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Viertes Kapitel

Die Herzogin von Chevreuse

Als im Jahre 1660 der Kardinal Mazarin sich triumphierend sagen durfte, daß er durch zwei Friedensschlüsse, den westfälischen und pyrenäischen, Frankreich zur ersten politischen Großmacht in Europa erhoben habe und der spanische Minister Don Luis de Haro ihm Glück wünschte, daß er nach so vielen und langen Stürmen endlich der Ruhe pflegen dürfe, gab er zur Antwort, in Frankreich könne man sich keine Ruhe versprechen, weil hier sogar die Weiber zu fürchten wären. »Ihr Spanier«, fuhr er fort, »habt leicht reden. Eure Weiber lassen sich auf nichts als Liebschaften ein. Anders ist's in Frankreich. Wir haben ihrer drei, die imstande wären, drei große Königreiche zu regieren oder umzustürzen: die Herzogin von Longueville, die Palatine und die Herzogin von Chevreuse.« Die Letztere wird Gegenstand der folgenden Biographie sein.

Marie de Rohan, geboren im Dezember 1600, war die älteste Tochter des Herzogs von Montbazon, Herkules von Rohan, aus erster Ehe mit Madeleine de Lenoncourt. Luynes, der glückliche Emporkömmling, ein einfacher Edelmann und Hauptmannssohn, der es, auf Ludwigs XIII. wankelmütige Freundschaft pochend, mit der Königin-Mutter aufnahm und sie aus dem Regierungssattel zu werfen trachtete, der den Marschall d'Ancre stürzte und sich selbst zum Connetable aufschwang, der zu einer Zeit die Protestanten und die Prinzen von Geblüt befehdete und Richelieus System gegen Richelieu selbst anwandte – dieser war auch der Glückliche, der Mariens Herz zu fesseln wußte. Wie hätte er ihr nicht gefallen müssen, da er so kühn und unternehmend war, wie sie? So wurde denn 1617 ein Paar aus ihnen, aber das Bündnis löste sich schon nach vier Jahren durch Luynes' Tod. Marie gebar diesem Gatten, den sie mit aller Treue liebte, eine Tochter, welche unvermählt blieb und als eine Fromme gestorben ist, und einen Sohn, der im Laufe des 17. Jahrhunderts wegen seiner Verbindungen mit Port-Royal eine gewisse Rolle spielte, die Meditationen des Cartesius ins Französische übersetzte, unter dem angenommenen Namen »de Laval« schätzbare asketische Schriften verfaßte und das erlauchte Haus Luynes fortpflanzte. Nur ein Jahr war die schöne Marie Witwe, als sie im Jahre 1622 zum zweiten Male in den Ehestand trat: mit Claudius von Lothringen, Herzog von Chevreuse und Oberkammerherrn der Krone Frankreich, dem dritten Sohne des zu Blois ermordeten Heinrich von Guise. Dieses zweiten Gemahls höchstes Verdienst war sein Name; daneben besaß er feinen Anstrich und Mut, wie alle Lothringer; in seinen Angelegenheiten herrschte aber nicht die mindeste Ordnung und seine Sitten waren wenig erbaulich, was denn auch die Vergehungen seines Weibes erklärt und mildert. Es entsprossen dieser Ehe drei Töchter, wovon nur eine durch ihr Verhältnis zu Retz und die Bosheit, welche dieser gegen sie übte, einen Namen erlangt hat.

siehe Bildunterschrift

Die Herzogin von Chevreuse.
Zeitgenössischer Stich. Kupferstichkabinett Berlin

Schon bei Lebzeiten ihres ersten Gemahls war die Herzogin Oberhofmeisterin der Königin und bald auch ihre Favoritin geworden. Der Hof war damals überaus glänzend und die Galanterie an der Tagesordnung. Marie von Rohan, von Natur lebhaft und nichts weniger als schüchtern, ließ sich von Jugendmut und Vergnügungssucht fortreißen; sie fand Anbeter und deren in Menge, und diese Anbeter weihten sie nachgerade auch in die Politik ein. Die Königin und ihre junge Oberhofmeisterin, ungefähr in gleichem Alter, vertrieben sich anfangs die Zeit nur mit etwas leichtfertigen Scherzen; Anna, von ihrem Gemahle vernachlässigt, fand ihren Trost in der Gesellschaft ihrer immer frohgelaunten Favoritin. Sie lebten unzertrennlich zusammen, und alles, was vorkam, lieferte ihnen Stoff zur Belustigung. A giovine cuor tutto è giuoco, sagt der Italiener. Lord Rich, der nachmals berühmte Graf Holland, war zu Ende 1624 oder Anfang 1625 an den französischen Hof gekommen, für den Prinzen von Wales um die Hand der schönen Henriette, Schwester Ludwig XIII., zu werben. Während dieser Verhandlungen verliebte sich Rich in Frau von Chevreuse. Er war jung und außerordentlich schön; er gefiel ihr und stimmte sie für die Interessen Englands. Dies war für sie der Anfang zu Liebes- und Staatshändeln. Der leichtsinnige, vergnügungs- und ränkesüchtige Rich beredete sie, ihre königliche Freundin zu irgendeiner zärtlichen Neigung, wie die ihrige, zu veranlassen. Anna war eitel und gefallsüchtig; der schönen Galanterie, wie ihre spanischen Landsleute, zugetan, überdies von ihrem Gemahle gleichgültig behandelt, verschmähte sie nicht die ihr gebrachten Huldigungen. Aber das Spiel war nicht ohne Gefahr; es gelang dem schönen Buckingham, das Herz der Königin recht ernstlich zu beunruhigen. Wenn Anna der Versuchung nicht erlag, so war es in der Tat nicht das Verdienst der Chevreuse. Buckingham war zudringlich, die Oberhofmeisterin gefällig, und die Königin entging der Gefahr nur mit großer Mühe. Frau von Motteville und La Rochefoucauld erzählen einen Vorfall im Park zu Amiens, der Licht auf das Verhältnis Annas wirft.

siehe Bildunterschrift

Ludwig XIII. von Frankreich.
Zeitgenössischer Stich. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

In Mariens von Chevreuse Herzen folgte dem schönen Lord Rich der schöne Chalais. Heinrich von Talleyrand, Prinz von Chalais, aus dem Hause Périgord, war Großmeister der Kleiderkammer und eine gewichtige Person, wie ihn La Rochefoucauld schildert, »nach Persönlichkeit und Geist höchst liebenswürdig und ein zärtlicher Liebhaber der Frau von Chevreuse«. Damals war der kleine Hof von Monsieur bereits ein Herd von Intrigen gegen Richelieu. Gaston wollte nichts von einer Heirat mit der Prinzessin von Montpensier (Maria von Bourbon, Tochter und Erbin des Herzogs Heinrich von Montpensier), die man ihm aufnötigte, wissen, und die Königin Anna, jetzt noch ohne Kinder, fürchtete ebenfalls diese Ehe, welche ihr in Zukunft die Krone entreißen und in das Haus Orléans bringen konnte. Chalais nahm sich beider Hoheiten an und zettelte ein Komplott an, dessen Gefährlichkeit Richelieu vielleicht übertrieb, das sich aber der König nach dem, wie es ihm der Kardinal vormalte, so schwarz dachte, daß er nicht nur Chalais, wie später Cinq Mars, des Kardinals Rache preisgab, sondern auch zeitlebens überzeugt blieb, die Königin sei in diesen Handel verwickelt gewesen und sie wie Gaston hätten den Plan gehabt, nach seiner Entthronung oder seinem Ableben sich zu heiraten. Trotz der Tränen seiner alten Mutter mußte Chalais das Schafott besteigen (Juli 1626); es war das erste, das Richelieu aufschlagen ließ. Gaston zog sich durch seine nunmehrige Einwilligung in die verhaßte Heirat aus der Schlinge; die Königin fiel tiefer als je in Ungnade, und die Chevreuse, die der Herzog von Orleans feig genug war, anzugeben, wurde zur Landesverweisung verurteilt. Welchen Anteil hatte sie an der Verschwörung? Denjenigen, wozu Liebe und Freundschaft sie zu verpflichten schienen. Chalais war ihr Geliebter und Anna ihre Freundin. Auf ihre Kosten erfuhr sie also, wie hoch die Liebe zu einer Königin, wie Anna, zu stehen kommt. Während diese mit einem blauen Auge davonkam und höchstens ihren Nacken noch etwas mehr beugen mußte, sah ihre Vertraute den geliebten Mann durch Henkershand fallen, sich selbst allen Genüssen des Lebens, den Festen des Louvre und ihrem schönen Schlosse Dampierre entrissen und in fremdem Lande eine Zuflucht zu suchen genötigt. Richelieu wußte indes recht wohl und sagt es in seinen Memoiren, daß sie mehr als sonst jemand Böses stiftete. Auch war sie, wie ebenderselbe erzählt, außer sich vor Wut. Sie ging darin so weit, zu erklären, daß man sie nicht kenne, daß man meine, sie hätte nur Kopf genug zu Buhlerkünsten, wie sie aber mit der Zeit begreiflich machen würde, daß sie noch zu anderen Dingen tauge, daß sie alles zu ihrer Rache aufbieten und sich lieber einem gemeinen Gardisten in die Arme werfen, als ihre Feinde nicht zur Verantwortung ziehen werde. Sie gedachte, nach England zu gehen, wo sie versichert war, an Holland, Buckingham und selbst Karl I. eine Stütze zu finden. Aber dies wurde ihr nicht verstattet; man wollte sie sogar einsperren, und erst ihr Gemahl wirkte ihr die Erlaubnis aus, in Lothringen eine Zuflucht zu suchen.

In Nancy wurde ihr, statt einer Zufluchtsstätte, der glänzendste Triumph zuteil. Der leidenschaftliche und abenteuerliche Karl IV. war völlig von ihr geblendet, bezaubert, hingerissen. Nicht jedoch kommt auf ihre Rechnung das viele Ungemach, das ihn in der Folge betraf. Sein Charakter, sein vermessener Ehrgeiz, sein jedem Hirngespinste offenes Gemüt und der Umstand, daß er einen Staatsmann wie Richelieu vor sich hatte, waren einzig Schuld daran. Beide waren schon aneinander geraten, bevor noch die Herzogin einen Fuß nach Nancy setzte. Richelieu beanspruchte mehrere Gebietsteile des Herzogs und dieser, zwischen Österreich und Frankreich mittendrinstehend, neigte sich bereits auf die Seite des ersten. War er nach seiner Individualität der geeignetste Mann, um in die Anschauungen der Chevreuse einzugehen, so war sie ihrerseits meisterlich dazu angetan, seine Entwürfe zu sekundieren. Sie fand Karl IV. schon im Geheimbunde mit Österreich. Sie knüpfte ihn so auch an das von Buckingham geleitete England; sie setzte sich mit Savoyen ins Einvernehmen und bildete so eine europäische Ligue, die im Innern Frankreichs an der protestantischen Partei, deren Häupter ihre Verwandten, die Rohan und Soubise, waren, einen Stützpunkt fand. Der Plan war ernst genug. Eine englische Flotte unter Buckinghams eigener Leitung sollte auf der Insel Ré landen und sich mit den Protestanten in La Rochelle vereinigen, der Herzog von Savoyen zu gleicher Zeit im Dauphine und in der Provence einfallen, der Herzog von Rohan an der Spitze der Hugenotten die Languedoc aufwiegeln und der Lothringer durch die Champagne auf Paris losgehen. Hauptagent und Vermittler zwischen den einzelnen Beteiligten war Mylord Montague, ein Busenfreund Hollands und Buckinghams, und der, wie es hieß, sich gleichfalls durch die Reize der Chevreuse hatte betören lassen. Richelieu, scharfsichtig wie er war und von seiner Geheimpolizei gut bedient, belauerte alle Schritte Montagues; er ließ ihn ohne Bedenken auf lothringischem Gebiet fest- und seine Papiere in Beschlag nehmen, woraus er die Verschwörung in allen ihren Einzelheiten ersah und nun mit seiner gewöhnlichen Energie zu Werke ging. Der Hauptangriff auf die Insel Ré mißlang; Buckingham wurde geschlagen und zum schimpflichen Rückzuge genötigt. La Rochelle wich der Ausdauer und Geschicklichkeit des Kardinals; die Koalition war besiegt und zersprengt, und England bat um Frieden. Eine der Bedingungen, worauf es am meisten bestand, war die: der schönen Verbannten die Rückkehr nach Frankreich zu gestatten. War sie doch schon eine politische Macht geworden, um derentwillen man Krieg anfängt und Frieden schließt. »In England«, sagen die Memoiren Richelieus, »hatte sich diese Prinzessin sehr beliebt gemacht, und der König schenkte ihr eine ganz besondere Zuneigung und würde sie sicherlich in den Frieden einschließen, wenn er sich nicht schämte, eines Weibes darin Erwähnung zu tun; aber er würde sich Seiner Majestät (Ludwig XIII.) sehr verpflichtet fühlen, wenn man ihm in diesem Punkte nicht zuwider wäre.« Richelieu, dem sehr viel daran lag, die Rohan, die Protestanten und England nicht mehr auf dem Hals zu haben, um seine Kräfte gegen Spanien konzentrieren zu können, ging auf die Bedingung ein und Frau von Chevreuse kehrte nach Dampierre zurück.

Es kam nun für einige Jahre Ruhe. Die Herzogin erschien wieder bei Hofe in allem Glänze ihrer Schönheit. Sie zählte noch nicht 30 Frühlinge und selten sah sie jemand ungestraft. Sogar Richelieu huldigte ihren Reizen, aber für ihn blieb sie spröde. Sie zog dem Allesvermögenden einen seiner Diener, auf welchen er am meisten zu zählen berechtigt war, vor. Diesen entführte sie ihm mit dem Zauber eines Blickes und gewann ihn für die Partei der Königin und der Mißvergnügten. Charles d'Aubépine. Marquis von Chateauneuf, aus einer alten Familie von Kronräten und Staatssekretären, schon königlicher Ordenskanzler und Gouverneur in Touraine, war 1630 als Großsiegelbewahrer auf Marillac gefolgt und verdankte diesen Posten der Gunst Richelieus und seiner eigenen Dienstbeflissenheit. Er war es, der in Toulouse bei dem Prozeß des unbesonnnen und unglücklichen Montmorency den Vorsitz führte, und die Montmorency und Condé blieben von da an seine geschworenen Feinde. Er und Richelieu, dem er seine Treue mit Blut verpfändet hatte, schienen unzertrennlich. Chateauneuf war ein vollendeter Geschäftsmann, arbeitsam, tätig und, worauf der Kardinal den meisten Wert legte, entschlossen. Allein er besaß und behielt bis an sein Lebensende einen maßlosen Ehrgeiz; kam die Liebe dazu, so wurde der Ehrgeiz blind. Es ist also glaublich, daß nicht er, wie Retz sagt, die Chevreuse, sondern vielmehr sie ihn zu einem tollkühnen Anschlag verleitete, der Richelieu gegenüber Glück und Kopf auf das Spiel setzen hieß. Chateauneuf, geboren 1580, war damals 50 Jahre alt, und was er für Frau von Chevreuse empfand, war eine jener unseligen Leidenschaften, wie sie zuweilen noch dem Entfliehen der Jugend vorausgehen oder es bezeichnen. Schon seit einiger Zeit hatte Richelieu wahrgenommen, daß sein Großsiegelbewahrer nicht mehr der nämliche war. Während einer lebensgefährlichen Erkrankung des Kardinals, sagt man, gab die Königin einen Ball. Chateauneuf erschien darauf und – tanzte, eine arge Torheit, die Richelieu ein Licht aufsteckte und ihn erbitterte. Mitte des Februar 1633 wurde der Großsiegelbewahrer verhaftet und seine Papiere weggenommen. Man fand 52 eigenhändige Briefe der Herzogin, worin unter einem leicht zu entziffernden Kauderwelsch von Phrasen und Zahlen die wahren Gesinnungen der beiden Korrespondenten offen zutage lagen. Es fanden sich auch viele Briefe des Ritters de Jars, des Grafen Montague von Puylaurens, des Herzogs von Vendome und selbst der Königin von England. Alle diese Briefe wurden dem Kardinal gebracht, der sie sorgfältig aufhob. Nach seinem Tode fand man sie in seiner Brief Schatulle (cassette), und so gelangten sie in den Besitz des Marschalls von Richelieu, der sie dem Pater Griffet zu seiner Geschichte der Regierung Ludwigs XIII. mitteilte. Es ist aus diesen noch ungedruckten Briefen der Herzogin ersichtlich, daß sich Richelieu viele Mühe um sie gab und ihr große Aufmerksamkeit erwies, daß er eifersüchtig auf Chateauneuf und dieser sehr unruhig wegen der Rücksichten war, welche sie, um ihren beiderseitigen Verkehr und ihre Anschläge sicherer zu verbergen, gegen den ersten Minister beobachtete. In mehreren Stellen zeigt sich der ebenso verschmitzte als unternehmende Kopf der Herzogin, ihre Macht über den Großsiegelbewahrer und ihr furchtloser Haß mitten unter geschickt angebrachten Ergebenheitsversicherungen, womit sie den Kardinal überschüttete. Einen Begriff von dem Ton zu geben, der in ihren Briefen herrscht, mag unter den vielen von Cousin mitgeteilten der folgende kürzere dienen. »Nichts geht über die Narrheit von 22 (Richelieu). Er hat zu 28 (Chevreuse) geschickt und in seinem Briefe die seltsamsten Beschwerden geführt. Er sagt, daß 28 in einemfort mit Germain (Lord Jermin, dem Geheimagenten und Freund der Königin von England) gescherzt hat, damit er in seinem Lande von der Verachtung, die sie gegen ihn hege, erzählen möchte. Daß er ferner mit Bestimmtheit wisse, daß 28 und 38 (Chateauneuf) im Verständnis sind und daß eure Leute nicht aus meinem Hause wegkommen, und daß ich Brion (Franz Christoph von Levis Graf von Brion, einen der Günstlinge des Herzogs von Orléans) darum bei mir empfange, weil er sein Feind sei, um ihn zu ärgern. Daß alle Welt sage, er sei in mich verliebt, und daß er mein Betragen nicht mehr ausstehen könne. So steht es mit 22. Meldet mir, was ihr von ihm in Erfahrung bringt und glaubt, was auch eurem Herrn zustoßen mag, er wird nichts seiner Unwürdiges tun oder was bewirken kann, daß ihr euch schämt, ihm anzugehören. Ich; befinde mich etwas besser und bin entschlossener als je, 38 bis zum Tode zu achten, wie 28 ihm versprochen hat.«

Wie mußte der stolze und gebieterische Kardinal nicht zürnen, als er den sicheren Beweis in den Händen hielt, daß er von einer Frau verhöhnt und von einem Freunde verraten worden war! Seine Galle gegen Chateauneuf machte sich in einem bis jetzt ungedruckt gebliebenen Anhange zu seinen Memoiren Luft, der erst in neuerer Zeit in den Archiven der auswärtigen Angelegenheiten aufgefunden worden und von der wohlbekannten Hand Charpentiers, eines der Sekretäre des Kardinals, geschrieben ist. Schwer fiel seine Rache auf die zwei Schuldigen. Derjenige ihrer Mitschuldigen, den er erreichen konnte, der Ritter de Jars, ward in die Bastille geworfen und zur Enthauptung verurteilt; erst auf dem Blutgerüst erhielt er Pardon. Chateauneuf wurde auf das feste Schloß zu Angoulême gebracht und mußte da 10 Jahre aushalten, die Herzogin aber, noch immer vom Kardinal mit Schonung behandelt, nach Dampierre verwiesen: das war ihre ganze Strafe. Allein die Königin konnte sie nicht entbehren und sie nicht die Königin, öfters bei einbrechendem Abend kam die Chevreuse verkleidet nach Paris, schlich sich in den Louvre oder nach dem Val de Grace, sah und sprach die Königin und kehrte dann mitten in der Nacht nach Dampierre heim. Bald entdeckte oder argwöhnte man diese heimlichen Besuche, und Annas Vertraute sah sich nach Touraine auf eines der Güter ihres ersten Gatten verbannt. So war denn die 33jährige schöne Herzogin zur tödlichsten Langweile verurteilt, in eine ferne Provinz verwiesen, fern vom Glanz und Geräusch von Paris und allen den Gegenständen, die ihr Herz in so süße Bewegung setzten, weit weg von allen politischen und Liebeshändeln. Dem alten Erzbischof von Tours den Kopf zu verdrehen, war doch nur eine geringe Belustigung für sie, und um nicht im Schmerz zu vergehen, bedurfte sie gar sehr der Besuche ihres Nachbars, des liebenswürdigen La Rochefoucauld, und der Briefe der Königin. In Touraine blieb sie vier lange Jahre, von 1633 bis zur Mitte von 1637, und alle ihre Tätigkeit war darauf gerichtet, zwischen Anna, Karl IV., der Königin Henriette und dem König von Spanien eine Korrespondenz anzuknüpfen.

