie, wie hervorgezaubert, vor den Mauern einer Stadt und verlangten gegen Zusicherung des Friedens ungeheure Summen. Weder Tyrannen noch Freistaaten waren stark genug, um ihnen Widerstand zu leisten, und wenn man andere nordische Söldlinge gegen sie aufbot, so war dies nur, um die Fahnen der Freibeuter durch Ausreißer zu verstärken. Söldner focht nicht gegen Söldner, der Deutsche nicht gegen den Deutschen; größerer Lohn und erlaubte Plünderung verlieh den Zelten der »Compagnien« einen weit größeren Reiz als der geregelte Sold einer Stadt oder die schwerfällige Festung und die verarmten Kassen eines Oberhauptes.

Werner, der unversöhnlichste und wildeste von diesen Abenteurern, der in seiner Verworfenheit so weit gegangen war, daß er auf seiner Brust eine Silberplatte mit der Inschrift trug: »Feind Gottes, des Mitleids und der Gnade!« hatte vor nicht langer Zeit die Romagna mit Feuer und Schwert heimgesucht. Aber entweder durch Geldrücksichten bestimmt, oder nicht imstande, die kühnen Räuber, die er auf die Beine gebracht, zu beherrschen, führte er in der Folge den Kern seiner Truppen nach Deutschland zurück. Gleichwohl blieben noch kleine im ganzen Lande zerstreute Abteilungen, die nur auf einen geschickten Führer warteten, der sie wieder vereinigte; unter denen, welche zu diesem Geschäfte am geeignetsten schienen, war Walter von Montreal, ein Ritter des heiligen Johannes und Edelmann aus der Provence, dessen Tapferkeit und militärischer Geist trotz seiner Jugend seinen Namen bereits fürchterlich berühmt gemacht hatten; sein Ehrgeiz, seine Erfahrung und sein durch einige ritterliche und edle Eigenschaften unterstützter Scharfsinn waren zu noch größeren und wichtigeren Unternehmungen fähig, als die gewaltsamen Plünderungen des abscheulichen Werner. Kein Staat hatte von dieser Geißel empfindlicher zu leiden als Rom. Die Erbgüter des Papstes, die ihm zum Teil von kleineren Tyrannen entrissen waren, zum Teil durch dieses fremde Raubgesindel verheert dalagen, lieferten nur einen spärlichen Zuschuß für die Bedürfnisse Clemens VI., des vollendetsten Edelmannes und raffiniertesten Wollüstlings seines Zeitalters; dieser gute Vater hatte einen Plan entworfen, durch welchen er die Römer und ihren Papst auf einmal zu bereichern gedachte.

Beinahe fünfzig Jahre vor der Zeit, von welcher wir sprechen, hatte Bonifazius VIII., um die päpstlichen Truhen zu füllen und die verhungernden Römer zufrieden zu stellen, das Jubelfest oder das heilige Jahr eingesetzt, der Tat nach ein Wiederaufleben der heidnischen Zeremonien. Jedem Katholiken, der in diesem und jedem ersten der folgenden Jahrhunderte die St. Peter- und St. Paulskirchen besuchte, wurde vollkommener Ablaß zugesagt. Ein ungeheures Zusammenströmen von Pilgern aus allen Teilen der Christenheit sprach für die Klugheit des Gedankens; und zwei Pfaffen standen Tag und Nacht mit Rechen in der Hand da, um, ohne sie zu zählen, die Haufen von Gold und Silber zu sammeln, die dem Altar des heiligen Paul zuflossen. Gibbon, Band XII, Kap. 59.

Man darf sich nicht wundern, daß dieses einträgliche Fest, ehe das nächste Jahrhundert nur halb verstrichen war, einem verständigen Papste als zu weit hinausgeschoben erschien. Beide, Papst und Stadt, stimmten in der Ansicht überein, dasselbe sollte in kürzerer Zeit eine Wiederholung erfahren. Demzufolge hatte Clemens VI. im Jahre 1350, nämlich drei Jahre später, als in dem nächsten Kapitel meine Erzählung beginnen wird, unter dem Namen Jubelfest Mosis ein zweites heiliges Jahr verkündet. Dieser Umstand erregte großes Aergernis unter dem Volke gegen den Adel und bereitete die Ereignisse vor, die ich berichten werde; denn die Straßen waren, wie schon oben gesagt, durch Banditen unsicher gemacht, die Werkzeuge oder Verbündeten der Adeligen. Wurden die Straßen nicht gesäubert, so durfte man keine Reisenden erwarten. Es war die Aufgabe des Stellvertreters des Papstes, Raimund, Bischof von Orvieto – eines schlechten Politikers, aber guten Kirchengelehrten – schlechterdings alle Hindernisse zwischen den Opfern der Frömmigkeit und dem Schatze des heiligen Peter aus dem Wege zu räumen.

Dies war, um kurz zu sein, der Zustand Roms zu der Zeit, die wir zu schildern im Begriffe stehen. In Italiens und Europas Augen hatte sein Ruf noch nicht gelitten. Dem Namen nach war es wenigstens immer noch die Königin der Erde; aus seinen Händen empfingen die nordischen Herrscher ihre Krone und der Vater der Kirche die Schlüssel. Seine Lage bot dem kühnen Ehrgeiz einen großen glänzenden Triumph – einen begeisternden, wenn auch traurigen Anblick dem zum Grabe wankenden Patriotismus – und eine geeignete Schaubühne für die erhabenere Tragödie, die unter den Wechselfällen und Freveln der Nationen ihre Zwischenhandlungen sucht, ihre handelnden Personen wählt und ihre Nutzanwendung bildet.

Drittes Kapitel.
Der Aufstand.

An einem Aprilabende des Jahres 1347 war auf einem der geräumigen Plätze, wo das neue wie das alte Rom vermengt schien – gleich verlassen und gleich zertrümmert – ein sehr gemischter, unwilliger Volkshaufe versammelt. Am Morgen desselben Tages waren die Söldlinge des Martino di Porto mit Gewalt in das Haus eines römischen Juweliers gedrungen und hatten dasselbe mit einer kühnen Frechheit geplündert, die sogar die gewöhnliche Unverschämtheit der Adeligen überstieg. Tief und von schlimmer Vorbedeutung war das Mitgefühl und die Entrüstung in der ganzen Stadt.

»Nie werde ich mich diesen Gewalttätigkeiten fügen!«

»Ich auch nicht!«

»Ich auch nicht!«

»Nein, bei den Gebeinen des heiligen Petrus, ich tue es nicht!«

»Und worin, meine Freunde, bestehen die Gewalttätigkeiten, denen ihr euch nicht fügen wollt?« fragte ein junger Edelmann, indem er sich an die Schar von Bürgern wendete, die erhitzt, zornig, halb bewaffnet und mit den heftigen Gebärden italienischer Leidenschaft jetzt die lange, enge Straße hinabzogen, welche nach dem düsteren, von den Orsini behaupteten Stadtviertel führte.

»Ach, gnädiger Herr!« schrieen zwei oder drei Bürger zugleich, »Sie werden uns in unserem Rechte schützen – werden uns Gerechtigkeit widerfahren lassen – Sie sind ein Colonna.«

»Ha, ha, ha!« lachte verächtlich ein Mann von riesenhafter Gestalt, mit einem ungeheuren Hammer auf der Schulter, der sein Gewerbe erraten ließ. »Gerechtigkeit und Colonna! Gott's Tod! Diese Namen findet man nicht häufig beisammen.«

»Nieder mit ihm! nieder mit ihm! er ist ein Orsini – nieder mit ihm!« schrien wenigstens zehn in dem Gedränge; aber keine Hand erhob sich gegen den Riesen.

»Er spricht die Wahrheit,« sagte eine zweite Stimme fest.

»Ja, das tut er,« nahm ein dritter das Wort, indem er die Stirn runzelte und sein Schwert entblößte, »und wir stehen dafür ein. Die Orsini sind Tyrannen – und die Colonna sind im besten Falle ebenso schlimm.«

»Du bist ein frecher Lügner, Schurke!« schrie der junge Edelmann, der sich vorwärts drängte und demjenigen sich gegenüber stellte, der zuletzt die Colonna geschmäht hatte.

Vor dem blitzenden Auge und der drohenden Gebärde des Kavaliers trat der würdige Schreier einige Schritte zurück, so daß ein wenig Raum zwischen der hohen Gestalt des Schmiedes und der kleineren, schlanken aber kräftigen Figur des jungen Nobile blieb.

Von ihrer Geburt an lernten Roms Patrizier den Mut eines Plebejers verachten, kümmerten sich auch wenig um den eigenen Namen und waren schon an die rohe Gemeinschaft dieser Schreier gewöhnt; auch war es nicht selten, daß das bloße Erscheinen eines Adeligen hinreichte, um ganze Haufen zu zerstreuen, die den Augenblick zuvor seinem Stande und seinem Hause Rache geschworen hatten.

Der junge Adrian di Castello, ein entfernter Verwandter der Colonna, winkte daher dem Schmiede mit der Hand und befahl ihm stolz, völlig gleichgiltig gegen die geschwenkte Waffe oder die ungeheure Leibesgröße, Platz zu machen.

»Geht nach Hause, Freunde! und wisset,« fügte er mit Würde hinzu, »daß ihr uns sehr unrecht tut, wenn ihr glaubt, wir hätten teil an den Uebeltaten der Orsini oder wir befriedigten nur unsere eigenen Leidenschaften im Kampfe zwischen jenem Hause und dem unserigen. Möge die heilige Mutter mich so richten,« fuhr er mit andächtig erhobenen Augen fort, »wie ich jetzt der Wahrheit gemäß erkläre, daß ich nur wegen der euch, wegen der Rom gewordenen Unbilden dieses Schwert gegen die Orsini gezogen habe.«

»So sprechen alle Tyrannen,« erwiderte keck der Schmied, während er seinen Hammer gegen den Trümmer eines Steines – ein Ueberbleibsel vom alten Rom – stemmte, »sie kämpfen nie gegeneinander, es wäre denn zu unserem Heile! Schneidet ein Colonna Orsinis Bäcker den Hals ab – so ist es zu unserem Heile! Entführt ein anderer Colonna die Tochter von Orsinis Schneider – so geschieht auch dies zu unserem Besten! zu unserem Besten – ja, zum Besten des Volkes! – des Bäckers und des Schneiders, he?«

»Gesetzt,« sagte der junge Edelmann mit Nachdruck »ein Colonna hätte dies getan, so hatte er sehr unrecht; aber die heiligste Sache kann schlimme Verteidiger haben.«

»Ja, die heilige Kirche selbst stützt sich auf sehr mittelmäßige Säulen,« erwiderte der Schmied in roher Anspielung auf die Zuneigung des Papstes gegen die Colonna.

»Er lästert! der Schmied lästert!« schrien die Anhänger dieses mächtigen Hauses. »Colonna! Colonna!«

»Orsini! Orsini!« wurde beinahe zu gleicher Zeit von der anderen Partei geschrien.

» Das Volk!« schrie der Schmied und schwenkte seine Waffe hoch über den Köpfen der Menge.

In einem Augenblick teilte sich der ganze Haufen, der zuerst nur des Angriffs eines einzigen Mannes wegen sich versammelt hatte, durch die vererbte Parteiwut. Bei dem Rufe Orsini eilten neue Anhänger herbei; die Freunde der Colonna stellten sich auf die eine Seite – die Verteidiger der Orsini auf die andere – und die wenigen, welche mit dem Schmiede übereinstimmten, daß beide Parteien gleichen Haß verdienten, und daß bei einer Gärung im Volke einzig und allein das Volk ein Recht habe, seine Stimme zu erheben, hätten sich von der bevorstehenden Schlägerei zurückgezogen, wenn nicht der Schmied, der bei ihnen für eine Autorität von bedeutendem Einflusse galt – sei es aus Groll gegen das stolze Benehmen des jungen Colonna, oder aus jenen bei Menschen von kräftigem Körperbau, der ihnen bei allen Schlägereien das erhabene Vergnügen der Ueberlegenheit gewährt, nicht ungewöhnlichen Begierde nach einem Kampfe – wenn nicht, sage ich, der Schmied nach kurzer Unentschlossenheit sich zu den Orsini gestellt und durch sein Beispiel seine Freunde den Anhängern dieser Partei zugeführt hätte.

Bei Volksaufständen wird jeder mit dem Haufen, oft halb gegen seine Billigung oder seinen Willen, fortgerissen. Die wenigen Worte des Friedens, mit denen Adrian di Castello eine Anrede an seine Freunde begonnen hatte, wurden, während er sprach, übertäubt. Die Anhänger der Colonna stellten, stolz darüber, in ihren Reihen einen der Beliebtesten und Edelsten dieses Namens zu finden, ihn an ihre Spitze und griffen ungestüm ihre Feinde an. Adrian indessen, der durch die Umstände sich etwas von den ritterlichen Gesetzen zu eigen gemacht hatte, was er seiner römischen Abkunft gewiß nicht verdankte, hielt es im Anfang unter seiner Würde, mit Leuten zu kämpfen, unter denen er weder an Rang noch in Führung der Waffen, seinesgleichen erkannte. Er beschränkte sich darauf, die wenigen in dem Gedränge des Kampfes auf ihn gerichteten Streiche abzuwehren; die wenigen – denn diejenigen, welche ihn erkannten, wollten sich selbst unter den erbittertsten Anhängern der Orsini nicht der Gefahr und der Gehässigkeit aussetzen, das Blut eines Mannes vergossen zu haben, der neben seiner hohen Geburt und der fürchterlichen Macht seiner Verwandten, persönlich bei dem Volke sehr beliebt war, was er mehr einer Vergleichung mit den Fehlern der letzteren als Tugenden zu verdanken hatte, die bis jetzt an ihm selbst merklich aufgefallen wären. Der Schmied allein, welcher bis jetzt keinen tätigen Anteil an der Schlägerei genommen hatte, schien sich zu entschlossener Gegenwehr zu rüsten, als der junge Ritter ihm einige Schritte näher trat.

»Haben wir dir nicht gesagt,« begann der Riese, indem er die Stirn runzelte, »daß die Colonna ebenso die Feinde des Volkes sind wie die Orsini? Blicke auf dein Gefolge und deine Anhänger: morden sie nicht friedliche Leute, um die Schandtat eines Großen zu rächen? Aber dies ist immer die Art, wie ein Patrizier die Gewalttaten des anderen züchtigt. Er legt die Rute auf des Volkes Nacken und ruft dann: Seht, wie gerecht ich bin!«

»Ich gebe dir jetzt keine Antwort,« erwiderte Adrian; »wenn du aber, wie ich, dieses Blutvergießen verabscheust, so vereinige deine Kräfte mit den meinigen, um demselben Einhalt zu tun.«

»Ich – gewiß nicht! Lassen wir das Blut der Sklaven heute fließen: bald wird die Zeit kommen, wo es durch das Blut der Herren weggewaschen wird.«

»Hinweg, Schurke!« sagte Adrian, um einer weiteren Unterhandlung auszuweichen, und schlug den Schmied mit dem flachen Schwerte. In demselben Augenblick war der Hammer des Schmiedes erhoben und hätte unfehlbar den jungen Nobile zu Boden geschlagen, wäre dieser nicht durch einen behenden Sprung demselben entgangen. Ehe der Schmied Zeit gewinnen konnte, um einen Streich zu führen, traf Adrians Schwert zweimal seinen rechten Arm, so daß die Waffe schwer zu Boden fiel.

»Erschlaget ihn, erschlaget ihn!« schrien mehrere Anhänger der Colonna und drängten sich furchtsam um den entwaffneten, kampfunfähigen Schmied.

»Ja, erschlaget ihn!« sagte in leidlichem Italienisch, aber mit fremdem Accent ein halb in eine Rüstung gekleideter Mann, der soeben zu der Gruppe gekommen war, und zu den rohen deutschen Banditen gehörte, welche die Colonna in ihrem Solde hielten; »er gehört zu einer fürchterlichen Bande von Bösewichtern, die gegen alle Ordnung und Ruhe sich verschworen haben. Er gehört zu Rienzis Gefolge und – gesegnet seien die drei Könige! – wütet für das Volk.«

»Du sprichst Wahrheit, Barbar,« sagte der trotzige Schmied mit lauter Stimme und riß mit der linken Hand die Jacke von seiner Brust; »kommt alle – Colonna und Orsini – durchbohrt dieses Herz mit euren Klingen, und wenn ihr ganz in dasselbe eingedrungen seid, so werdet ihr dort den Gegenstand eures gemeinschaftlichen Hasses finden – Rienzi und das Volk

Als er diese Worte in einer Sprache äußerte, die für seinen Stand zu erhaben geschienen hätte, wenn nicht eine gewisse Glut und Uebertreibung in Ausdruck und Gefühl bei jedem erregten Römer vorherrschend gewesen wären, übertönte seine laute Stimme den Lärm um ihn her und beschwichtigte einen Augenblick das allgemeine Getöse; als er zuletzt die Worte »Rienzi und das Volk« aussprach, drangen sie mitten durch den immer mehr zunehmenden Haufen, und aus hundert Kehlen antwortete das Echo – »Rienzi und das Volk!«

Welchen Eindruck auch diese Worte des Handwerkers auf die anderen gemacht haben mochten, so war er doch in dem jungen Colonna besonders bemerkbar. Bei dem Namen Rienzi wich die Glut der Aufregung von seinen Wangen; er schauderte, murmelte etwas in sich hinein und schien selbst mitten in dem bewegten Aufstande in tiefsinnige Träumerei versunken. Als das Geschrei in der Luft verhallte, gewann er seine Besinnung wieder und sagte mit lauter Stimme zu dem Schmied: »Freund, es tut mir leid, daß ich dich verwundet, suche mich morgen auf und du sollst dich überzeugen, daß du mir unrecht getan.« Er winkte dem Deutschen, daß er ihm folge, und nahm seinen Weg durch die Menge, die ihm zu beiden Seiten Platz machte. Denn mit dem erbittertsten Hasse gegen den Adelstand verband sich in jener Zeit eine knechtische Unterwürfigkeit gegen dessen Mitglieder und eine geheime Furcht vor ihrer unwiderstehlichen Macht.

Als Adrian durch denjenigen Teil der zusammengelaufenen Menge schritt, welcher die Feindseligkeiten noch nicht begonnen hatte, folgte ihm ein Gemurmel, das wohl nicht viele seines Standes gehört haben mochten.

»Ein Colonna,« sagte der eine.

»Doch keiner von den Notzüchtern,« sagte ein anderer mit wildem Lachen.

»Auch kein Mörder,« murmelte ein dritter, indem er die Hand gegen die Brust drückte. »Nicht gegen ihn schreit laut meines Vaters Blut.«

»Segnet ihn,« sagte ein vierter, »denn noch niemand flucht ihm bis jetzt!«

»Ach Gott, steh uns bei!« sagte ein alter Mann mit grauen Haaren, der sich auf seinen Stab stützte, »die Schlange ist noch jung; das Gift wird nach und nach kommen.«

»Pfui, Vater; er ist ein artiger, junger Mann und nicht im geringsten stolz. Wie er lächelt!« sagte eine hübsche Frau außerhalb des Gedränges.

»Leb wohl, Ehre des Mannes, wenn ein Adeliger seinem Weibe zulächelt!« war die Antwort.

»Nein,« sagte Luigi, ein lustiger Fleischer mit schelmischem Blick, »was ein Mann von einem Mädchen oder einer Frau ohne Trug erhalten kann, das mag er haben, Plebejer oder Patrizier – das ist meine Moral; wenn aber ein häßlicher, alter Adeliger um schöne Worte keine freundlichen Blicke bekommt, nur auf dem Rücken eines deutschen Bären ein Weib entführt und dann den Gatten mit einem Stich in die Seite tröstet – dann, sage ich, ist er ein schlechter Kerl und ein Ehebrecher.«

Während diese und ähnliche Bemerkungen dem Nobile folgten, bemerkte der deutsche Söldling ganz andere Worte und Blicke.

Ebenso, ja noch bereitwilliger, machte die Menge dem schweren Tritte des Bewaffneten Platz, aber in ihren Blicken war keine Ehrerbietung zu lesen – das Auge glänzte, wenn er näher kam, aber die Wange wurde blaß – das Haupt neigte sich – die Lippen zitterten – Haß und Furcht durchschauerten jeden, als erblicke er in ihm einen fürchterlichen Todfeind. Zornig bemerkte der kecke Söldner wohl die Zeichen der allgemeinen Abneigung. Unsanft drängte er sich vorwärts – lächelte bald verächtlich, bald runzelte er drohend die Stirn, während er nach beiden Seiten blickte – und seine langen, geflochtenen, hellen Haare, sein rotbrauner Schnurrbart und die fleischige Stirn bildeten einen auffallenden Gegensatz zu den dunklen Augen, den Rabenlocken und schlanken Gestalten der Italiener.

»Der Teufel hole zweimal diese deutschen Meuchelmörder!« murmelte ein Bürger zwischen den knirschenden Zähnen.

»Amen!« antwortete von Herzen ein anderer.

»Still!« sagte ein dritter, ängstlich um sich blickend; »wenn dich einer von ihnen hört, bist du ein verlorener Mann.«

»O Rom! o Rom! wie tief bist du gesunken!« sagte bitter ein in Schwarz gekleideter Bürger von größerem Ansehen als die übrigen; »wenn du in deinen Straßen bei dem Tritte eines gedungenen Barbaren zitterst!«

»Höret auf einen unserer Gelehrten, unseren reichen Mitbürger!« sagte der Fleischer ehrerbietig.

»Er ist ein Freund Rienzis,« entgegnete ein anderer aus der Gruppe, indem er seine Mütze abnahm.

Mit niedergeschlagenen Augen und einer Miene, in welcher Kummer, Schande und Zorn deutlich zu lesen waren, ging Pandulpho di Guido, ein Bürger von Geburt und Ruf, langsam durch die Menge und verschwand.

Adrian hatte unterdessen eine Straße erreicht, die, obwohl nicht weit von dem Auflauf entfernt, doch leer und verlassen war, und wandte sich jetzt an seinen dreisten Gefährten.

»Rudolf!« sagte er, »merke dir! – keine Gewalt gegen die Bürger. Kehre zu dem Gewühl zurück, sammle die Freunde unseres Hauses und entferne sie von dem Schauplatz; beschimpfe die Colonnas nicht durch eine Gewalttat dieses Tages; versichere unseren Anhängern in meinem Namen, daß ich bei dem Ritterorden, den ich aus des Kaisers Händen empfing, schwöre, Martino di Porto soll durch mein Schwert für den Schimpf gezüchtigt werden. Gerne würde ich in eigener Person mich in das Getümmel mischen, aber schon meine Gegenwart scheint dasselbe gut zu heißen. Geh – du hast bei allen einiges Gewicht.«

»Ja, gnädiger Herr, das Gewicht der Schläge!« erwiderte der grimmige Krieger. »Aber der Auftrag ist hart, gern ließe ich ihr unreines Blut noch einige Stunden länger fließen. Doch verzeiht mir; handle ich, wenn ich Eurem Befehle gehorche, nicht denen meines Herrn, Eures Verwandten, entgegen? Ich stehe im Solde des alten Stephan Colonna, der selten Blut oder Geld spart – (ausgenommen sein eigenes) Gott segne ihn – seinem Dienste bin ich durch einen Eid verpflichtet.«

»Diavolo!« murmelte der Ritter, und ein zorniges Rot flog über seine Wangen; aber mit der gewohnten Selbstbeherrschung eines italienischen Edelmannes unterdrückte er seinen aufsteigenden Zorn und sprach ruhig, aber würdevoll: »Tu, wie ich dir befahl; tu dem Aufruhr Einhalt – mach uns zu der duldenden Partei. Sorge, daß nach einer Stunde alles ruhig ist und hole morgen bei mir deinen Lohn; nimm diese Börse zum Zeichen fernerer Dankesbezeugungen. Was meinen Verwandten betrifft, den ich dir mit mehr Ehrerbietung zu nennen empfehle, so handle ich in seinem Auftrage. Horch! der Lärm wird größer – der Streit nimmt zu – geh – verliere keinen Augenblick!«

Durch die ruhige Festigkeit des Patriziers etwas eingeschüchtert, verbeugte sich Rudolf ohne Widerrede, ließ das Geld in seine Tasche gleiten und schritt hinweg, dem heftigsten Gedränge zu. Aber ehe er hinkam, hatte eine plötzliche Reaktion stattgefunden.