Zu dieser geheimen Korrespondenz, welche die Veranlassung zu den schwersten Anklagen gegen die Königin und der Herzogin wurde, bediente sich Anna eines ihrer Kammerdiener namens La Porte. Zuweilen verfügte sie sich nach dem Val de Grace, scheinbar hier ihre Andacht zu verrichten, und schrieb Briefe, welche die Oberin Louise de Milley, mère de St.-Etienne genannt, an ihre Adresse beförderte. Die Königin und ihre Freunde glaubten völlig geborgen zu sein, während die Polizei auf der Lauer stand. Ein Billet Annas an Frau von Chevreuse, das La Porte einem Menschen anvertraute, den er für zuverlässig hielt und der ihn verriet, wurde aufgefangen, La Porte in ein Loch der Bastille geworfen und wechselweise von den abgefeimtesten Helfershelfern des Kardinals, Laffemas und La Poterie, von dem Kanzler Pierre Séguier und Richelieu selbst verhört. Zu gleicher Zeit ließ sich der Kanzler, in Begleitung des Erzbischofs von Paris, die Türen des Val de Grace öffnen, drang in die Zelle der Königin, bemächtigte sich aller ihrer Papiere und nahm die Oberin ins Verhör, nachdem er ihr durch den Erzbischof hatte anbefehlen lassen, kraft des ihm schuldigen Gehorsams und unter Androhung der Exkommunikation, die Wahrheit zu gestehen. Auch die Königin bekam viel zu leiden und schwebte in der größten Gefahr. Wie La Rochefoucauld erzählt, der damals nebst der Chevreuse und dem Fräulein von Hautefort der Vertrauteste Annas war, klagte man sie eines geheimen Verständnisses mit dem spanischen Minister, dem Marquis von Mirabel, an und machte ihr daraus ein Staatsverbrechen. Mehrere aus ihrer Bedienung wurden verhaftet, ihre Briefschaften weggenommen. Der Kanzler verhörte sie gleich einer Verbrecherin; man schlug vor, sie in Le Havre einzusperren, ihre Ehe aufzulösen, sie zu verstoßen. In dieser Erzählung ist jedoch unwahr, daß die Königin ein Verhör vor dem Kanzler bestanden habe: das ließ die königliche Würde nicht zu. Ebenso unwahr oder verdächtig ist, was La Rochefoucauld weiter erzählt, die Königin habe ihn in ihrer äußersten Bedrängnis aufgefordert, sie und die Hautefort nach Brüssel zu entführen, und er habe große Lust gehabt, dem Kardinal und dem König durch Entführung seiner Frau und Geliebten diesen Streich zu spielen, als sich plötzlich die Sache günstiger angelassen hätte. Auch ist die Königin nicht, wie er sagt, unschuldig befunden und ihre Unschuld von dem Kanzler ausgesprochen worden. Im Gegenteil erwies sich ihre Schuld und sie selbst gestand sie ein, und erst auf ihr Bekenntnis hin erlangte sie Verzeihung. Übereinstimmend hiemit sagt Frau von Motteville: »Um Verzeihung zu erhalten, worum sie den König de- und wehmütig bat, mußte die Königin mit ihrer Handschrift bekennen, sie sei alles dessen, was man ihr vorwarf, schuldig. Jedermann hielt sie für unschuldig. Auch war sie es wirklich in betreff des Königs, aber schuldig war sie, wenn es nämlich ein Verbrechen war, daß sie an ihren Bruder, den König von Spanien, und Frau von Chevreuse geschrieben hatte.« So lautet es auch in den Memoiren La Portes, der es in Abrede stellt, daß in dem Briefwechsel der zwei Freundinnen etwas Verdächtiges gewesen sei, vielmehr behauptet, der ganze Handel sei angestellt gewesen, um das Publikum glauben zu machen, es handle sich um eine große Staatskabale, indem es des Kardinals Gewohnheit sei, ein Nichts für eine große Konspiration auszugeben.

Über die Tragweite dieses angeblichen Nichts, das aber nichts Geringeres als einen Staatsverrat involvierte, ist man gegenwärtig vollkommen im reinen. Die Nationalbibliothek besitzt seit nicht zu langer Zeit die Originalurkunden, welche Richelieu bei Abfassung seiner Memoiren zur Grundlage dienten, sodann in die Bibliothek des Marschalls übergingen und von diesem sowie die Chateauneuf betreffenden Papiere dem Pater Griffet mitgeteilt wurden. Aus diesen Urkunden geht Annas Schuld unwiderleglich hervor. Aus dem, was sie gestand – es ist aber wahrscheinlich, daß sie nicht alles sagte –, leuchtet ein, daß sie wiederholt nach Spanien und Flandern, also ins Feindesland, geschrieben hatte, nicht bloß, um über ihre Lage Beschwerde zu führen, sondern auch, um Kabinettsgeheimnisse mitzuteilen. So hatte sie erstens dem Madrider Hof die Reise eines mit einer Geheimmission nach Spanien geschickten Mönchs angezeigt; zweitens verraten, daß das französische Gouvernement bemüht sei, sich mit dem Herzog von Lothringen ins Einvernehmen zu setzen, damit die spanische Regierung zu Hintertreibung dieses Vergleiches ihre Maßregeln nehmen könnte; drittens die Gründe ihrer Befürchtung mitgeteilt, daß England sich von dem spanischen Bündnis lossagen und mit Frankreich verständigen möchte. Nur mit großer Mühe aber war sie zum Geständnis zu bringen. Anfangs leugnete sie alles ab und gab vor, nur über gleichgültige Dinge an die Chevreuse geschrieben zu haben. Am Tage Maria Himmelfahrt nach der Kommunion ließ sie ihren Kabinettssekretär Le Gras kommen, schwor ihm auf das heilige Sakrament, das sie eben genossen, es sei falsch, daß sie eine Korrespondenz ins Ausland unterhalten solle und befahl ihm, dem Kardinal den von ihr geleisteten Eid mitzuteilen. Auch den Jesuiten Caussin, Beichtvater des Königs, ließ sie kommen und wiederholte ihm den Eid. Zwei Tage darauf aber, als ihr begreiflich wurde, daß sie mit einer so unbedingten Ableugnung unmöglich durchkommen könnte, bequemte sie sich zu einem Anfang von Bekenntnissen und gestand dem Kardinal, allerdings habe sie nach Flandern an ihren Bruder, den Kardinalinfanten, geschrieben, aber nur, um sich nach seinem Gesundheitszustande und anderen Dingen von ebenso geringer Bedeutung zu erkundigen. Als Richelieu ihr bemerkte, daß man mehr von der Sache wisse, ließ sie ihre Hofdame Frau von Sénecé und die Begleiter des Kardinals Chavigny und de Noyers abtreten und, jetzt mit ihm allein, bekannte sie, als er ihr die volle und uneingeschränkte Verzeihung des Königs zusicherte, falls sie die Wahrheit sage, alles und gab ihre außerordentliche Beschämung darüber zu erkennen, daß sie Eide im entgegengesetzten Sinne abgelegt hätte. Während dieser traurigen Beichte war sie noch listig genug, ihre wirklichen Gesinnungen hinter liebreichen Demonstrationen zu verstecken, indem sie wiederholt ausrief: »Wie gütig müssen Sie sein, Herr Kardinal!« Zugleich versicherte sie ihn ihrer ewigen Dankbarkeit und reichte ihm, gleichsam zum Pfand ihrer Treue, mit den Worten ihre Hand: »Geben Sie mir die Ihrige!« Er aber weigerte sich aus Respekt, sie anzunehmen und trat zurück. Gerade wie die Königin machte es die Superiorin im Val de Grace. Anfangs leugnete sie, gestand aber dann alles, was sie wußte. Der König und Richelieu verziehen, aber Anna mußte eine Art Sittenformular unterschreiben, wonach sie sich gewissenhaft zu richten versprach. Man untersagte ihr den Besuch des Val de Grace oder eines anderen Klosters, bis der König ihr von neuem die Erlaubnis dazu gäbe; man verbot ihr, jemals anders als im Beisein ihrer ersten Hofdame und ersten Kammerfrau zu schreiben, die dem König dafür verantwortlich sein sollten, noch auf direktem oder indirektem Wege einen einzigen Brief ins Ausland zu richten, wofern sie sich nicht selbst der ihr bewilligten Verzeihung als verlustig bekennen wollte. Viele dieser ihr ferneres Verhalten betreffenden Vorschriften hatten namentlich auf Frau von Chevreuse Bezug; an diese fernerhin zu schreiben, untersagte ihr der König mit bestimmten Worten, weil dieser Briefwechsel der Königin zum Vorwande aller anderen Schreibereien gedient habe. Verboten wurde ihr außerdem, einen gewissen Craft, einen englischen Edelmann und Freund Montagues und der Herzogin, der sehr verdächtig war, bei allen diesen Intrigen die Hand im Spiele gehabt zu haben, noch sonst einen der Unterhändler der Chevreuse zu sehen. Man ersieht hieraus, immerdar ist es diese, welche Ludwig XIII. und Richelieu als die Anstifterin alles Bösen betrachten, und sie halten sich der Königin nicht eher für versichert, bis sie diese von ihrer gefährlichen Freundin losgerissen haben.

Aber was mit ihr anfangen? Sie in Tours lassen oder zur Haft bringen oder ganz aus Frankreich fortschaffen? Man hatte weder ihre Person noch Geschriebenes von ihr; nur Vermutungen lagen gegen sie vor, allerdings sehr starke. Welches waren diese? La Porte, eingestandenermaßen der Beförderer der meisten Briefe Annas, gehörte der Herzogin so gut an als der Königin und hatte im Hotel Chevreuse ein Absteigquartier. Vor ihrem Abzuge nach Tours 1633 war die Herzogin zweimal heimlich von Dampierre nach dem Val de Grace gekommen und hatte sich mit der Königin besprochen. Auch Montague, der wohlbekannte Agent, war mit der Königin einmal im Val de Grace zusammengetroffen. Die Verbannte hatte der Königin den kecken Vorschlag gemacht, sie wolle den über sie verhängten Bann brechen und sie verkleidet in Paris aufsuchen. Es war nicht leicht anzunehmen, daß ihr Briefwechsel keinen anderen Zweck haben sollte, als Erkundigungen nach dem Befinden der Königin einzuziehen. Sie korrespondierte fortwährend mit dem Herzog von Lothringen und hatte noch ganz neuerlich einen Boten von ihm erhalten. Man wußte ja auch, daß sie unumschränkt über ihn verfügte, daß sie ihn vermocht hatte, Gaston ein Asyl in Lothringen zu gewähren, daß sie England zum Krieg antrieb, daß, wenn man sie aus dem Reich forttriebe, sie den Lothringer von einem Vergleich mit Frankreich abwendig machen und die Engländer für alles, wozu sie Lust hätte, in Gang und Bewegung setzen, für de Jars und Chateauneuf alles aufbieten und der Krone tausend innere und äußere Hindernisse schaffen würde. Dies zusammengenommen bestimmte den Kardinal, sie in Frankreich zu behalten, auch recht säuberlich mit ihr zu verfahren, sei es nun, weil er die Person gut genug kannte, um zu wissen, daß ihr Stolz sich kein Geständnis würde abtrotzen lassen oder etwa, weil noch der frühere Zauber nachwirkte und die sonst so eiserne, doch aber für Schönheit mehr als einmal empfängliche Seele des Kardinals sich einer unwillkürlichen Schwäche für eine Frau nicht zu erwehren vermochte, die in ihrer Person die zwei großen, selten vereinigten Gaben, Schönheit und Mut, im höchsten Grade vereinigte. Er ließ also mit ihr sprechen, als wäre er noch immer ihr Freund; er erinnerte sie an die Schonung, die er in der Sache Chateauneufs gegen sie beobachtet hätte und weil er wußte, wie sie in diesem Augenblick Geld dringend benötigte, so schickte er ihr eine Summe. Die Herzogin machte bei Annahme derselben viele Umstände, nahm sie auch nicht als Geschenk, sondern als Darlehen und bat nur den Kardinal, ihr in dem Prozeß, den sie mit ihrem Gemahl bezüglich der Auflösung der Gütergemeinschaft führte und einige Zeit nachher gewann, beizustehen. Auf die ihr vorgelegten Fragen antwortete sie mit ihrer gewohnten Festigkeit. Sie konnte das der Königin gemachte Anerbieten, verkleidet nach Paris zu kommen, nicht leugnen, weil man die Antwort der Königin, worin sie den Vorschlag ablehnte, aufgefangen hatte, erklärte aber, ihr einziges Verlangen sei damals gewesen, ihre Fürstin zu begrüßen; auch hätten ihre Angelegenheiten ihre Gegenwart in Paris nötig gemacht. Nicht im mindesten denke sie daran, die Königin gegen den Kardinal in Harnisch zu bringen; es sei vielmehr ihre Absicht, den Einfluß, den sie etwa bei ihr besäße, zugunsten des ersten Ministers anzuwenden. Um Richelieu mit gleicher Münze zu bezahlen, gab sie ihm seine Freundschaftszusicherungen mit Zinsen zurück, aber den seinigen mißtraute sie von Grund des Herzens, und vergebens suchte ihr einer der Sendlinge Richelieus, der Abbé Dudorat, mit welchem sie sonst gut stand, einzureden, daß der Kardinal es redlich meine; sie erblickte in diesem geschäftigen Wohlwollen nichts als einen geschickten Köder, um ihre Wachsamkeit einzuschläfern und ihr eine gefährliche Sorglosigkeit einzuflößen. Sie dachte1 an ihre Freunde de Jars und Chateauneuf, die noch beide in Richelieus Banden schmachteten und beschloß, lieber alles zu wagen, ehe sie ihr Schicksal teilte.

Ungeachtet ihres Versprechens, alle Gemeinschaft mit der Herzogin abzubrechen, beauftragte dennoch die Königin den eben nach Poitou abreisenden La Rochefoucauld, ihrer Freundin mündlich zu hinterbringen, was sie ihr nicht zu schreiben wagte. Ein gleiches Versprechen hatte La Rochefoucauld seinem Vater und dem Vertrauten des Kardinals, Chavigny, gegeben. Aber auch er band sich nicht daran, sondern bat den schon erwähnten, dem König und Richelieu so verdächtigen Engländer Craft, den Auftrag der Königin zu bestellen. Als die Sache noch am bedenklichsten stand, schickte auch Marie von Hautefort einen ihrer Verwandten, den Herrn von Montalais, nach Tours, um die Herzogin von dem wahren Stande der Dinge zu unterrichten. Es wurde das Übereinkommen getroffen, daß man ihr, wenn die Sache eine gute Wendung nähme, ein grün-, im entgegengesetzten Falle ein rotgebundenes Gebetbuch ohne weitere Erklärung zugehen lassen würde, und daß letzteres für sie eine Mahnung sein sollte, auf ihre Sicherheit Bedacht zu nehmen. Ein unseliges Mißverständnis hinsichtlich des verabredeten Zeichens, außerdem ihr entschiedenes Mißtrauen in die Absichten des Königs und Richelieus trieben Frau von Chevreuse zu dem äußersten Entschluß. Lieber wollte sie sich zu einem neuen Exil verurteilen als Gefahr laufen, in die Hände ihrer Feinde zu fallen und ergriff eiligst die Flucht nach der spanischen Grenze. Ins Geheimnis zog sie einzig ihren alten Anbeter, den Erzbischof von Tours, Bertrand de Chaux, der aus Bearn gebürtig war, Verwandte an der Grenze hatte und ihr Kreditbriefe nebst allen erforderlichen Anweisungen über die von ihr einzuschlagenden Wege gab. Aber in ihrer Eilfertigkeit vergaß sie alles, fuhr am 6. September 1637 fort, als hätte sie eine Spazierfahrt vor, bestieg 9 Uhr abends als Mann verkleidet ein Pferd, und nachdem sie 5 oder 6 Meilen geritten war, sah sie sich ohne Briefe, Marschroute und Kammerfrau, nur von zwei Dienern begleitet. Die ganze Nacht über konnte sie das Pferd nicht wechseln und am folgenden Tage gelangte sie, ohne eine Stunde Rast, nach Russee, eine Meile von Verteuil, wo La  Rochefoucauld wohnte. Statt seine Gastfreundschaft anzusprechen, schrieb sie ihm folgendes Billett: »Mein Herr, ich bin ein französischer Edelmann und ersuche Sie um Ihre guten Dienste zum Schutz meiner Freiheit und vielleicht meines Lebens. Ich habe mich unglücklich geschlagen und einen Herrn von Rang getötet. Dies nötigt mich, Frankreich eiligst zu verlassen, weil man auf mich fahndet. Ich halte Sie für edelmütig genug zu einer Diensterweisung, auch ohne mich zu kennen. Ich brauche einen Wagen und einen Diener.« La  Rochefoucauld schickte ihr das Verlangte. Der Wagen kam ihr sehr zustatten, denn sie war erschöpft von Müdigkeit. Ihr neuer Geleiter brachte sie ohne Verzug auf eine andere Besitzung La Rochefoucaulds, wo sie mitten in der Nacht eintraf. Hier ließ sie den Wagen und die zwei Domestiken, welche sie bisher begleitet hatten und reiste zu Pferd weiter der Grenze zu. Der Sattel des Pferdes war ganz voll Blut; sie aber stellte sich, als hätte sie sich mit dem Degen am Schenkel verwundet. Sie legte sich in einer Scheune auf das Heu und nahm nur wenig Nahrung zu sich. Die schwarze Kavalierstracht ließ sie ebenso schön und verführerisch erscheinen, als in den Salons des Louvre der reichste Perlen- und Juwelenschmuck der Weltdame. Unter dem weiblichen Geschlecht erregte sie auf dieser ihrer abenteuerlichen Fahrt allgemeines Aufsehen. Eine Bürgersfrau, welche sie beim zufälligen Vorbeigehen auf dem Heu ausruhen sah, blieb stehen und rief: »Ja, das ist der hübscheste Bursche, den ich noch gesehen habe.« Dann trat sie näher zu ihr hin und sagte auf das freundlichste: »Herr, kommen Sie und ruhen bei mir aus, Sie dauern mich« usw. Sie lief auch mehr als einmal Gefahr, erkannt zu werden. So sagte ihr eines Tages in einem Tal der Pyrenäen ein vornehmer Herr, der sie in Paris gesehen hatte, er würde Frau von Chevreuse zu sehen glauben, wenn sie anders gekleidet wäre. Der schöne Unbekannte half sich mit der Antwort, daß er mit der Dame verwandt wäre und daher wohl eine Familienähnlichkeit stattfinden könnte. Mut und Munterkeit verließen sie keinen Augenblick. Man hat ein Liedchen auf die heroische Amazone gemacht und läßt sie darin zu ihrem Knappen La Boissière sprechen:

La Bossière, dis-moi,
Vais-je pas bien en homme?
Vous chevauchez, ma foi,
Mieux que tant que nous sommes etc.

(Sag' mir, Knappe, frei,
Ob ich wie ein Mann nicht reite.
Besser, meiner Treu',
Als wir andern Leute.)

Als ihr Begleiter in sie drang, ihm ihren Namen zu sagen, sagte sie geheimnisvoll, sie wäre der Herzog von Enghien und genötigt, Kriegsdienstes und außerordentlicher Geschäfte wegen Frankreich zu verlassen. Bald aber faßte sie Vertrauen zu ihm und da sie nicht gern lange Zeit eine Maske trug, gestand sie ihm, wer sie wirklich war. Spanien erreichte sie erst unter unsäglichen Mühen und tausenderlei Gefahren. Kurz bevor sie die Grenze überschritt, schrieb sie an den Herrn, der sie in den Pyrenäen fast erkannt und ihr zugleich alle Art von Aufmerksamkeit erwiesen hatte, er habe sich nicht geirrt, sie sei wirklich diejenige, die er zu sehen geglaubt hätte und da sie ihn so ausnehmend artig gefunden habe, so sei sie so frei, ihn zu bitten, ihr Kleiderstoffe zu verschaffen, um sich ihrem Geschlecht und Stande gemäß kleiden zu können. So aus Toulouse am 2. November 1637. An La Rochefoucauld schickte sie, erzählt dieser, alle ihre Juwelen im Werte von 200.000 Talern mit der Bitte, sie als Geschenk von ihr anzunehmen, wenn sie stürbe oder sie ihr eines Tages zurückzugeben.

Auf das Gerücht von ihrer Flucht ereiferte sich Richelieu gewaltig und setzte alles in Bewegung, sie in Frankreich zurückzuhalten. Ohne Verzug wurden deshalb die bestimmtesten Befehle entsendet. Der Herzog, ihr Gemahl, schickte ihr den Intendanten ihres und seines Hauses Boispille mit der Versicherung nach, sie habe nichts zu fürchten. Auch den Präsidenten Vignier ließ der Kardinal aufs eiligste abreisen, nicht nur, um ihr den Genuß uneingeschränktester Freiheit in Tours zuzusichern, sondern auch Hoffnung auf baldige Rückkehr nach Dampierre zu machen. Zu gleicher Zeit sollte Vignier den alten Erzbischof und ebenso La Rochefoucauld (der bei dieser Gelegenheit acht Tage lang in die Bastille zu sitzen kam) und seine Leute ins Gebet nehmen. Weder Boispille noch Vignier konnten den schönen Flüchtling einholen, der schon auf spanischem Boden war, als der Präsident kaum an der Grenze stand. Um seiner Mission nach Möglichkeit Genüge zu tun, ließ er durch einen Herold, den er auf das spanische Gebiet schickte, der Herzogin Amnestie für das Vergangene verheißen und sie zur Heimkehr nach Frankreich einladen. Dies alles erfuhr sie erst nach ihrer Ankunft in Madrid.

Festlich war die Aufnahme, welche der König von Spanien der unerschrockenen Freundin seiner Schwester bereitete. Er schickte ihr mehrere sechsspännige Staatswagen entgegen und in Madrid überhäufte er sie mit Ehrenbezeigungen aller Art. Die Herzogin war damals 37 Jahre alt. Zu allen den Eigenschaften, wodurch sie gefiel, kam nun auch der Reiz ihrer soeben bestandenen romantischen Abenteuer, und Frau von Motteville versichert, daß auch Philipp IV. die Zahl ihrer Eroberungen vermehrt habe. Sie war schon ganz Engländerin und Lothringerin, sie wurde jetzt auch eine Spanierin. Sie schloß sich an den Herzog von Olivarez an und gewann einen bedeutenden Einfluß auf die Beschlüsse des Madrider Kabinetts. Dies verdankte sie ohne Zweifel ihren Talenten und Einsichten, ganz besonders aber dem edlen Stolze, womit sie alle Anerbietungen von Geld und Pensionen ausschlug und von Frankreich stets so redete, wie es der ehemaligen Connetable von Luynes zukam. Auch vergißt sie nicht, Boispille brieflich einzuschärfen, er möge dem Herrn Kardinal die Versicherung geben, daß sie sich in Spanien zu nichts verbindlich gemacht und nicht einen Scherf (teston) angenommen habe, mit Ausnahme des Aufwandes für ihre Bewirtung. Ungeachtet der erklärten Gunst des Königs, der Königin und des ersten Ministers blieb sie doch nicht lange in Spanien. Der Krieg zwischen den beiden Kronen machte ihre Lage mißlich; ihre Briefe gelangten nur schwer nach Frankreich. Man wagte auch nicht, an sie zu schreiben, so sehr war Richelieus Polizei gefürchtet, so sehr besorgte man, wegen Korrespondenz mit dem Landesfeinde und der Herzogin verklagt zu werden. Selbst der Intendant Boispille, der einen Brief von ihr erhielt, sagte, als der Bote eine Antwort verlangte: »Wir geben keine Antwort nach Spanien.« Auch um freier und ihrem Vaterland näher zu sein, entschloß sie sich, in ein neutrales und selbst befreundetes Land zu gehen und kam zu Anfang 1638 in England an.

In London fand sie dieselbe Aufnahme und Begegnung wie in Madrid. Sie traf daselbst den Grafen Holland, den ersten ihrer Anbeter, Lord Montague, der immer noch für sie glühte, Graft und viele andere Engländer und Franzosen von Rang, die sich eine Ehre daraus machten, ihr Gefolge zu bilden. Sie entzückte vor allen König und Königin. Karl I. hatte immer großes Gefallen an ihr gefunden, und Henriette zeichnete sie auf eine am englischen Hofe ungebräuchliche Weise aus. Beide schrieben zu ihren Gunsten an Ludwig XIII., an Anna, an den Kardinal. Die Herzogin verlangte die volle und unbeschränkte Nutznießung ihres Vermögens, die ihr unlängst zugestanden, aber seit ihrer Flucht nach Spanien widerrufen worden war. Als im Frühjahre 1638 Annas Schwangerschaft offenkundig wurde, war der französische Hof voller Fröhlichkeit und aller Herzen öffneten sich der Hoffnung. Frau von Chevreuse benutzte dieses Ereignis zu einem Briefe an Königin Anna, den diese ihrem Gemahl sehr wohl mitteilen konnte, worin man aber bei aller zurückhaltenden Sprache und diplomatischen Behutsamkeit die innige Zuneigung wiederfindet, welche die Königin und die Verbannte für einander hegten. Zu gleicher Zeit, wo sie ihr Vermögen beanspruchte, dachte die Herzogin auch an Abstoßung einer Schuld, die ihren Stolz verletzte. Sie war in Tours genötigt gewesen, das ihr von Richelieu geschickte Geld, wenn auch nur, wie gesagt, als bloßes Darlehen anzunehmen und so war dem offiziellen Brief an die Königin ein vertrauliches Billett an sie allein beigeschlossen, woraus man ersieht, daß die Königin von Frankreich selbst einmal in den Fall gekommen war, Geld von ihrer Oberhofmeisterin zu entlehnen. Jetzt bitte sie nun ihre Schuldnerin angelegentlich, den Herrn Kardinal von dem ihr Schuldigen zu befriedigen und, wenn sie es imstande sei, »das noch Fehlende zu decken«. Diese letzten Worte und folgende Briefe beweisen, daß die Herzogin, weil sie seit ihrem Austritte aus Frankreich nichts vom Auslande hatte annehmen wollen, alle ihre Hilfsquellen erschöpft und, da ihr die Verfügung über ihr Vermögen vorenthalten wurde, in London eine immer mehr wachsende Schuldenlast auf sich geladen hatte, ohne zu wissen, wie sie dieselbe wieder abstoßen sollte. Einstweilen hatte der Herzog von Chevreuse seine Finanzen aufs ärgste zerrüttet und hoffte eine Besserung derselben einzig von der Fügsamkeit und dem Kredit seiner Frau. Er ließ daher nicht ab, sich bei dem König und dem Kardinal für Gestattung der Rückkehr nach Frankreich zu verwenden. Der Kardinal war bei dem Anerbieten einer Begnadigung (abolition, wie man es damals nannte) stehengeblieben, welches ihr der Präsident Vignier bis an die spanische Grenze hatte nachtragen müssen. Neben den allgemeinen Gründen, die ihm ihre Rückkehr wünschenswert machten, hatte er in diesem Augenblick noch einen ganz besonderen. Er stand mit dem Lothringer, dessen militärische Talente und, wenn auch wenig zahlreiches, doch treffliches Heer ihm Sorge machten, in Verhandlungen. Mehr als je bemühte er sich, ihn durch einen Vergleich an sich zu ziehen, um dann alle Streitkräfte Frankreichs gegen Österreich und Spanien verwenden zu können. Es mußte ihm mithin viel daran gelegen sein, die alles über den Herzog vermögende Chevreuse zu schonen, die, wie er glaubte, schon 1637 die gewünschte Ausgleichung verhindert hatte und sie abermals vereiteln konnte. Ihrerseits war auch die Herzogin der Verbannung müde; sie sehnte sich nach ihrem Dampierre, ihren Kindern, ihrer Tochter, der liebenswürdigen Charlotte, die fern von der Mutter aufwuchs. Sie zitterte bei dem Gedanken an die schmerzliche Alternative, die sie täglich mehr bedrängte, zu Englands und Spaniens Gnade ihre Zuflucht nehmen oder ihre Kostbarkeiten versetzen zu müssen, die sie von La Rochefoucauld hatte zurückfordern lassen. Sie war Weib und auch schwaches Weib genug, um, wenn nicht Leidenschaft und Ehre sie alles andere vergessen machten, an all dem schönen Flitter des Lebens ihre Freude zu finden, um also auch an den kostbaren Schmuck ihr Herz zu hängen, der ihr, wie man sagt, von der Marschallin d'Ancre und aus Florenz als eine glänzende Erinnerung an glückliche Zeiten zugeflossen war. Diese Mischung weiblicher Schwäche und Verweichlichung mit männlicher Energie war ein hervorstechender Zug ihres Charakters, der sie für alle Lagen, jetzt zu aufopfernder Liebe, jetzt wieder zu Ränken und Abenteuern geeignet machte.

Sie entschloß sich, mit Richelieu den niemals ganz abgebrochenen Verkehr wieder anzuknüpfen, dessen Erfolg leicht schien, da beide Teile ihn fast gleich sehr wünschten. Die Unterhandlungen aber verzogen sich länger als ein Jahr. Der Kardinal bevollmächtigte den Hausintendanten Boispille und den Abbé Dudorat, die kitzliche Angelegenheit an Ort und Stelle, in England, ins Reine zu bringen. Es kostete dieses viel Zeit und Mühe; mehr als einmal mußten sie von London nach Paris, von Paris nach London reisen, um die aufsteigenden Schwierigkeiten zu beseitigen. Kardinal und Herzogin wünschten aufrichtig, sich zu vertragen, aber da sie einander kannten, verlangten sie auch gegenseitig Bürgschaften, die sich schwer vereinigen ließen. Nicht besser als aus den vorhandenen Aktenstücken dieser langen Verhandlung läßt sich Geist und Charakter Richelieus und der Herzogin erkennen: die gewohnten Winkelzüge und der übelverhehlte Stolz des Kardinals, die Geschmeidigkeit, anscheinende Unterwürfigkeit und konsequente Vorsicht seiner Widersacherin, die auf steter Hut ist, einem Manne gegenüber, der nichts vergaß und alles vermochte, ja keinen Fehler zu begehen. Wir unterdrücken das Detail der ausführlich vorliegenden Korrespondenz, die mit einem Schreiben der Frau von Chevreuse vom 1. Juni 1638 anhebt, und beschränken uns auf einige der Hauptpunkte. Nachdem das Hin- und Herschreiben schon längere Zeit gedauert hatte, schickte endlich der Kardinal eine königliche Erklärung, zufolge der ihr die Heimkehr nach Frankreich zugestanden und hinsichtlich ihres früheren Benehmens, namentlich ihres Einverständnisses mit dem Herzoge von Lothringen gegen die Interessen des Königs, vollkommene Verzeihung versprochen wurde. Sie dagegen, nicht gewillt, sich eines anderen Vergehens schuldig zu bekennen, als ihres übereilten Fortganges aus dem Königreiche, wollte von Verzeihung für etwas Nichtbegangenes nichts wissen, protestierte daher feierlich (23. Februar 1639) gegen die ihr geschickte »abolition« und verlangte zugleich eine kategorische Erklärung über die Art und Weise, wie man sie in Frankreich leben zu lassen gedenke. Denn dieser Punkt war mit Fleiß im unklaren gelassen worden, wie sie wohl bemerkte. Sie verlangte also zweierlei: völlige Freiheit für ihre Person und besonders, daß man ihr nicht unter der Firma Pardon ein schwarzes Vergehen zur Last legte, welches sie begangen zu haben nicht zugab. Die einzige Verkürzung ihrer Freiheit, welche sie sich gefallen lassen wollte, war die: sie versprach, die Königin nicht wiederzusehen und den Briefwechsel ins Ausland abzubrechen. Der Kardinal nun erhitzte sich zwar anfangs über ihre Weigerung, und daß sie seine Finten pariert und vereitelt hatte, fand es indes am Ende geraten, die königliche Amnestie, die der Herzogin so anstößig gewesen war, mit einer zweiten in gemilderten Ausdrücken zu vertauschen. Im Grunde war auch diese noch weit entfernt, sie zu befriedigen. Wenn sie darin nicht nur wegen ihrer Flucht aus Frankreich, sondern auch wegen »derjenigen anderen Vergehungen, welche sie etwa gegen die dem Könige schuldige Treue begangen hätte«, absolviert wurde, so gelangte Richelieu mittels eines Umweges zu seinem Ziele: der Verbannten nämlich das indirekte Eingeständnis einer Schuld, die sie beharrlich von sich ablehnte, zu entlocken, sie damit zu demütigen und in seine Gewalt zu bringen. Von neuem, doch vergebens, reklamierte sie. Ihr Verlangen, Vaterland und Familie wiederzusehen, war so stark, daß sie sich endlich in die verdächtige Begnadigung fügte. Sie tat noch mehr. Richelieu hatte dem Abbé Dudorat und Boispille das nötige Geld zur Berichtigung ihrer in England gemachten Schulden überwiesen, damit sie zugleich die Mittel besäße, den englischen Hof auf eine ihrem Range geziemende Weise zu verlassen. Sie unterwarf sich auch diesem und willigte ein, daß die zwei Agenten, um Richelieu zufriedenzustellen, ohne sie zu sehr zu kompromittieren, in ihrem Namen und von ihr unterzeichnet, eine Schrift aufsetzten, worin sie in sehr allgemeinen Ausdrücken bescheidentlich von ihrem früheren unlöblichen Benehmen sprach und sich anheischig machte, wofern man sie nur in aller Freiheit in Dampierre hausen ließe, niemals insgeheim nach Paris zu kommen. Um sich hiezu zu verstehen, hatte sie noch manchen Skrupel überwinden, noch manche Anwandlung von Mißtrauen ersticken und ihre innersten Empfindungen vor den dringenden Bitten ihrer Familie, Dudorats und Boispilles zum Schweigen bringen müssen. Ein letzter Brief Richelieus vom 13. April 1639 erneuerte ihr sein feierliches Versprechen.

So standen jetzt die Sachen. Die stolze Herzogin hatte ihren Nacken unter die Schwere des Exils und Ungemachs beugen müssen. Nun wollte sie fort; schon hatte sie sich von der Königin Henriette verabschiedet, ein Schiff stand bereit, sie nach Dieppe zu bringen, wo sie ein Wagen erwartete, als sie plötzlich zu Ende des April folgenden Brief ohne Datum und Unterschrift erhielt. »Ich müßte Ihnen nicht sein, was ich Ihnen bin, wenn ich ermangelte, Ihnen zu melden, daß in Frankreich, wohin man Frau von Chevreuse locken will, ihr Verderben außer Zweifel ist, und daß, wenn Sie sie lieben, alles von Ihnen aufgeboten werden muß, ihren Untergang zu verhindern. Dieses ist keine bloße Mutmaßung. Der Kardinal hat in betreff Spaniens und des Herzogs von Lothringen zu viel arges von ihr behauptet, als daß er es nicht auch in Zukunft tun sollte. Von Frau von Chevreuse ist in diesem Augenblicke nichts zu tun, als sich in Geduld zu fassen, sonst gewisses Verderben und ewiges Bedauern für den Schreiber dieses.« – Wer hatte dieses Billett geschrieben? Es wies sich in kurzem aus. Sein Inhalt aber entsprach so ganz den innersten Gefühlen der Empfängerin und dem, was sie seit langer Zeit von der Unversöhnlichkeit des Kardinals wußte, daß sie die Vorbereitungen zu ihrer Abreise einstellte, aber so klug und ehrlich war, Boispille das Billett sehen zu lassen, mit der Ermächtigung, es Richelieu mitzuteilen. Kaum einen Monat später erhielt sie einen zweiten Brief des nämlichen Inhalts, diesmal nicht anonym, sondern von dem Manne unterzeichnet, der ihr auf der Welt am meisten zugetan war, dem Herzog von Lothringen. Er wiederholt und bekräftigt in diesem Schreiben vom 26. Mai 1639 alles in dem Billett Gesagte und verweist sie zugleich auf die mündlichen Mitteilungen des Marquis de Ville, dessen Besuch er ihr anmeldet. Auch diesen Brief ließ die Herzogin an Richelieu gelangen, um ihm zu beweisen, daß sie durch keineswegs unerhebliche Motive zurückgehalten werde und erklärte dabei, daß sie nicht eher abreisen würde, bis sie den Marquis de Ville gesprochen hätte.