Der junge Ritter, der sich nun allein sah, folgte mit den Augen dem sich entfernenden Söldner, auf dessen glänzenden Helm die untergehende Sonne schief ihre Strahlen warf, und sprach schmerzlich zu sich selbst: »Unglückliche Stadt, Quelle aller großen Erinnerungen – gefallene Königin von tausend Nationen – wie wirst du von deinen feigen, abtrünnigen Kindern deiner Krone beraubt und verwüstet! Deine Großen stehen sich feindlich gegenüber – dein Volk flucht auf den Adel – deine Priester, welche Frieden säen sollten, streuen Zwietracht aus – das Haupt der Kirche verläßt deine stattlichen Mauern, seine Heimat wird ein Schlupfwinkel, sein Bischofshut ein Lehen, sein Hof kommt in ein gallisches Dorf – und wir! wir, von dem edelsten Blute Roms – wir, die Söhne der Cäsaren, die wir von Halbgöttern abstammen, schirmen einen trotzigen, verachteten Staat durch die Schwerter von Mietlingen, die unserer Feigheit spotten, während sie sich von uns bezahlen lassen – die unsere Mitbürger zu Sklaven machen und ihre rechtmäßigen Gebieter beherrschen! O, daß wir, die erblichen Häupter Roms, es fühlen – o, daß wir unseren rechtmäßigen Schutz in den dankbaren Herzen unserer Mitbürger finden könnten!«

Der junge Adrian fühlte die beunruhigende Wahrheit von allem, was er sprach, so tief, daß Tränen des Unwillens über seine Wangen rollten. Er fühlte keine Scham, als er sie hinwegwischte, denn die Schwäche, die um gefallene Geschlechter weint, ist nicht die Rührung des Weibes, sondern eines Engels.

Als er langsam sich umwandte, um den Ort zu verlassen, wurde er plötzlich durch den lauten Ruf: »Rienzi! Rienzi!« aufgehalten, der durch die Lüfte klang. Von den Mauern des Kapitols bis zu dem Bette des glänzenden Tiber tönte weit und breit dieser Name; und als der Schall sich verlor, folgte ihm eine so tiefe, so vollständige, atemlose Stille, daß man hätte glauben können, der Tod selbst sei in die Stadt eingezogen. Und jetzt stand vorn an der Spitze der Menge, höher als sie, auf Steinhaufen, die bei einem der in der neueren Zeit zwischen den einander feindlich gegenüberstehenden Parteien häufig vorgefallenen Tumulte aus den Trümmern Roms zusammengetragen worden waren, um Bürgern als Schutzwehr gegen Bürger zu dienen – der merkwürdige Mann, der mehr als sein ganzes Geschlecht von der Rühmlichkeit des einen, wie von der Verderbnis des anderen Zeitalters durchdrungen war.

Adrian stand so entfernt von dem Schauplatz, daß er nur die dunklen Umrisse von Rienzis Gestalt unterscheiden konnte; er vernahm nur einen schwachen Schall seiner mächtigen Stimme; er bemerkte nur an dem gedämpften, aber wogenden Meere von Menschen, deren entblößte Häupter die letzten Strahlen der Sonne beschienen, den unaussprechlichen Eindruck, den eine, von den Zeitgenossen als beinahe übernatürlich beschriebene Beredsamkeit – die aber in Wirklichkeit mehr dem Mitgefühl der Zuhörer als dem Geiste des Mannes zuzuschreiben ist – auf alle machte, welche mit Herz und Seele den Strom ihrer glühenden Gedanken hinabschlürften.

Dem ernsten Auge Adrians di Castello war diese Gestalt nur kurze Zeit sichtbar, nur mit Unterbrechungen erreichte diese Stimme sein Ohr; aber diese kurze Zeit reichte hin, um all die Wirkung zu erzielen, welche Adrian selbst gewünscht.

Neues Jubelgeschrei, ernstlicher – anhaltender als das frühere, worin sich die Befreiung von schwellenden Gedanken, von heftigen Gefühlen aussprach – deutete den Schluß der Rede an; und dann konnte man nach einer augenblicklichen Pause die Menge nach allen Richtungen hin sich wälzen und durch die Straßen in bunten Haufen strömen sehen, alle von dem gewaltigen und dauernden Eindruck beseelt, den die Rede auf sie gemacht hatte. Jede Wange glühte – jede Zunge sprach; wie ein lebendiger Geist war das Feuer des Sprechers in die Brust der Zuhörer gedrungen. Er hatte gegen die unordentliche Aufführung gedonnert, doch mit einem Worte hatte er die Wut der Plebejer entwaffnet – er hatte Freiheit gepredigt, aber sich der Zügellosigkeit widersetzt. Durch Aussichten auf eine bessere Zukunft hatte er die Gegenwart beschwichtigt. Er hatte ihre Streitigkeiten getadelt, gleichwohl aber ihre Sache verteidigt. Durch das feierliche Versprechen, daß morgen Gerechtigkeit geübt werden solle, hatte er die Rachgier von heute bemeistert. So groß kann die Macht, so hinreißend die Beredsamkeit, so furchtbar das Genie eines Mannes – ohne Waffen, ohne Rang, ohne Schwert oder Hermelin – sein, der zu einem unterdrückten Volke spricht.

Viertes Kapitel.
Ein Abenteuer.

Indem er den geteilten Strömen der sich zerstreuenden Menge auswich, schritt Adrian Colonna eilig eine der engen Straßen hinab, welche nach seinem Palaste führten, der in ziemlicher Entfernung von dem Platze lag, wo der jüngste Streit vorgefallen war. Seine Erziehung flößte ihm ein tiefes Interesse nicht nur an den Spaltungen und Streitigkeiten seines Vaterlandes, sondern auch an dem Auftritt ein, von dem er soeben Zeuge gewesen, und an dem Einfluß, den Rienzi ausübte.

Als Waise eines jüngeren, aber reichen Zweiges der Colonna, war Adrian unter der sorglichen Vormundschaft seines Verwandten, des schlauen, aber tapferen Stephan Colonna erzogen worden, der sowohl als Günstling des Papstes wie wegen der Anzahl bewaffneter Söldlinge, welche zu halten sein Reichtum ihn in den Stand setzte, unter allen römischen Edlen der mächtigste war. Adrian hatte frühzeitig für die Begriffe der damaligen Zeit außerordentliche Anlagen des Geistes gezeigt, und sich von dem wenigen, was man damals von der alten Sprache und Geschichte seines Vaterlandes wußte, so viel wie möglich zu eigen gemacht.

Obgleich noch Knabe zu der Zeit, wo er dem Leser zum erstenmal vorgeführt wurde, wo er Zeuge von den Gemütsbewegungen Rienzis bei dem Tode seines Bruders war, hatte doch Mitgefühl für Colas Schmerz und Scham über die Fühllosigkeit seines Verwandten bei den Folgen ihrer Fehden sein sanftes Herz durchdrungen. Er hatte Rienzis Freundschaft geflissentlich gesucht und, trotz seiner Jugend, die Macht und Tatkraft seines Charakters erkannt. Wenn auch Rienzi nach kurzer Zeit nicht mehr an den Tod seines Bruders zu denken schien – wenn er auch wieder die Hallen der Colonna betrat und ihre höhnisch stolze Gastfreundschaft benutzte, beobachtete er dennoch eine gewisse Entfernung und Zurückhaltung in seinem Betragen, welche selbst Adrian nur teilweise zu überwinden vermochte. Er wies jedes Anerbieten eines Amtes von Gunstbezeugung oder Beförderung zurück, und mehr als gewöhnliche Beweise von Adrians Gefälligkeit schienen, statt ihn zutraulicher zu machen, seine kühle Zurückhaltung nur noch zu vermehren. Der heitere Humor und die lebhafte Unterhaltung, welche ihn im Anfang zu einem willkommenen Gaste bei denen gemacht hatten, die ihr Leben unter Kämpfen und Schmausereien hinbrachten, waren jetzt in eine ironische, zynische und bittere Laune verwandelt. Gleichwohl fanden die geistlosen Adeligen an seinem Witz Gefallen und Adrian war beinahe der einzige, der die unter dem Lächeln verborgene Schlange bemerkte.

Oft saß Rienzi schweigend, aber beobachtend bei dem Feste, als belauerte er jeden Blick, wäge jedes Wort ab, als bemäße und berechnete er den Verstand, die Klugheit, das Temperament jedes Gastes, und wenn er befriedigt schien, erhoben sich seine Lebensgeister auf einmal, seine Worte flossen, und wenn sein blendender, aber bitterer Witz das lärmende Gelage entzündete, sah niemand, daß dieses freudelose Aufblitzen den nahen Sturm verkündete. Während dieser ganzen Zeit versäumte er jedoch keine Gelegenheit, sich unter den niedrigeren Bürgern sehen zu lassen, ihre Gemüter aufzuwiegeln, ihre Einbildungskraft zu entflammen, ihren Ehrgeiz durch Schilderungen der Gegenwart und Sagen der Vorzeit rege zu machen. Er stieg in Volksgunst und Ansehen, und seine Gewalt unter der Menge war um so größer, weil er von dem Adel in Ehren gehalten wurde. Vielleicht ist es hieraus zu erklären, daß er fortwährend der Gast der Colonna blieb.

Als sechs Jahre zuvor das Kapitol der Cäsaren den Triumph Petrarcas sah, hatte der gelehrte Ruf des jungen Rienzi ihm die Freundschaft des Dichters gewonnen – eine Freundschaft, die, mit kurzer Unterbrechung, durch so unendlich verschiedene Bahnen bis ans Ende dauerte, und später sah er sich als einer der Abgeordneten, welche die Römer nach Avignon sandten, mit Petrarca vereint, um Clemens IV. zu bitten, er möge den heiligen Stuhl wieder von Avignon nach Rom verlegen. Bei dieser Sendung bewies er zum erstenmal seine außerordentliche Macht in Beredsamkeit und Ueberredung. Freilich wurde der Papst, dem mehr an der Bequemlichkeit als an dem Ruhme lag, durch die Gründe nicht überzeugt, aber er war von dem Sprecher entzückt, und Rienzi kehrte, mit Ehren überhäuft und mit der Würde eines hohen verantwortlichen Amtes bekleidet, nach Rom zurück. Nicht länger der tatenlose Gelehrte, der heitere Gesellschafter, errang er sich auf einmal einen höheren Einfluß auf seine Mitbürger. Nie zuvor war die gesetzmäßige Gewalt mit so strenger Rechtlichkeit, so reinem Eifer verwaltet worden. Er hatte es versucht, seinen Kollegen dieselben erhabenen Grundsätze einzuflößen – aber vergebens. Nachdem er jetzt festen Fuß gefaßt hatte, fing er offen an, sich an das Volk zu wenden, und bereits schien ein neuer Geist Roms Bevölkerung zu beseelen.

Während Rienzi diese Schicksale erlebte, war Adrian lange von ihm getrennt und von Rom abwesend gewesen.

Die Colonna waren ihren Grundsätzen nach getreue Anhänger der kaiserlichen Partei und Adrian di Castello war einer Einladung an des Kaisers Hof gefolgt. Unter diesem Monarchen hatte er sich mit den Waffen vertraut gemacht und von den deutschen Rittern gelernt, die dem Italiener angeborene Schlauheit mit edler, nordischer Tapferkeit zu paaren.

Nachdem er Bayern verlassen, hatte er kurze Zeit in der Einsamkeit einer seiner Besitzungen an dem schönsten See des nördlichen Italiens zugebracht, und von da aus mit einem durch Taten und Studien veredelten Geiste manche der italienischen Freistaaten besucht, weniger von Vorteilen eingenommene Gefühle, als diejenigen seines Standes eingesogen und sich früh einen Namen erworben, während er Charaktere und Taten anderer genau beobachtete. In ihm waren die vorzüglichsten Eigenschaften des italienischen Adels vereint. Dem Studium der Wissenschaften leidenschaftlich ergeben, fein und tief in der Politik, von sanftem, gefälligen Benehmen, erhöhte er die Liebe zum Vergnügen zu einem gewissen erhabenen Geschmack und besaß zugleich einen Edelmut in seinem Benehmen, eine Ehrenhaftigkeit und einen Abscheu gegen Grausamkeit, wie man sie sehr selten in einem italienischen Gemüt fand, und denen sogar die Ritterschaft des Nordens, während sie doch unter sich im höchsten Grade darauf hielten, in dem Augenblick untreu wurde, wo sie mit der systematischen List und der Verachtung von Redlichkeit in Berührung kamen, die dem Charakter des heftigen aber verschmitzten Südens eigen sind. Mit diesen Vorzügen verband er jedoch die friedlichen Leidenschaften seiner Landsleute – er betete die Schönheit an und machte die Liebe zu seiner Gottheit.

Er war erst seit wenigen Wochen in seine Vaterstadt zurückgekehrt, wohin ihm sein Ruf schon vorangeeilt war, und wo man sich seiner frühen Neigung für die Wissenschaften und seines anständigen Benehmens noch wohl erinnerte. Weit mehr als seine eigene, fand er bei seiner Rückkehr Rienzis Stellung verändert. Noch hatte Adrian den Gelehrten nicht besucht. Er wollte zuerst mit eigenen Augen aus der Ferne seine Beweggründe und den Zweck seiner Handlungen prüfen; denn teilweise nährte er den Verdacht, den seine Standesgenossen hinsichtlich Rienzis hegten, teilweise stimmte er mit in die vertrauensvolle Begeisterung des Volkes ein.

»Gewiß,« sprach er jetzt zu sich selbst, als er nachdenklich dahinschritt, »gewiß hat es kein Mann mehr in seiner Gewalt, unseren krankhaften Zustand zu verbessern, unsere Spaltungen zu heilen, unsere Bürger zu der Erinnerung an die Tugenden ihrer Vorfahren zu erwecken. Wie gefährlich ist aber gerade diese Gewalt! Habe ich nicht in den Freistaaten Italiens Männer gesehen, die, um das Volk zu schützen, zur Herrschergewalt berufen wurden, im Anfang die redlichsten Absichten hatten und dann, trunken von der Höhe, zu der sie so schnell erhoben wurden, gerade die Sache verrieten, die ihre Erhöhung veranlaßt hatte? Freilich, diese Männer waren Fürsten und Edle; sind aber Plebejer weniger Menschen? Wie dem auch sei, ich habe aus der Ferne genug gesehen und gehört, und will jetzt näher treten und den Mann selbst prüfen.«

Während er so mit sich selbst sprach, achtete Adrian nur wenig auf die verschiedenen nach Hause kehrenden Vorübergehenden, die mit dem seinem Ende sich nahenden Abende immer seltener wurden. Unter ihnen waren zwei weibliche Gestalten, die sich jetzt allein mit Adrian in der nunmehr von ihm betretenen Straße befanden. Der Mond glänzte bereits hell am Himmel, und als die Frauen mit leichtem, raschem Schritt an dem Ritter vorüberkamen, wandte sich die jüngere um und betrachtete ihn bei dem reinen Lichte des Mondes mit lebhaftem, aber furchtsamem Blick.

»Warum zitterst du, meine Liebe?« fragte ihre Begleiterin, die etwa fünfundvierzig Jahre zählen mochte, und deren Kleidung und Stimme verrieten, daß sie von geringerem Stande war als die jüngere. »Die Straßen scheinen jetzt ziemlich ruhig, die Jungfrau sei gepriesen! Wir sind unserer Wohnung nicht mehr fern.«

»Ach! Benedetta, er ist es! es ist der junge Signor – es ist Adrian!«

»Das trifft sich glücklich,« erwiderte die Amme, dies war sie, »denn man sagt, er sei so tapfer wie ein Nordländer, und da der Palast Colonna nicht sehr weit von hier ist, wäre er mit seiner Hilfe gleich zur Hand, wenn wir ihrer bedürfen sollten: das heißt, Holde, wenn du ein wenig langsamer gehen wolltest als bisher.«

Die junge Dame hemmte ihren Schritt und seufzte.

»Er ist gewiß sehr schön,« sagte die Amme; »aber du mußt nicht mehr an ihn denken; zum Heiraten ist er für dich viel zu vornehm, und zu irgend etwas anderem bist du zu anständig, und dein Bruder zu stolz –«

»Und du, Benedetta, bist zu vorlaut. Wie kannst du so sprechen, da du weißt, daß er nie, wenigstens seit ich kein ganzes Kind mehr bin, wieder mit mir gesprochen hat; kaum weiß er ja, daß ich nur lebe. Er, der Baron Adrian di Castello, von der armen Irene träumen! Der bloße Gedanke ist Tollheit!«

»Warum,« fragte die Amme lebhaft, »träumst du dann von ihm?«

Ihre Begleiterin seufzte jetzt noch tiefer als das erste Mal.

»Heilige Katharina!« fuhr Benedetta fort, »wenn es nur einen Mann in der Welt gäbe, so wollte ich eher ledig sterben, ehe ich an ihn dächte, ohne daß er wenigstens zweimal meine Hand geküßt und es nur an mir gelegen hätte, daß es nicht die Lippen waren.«

Das junge Mädchen antwortete noch immer nicht.

»Aber wie kamst du auf den Gedanken, ihn zu lieben?« fragte die Amme. »Du kannst ihn nicht sehr oft gesehen haben: er ist erst seit vier oder fünf Wochen wieder in Rom.«

»Ach, wie kurzsichtig du bist!« erwiderte die schöne Irene. »Habe ich dir nicht schon zu wiederholtenmalen gesagt, daß ich ihn vor sechs Jahren liebte?«

»Als du erst zehn Jahre alt warst und eine Puppe ein passender Geliebter für dich gewesen wäre! So wahr ich eine Christin bin, Signora, du hast deine Zeit wohl genützt!«

»Und hörte ich während seiner Abwesenheit,« fuhr das Mädchen zärtlich, aber traurig fort, »nicht von ihm sprechen, und war nicht der bloße Klang seines Namens gleich einem Liebespfand, das mir ihn ins Gedächtnis rief? und wenn man ihn lobte, habe ich mich nicht darüber gefreut? wenn man ihn tadelte, tat mir das nicht weh? und wenn man sagte, daß seine Lanze beim Turnier siegreich sei, habe ich nicht vor Stolz geweint? Wenn man sich zuflüsterte, daß seine Gelübde in den Gemächern der Damen willkommen seien, weinte ich da nicht ebenso heftig aus Schmerz? Sind nicht die sechs Jahre seiner Abwesenheit ein Traum gewesen, und war nicht seine Rückkehr ein Erwachen zum Licht – ein Morgen der Herrlichkeit und der Sonne? Jetzt sehe ich ihn in der Kirche, wenn er nicht an mich denkt, und auf seinem glücklichen Rosse, wenn er an meinem Fenster vorüberreitet: ist das nicht Glück genug für die Liebe?«

»Wenn er aber dich nicht liebt?«

»Närrin! danach frage ich nicht – ja, ich weiß nicht einmal, ob ich es wünsche. Vielleicht träume ich lieber von ihm, wie er als Ideal mir vorschwebt, als daß ich ihn kennen möchte, wie er in Wahrheit ist. Er könnte unfreundlich oder unedel sein oder mich nur wenig lieben, ich wollte lieber gar nicht geliebt werden, als nur kalt, und mein Herz aufzehren, wenn ich es mit dem seinigen vergleiche. Jetzt kann ich ihn als etwas Außerordentliches, nicht wirklich Vorhandenes, als etwas Göttliches lieben: wie groß wäre aber meine Scham, mein Kummer, wenn ich finden müßte, daß er hinter meinen Erwartungen zurückbliebe! Dann wäre mein Leben gewiß zerstört; dann wäre die Schönheit der Erde für mich dahin!«

Die gute Amme war nicht sehr danach beschaffen, in derartige Gefühle einzustimmen. Wäre auch ihre Gemütsart ähnlicher gewesen, so hätte ihre Altersverschiedenheit eine solche Uebereinstimmung unmöglich gemacht. Wo anders als in einer jugendlichen Seele findet die Jugend Widerhall – für all die Musik ihrer wilden Schwärmereien und romantischen Torheiten? Die gute Amme teilte die Gefühle ihrer jungen Gebieterin nicht, aber sie begriff den tiefen Ernst, womit dieselben ausgesprochen wurden. Es kam ihr wunderbar einfältig, aber wunderbar rührend vor; sie wischte sich die Augen mit der Ecke ihres Schleiers und nährte die stille Hoffnung, ihre junge Pflegebefohlene werde bald einen wirklichen Gatten finden, der ihr solche leeren Phantasien aus dem Kopfe brächte. Es entstand eine kleine Pause in ihrem Gespräch, als, gerade wo sich zwei Straßen kreuzten, ein lautes Geräusch von lachenden Stimmen und Fußtritten sich hören ließ. Man sah Fackeln in der Nähe, die dem blassen Schein des Mondes Trotz boten, und in nur geringer Entfernung von den beiden Frauen erschien in der Querstraße ein Trupp von sieben oder acht Männern, die, wie man bei dem roten Licht der Fackeln sah, das schreckenerregende Abzeichen der Orsini trugen.

Unter anderen Unordnungen jener Zeit war es keine seltene Gewohnheit der jüngeren oder ausgelasseneren Adeligen, bei Nacht in kleinen, bewaffneten Abteilungen durch die Straßen zu paradieren und Gelegenheit zu einer frechen Heldentat unter den niedrigeren Bürgern oder ein Scharmützel mit herumziehenden Rivalen ihres eigenen Standes zu suchen. Einer solchen Bande führte nun der Zufall Irene und ihrer Gefährtin in den Weg.

»Heilige Mutter!« rief Benedetta ganz blaß und begann zu laufen, »welcher Fluch hat uns betroffen? Wie konnten wir auch so töricht sein, so lange bei Signora Nina zu verweilen! Lauft, Signora, lauft, oder wir fallen in ihre Hände!«

Aber Benedettas Rat kam zu spät – schon waren die flatternden Gewänder der Frauen erspäht: im nächsten Augenblick sahen sie sich von den Räubern umringt. Eine rauhe Hand riß Benedettas Schleier beiseite, und bei dem Anblicke von Zügen, denen die Zeit, wenn sie sie nicht geschont hatte, nicht mehr viel anhaben konnte, stieß der rohe Angreifer die arme Amme mit einem Fluche gegen die Mauer, den seine Kameraden mit einem lauten Gelächter beantworteten.

»Du hast viel Glück mit Gesichtern, Giuseppe!«

»Ja, erst dieser Tage griff er ein Mädchen von Sechzigen auf.«

»Und zog ihr, um ihre Schönheit zu vervollkommnen, seinen Dolch über das Gesicht, weil sie nicht sechzehn war!«

»Seht, Gesellen! wen haben wir da?« sagte der Anführer der Rotte, ein reich gekleideter Mann, der, obgleich er dem mittleren Alter nahe war, sich nur um so mehr an die Ausschweifungen der Jugend gewöhnt hatte; während er so sprach, riß er die zitternde Irene aus den Händen seiner Begleiter. »Ha, hierher! Fackeln! Oh che bella faccia! welche Röte – welche Augen! – nein, schlage sie nicht nieder, meine Schöne! du darfst dich nicht schämen, die Liebe eines Orsini zu gewinnen – ja, so wisse, welchen Triumph du errungen, es ist Martino di Porto, der dich um ein Lächeln bittet!«

»Um der heiligen Mutter willen, laßt mich los! Nein, mein Herr, lassen Sie mich – ich bin nicht ohne Freunde – dieser Schimpf soll nicht so hingehen!«

»Hört diese Silberstimme; sie ist hübscher als das Bellen meines besten Hundes! Monatelangen Harrens ist dieses Abenteuer wert. Wie? wollt Ihr nicht kommen? – Euch sträuben – gar auch noch schreien? – Franzesco, Pietro, ihr seid die menschlichsten von der Bande. Schlagt ihren Schleier um sie – laßt diese Musik schweigen – so! tragt sie vor uns her nach dem Palast, und morgen, meine Holde, sollst du mit einem Korbe voll Gulden heimkehren, von denen du sagen magst, du habest sie auf dem Markte gewonnen.«

Aber Irenes Hilferufen, Irenes Sträuben hatten bereits Hilfe herbeigebracht, und als Adrian sich der Stelle näherte, warf sich die Amme vor ihm auf die Knie.