Henri de Livron Marquis de Ville, ein lothringischer Edelmann von Geist, tapfer, seinem Land und Fürsten ergeben, war in französische Gefangenschaft geraten, in die Bastille gesetzt, dann aber von Richelieu freigegeben worden und in den Niederlanden wieder mit dem Herzog Karl zusammengetroffen. In den ersten Tagen des August 1639 kam er nach London und gab sich alle erdenkliche Mühe, die Chevreuse zum Bruche mit dem Kardinal zu bewegen. Die Herzogin wünschte, daß er sich in Boispilles Gegenwart erklären und dieser Richelieu von der Konferenz Bericht erstatten möchte. Der Marquis ließ sich bereit zu einer Aussage finden, die er eigens aufsetzte und unterschrieb. Hienach hatte er – und er nannte seinen Gewährsmann, einen gewissen Lange, der ihn im vergangenen Winter auf der Reise von Paris nach Charenton begleitet und von jeder Einzelheit unterrichtet, dabei aber sich ausbedungen hatte, daß er das ihm Vertraute niemandem als dem Herzog und Frau von Chevreuse mitteilen sollte – gewisse Kunde, daß der Kardinal sich neulich gegen Chavigny höchst unzufrieden über die Herzogin geäußert hatte, weil sie fortwährend in Abrede stelle, daß sie dem Herzog Karl abgeraten, sich mit Frankreich auszusöhnen, und daß dann beide gesagt hatten, sei sie nur einmal in Frankreich, so wolle man sie mit ihren Briefen in der Hand, was sie nicht glaube, wohl lehren französisch sprechen, und daß, wenn sie denke, sie zu hintergehen, sie sich selbst betrüge. Dieses hatte der Gewährsmann so genau zu wissen versichert, als wäre er Ohrenzeuge gewesen. Diese von de Ville unterzeichnete Aussage wurde ebenfalls getreulich an Richelieu geschickt, wie alles frühere. Mußte dieses alles aber nicht den tiefsten Eindruck auf das Gemüt der Verbannten machen, die sich nur wider ihre Überzeugung, getrieben von der Sehnsucht nach Heimat und häuslichen Herd, zur Demütigung unter so harte und unsichere Bedingungen verstanden hatte? Bald traf noch eine fernere Abmahnung ein, welche für sie die Geltung eines Befehls hatte und sie an den fremden Boden fesselte. Diejenige, für welche sie seit zehn Jahren alles ertragen und allem Trotz geboten hatte, ihre erlauchte Freundin, ihre königliche Mitschuldige, Anna selbst, ließ ihr sagen, sie möge dem Scheine nicht trauen. Eines Tages nämlich, bei einer Begegnung mit dem Herzog von Chevreuse in St. Germain, fragte die Königin, ob er Nachrichten von seiner Gemahlin hätte. Seine Antwort war, er habe sich sehr über Ihre Majestät zu beklagen, die allein der Rückkehr seiner Frau im Wege stehe. Worauf die Königin erwiderte, er tue sehr unrecht, sich über sie zu beschweren, denn sie liebe Frau von Chevreuse nach wie vor und sehne sich nach ihr; allein zurückzukommen, das könne sie ihr unter gegenwärtigen Umständen nie anraten. – Nun kam es der Herzogin vor, als müsse niemand genauer unterrichtet sein als die Königin, und sie entschied sich daher, einer Weisung Folge zu leisten, die von so hoher Stelle kam. Sie rührte Richelieus Geld nicht an und schrieb ihm am 16. September zum letzenmal, stellte ihm vor, in welcher Ungewißheit und Verwirrung sie sich befinde und bat um eine weitere Frist, bis ihr Gemüt wieder zur Ruhe gekommen wäre. Am nämlichen Tage kündigte sie ihrem Gemahl, sowie Dudorat und Boispille ihren bestimmten Entschluß, nicht zu kommen, an. Dem Herzog schrieb sie: »Ich wünsche sehnlich, mich in den Stand gesetzt zu sehen, gemeinschaftlich mit Ihnen unsere Angelegenheiten zu ordnen und mit Ihnen und meinen Kindern endlich in Ruhe zu leben. Allein, wie ich die Verhältnisse kenne, sind mir die Gefahren einer Heimkehr so wohl bekannt, daß ich mich noch immer nicht dazu entschließen kann; ich weiß, daß ich weder Ihnen noch meinen Kindern von Nutzen sein kann, wenn ich in Frankreich nicht gesichert gegen Anfechtung bin (si j'y suis dans la peine). Also muß ich in aller Geduld und mit derjenigen Geistesfassung, die ich noch nicht finden kann, zuwarten, bis sich ein sicherer Weg auftut, der mich endlich dahin führt ... Ich habe sehr wichtige Dinge in Erfahrung gebracht, woran ich völlig unschuldig bin, wie man vielleicht in diesem Augenblick auch inne wird, die aber allem Anschein nach beweisen, daß man die Absicht hatte, mich in Anklagestand zu versetzen. Ich kann mich hierüber nicht deutlicher aussprechen.« Der Brief an Boispille schloß mit den Worten: »Besser ist's dulden als zugrunde gehen.« So verschwand die letzte Hoffnung auf Wiederannäherung zwischen zwei Personen, die sich instinktmäßig zueinander hingezogen und mit eben der Macht des Instinkts abgestoßen voneinander fühlten, die sich zu gut kannten, um sich nicht zu fürchten, um auf Worte zu bauen, womit sie beide nicht karg waren, ohne ernstlich gemeinte Bürgschaften zu verlangen, die sie geben weder konnten noch wollten. In Tours hatte vor zwei Jahren die Herzogin lieber in eine zweite Verbannung gehen, als ihre Freiheit riskieren wollen; auch in London zog sie es jetzt vor, den Schmerz des Exils zu ertragen und ihre letzten schönen Tage unter Entbehrungen und Beschwerden zu verleben, um nur frei zu bleiben, sich mit der stillen Hoffnung wiegend, daß es ihrer mutigen Ausdauer gelingen würde, das Schicksal endlich zu ermüden und den Urheber ihrer Leiden schwer dafür büßen zu lassen.

Um die Mitte des Jahres 1639 kam auch Marie von Medici und bat ihre Tochter, die Königin von England, um eine Zufluchtstätte. Sie war des herumschweifenden Lebens in den Niederlanden müde, wo sie von der Gnade der spanischen Regierung lebte, die sie mit Verheißungen überschüttet hatte, solange sie sie brauchen zu können hoffte, jetzt aber in ihrer Ohnmacht ohne Hilfe ließ. Henriette konnte ihre alte, sieche, verlassene Mutter nicht von sich stoßen. So betrat denn die Witwe Heinrich IV., die Mutter Ludwig XIII. und dreier mächtiger Fürstinnen (nächst der Gemahlin Karls I., der Königin Elisabeth von Spanien und der Herzogin Christine von Savoyen), als eine Schutzflehende den Boden Englands, nachdem sie noch auf dem Ozean einen siebentägigen Sturm ausgestanden hatte, entblößt von allem, tiefgebeugt, halbtot, der Gegenstand allgemeinen Mitleids. Der unbarmherzige Richelieu machte es der Herzogin von Chevreuse zum großen Vorwurf, daß sie die Königin Henriette in ihrem kindlichen Entschluß aufs eifrigste bestärkt hätte; er sah in den Besuchen, welche sie der Königinwitwe abstattete, neue Ränke und Anschläge, während sie des Tadels und der Vorwürfe eher würdig gewesen wäre, wenn sie dies alles unterlassen hätte. Aus Rücksicht auf Richelieu brauchte sie es am allerwenigsten, seit der alte Kampf mit ihm aufs neue entbrannt war. Sie hatte ihm Rache geschworen, und die Gelegenheit dazu schien gekommen. In London sammelte sich eine Schar französischer Emigranten, an ihrer Spitze der Herzog von Vendome, La Vieuville und La Valette; die Seele aber dieser rührigen Faktion war sie, die Herzogin. Sie fand ihre Anhaltepunkte an dem Grafen Holland, damals einem der Häupter der royalistischen Partei und des königlichen Heeres, an Lord Montague, einem eifrigen Katholiken und vertrauten Rat der Königin, an dem Ritter Igby und anderen einflußreichen Hofherren, unterhielt auch ein geheimes Verständnis mit den Mißvergnügten in Frankreich und suchte alle von der Ungnade Richelieus Betroffenen mit neuer Hoffnung zu beleben, über des Kardinals Haupt aber gefahrdrohende Wolken zusammenzuziehen und seine Pfade mit Hemmnissen und Verwicklungen jeder Art zu bestreuen.

Im Jahre 1641 findet man Frau von Chevreuse in Brüssel, als Vermittlerin zwischen England, Spanien und Lothringen, zugleich verwickelt in die Verschwörung des Grafen von Soissons, die gefährlichste, die gegen Richelieu angesponnen wurde. Der Graf von Soissons, Prinz von Geblüt, war weit bedeutender als Heinrich von Montmorency, ein talentvoller Kriegsmann und persönlich mutig, sein Plan besser angelegt und die Gelegenheit viel günstiger. Der erste Minister hatte durch straffes Anspannen aller Staatskräfte, endloses Kriegführen, Häufung und Vermehrung der öffentlichen Lasten, Unterdrückung der Korporationen und auch Eingriffe in die Interessen der Privaten schweren Haß auf sich geladen, und regierte fast nur noch durch den Schrecken. Sein geniales Wesen imponierte, das großartige seiner Entwürfe bestach einzelne vorzügliche Geister, während seine stete Härte und die unaufhörlichen Opfer, die er dem Staat zumutete, die überwiegende Mehrzahl, den König voran, belästigten oder erbitterten. Der Günstling des Tages, der Oberstallmeister Cinq Mars, schwärzte den Kardinal, so viel er konnte, bei Ludwig an. Er wußte um die Verschwörung des Grafen von Soissons und begünstigte sie, ohne jedoch Teil daran zu nehmen. Auf ihn ließ sich zu gelegener Zeit rechnen. Die Königin Anna, trotz der zwei Söhne, die sie Frankreich geschenkt hatte, immer noch in Ungnade, hegte wenigstens stille Wünsche für das Aufhören eines Regimentes, das sie unterdrückte. Auch Gaston hatte sein Wort gegeben, freilich ein nicht sehr zuverlässiges; aber der Herzog von Bouillon, ein Kriegs- und eminenter Staatsmann, hatte sich offen erklärt, und seine Festung Sedan an den Grenzen Frankreichs und Belgiens war ein Bollwerk, von wo aus sich lange Zeit der Macht des Kardinals trotzen ließ. Man hatte in allen Teilen des Königreiches, im Klerus, im Parlament Beziehungen eingeleitet. Bis in die Bastille drang die Verschwörung; der Marschall de Vitry und der Graf von Cramail, die dort eingekerkert lagen, fanden doch Mittel, im tiefsten Geheimnis einen Handstreich vorzubereiten. Den damals 25jährigen Abbé Retz verlangte nach einem Probestück von Bürgerkrieg, einem Vorspiel zu einer späteren abenteuerlichen Laufbahn. Der Herzog von Guise, welcher sein Erzbistum Reims abgeworfen und sich in die Niederlande geflüchtet hatte, sollte als Teilnehmer an allen Gefahren der Verschworenen nach Sedan kommen; aber die größte und festeste Hoffnung des Grafen von Soissons beruhte auf Spanien: dieses allein konnte ihn in den Stand setzen, Sedan zu verlassen, auf Paris loszugehen und Richelieus Macht zu brechen. Daher schickte er einen seiner bravsten und geschäftskundigsten Kavaliere namens Alexander de Campion nach Brüssel, um mit den spanischen Ministern in Unterhandlungen zu treten und von ihnen Geld und Soldaten zu beziehen. In Brüssel traf dieser die Herzogin von Chevreuse und vertraute ihr den Zweck seiner Sendung, und sie bot allen ihren Kredit zu seinem Beistand auf. Sie schrieb an den Herzog von Olivarez und befürwortete aufs eifrigste die Gesuche Soissons und Bouillons. Campion sowie dem Abbé de Mercy, einem spanischen Agenten, übergab sie Briefe an Herzog Karl, worin sie ihn dringend anlag, diese letzte Gelegenheit, seine früheren Unfälle wieder gut zu machen und Richelieu einen tödlichen Streich zu versetzen, nicht zu verfehlen. Karl IV., zu gleicher Zeit von der Herzogin, von seinem Vetter Guise, von dem spanischen Minister, besonders aber von seinem eigenen unruhigen und waghalsigen Ehrgeiz bestürmt und gestachelt, brach den feierlichen Traktat, den er eben erst mit der Krone Frankreichs geschlossen hatte, trat dem Bunde Spaniens und des Grafen von Soissons bei und eilte zum Beistand der Veste Sedan. Der General Lamboy und Oberst Metternich kamen an der Spitze von 6000 Kaiserlichen aus Flandern angerückt. Die Herzogin und die Emigranten ließen alle in ihren Händen befindlichen Federn zu gleicher Zeit springen. Niemals bestand Richelieu eine größere Gefahr, und der Verlust der Schlacht von Marfée würde sein Verderben gewesen sein, wenn nicht Soissons mitten in seinem Triumph den Tod gefunden hätte.

Man kann fragen, ob die Herzogin der neuen Verschwörung Monsieurs, Cinq Mars' und des Herzogs von Bouillon im Jahre 1642 fremd geblieben ist. Wir glauben, sie war es so wenig, als die Königin Anna, deren Einvernehmen mit Cinq Mars und Gaston sich nicht bestreiten läßt. Obwohl sehr auf ihrer Hut vor Ludwig und Richelieu, hatte doch Anna ihre früheren Gesinnungen und Vorsätze nicht aufgegeben, und ist in der Sache des Grafen von Soissons stark kompromittiert gewesen, wenn man einem Billett Alexanders von Campion an die Chevreuse vom 15. August 1641 glauben darf, worin die Worte vorkommen: »Wegen der Briefe, worin die Person genannt ist, für welche Sie die hingehendste Anhänglichkeit hegen, machen Sie sich keine Sorge; Herr von Bouillon und ich haben alle in der Schatulle des Grafen vorgefundenen verbrannt.« Die Königin wußte sicherlich um den Anschlag des Cinq Mars und hatte die Hand dabei im Spiel. Vielleicht kannte sie den geheimen Vertrag mit Spanien nicht, aber in allem übrigen, was gegen den Kardinal im Werke war, verstand sie sich mit den Verschwörern. La Rochefoucauld versichert es wiederholt als eine Sache, woran auch er beteiligt war. »Das Ansehen des Herrn le Grand (d. i. Cinq Mars)«, sagt er, »fachte die Hoffnungen der Unzufriedenen aufs neue an; die Königin und Monsieur traten dem Bündnis bei; ebenso taten der Herzog von Bouillon und andere Standespersonen; de Thou besuchte mich im Auftrage der Königin und entdeckte mir ihre Verbindung mit le Grand und daß sie ihm versprochen hätte, auch ich würde zu ihm halten.« – »Die Königin (heißt es in den Memoiren des Herzogs von Bouillon, herausgegeben von seinem Sekretär Langlade, Paris 1692), welche sich auf alle Weise von dem Kardinal verfolgt sah, zweifelte nicht, daß er ihr im Falle des Ablebens des Königs ihre Kinder entreißen und sich die Regentschaft anmaßen würde. Sie ließ also durch de Thou den Herzog von Bouillon insgeheim und aufs dringendste bitten, ihr zu versprechen, daß er sie, falls der König stürbe, mit ihren beiden Kindern in Sedan aufnehmen wolle, indem sie bei ihrer Überzeugung von den schlechten Absichten des Kardinals und seiner großen Macht in ganz Frankreich keinen Ort für ihre Sicherheit wüßte. De Thou teilte dem Herzog ferner mit, daß seit der Krankheit des Königs seine Gemahlin und der Herzog von Orleans eng verbunden wären, und zwar durch Vermittlung von Cinq Mars.« Die Antwort des Herzogs war für die Königin sehr beruhigend und zufriedenstellend. Man weiß, wie die Teilnahme an dieser Verschwörung vom Jahre 1642 den Herzog seine schöne Stadt Sedan kostete, und ihm nur unter dieser Bedingung verziehen wurde. Sein Bruder Turenne schreibt daher in späterer Zeit an seine Schwester (Marie Herzogin von Thouars): »Du kannst dir denken, mit welchen Empfindungen unser Bruder die Königin und Monsieur, die jetzt Allmächtigen, sieht, wenn er sich erinnert, daß er nur ihr zu Gefallen Sedan eingebüßt hat.«

Hatte sich nun aber die Königin so tief eingelassen, so stand gewiß auch Frau von Chevreuse, ohnehin mit de Thou seit langer Zeit in freundschaftlichstem Verhältnis, nicht weit entfernt. Einem ungenannten Freunde Richelieus ist dieses so ausgemacht, daß er an diesen schreibt: »Der Oberstallmeister ist zu seinem bösen Vorhaben durch die Königin-Mutter, durch ihre Töchter, durch die Herzogin von Chevreuse, durch Montague und andere englische Papisten verhetzt worden.« Der Kardinal hielt sich in den ersten Junitagen 1642, ohne Zweifel seiner Gesundheit wegen, aber auch zu seiner Sicherheit, mit seinen zwei Vertrauten Mazarin und Chavigny und seinen getreuen Garden in Tarascon auf. Er wußte sich von Gefahren umringt und ließ dem König das bedenkliche seiner Lage vorstellen. In seiner diesbezüglichen Schilderung erhält auch die Chevreuse ihre wohlverdiente Stelle. Sie in Brüssel, in engem Bunde mit dem Lothringer, der Königin von England, dem Ritter de Jars in Rom, Olivarez in Madrid, war nicht auch sie eine der gegen ihn verschworenen feindlichen Mächte? – Bald aber durchdrang sein Auge die Dunkelheit; das Treiben des Oberstallmeisters, das er seit geraumer Zeit belauschen ließ, stand sonnenklar vor ihm; ein Verrat, dessen Urheber seit zwei Jahrhunderten unentdeckt geblieben ist, spielt das im Namen Monsieurs, Cinq Mars' und Bouillons durch Vermittlung des de Fontrailles mit Spanien geschlossene Paktum in seine Hände. Von jetzt an hielt sich der Kardinal des Sieges versichert. Er kannte Ludwig XIII., wußte, daß er in Anwandlungen seiner unsteten und bizarren Laune imstande gewesen war, einem Günstling, wie Cinq Mars, die Ohren vollzuklagen über seinen Ersten Minister, den Wunsch zu äußern, daß er seiner entledigt sein möchte, sein Ohr fremden Einflüsterungen und Reden zu leihen; aber er wußte auch, wie sehr Ludwig König und Franzose war, und wie eifrig er an den Grundsätzen ihres gemeinschaftlichen politischen Systems hing. In größter Eile schickte er daher Chavigny nach Narbonne mit den authentischen Beweisen des spanischen Vertrages. Der Anblick dieser Beweisstücke setzte den König außer Fassung; kaum traute er seinen Augen; er verfiel in düstere Schwermut, und wieder zu sich gekommen, brach er in Äußerungen des höchsten Unwillens gegen einen Menschen aus, der sein Vertrauen so arg getäuscht und mit dem Ausland konspiriert hatte. Er war auch der erste, der eine exemplarische Bestrafung forderte; keine Stunde lang fühlte er Erbarmen mit der Jugend des Schuldigen, der ihm einst so lieb gewesen war; nur an sein Verbrechen dachte er und ohne Zaudern unterzeichnete er das Todesurteil. Sein Argwohn wandte sich nun auf die Königin. Chavigny meldete es Richelieu am 24. Oktober: »Der König war gestern sehr schlecht auf die Königin zu sprechen; er ist sehr gereizt wider sie und spricht alle Augenblicke davon.« Er ließ sich auch den Argwohn nicht wieder ausreden, daß Anna hier so gut als in den Umtrieben des Chalais mit seinem Bruder sich verstanden hätte. Was würde er nun erst gesagt haben, wenn er Fontrailles' Bericht gekannt und gelesen hätte, worin dieser ausdrücklich angibt, es aus de Thous eigenem Munde zu wissen, daß auch die Königin eine stark Beteiligte war. »Ich«, setzt Fontrailles hinzu, »glaubte sie in der Tat nicht so tief in die Sache verwickelt, ob ich gleich recht wohl wußte, wie sehr Ihre Majestät wünschte, daß sich am Hof irgendeine Kabale anspinnen möchte, und daß sie dazu aus allen Kräften beigetragen haben würde, weil sie dabei nur gewinnen konnte.« Anna tat alles mögliche, um diesen neuen Sturm zu beschwören und den König wie Richelieu von ihrer Unschuld zu überzeugen. Man hat gesehen, wie im Jahre 1637 die feierlichsten Versicherungen, die heiligsten Eide sie nichts gekostet hatten, um dasjenige, was sie nachmals doch gestehen mußte, in Abrede zu stellen. Im Jahre 1642 nahm sie zu dem nämlichen Spiel ihre Zuflucht. Sie ließ sich zu Erniedrigungen herab, ebenso unvereinbar mit einem guten Gewissen als mit ihrer Würde, ihrem Rang. Den Kardinal überhäufte sie mit Äußerungen der Teilnahme und Anhänglichkeit; sie äußerte den größten Abscheu vor dem undankbaren Oberstallmeister; sie erklärte, daß sie sich ohne Rückhalt Richelieu anvertrauen, sich einzig nach seinen Ratschlägen richten wolle, und hinkünftig ihr ganzes Glück in ihren Kindern suchen werde, deren Erziehung sie bereitwilligst ihm überlasse. Sie schrieb ihm eigenhändig und erkundigte sich mit zärtlicher Besorgnis nach seiner Gesundheit, wie sie ihn vor Jahren um seine Hand gebeten und ihm die ihrige zum Zeichen ewiger Freundschaft geboten hatte; bescheidentlich setzte sie hinzu, er solle sich nicht die Mühe geben, ihr zu antworten. Mit diesen Liebesversicherungen täuschte sie sogar Chavigny, wie aus dessen Brief an den Kardinal vom 12. August, dem Tage der Hinrichtung Cinq Mars' und de Thous, hervorgeht. Sie ließ es jedoch nicht bei Verstellung und Lüge bewenden, sondern kehrte in dieser höchsten Gefahr auch ihrer mutigen, alles für sie wagenden Freundin den Rücken zu. Sie hätte diese als ihre Befreierin ans Herz gedrückt, wenn das Glück ihr hold gewesen wäre; jetzt, wo sie überwunden und entwaffnet war, gab sie sie preis. Wie sie gegen das gescheiterte Komplott und ihre beiden unvorsichtigen und unglücklichen Mitschuldigen, die, ohne sie zu nennen, das Schafott bestiegen, ihren Abscheu beteuert hatte, so war sie jetzt, wo sie den König und Richelieu erbittert gegen die Chevreuse und aufs festeste entschlossen sah, alle ferneren Bitten ihrer Familie behufs ihrer Zurückberufung abzuweisen, weit entfernt, das mindeste gute Wort für ihre ehemalige Favoritin einzulegen, schloß sich im Gegenteil fast leidenschaftlich an die Gegner derselben an und bat sich, offenbar um ihre wahren Gesinnungen zu bemänteln und den Anschein zu gewinnen, als zolle sie dem Beifall, was sie nicht hindern konnte, als besondere Gnade aus, daß man die Herzogin entfernt von ihrer Person und selbst fern von Frankreich hielte. »Die Königin«, schreibt an Richelieu sein Geschäftsführer Chavigny, »hat mich besorgt gefragt, ob es wahr wäre, daß Frau von Chevreuse zurückkäme, und mir, ohne meine Antwort abzuwarten, zu erkennen gegeben, daß es ihr sehr unlieb sein würde (qu'elle serait fort marrie), sie jetzt in Frankreich zu sehen, daß sie nur zu gut wüßte, wie sie wäre, und mir aufgetragen, Eure Eminenz in ihrem Namen zu bitten, wenn dieselben geneigt sein sollten, etwas für Frau von Chevreuse zu tun, ihr wenigstens nicht die Rückkehr nach Frankreich zu gestatten: worauf ich Ihre Majestät versichert habe, daß sie in diesem Punkt zufriedengestellt werden würde.« –

So war denn die Herzogin, wie es scheint, bis an die äußerste Grenze des Ungemachs gekommen. Ihr Zustand war bedauernswürdig; ihr Herz blutete: keine Hoffnung mehr, Vaterland, ihr schönes Schloß, ihre Kinder, ihre Tochter Charlotte wiederzusehen. Da sie fast nichts aus Frankreich bezog, so war sie mit ihren Hilfsquellen, mit Geldaufnehmen und Schuldenmachen zu Ende. Sie erfuhr, wie hart es ist, nach Dantes Ausdruck, die Treppe des Auslandes auf- und abzusteigen. Und damit ihr nichts bitteres erspart bliebe, trat auch noch diejenige, die ihr wenigstens eine stumme Treue schuldig war, auf die Seite ihres Todfeindes, des glücklichen Richelieu. So verlebte sie einige schmerzvolle Monate, wo alles sie verließ, nur nicht ihr Mut. Plötzlich, am 4. Dezember 1642, stand der furchtbare Kardinal, angelangt auf dem Gipfel seiner Macht, der Überwinder aller seiner äußeren und inneren Feinde, der unumschränkte Gebieter über König und Königin, an seinem Ziele. Ludwig folgte ihm in kurzem in die Gruft; aber, wohl wider seinen Willen genötigt, Anna die Regentschaft anzuvertrauen und seinen Bruder zum Generalleutnant des Königreiches zu ernennen, setzte er einen Rat ein, ohne welchen beide nichts vermochten, und worin der dem Systeme Richelieus ergebenste Mann, sein Busenfreund, Vertrauter und Geschöpf, der Kardinal Jules Mazarin, in der Eigenschaft eines Ersten Ministers das Heft führte. Aus Mißtrauen gegen die künftige Regentin wurde die Krone gewissermaßen in Kommission gegeben. Ludwig glaubte aber die Ruhe seiner Staaten nach seinem Hingang nur dadurch sicherzustellen, daß er nach Möglichkeit die Verbannung der Herzogin von Chevreuse sanktionierte und zu verewigen suchte. In seiner frommen Abneigung gegen die feurige und unternehmende Frau nannte er sie gemeinhin nur den Teufel. Keine größere Zärtlichkeit fühlte er für den ehemaligen, jetzt in der Zitadelle von Angoulême eingeschlossenen Großsiegelbewahrer Chateauneuf. Als ob Richelieus Schatten noch an seinem Sterbebett Wache stände, setzte er vor seinem letzten Atemzuge in die letzte Testamentsverfügung vom 20. April eine aparte Klausel, wonach der Sieur von Chateauneuf bis nach abgeschlossenem und vollzogenem Frieden in Haft auf dem Schloß zu Angoulême verbleiben und auch dann erst auf Verordnung der Frau Regentin und nach Gutachten des Regentschaftsrates seine Freiheit wiedererlangen, letzterer auch den Ort seines ferneren Aufenthaltes in oder außer dem Königreich nach bestem Befund bestimmen sollte. In bezug auf die Chevreuse sagt die Klausel weiter: »Da unsere Pflicht ist, allen Anlässen vorzubeugen, die irgendwie die gute Veranstaltung, die wir zu Erhaltung der Ruhe unserer Staaten getroffen haben, stören könnten, so lassen uns die Kenntnis von dem üblen Verhalten der Dame von Chevreuse und ihren bisherigen Praktiken zu Anstiftung von Uneinigkeit und Spaltung in unserem Königreich sowie ihren Umtrieben und geheimen Verständnissen im Ausland mit unseren Feinden als ratsam erkennen, ihr den Eingang in unser Königreich während des Krieges zu untersagen, die wir ihr solchen hiemit verbieten und auch wollen und verordnen, daß nach geschlossenem und vollzogenem Frieden sie erst auf Befehl gedachter Frau Königin-Regentin unser Königreich wiederbetreten könne, nach Begutachtung von Seiten des gedachten Conseils, vorbehaltlich jedoch, daß sie an keinem Ort in der Nähe des Hofes und genannter Frau Königin ihren Wohnsitz nehmen und sich befinden soll.« – Diese hochtrabende Klausel bezeichnete die Chevreuse und Chateauneuf als die zwei ansehnlichsten Opfer des zu Ende gehenden Regiments, anscheinend aber berufen, die Koryphäen und Leiter der neuen Politik zu werden, die, wie es schien, an die Stelle der Politik Richelieus treten sollte. Ludwig XIII. hauchte am 14. Mai 1643 seinen Geist aus. Wenige Tage darauf hob dasselbe Parlament, welches die Verfügung vom 20. April zu Protokoll genommen hatte, sie wieder auf; die neue Regentin sah sich von jeder Hemmung befreit und als unumschränkte Souveränin anerkannt. Chateauneuf verließ seinen Kerker und die Herzogin von Chevreuse wie im Triumphe Brüssel.

Die Herzogin stand damals im Alter von 43 Jahren. Obgleich ungeachtet der ausgestandenen Mühseligkeiten noch immer schön, war doch ihre Schönheit im Abnehmen. Immer noch besaß sie Sinn und Geschmack an galanten Abenteuern, wenn auch stumpfer im Vergleich mit ehemals; ihre vorherrschende Neigung war dem Geschäftsleben zugewandt. Sie hatte die ausgezeichnetsten Staatsmänner gesehen; sie kannte fast alle Höfe, die starke und die schwache Seite der damaligen Regierungen und hatte große Erfahrungen gesammelt. Sie rechnete darauf, die Königin so wiederzufinden, wie sie sie verlassen hatte, nämlich geneigt, sich von denjenigen leiten zu lassen, für welche sie eine besondere Zuneigung hegte, und da sich die Herzogin für die erste in der Gunst der Königin hielt, so glaubte sie jetzt doppelten Einfluß auf sie zu gewinnen, einmal als Freundin, sodann als eine fähige und tüchtige Person. Weniger für sich nach Ehre geizend als für ihre Freunde, sah sie diese schon für ihre langen Opfer entschädigt und belohnt, sah, wie sie allenthalben die Kreaturen Richelieus verdrängten und ersetzten und an ihrer Spitze erblickte sie als ersten Minister denjenigen Mann, der sich um ihretwillen von dem Kardinal in seiner Glorie losgesagt, um ihretwillen eine zehnjährige Einkerkerung erduldet hatte. Auf Mazarin gab sie wenig; sie kannte ihn nicht, hatte ihn nie gesehen. Er schien ihr bei Hofe und in Frankreich jedes Anhaltspunktes zu entbehren, während sie sich durch alles, was hier durch Glanz der Geburt, Macht und Kredit imponierte, getragen und gehoben fühlte. Alle diese Berechnungen schienen so sicher, alle diese Hoffnungen so vollkommen gegründet, daß Frau von Chevreuse Brüssel in der festen Überzeugung verließ, wie ein Eroberer werde sie wieder im Louvre einziehen. Sie täuschte sich; die Königin war verwandelt oder einer Metamorphose nahe.

siehe Bildunterschrift

Kardinal Richelieu.
Zeitgenössischer Stich. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Anna war keine gewöhnliche Person. Schön, liebebedürftig, dabei eitel und stolz, hatte sie sich von der Kälte und Nachlässigkeit ihres Gemahles verletzt gefühlt, dann aus Rache, aber auch aus Koketterie so manche zärtliche Neigung entzündet und erwidert, ohne je die Schranken spanischer Galanterie zu überschreiten. Oft hatte sie die Geduld verloren, wenn sie sehen mußte, wie der König und Richelieu sie als eine Person ohne Bedeutung behandelten, ihr jeden Einfluß entzogen, sie in einer Art permanenter Ungnade hielten. Daher ihr geheimer, aber beharrlicher Widerstand gegen des Kardinals Despotismus, daher ihr bereitwilliges Eingehen auf regierungsfeindliche Anschläge, das ihr so viel Herzleid und so große Gefahren bereitete. Zu ihrem Beistand bot sie da eine fernere Eigenschaft auf, die sie als Weib und Spanierin besaß, die Verstellungskunst. Die Trübsal hatte ihr diese, nach dem Ausdruck der Frau von Motteville »häßliche, aber nötige Tugend« sehr schnell beigebracht und sie hatte darin reißende Fortschritte gemacht. Von Natur träge, befaßte sie sich ungern mit Geschäften, war aber verständig, selbst beherzt und fähig, Vernunftgründe zu hören und zu befolgen. Bisher hatte sie ein doppeltes Spiel gespielt, und zwar so, daß sie im geheimen Anhänger warb, die Unzufriedenen ermutigte und anfeuerte, sich dem Joch des Kardinals auf jede Art zu entwinden strebte und ihm doch ein holdseliges Gesicht machte, ihn durch falsche Beteuerungen einschläferte, sich im Notfall demütigte, temporisierte und abwartete. Seit Richelieus Tode fühlte sie sich stärker geworden durch ihre zwei Söhne und Ludwigs unheilbare Krankheit. Seitdem hatte sie nur ein Ziel vor Augen gehabt, dem sie alles nachstellte und opferte: die Regentschaft und hatte es durch seltene Geduld und Beharrlichkeit, behutsames, geschicktes, sich gleichbleibendes Benehmen, auch infolge der unverhofften Dienste, welche ihr des Königs vornehmster Minister Mazarin leistete, erreicht. Anna hatte alles aufgeboten, den Groll ihres Gemahls zu beschwichtigen, ihm alle ihre Sorgfalt gewidmet, Nächte wie Tage bei ihm zugebracht, ihm mit Tränen zugesichert, daß sie sich niemals gegen ihn vergangen und keinen Teil an Chalais' Komplotte hätte, daß alle gegen sie erhobenen Anklagen grundlos wären. Damit hatte sie indes nur sehr wenig über Ludwig vermocht; er hatte nichts geantwortet als: »In dem Zustande, worin ich bin, muß ich ihr verzeihen; aber ich bin nicht verpflichtet, ihr zu glauben.« Immer hatte er sie im Verdacht gehabt, mit Spanien im Bündnis und unter den Einflüssen der Chevreuse zu stehen. Er gedachte, sie ebensowohl als seinen Bruder Orléans, den er weder achtete noch liebte, von der Regentschaft auszuschließen. Mazarin hatte große Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß sie des Regentintitels zu berauben etwas Unmögliches, und das einzig Tunliche sei, wenn man ihr durch Nebenaufstellung eines stark konstituierten Conseils, dessen Begutachtungen sie mittels Unterwerfung unter die Stimmenmajorität Folge zu leisten habe, jeden überwiegenden Einfluß abschneide. Anna unterwarf sich ohne Murren diesen harten und erniedrigenden Bedingungen; sie verstand sich zu Annahme der königlichen Verfügung vom 20. April, die ihre Autorität in enge Grenzen einschloß und das fernere Exil Chateauneufs und der Frau von Chevreuse bekräftigte; sie unterzeichnete sie und verpflichtete sich, sie aufrechtzuerhalten. War sie nun doch Regentin und fühlte sich daher auch dem Manne, der ihr dazu verholfen, ihr diesen ersten wichtigen Dienst geleistet hatte, innig verpflichtet. Auch vergaß Mazarin nicht, das Herabsetzende, das für die Königin in der letztwilligen Verfügung ihres Gemahls lag, dadurch zu mildern und zu rechtfertigen, daß er sie wahrnehmen ließ, wie nur unter dieser Bedingung Ludwig in die Regentschaft eingewilligt hätte. Mazarin abgeneigt zu sein, hatte Anna keinen Grund, als höchstens daß er ein intimer Freund Richelieus gewesen war. Aber er hatte nicht dessen schroffe Manieren, hatte tätigst zur Heimberufung vieler Verbannten mitgewirkt, war bei dem argwöhnischen König ihr persönlicher Anwalt gewesen. Seine Tätigkeit war erprobt, und unerfahren und träge wie sie war, bedurfte Anna bei Antritt einer Regierung, die nach außen und innen von den größten Schwierigkeiten umringt war, eines Mannes, der ihr die Ehren der Souveränität gönnte, aber die Last der Geschäfte auf sich allein nahm. Wenn sie sich unter ihren Freunden umsah, erblickte sie keinen, dessen Talente zuverlässig genug waren, um ihr Vertrauen zu verdienen. An La Rochefoucauld, auf dessen Kopf und ganzes Wesen sie großen Wert legte, konnte sie nicht denken, er war viel zu jung zum Minister. Die zwei Männer, welche ihr außer jenem am nächsten standen, der Herzog von Beaufort, Vendomes jüngerer Sohn, und ihr Großalmosenier, Potier, Bischof von Beauvais, waren zwar sehr ergebene Diener, für welche sie späterhin viel zu tun sich vornahm; aber die Zügel des Regiments wagte sie ihnen noch nicht zu überlassen. Noch ein wenig warten schien ihr also das weiseste. Mazarin hatte mit der Königin jetzt manches geheime Gespräch. Er zeigte sich eifrig, ihr zu dienen; er opferte ihr ohne Widerstreben mehrere Diener Richelieus auf, die ihr am meisten zuwider waren; er setzte sich mit denjenigen ihrer Freunde, welchen sie sich verpflichtet glaubte, in gutes Verhältnis. Er war fein genug, mit dem Bischof von Beauvais, Annas Gewissensrat, sich bestens einzurichten. Er täuschte ihn, täuschte auch Beaufort und jedermann, indem er sich völlig uneigennützig und jeden Augenblick bereit stelle, von der Bühne abzutreten und in Rom im Schoße seiner Familie und der schönen Künste die Vorteile und Ehren des Kardinalats zu genießen.