»O, gütiger Signor, um Christi willen, rettet uns! Befreit meine junge Dame – ihre Freunde lieben Euch sehr! Wir sind alle für die Colonna, gnädiger Herr; ja, wahrlich, alle für die Colonna! Rettet die Tochter Eurer Schützlinge, edler Herr!«

»Es ist genug, daß sie ein Weib,« erwiderte Adrian, »und,« murmelte er zwischen den Zähnen, »daß ein Orsini der Angreifer ist.« Stolz trat er mitten unter den Haufen; die Dienstmannen legten die Hand ans Schwert, machten aber Platz, als sie ihn erkannten; er erreichte die beiden Männer, welche Irene bereits ergriffen hatten; in einem Augenblick schlug er den vordersten zu Boden, im nächsten hatte er seinen linken Arm um die leichte, schlanke Gestalt des Mädchens geschlungen und stand dem Orsini mit gezogener Klinge gegenüber, deren Spitze er jedoch zu Boden senkte.

»Pfui, Herr, schämt Euch!« sagte er entrüstet. »Wollt Ihr Rom zwingen, in einem Mann sich gegen Euren Stand zu erheben? Neckt den Löwen nicht zu sehr, wenn er auch angekettet ist; kämpft gegen uns, wenn Ihr wollt! zieht Eure Schwerter gegen Männer, wenn sie auch von Eurem Stamme sind und Eure Sprache reden; wenn Ihr aber des Nachts schlafen und nicht vor der Hand des Rächers zittern – wenn Ihr sicher über den Marktplatz wandern wollt – so beleidigt kein römisches Weib! Ja, selbst die Mauern, die uns umgeben, verkünden Euch die Strafe einer solchen Tat; für diese Missetat fielen die Tarquinier – wegen derselben wurden die Decemvirn verjagt – für diese Missetat soll, wenn Ihr sie begeht, das Blut Eures ganzen Hauses fließen. Steht also ab, Herr, von diesem tollen, Eures Namens so unwürdigen Unternehmen; steht ab davon und danket es selbst einem Colonna, daß er im Augenblick des Wahnsinns Euch den Weg vertrat!«

So edel, so erhaben waren Miene und Gebärde Adrians bei seiner Rede, daß selbst die rohen Diener Beifall und Reue fühlten – nicht so Martino di Porto. Er war von der Schönheit der ihm so plötzlich entrissenen Beute entzückt, seit langer Zeit an Gewalttat und Straflosigkeit gewöhnt; schon der Anblick, ja die Stimme eines Colonna war seinem Auge ein Dorn, seinem Ohr ein Mißklang; wie nun, wenn ein Colonna seinen Lüsten entgegentrat und ihm seine Laster vorwarf?

»Schulfuchs!« schrie er mit bebenden Lippen, »schwatze mir nicht von deinen eklen Legenden und Gevattergeschichten! Denke nicht daran, mir den Besitz anderer zu entreißen, wenn dein eigenes Leben in meinen Händen steht. Laß das Mädchen los! wirf dein Schwert weg! geh nach Hause, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, oder, bei meiner Ehre und den Klingen meiner Begleiter – (betrachte sie dir wohl) – du stirbst!«

»Signor,« sagte Adrian ruhig, aber während er sprach, zog er sich mit seiner schönen Bürde nach und nach gegen die nahe Mauer zurück, um von der bedeutenden Uebermacht wenigstens nur von vorne angegriffen werden zu können – »du wirst den günstigen Augenblick nicht so mißbrauchen und dir in der Menschen Munde so schaden, daß du selbst deinen Erbfeind mit acht Schwertern angreift, während er überdies noch so gehindert ist. Aber – nein, halt! – wenn dies wirklich deine Absicht ist, so bedenke wohl, daß ein Ruf meiner Stimme bald eine der deinigen überlegene Schar herbeirufen wird. Du bist in dem Stadtteile meines Stammes, von den Wohnungen der Colonna umgeben; jener Palast wimmelt von Männern, die nur mit dem Harnisch auf dem Rücken schlafen – von Männern, die selbst jetzt meine Stimme erreichen kann, aus deren Händen – sehen sie einmal Blut – dich deine Begleiter nicht mehr retten könnten!«

»Er spricht wahr, edler Herr,« sagte einer von der Bande; »wir haben uns zu weit entfernt; wir sind gerade in ihrer Höhle; die Stimme kann den Palast des alten Stephan Colonna erreichen, und so viel ich weiß,« setzte er leise hinzu, »sind achtzehn frisch Gewaffnete – und dazu Nordländer – heute durch seine Tore eingegangen.«

»Und stünden achthundert Gewaffnete auf Armeslänge da,« entgegnete Martino wütend, »so ließe ich mich mitten unter meinen Leuten nicht so beim Barte rupfen! Fort mit jenem Weibe! Zum Angriff! Zum Angriff!«

So sprechend, führte er einen verzweifelten Stoß nach Adrian, der jede Bewegung seines Feindes mit vorsichtigem Blicke bewachte und nicht unvorbereitet auf den Ausfall war. Indem er dem Gegner mit dem Schwerte das seinige aus der Hand schlug, rief er mit lauter Stimme: »Colonna! zu Hilfe, Colonna!«

Nicht ohne anderweitigen Zweck hatte der scharfsinnige, umsichtige Adrian den Wortwechsel bis jetzt hinauszuziehen gesucht. Im Anfang, als er Orsini anredete, hatte er beim Mondschein die glänzenden Rüstungen zweier Männer bemerkt, die von dem fernen Ende der Straße herkamen, und hatte aus der Gegend geschlossen, sie müßten zu den Söldlingen der Colonna gehören.

Sanft ließ er die Gestalt Irenes, die, vor Schrecken ohnmächtig, jetzt so schwer auf ihm lastete, von seinem linken Arme herabgleiten, stand über ihr, von hinten durch die Mauer geschützt, und parierte die eilig auf ihn gezielten Streiche, ohne einen Versuch, sie heimzugeben. Wenige Römer waren, obgleich an solche vorübergehende Zwistigkeiten gewöhnt, damals in dem gewandten und richtigen Gebrauche der Waffen geübt, und die Geschicklichkeit, die sich Adrian in den Schulen des kriegerischen Nordens erworben hatte, half ihm jetzt, selbst solcher Ueberzahl die Spitze zu bieten. Allerdings teilten Orsinis Begleiter nicht die Wut ihres Gebieters: teils aus Furcht vor den Folgen für sich selbst, wenn das Blut eines so hochgeborenen Signors durch sie vergossen würde, teils in der unangenehmen Besorgnis, sie möchten sich plötzlich von den so nahen, unbarmherzigen Söldlingen umringt sehen, führten sie nur schlecht gezielte Streiche in die Luft, wobei sie sich jeden Augenblick rück- und seitwärts umsahen, mehr zur Flucht als zum Kampfe geneigt. Den Ruf Colonna wiederholend, floh die arme Benedetta bei dem ersten Waffengeklirr. Sie rannte die düstere Straße hinab, rief fortwährend um Hilfe und eilte sogar an dem Portal von Stephans Palaste vorüber, wo noch einige grimmige Gestalten plauderten, ohne dort ihren Schritten Einhalt zu tun, so groß waren bei ihr Schrecken und Bestürzung.

Mittlerweile kamen die beiden Männer, welche Adrian erblickt hatte, gemächlich die Straße herauf. Der eine war von rohem, gemeinem Aussehen, Waffen und Gesichtsfarbe ließen seinen Beruf und seine Abstammung erraten, und aus der großen Achtung, die er seinem Begleiter bezeugte, konnte man mit Sicherheit schließen, daß dieser letztere kein geborener Italiener war; denn die nordischen Straßenräuber gaben sich, während sie den Lastern der Südländer dienten, kaum die Mühe, ihre Verachtung über die Feigheit dieser letzteren zu verhehlen.

Der Gefährte des Räubers war ein Mann von kriegerischem aber gefälligem Aeußern. Er trug keinen Helm, sondern eine Mütze von karmesinrotem Sammet, auf welcher eine weiße Feder prangte; auf seinen scharlachenen Mantel oder Ueberrock war auf Rücken und Brust ein weißes Kreuz gewirkt, und der Glanz seines Brustharnischs war so schimmernd, daß, wenn bisweilen der Mantel zur Seite flog und ihn den Mondstrahlen aussetzte, er wie das Licht selbst blitzte.

»Nein, Rudolph,« sagte er, »wenn es dir hier bei dem eisgrauen Planmacher so gut geht, so behüte der Himmel, daß ich dich wieder zu unserer lustigen Bande zurückziehen sollte. Aber sage mir – dieser Rienzi – glaubst du, er habe eine zuverlässige und furchtbare Macht?«

»Pah! edler Häuptling, nicht im geringsten. Er gefällt dem Pöbel, was aber den Adel betrifft, so lacht er über ihn, und für die Soldaten hat er kein Geld.«

»Dem Pöbel gefällt er also?«

»Ja, das tut er, und wenn er laut zu ihnen spricht, so ist das Schreien in ganz Rom zum Schweigen gebracht.«

»Hm! – wenn der Adel verhaßt ist und die Krieger erkauft sind, so kann ein Pöbel in einer Stunde Herr werden. Ein tüchtiges Volk, ein schwacher Pöbel – ein verdorbenes Volk – ein starker Pöbel,« sagte der andere mehr zu sich selbst als zu seinem Gefährten und sich vielleicht kaum der ewigen Wahrheit seines Lehrsatzes bewußt. »Er ist kein bloßer Schreier, dieser Rienzi, befürchte ich – ich muß zusehen. Horch! was ist das für ein Lärm? Bei dem heiligen Grabe, es sind die Klänge unseres eigenen Metalles!«

»Und der Ruf – Colonna!« rief Rudolph aus. »Verzeiht mir, Herr – ich muß zu Hilfe eilen!«

»Ja, deine Pflicht als Mietling verlangt es; laufe – doch halt, ich will dich einmal begleiten, gratis, und aus bloßer Freude an Unheil. Bei dieser Hand, keine Musik ist so angenehm wie das Klirren des Stahles!«

Noch immer verteidigte sich Adrian tapfer und unverwundet, obgleich sein Arm jetzt müde, sein Atem kürzer wurde und seine Augen unter dem Schimmer der geschwungenen Fackeln zu blinzeln und zu taumeln anfingen. Orsini selbst, erschöpft durch seine Hitze, hatte einen Augenblick inne gehalten und stand seinem Feinde keuchend mit wilden Blicken gegenüber, als plötzlich seine Begleiter riefen: »Flieht! flieht – die Banditen nahen – wir sind umzingelt!« und zwei von den Dienern ohne weitere Umstände Reißaus nahmen. Die anderen fünf blieben unentschlossen und harrten der Befehle ihres Gebieters, als der mit der weißen Feder, den ich soeben beschrieben, sich in das Handgemenge stürzte.

»Wie, meine Herren,« sagte er, »Sie sind schon fertig? Nein, wir wollen den Spaß nicht verderben; fangen Sie wieder an, ich bitte. Wer ist im Vorteil? Ha! Sechs gegen einen! – nun kein Wunder, daß Sie auf Ausgleichung gewartet. Seht, wir beide wollen uns auf die schwächere Seite schlagen. Nun denn, so beginnen wir jetzt wieder!«

»Unverschämter!« rief der Orsini. – »Kennst du den, mit welchem du auf eine so freche Weise sprichst? Ich bin Martino di Porto. Wer bist du?«

»Walter von Montreal, Edelmann aus der Provence und Johanniterritter!« erwiderte der andere nachlässig.

Bei diesem furchtbaren Namen – dem Namen eines der kühnsten Krieger und eines der vollendetsten Freibeuter seiner Zeit – wurde selbst Martinos Wange blaß und seinen Begleitern entfuhr ein Schrei des Entsetzens.

»Und dieser, mein Gefährte,« fuhr der Ritter fort, »denn wir müssen die Vorstellung vollständig durchführen, ist euch wohl bekannter als ich, ihr Edle von Rom, und ihr erkennt ohne Zweifel in ihm Rudolph von Sachsen, einen tapferen Mann und treu, wo seine Dienste beständig bezahlt werden.«

»Signor,« sagte Adrian zu seinem Feinde, der bestürzt und stumm die beiden Ankömmlinge mit leeren Blicken anstarrte, »jetzt seid Ihr in meiner Gewalt. Seht, es nähern sich auch unsere eigenen Leute.«

Und in der Tat blitzten auch von dem Palaste Stephan Colonnas her Fackeln, und man sah Bewaffnete herbeieilen.

»Geh' heim in Frieden, und wenn du morgen oder an einem anderen dir gelegenen Tage mich allein treffen willst, Lanze gegen Lanze, wie es Sitte ist bei den Rittern des Reiches, oder Trupp gegen Trupp, und Mann gegen Mann, wie es mehr römischer Gebrauch ist, so stehe ich dir zu Diensten – hier ist mein Pfand.«

»Edel gesprochen,« sagte Montreal; »und wenn Ihr das letztere vorzieht, so will mit Eurer Erlaubnis ich auch von der Partie sein.«

Martino gab keine Antwort; er hob den Handschuh auf, steckte ihn vorn in sein Wams und ging eilig hinweg; als er einige Schritte die Straße hinab gemacht hatte, drehte er sich um, schüttelte die geballte Faust gegen Adrian und rief in ohnmächtiger Wut mit zitternder Stimme – »Getreu dem Tode!«

Die Worte waren einer von den Wahlsprüchen der Orsini und waren, was auch ihre frühere Bedeutung gewesen sein mochte, schon längst zum geläufigen Sprichwort geworden, um ihren Haß gegen die Colonna zu bezeichnen.

Adrian, der jetzt Irene aufhob und mit dem Versuche beschäftigt war, die noch immer Ohnmächtige ins Leben zurückzurufen, überließ verächtlich die Antwort an Montreal.

»Ich zweifle nicht, Signor,« sagte der letztere kaltblütig, »daß du dem Tode getreu sein wirst; denn seine Bande sind auch die Klügsten nicht imstande, zu brechen oder ihnen zu entgehen.«

»Verzeih mir, edler Ritter,« sagte Adrian, indem er von seiner Schutzbefohlenen aufblickte, »wenn ich mich jetzt noch nicht ganz der Dankbarkeit widmen kann. Ich habe genug vom Ritterdienste gelernt, um zu wissen, daß du zugeben wirst, meine erste Pflicht –«

»Ach, also eine Dame war die Ursache des Streites! Da brauche ich nicht zu fragen, wer im Rechte war, wenn ein Mann mit solcher Ueberzahl kämpft wie jener Schurke.«

»Du irrst ein wenig, ritterlicher Herr – es ist nur ein Lamm, das ich dem Wolfe entrissen.«

»Für deinen eigenen Tisch! Es sei!« versetzte im Scherze der Ritter.

Adrian lächelte ernst und schüttelte verneinend den Kopf. Er war in der Tat über seine Lage etwas in Verlegenheit. Obgleich immer tapfer, wünschte er doch nicht, die Uneigennützigkeit dieser seiner Handlungsweise einer Mißdeutung ausgesetzt zu sehen und (denn seine Politik ging dahin, sich Volksgunst zu erwerben) das Ansehen, das ihm seine Tapferkeit unter den Kriegern verschaffen mußte, dadurch zu beflecken, daß er Irene, deren Schönheit er bis jetzt kaum bemerkt hatte, in seine Wohnung führte; und doch blieb ihm bei ihrem jetzigen Zustande keine andere Wahl. Sie gab kein Lebenszeichen von sich; er wußte weder ihre Wohnung, noch kannte er ihre Familie. Benedetta war verschwunden. Er konnte sie nicht in den Straßen lassen; er konnte sie nicht der Fürsorge eines anderen übergeben, und als sie jetzt an seiner Brust lag, fühlte er bereits, daß sie ihm teuer geworden durch jenes Bewußtsein des Schutzes, das dem menschlichen Herzen so wohltut. Er setzte daher kurz denen, die sich um ihn gesammelt hatten, seine gegenwärtige Lage und die Ursache des vorangegangenen Kampfes auseinander und hieß die Fackelträger ihm nach seiner Wohnung vorangehen.

»Ihr, Herr Ritter,« wandte er sich an Montreal, »werdet, wenn Ihr nicht schon bequemer logiert seid, belieben, mein Gast zu sein?«

»Dank, Signor,« erwiderte Montreal boshaft, »aber auch ich habe vielleicht auf meiner Hut zu sein. Adieu! Bei der nächsten Gelegenheit werde ich dich aufsuchen. Gute Nacht und schöne Träume!«

»Robers Bertrams qui estoit tors
Mais à ceval estoit mult fors
Cil avoit o lui grand effors
Multi ot 'homes par lui mors!«

Und indem er dieses holprige Lied aus dem alten Roman de Rou summte, zog der Provençale, von Rudolph gefolgt, seinen Weg weiter.

Bei der ungeheuren Ausdehnung Roms und der dünnen Bevölkerung blieben viele Straßen ganz leer. Die vornehmsten Edelleute sahen sich so in den Stand gesetzt, sich einer langen Reihe von Häusern zu bemächtigen, die sie teils gegeneinander, teils gegen das Volk befestigten; ihre zahlreichen Verwandten und Klienten wohnten um sie herum und bildeten so gleichsam unter sich kleine Höfe und Städte.

Beinahe dem Hauptpalaste der Colonna gegenüber, den sein mächtiger Verwandter, Stephan, bewohnte, lag die Wohnung Adrians. Schwer flogen, als er näher kam, die massiven Tore auf; er stieg die breite Treppe hinan und trug seine Bürde in ein Gemach, das sein Geschmack auf eine seinem Zeitalter nach ungewohnte Weise eingerichtet hatte. Alte Bildsäulen und Büsten waren ringsum aufgestellt; gemalte Tapeten zierten die Wände und bedeckten die massiven Stühle.

»Heda! Lichter her und Wein!« rief der Seneschall.

»Laßt uns allein,« sagte Adrian, während er leidenschaftlich die blasse Wange Irenes betrachtete und bei dem hellen Licht all ihre Schönheit gewahrte; und eine süße, aber brennende Hoffnung beschlich sein Herz.

Fünftes Kapitel.
Schilderung eines Verschwörers und Anbruch der Verschwörung.

Allein, an einem mit allerlei Papieren bedeckten Tische, saß ein noch jugendlicher Mann. Das Zimmer war niedrig und lang; viele alte und entstellte Basreliefs und Torsos standen an den Wänden umher, zwischen denen hie und da das kurze Schwert und der geschlossene Helm, die veralteten Ueberreste von Roms einstiger Tapferkeit, zu sehen waren. Rechts über dem Tische, an dem er saß, strömte das Mondlicht durch ein hohes und schmales, tief in die Mauer versenktes Fenster. In einer Nische, rechts von diesem Fenster, standen, durch eine jetzt eben halb beiseite geschobene Schiebtür geschützt – aus deren Festigkeit und Eisenblech, womit sie beschlagen war, man schließen konnte, welchen Wert der Schatz, den sie verbarg, in den Augen des Eigentümers habe – etwa dreißig oder vierzig Bände, eine nach den Begriffen der damaligen Zeit nicht unbedeutende Bibliothek, zum größten Teil von der Hand des Eigentümers mühsam gefertigte Abschriften von unsterblichen Originalen.

Die Wange auf die Hand gestützt, die Stirn etwas gerunzelt, die Lippen leicht zusammengedrückt, hing dieser Mann ganz anderen Betrachtungen nach, als den sorglosen Träumen eines Gelehrten. Das erhabene, stille Mondlicht, das auf seine Züge fiel, verlieh diesen, die von Natur einen ernsten und majestätischen Anstrich hatten, eine noch feierlichere Würde. Dichtes, kastanienbraunes Haar, dessen Farbe man, als etwas bei den Männern Ungewöhnliches, seiner Abstammung von dem teutonischen Kaiser zuschrieb, stand in dichten Locken über einer hohen, breiten Stirn; und selbst das jetzt so nachdenkliche Zusammenziehen der Augenbrauen konnte den Ausdruck verborgener Kraft nicht schwächen, der in der großen Breite zwischen den Augen lag, worein die griechischen Bildhauer des Altertums so bewundernswürdig den Ausdruck der moralischen Gewalt und die stille Tatkraft befehlender Größe legten. Aber seine Züge waren nicht von griechischem, noch viel weniger von deutschem Schnitt. Die eiserne Kinnlade, die Adlernase, die etwas eingefallene Wange erinnerten auffallend an den Charakter des harten Römerstammes und hätten ganz füglich einem Maler als Modell zu dem jüngeren Brutus dienen können.

Die markierten Umrisse des Gesichts und die kurze, feste Oberlippe waren nicht von Backen- und Schnurrbart, wie man sie damals gewöhnlich trug, verdeckt; und in dem verblichenen Bilde des soeben beschriebenen Mannes, das noch in Rom zu sehen ist, kann man eine gewisse Aehnlichkeit mit den gewöhnlichen Bildnissen Napoleons herausfinden, zwar nicht in den Zügen, welche bei dem Römer noch viel trotziger und hervorragender sind, aber in dem eigentümlichen Ausdruck gesammelter und ruhiger Kraft, die dem Ideal geistiger Majestät so nahe kommt. Obwohl noch jung, waren doch die gewöhnlich der Jugend eigenen, persönlichen Vorzüge – die Blüte und Glut, die runde Wange, in welche Sorgen noch nicht ihre Furchen gezogen, das volle, nicht eingesunkene Auge, und die zarte schlanke Gestalt – nicht das Charakteristische dieses einsamen Gelehrten. Und obgleich er bei seinen Zeitgenossen für außerordentlich hübsch galt, gründete sich doch wahrscheinlich dieses Urteil weniger auf die gewöhnlichen Ansprüche zu solcher Auszeichnung, als auf die Höhe des Wuchses, die damals mehr als jetzt geschätzt wurde, und jene edlere Art von Schönheit, welche ein gebildeter Geist und ein Achtung einflößender Charakter gewöhnlich auch schlichteren Zügen aufprägen – und die in einem so rohen Zeitalter sehr selten ist.

Rienzis Charakter (denn der Jüngling, welcher dem Leser in dem ersten Kapitel dieser Erzählung vorgeführt wurde, steht jetzt in reiferen Jahren wieder vor ihm) hatte mit jedem Schrittsteine auf der Bahn zur Macht mehr Stärke und Haltung gewonnen. Ein seine Geburt betreffender Umstand hatte wahrscheinlich früh großen Einfluß auf seinen Ehrgeiz geübt. Obgleich seine Eltern in dürftigen Umständen lebten und ein niedriges Gewerbe betrieben, war doch sein Vater der natürliche Sohn von Kaiser Heinrich VII.; De Sade glaubt, Rienzis Mutter sei die Tochter von einem illegitimen Sohne Heinrich VII. gewesen und unterstützt diese Ansicht durch eine Handschrift des Vatikan. Aber nach den Geschichtschreibern, die mit Rienzi lebten, leitete dieser, als er sich an Karl, König von Böhmen, wendete, die Verwandtschaft von seinem Vater ab: » Di vostro legnaggio sono – figlio di bastardo d'Enrico imperatore,« etc. Ein neuerer Schriftsteller, der Pater Gabrini, zitiert, um diese Abstammung zu unterstützen, eine Aufschrift: » Nicolaus Tribunus ... Laurentii Teutonici Filius,« etc. und wahrscheinlich war es der Stolz seiner Eltern, der Rienzi den ungewöhnlichen Vorteil einer besseren Erziehung zuteil werden ließ. Dieser Stolz vererbte sich auf ihn – die königliche Abstammung klang von der Wiege ab an sein Ohr und vermischte sich mit seinen Gedanken – so daß er sich schon in seiner frühesten Jugend den römischen Herren ebenbürtig dünkte, und ohne es selbst zu wissen, danach trachtete, über sie zu gebieten. Als sich aber seinem begierigen Auge und seinem ehrgeizigen Herzen die Literatur Roms erschloß, da erwachte in ihm jener vaterländische Stolz, edler, als Stolz auf Geburt – und wenn er nicht gerade durch Anspielung auf seine Abstammung gereizt wurde, tat er sich ganz ungekünstelt mehr darauf zugute, ein römischer Plebejer als der Abkömmling eines teutonischen Königs zu sein. Der Tod seines Bruders und die Schicksale, die er selbst schon erlebt, gaben jenem ernsten, zur Feierlichkeit neigenden Charakter eine höhere Richtung; und zuletzt konzentrierten sich alle diese Fähigkeiten eines ungewöhnlichen Verstandes auf einen Gegenstand – der von einem ebenso streng und geheimnisvoll religiösen, wie dem Vaterlande ergebenen Gemüt einen geheiligten Anstrich annahm und zugleich Pflicht und Leidenschaft wurde.