siehe Bildunterschrift

Anna von Österreich.
Stich von Leblond. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Die Geschichte darf hier nicht unterlassen, einen zarten Punkt ans Licht zu ziehen, der in kurzem Knoten und Schlüssel der Lage wurde und Mazarin das Staatsruder in die Hand legte: Anna war ein Weib und Mazarin mißfiel ihr nicht. Nachdem sie so lange unter Druck geschmachtet, lächelte Anna wieder die Gunst des Glückes, und ihr spanisches Herz bedurfte der Verehrung und Huldigung. Beides gab ihr Mazarin verschwenderisch. Er legt sich ihr zu Füßen, um an ihr Herz zu kommen. Die Anklage, die man gegen ihn erhob, daß er ein Fremdling sei, machte schwerlich auf sie Eindruck. Auch sie war eine Fremde und vielleicht war dies gerade ein geheimnisvoller Reiz für sie, ein Zauber, wenn sie sich mit ihrem ersten Minister gleichwie mit einem Freund und Landsmann in ihrer Muttersprache unterhalten konnte. Rechne man hiezu Mazarins Geist und Persönlichkeit: er war geschmeidig und einschmeichelnd, immer Herr über sich, unverwüstlich heiter bei den ernsthaftesten Dingen, voll Zuversicht auf seinen guten Stern und diese Zuversicht auch anderen mitteilend. Wie sehr auch Kardinal, war er doch nicht Priester. Aufgewachsen in den Maximen der Galanterie ihres Geburtslandes, hatte Anna stets zu gefallen gewünscht; sie zählte 41 Jahre und war noch schön. Ihr Minister stand im nämlichen Alter, war sehr wohlgestaltet und besaß die einnehmendste Physiognomie, worin sich Feinheit mit einem gewissen Adel paarte. Er war sehr bald inne geworden, daß er in Frankreich ohne Familie, Versorgung und Stütze, umgeben von Rivalen und Gegnern sei, und seine Gegenwart und Zukunft von der Königin abhänge. Sein Bestreben ging also vor allem dahin, sich Bahn in ihr Herz zu brechen, wie es auch Richelieu versucht hatte. Er aber besaß dazu ganz andere Eigenschaften. Der schöne und süße Kardinal – kein Wunder, wenn er Glück machte. Einmal des Herzens Meister, gab er auch Annas Kopf leicht die Richtung; er lehrte sie die schwere Kunst, nach Verschiedenheit der Umstände ihr Benehmen zu modifizieren, dabei aber stets denselben Zweck zu verfolgen. Er sparte weder Zeit noch Mühe, um allmählich ihre mehrfachen Skrupel zu beseitigen. Die Geschichte der drei ersten Monate der Regentschaft ist in der Tat die Geschichte der Fortschritte, die der Kardinal im Herzen der Königin machte. Sein zweifaches Talent als unermüdlicher Geschäftsmann und als vollendeter Hofmann mußte ihn ihr empfehlen. Er nahm alle Herrschersorgen auf sich und trat ihr die Ehre der Erfolge, die nicht auf sich warten ließen, ab. Seine Kunst bestand darin, sie glauben zu machen, daß er die Macht nur darum wünsche, um ihr besser dienen zu können, daß er als Fremdling, ohne Familie und Freunde, ganz und gar von ihr abhänge und einzig ihr seine Stellung und alles verdanken wolle. Eine solche Sprache und daneben eine Tüchtigkeit ersten Ranges konnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Es ist bereits summarisch gesagt, wie die Sachen vier Tage nach Ludwigs Tode, das heißt am 18. Mai 1643, standen, wie, nachdem zwischen der Königin und Mazarin alles im größten Geheimnis abgekartet worden war, an jenem Tage das Parlament alle Beschränkungen des Testaments aufhob, die Königin mit souveräner Gewalt bekleidete und am nämlichen Tage Mazarin an die Spitze des Kabinetts trat. Schon jetzt konnte er gewahren, welch eine würdige und schon weit fortgeschrittene Schülerin, wo es Verstellung und Staatsklugheit galt, er an Königin Anna gefunden hatte.

Als Schüler und Vertrauter Richelieus und Ludwigs XIII. hatte Mazarin in betreff der Frau von Chevreuse, welche in den ersten Junitagen Brüssel verließ, die Ansicht und Meinung beider geerbt. Er hatte sie nie gesehen, kannte und fürchtete sie aber wie ihren Freund Chateauneuf. Eine Favoritin von so viel Geist und Charakter, so verführerisch und kühn wie sie, dem Herzog von Lothringen, Österreich und Spanien zugetan und notorische Verfechterin des Friedens, eine Frau ferner, die einen höchst fähigen und ehrgeizigen Mann in ihrer Gewalt hatte, war mit seinen Bewerbungen um die königliche Gunst, mit allen seinen diplomatischen und militärischen Entwürfen durchaus unvereinbar. Er fühlte, daß es in Annas Herzen für sie und ihn nicht zugleich Raum gäbe und war entschlossen, sie zu bekämpfen, aber auf seine Art, leise und stufenweise, je nach Gelegenheit. Mazarin fand in der immer mehr wachsenden Vorliebe der Königin zu Stille und ruhigem Genuß eine mächtige Verbündete. Ehedem hatte sie die Ruhe nicht geliebt, als sie in mehr als einer Art zu dulden hatte. Jetzt, wo sie zur höchsten Gewalt gelangt war, sich glücklich fühlte, gern sich anschloß und hingab, machte sie der Gedanke an Stänkereien und Händel besorgt, und ihre Furcht vor der Chevreuse wurde fast ebenso groß, als ihre Liebe gewesen war. Der Kardinal nährte aufs geschickteste diese Besorgnisse. Er hatte dabei einen Rückhalt an der Prinzessin von Condé, die damals bei der Königin in hoher Gunst stand, zuerst ihrer persönlichen Eigenschaften und derer ihres Gemahls wegen, sodann wegen der glänzenden Taten ihres Sohnes, des Herzogs von Enghien, der Dienste ihres Eidams, des Herzogs von Longueville, der die französischen Heere mit Ehren in Italien und Deutschland befehligt hatte und endlich ihrer Tochter Anna, die kürzlich an Longueville vermählt der Augapfel der Salon des Hofes war. Die Prinzessin von Condé, Margarete Charlotte, geborene von Montmorency, einstmals hochberühmt um ihrer Schönheit willen, hatte auch wie Königin Anna sich gern huldigen lassen, war aber, obgleich noch immer sehr schön, ernst und fromm geworden. Sie liebte die Chevreuse nicht und verabscheute Chateauneuf, der 1632 bei Verurteilung ihres Bruders Heinrich in Toulouse den Vorsitz geführt hatte. Sie also arbeitete gemeinschaftlich mit Mazarin dahin, die Herzogin in der Meinung der Regentin zugrunde zu richten oder wenigstens herabzusetzen. Als Waffe hiezu diente der letzte Wille Ludwigs XIII., gegen welchen sich aufzulehnen man der Königin fast zur Gewissenssache machte. Man gab ihr zu verstehen, daß die alten Tage mit ihrer Lust und Leidenschaft nicht wiederkommen könnten, daß sie vor allem Mutter und Königin wäre, daß die leidenschaftliche und verschwenderische Chevreuse nicht für sie tauge, daß sie niemanden Glück gebracht hätte, und daß, wenn sie die Herzogin mit Gütern und Ehren reich bedächte, sie vollkommen gegen sie die Schuld der Dankbarkeit abtrüge.

Um jedoch ihrer alten Freundin eine Ehre zu erweisen, schickte ihr die Königin zu ihrer Begrüßung La Rochefoucauld entgegen, beauftragte ihn aber zugleich, sie von der neuen Stimmung in Kenntnis zu setzen, worin sie sie antreffen würde. Vor seiner Abreise hatte er mit Anna eine ernste Unterredung, worin er alles tat, sie wieder günstig zu stimmen. Die Unterredung war lang und lebhaft. Er verließ – das war der Ausgang – die Königin mißgestimmt, schlug dann den Weg nach Brüssel ein und traf mit der Herzogin in Roye zusammen. Montague war ihm zuvorgekommen. Dieser kam in Mazarins Namen, er im Auftrag der Königin. Es war nicht mehr der glänzende Montague, der Freund Hollands und Buckinghams, der feurige Ritter der Frau von Chevreuse. Auch ihn hatte das Alter verändert; er war fromm geworden und einige Jahre nachher trat er in den geistlichen Stand. Noch hing er an dem Gegenstand seiner früheren Verehrung, aber vor allem an der Königin, war folglich auch gegen Mazarin fügsam geworden. Wenn er jetzt den Kardinal der Herzogin zu Füßen legte, so war es ihm augenscheinlich darum zu tun, die ehemalige Favoritin mit dem jetzigen Favoriten in Harmonie zu bringen. Nach La Rochefoucaulds Angaben bat er demnach die Herzogin dringend, sich im Anfang jedes Versuches, ob sie ihre frühere Herrschaft über die Königin wiedererlangen könnte, zu enthalten, sich einzig angelegen sein zu lassen, in Annas Kopf und Herzen diejenige Stelle zu behaupten, woraus man sie habe verdrängen wollen, vielleicht daß es ihr in späterer Zeit möglich würde, den Kardinal entweder ganz aus dem Sattel zu heben oder seine Patronin zu werden, je nach den Umständen oder seinem Benehmen. Die Herzogin wünschte indessen noch einen anderen ihrer Freunde zu vernehmen, der zwar minder hoch stand, aber mehr für sie war, Alexander von Campion, den sie vor zwei Jahren in Brüssel kennengelernt hatte und der nach Soissons Fall nebst seinem Bruder Heinrich in die Dienste der Vendome getreten war. Sie lud ihn ein, ihr bis Péronne entgegenzukommen und nach einem Billett zu urteilen, das er zu Ende Mai vor seinem Aufbruch von Paris an sie richtete, scheint es, daß er dieselbe Sprache wie Rochefoucauld führte. »Ich weiß zwar nicht«, heißt es darin, »was Lord Montague mit Ihnen verhandelt hat, bin aber versichert, daß er Ihnen von Seiten des Herrn Kardinals zur Bezahlung Ihrer Schulden Geld anbieten wird, weiß auch, daß er sich mit der Hoffnung trägt, es werde ihm gelingen, zwischen Ihnen und dem Kardinal ein enges Freundschaftsband zu knüpfen. Dazu wird er Sie, glaube ich, nicht sonderlich aufgelegt getroffen haben, teils weil Ihre besten Freunde nicht recht gut mit ihm stehen, teils weil er mit der Familie des verstorbenen Kardinals in enger Verbindung lebt. Der Rat, welchen ich Ihnen über diesen Punkt zu geben mir die Freiheit nehme, ist, daß Sie keinen bestimmten Entschluß fassen, bis Sie die Königin gesehen haben, deren Gesinnungen Ihr Verhalten bestimmen mögen, da ich Ihren Eifer für sie sowie die Freundschaft der Königin für Sie kenne. Wohl fühle ich, wie ich Sie kenne, daß es mich in Hinsicht einer gewissen Person, gegen welche Sie eine ganz besondere Freundschaft hegen (offenbar Chateauneuf), mehr Mühe kosten wird, Sie zurückzuhalten als vorwärts zu treiben (pousser), begreife nur aber nicht die Notwendigkeit, warum man seinen Haß verewigen und bis über das Grab seiner Feinde hinaustragen sollte. Ich liebte den Herrn Kardinal (Richelieu) nicht, will aber keinem Gliede seiner Familie übel« usw. – Die Herzogin hörte ihre drei Freunde an, versprach, ihre Ratschläge zu befolgen und befolge sie auch wirklich, nur aber im Einklang mit ihrem Charakter und mit Rücksicht auf das Interesse der Partei, der sie seit so langer Zeit diente und welche sie nicht verlassen durfte. Da die Königin beim Wiedersehen viele Freude bezeigte und die Herzogin keinen Unterschied in ihren Gesinnungen wahrnahm, so redete sie sich gern ein, daß stetes Umsiesein nicht verfehlen würde, ihr ihre frühere Gewalt wiederzuverschaffen.

Ihres Freundes Chateauneuf Rückkehr war jetzt ihr nächstes Ziel. Schon war die strenge Haft, worin er seit zehn Jahren gehalten wurde, in einer Art Verweisung in die Abgeschiedenheit einer seiner Besitzungen verwandelt worden. Auch dieses gemilderte Exil, forderte sie, sollte ein Ende nehmen; sie verlangte den Mann wiederzusehen, der für die Königin und sie soviel erduldet hätte. Mazarin sah ein, daß er nachgeben müsse; aber nur Schritt für Schritt wich er, indem er fortwährend die Notwendigkeit, die Condé, zumal die Prinzessin zu schonen, vorschützte, welche, wie man weiß, Chateauneuf als den Blutrichter ihres Bruders haßte. Er wurde also wohl zurückberufen, aber um dem letzten Willen des Königs zu entsprechen mit dem Vorbehalt, daß er nicht bei Hof erscheinen, sondern in seiner Behausung in Montrouge wohnen bleiben sollte, woselbst ihn seine Freunde besuchen könnten. Es handelte sich nun aber darum, ihn wieder in das Ministerium zu bringen. Chateauneuf war alt, besaß aber noch Energie und Ehrgeiz vollauf, und die Herzogin machte sich einen Ehrenpunkt daraus, ihn wieder auf den Großsiegelbewahrerposten versetzt zu sehen, dessen er um ihretwillen verlustig gegangen war und den alle Anhänger der Königin voll Unwillens von einer der verrufensten Kreaturen Richelieus, von Pierre Seguier, eingenommen sahen. Seguier war ein sehr gewandter Mann, arbeitsam, geschäftskundig, nie um geistige Auskunftsmittel verlegen, aber charakterlos und von einer Geschmeidigkeit, die ihn im Verein mit seiner Kapazität für einen ersten Minister sehr bequem und brauchbar machte. In dem Prozeß des de Thou hatte ihn sein Verhalten verhaßt gemacht. Bei eben dieser Gelegenheit hatte der Herzog von Orléans ein Verhör vor ihm bestehen müssen, und noch früher im Jahre 1637 hatte er selbst das Asyl der Königin m Val de Grace nicht respektiert. Er hatte sich ferner sehr bereichert und dadurch seine Töchter in die vornehmsten Häuser gebracht. Von allen Seiten verlangte man seine Entfernung. Zweierlei rettete ihn. Zuerst verständigte man sich nicht über seinen Nachfolger. Chateauneuf war der Kandidat der Importans und der Chevreuse; aber der Präsident Bailleul, Oberintendant der Finanzen, war für sich; selbst nach dem Posten lüstern. Der Bischof von Beauvais fürchtete im Kabinett einen so mächtigen Kollegen, als Chateauneuf war, und die Conde wollten nichts von ihm wissen. Sodann hatte Séguier eine Schwester, die der Königin sehr lieb war, die Mutter Jeanne, Superiorin im Karmeliterkloster zu Pontoise. Die Tugenden der Schwester plädierten zugunsten des Bruders und auch der der Mutter Jeanne völlig ergebene Montague nahm sich des Siegelbewahrers an. Die Herzogin erkannte nun wohl die Unmöglichkeit, eine so starke Opposition zu besiegen, suchte aber auf einem anderen Wege ihren Zweck zu erreichen: sie bat für ihren Freund um den untersten Sitz im Kabinett, überzeugt, daß der kluge Chateauneuf, wenn er nur einmal soweit wäre, das übrige vollends machen würde. Da der Präsident Bailleul keine sonderliche Kapazität gezeigt hatte, so mußte man ihm, als der Graf d'Avaux, mit welchem er das Departement der Finanzen teilte, nach Münster ging, einen neuen Hilfsarbeiter geben. Frau von Chevreuse flüsterte nun der Königin zu: jetzt könne Chateauneuf recht füglich in den Ministerrat eingeschwärzt werden, wenn sie ihn zum Nachfolger des d'Avaux ernennen wollte. Mazarin aber durchschaute und vereitelte das Manoeuvre. Er beredete ohne Schwierigkeit die Regentin, Bailleul, der ihr Hauskanzler war und auf den sie hielt, beizubehalten und an seine Seite d'Heméry als Generalkontrolleur zu setzen, der später völlig seine Stelle einnahm.

In derselben Zeit, wo die Herzogin den Mann, auf welchem alle ihre politischen Hoffnungen beruhten, wieder zu Gnaden zu bringen bemüht war, unterminierte sie unmerklich den Boden um Mazarin, an den sie sich nicht gerade wagte, und arbeitete so auf seinen Sturz hin. Ihr geübtes Auge ließ sie erkennen, wo bei dem projektierten Sturme auf die Königin der günstigste Angriffspunkt wäre, und die von ihr gegebene Losung bestand darin, das allgemeine Gefühl der Verwerfung, welches alle Geächteten bei ihrer Heimkehr nach Frankreich gegen das Andenken Richelieus anregten und verbreiteten, recht geflissentlich zu unterhalten und zusteigern. Dieses Gefühl aber herrschte allerwärts in den dezimierten oder beraubten Familien der Großen, in der Kirche, die sich, weil mit etwas straffer Hand gehalten, schon darum für unterdrückt hielt, in den Parlamenten, denen von Richelieu nichts als ihre richterliche Rolle übriggelassen war; es lebte noch im Herzen der Königin fort, welche die tiefen, ihr von Richelieu widerfahrenen Demütigungen und das Schicksal, das er ihr vielleicht noch aufsparte, nicht vergessen haben konnte. Diese Taktik gelang und von allen Seiten erhob sich gegen die Gewalttätigkeiten und die Tyrannei Richelieus und seine Kreaturen ein Sturm, den Mazarin zu beschwören große Mühe hatte.

So lag die Chevreuse der Königin an, das langjährige Mißgeschick der Vendome durch Verleihung, sei es der Admiralitätswürde, woran sich eine ausgedehnte Gewalt knüpfte, oder des Gouvernements der Bretagne wieder gutzumachen. Letzteres hatte vordem das Haupt der Familie, Cäsar von Vendome, aus den Händen seines Vaters Heinrich IV. übernommen und innegehabt, auch als Erbteil seines Schwiegervaters, des Herzogs (Philipp Emanuel) von Mercoeur, besessen. Nun aber hieß dieses zu gleicher Zeit die Erhebung eines ihr befreundeten Hauses und den Sturz zweier Familien verlangen, welche Richelieu die wichtigsten Dienste geleistet hatten und so auch für Mazarin eine Stütze zu werden versprachen. Der Marschall de La Meilleraie, Großmeister der Artillerie und vor kurzem zum Statthalter der Bretagne ernannt, war Chef mehrerer Regimenter und stand als Soldat in hohem Ansehen. Der Herzog von Brézé, Richelieus Schwager, war ebenfalls Marschall und Gouverneur einer ansehnlichen Provinz, des Anjou, und sein Sohn Armand, damals an der Spitze der Admiralität, galt bereits ungeachtet seiner Jugend als der erste Seemann seiner Zeit. Mazarin parierte den Streich, welchen die Herzogin gegen ihn führte, mit Geschick und Beharrlichkeit; er schlug niemals ab, wich immer schlau aus und rief zu seinem Beistande die Zeit, seine hohe Verbündete, wie er sie nannte. Er selbst hatte sich vor der Rückkehr der Frau von Chevreuse Mühe gegeben, die Vendome zu versöhnen und in sein Interesse zu ziehen, nach Richelieus Tode viel zu ihrer Zurückberufung beigetragen und ihnen seitdem jede Art Vorschub geleistet, bald aber wahrgenommen, daß sie nicht zufriedenzustellen waren. Vendome der Vater hatte seine Ansprüche bei Zeiten sehr hoch gestellt und sich ebenso unruhig und widerspenstig gezeigt wie ein legitimer Prinz. Sein Leben war unter Aufstandsversuchen und Verschwörungen verflossen, und 1641 hatte er nach England flüchten müssen, weil ihm ein Mordversuch gegen Richelieu zur Last gelegt wurde. Erst nach des Kardinals Tode war er wieder nach Frankreich gekommen und dürstete, wie sich denken läßt, nach Ruhe. Gegen die Ehrsucht der Vendome stachelte Mazarin klüglich die der Condé auf, welche die Vergrößerung eines ihnen so nahestehenden Hauses nicht wünschten. Auch waren sie es sich selbst schuldig, die Brézé in Schutz zu nehmen, die durch Vermählung der Clara Clementia, Tochter des Herzogs und Schwester des jungen tapferen Admirals, mit dem Herzog von Enghien ihre Verwandte geworden waren, so daß es Mazarin nicht sehr schwer wurde, den Oberbefehl der Flotte und der großen Seeplätze Frankreichs in treuen Händen zu halten. Recht schwer aber hielt es, La Meilleraie den Besitz der Bretagne vor den Ansprüchen eines Sohnes Heinrichs IV., der sie ehemals besessen hatte und jetzt als eine Art Familieneigentum zurückforderte zu sichern. Mazarin ergab sich darein, La Meilleraie zu opfern. Aber wie? Er überredete die Königin, sich selbst das Gouvernement Bretagne vorzubehalten und dort nur einen Statthalter einzusetzen. Solch ein Posten war für die Vendome zu gering und verblieb also La Meilleraie. Dieser konnte sich nicht beleidigt fühlen, wenn er der Königin nachgesetzt wurde, und um eine so wichtige Person vollkommen zufriedenzustellen, verlangte in kurzem Mazarin für ihn den ihm schon von dem verewigten König versprochenen Herzogstitel sowie die Anwartschaft auf den Posten des Großmeisters der Artillerie für seinen Sohn, den nämlichen Sohn, dem er nachgehends seine eigene Nichte, die schöne Hortensia, vermählte.

Mazarin war um so weniger geneigt, Vendome zu begünstigen, als er in dessen jüngerem Sohne, dem Herzog von Beaufort, einen gefährlichen Rivalen bei der Königin fürchtete. Beaufort, jung, tapfer, mit einem Anstrich von Loyalität und Ritterlichkeit, ließ für Anna eine leidenschaftliche Neigung durchblicken, die ganz geeignet war, ihr zu gefallen. Etliche Tage vor des Königs Tode vertraute sie ihre Kinder seiner Obhut. Dieser Beweis von Zutrauen erfüllte sein Gemüt mit Dünkel; er faßte Hoffnungen, die er nur zu sehr zur Schau trug und die endlich die Königin beleidigen mußten. Das Maß der Widersprüche vollzumachen, trug er zuletzt vor aller Welt die Fesseln der schönen, aber berüchtigten Herzogin von Montbazon. Übrigens war Beaufort nicht einmal der Schatten von einem Staatsmann; er besaß wenig Geist, besaß weder Verschwiegenheit noch Tätigkeit, noch taugte er zu Geschäften. Nur irgendeiner verwegenen und gewaltsamen Handlung war er fähig. Beim Beginne der Regentschaft traten indessen die Fehler Beauforts nicht so sichtlich hervor als seine besseren Eigenschaften. Die Königin fand erst nach und nach weniger Geschmack an ihm. Sie hatte ihm die seit Cinq Mars' Tod vakante Stelle eines Oberstallmeisters, die ihn jeden Tag in ihre Nähe gebracht hätte, angetragen; Beaufort beging die Torheit, sie auszuschlagen, weil er auf mehr rechnete. Als er sich eines Besseren besann und um den Posten anhielt, war es zu spät. Je mehr er an Gunst verlor, destomehr wuchs seine Erbitterung, und nach kurzer Zeit stand er an der Spitze der Feinde des Kardinals.

Die Herzogin hoffte glücklicher zu sein, wenn sie das Gouvernement von Le Havre für einen ganz anderen Mann, der ihr erprobtester Anhänger und dabei der feinste Kopf war, für La Rochefoucauld begehrte. Sie hätte auf diese Weise seine ihr und der Königin geleisteten Dienste vergolten, eines der Häupter der Importans emporgebracht und Mazarin einen empfindlichen Verlust zugefügt, indem sie damit der Nichte Richelieus, der Herzogin von Aiguillon, einer Person also, deren er versichert war, einen hohen Posten entwand. Allein es gelang dem Kardinal, ohne daß es schien, als mische er sich in die Sache, den Anschlag zu vereiteln. »Diese Dame«, sagt die Motteville von der Herzogin von Aiguillon, »die durch ihre schönen Eigenschaften in vielen Stücken gewöhnliche Frauen übertraf, verstand ihre Sache bestens zu führen. Sie stellte der Königin vor: ihr diese wichtige Stelle zu lassen, sei im eigenen Interesse Ihrer Majestät; sie, die Herzogin, habe in Frankreich nur Feinde, finde nirgends Sicherheit und eine Zuflucht als unter dem Schutze Ihrer Majestät; der Mann, welchem sie das Gouvernement übertragen wolle, habe zu viel Geist, um auf ehrgeizige Pläne zu verzichten und leicht dürfte er sich bei dem mindesten Anlaß zu Verdruß zu einer Oppositionspartei schlagen; es sei mithin wichtig und heilsam, wenn sie den Platz für den König hütete. Die Tränen einer ehemals so stolzen Frau machten die Regentin nachdenklich, und nachdem sie ihre Gründe in weitere Überlegung genommen, fand sie für gut, die Sache beim Alten zu lassen.« Ohne Zweifel gab Mazarin der Herzogin von Aiguillon jene gewichtigen und politischen Motive ein, welche die Königin zuletzt bestimmten. Hier wie in vielen anderen Umständen bestand Mazarins Kunst darin, daß er sich das Ansehen gab, als bestärke er die Königin bloß in den Entschlüssen, welche er ihr in die Seele legte. »Er bestärkte sie«, setzt Frau von Motteville hinzu, »auch diesmal in ihrer Geneigtheit, der Herzogin von Aiguillon Le Havre nicht zu entziehen.« Nicht nur La Rochefoucauld, der von allem unterrichtet sein mußte, sondern auch Mazarin wußte sehr wohl, wer bei allen diesen geheimen Entwürfen vorzugsweise beteiligt war. Mehr als einmal steht in seinen Geheimnotizen zu lesen: »Meine größten Widersacher sind die Vendome und Frau von Chevreuse, die sie hetzt.« Durch ihn erfährt man auch, daß sie den Plan einer Heirat ihrer Tochter, der sechzehnjährigen Charlotte Marie von Lothringen (geboren 1627), mit dem ältesten Sohn Vendomes, dem Herzog von Mercoeur, geschmiedet hatte, während sein Bruder Beaufort das liebenswürdige Fräulein von Epernon ehelichen sollte, welches aber diesen und noch viel größere Pläne scheitern machte und sich mit 24 Jahren in das Kloster der Karmeliterinnen verschloß. Diese Heiraten, die so viele erlauchte, der Königin und ihrem Ersten Minister nicht besonders anhängliche Häuser geeint und vergrößert hätten, machten den Nachfolger Richelieus bangen. Er bewog die Königin, sie unter der Hand zu vereiteln, denn er fand, daß es an der Verheiratung des schönen Fräuleins von Vendome mit dem wilden und ritterlichen Herzog von Nemours genug wäre.

Wenn man aufmerksam das Detail der sich durchkreuzenden Intriguen der Herzogin und Mazarins verfolgt, weiß man nicht, wem von beiden der Preis der Gewandtheit und der Scharfsichtigkeit gebührt. Mazarin verstand sich zu beträchtlichen Opfern, um ihrer nicht allzu viele bringen zu müssen; er schonte jedermann, trieb niemanden bis zur Verzweiflung, überhäufte selbst seine Gegnerin mit Beweisen von Artigkeit und Ehrerbietung, ohne sich über ihre wahren Gesinnungen zu täuschen. Sie ihres Teiles bezahlte ihn mit gleicher Münze. Wie hätte sie nicht, da ihr ganzes Wesen ein Gemisch von Galanterie und Politik war? Sie versuchte daher auch die Macht ihrer Reize über den Kardinal, und La Rochefoucauld versichert, daß beide eine Zeitlang verliebt ineinander taten (étaient en coquetterie). Es war nur ein Spiel zur Kurzweil; bald gewannen Naturell und Charakter die Oberhand über die Staatsklugheit. Die Herzogin wurde ungeduldig, daß sie nur schöne Worte und fast gar nichts Ernstgemeintes und Tatsächliches erhielt. Gleich anfangs hatte sie ihren Freund und Schützling Alexander de Campion aus dem Dienste der Vendome weggezogen und im Hause der Königin in einer angemessenen Stellung untergebracht. Man hatte Chateauneuf wieder als Ordenskanzler eingesetzt; man gab ihm nach dem Tode des Marquis von Gévres, der vor Thionville gefallen war, auch sein ehemaliges Gouvernement Touraine zurück; aber die Herzogin fand, daß alles dies für einen Mann wie Chateauneuf zu wenig wäre; er hatte ja für sie alles in die Schanze geschlagen und erduldet. Leicht merkte sie, daß das ewige Versprechen und Wiederaufschieben der Gnaden, die den Vendome und La Rochefoucauld zugedacht sein sollten, nur ein Kunstgriff des Kardinals und sie die Gefoppte wäre. Sie wurde klagbar und fing an, sich stechende und höhnische Redensarten zu erlauben. Damit gab sie Mazarin die Waffen gegen sich in die Hand. Er machte der Königin bemerklich, daß Frau von Chevreuse sie hofmeistern wolle, nur die Maske vertauscht, aber nicht ihren Charakter geändert habe, daß sie nach wie vor die leidenschaftlich störrige Person sei, die mitsamt ihrem Geist und ihrer Hingebung der Königin jederzeit nur Leid zugeführt hätte und nur dazu geschaffen wäre, sich wie andere zugrunde zu richten. Anfangs leise und versteckt, entbrannte allgemach der Krieg zwischen ihnen immer heftiger. La Rochefoucauld hat, wie Cousin bemerkt, den Anfang und den Fortgang dieses seltsamen Kampfes meisterlich geschildert. Die Geheimnotizen (carnets) Mazarins beweisen, indem sie neues Licht über die Situation verbreiten, zugleich, bis zu welchem Grade er die Herzogin fürchtete, die er als das eigentliche Parteihaupt der Importans betrachtete. Man erfährt da auch, daß die Herzogin, für ihre Person nichts weniger als fromm, kein Bedenken trug, sich der Partei der Frommen, die große Gewalt über das Gemüt der Regentin besaß und Mazarin lebhafte Besorgnisse einflößte, bestens zu bedienen. »Frau von Chevreuse«, sagt Mazarin, »bearbeitet insgeheim die Herzogin von Vendome (eine durch und durch Heilige, die bei den Frommen, den Bischöfen und in den Klöstern höchst einflußreich war, auch die Sprache der Devoten redete) und instruiert sie, um ja zu Erreichung ihrer Absichten alle Maschinen gegen mich in Bewegung zu setzen.«

Die größte der Schwierigkeiten war für den Ersten Minister, wie er der Regentin, der Schwester des Königs von Spanien und einer Frau von so zäh spanischer Frömmigkeit begreiflich machen könnte, daß sie, trotz der oftmals eingegangenen Verbindlichkeiten, trotz alles Drängens des römischen Hofes und der Häupter des Episkopats, die Allianz mit den deutschen Protestanten und Holland fortsetzen und auf der Forderung eines allgemeinen Friedens beharren müsse, wobei die Verbündeten Frankreichs ebensowohl als dieses ihre Rechnung fänden, während man der Königin unablässig wiederholte, man könne ja einen Separatfrieden schließen und sich mit Spanien auf recht annehmliche Bedingungen hin vergleichen; dadurch werde man das Ärgernis eines verdammten Krieges zwischen dem allerchristlichsten und allerkatholischsten König aus dem Wege räumen und Frankreich eine Erleichterung verschaffen, deren es in hohem Grad benötigt sei. Dieses war die Politik der alten Partei der Königin. Sie hatte wenigstens auch den Schein für sich, und zu ihr bekannten sich viele der aufgeklärtesten und für das Interesse des Landes besorgtesten Männer. Mazarin, der Schüler und Erbe Richelieus, sah weiter als sie. Aber die Königin zu seiner Ansicht zu bekehren, war nicht leicht. Es gelang ihm erst nach unablässigem und mit größter Feinheit wiederholtem Bemühen, insbesondere aber infolge der Siege des Herzogs von Enghien, denn in allen Dingen bleibt immer der Erfolg der beredteste Sachwalter. Dennoch blieb Anna noch geraume Zeit unentschieden, und man ersieht aus Mazarins Notizen, daß zu Ende des Mai und während der Monate Juni und Juli 1643 sein Hauptbestreben dahinging, die Königin zu überreden, daß sie ihre Bundesgenossen nicht im Stich ließe, sondern den Krieg mit Nachdruck fortsetze. Dringend bat er sie daher auch, da die Chevreuse wie Chateauneuf die gewohnte Politik ihrer Partei verfochten und erstere deshalb der Königin unaufhörlich in den Ohren lag, alle diese Vorschläge mit Festigkeit von sich zu weisen und bestimmt zu erklären, daß sie von keinem Sondervergleich hören wolle.

Auf diesen verschiedenen Punkten geschlagen, glaubte sich dennoch die Herzogin nicht besiegt. Umsonst hatte sie, wie sie sah, Schmeichelei, List und alle gewöhnlichen Hofintrigen aufgeboten; jetzt griff ihre kühne Seele zu anderen Mitteln und Wegen, die ihr besseren Erfolg versprachen. Sie gängelte fort und fort die Devoten und Bischöfe, komplottierte mit den Häuptern der Importans und näherte sich zu gleicher Zeit der kleinen Faktion, die gewissermaßen die Vorhut der Partei bildete und aus Leuten bestand, die jederzeit zu einem Gewaltstreich bereit waren, sich auch in mehr als einen verzweifelten Anschlag wider Richelieu eingelassen hatten, und die man im äußersten Fall auch gegen Mazarin gebrauchen konnte. Sie sind aus den Memoiren der Zeit, besonders denen von Retz und La Rochefoucauld, sattsam bekannt. Es waren die Grafen Montrésor, Fontrailles, Brion, Fiesque, Aubijour, Beaupuis, Saint Ybar, dann Barrière, Varicarville und noch viele andere aberwitzige Köpfe, aber Menschen ohne Furcht, ihrer Sache und ihren Freunden blind ergeben. Sie bekannten sich zu den überspanntesten Grundsätzen und hegten eine Art Kultus für das Andenken des unglücklichen de Thou; sie führten ohne Aufhören das alte Rom und Brutus im Munde und waren daneben wie versessen darauf, den Damen zu gefallen und Liebesabenteuer einzufädeln. Den Namen »Importans«, welchen man ihnen beilegte, verdankten sie ihrem Wichtigtun, dem Prahlen mit ihrer Tüchtigkeit und ihrem superfeinen Verstand, ihren ins Dunkel gehüllten Phrasen. Ihr Haupt und Matador war Beaufort, ein Mensch ungefähr aus demselben Stoff, ein Gemisch von Extravaganz und Arglist, der sich aber den Schein eines streng loyalen, tapferen Mannes, eines Mannes der Tat zu geben wußte, übrigens unter der unumschränkten Herrschaft der Herzogin von Montbazon, der jungen Stiefmutter der Frau von Chevreuse, stand. Chalais' ehemalige Geliebte gewann diese kleine Faktion ohne Mühe; sie traktierte sie mit Geschick, und mit ihrer Geübtheit im Konspirieren hätschelte sie an den Herren, was sie irgend an falschem Ehrgefühl, erkünstelter Dienstbeflissenheit, überschwenglicher Herzhaftigkeit bei ihnen wahrnahm. Mazarin, der wie Richelieu eine trefflich geschulte Polizei auf den Beinen hatte und von allen Schritten der Chevreuse Kunde erhielt, ermaß vollkommen die ihm drohende Gefahr, denn ohne Absicht verband sich die Herzogin nicht mit Menschen solchen Schlages. Daß er von allem, was in ihren Zusammenkünften vorging und gesprochen wurde, vollkommen unterrichtet war, ersieht man ebenfalls aus seinen für sich und die Königin bestimmten Aufzeichnungen. Der Plan der Chevreuse und der Importans, wie er klar vor seinen Augen stand, war: entweder die Regentin mit einer Kette gemeinschaftlich verabredeter Ränke so lange zu umspinnen, bis sie ihren Minister, für welchen sie sich noch nicht offen erklärt hatte, fallen ließ, oder aber diesen Minister in einer Weise zu behandeln, wie de Luynes den Marschall d'Ancre behandelt hatte, wie Montrésor, Barrière, St. Ybar gedacht hatten, Richelieu zu behandeln. Der erste Teil dieses Planes mißlang, und so fing man an, sich ernstlich mit dem zweiten zu beschäftigen. Die Herzogin, Kopf und Seele der Partei, drang mit gutem Grund darauf, zu handeln, bevor der Herzog von Enghien aus dem Felde zurückkäme; denn war der Herzog einmal in Paris, so stützte und deckte er Mazarin; man mußte also seine Abwesenheit benutzen, um den entscheidenden Streich zu führen. Das Gelingen schien gewiß und selbst leicht genug. Man war des Volkes versichert, welches, durch den Krieg erschöpft und unter der Last der Abgaben seufzend, die Hoffnung auf Frieden mit Freude aufnehmen mußte. Man rechnete auf den entschiedenen Beistand der Parlamente, welche sich nach der wichtigen Stellung im Staate zurücksehnten, die ihnen Richelieu entzogen hatte und Mazarin streitig machte. Man hatte für sich alle geheimen und selbst offenkundige Sympathien des Episkopates, das, gleichwie Rom, das Bündnis mit den Protestanten verwünschte und das mit Spanien begehrte. Man konnte an der eifrigen Mitwirkung der Aristokratie nicht zweifeln, welche immerfort nach ihrer ehemaligen widerborstigen Unabhängigkeit zurückverlangte und deren höchste Repräsentanten, die Vendome, Guise, Bouillon, La Rochefoucauld, offen der Herrschaft eines fremden Günstlings ohne Vermögen, ohne Familie und noch ohne Ruhm entgegen waren. Selbst die Prinzen von Geblüt waren Mazarin gegenüber viel eher resigniert, als daß sie ihm wirklich wohlwollten. Wenn sich Monsieur zu keiner Zeit großer Treue gegen seine Freunde rühmen durfte, so würde der alle Parteien liebkosende, aber nur auf seinen Privatvorteil bedachte Prinz von Condé zweimal hingesehen haben, ehe er sich mit der siegenden Partei überworfen hätte. Sein Sohn, dachte man, würde tun wie der Vater und sich durch Ehren und Auszeichnungen aller Art gewinnen lassen. Mazarins italienische Regimenter lagen zu Felde; in Paris standen fast nur die Garderegimenter, deren Chefs fast insgesamt, wie Chandenier, Tréville, la Châtre, es mit den Importans hielten. Die Königin selbst hatte ihren ehemaligen Freundschaften noch nicht entsagt. Sogar ihre kluge Vorsicht wurde falsch ausgelegt. Da sie alles zu schonen und zu mildern wünschte, so hatte sie für jedermann ein freundliches Wort, und diese freundlichen Worte wurden als stillschweigende Ermutigungen hingenommen. Bisher hatte sie noch wenig Charakterfestigkeit gezeigt; man traute ihr zwar einige Vorliebe für den Kardinal zu, aber daß ihre Neigung binnen wenigen Monaten zu einer Macht anwachsen würde, das ahnte man nicht.