»Ja,« sagte Rienzi, sich plötzlich von seinen Träumereien losreißend, »ja, der Tag ist nicht mehr fern, wo Rom sich wieder aus der Asche erheben wird; Gerechtigkeit wird die Unterdrückung vom Throne stürzen, und sicher werden die Männer auf ihrem alten Forum wandeln. Wir wollen die unbezähmbare Seele Catos aus ihrem vergessenen Grabe aufwecken! Ein Volk soll wieder in Rom sein – und ich – ich werde der Schöpfer dieses Triumphes sein – der Wiederhersteller meines Geschlechtes – meine Stimme wird zuerst das Schlachtgeschrei der Freiheit ertönen lassen – meine Hand zuerst ihr Banner erheben – ja, von der Höhe meiner Seele, wie von einer Burg, sehe ich schon Größe und Freiheit des neuen Roms aufsteigen; und auf dem Eckstein des mächtigen Gebäudes wird die Nachwelt meinen Namen lesen.«

Das ganze Wesen des Redners schien, als er diese erhabenen Worte sprach, von seinem Ehrgeize bewegt. Mit leichten, raschen Schritten ging er in dem düsteren Zimmer auf und ab, wie auf der Bühne; seine Brust arbeitete, seine Augen glühten. Er fühlte, daß die Liebe selbst kaum ein Entzücken gewähren kann, das dem eines Patrioten gleich käme, der in der ersten jungfräulichen Begeisterung sich noch ganz seiner Aufrichtigkeit bewußt ist!

Es wurde leicht an die Tür gepocht, und ein Diener in der reichen Livree der päpstlichen Offizialen erschien.

»Signor,« sagte er, »mein Gebieter, der Bischof von Orvieto, ist draußen.«

»Ha! glücklicher Zufall. Lichter her! – Mein Herr, das ist eine Ehre, die ich mehr zu fühlen, als auszudrücken imstande bin.«

»Pah, pah! mein guter Freund,« sagte der Bischof während des Eintretens und setzte sich vertraulich, »keine Zeremonien zwischen den Dienern der Kirche; und nie war sie, glaube ich, treuer Freunde bedürftiger als jetzt. Diese gottlosen Tumulte, diese ausgelassenen Streitigkeiten, gerade in der Stadt und vor dem Altar des heiligen Petrus, reichen hin, um der ganzen Christenheit ein Aergernis zu geben.«

»Und so wird es bleiben,« sagte Rienzi, »bis Seine Heiligkeit dahin gebracht sein wird, Ihre Residenz an dem Sitze Ihrer Vorfahren aufzuschlagen und mit kräftigem Arm die Ausschweifungen des Adels zu zügeln.«

»Ach, Mann!« sagte der Bischof, »du weißt, daß dies nur in den Wind gesprochen ist; denn erfüllte der Papst deine Wünsche und käme wieder von Avignon nach Rom, er würde bei dem heiligen Petrus! nicht den Adel, sondern der Adel würde ihn am Zaume halten. Du weißt wohl, daß, bis sein gesegneter Vorgänger, gottseligen Andenkens, den weisen Entschluß faßte, nach Avignon zu fliehen, der Vater der Christenheit, gleich vielen anderen Vätern in ihren alten Tagen, von seinen rebellischen Kindern eingeschränkt und bewacht wurde. Erinnerst du dich nicht, wie selbst der edle Bonifazius, ein Mann von großem Herzen und ehernen Nerven, von den Vorfahren der Orsini in Knechtschaft gehalten wurde – wie sein Ein- und Ausgang von ihrem Willen abhing – so daß er, wie ein in einem Käfig eingesperrter Adler, selbst gegen seine Balken rannte und starb? Wahrlich, du sprichst von Erinnerungen Roms – diese Erinnerungen aber sind nicht sehr anziehend für Päpste.«

»Nun,« sagte Rienzi, freundlich lächelnd, während er mit seinem Stuhl dem Bischof näher rückte, »mein hoher Herr hat gewiß den besten Beweis gleich bei der Hand, und ich muß gestehen, daß, so stark, zügellos und ruchlos der Adel damals war, er es doch jetzt noch in höherem Grade ist.«

»Sogar ich,« erwiderte Raimund, und seine Wangen röteten sich beim Sprechen, »obgleich Vikar des Papstes und Stellvertreter seiner geistlichen Macht, war erst vor drei Tagen einer groben Beleidigung von gerade diesem Stephan Colonna ausgesetzt, der von dem heiligen Stuhle stets Gunstbezeugungen und Aufmerksamkeiten erfuhr. Seine Diener rannten die meinigen an auf offener Straße, und ich – ich, der Abgesandte des Herrn der Könige – war genötigt, mich beiseite an die Mauer zu drücken und zu warten, bis der übermütige Graukopf vorübergestürmt war. Auch fehlte es nicht an Gotteslästerungen, um die Beschimpfung vollständig zu machen. ›Verzeihung, Herr Bischof,‹ sagte er im Vorbeigehen, ›aber du weißt wohl, diese Welt muß notwendig der anderen vorangehen.‹«

»Hat er sich das erkühnt?« fragte Rienzi und bedeckte sein Gesicht mit der Hand, als ein ganz eigentümliches Lächeln – es war an sich kein fröhliches, obgleich es andere erheiterte, und veränderte den von Natur ernsten Ausdruck seiner Züge sogar bis zur Strenge – um seine Lippen spielte. »Dann ist es Zeit für dich, heiliger Vater, wie für uns, zu – –«

»Zu was?« unterbrach ihn der Bischof rasch. »Können wir etwas ausrichten? Laß deine enthusiastischen Träume fahren – steige auf die wirkliche Erde herab – blicke nüchtern um dich. Was vermögen wir gegen so mächtige Männer?«

»Herr,« erwiderte Rienzi ernst, »es ist ein Unglück der Leute Eures Standes, daß sie nie das Volk oder die richtigen Zeichen der Zeit kennen. Wie diejenigen, welche auf einem hohen Berge wandeln, die Wolken unten hintreiben sehen, wo sie Ebenen und Täler ihren Blicken verschleiern, während diese, nur wenig über die Oberfläche erhaben, die Bewegungen und Wohnungen der Menschen erblicken; gerade so erblicket Ihr von Eurem erhabenen Standpunkte aus nur die verworrenen und trüben Dünste – während ich von meiner bescheidenen Stellung nur die Vorbereitungen der Schäfer sehe, um sich und ihre Herden vor dem Sturme zu schützen, den diese Wolken verkünden. Verzweifelt nicht, Herr; man erträgt nur bis zu einer gewissen Grenze – bis zu dieser Grenze reicht die Spannung schon – Rom wartet nur auf die Gelegenheit (bald wird sie kommen, aber nicht plötzlich), um mit einemmal gegen seine Unterdrücker aufzustehen.«

Das große Geheimnis der Beredsamkeit soll in dem Ernste liegen – das große Geheimnis von Rienzis Beredsamkeit bestand in der Macht seiner Begeisterung. Er sprach nie wie einer, der noch an dem Erfolge zweifelt. Vielleicht erkannte er wie die meisten Vollführer von erhabenen, großen Taten selbst nie vollkommen die sich ihm bietenden Hindernisse. Er sah das Ziel hell und klar vor sich und übersprang in der Einbildung seiner Seele die Kreuzungen und die Länge der Bahn; so prägten sich die tiefen Ueberzeugungen seines Gemütes unwiderstehlich anderen ein. Er schien weniger zu versprechen, als vorherzusagen.

Der Bischof von Orvieto, ein Mann von nicht gerade erhabenem Geiste, aber von ruhigem Temperament und viel Welterfahrung, war von der Tatkraft seines Gesellschafters lebhaft ergriffen; vielleicht dies um so mehr, als auch sein eigener Stolz und seine Leidenschaften gegen den Uebermut und die Freiheit des Adels aufgestachelt waren. Er schwieg eine Weile, ehe er Rienzi antwortete.

»Aber werden sich nur die Plebejer erheben?« fragte er endlich, »du weißt, wie elend und unzuverlässig sie sind.«

»Herr,« erwiderte Rienzi, »urteilt nach einer Tatsache, wie kräftig ich von Freunden nicht gewöhnlicher Art umgeben bin: Ihr wißt, wie laut ich gegen den Adel spreche – ich nenne Namen – den Savelli, den Orsini, den Colonna biete ich Trotz vor ihren Ohren. Glaubt Ihr, daß sie mir vergeben? Glaubt Ihr, sie würden, wären nur die Plebejer mein Schutz und meine Gönner, mich nicht mit offener Gewalt angreifen? – es wäre mir nicht längst ein Knebel in ihren Kerkern zuteil geworden, oder ewige Stille des Grabes hätte mich verschlungen? Bemerkt,« fuhr er fort, als er in den Zügen des Geistlichen den Eindruck las, den er auf ihn gemacht – »bemerkt, daß in der ganzen Welt eine große Umwälzung begonnen. Die barbarische Finsternis von Jahrhunderten ist gebrochen: das Wissen, das in früheren Zeiten Menschen zu Halbgöttern machte, ist aus seiner Urne hervorgerufen: eine Macht, schlauer als rohe Gewalt, und mächtiger als bewaffnete Männer, ist geschäftig: wir haben noch einmal angefangen, der Herrschaft des Geistes zu huldigen. Ja, dieselbe Macht, die vor wenigen Jahren Petrarca auf dem Kapitol krönte, als es nach einem Schweigen von zwölf Jahrhunderten Zeuge war von der Herrlichkeit eines Triumphes, – die auf einen Mann von dunkler Herkunft, unerfahren in den Waffen, dieselben Ehren häufte, welche vor alters Kaisern und Besiegern von Königen zuteil wurden – die in einem Akte der Huldigung die rivalisierenden Häuser Colonna und Orsini vereinigte – welche die stolzesten Patrizier wetteifern ließ, um dem Sohne des florentinischen Plebejers die Schleppe zu tragen, nur seinen Purpurmantel zu berühren – die noch immer Europas Augen auf die niedere Hütte von Vaucluse zieht – die dem bescheidenen Gelehrten die überall anerkannte Freiheit gibt, Tyrannen zu warnen und mit stolzen Bitten sich selbst dem Vater der Kirche zu nahen; ja, dieselbe Macht, die schweigend wirksam unter der festen Grundlage der venetianischen Oligarchie Etwa acht Jahre später brach der lange unterdrückte Groll des venetianischen Volkes gegen die weiseste und wachsamste aller Oligarchien, das Sparta Italiens, in der Verschwörung unter Marino Faliero aus. murrt, die jenseits der Alpen in Spanien, Deutschland und Flandern sichtbares, plötzliches Leben erweckte, und die sogar auf jener barbarischen Insel, die das Schwert der Normannen eroberte, und der Tapferste der lebendigen Könige Eduard III., unter dessen Regierung viel volkstümlichere Ansichten als die des folgenden Jahrhunderts sich zu erheben begannen. Es war in der Tat ein Zeitalter, das in der ganzen Welt eine Menge Blüten trieb, aus denen aber nur rohe, unreife Früchte wurden; – ein außerordentlicher Sprung, dem ein so außerordentlicher Stillstand folgte. regiert, einen Geist heraufbeschwor, den der Normann nicht lähmen kann – Könige, die über ihn herrschen wollen, müssen durch ihn herrschen – ja, diese nämliche Macht ist überall zu erkennen; sie spricht, sie singt in der Stimme dessen, der vor Euch steht; sie vereinigt für ihre Sache alle, in die nur ein schwacher Schimmer des Lichtes gedrungen ist, alle, in denen ein großartiges Verlangen entflammt werden kann! Wisset, Herr Vikar, daß nicht ein Mann in Rom ist, außer gerade unseren Unterdrückern – nicht ein Mann, der eine Silbe von unserer alten Sprache gelernt hat, dessen Herz und Schwert nicht für mich wären. Die friedlichen Pfleger der Wissenschaften – der stolze Adel zweiten Ranges – das aufblühende Geschlecht, reifer als ihre trägen Väter, vor allem, Herr, die niederen Diener der Kirche, Priester und Mönche, welche Schwelgerei nicht verblendet, Pracht nicht betäubt hat gegen die Schmach, welche der Christenheit bei Tag und Nacht in der christlichen Hauptstadt zugefügt wird; diese – alle diese – stehen mit dem Kaufmann und Künstler in einem unauflöslichen Bunde und warten nur auf das Signal, zu fallen oder zu siegen, frei zu leben oder im Tode Unsterblichkeit zu erringen für Rienzi und ihr Vaterland!«

»Sprichst du im Ernste so?« fragte der erstaunte Bischof, indem er sich halb erhob. »Beweise nur diese deine Worte, und du sollst die Diener Gottes nicht weniger eifrig für das Glück der Menschen finden als ihre Laienbrüder.«

»Was ich sage,« versetzte Rienzi in kälterem Tone, »kann ich beweisen; doch mag ich dies nur gegen diejenigen tun, welche für uns sein werden.«

»Fürchte nichts von mir,« antwortete Raimund; »ich kenne die Gesinnung Seiner Herrlichkeit wohl, deren Abgesandter und Stellvertreter ich bin, und könnte er der Macht der Patrizier, die in ihrem Uebermute selbst das Ansehen der Kirche nicht achten, nur die gesetzlichen und natürlichen Schranken gesteckt sehen, so sei versichert, daß er der Hand hold wäre, welche diese Grenzlinie zöge. Ja, ich bin dessen so gewiß, daß ich, sein verantwortlicher, aber unwürdiger Stellvertreter, wenn Ihr die Oberhand behaltet, selbst dem Erfolg Gesetzeskraft erteilen will. Aber hütet euch vor rohen Angriffen; die Kirche darf dadurch nicht leiden, daß man ihr einen Fehler zur Last legte.«

»Recht, mein Herr,« erwiderte Rienzi; »die Politik der Religion kommt mit jener der Freiheit hierin überein. Schließet aus meinem langen Zögern auf meine Vorsicht. Wer alles um sich ungeduldig sehen, während er selbst vor Ungeduld brennt – und noch das Signal zurückhalten und die Stunde erwarten kann, verliert seine Sache nicht leicht aus Unbesonnenheit.«

»Also noch etwas mehr hiervon,« sagte der Bischof, indem er in seinen Stuhl zurücksank. »Sind deine Pläne reif, so trage kein Bedenken, sie mir mitzuteilen. Glaube, daß Rom keinen aufrichtigeren Freund hat als den, der bestimmt ist, Ordnung zu halten, und sich einem Angriffe nicht gewachsen fühlt. Doch kommen wir nun zu dem Zwecke meines jetzigen Besuches, der vielleicht einigermaßen mit dem Gegenstande zusammenhängt, den wir soeben besprachen ... Du weißt, daß, als Seine Heiligkeit dir dein jetziges Amt anvertraute, er dir auch befahl, seine wohlwollende Absicht hinsichtlich der Bewilligung eines allgemeinen Jubelfestes zu Rom für das Jahr 1350 zu verkünden – eine bewundernswerte Absicht aus zwei Gründen, die dir hinlänglich einleuchten werden; erstens, weil jede Christenseele, welche bei dieser Gelegenheit nach Rom wallfahrtet, gänzliche Vergebung ihrer Sünden erhält, und zweitens, weil, um fleischlich zu sprechen, das Zusammenströmen der hierdurch angelockten Pilger durch die Schenkungen und Opfer ihrer Frömmigkeit die Einkünfte des heiligen Stuhles, welche, beiläufig gesagt, im gegenwärtigen Augenblick in keinem sehr blühenden Zustande sind, gewöhnlich sehr wesentlich vermehrt. Das weißt du, lieber Rienzi.«

Rienzi nickte bejahend, und der Prälat fuhr fort: »Nun bemerkt Seine Heiligkeit mit der größten Betrübnis, daß seine frommen Absichten wahrscheinlich vereitelt werden würden; denn die Räuber auf den öffentlichen Straßen bei Rom sind jetzt so kühn und zahlreich, daß auch der kühnste Pilger zittern muß, die Reise zu unternehmen, und diejenigen, welche es dennoch wagen, werden wohl aus den Aermsten der christlichen Gemeinschaft bestehen – Leuten die, da sie weder Gold noch Silber, noch wertvolle Geschenke bringen, wenig von der Raubgier der Schurken zu fürchten haben werden. Hieraus läßt sich zweierlei folgern: auf der einen Seite werden die Reichen – die, der Himmel weiß es und das Evangelium sagt es ausdrücklich, einer Vergebung ihrer Sünden am bedürftigsten sind – der rühmlichen Gelegenheit zur Absolution verlustig: auf der anderen dagegen werden die Kisten des heiligen Stuhles auf eine gottlose Weise der Reichtümer beraubt, die im anderen Falle ohne Zweifel von dem frommen Eifer seiner Kinder zu erwarten wären.«

»Nichts kann logisch klarer sein, mein Herr,« erwiderte Rienzi.

Der Vikar fuhr fort: »Nun befahl mir Seine Heiligkeit in Briefen, die ich vor fünf Tagen erhielt, diese fürchterlichen Folgen für die Christenheit den verschiedenen Patriziern, rechtmäßigen Lehensträgern der Kirche, auseinanderzusetzen, und ihre entschlossene Verbindung gegen die Straßen-Räuber zu verlangen. Ich habe mich mit ihnen beratschlagt, und vergebens.«

»Denn durch den Beistand und die Mannschaften dieser Räuber haben die Patrizier ihre Paläste gegeneinander befestigt,« fügte Rienzi hinzu.

»Gerade aus diesem Grunde,« versetzte der Bischof. »Ja, Stephan Colonna besaß sogar die Dreistigkeit, es zuzugeben. Gänzlich ungerührt durch den Verlust so vieler kostbarer Seelen und, kann ich hinzusetzen, des päpstlichen Schatzes, der doch einem scharfsinnigen Manne nicht weniger teuer sein sollte, weigern sie sich, einen Schritt gegen die Banditen zu tun. Nun hört denn den zweiten Auftrag Seiner Heiligkeit: ›Sollte es mit dem Adel nicht gelingen,‹ sagte er mit seinem prophetischen Scharfsinn, ›so berate dich mit Cola di Rienzi. Er ist ein kühner und frommer Mann und, wie du mir sagst, von großem Einfluß bei dem Volke; sage ihm, daß, wenn sein Verstand das Mittel finden kann, die Söhne Belials auszurotten und die Heerstraßen sicher zu machen, er sich höchlich um uns verdient machen werde – dauernd wird die Dankbarkeit sein, zu der er uns verpflichtet; welchen Beistand du und die Diener unseres Stuhles ihm leisten könnt, mit dem zögert nicht.‹«

»Sagte Seine Heiligkeit so?« rief Rienzi aus. »Ich verlange nicht mehr – die Dankbarkeit ist auf meiner Seite, daß er derart an seinen Diener gedacht und mir dieses Geschäft übertragen hat; zugleich nehme ich den Auftrag an und verbürge mich für den Erfolg. Laßt uns demnach, mein Herr, genau über die Grenzen uns verständigen, die meiner Willkür überlassen sind. Um die Räuber außerhalb der Mauern zu bändigen, muß ich Gewalt über die innerhalb derselben befindlichen haben. Wenn ich mit Gefahr meines Lebens übernehme, alle Zugänge Roms von dem Räubergesindel, das sie unsicher macht, zu säubern, soll ich dann unumschränkte Freiheit für kühnes, unbedingtes und strenges Verfahren haben?«

»Ein solches Benehmen fordert ja die Natur des Auftrages,« antwortete Raimund.

»Ja, wenn es auch gegen die Erzfrevler, gegen diejenigen, welche die Räuber unterstützen – wenn es gegen den höchsten Adel selbst anzuwenden wäre?«

Der Bischof schwieg und sah dem Sprecher scharf ins Gesicht. »Ich wiederhole,« sagte er endlich mit gedämpfter Stimme und bedeutungsvoller Betonung, »bei diesem kühnen Unternehmen ist Gelingen die einzige Bestätigung. Erreiche den Zweck, so werden wir dich aller Verantwortung überheben – selbst des – –«

»Todes eines Colonna oder Orsini, wenn die Gerechtigkeit ihn verlangt, wenn er in dem Gesetze vorgesehen und nur durch eine Verletzung des Gesetzes verschuldet wäre!« setzte Rienzi bestimmt hinzu.

Der Bischof antwortete nicht durch Worte, aber eine leichte Bewegung seines Kopfes war Rienzi genügend.

»Mein Herr,« sprach, er, »von diesem Augenblick an steht alles gut; die Revolution – die Herstellung der Ordnung des Staates leite ich von dieser Stunde – von dieser Unterredung her. Bis jetzt habe ich in dem Bewußtsein, daß die Gerechtigkeit nie ein Auge zudrücken darf, aus Furcht gezögert, Ihr und Seine Heiligkeit möchtet es für Strenge halten und denjenigen tadeln, der das Gesetz wieder aufrichtet, weil er die Uebertreter des Gesetzes straft. Jetzt beurteile ich Euch richtiger. Eure Hand, mein Herr!«

Der Bischof reichte ihm die Hand: Rienzi ergriff sie fest und erhob sie ehrfurchtsvoll zu seinen Lippen. Beide verstanden, daß der Vertrag besiegelt war.

Diese in der Wiederholung so lange Unterredung war der Tat nach nur sehr kurz; aber der Zweck war bereits erreicht, und der Bischof erhob sich, um zu gehen. Das äußere Portal des Hauses stand offen, die zahlreichen Diener des Bischofs hielten ihre Fackeln empor, und als er sich eben von Rienzi hinwegwandte, der ihn bis zum Tor begleitete, stürzte eine weibliche Gestalt durch das Gefolge des Prälaten, blieb plötzlich stehen, als sie Rienzi erblickte, und fiel zu seinen Füßen nieder.

»O, eilt, Herr! eilt, um Gottes willen, eilt! oder die junge Signora ist für immer verloren!«

»Die Signora! – Himmel und Erde, Benedetta, von wem sprecht Ihr? – von meiner Schwester – von Irene? ist sie nicht zu Hause?«

»O Herr – die Orsini – die Orsini!«

»Was ist mit ihnen? – sprich, Weib!«

Jetzt erzählte Benedetta atemlos und mit vielen Unterbrechungen so viel von dem Abenteuer mit Martino di Porto, als sie mit angesehen; von dem Ausgange und dem Ergebnisse des Streites wußte sie noch nichts.

Rienzi hörte sie schweigend an, aber die tödliche Blässe seines Gesichtes und das Verzerren der Unterlippe zeugten von der Aufregung, der er nicht in Worten Luft machte.

»Ihr hört, mein Herr Bischof, Ihr hört,« sagte er, als Benedetta zu Ende war, und wandte sich an den Bischof, der durch die Erzählung aufgehalten worden war; »Ihr hört, welchen Gewalttaten die Bürger Roms ausgesetzt sind! – Meinen Hut und mein Schwert! augenblicklich! Mein Herr, verzeiht meine Eile.«

»Wohin – wohin?« fragte der Bischof.

»Ach, ich vergaß, mein Herr, Ihr habt keine Schwester. Vielleicht hattet Ihr auch keinen Bruder? – Nein, nein; ich will wenigstens ein Opfer retten. Wohin, fragt Ihr mich? – nach Martino di Portos Palaste.«

»Zu einem Orsini, allein, und um Gerechtigkeit zu erlangen?«

»Allein, und um Gerechtigkeit zu erlangen! – Nein!« schrie Rienzi mit lauter Stimme, indem er sein Schwert, das ihm jetzt ein Diener gebracht, ergriff, und stürzte aus dem Hause; »aber ein Mann ist genug zur Rache

Der Bischof blieb einen Augenblick stehen, um zu überlegen. »Er darf nicht verloren gehen,« murmelte er, »wie es wohl der Fall sein könnte, wenn er so allein der Wut des Wolfes preisgegeben wäre. »Heda!« rief er laut: »tragt die Fackeln voran! – rasch, rasch! Wir selbst – wir, der Stellvertreter des Papstes – wollen es mit ansehen. Beruhigt euch, gute Leute; wir bringen eure junge Signora zurück. Vorwärts! zu Martino di Portos Palast!«

Sechstes Kapitel.
Irene in dem Palaste Adrians di Castello.

Wie der Cyprier das Bild betrachtete, in welchem er die Träume seiner Jugend verkörpert hatte, während die lebendigen Farben langsam unter dem Marmor hervorquollen – so betrachtete der junge und leidenschaftliche Adrian die vor ihm liegende Gestalt, wie sie nach und nach wieder zum Leben erwachte. Und wenn die Schönheit dieses Gesichtes nicht von der erhabensten, blendendsten Art war, wenn sein sanfter und ruhiger Ausdruck von mancher wirklich weniger vollkommenen Schönheit überstrahlt werden mochte, so gab es doch nie ein Antlitz, das dem Auge wohlgefälliger gewesen, und nie eines, in welchem der unaussprechliche, jungfräuliche Ausdruck, den die italienische Kunst in ihren Bildern zu erreichen sucht, beredter ausgedrückt gewesen wäre – jener Ausdruck, bei dem Bescheidenheit den äußeren, Zärtlichkeit den mehr verborgenen Grundzug ausmacht; die Jugendblüte des Körpers und des Herzens, ehe die erste schwache und zarte Frische beider abgestreift ist und wo selbst die Liebe, der einzige unruhige Gast, der in diesem Alter gekannt sein sollte, nur ein Gefühl, nicht eine Leidenschaft ist!

»Benedetta!« flüsterte Irene endlich, indem sie bewußtlos ihre Augen gegen den Mann aufschlug, der neben ihr kniete, – Augen von jener ungewissen, sanften Färbung, in die man jahrelang blicken und doch niemals das Geheimnis ihrer Farbe erfahren könnte, da sie mit der sich erweiternden Pupille sich ändert – im Schatten dunkler wird, und im Lichte in Azur glänzt. »Benedetta,« sagte Irene, »wo bist du? O, Benedetta! Ich habe einen schrecklichen Traum gehabt.«

»Und welche Erscheinung!« dachte Adrian.

»Wo bin ich?« rief Irene, indem sie sich von dem Lager erhob. »Dieses Zimmer – diese Tapeten – heilige Jungfrau! träume ich noch immer! – und Ihr! Himmel! – es ist der Signor Adrian di Castello!«

»Ist das ein Name, den du fürchten gelernt hast?« fragte Adrian; »wenn dies der Fall ist, so will ich ihn abschwören.«

Wenn Irene jetzt tief errötete, so geschah es nicht in jenem wilden Entzücken, mit dem sie, wie ihr schwärmerisches Herz ihr prophezeien mochte, die ersten Worte der Huldigung von Adrian di Castello angehört hatte. Verwirrt und bestürzt – erschreckt durch die Unbekanntschaft mit dem Orte und zurückbebend selbst vor dem Gedanken, sich allein mit dem Manne zu finden, der seit Jahren in ihrer Einbildung gelebt – waren Unruhe und Kummer die Regungen, die sie am heftigsten fühlte und die sich am deutlichsten in ihren beredten Zügen aussprachen. Und als Adrian sich ihr jetzt näherte, da wuchs trotz seiner sanften Stimme und der Ehrerbietung in seinen Blicken ihre Angst, die, ganz unbestimmt, nur um so heftiger war; sie floh an das fernste Ende des Zimmers, blickte wild um sich, bedeckte dann ihr Gesicht mit den Händen und brach in einen Strom von Tränen aus.

Gerührt von diesen Tränen, erriet Adrian ihre Gedanken und vergaß für einen Augenblick alle kühneren Wünsche, die in ihm aufgestiegen.

»Fürchte nichts, holdes Mädchen,« sagte er ernst, »sammle dich, ich bitte – keine Gefahr, keine Bosheit kann dich hier erreichen; diese Hand war es, welche dich vor der Gewalttat der Orsini rettete – dieses Zimmer ist nur das Obdach eines Freundes! Sage mir also, mein schöner Engel, deinen Namen und deine Wohnung, so will ich meine Diener rufen und dich sogleich nach Hause geleiten.«

Vielleicht brachte noch mehr die Erleichterung durch Tränen, als selbst Adrians Worte Irene wieder zu sich und gab ihr die Kraft, ihre ungewöhnliche Lage zu begreifen; und als ihr heller Verstand ihr nun sagte, was sie dem zu verdanken habe, der ihr so lange in ihren Träumen als Ideal alles Vorzüglichen vorgeschwebt hatte, da wurde sie wieder Herrin ihrer selbst und sprach ihren Dank mit einer durch die Verlegenheit, in der sie sich befand, nur noch erhöhten Anmut aus.

»Danke mir nicht,« erwiderte Adrian leidenschaftlich; »ich habe deine Hand berührt, ich bin belohnt. Belohnt – ja, an mir ist es, Dankbarkeit und Huldigungen darzubringen!«

Wieder errötend, aber aus einer ganz anderen Regung als zuvor, erwiderte Irene nach einem augenblicklichen Schweigen: »Doch, mein Herr, muß ich meine Schuld als eine um so gewichtigere betrachten, weil Ihr so leicht darüber fortgeht. Macht meine Verpflichtung jetzt voll; – ich sehe meine Begleiterin nicht – erlaubt, daß sie mich nach Hause führt; es ist von hier nur eine kurze Strecke.«

»Gesegnet also ist die Luft, die ich so unbewußt einatmete!« sagte Adrian. »Aber deine Begleiterin, liebes Mädchen, ist nicht hier. Sie floh, meine ich, in der Verwirrung des Handgemenges, und da ich deinen Namen nicht wußte und in deinem damaligen Zustande ihn von deinen Lippen nicht erfahren konnte, so war es nur glückliche Notwendigkeit, dich hierher zu bringen – aber ich will dich geleiten. Nein, warum dieser furchtsame Blick? – auch meine Leute sollen mit uns gehen.«

»Mein Dank, edler Herr, ist von geringem Werte; mein Bruder, der dir nicht unbekannt ist, wird dir denselben passender abstatten. Kann ich gehen?« und bereits war Irene, während sie so sprach, an der Tür.

»Verlangst du so heftig, mich zu verlassen?« antwortete Adrian traurig. »Ach, wenn dich meine Augen nicht mehr erblicken, wird es sein, als hätte der Mond die Nacht im Stiche gelassen! – Aber Glückseligkeit ist es, deinen Wünschen zu gehorchen, auch wenn sie dich von mir reißen.«

Ein leichtes Lächeln trat auf Irenes Lippen, und Adrians Herz schlug so laut, daß er selbst es hörte, während er das Lächeln und die niedergeschlagenen Augen für kein ungünstiges Vorzeichen hielt.

Widerstrebend und langsam wandte er sich gegen die Tür und rief seine Diener. »Aber,« sagte er, als sie nun oben an der Treppe standen, »du sagtest, holdes Mädchen, der Name deines Bruders sei mir nicht unbekannt. Der Himmel gebe, daß er ein wahrer Freund der Colonna sei!«

»Sein Stolz,« antwortete Irene ausweichend, »der Stolz Cola di Rienzis ist, der Freund der Freunde Roms zu sein.«

»Heilige Jungfrau von Ara Coeli! – ist jener außerordentliche Mann dein Bruder?« rief Adrian aus, als er bei Nennung dieses Namens ein Hindernis für seine plötzliche Leidenschaft sah. »Ach! in einem Colonna, in einem Adeligen wird er kein Verdienst erblicken; obgleich dein glücklicher Befreier, holdes Mädchen, früher seine Freundschaft suchte!«

»Du tust ihm sehr unrecht, Herr,« versetzte Irene mit Wärme; »mehr als alle anderen würdigt er deine edelmütige Tapferkeit, wäre sie auch nur zur Verteidigung des niedrigsten Weibes in Rom erprobt worden – wie viel mehr denn, wenn sie seine Schwester beschützte!«

»Die Zeiten sind in der Tat krank,« antwortete Adrian nachdenklich, als sie sich jetzt auf der offenen Straße befanden, »wenn Männer, die mit denselben Gefühlen um das Wehe ihres Vaterlandes trauern, argwöhnisch gegeneinander sind – wenn ein Patrizier sein, ein Feind des Volkes sein, heißt – wenn der Freund des Volkes als ein Feind der Patrizier angesehen werden muß. Aber komme, was da will, o! laß mich hoffen, teures Mädchen, daß keine Zweifel, keine Spaltungen eine freundliche Erinnerung an mich aus deiner Brust verdrängen werden!«

»Ach! wenig, wenig kennt Ihr mich!« fing Irene an und stockte plötzlich.

»Sprich! sprich weiter! – welcher Musik hat dieses boshafte Schweigen meine Seele beraubt! So willst du mich also nicht vergessen? Und,« fuhr Adrian fort, »wir werden uns wieder treffen? Auf Rienzis Haus sind wir jetzt beschränkt; morgen werde ich meinen alten Kameraden besuchen – morgen dich wiedersehen – oder nicht?«

In Irenes Schweigen lag ihre Antwort.

»Und nachdem du mir den Namen deines Bruders genannt, mache ihn, indem du den deinigen hinzufügst, meinem Ohre noch lieblicher.«

»Man nennt mich Irene.«

»Irene, Irene! laß mich ihn wiederholen. Es ist ein sanfter Name und hängt an den Lippen, als wollte er sie nicht gern verlassen – ein passender Name für ein Wesen wie du!«

So machte Adrian, ohne zurückgewiesen zu werden, dem Mädchen in seiner blumenreichen und glühenden Sprache den Hof, die, wenn auch jenem Zeitalter und der Galanterie des Südens besonders eigentümlich, doch die Sprache ist, in welcher die Poesie jugendlicher Leidenschaft zu allen Zeiten und in allen Ländern ihr reiches Uebermaß zu äußern pflegte, wenn Herz zu Herz sprechen konnte. Er geleitete seine schöne Schutzbefohlene auf dem größten Umwege nach Hause; Irene bemerkte entweder den Kunstgriff nicht oder vergab ihn stillschweigend. Jetzt betraten sie die Straße, wo Rienzi wohnte, als unerwartet eine Abteilung Männer mit Fackeln auf sie zukam. Es waren die Diener des Bischofs von Orvieto, die von dem Palaste Martinos di Porto kamen, um, begleitet von Rienzi, sich nach Adrians Wohnung zu begeben. Sie hatten, ohne den Orsini zu Gesicht zu bekommen, von den Dienern im Hofe unten den Verlauf des Kampfes und den Namen von Irenes Retter erfahren, und Rienzi wußte, ungeachtet Adrians allgemein bekannter Galanterie, genug von seinem Charakter und kannte seinen Edelmut hinlänglich, um zuversichtlich Irene unter seinem Schutze für sicher zu halten. Ach! in dieser Sicherheit für die Person liegt oft die größte Gefahr für das Herz. Einem Weibe wird die Liebe nie so gefährlich, als wenn derjenige, der sie liebt, sich um ihretwillen Gewalt antut.

An ihres Bruders Brust gedrückt, hieß Irene ihn ihrem Befreier danken, und Rienzi ging mit jener bezaubernden Offenherzigkeit, welche den gewöhnlich Zurückhaltenden so wohl ansteht, und über die alle, welche die Herzen ihrer Mitmenschen zu beherrschen pflegen, unter Umständen zu gebieten haben, auf den jungen Colonna zu und ergoß sich in Dankbarkeit und Lobsprüchen.

»Wir sind zu lange getrennt gewesen – wir müssen einander wieder kennen lernen,« versetzte Adrian. »Gewiß, ich werde dich binnen kurzem heimsuchen.«

Er wandte sich gegen Irene, um von ihr Abschied zu nehmen, führte ihre Hand an seine Lippen, drückte sie und schmeichelte sich mit der Einbildung, diese zarten Finger hätten, während sie seiner Hand entglitten, leicht und unwillkürlich den Druck erwidert.

Siebentes Kapitel.
Ueber Liebe und Liebende.

Wenn Shakespeare, als er die legendenartige Liebessage von Romeo und Julie zum Gegenstand wählte, den Schauplatz, wohin sie verlegt ist, in ein nördlicheres Klima versetzt hätte, so zweifle ich, ob selbst seine Kunst uns mit dem plötzlichen Entflammen und der Heftigkeit von Julies Leidenschaft auszusöhnen vermocht hätte. Und auch wie es nun einmal ist, glaube ich, daß wenige unter unseren vernünftigen und nüchternen Inselbewohnern sein werden, die, wenn man sie ernstlich fragte, nicht offen geständen, sie hielten die Romantik und Inbrunst dieser unglücklichen liebenden Veroneser für übertrieben und überspannt. Jedoch in Italien bieten sich zu diesem Gemälde der in einer Nacht entstandenen – aber »bis zum Tode starken« – Leidenschaft in den gewöhnlichsten Verhältnissen des Lebens zahllose Seitenstücke. Wie in den verschiedenen Altersstufen, so nimmt unter verschiedenen Himmelsstrichen die Liebe wunderbar verschiedene Gestalten an; und bis auf den heutigen Tag würde unter italienischem Himmel manches einfache Mädchen fühlen wie Julie, und mancher gewöhnliche Liebhaber würde mit Romeos Schwärmerei wetteifern. Lange Bewerbungen kennt man in dem Lande, in und von welchem ich jetzt schreibe, nicht. Vielleicht entsteht in keinem anderen die Liebe gewöhnlich so auf den ersten Anblick, die in Frankreich ein Scherz, in England etwas Ungewisses ist; auch wird sie in keinem anderen Lande, wenn auch so plötzlich entstanden, treuer bewahrt. Was in der Phantasie gereift ist, wird auf einmal zur Leidenschaft, aber bleibt durch alle Zeiten durch das Gefühl einbalsamiert. Und dies muß meine und ihre Entschuldigung sein, wenn Adrians Liebe als zu frühzeitig und die Irenes als zu romantisch erscheint; – es ist die Entschuldigung, welche sie von Luft und Sonne – von den Gewohnheiten ihrer Vorfahren – von der sanften Ansteckung des Beispiels erhalten. Aber während sie den Einflüsterungen ihrer Herzen Gehör gaben, bemerkte man an ihnen eine gewisse, wenn gleich geheime Traurigkeit, ein Vorgefühl, das, wenn es auch Unannehmlichkeiten und Kummer verkündete, doch nicht ohne Reiz war. Bei seiner Abstammung von einem so stolzen Geschlecht konnte Adrian kaum an eine Verbindung mit der Schwester eines Plebejers denken, und Irene, die keine Vorstellung von der zukünftigen Größe ihres Bruders hatte, konnte schwerlich eine andere Hoffnung genährt haben, als die – geliebt zu werden. Doch trugen diese widrigen Umstände, welche für härtere, klügere, mehr sich selbst verleugnende und vielleicht tugendhaftere Gemüter, wie sie unter dem nordischen Himmel sich bilden, ein Antrieb gewesen wären, gegen die Liebe zu kämpfen, nur dazu bei, die ihrige zu nähren und durch einen Widerstand zu bestärken, der für die Romantik stets seine Reize hat. Sie fanden häufige, wenn auch kurze Gelegenheit, sich zu treffen – nicht ganz allein, sondern nur im Beisein der nachlässigen Benedetta – bisweilen in den öffentlichen Gärten – bisweilen unter den ungeheuren verlassenen Ruinen, von denen Rienzis Haus umgeben war. Sie überließen sich, ohne sich viel um die Zukunft zu bekümmern, der Aufregung – dem Elysium der Stunde; sie lebten nur von Tag zu Tag; ihre Zukunft war die Zeit, wo sie sich das nächste Mal treffen würden; über diese hinaus verloren sich die Hindernisse ihrer jugendlichen Liebe in Dunkelheit und Schatten, welche sie nicht zu durchdringen suchten; und da sie noch nicht auf jener Stufe der Zärtlichkeit standen, wo ein Fall sie bedrohte – so war ihre Liebe noch nicht durch das goldene Tor gegangen, wo der Himmel aufhört und die Erde anfängt. Alles war für sie die Poesie, die Unbestimmtheit, die Reinheit – nicht die Gewalt, die Vereinigung, die Sterblichkeit des Verlangens! – der Blick – das Flüstern – der kurze Händedruck – höchstens die ersten Küsse der Liebe, selten und wenige – bezeichneten die menschliche Grenze des Gefühls, das ihrer Seele einen neuen Schwung gab.

Das schwärmerische Streben Adrians hatte auf einmal eine bestimmte Richtung und einen Mittelpunkt erhalten; die Träume seiner Geliebten waren zu einem noch immer träumerischen, aber doch von einer Wahrheit umgebenen Leben erwacht. All der Ernst, die Tatkraft und die hitzige Aufregung, die bei ihrem Bruder in den Plänen des Patriotismus und in dem Streben nach Macht sich Luft machten, waren in Irene auf einen Zweck des Daseins, in eine Vereinigung der Seele verschmolzen – nämlich die Liebe. Doch umfaßte dieses scheinbar so beschränkte Feld des Denkens und Handelns in Wirklichkeit kein weniger grenzenloses Gebiet als der weite Raum von ihres Bruders ausgebreitetem Ehrgeiz. In ebenso hohem Grade besaß sie Kraft und Antrieb zu den erhabensten, unserer Schwachheit möglichen Gedanken. Gleich groß war ihre Begeisterung für ihr Idol – gleich groß, wäre sie ebenso auf die Probe gestellt worden, wäre ihr Edelmut, ihre Ergebung gewesen – größer gewiß ihr Mut, unveränderlicher ihre Anbetung – weniger befleckt von selbstsüchtigen Absichten und niedrigen Zwecken. Zeit, Wechsel, Mißgeschick, Undankbarkeit hätten sie nicht verändert! Welcher Staat könnte sinken, welche Freiheit in Verfall geraten, wenn der Eifer von des Mannes lärmendem Patriotismus ebenso rein wäre, wie die schweigende Treue weiblicher Liebe?

Bei ihnen war alles jung! – das Herz nicht erkältet, ungetrübt – jene Fülle und jener Ueberfluß von des Lebens Mark, die an sich etwas Göttliches haben. In diesem Alter, wo wir uns den Tod als unmöglich denken, wie unsterblich, wie glühend und durch die Jugendlichkeit eines Gottes mächtig ist da alles, was unser Herz erschafft! Unsere eigene Jugend ist gleich der der Erde, als sie Wälder und Gewässer mit gewöhnlichen Wesen bevölkerte – als das Leben in seiner Ausschweifung doch nur Schönheit erzeugte – alle ihre Gestalten, Poesie – alle ihre Lüfte die Melodien Arkadiens und des Olymps! Das goldene Zeitalter verläßt die Welt nie: es besteht noch immer und wird bestehen, bis Liebe, Gesundheit, Poesie verschwunden sind, aber nur für die Jugend!

Wenn ich jetzt, obwohl nur für einen Augenblick, bei diesem Zwischenspiele eines Dramas verweile, das männlichere Leidenschaften als Liebe in Bewegung setzt, so geschieht dies, weil ich voraussehe, daß die Gelegenheit hierzu nur selten wiederkehren wird. Wenn ich mich bei der Schilderung Irenes und ihrer verborgenen Neigung aufhalte, statt die Ereignisse abzuwarten, die sie besser zeichnen, als es die Worte des Schriftstellers vermögen, so geschieht dies, weil ich voraussehe, daß das liebende und liebenswürdige Bild gegen das Ende mehr Schatten als Bild – wie es auch in der Wirklichkeit die Bestimmung solcher Naturen ist – kühnerer Gestalten und prächtigerer Farben wegen in den Hintergrund treten muß: als ein Etwas, dessen Gegenwart man mehr fühlt, als sieht, und dessen wahre Harmonie mit dem Ganzen in seiner zurückgezogenen und bescheidenen Ruhe besteht.

Achtes Kapitel.
Der Enthusiast, beurteilt von dem Besonnenen.

»Du tust mir unrecht,« sagte Rienzi mit Wärme zu Adrian, gegen das Ende einer langen Unterredung, wie sie so allein dasaßen; »ich spiele nicht die Rolle eines bloßen Demagogen: ich will die großen Tiefen nicht aufwühlen, damit die Hefen meines Glückes sich zur Oberfläche erheben. Ich habe so lange über der Vergangenheit gebrütet, daß es mir scheint, als wäre ich ein Teil von ihr geworden – als hätte ich kein von ihr getrenntes Dasein. Meine ganze Seele brennt von einer Hauptleidenschaft, deren Zweck – die Wiederherstellung Roms ist.«

»Aber durch welche Mittel?«

»Mein Herr, mein Herr! es gibt nur einen Weg, die Größe eines Volkes wiederherzustellen – der ist, ein Aufruf an das Volk selbst. Es steht nicht in der Macht von Fürsten und Baronen, einem Staate dauernde Berühmtheit zu verschaffen; sie erheben sich selbst, aber sie erheben das Volk nicht mit sich. Jede große Wiedergeburt ist eine gänzliche Umwälzung der Masse.«

»Nun,« erwiderte Adrian, »dann haben wir die Geschichte in sehr verschiedenem Sinne gelesen. Mir scheinen alle großen Regenerationen das Werk weniger gewesen zu sein, welche die Menge stillschweigend annahm. Aber wir wollen nicht, wie es in den Schulen üblich, streiten. Du verkündest laut, daß eine ungeheure Krisis bevorstehe; daß der gute Zustand ( buono stato) gegründet werden soll. Wie? wo sind eure Waffen? – Eure Soldaten? Ist der Adel weniger stark als bisher? – Ist der Pöbel kühner, beständiger? Der Himmel weiß, daß ich nicht mit den Vorurteilen meines Standes rede; ich weine um das Verderben meines Vaterlandes. Ich bin ein Römer und vergesse in diesem Namen, daß ich zum Adel gehöre. Aber ich zittere bei dem Sturme, den ihr so gewagt heraufbeschwören wollt. Wenn euer Aufstand glückt, wird er heftig sein – er wird durch Blut – durch das Blut all der stolzesten Namen Roms erkauft werden. Ihr bezweckt eine zweite Vertreibung der Tarquinier, aber es wird einer zweiten Proskription Sullas ähnlicher sein. Blutbad und Unordnungen bessern nie den Weg zum Frieden; wenn ihr aber unterliegt, so sind die Ketten Roms für immer geschmiedet; ein fruchtloser Versuch zur Flucht ist nur ein Vorwand für weitere Qualen des Sklaven.«

»Und welchen Rat würde denn der Signor Adrian uns geben?« fragte Rienzi mit dem schon oben beschriebenen, sarkastischen Lächeln. »Sollen wir warten, bis die Colonna und Orsini sich nicht mehr raufen? Sollen wir die Colonna um Freiheit, und die Orsini um Gerechtigkeit bitten? Herr, wir können die Edeln nicht gegen die Edeln anrufen. Wir müssen sie nicht bitten, ihre Macht zu mäßigen; wir müssen diese Gewalt wieder an uns bringen; das Wagnis mag mit Gefahren verbunden sein – aber wir beginnen es unter den Denkmälern des Forums, und wenn wir fallen – so sterben wir würdig unserer Väter! Ihr habt viele Ahnen und helltönende Titel, ausgedehnte Ländereien, und sprecht von euern angestammten Ehren! Auch wir, – wir Plebejer Roms – wir haben die unsrigen! Unsere Väter waren freie Männer! Wo ist unser Erbe? Nicht verkauft – nicht weggegeben – sondern gestohlen, bald durch Betrug, bald durch Gewalt – und während des Schlafes geraubt; oder unter Toben und Kämpfen uns mit kühner Hand entrissen. Herr, wir verlangen nur, daß dieses gesetzliche Erbe uns zurückgegeben werde; uns, nein, für euch ist es dasselbe – eure Freiheit ist mit der unsrigen dahin. Könnt ihr in den Häusern eurer Väter ohne Türme und Verschanzungen, ohne die erkauften Schwerter der Bravos wohnen? Könnt ihr ohne Waffen oder Gefolge nachts in den Straßen gehen? Zwar Ihr, ein Adeliger, könnt Gleiches mit Gleichem vergelten – obgleich wir es nicht wagen dürfen. Ihr könnt auch andere ängstigen und Gewalttaten verüben; ist aber die Zügellosigkeit ein Ersatz für die Freiheit? Man hat Euch Macht und Glanz gegeben – aber Sicherheit durch gleiche Gesetze wäre ein besseres Geschenk. O, wäre ich an Eurer Stelle – wäre ich Stephan Colonna selbst, ich lechzte ebenso durstig wie jetzt, nach der freien Luft, die nicht durch Schranken und gegen meine Mitbürger errichtete Bollwerke hindurchkommt, sondern unter dem weiten, offenen Himmel weht – sicher durch den Schutz der schweigenden Vorsehung des Gesetzes und nicht durch elende Angst und hohläugigen Verdacht, die Begleiter einer verhaßten Gewalt. Der Tyrann hält sich für frei, weil er über Sklaven gebietet – der geringste Bauer in einem freien Staate ist freier als er. O, Herr, – der Tapfere, der Großmütige, der Erleuchtete – Ihr, beinahe der einzige unter Euren Standesgenossen, der weiß, daß wir ein Vaterland hatten, – o, möchtet doch Ihr unsere Leiden fühlen können, möchtet doch Ihr mit uns kämpfen, um sie abzuschütteln!«

»Du willst gegen Stephan Colonna, meinen Verwandten, streiten; und obgleich ich ihn nur wenig gesehen habe, und ihn, die Wahrheit zu gestehen, nicht sehr achte, ist er doch der Stolz unseres Hauses; wie kann ich gemeinschaftliche Sache mit dir machen?«

»Sicher bleibt sein Leben – sicher sein Besitztum – sicher sein Rang. Gegen was kämpfen wir? Gegen seine Gewalt, anderen unrecht zu tun.«

»Sollte er entdecken, daß dir noch andere Kräfte als Worte zu Gebote stehen, er wäre weniger gnädig gegen dich.«

»Und hat er das nicht entdeckt? Sagt ihm nicht der Jubel des Volkes, daß ich ein Mann bin, den er fürchten sollte? Erbaut er – der Vorsichtige – der Verschlagene, der Tiefblickende – erbaut er Festungen und errichtet er Türme und sieht er von seinen Zinnen nicht das mächtige Gebäude, das auch ich gegründet habe?«

»Du! wo, Rienzi?«

»In den Herzen Roms! Sieht er es nicht?« fuhr Rienzi fort. »Nein, nein; er – alle, alle seines Stammes sind blind. Ist dem nicht so?«

»Zuverlässig glaubt Stephan Colonna nicht an deine Macht, sonst hätte er euch längst zermalmt. Ja, erst vor drei Tagen sagte er im Ernste, er wolle lieber, daß du zum Volke sprächest, als der vorzüglichste Priester der Christenheit; denn andere Redner entflammten die Menge, und niemand beruhige und zerstreue sie so wie du.«

»Und den nennen sie tiefblickend! Läßt nicht der Himmel die Luft am ruhigsten, gerade wenn er sie zum Sturme vorbereitet? Ja, Herr, ich verstehe. Stephan Colonna verachtet mich. Ich habe« – (als er jetzt weiter sprach, überzog eine tiefe Röte seine Wangen) – »wie Ihr Euch erinnert – in meinen früheren Jahren seinen Palast besucht und durch witzige Erzählungen, wie durch leichte Kernsprüche, ihm gefallen. Ja – ha! ha! – ich glaube, er pflegte mich bisweilen, in schmerzender Artigkeit, seinen Spaßmacher – seinen Narren zu nennen! Ich habe den Schimpf verschluckt, habe mich sogar für seine Beifallsbezeugung verneigt. Ich würde mich aus demselben Grunde und für dieselbe Sache noch heute der Buße unterziehen, noch heute zu derselben Schmach herablassen. Was wollte ich erreichen? Könnt Ihr es mir sagen? Nein! Dann will ich es Euch zuflüstern: es war – die Verachtung Stephan Colonnas. Unter dieser Verachtung war ich gesichert, bis ich des Schutzes nicht mehr bedurfte. Ich wollte den Patriziern nicht furchtbar erscheinen, um ruhig und unverdächtigt meinen Weg unter dem Volke machen zu können. Es ist mir gelungen; ich werfe jetzt die Hülle ab. Keck könnte ich Stephan Colonna noch in dieser Stunde sagen, daß ich seinem Zorne trotze – daß ich seine Kerker und seine Bewaffneten verlache. Hält er mich aber für denselben Rienzi, wie früher, so laßt ihn; ich kann meine Stunde abwarten.«

»Aber,« sagte Adrian, indem er eine Antwort in der erhabenen Sprache seines Gesellschafters vermied, »sage mir, was verlangst du für das Volk, um einen Aufruf an seine Leidenschaften zu unterlassen? – unwissend und eigensinnig, wie sie sind, kannst du von ihrer Vernunft nichts erwarten.«

»Ich verlange volle Gerechtigkeit und Sicherheit für alle. Mit keinem geringeren Versprechen lasse ich mich zufriedenstellen. Ich verlange von den Edeln, daß sie ihre Festungswerke schleifen – daß sie ihre Bewaffneten entlassen – daß sie keine Straflosigkeit für Verbrechen der Vornehmen beanspruchen, – daß sie nur bei den öffentlichen Gerichten Schutz suchen.«

»Vergebliches Verlangen!« sagte Adrian. »Verlange, was zugestanden werden kann.«

»Ha – ha!« erwiderte Rienzi mit bitterem Lachen, »sagte ich Euch nicht, es sei ein eitler Traum, von den Großen Gesetz und Gerechtigkeit zu verlangen? Könnt Ihr mich dann tadeln, wenn ich sie anderswo verlange?« Dann änderte er plötzlich Ton und Haltung und setzte mit großer Feierlichkeit hinzu: »Auch das wahre Leben hat falsche und eitle Träume; aber der Schlaf ist bisweilen ein mächtiger Prophet. Durch ihn verkehrt der Himmel geheimnisvoll mit seinen Geschöpfen und lenkt und erhält seine irdischen Werkzeuge auf dem Pfade, auf den sie seine Vorsehung leitete.«

Adrian gab keine Antwort. Nicht zum erstenmal machte er die Bemerkung, daß Rienzis weitsehender Verstand seltsamerweise mit tiefem, mystischem Aberglauben verbunden war. Und dies machte den jungen Adligen, der obwohl hinreichend fromm, doch weit entfernt war von der Leichtgläubigkeit seines Zeitalters, noch geneigter, an dem Gelingen von Rienzis Plänen zu zweifeln. Er irrte sich hierin gewaltig, obgleich sein Irrtum aus weltlicher Klugheit stammte. Denn nichts begeistert menschliche Kühnheit so sehr, als der feste Glaube, man sei das Werkzeug göttlicher Weisheit. Rachsucht und Patriotismus, vereint in einem geistreichen und ehrgeizigen Manne – sind die Hebel des Archimedes, die in dem Fanatismus den Punkt außerhalb der Welt finden, um die Welt zu bewegen. Der kluge Mann kann einen Staat lenken, aber der Enthusiast ist es, der ihn verjüngt – oder zu Grunde richtet.

Neuntes Kapitel.
»Als das Volk dieses Gemälde sah, erstaunte jedermann.« Der zeitgenössische Biograph des Cola di Rienzi. Ich muß bemerken, daß ich bei meinen Citaten oder Nachweisungen des zeitgenössischen Biographen Rienzis die bewundernswerte Ausgabe von Zeforino Re benutzt habe, Forlì 1828. Der Text ist korrekter als bei Muratori, uns das Werk ist mit wertvollen Anmerkungen versehen.

Vor dem Marktplatz, am Fuße des Kapitols, war eine ungeheure Menschenmasse versammelt. Jeder suchte sich vor seinen Nebenmann vorzudrängen; jeder kämpfte, um zu einem Platze zu gelangen, um welchen herum die Menge dicht und fest zusammengekeilt war.

» Corpo di Dio!« sagte ein Mann von ungeheuerer Statur, indem er sich wie ein großes Schiff vorwärts drängte, das die geräuschvollen Wasser rechts und links von seinem Spiegel wirft, »das ist heiße Arbeit; aber warum, in der heiligen Mutter Namen, drängt Ihr Euch so? Seht Ihr nicht, Signor Ribald, daß mein rechter Arm der Kräfte beraubt, eingewickelt und verbunden ist, so daß ich mir nicht besser helfen kann als ein kleines Kind? und doch drängt Ihr auf mich, als wäre ich eine alte Mauer!«

»Ach, Cecco del Vecchio! wie, Mann! wir müssen Euch Platz machen – Ihr seid zu klein und schwächlich, um durch einen Haufen zu kommen! Kommt, ich will Euch schützen!« sagte ein Zwerg von etwa vier Fuß Höhe, indem er an dem Riesen hinaufblickte.

»Wahrlich,« sagte der grimmige Schmied, den Pöbel ringsum betrachtend, der bei des Zwerges Anerbieten laut auflachte, »wir bedürfen alle des Schutzes, groß und klein. Weshalb lacht ihr, ihr Affen? – ja, ihr versteht kein Gleichnis.«

»Und doch ist es ein Gleichnis, das anzuschauen wir gekommen sind,« sagte einer aus dem Haufen mit leichtem Spott.

»Vergnügten Tag, Signor Baroncelli,« erwiderte Cecco del Vecchio; »Ihr seid ein braver Mann und liebt das Volk; Euer Anblick macht einem das Herz lachen. Was soll all das Getümmel?«

»Nun, der Notar des Papstes hat ein großes Gemälde auf dem Marktplatz aufgestellt, und die Gaffer sagen, es beziehe sich auf Rom; so lassen sie an diesem heißen Tage ihr Hirn schmelzen, um das Rätsel zu fassen.«

»Ho! ho!« sagte der Schmied, so kräftig vorwärts drängend, daß er plötzlich den Sprechenden hinter sich ließ; »wenn Cola di Rienzi etwas mit der Sache zu tun hat, so bräche ich durch Felsen und Steine, um heranzukommen.«

»So ein lebloses Gesudel wird uns auch gerade viel Gutes bringen,« sagte Baroncelli höhnisch, indem er sich an die Umstehenden wandte; aber niemand hörte auf ihn, und er, der gern den Demagogen gespielt hätte, biß sich vor Neid in die Lippe.

Unter halbersticktem Stöhnen und Fluchen der Männer, die er auf die Seite drängte, und lautem Schelten und gellenden Schreien der Weiber, deren Röcke und Kopfputz er zu wenig Schonung bewies, erzwang sich der derbe Schmied seinen Weg zu einem ringsum von Ketten eingeschlossenen Raume, in dessen Mitte ein großes Gemälde aufgestellt war.

»Wie kam es hierher?« schrie einer, »ich war zuerst auf dem Markte.«

»Wir fanden es bei Tagesanbruch hier,« sagte ein Obsthändler, »niemand war dabei.«

»Aber warum glaubt Ihr, Rienzi habe die Hand im Spiele?«

»Nun, wer denn sonst,« erwiderten zwanzig Stimmen.

»Wahr! Wer sonst?« wiederholte der riesige Schmied. »Ich könnte darauf schwören, der gute Mann verwandte die ganze Nacht dazu, um es selbst zu malen. Bei dem Blute St. Peters! es ist mächtig schön! Was stellt es vor?«

»Das ist das Rätsel,« sagte ein nachdenkliches Fischerweib, »wenn ich es herausbringen könnte, so würde ich glücklich sterben.«

»Es ist ohne Zweifel etwas von Freiheit und Abgaben,« sagte der Fleischer Luigi, indem er sich über die Ketten lehnte. »Ach, wenn Rienzi wollte, so würde jeder arme Mann sein bißchen Fleisch im Topfe haben.«

»Und so viel Brot, als er essen könnte,« setzte ein blasser Bäcker hinzu.

»Pah! Brot und Fleisch – das hat wirklich jedermann! – aber was für Wein die armen Leute trinken! Man hat nicht den Mut, sich mit seinem Weinberge Mühe zu geben,« sagte ein Weingärtner.

»Ho, hallo! – lange lebe Pandulpho di Guido; macht Platz für Herrn Pandulpho: er ist ein gelehrter Mann; er ist ein Freund des großen Notars; er wird uns das Bild erklären; macht Platz da – macht Platz!«

Langsam und bescheiden schritt Pandulpho di Guido, ein ruhiger, wohlhabender und ehrbarer Gelehrter, den nur die ungestümen Zeiten aus seinem stillen Hause oder seinem Studierzimmer aufstören konnten, gegen die Ketten. Er betrachtete lang und aufmerksam das Gemälde, das von frischen, noch feuchten Farben glänzte und etwas von der wiederauflebenden Kunst an sich trug, die, wenn gleich hart und rauh in ihren Zügen, in jener Zeit zum Vorschein kam und sich zu einem weit höheren Standpunkte emporschwang, den wir noch in den Gemälden des in der nächstfolgenden Generation blühenden Perugino anstaunen. Das Volk drängte sich mit offenen Mäulern um den Gelehrten, wobei es bald auf das Gemälde, bald auf Pandulpho blickte.

»Versteht ihr,« sagte endlich Pandulpho, »den klaren, handgreiflichen Sinn dieses Gemäldes nicht? Seht, wie euch der Maler eine offene, stürmische See dargestellt hat – seht, wie ihre Wellen – –«

»Sprecht lauter – lauter!« schrie die ungeduldige Menge; »Stille!« die, welche Pandulpho zunächst standen, »der würdige Signor spricht ganz verständlich!«

Inzwischen waren einige von den Besonneneren in eine Bude auf dem Marktplatz gedrungen und brachten einen rohen Tisch daher, von welchem aus sie Pandulpho zum Volke zu reden baten. Der bleiche Bürger sah sich mit einiger Verlegenheit und Scham, denn er war kein geübter Redner, in die Notwendigkeit versetzt, einzuwilligen; als aber seine Blicke über die große, atemlose Menge hinschweiften, ermutigte und begeisterte ihn seine eigene, innige Teilnahme an ihrer Sache. Feuer sprühte aus seinen Augen; seine Stimme schwoll mächtig an und sein gewöhnlich auf die Brust gesenktes Haupt erhob sich stolz.

»Ihr seht vor euch in diesem Gemälde,« begann er wieder, »eine schreckliche, stürmische See; auf ihren Wogen erblickt ihr fünf Schiffe; vier davon sind bereits zertrümmert, – ihre Masten sind zerbrochen – die Wellen stürzen durch die zerrissenen Planken ein – sie sind hilf- und hoffnungslos; auf jedem dieser Schiffe liegt ein weiblicher Leichnam. Seht ihr nicht an dem bleichen Gesicht und den bleifarbigen Gliedern, wie treu der Maler die Farben und das Abschreckende des Todes dargestellt hat? Ueber jedem dieser Schiffe steht ein Wort als Metapher. Dort seht ihr den Namen Carthago; die anderen drei sind Troja, Jerusalem und Babylon. Alle vier haben eine gemeinschaftliche Inschrift: Zum Untergang wurden wir gebracht durch Ungerechtigkeit! Richtet nun eure Blicke nach der Mitte der See, dort seht ihr das fünfte Schiff, von den Wellen umhergeschleudert, mit zerbrochenem Mast – das Steuer hinweggerissen, die Segel zerfetzt, aber doch noch kein Wrack wie die übrigen, obwohl nicht mehr viel dazu fehlt. Auf seinem Verdeck kniet ein Weib in Trauer gekleidet; seht den Schmerz in ihrem Angesicht, – wie gelungen hat der Künstler dessen Tiefe und Trostlosigkeit ausgedrückt! sie streckt betend die Arme aus – sie fleht um euren und des Himmels Beistand. Jetzt seht die Ueberschrift – dies ist Rom – ja, eure Vaterstadt ist es, die aus diesem Sinnbild zu euch spricht!«

Die Menge wogte hin und her und ein tiefes Gemurmel folgte der Stille, welche bisher geherrscht hatte.

»Jetzt,« fuhr Pandulpho fort, »wendet eure Blicke auf die rechte Seite des Gemäldes, so werdet ihr die Ursache dieses Sturmes gewahr werden – ihr werdet sehen, warum das fünfte Schiff in solcher Gefahr schwebt und seine Schwestern so zertrümmert sind. Seht die vier verschiedenen Tiergattungen, die aus ihrem greulichen Schlunde die Winde und Stürme senden, welche die See martern und zerreißen. In der ersten seht ihr die Löwen, die Wölfe, die Bären. Diese, sagt euch die Ueberschrift, sind die gesetzlosen und wilden Herren des Staates. Die zweite, das sind die Hunde und Schweine – die schlimmen Ratgeber und Schmarotzer. Drittens seht ihr die Drachen und Füchse, dies sind die falschen Richter und Notare und diejenigen, welche die Gerechtigkeit verkaufen. Viertens erblickt ihr in den Hasen, Ziegen, Affen, welche bei dem Sturme behilflich sind, laut der Inschrift die Sinnbilder der gemeinen Diebe und Mörder, Räuber und Ehebrecher. Seid ihr noch nicht im klaren, Römer! oder habt ihr das Rätsel des Gemäldes verstanden?«

Fern in ihren massiven Palästen hörten die Savelli und Orsini den Widerhall des Geschreies, welches die Frage Pandulphos beantworte.

»Seid ihr denn ohne Hoffnung?« fing der Gelehrte wieder an, als das Geschrei aufhörte und mit dem ersten Schall seiner Stimme schwiegen die Ausrufungen und Reden, die jeder an seinen Nachbar gerichtet hatte. »Seid ihr ohne Hoffnung? Verspricht euch das Bild, das eure Trübsal darstellt, keine Befreiung? Seht, über dieser grimmigen See öffnet sich der Himmel und die Herrlichkeit Gottes steigt glorreich, wie zum Gericht, herab, und von den Strahlen, welche den Geist Gottes umgeben, gehen zwei flammende Schwerter aus, und bei diesen Schwertern stehen zürnend, aber zur Befreiung bereit, die zwei heiligen Schutzherrn – die zwei mächtigen Hüter eurer Stadt! Römisches Volk, lebe wohl, das Gleichnis ist zu Ende!«

Zehntes Kapitel.
Ein ungestümer Geist wird beschworen, der den Zauberer später zerreißen kann.

Während dieses lebhaften Schauspiels in den Umgebungen des Kapitoles saß innerhalb desselben in einem Zimmer des Palastes die Hauptperson, der Urheber der Aufregung. Umgeben von seinen ruhigen Schreibern, schien Rienzi ganz in die unbedeutenden Kleinigkeiten seines Berufsgeschäftes versunken. Während das Murren und Summen, das Schreien der Menge sich gegen sein Zimmer heranwälzte, schien er es gar nicht zu beachten oder sich in seinen Arbeiten stören zu lassen. Mit der ununterbrochenen Regelmäßigkeit eines Automaten fuhr er fort, mit den deutlichen und schönen Schriftzügen jener Periode die verdammenden Merkzeichen in sein großes Buch einzutragen, die ihn besser als öffentliche Reden über die an dem Volke verübten Betrügereien belehrten und ihm jene Waffe – Tatsachen – in die Hand gaben, welche zu parieren dem Mißbrauch so schwer fällt.

» Pagina 2, Volumen B,« sagte er in seinem ruhigen Geschäftston zu den Schreibern; »seht dort den Gewinn der Salzauflage; Departement Nr. 3 – sehr gut. Pagina 9, Volumen D – wie hoch beläuft sich die von Veskobaldi, dem Einnehmer, gelieferte Summe? Wie! zwölftausend Gulden? – nicht mehr? – gewissenloser Schurke! (Hier hörte man draußen laut rufen: Pandulpho! – lange lebe Pandulpho!) Pastrucci, mein Freund, Ihr habt Eure Gedanken anderswo; Ihr hört auf den Lärm draußen – beschäftigt Euch gefälligst mit der Berechnung, die ich Euch anvertraute. Santi, wie viel beträgt der von Antonio Tralli abgelieferte Eingang?«

Ein leichtes Klopfen an der Tür ließ sich vernehmen und Pandulpho trat ein.

Die Schreiber arbeiteten fort, obgleich sie eifrig nach dem bleichen ehrwürdigen Besuche blickten, dessen Namen zu ihrem großen Erstaunen so stürmisch von dem Volke gerufen worden war

»Ach, mein Freund,« sagte Rienzi mit ziemlich ruhiger Stimme, aber seine Hände zitterten vor übelverhehlter Aufregung. »Ihr wollt mich allein sprechen, he? gut, gut – hier hinein.« Mit diesen Worten führte er den Bürger in ein kleines Kabinett hinter dem Arbeitszimmer, verschloß sorgfältig die Tür und faßte, sich der natürlichen Ungeduld seines Charakters überlassend, Pandulpho bei der Hand. »Sprecht!« rief er, »begreifen sie die Auslegung? – habt Ihr es klar und faßlich genug gemacht? – ist es tief in ihre Seele gedrungen?«

»O, bei St. Peter! ja!« antwortete der Bürger, aufgeregt und gehoben durch die neue Entdeckung, daß auch er ein Redner sei – eine überschwengliche Wonne für einen schüchternen Mann. »Sie verschlangen jedes Wort der Erklärung; sie sind bis auf das Mark erschüttert – Ihr könntet sie in dieser Stunde in die Schlacht führen und würdet Helden an ihnen finden. Was den handfesten Schmied betrifft – –«

»Wie! Cecco del Vecchio?« unterbrach ihn Rienzi; »ach sein Herz ist von Gold – was tat er?«

»Nun, er faßte mich am Saume meines Rockes, als ich von meiner Rednerbühne hinabstieg (o! ich wollte, Ihr hättet mich sehen können! – par fede ich hätte Euch beim Mantel gefaßt! – ich war ein zweites Ihr!) und sagte, indem er wie ein Kind weinte: Ach, Signor, ich bin nur ein armer Mann und von geringem Wert; aber wenn jeder Tropfen Blut in diesem Körper ein Leben wäre, so gäbe ich es hin für mein Vaterland!«

»Brave Seele!« sagte Rienzi bewegt; »ich wollte, Rom hätte nur fünfzig solche. Niemand hat uns bei seinesgleichen mehr genutzt als Cecco del Vecchio.«

»In seiner Größe schon finden sie einen Schutz,« sagte Pandulpho. Es ist schon etwas, die trotzigen Worte eines solch gewaltigen Burschen zu hören.«

»Erhoben sich auch Stimmen, die das Gemälde oder seinen Sinn mißbilligten?«

»Keine.«

»So ist also die Zeit beinahe reif – wenige Stunden noch, und die Frucht muß gepflückt werden. Der Aventin, der Lateran, und dann die einzelne Trompete!« Mit gekreuzten Armen und niedergeschlagenen Augen schien Rienzi nach diesen Worten in Träumereien versunken.

»Beiläufig gesagt,« nahm Pandulpho das Wort, »ich hätte fast vergessen, dir zu sagen, daß die Masse beinahe hierher gestürzt wäre, so heftig verlangten sie, dich zu sehen; aber ich bat Cecco del Vecchio, die Rednerbühne zu besteigen und ihnen in seiner derben Weise zu sagen, es schicke sich im jetzigen Augenblicke nicht, wo du mit weltlichen und geistlichen Angelegenheiten auf dem Kapitol beschäftigt seiest, in so großer Masse vor dich zu treten. Tat ich nicht recht?«

»Vollkommen recht, mein Pandulpho.«

»Aber Cecco del Vecchio sagt, er müsse herkommen und deine Hand küssen, und du kannst ihn hier in dem Augenblicke erwarten, wo er unbemerkt sich von der Menge fortschleichen kann.«

»Er ist willkommen!« sagte Rienzi halb mechanisch, denn noch immer war er in Gedanken versunken.

»Und siehe da! hier ist er,« als einer von den Schreibern den Besuch des Schmiedes meldete.

»Laßt ihn eintreten!« sagte Rienzi und setzte sich ruhig.

Als der riesige Schmied Rienzi gegenüberstand, ergötzte sich Pandulpho daran, die wunderbare Gewalt des Geistes über die Materie zu beobachten! Dieser trotzige und stämmige Riese, der bei allen Volksaufständen mit seinen steinernen Muskeln und eisernen Nerven über seine Genossen emporragte, der Vereinigungspunkt und das Bollwerk der anderen, stand jetzt errötend und zitternd vor dem Geiste, der (so sehr hatte Rienzis Beredsamkeit den Funken erweckt und angefacht, der bis daher schlafend in der rauhen Brust gelegen hatte), sozusagen den seinigen erst geschaffen hatte. Und wahrlich derjenige, der in dem Leibeigenen zuerst das Gefühl und die Seele erweckt, nähert sich, so weit es dem Menschen gestattet ist, Gott in seiner erhabenen Eigenschaft als Schöpfer mehr als der Philosoph, mehr als Dichter. Wenn aber die Brust es nicht zu fassen vermag, kann die Gabe dem Geber zum Fluch werden, und derjenige, der mit einem Mal aus dem Sklaven ein freier Mann wird, kann ebenso schnell aus einem freien Mann ein Schurke werden.

»Tritt näher, mein Freund,« sagte Rienzi nach einer kurzen Pause; »ich weiß alles, was du getan, und noch für Rom tun willst! Du bist seiner herrlichen Tage würdig und geboren, wenn sie wiederkehren, daran teilzuhaben.«

Der Schmied sank Rienzi zu Füßen, der seine Hand ausstreckte, um ihn aufzuheben, während Cecco del Vecchio sie ergriff und ehrfurchtsvoll küßte.

»In diesem Kusse lauert kein Verrat,« sagte Rienzi lächelnd; »aber steh auf, mein Freund, nur Gott und seinen Heiligen gebührt diese Stellung!«

»Der ist ein Heiliger, der uns in der Not hilft!« antwortete der Schmied plump; »und das hat kein Mann so getan wie du. Aber wann,« setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu, und sah Rienzi scharf dabei an, wie einer, der auf ein Zeichen zum Streiche wartet, »wann – wann werden wir den Hauptschlag tun?«

»Du hast mit allen braven Männern in deiner Nachbarschaft gesprochen – sind sie wohl vorbereitet?«

»Zu leben oder zu sterben, wie Rienzi ihnen gebietet!«

»Ich muß die Liste haben – Zahl – Namen – Haus und Beruf, und zwar diese Nacht.«

»Das sollst du.«

»Jeder muß seinen Namen unterschreiben oder ein Zeichen von seiner Hand beisetzen.«

»Es soll geschehen.«

»Dann höre! erwarte Pandulpho di Guido heute abend mit Sonnenuntergang in seinem Hause. Er wird dich unterrichten, wo du heute nacht einige brave Männer triffst; du bist wert, unter sie eingereiht zu werden. Du wirst nicht ausbleiben!«

»Bei der heiligen Treppe! Ich werde jede Minute bis dahin zählen,« sagte der Schmied, und sein schwärzliches Gesicht leuchtete voll Stolz bei dem ihm bewiesenen Vertrauen.

»Inzwischen wache über alle deine Nachbarn; laß keinen erschlaffen oder kleinmütig werden – keiner deiner Freunde darf sich als Verräter brandmarken!«

»Finde ich nur einen, der sich verbirgt, wankend wird, so schneide ich ihm die Gurgel ab, und wäre er meiner eigenen Mutter Sohn!« sagte der kühne Schmied.

»Ha, ha!« versetzte Rienzi mit jenem seltsamen, ihm eigentümlichen Lachen; »ein Wunder! ein Wunder! das Gemälde spricht jetzt!«

Es dämmerte schon beinahe, als Rienzi das Kapitol verließ. Der große Platz vor seinen Mauern war leer und einsam; er hüllte sich dichter in seinen Mantel und ging nachdenklich weiter.

»Beinahe habe ich die Höhe erklommen,« dachte er, »und jetzt gähnt der Abgrund vor mir. Wenn es mir mißlingt, welcher Fall! Die letzte Hoffnung meines Vaterlandes fällt mit mir. Nie wird ein Adeliger sich gegen den Adel erheben. Nie wird ein anderer Plebejer Gelegenheit und Macht haben, wie ich sie habe! Rom ist an mich – an ein einziges Leben gefesselt. Die Freiheit aller Zeiten hängt an einem Rohre, das ein Windstoß ausreißen kann. Aber, o Vorsehung! hast du mich nicht zu großen Taten aufbehalten und bezeichnet? Wie wurde ich Schritt für Schritt zu diesem heiligen Unternehmen geführt! Wie hat jede Stunde die nächstfolgende vorbereitet! Und doch, welche Gefahr! wenn das veränderliche Volk, feig geworden durch lange Knechtschaft, in dem entscheidenden Augenblick nur schwankt, so bin ich verloren!«

Während er so sprach, schlug er die Augen auf, und siehe da, vor ihm schien der Abendstern herab auf die zerbröckelnden Ueberreste des tarpejischen Felsens. Dies war kein günstiges Zeichen, und Rienzis Herz schlug heftiger, als die dunkle, wüste Masse plötzlich düster auf ihn herabsah.

»Furchtbares Denkmal!« dachte er, »von welch dunklen Katastrophen für unbekannte Pläne bist du Zeuge gewesen! Auf wie manche Unternehmungen, von welchen die Geschichte schweigt, hast du das Siegel gedrückt! Wie wissen wir, ob sie verbrecherisch oder gerecht gewesen? Wie wissen wir, ob nicht der, welcher als Verräter verurteilt wurde, wäre es ihm gelungen, als Befreier unsterblich geworden wäre? Wenn ich falle, wer wird meine Chronik schreiben? – einer aus dem Volke? Ach! verblendet und unwissend, liefert es keine Geister, welche sich auf die Nachwelt berufen können. Einer von den Patriziern? – mit welchen Farben werde ich dann geschildert werden! Kein Grabstein wird sich für mich unter den Trümmern erheben – keine Hand Blumen auf meinem Grabe sammeln – all meine Träume von Ehre und Ruhm werden nur die Verdammung ewiger Vorwürfe ernten!«

In solchen Gedanken über das Ende des mächtigen Unternehmens, zu dem er sich anheischig gemacht, setzte Rienzi seinen Weg fort. Er kam an den Tiber und hielt einige Augenblicke neben dem fabelhaften Strom, auf welchen der purpurne und sternenhelle Himmel feierlich herabschien. Er ging über die Brücke, die nach dem Stadtteil von Trastevere führt, dessen übermütige Bewohner sich noch rühmen, die einzig wahren Abkömmlinge der alten Römer zu sein. Hier wurden seine Schritte schneller und leichter; heitere, wenn auch weniger feierliche Gedanken drängten sich in seine Brust; der für einen Augenblick zur Ruhe gebrachte Ehrgeiz überließ seinen angestrengten und abgematteten Geist der Herrschaft einer sanfteren Leidenschaft.

Elftes Kapitel.
Nina di Raselli.

»Ich sage dir, Lucia, ich liebe diese Stoffe nicht; sie stehen mir nicht. Hast du je eine so ärmliche Farbe gesehen? – dieses Purpurrot da! – dieses Karmesin! Warum gabst du zu, daß der Mann sie hier ließ? – er mag sie morgen hintragen, wo er will. Sie mögen für die Signoras auf der anderen Seite des Tiber passen, die da meinen, alles, was von Venedig kommt, müsse vollkommen sein. Aber ich, Lucia, ich sehe mit meinen eigenen Augen und habe mein eigenes Urteil.«

»Ach, liebste Gebieterin,« sagte das Dienstmädchen, »wenn Ihr wäret, was Ihr früher oder später ohne Zweifel doch sein werdet, eine große Signora, wie würdig würdet Ihr solche Hoheit tragen! Heilige Cäcilia! keine andere Dame in Rom würde angesehen, so lange Signora Nina zugegen wäre!«

»Wollten wir sie nicht lehren, was Pracht heißt?« erwiderte Nina. »O! welche Feste wollten wir geben! Sahst du nicht von der Galerie herab die rauschenden Lustbarkeiten, welche vorige Woche bei der Signora Giulia Savelli stattfanden?«

»Ja, Signora, und als Ihr in Eurem Silber- und Perlenstoff den Saal hinaufginget, da flog ein lautes Gemurmel durch die Galerie; alle sagten, die Savelli habe einen Engel bewirtet!«

»Pfui! Lucia; keine Schmeicheleien, Mädchen.«

»Es ist reine Wahrheit, Signora. Aber das war eine Lustbarkeit – oder nicht? Das war großartig! – Fünfzig Diener in Scharlach und Gold! und immer spielte die Musik. Die Spielleute hatte man von Bergamo kommen lassen. Gefiel Euch das Fest nicht? Ach, ich sage gut dafür, es wurden Euch an jenem Tage viele schöne Dinge gesagt!«

»Ach! – nein, es fehlte eine Stimme, und somit war die ganze Musik verdorben. Aber, Mädchen, wäre ich die Signora Giulia, so hätte mir eine so ärmliche Lustbarkeit nicht genügt.«

»Wie ärmlich! – alle Adeligen sagen doch, es habe das stolzeste Hochzeitsfest der Colonna übertroffen. Ja, ein Neapolitaner, der neben mir saß und bei der Vermählung der jungen Königin Johanna aufgewartet hatte, sagte, daß selbst Neapel überstrahlt worden sei.«

»Das mag sein. Ich weiß nichts von Neapel; aber ich weiß, was mein Hof sein sollte, wäre ich, was – was ich nicht bin und nie sein werde! Das Tafelgeschirr müßte von Gold – die Becher bis an den Rand mit Edelsteinen besetzt sein – keinen Zoll von dem bloßen Fußboden hätte man sehen dürfen – überall hätten Goldstoffe geglänzt. Der Springbrunnen im Hofe hätte die Wohlgerüche des Orients ausgeströmt – meine Pagen wären nicht rohe Buben gewesen, die über ihr eigenes linkisches Benehmen erröteten, sondern hübsche Jungen, noch nicht zwölf Jahre alt, ausgesucht in den ersten Palästen Roms; und was gar die Musik betrifft, o, Lucia! – jeder Musiker hätte einen Kranz getragen und ihn verdient, und der beste Spieler hätte, um die anderen anzufeuern, zu seiner Belohnung – eine Rose von meiner Hand bekommen. Sahst du auch das Kleid der Signora Giulia? Welche Farben! – sie hätten die Sonne am Mittag beschämt! – Gelb und blau und orange und scharlachrot! O! gute Heilige! – meine Augen schmerzten mich noch den ganzen folgenden Tag!«

»Ohne Zweifel, der Signora Giulia fehlt Euer Geschmack in Zusammensetzung der Farben,« sagte das gefällige Kammermädchen.

»Und dann auch welches Aussehen – gar nichts Königliches! Als sie durch den Saal schritt, trat sie fast jeden Augenblick auf ihre Schleppe, und dann sagte sie mit albernem Lachen: ›Diese Festtagskleider sind nur lästiger Ueberfluß.‹ Wahrlich, für die Großen sollte es keine Festtagskleider geben; für mich, nicht für andere würde ich mich putzen! Jeder Tag sollte sein neues Kleid haben, prächtiger als das vorhergehende – jeder Tag müßte zum Festtage werden!«

»Mich dünkt,« sagte Lucia, »der Signor Giovanni Orsini schien meiner Gebieterin sehr ergeben.«

»Der! der Bär!«

»Bär, das mag er sein! Aber er hat einen kostbaren Pelz. Seine Reichtümer sind unermeßlich.«

»Und der Narr weiß sie nicht zu verwenden.«

»War das nicht der junge Signor Adrian, der neben den Säulen, wo die Musik spielte, mit Euch sprach?«

»Es kann sein – ich habe es vergessen.«

»Doch höre ich, wenige Damen vergessen es, wenn Signor Adrian di Castello ihnen den Hof macht.«

»Nur ein Mann war da, dessen Gesellschaft mir der Erinnerung wert scheint,« antwortete Nina, die Anspielung der schlauen Dienerin nicht beachtend.

»Und wer war das?« fragte Lucia.

»Der alte Gelehrte von Avignon!«

»Wie! der mit dem grauen Bart? Ach Signora!«

»Ja,« sagte Nina mit ernster, trauriger Stimme; »wenn er sprach, so verschwand alles vor meinen Augen – denn er sprach nur von ihm

Bei diesen Worten seufzte die Signora tief, und Tränen traten in ihre Augen.

Das Kammermädchen verzog verächtlich den Mund und sah verwundert auf; aber sie wagte keine Erwiderung.

»Oeffne das Fenster,« sagte Nina nach einer Pause, »und gib mir jenes Papier. Nicht das, Mädchen – die Verse, die man mir gestern sandte. Wie! bist du eine Italienerin und fühlst nicht, daß ich von dem Gedicht Petrarcas rede?«

An dem geöffneten Fensterflügel sitzend, durch den der sanfte, glänzende Mondschein sich hineinstahl, neben sich eine Lampe, vor welcher sie ihre Augen zu wahren schien, obgleich sie eigentlich ihr Gesicht vor Lucia zu verbergen suchte, schien die junge Signora ganz in eins jener zarten Sonette vertieft, welche damals die Köpfe verrückten und Italiens Herzen entzündeten.

Aus einem verarmten Hause entsprossen, das, obgleich es sich seiner Abstammung von einem römischen Konsulgeschlechte rühmte, doch in jenen Tagen kaum eine Stelle unter dem niederen Adel behauptete, war Nina di Raselli das verwöhnte Kind – der Abgott und der Tyrann ihrer Eltern. Ihre kräftige, eigenwillige Gemütsart bewirkte, daß sie herrschte, wo sie gehorcht haben sollte, und wie zu allen Zeiten Launen die Gewohnheiten zu beherrschen vermögen, hatte sie, obgleich in einem Lande unter einem Himmelsstriche lebend, wo unverheiratete junge Mädchen gewöhnlich gekettet und gefesselt sind, nach und nach das Vorrecht der Unabhängigkeit errungen. Allerdings besaß sie mehr Kenntnisse und Verstand, als man gewöhnlich bei Frauen zu jener Zeit fand, und von beiden so viel, um bei ihren Eltern für ein Wunder zu gelten. Auch war sie, was bei diesen noch höher galt, ausnehmend schön, und besaß, was sie noch mehr fürchteten, einen unbezähmbaren Stolz – einen Stolz, der mit tausend sanften und reizenden Eigenschaften gepaart war, wo sie liebte, und der, wenn sie liebte, in der Tat zu verschwinden schien. Zugleich eitel, aber hochherzig – entschlossen, aber leidenschaftlich, lag gerade in ihrer Eitelkeit und ihrer Prachtliebe eine glänzende Großartigkeit – etwas Wunderliebliches in ihrem Eigensinn; ihre Fehler bildeten einen Teil ihres Glanzes; ohne diese hätte sie weniger Weib geschienen, und kannte man sie, so wurde sie der Maßstab für Beurteilung aller Frauen. Sanftere Eigenschaften erschienen neben ihr nicht reizender, sondern schaler. Sie besaß keinen gewöhnlichen Ehrgeiz, denn hartnäckig hatte sie mehrere Verbindungen ausgeschlagen, auf welche die Tochter Rasellis kaum hoffen durfte. Der ungebildete Geist und die rohe Gewalt der römischen Edlen schienen ihrer Einbildungskraft, die voll war von der Poesie des hohen Standes – seiner Pracht und seiner Anmut – als etwas Barbarisches und Empörendes, fürchterlich und verächtlich zumal. Deshalb hatte sie ihr zwanzigstes Jahr unvermählt, aber nicht ohne geliebt zu haben, überschritten. Die Fehler ihres Charakters schraubten das Ideal von Liebe, das sie sich gebildet, vollends in die Höhe. Sie wünschte sich ein Wesen, um das sich alles sammeln könnte, was sie von Eitelkeit besaß; sie fühlte, daß, wo sie liebe, sie anbeten müsse; sie verlangte kein gewöhnliches Idol, um vor ihm einen so kräftigen, so herrschsüchtigen Geist zu beugen. Unähnlich den Frauen von milderer Gemütsart, die nur für kurze Zeit die Launen süßer Herrschaft zu befriedigen wünschen, mußte sie, wenn sie liebte, aufhören zu befehlen, der Stolz mußte sich auf einmal in Hingebung verwandeln. So selten die Eigenschaften waren, welche Reiz für sie hatten – so gebieterisch verlangte ihr Hochmut, daß diese Eigenschaften, obgleich derselben Art, die ihrigen übertreffen, daß ihre Liebe den Geliebten wie einen Gott erheben sollte. Gewöhnt, zu verachten, fühlte sie die ganze Wollust der Verehrung! Und wenn es ihr Los war, mit einem so geliebten Manne vereint zu werden, so war ihre Natur von der Art, daß sie durch die Anschauung desselben erhoben werden konnte. Willst du dir ein Bild von ihrer Schönheit machen, Leser, so wirst du, solltest du je nach Rom kommen, auf dem Kapitol das Bild der Cumäischen Sibylle sehen, von dem, wird es auch noch so oft kopiert, keine Kopie auch nur eine schwache Vorstellung zu geben vermag; warum es so heißt, weiß ich nicht, nur liegt etwas Fremdes und Ueberirdisches in den dunklen, schönen Augen. Ich bitte dich, diese Sibylle mit keiner anderen zu verwechseln, denn die römischen Galerien wimmeln von Sibyllen. Die Sibylle, auf welche hier verwiesen wird, ist die wohlbekannte von Domenichino. Die Sibylle, von welcher ich spreche, ist schwärzlich und das Gesicht von orientalischem Schnitt; Kleid und Turban, so glänzend sie sind, werden durch die reichen, aber durchsichtigen Rosen der Wangen verdunkelt; die Haare wären schwarz, bekämen sie nicht durch eine goldene Glut eine Farbe und einen Glanz, die man nur im Süden und auch dort höchst selten zu Gesicht bekommt; die Züge, nicht griechisch, sind gleichwohl tadellos; Mund, Stirn, der volle und feine Umriß, alles ist menschlich und üppig, Ausdruck und Blick sind mehr; die Gestalt ist vielleicht zu voll für vollkommenen Liebreiz, für die Verhältnisse der Kunst, für die Genauigkeit eines atheniensischen Bildes; aber der Fehler des Ueberflusses hat etwas Majestätisches. Betrachte das Bild lange; es entzückt, aber beherrscht das Auge. Während du hinblickst, rufst du fünf Jahrhunderte zurück. Du siehst vor dir das lebendige Bild von Nina di Raselli!

Aber es waren nicht jene scharfsinnigen und gekünstelten Gedanken, in welchen Petrarca, ein so großer Dichter er auch war, so oft Pedanterie mit Leidenschaft verwechselt hat, die in diesem Augenblick die Aufmerksamkeit der schönen Nina fesselten. Ihre Blicke ruhten nicht auf den Blättern, sondern auf dem Garten, der sich unter dem Fenster ausbreitete. Der Schein des Mondes fiel auf die alten Fruchtbäume und überhängenden Weinreben; mitten in dem grünen, halb vernachlässigten Rasen spielten die Wasser eines kleinen, ringförmigen Springbrunnens, dessen vollkommene Verhältnisse von längst vergangenen Tagen erzählten, plätschernd im Sternenlicht. Still und schön war die Szene; aber weder an ihre Stille, noch an ihre Schönheit dachte Nina; auf einen, den düstersten und unfreundlichsten Ort im ganzen Garten, richteten sich ihre Blicke; dort standen die Bäume dicht zusammengedrängt und verbargen die niedere, aber dicke Mauer, welche Rasellis Haus umschloß, dem Auge. Die Zweige dieser Bäume bewegten sich leise, aber Nina sah, wie sie sich bewegten: und jetzt tauchte langsam und vorsichtig eine einzelne Gestalt aus dem Dickicht hervor, deren Schatten lang und dunkel über den Rasen hinfiel. Sie näherte sich dem Fenster und eine leise Stimme hauchte Ninas Namen.

»Schnell, Lucia!« rief sie atemlos der Zofe zu; »schnell die Strickleiter! er ist es! er ist gekommen! Wie langsam du bist! – spute dich, Mädchen – er könnte entdeckt werden! so – jetzt ist sie fest. Mein Geliebter! mein Held! mein Rienzi!«

»Du bist es!« sagte Rienzi, als er, jetzt in das Zimmer tretend, seinen Arm um ihre halb abgewendete Gestalt schlang, »und was für andere Nacht, ist mir Tag!«

Die ersten süßen Augenblicke der Bewillkommnung, der Beglückwünschung waren vorüber, und Rienzi saß zu den Füßen der Geliebten; sein Haupt ruhte auf ihren Knien – sein Antlitz sah zu dem ihrigen empor – ihre Hände waren ineinander verschlungen.

»Und meinetwegen trotztest du diesen Gefahren!« sagte der Geliebte; »der Schande der Entdeckung – dem Zorn deiner Eltern!«

»Was sind meine Gefahren gegen die deinigen? O, Himmel, wenn mein Vater dich hier fände, du wärest des Todes!«

»Er würde es also für eine große Erniedrigung halten, daß du, schöne Nina, die du dich mit den stolzesten Namen Roms vermählen könntest, deine Liebe an einen Plebejer verschleuderst – wäre er auch der Enkel eines Kaisers!«

Das stolze Herz Ninas fühlte wohl den verwundeten Stolz ihres Geliebten; sie entdeckte die Empfindlichkeit, die unter seiner Antwort versteckt lag, so nachlässig sie hingeworfen war.

»Hast du mir nicht,« sagte sie, »von jenem großen Marius erzählt, der kein Adeliger war, aber von dem der stolzeste Colonna mit Freuden seine Abstammung dartun würde? Und weiß ich nicht, daß du, unbefleckt von seinen Lastern, den mächtigen Marius verdunkeln wirst?«

»Köstliche Schmeichelei! holde Prophetin!« sagte Rienzi mit melancholischem Lächeln; »nie waren mir deine ermutigenden Verheißungen für die Zukunft willkommener als in diesem Augenblick; denn dir will ich sagen, was ich gegen niemand anders äußern würde – meine Seele erliegt beinahe unter der mächtigen Last, die ich ihr aufgebürdet. Ich brauche neuen Mut, da die furchtbare Stunde naht; aus deinen Worten und aus deinen Blicken trinke ich ihn.«

»O!« antwortete Nina errötend, »ruhmvoll fürwahr ist das Los, das ich durch meine Liebe zu dir mir erkaufte: ruhmvoll, deine Pläne zu teilen – dich im Zweifel aufzurichten – in der Gefahr dir Hoffnung zuzuflüstern.«

»Und meinen Triumph zu verschönern!« setzte Rienzi leidenschaftlich hinzu. »Ach! sollte die Zukunft je auf diese Stirn den Lorbeerkranz drücken, den sich der Retter seines Vaterlandes verdient, welche Freude, welche Belohnung, ihn dir zu Füßen zu legen! Vielleicht hätte ich in den langen, einsamen Stunden erkältender Erschöpfung, welche die Zwischenräume der Zeit ausfüllen – in der trüben Zwischenpause für nüchterne Gedanken zwischen den Zeiten lebendiger Tat – gewankt und wäre ermattet, hätte für immer auf meine Träume für Rom verzichtet, wärest nicht du in diese Träume mit verflochten gewesen! – hätte ich mir nicht die Stunde vorgemalt, wo mein Schicksal sich über meine Geburt erheben sollte – wo dein Vater es für keinen Schimpf mehr hielte, dich in meine Arme zu geben – wo auch du mitten unter den Damen Roms stehen solltest, geehrter, schöner als alle; wo die Pracht, die meine Seele verschmäht, » Quem semper abhorrui sicut cenum« sind die von Rienzi gebrauchten Worte in einem Briefe an seinen Freund in Avignon, und gewiß sprach er aufrichtig. Selten handeln Männer nach der Wahl ihres eigenen Geschmackes. mir teuer und angenehm würde, weil ich sie an dir erblickte! Ja, diese Gedanken haben mich begeistert, wenn kühnere vor Gespenstern zurückbebten, die ihr Ziel umschwebten. Und ach! meine Nina, geheiligt, stark, dauernd muß in der Tat die Liebe sein, welche in einer so reinen, erhabenen Luft lebt, wie jener, welche meine Träume von Vaterlandsliebe, Freiheit und Ruhm nährt!«

Dies war die Sprache, die mehr noch als Gelübde der Treue und die süße Schmeichelei, die aus des Herzens Ueberfülle entspringt, die stolze und eitle Seele Ninas unter die Ketten gebeugt hatte, die sie so willig trug. Freilich malte ihr vielleicht in Rienzis Abwesenheit ihre schwächere Natur den Triumph aus, die hochgeborenen Signoras zu demütigen und die barbarische Pracht der römischen Edlen zu verdunkeln; aber in seiner Gegenwart verband, wenn sie den Verheißungen seines hohen, edelmütigen Ehrgeizes zuhorchte, der bis jetzt noch nicht von selbstsüchtigen Gefühlen befleckt war, die Hoffnung darauf – einen leicht zu verzeihenden Egoismus ausgenommen – ihr hohes Mitgefühl mit seinen Plänen, ihr Geist strebte zu der Höhe des seinigen empor, und sie dachte weniger an ihre eigene Erhöhung als an seinen Ruhm. Es kitzelte ihren Stolz, die einzige Vertraute seiner geheimsten Gedanken wie seiner kühnsten Pläne zu sein – vor sich den findigen, eine Verschwörung leitenden Geist ohne Hülle zu sehen – sogar seine Zweifel und Schwächen, seinen Heldenmut und seine Macht zu kennen.

Nichts konnte in strengerem Gegensatze stehen als die Liebe Rienzis und Ninas zu der Adrians und Irenes; bei den letzteren waren alles Träume, Phantasien, Abenteuerlichkeit der Jugend; nie sprachen sie von der Zukunft; keine andere Hoffnung hegten sie neben der Liebe. Ehrgeiz, Ruhm, das erhabene Ziel der Welt, galten ihnen nichts, wenn sie beisammen waren; ihre Liebe hatte die Welt verschlungen und außer ihnen nichts Sichtbares mehr übrig gelassen. Dagegen war die Liebe Ninas und ihres Geliebten die Leidenschaft komplizierterer Naturen und reiferer Jahre; sie bestand aus tausend ursprünglich getrennten Gefühlen, die aber durch die mächtige Vereinigung der Liebe in einen Brennpunkt zusammengedrängt waren; sie sprachen von der Welt; von der Welt bezogen sie die Nahrung, die sie unterhielt: sie dachten an die Zukunft und sprachen von derselben: aus ihren Träumen und eingebildeten Herrlichkeiten schufen sie sich Haus und Altar; ihre Liebe hatte mehr Verständiges an sich als die Adrians und Irenes; sie paßte besser für diese rauhe Erde; auch hatte sie mehr von der Hefe der späteren, eisernen Tage und weniger von der Poesie des ersten goldenen Zeitalters.

»Und mußt du mich jetzt verlassen?« fragte Nina, ihre Wange nicht seinen Lippen, ihre Gestalt nicht seiner letzten Umarmung entziehend. »Der Mond steht noch hoch; nur eine kurze Stunde hast du mir gewidmet.«

»Eine Stunde! Ach!« sagte Rienzi, »es ist nicht mehr weit von Mitternacht – unsere Freunde erwarten mich.«

»So geh denn, meiner Seele bessere Hälfte! geh, nicht einen Augenblick soll Nina dich von jenen höheren Zwecken abhalten die dich ihr so teuer machen. Wann – wann werden wir uns wieder treffen?«

»Nicht,« sagte Rienzi stolz, mit all dem Adel seiner Seele auf der Stirn, »nicht so verstohlen mehr! nein! nicht wie ich bis jetzt dir gegenüberstand – der dunkle, verachtete Leibeigene! Wenn du mich das nächste Mal siehst, werde ich an der Spitze der Söhne Roms stehen! ihr Held! ihr Befreier! oder – –« sagte er mit gedämpfter Stimme –

»Hier gibt es kein Oder!« unterbrach Nina, ihn in die Arme schließend, mit ebensoviel Begeisterung; »dein eigenes Schicksal hast du ausgesprochen.«

»Noch einen Kuß! lebe wohl! – der zehnte Tag von morgen an leuchtet über der Neuerstehung Roms!«

Zwölftes Kapitel.
Die sonderbaren Abenteuer, welche Walter von Montreal begegneten.

An demselben Abend kehrte, als die ersten Sterne über der Stadt sichtbar wurden, Walter von Montreal allein in das damals mit der Kirche von Santa Maria del Priorata (beide gehörten den Hospitalitern und im ersteren hatte Montreal seine Wohnung genommen) verbundene Kloster zurück und blieb mitten unter den Ruinen und der Zerstörung, die um seinen Pfad her lagen, stehen. Obwohl mit den klassischen Verbindungen und Erinnerungen des Ortes wenig bekannt, konnte er sich doch des Eindrucks nicht erwehren, den die umherliegenden Zeugen vergangener Herrschaft auf ihn machten – gleichsam das ungeheure Skelett der toten Riesin.

»Jetzt,« dachte er, indem er ringsum auf die überall sich zeigenden, obdachlosen Säulen und erschütterten Mauern blickte, über welche das Sternenlicht sich ergoß, geisterhaft und durchsichtig, im Hintergrund die drohenden mit Schießscharten versehenen Befestigungswerke der Frangipani, halb versteckt hinter dem dunklen Laubwerk, das mitten unter den Tempeln und Palästen des Altertums sich erhob – wo die Natur über die schwächere Kunst triumphierte; »jetzt,« dachte er, »würden Büchermenschen durch diesen Anblick sich von phantastischen und träumerischen Geschichten vergangener Zeiten begeistert fühlen. Aber in mir erwecken diese Denkmäler hochstrebenden Ehrgeizes und königlichen Glanzes nur Bilder der Zukunft. Rom kann mit seinem Diadem von sieben Hügeln wieder werden, was es früher war, der Preis für die kräftigste Hand und den kühnsten Krieger – wiederbelebt, nicht durch seine eigenen entarteten Söhne, sondern durch das eingeströmte Blut eines neuen Geschlechts. Wilhelm den Bastard konnte der Sieg über die abgehärteten Engländer kaum so leicht zu stehen gekommen sein, als dies für Walter den Wohlgeborenen bei diesen entmannten Römern der Fall sein wird. Und welche Eroberung ist die glorreichere – die der barbarischen Insel oder die der Hauptstadt der Welt? Kleiner Schritt vom General zum Podesta – noch kleinerer vom Podesta zum König!«

Während er so in seinem kühnen, aber doch nicht ganz chimärischen Ehrgeiz überlegte, ließ sich ein leichter, rascher Schritt in dem hohen Grase vernehmen, und als er aufblickte, bemerkte Montreal eine schlanke weibliche Gestalt, welche von dem damals mit mehreren Klöstern bebauten Hügel gegen den Fuß des Aventin herabkam. Sie stützte sich auf einen langen Stab und ging mit so stattlicher Geschmeidigkeit, daß man, als ihre Züge durch das Sternenlicht sichtbar wurden, erstaunt das Gesicht einer bejahrten Frau erblickte – eine unfreundliche, stolze Miene, verwelkt und von tiefen Runzeln durchzogen, aber nicht ohne eine gewisse Regelmäßigkeit der Umrisse.

»Barmherzige Jungfrau!« rief Montreal zurückfahrend, als dieses Gesicht ihn anblickte: »ist es möglich? sie ist es! – es ist – –«

Er sprang vor und stellte sich vor die alte Frau hin, die bei dem Anblick Montreals ebenso erstaunt, wenn auch weniger erschreckt schien.

»Seit Jahren habe ich dich gesucht,« sagte der Ritter und brach hierdurch zuerst das Schweigen; »seit Jahren, langen Jahren – Dein Gewissen wird dir sagen, warum.«

»Das meinige, Mann des Blutes!« schrie das vor Wut oder Furcht zitternde Weib; »wagst du es, von Gewissen zu sprechen? Du, der Ehrenschänder – der Räuber – der Mörder von Handwerk! Du, Schandfleck der Ritterschaft! Du mit dem Kreuze der Keuschheit und des Friedens auf deiner Brust! Du von Gewissen reden, Heuchler! – Du

»Frau – Frau!« sagte Montreal bittend und beinahe unter der heftigen Leidenschaft dieses schwachen Weibes vergehend, »ich habe gegen dich und die Deinigen gesündigt. Aber erinnere dich an alles, was zu meiner Entschuldigung dient! – frühe Liebe – verhängnisvolle Hindernisse – rasches Gelübde – unwiderstehliche Versuchung! Vielleicht,« – fuhr er in stolzerem Tone fort – »vielleicht habe ich die Macht, meinen Fehler wieder gut zu machen und mit bepanzerter Hand von dem Nachfolger St. Peters zu erringen, der Macht hat zu lösen und zu binden – –«

»Meineidiger, Verworfener!« unterbrach ihn das Weib; »läßt du dir träumen, daß Gewalttat Absolution erzwingen könne, oder daß du je imstande wärest, das Geschehene wieder gut zu machen? – einen edlen Namen zu Grunde gerichtet – das gebrochene Herz und den Fluch eines sterbenden Vaters! Ja, diesen Fluch, ich höre ihn noch! – Noch tönt er mir kreischend in die Ohren, als wachte ich bei der verscheidenden Hülle! – Er hängt sich an dich – er verfolgt dich – er wird dich durch deinen Brustharnisch durchbohren – auf dem Gipfel deiner Macht wird er dich treffen! Der Geist zerstört – der Ehrgeiz vernichtet – späte Reue – ein Leben voll Hader und ein schmählicher Tod – deine Verdammnis die Folge deines Verbrechens! – Hierzu – hierzu hat dich der Fluch eines alten Mannes verdammt! – Und du bist verdammt

Diese Worte wurden eher gekreischt, als gesprochen, und das blitzende Auge – die erhobene Hand – die ausgestreckte Gestalt der Sprecherin – die Stunde – die einsamen Ruinen umher – alles vereinigte sich, um der fürchterlichen Verwünschung einen prophetischen Charakter zu verleihen. Der Krieger, an dessen unerschrockener Brust hundert Speere vergebens zersplittert worden wären, fiel blaß und niedergebeugt zu Boden. Er faßte den Saum des Kleides der wilden Unglücksverkünderin und rief mit erstickter, hohler Stimme: »Schone mich! schone mich!«

»Dich schonen!« sagte das unerbittliche alte Weib; »hast du je einen Mann verschont in deinem Hasse oder ein Weib in deiner Lust? Ha, krieche im Staube – krieche – krieche! – wildes Tier, das du bist! dessen glatte Haut und schöne Farben den Unvorsichtigen blind gemacht haben gegen die Krallen, die zerreißen, die Zähne, die verschlingen; – krieche, daß der Fuß der Alten und Schwachen dich spornen kann!«

»Hexe!« schrie Montreal, indem er im Uebermaß plötzlicher Wut und rasenden Stolzes sich zu seiner ganzen Höhe aufrichtete: »Hexe! du hast die Grenzen überschritten, in denen meine Nachsicht, bei dem Gedanken daran, wer du bist, dich gewähren ließ. Ich hätte beinahe vergessen, daß du dir meine Rolle anmaßest – ich bin der Ankläger! Weib! – der Knabe! – bebe nicht! – lüge nicht! – rede nicht doppelsinnig! – du warst die Diebin!«

»Das war ich. Du lehrtest mich, zu stehlen ein – –«

»Gib ihn zurück!« unterbrach sie Montreal und stampfte so heftig auf den Boden, daß die Schiefer der Marmortrümmer, auf denen er stand, unter der gewaffneten Ferse zerbrachen.

Das Weib achtete wenig auf seine Heftigkeit, vor welcher der kühnste Krieger Italiens gezittert hätte; doch antwortete sie nicht unmittelbar. Der Charakter ihrer Züge ging von der Leidenschaft in einen Ausdruck ernsten, aufmerksamen und trübsinnigen Nachdenkens über. Endlich wandte sie sich an Montreal, dessen Hand mehr aus dem Instinkt langer Gewohnheit, wenn er erzürnt war oder jemand sich ihm widersetzte, als in irgend einer blutigen Absicht nach dem Gefäß seines Dolches gegriffen hatte; so grausam und rachsüchtig er auch war, wäre er doch nicht fähig gewesen, ihn gegen ein Weib zu gebrauchen – am wenigsten gegen diejenige, welche jetzt vor ihm stand.

»Walter von Montreal,« sagte sie mit so ruhiger Stimme, daß es beinahe wie Mitleid klang, »der Knabe hat nie Bruder oder Schwester gekannt, das einzige Kind eines einst stolzen und herrischen Geschlechts – nun, warum so ungeduldig? – du wirst bald das Schlimmste erfahren – der Knabe ist tot!«

»Tot!« wiederholte Montreal, während er zurückfuhr und erblaßte: »tot; – nein, nein – sage das nicht! Er hat eine Mutter – du weißt es! – eine zärtliche, weichherzige, ängstliche, hoffende Mutter! – nein! – nein, er ist nicht tot!«

»So kannst du denn für eine Mutter fühlen?« sagte die Alte anscheinend gerührt durch den Ton des Provençalen. »Aber bedenke, ist es nicht besser, daß das Grab ihn vor einem Leben voll Ausschweifungen, Blutvergießen und Verbrechen bewahrt? Besser mit Gott schlafen, als mit den Teufeln wachen!«

»Tot!« wiederholte Montreal; »tot! – der hübsche Kleine! – so jung! – diese Augen – die Augen der Mutter – so bald geschlossen!«

»Hast du noch etwas zu sagen? Dein Anblick scheucht alle Weiblichkeit aus meiner Seele! laß mich gehen!«

»Tot! – kann ich dir glauben, oder spottest du mein? Du hast deinen Fluch ausgesprochen, höre auf meine Warnung: – Wenn du gelogen, so soll deine letzte Stunde dir bange machen, und dein Totenbett soll das der Verzweiflung sein!«

»Deinen Lippen,« erwiderte das Weib mit höhnischem Lächeln, »stehen lockere Gelübde gegen unglückliche Mädchen besser an als Verkündigungen, die nur feierlich klingen, wenn sie von dem Guten kommen. Lebe wohl!«

»Halt! unerbittliches Weib! halt! – wo schläft er? Messen sollen gelesen werden! – Priester sollen beten! – die Sünden des Vaters sollen nicht an diesem jungen Haupt heimgesucht werden.«

»In Florenz!« antwortete schnell das Weib. »Aber kein Stein bewahrt das Andenken des Verstorbenen! – Der tote Knabe hat keinen Namen!«

Ohne weitere Fragen abzuwarten, ging das Weib jetzt weiter – sie verfolgte ihren Weg; – das hohe Gras und die Biegung des Weges entzogen bald ihre unheilverkündende Erscheinung der einsamen Landschaft.

Montreal, jetzt allein, sank mit einem tiefen und schweren Seufzer zu Boden, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und überließ sich dem schmerzlichen Kummer; seine Brust hob sich – sein ganzer Körper zitterte – und er weinte und schluchzte laut, mit der fürchterlichen Heftigkeit eines Mannes, dessen Leidenschaften stark und wild sind, dem aber allein des Kummers Gewalt neu und fremd ist.

So blieb er einige Zeit ausgestreckt liegen, bis er langsam und nach und nach, als Tränen seinen Schmerz linderten, ruhiger wurde und endlich eher einem düsteren Traume als einer leidenschaftlichen Betrübnis nachhing. Der Mond stand hoch und schon war es spät, als er sich erhob; wenige Spuren der früheren Aufregung waren noch in seinen Zügen zu finden; denn Walter von Montreal besaß nicht die Gemütsart, in welcher der Schmerz sich mit Gewalt niederlassen, oder die ein Unglück in fortdauernde und zur Gewohnheit werdende Schwermut versetzen kann, wie sie diejenigen bedrückt, die nachhaltiger, obwohl mit weniger stürmischen Empfindungen fühlen. Sein Charakter war echt französisch, und zwar im vollkommensten Maße; seine tiefsten und ernstesten Eigenschaften waren mit Wankelmut und Laune untermischt; sein tiefer Scharfsinn wurde oft durch eine Grille zunichte gemacht; sein grenzenloser Ehrgeiz einer nichtigen Versuchung aufgeopfert; seine elastische, sanguinische und hochstrebende Natur war nur der Begierde nach kriegerischem Ruhm, der Poesie eines kühnen und stürmischen Lebens getreu, und für jene zärtliche Leidenschaft empfänglich, ohne deren Farben kein Bild von Ritterwürde vollständig ist und für die er eines Gefühles, einer Zärtlichkeit und einer treuen Anhänglichkeit fähig war, die man sich nur schwer mit seinem sorglosen Leichtsinn und seiner zuchtlosen Lebensweise vereint denken konnte.

»Nein,« sagte er, als er langsam aufstand, seinen Mantel um sich schlug und seinen Weg wieder antrat, »nicht um meinetwillen habe ich mich so gegrämt. Doch die Qual ist vorüber, und ich weiß das Schlimmste. Zurück also jetzt zu den Gegenständen, die nie sterben – rastlose Pläne und kühne Wagnisse. Der Fluch dieser Hexe macht, daß mein Blut noch immer kühl ist, und diese Einsamkeit hat etwas Gespenstisches und Schreckenerregendes an sich. Ha! – was ist das für ein plötzliches Licht?«

Das Licht, welches Montreal erblickte, brach beinahe wie ein Stern hervor, kaum größer zwar, aber röter und mit stärkerem Strahl. Es war an sich nichts Ungewöhnliches und mochte aus einem Kloster oder aus einer Hütte kommen. Aber es strömte von einer Seite des Aventin, wo keine Wohnung von Lebenden, sondern nur verlassene Ruinen und zertrümmerte Säulengänge standen, deren Namen sogar, wie auch das Andenken an frühere Bewohner, erloschen waren. Da Montreal dies wußte, fühlte er einen leichten Schauer, als die Flamme ihr gleichförmiges Licht über die traurige Landschaft ausgoß, denn er war nicht frei von dem Aberglauben der Ritter jener Zeit, und es war jetzt die den Geistern und Gespenstern geweihte Zauberstunde. Aber Furcht vor dieser oder der anderen Welt konnte den Geist des kühnen Freibeuters nicht lange einschüchtern, und nach kurzem Bedenken entschloß er sich, eine Abschweifung von seinem Wege zu machen und sich des Grundes jener Erscheinung zu versichern. Ohne daß es der Barbar wußte, schritt sein martialischer Fuß über die Gegend hin, wo der berühmte und berüchtigte Tempel der Isis einst Zeuge der wildesten, von Juvenal erwähnten Orgien gewesen war, und er kam endlich an ein dichtes, dunkles Gebüsch, aus dessen Mitte das geheimnisvolle Licht durch eine Oeffnung schimmerte. Der Ritter drang durch das dunkle Dickicht und befand sich dann vor einer großen, grauen, dachlosen Ruine, aus deren Innerem unbestimmt und verworren der Schall von Stimmen kam. Durch einen Riß in der Mauer, der etwa zehn Fuß über dem Boden eine Art von Fenster bildete (den das Gebäude in seiner früheren Pracht wohl nicht gekannt haben mochte), brach jetzt das Licht über den stark verwachsenen Boden, gleichsam in ungeheure Schattenmassen eingehüllt, und strömte durch einen ganz nahe liegenden, zertrümmerten Säulengang. Der Provençale stand, ohne daß er es wußte, gerade auf der einst durch den Tempel – die Säulenhalle und die Bibliothek, – der Freiheit geweihten Stelle (die erste öffentliche in Rom bestehende Bibliothek). Die Mauer der Ruine war von unzähligen Kletterpflanzen und wildem Gestrüpp bedeckt und es bedurfte nur geringer Gewandtheit von seiten Montreals, um sich mit deren Hilfe zu der Höhe der Oeffnung emporzuschwingen und, in dem dichten Laubwerk verborgen, in das Innere zu blicken. Er sah einen mit Wachskerzen beleuchteten Tisch, auf dem ein Kruzifix stand; einen entblößten Dolch; eine geöffnete Rolle, wie sich später zeigte, heiligen Inhalts, und eine metallene Schale. Etwa hundert Männer in Mänteln und schwarzen Masken standen bewegungslos rings umher, und einer, größer als die anderen, ohne Vermummung oder Maske – dessen bleiche Stirn und strenge Züge durch dieses Licht noch bleicher und strenger schienen – schloss gerade eine Anrede an seine Gefährten.

»Ja,« sagte er, »in der Kirche des Lateran will ich den letzten Aufruf an das Volk erlassen. Unterstützt von dem Stellvertreter des Papstes, ich selbst, ein päpstlicher Beamter, werde ihnen begreiflich machen, daß Religion und Freiheit – daß Helden und Märtyrer – die gleichen Interessen haben. Hiernach sind Worte unnütz, Taten müssen an ihre Stelle treten. Bei diesem Kruzifix verpfände ich mein Wort – bei dieser Klinge weihe ich mein Leben der Wiedergeburt Roms! Und ihr (die ihr dann weder Maske noch Mantel nötig habt!), wenn die einzelne Trompete sich vernehmen läßt – wenn ihr den einzelnen Reiter erblickt – ihr schwört, euch um die Fahne der Republik zu sammeln, und mit Herz und Hand, mit Leben und Seele, mit Todesverachtung und in der Hoffnung auf Befreiung den Waffen der Unterdrücker zu widerstehen!«

»Wir schwören – wir schwören!« riefen alle Stimmen, und als sie sich zu Kreuz und Dolch herzudrängten, wurden die Kerzen durch das dazwischentretende Gedränge verdunkelt, und Montreal konnte die Zeremonie nicht unterscheiden, auch die gemurmelte Eidesformel nicht verstehen; aber er konnte erraten, daß der damals bei Verschwörungen übliche Ritus – nach welchem jeder Verschwörer einige Tropfen von seinem Blute vergießen mußte, zum Zeichen, daß er sein Leben dem Unternehmen weihe – nicht verabsäumt werde; als die Menge wieder zurücktrat, hielt dieselbe Gestalt, welche vorhin zu den Versammelten gesprochen, mit beiden Händen die Schale in die Höhe und sprach – während an dem linken, entblößten Arme langsam Blut hervorquoll und tropfenweise auf den Boden träufelte – mit feierlicher Stimme und aufwärts gerichteten Augen: »Unter den Ruinen deines Tempels, o Freiheit! weihen wir Römer dir diese Libation! Wir, die wir von keinen wesenlosen und in Fabeln gepriesenen Göttern beschützt und begeistert sind, sondern von dem Herrn der Heerscharen und von Ihm, der, auf die Erde herabsteigend, sich nicht an Kaiser und Fürsten, sondern an Fischer und Landleute wandte – der den Niedrigen und Armen die Vollmacht der Offenbarung übertrug.« Dann wandte er sich plötzlich an seine Gefährten. Seine Züge, in Charakter und Ausdruck ganz eigentümlich wechselnd, verklärten sich aus feierlicher Scheu zu kriegerischer, flammender Begeisterung, und er rief laut: »Tod der Tyrannei! Es lebe die Republik!« Die Wirkung des Ueberganges war überraschend. Jeder legte wie aus unfreiwilligem und unwiderstehlichem Antriebe die Hand an das Schwert, während er die Worte wiederholte; einige zogen sogar ihre Klingen, als ginge es gleich zum Kampfe.

»Ich habe genug gesehen; jetzt werden sie aufbrechen,« sprach Montreal zu sich selbst; »und ich würde lieber einer Armee von Tausenden gegenüberstehen, als nur einem halben Dutzend von diesen entflammten, berüchtigten Schwärmern begegnen.« Mit diesem Gedanken ließ er sich auf den Boden herabgleiten und schlich sich fort, als noch einmal durch die stille Mitternachtsluft der Ruf zu seinen Ohren drang: »Tod der Tyrannei! – Es lebe die Republik!«


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