Zu Ende des Juli und in den ersten Augusttagen 1643 war noch nichts verändert, oder es war vielmehr alles noch ernster geworden. Die Heftigkeit der Importans nahm mit jedem Tage zu; die Königin verteidigte ihren Minister, behandelte aber auch seine Feinde mit Schonung; sie zögerte, die entschiedene Haltung anzunehmen, die Mazarin in seinem wie im Staatsinteresse verlangte. Da kam ein anscheinend unbedeutender Vorfall, der die Krisis beschleunigte, die Königin zur Erklärung nötigte und die Herzogin von Chevreuse immer tiefer in das heillose Unternehmen verstrickte, womit sie sich schon in Gedanken trug. Es war ein Streit zwischen den Damen Montbazon und Longueville. Jene war durch ihre Verbindung mit dem Vater der Chevreuse, obgleich jünger als sie, ihre Stiefmutter geworden. Der Herzog von Beaufort war für sie in den Augen der Welt eine Art cavaliere servente; auch der Herzog von Guise machte ihr den Hof und sah sich gleichfalls akzeptiert, und so gehörte sie nach allen Richtungen hin den Importans an. Zu ihren Verehrern hatte auch der Herzog von Longueville gehört, und sie hätte sich ihn gern erhalten, wenn er nicht durch seine Heirat mit dem Fräulein von Bourbon-Condé entschlüpft wäre. Diese Ehe hatte die eitle, selbstsüchtige Montbazon erbittert, sie haßte Frau von Longueville und ergriff in ihrer blinden Hitze eine sich darbietende Gelegenheit, den jungen Hausfrieden zu stören. Eines Abends hob sie in ihrem Salon einen oder zwei Briefe von Frauenhand auf, die ein Unvorsichtiger hatte fallen lassen. Damit ergötzte sie die ganze Gesellschaft. Der Inhalt der Briefe war nur zu klar. Man riet, von wem sie herrühren möchten. Die Montbazon wagte es, sie der Frau von Longueville zuzuschreiben. Das ehrenrührige Gerücht verbreitete sich rasch; man kann sich denken, wie groß die Indignation im Hotel Condé sein mußte. Die Prinzessin von Condé ging und verlangte laut Gerechtigkeit von der Königin, verlangte Genugtuung, und sie konnte ihr nicht verweigert werden. Die Montbazon mußte sich fügen, tat es aber in nicht eben sehr anständiger Weise. Einige Tage darauf verfügte sich die Königin in Begleitung der Prinzessin nach dem Garten Renard, wohin Frau von Chevreuse sie zu einer Kollation eingeladen hatte, und auch die Montbazon stellte sich ein. Die Königin ließ diese bitten, sich unter irgendeinem Vorwand zu entfernen und das Zusammentreffen mit der Prinzessin zu vermeiden; allein die übermütige Dame weigerte sich, zu gehorchen. Eine der Regentin zugefügte Beleidigung durfte nicht ungeahndet bleiben; die Montbazon erhielt Befehl, den Hof zu verlassen und auf eines ihrer Güter bei Rochefort zu gehen. Die Freunde und Liebhaber besagter Dame erhoben ein lautes Geschrei, die gesamte Partei der Importans geriet in Alarm, und ihre Sache erhielt von jetzt an ein verändertes Ansehen. Eine ebenso ihrer Sitten, ihres Charakters wegen verrufene, als um ihrer Schönheit willen gefeierte Frau wagte sich an eine junge Frau, die kaum den ersten Schritt in die Welt gesetzt hatte, schon aber der Gegenstand allgemeiner Bewunderung war, ihrer blendenden Schönheit, ihrer bezaubernden Huld wegen der Engel hieß, neben trefflichem Verstand das edelste Herz besaß, eine Person also, welche die Importans am meisten hätten schonen sollen; denn ihre edelsinnige Natur machte sie dem Hofe nicht geneigt; sie flößte darum auch dem Ersten Minister einigen Verdacht ein. Anna von Longueville fand bisher einzig ihre Freude an schöngeistiger Literatur und unschuldiger Galanterie; sie schien außerdem nur für ihren Bruder Enghien, den Sieger von Rocroy, zu leben, der in kurzem vor Thionville sich neue Lorbeeren erkämpfen sollte. Es waren in ihr jedoch auch nicht wenige Keime zu einer Importantin vorhanden, Keime, die späterhin La Rochefoucauld recht geschickt zu entwickeln wußte. Sie war also nicht weniger der Abgott der Karmeliterinnen und der heiligen Partei, als der Abgott des Hotel Rambouillet. Die ihr widerfahrene Ehrenkränkung, deren schmähliche Motive zutage lagen, empörte alle, die auf Anstand und Ehre hielten. Den Bruder in einer Schwester beleidigen, die er vergötterte, ihn ohne Not gegen sich aufbringen und zu übereilter Rückkehr nötigen, war eine Tollheit. Auch mahnten La Rochefoucauld, la Châtre, Alexander von Campion und wer sonst noch unter den Importans nicht von allem Verstand verlassen war, aufs dringendste, die beklagenswerte Streitsache gütlich beizulegen, und darum eben veranstaltete Frau von Chevreuse zu Ehren der Königin das kleine Fest bei Renard, um die letzten Nachwehen des Vorgefallenen zu zerstreuen, nicht ahnend, daß ihre politische Klugheit an der törichten Hoffahrt eines kopf- und herzlosen Weibes scheitern sollte.

Unterdessen machte sich Mazarin die Fehler seiner Gegner zunutze. Frühzeitig hatte er den gegenseitigen Groll der Häuser Condé und Vendome mit Vergnügen bemerkt und geschickt unterhalten. Je offener sich die Vendome wider ihn erklärten, desto säuberlicher verfuhr er mit dem Condé. Staats- und eigenes Interesse waren jetzt vereinigt, den Kardinal völlig auf Seiten der Condé zu ziehen. Während die Montbazou und Beaufort der Herzogin von Longueville jene Schmach antaten, lief die Nachricht in Paris ein, daß der Sieger von Rocroy soeben auch die schwierige Belagerung von Thionville glücklich zu Ende (11. August) geführt und damit seinen Landsleuten eines der Tore nach Deutschland erschlossen hätte. Der Degen des jungen Helden schien überallhin den Sieg in seinem Geleit zu haben. Der Marquis von Gèvres, der so große Hoffnungen erweckte, war gefallen, Gassion schwer verwundet, Turenne und Praslin in Italien beschäftigt, Guebriant, von Franz Mercy gedrängt, über den Rhein zurückgegangen. Enghien schien der einzige, dessen Heldenmut und steigende Popularität das Heer wieder auf deutschen Boden zu versetzen und die Furcht zu bewältigen vermochte, welche die Nördlinger Schlacht noch übriggelassen hatte. Die Prinzessin von Condé war die beste Freundin der Königin, entschieden für den Kardinal und gegen seinen Rivalen Chateauneuf. Ihr Gemahl bot Mazarin eine zwar unzuverlässige und eigennützige, doch aber nötige und ersprießliche Unterstützung. Den Condé Dienste leisten war demnach soviel, als dem Staate und sich selber dienen. Mazarins Wahl konnte nicht zweifelhaft sein.

Was blieb unter diesen kritischen Umständen der Frau von Chevreuse übrig? Sie hatte keine Mühe gespart, ihre Stiefmutter von einem übereilten Schritt abzuhalten, jetzt aber durfte sie ihre Hand nicht von ihr abziehen; sie war entschlossen, energisch das tragische Projekt zu verfolgen, welches die letzte Hoffnung der Partei geworden war: das Projekt, sich Mazarins um jeden Preis zu entledigen. Durch die Montbazon hatte sie Beaufort dafür gewonnen, und dieser die genannten, ihm blindergebenen Haudegen zur Ausführung des Komplotts entboten, das in nichts geringerem bestand, als den Kardinal zu überfallen und zu ermorden. Dazu aber war auch Eile nötig, bevor Enghien aus dem Felde zurückkam.

Die Importans und ihre Erben, die Frondeurs, leugnen das ganze Projekt und geben es für eine Erfindung des Kardinals aus. La Rochefoucauld, der weder die törichten Erwartungen der Partei teilte, noch die Hand zu ihrem unbesonnenen Unternehmen bot, glaubt es doch der Ehre schuldig, sie nach ihrer Niederlage zu verteidigen und ihren Rückzug zu decken. Er stellt sich, als bezweifle er, ob der Anschlag, der damals so viel Aufsehen machte, ein wirklicher oder vorgeblicher war. Nach seiner Meinung ist das Wahrscheinlichste, daß Beaufort in seiner falsch angebrachten Verschmitztheit nur dem Kardinal Angst zu machen versuchte, was, wie er dachte, hinreichen würde, ihn aus Frankreich zu verscheuchen, und nur zu diesem Zwecke geheime Zusammenkünfte hielt, denen er einen Anstrich von Verschwörung gab. La Rochefoucauld wirft sich besonders zum Ritter der »unschuldigen« Chevreuse auf und ist überzeugt, daß sie nichts um die Absichten Beauforts wußte. Nach dem Geschichtschreiber der Importans hören wir nun auch den der Fronde. Retz führt ungefähr dieselbe Sprache; aber in seinem blinden Hasse schiebt er alle Schuld auf Mazarin und behauptet, Furcht, nichts als Furcht sei es gewesen, was er entweder wirklich gehabt oder vorgegeben habe. Von Furcht indes kann so eigentlich keine Rede sein bei Mazarin. Er war insofern, nach La Rochefoucaulds Schilderung, das Gegenteil von Richelieu, als dieser ein Mann von kühnem Geist und feigem Herzen war, Mazarins Kühnheit dagegen mehr im Herzen als im Kopf saß.

Alle Ungewißheit hört auf vor dem vollständigen Bekenntnis eines der Hauptteilnehmer der Verschwörung, Heinrichs von Campion, der in seinen erst 1807 ans Licht getretenen, aber unzweifelhaft echten Memoiren Plan und sämtliche Details des Ereignisses enthüllt. Heinrich von Campion war von seinem Bruder Alexander veranlaßt worden, zugleich mit ihm in die Dienste des Herzogs von Vendome, und insbesondere Beauforts zu treten. Heinrich hatte nach der Verschwörung des Cinq Mars Vendome auf seiner Flucht nach England begleitet und war mit ihm zurückgekehrt; er besaß sein volles Vertrauen und erzählt nichts, als woran er persönlich teilgenommen hat. Die zwei Brüder waren sehr verschiedenen Charakters. Heinrich war ein Mann von Kenntnissen, Ehrgefühl und tapfer ohne Ruhmredigkeit, frei von aller Ränkesucht und ging bei Verfolgung seiner, der militärischen Laufbahn stets die geradesten Wege. Seine Memoiren sind in der Zurückgezogenheit geschrieben, worin er nach dem Verluste seiner Tochter und Gattin den Tod erwartete. Um so glaubwürdiger ist das von ihm Erzählte. Kein Interesse hat seine Feder führen können, denn er faßte die Memoiren oder schloß sie wenigstens kurz nach Mazarins Tode ab, wo er nicht daran dachte, ihm mit seinen spät kommenden Enthüllungen den Hof zu machen, kaum zwei Jahre vor seinem eigenen Ende (1663). Sie nun aber bestätigen Punkt für Punkt die Aufschlüsse in Mazarins Notizbüchern. Nichts fehlt, alles stimmt überein, wie wenn Mazarin beim Niederschreiben seiner Bemerkungen die Denkwürdigkeiten Campions oder Campion bei seinen Memoiren die carnets Mazarins vor Augen gehabt hätte; er vervollständigt und resümiert sie.

Doch zur Sache. Beauforts Erbitterung war durch die Verweisung der Montbazon aufs äußerste gesteigert worden. Es stachelten ihn Frau von Chevreuse, Leidenschaft und falsche Ehre und drängten ihm zum Handeln. Der Mordanschlag hatte bei hellem Tage ausgeführt werden sollen; dem aber traten fortwährend Hindernisse in den Weg, deren Ursache ihm unbekannt blieb und so beschloß er denn, den Streich während der Nacht zu vollführen, wo der Erfolg sicherer war. Der Kardinal ging allabendlich zur Königin und kam ziemlich spät von ihr zurück. Man gedachte, ihn auf dem Heimweg zwischen dem Louvre und dem Hotel Clèves, das er bewohnte, anzufallen. Pferde sollten in einer benachbarten Herberge bereitstehen. Der Herzog nebst Campion und Beaupuis (Sohn des Grafen von Maillé und Fähnrich unter der berittenen Garde der Königin) wollten dort verweilen, solange der Minister bei der Regentin wäre und sobald er herausträte, alle drei hervorkommen und die anderen herzurufen, die am Kai längs des Flusses, ganz in der Nähe des Louvre, harrten. So lautet der Bericht Heinrichs von Campion.

Die Nacht des 1. September war zur Ausführung angesetzt. Wie und woran scheiterte das Unternehmen? Dieses weiß weder Campion noch sonst jemand zu sagen, denn jener nimmt zu mancherlei Mutmaßungen seine Zuflucht. An Umständen scheiterte es, soviel ist gewiß, die außer Berechnung der Verschwornen lagen. Mazarin, stets auf seiner Hut, kam dem ihm zugedachten Streich zuvor, denn just an jenem Abend ging er nicht zur Königin. Am nächsten Morgen hatte sich das Theater verwandelt. Es war das Gerücht verbreitet, beinahe wäre der Erste Minister von dem Herzog von Beaufort und dessen Partei erdolcht worden, sei aber diesem Schicksal entronnen, und das Glück erkläre sich zu seinen Gunsten. Ein Mordanschlag erregt immer, zumal wenn er fehlschlägt, den äußersten Unwillen und wer einer Lebensgefahr entgangen ist, gleichsam als Überwinder im Kampfe dasteht, findet leicht Verfechter und Schildknappen. Eine Menge Menschen, die sich vielleicht, wenn Beaufort der siegende Teil gewesen wäre, für diesen erklärt haben würden, kamen jetzt und boten dem Kardinal ihre Dienste und ihr Schwert an, und am Vormittag des 2. September begleiteten ihn 200 Edelleute nach dem Louvre.

Seit längerer Zeit hatte Mazarin eingesehen, daß er um jeden Preis die Regentin zur Entscheidung drängen müsse. Jetzt war die entscheidende Stunde gekommen. Wie mußte sie erbeben, als ihr Mazarin alle Indizien des gegen ihn geschmiedeten Anschlages vor Augen legte! Hatte sie bereits der Übermut der Montbazon schwer erzürnt, so durfte sie jetzt nach erlangter Gewißheit von den zahlreichen Mordversuchen, die nur durch Zufall mißlungen waren und sich erneuern konnten, nicht länger anstehen, die Maske abzulegen, einer handgreiflichen Notwendigkeit die bisher immer noch beobachteten Rücksichten aufzuopfern, den Zuflüsterungen gewisser frommer Herren und Damen mit Entschiedenheit die Waage zu halten und ihrem Minister zu erlauben, daß er doch etwas zur Sicherung seines Lebens tun dürfe. Die letzten Tage des August darf man daher als die Zeit bezeichnen, wo Mazarin entschiedenes, durch keinen Nebenbuhler mehr beeinträchtigtes Übergewicht über die Königin erlangte. Bei seiner ersten Vorstellung im Jahre 1639 oder 1640 hatte Ludwig XIII. geäußert: »Er wird Ihnen gefallen, Madame, denn er ist Buckingham ähnlich.« Ja, es war Buckingham, aber er war so ganz verschiedenen Geistes! Zu keiner Zeit hatte ihr dieser Mann mißfallen; die ersten Schritte in ihrer Gunst tat er in dem Monate vor ihres Gemahls Tod; in der Mitte des Mai ernannte sie ihn zum Ersten Minister, nicht nur aus Politik, sondern zum Teil auch, weil sie Geschmack an ihm fand. Allmählich aber ging dieser Geschmack an ihm in Zuneigung über, so stark, daß sie allen Anfechtungen Trotz zu bieten vermochte. Als die Anfechtungen sich des äußersten erkühnten und Anna für Mazarins Leben besorgt machen mußten, beschleunigten sie nur den Triumph des glücklichen Kardinals, und am Tage nach dem vorgehabten nächtlichen Überfall, wo er zum Opfer fallen sollte, war Mazarin der unumschränkte Gebieter über das Herz der Königin, war er mächtiger, als es Richelieu nach der journée des dupes gewesen war.

Der 2. September 1643 ist demnach ein feierlicher Tag im Leben Mazarins und man darf sagen in der Geschichte Frankreichs, denn er sah die Wiederbefestigung des durch Richelieus und Ludwigs XIII. Tod erschütterten Königtums und den Sturz der Importans. Sie erhoben sich von ihrem Fall erst nach Verlauf von vier Jahren, 1648 in der Fronde, wo sie, noch immer die nämlichen, mit den nämlichen Ansprüchen und politischen Vorurteilen wieder auftraten und nach manchem blutigen und erfolglosen Sturm, den sie aufführten, abermals an Mazarins Genie und der unerschütterten Treue der Königin zerschellten. Früh am 2. September erscholl in Paris und am Hofe das Gerücht von dem, was man am Abend vorher gegen Mazarin im Schilde geführt hatte. Fünf der Verschworenen, welche dabei beteiligt waren, Beaupuis, Alexander und Heinrich von Campion, Brillet, Stallmeister Beauforts, und Lié, Hauptmann seiner Garde, hatten sich aus dem Staube gemacht und in Sicherheit gebracht. Beaufort und Frau von Chevreuse konnten es ihnen nicht nachtun. Fliehen hätte bei ihnen geheißen: sich selbst angeben. Die unverzagte Herzogin erschien also ohne Anstand bei Hof und befand sich abends in Gesellschaft bei der Königin mit einer zweiten Person, welche dergleichen im Finsteren schleichenden Komplotten fernstand und sogar unfähig war, sie für möglich zu halten, die in ganz anderer Weise Mazarins Widersacherin war, der frommen, edlen Marie von Hautefort. Was den Herzog anlangt, so war er in gewohnter Sorglosigkeit früh auf die Jagd ausgezogen, und nach seiner Rückkehr ging er gewohntermaßen der Regentin seine Ehrfurcht zu bezeigen. Beim Eintreten in den Louvre traf er seine Mutter und Schwester, die Herzogin von Nemours, die den ganzen Tag über die Königin begleitet und ihre Gemütsbewegung gesehen hatten. Sie taten ihr Möglichstes, ihn vom Hinaufsteigen abzuhalten und beschworen ihn, sich einige Zeit entfernt zu halten. Er aber, ohne die Fassung zu verlieren, antwortete ihnen, wie einst der Herzog von Guise: »Man würde sich's nicht wagen« und damit trat er bei der Königin ein. Er fand sie in ihrem großen Zimmer und sah sich auf das holdseligste empfangen und allerhand Fragen in bezug auf seine Jagd an sich gerichtet, als hätte Anna, sagt Frau von Motteville. nur diesen einen Gedanken im Kopfe gehabt. Über diesen Süßigkeiten trat der Kardinal ein; die Königin erhob sich und befahl ihm, ihr zu folgen. Offenbar wollte sie mit ihm in ihrem Zimmer beraten. Sie ging, nur von ihrem Minister begleitet. Als zu gleicher Zeit Beaufort sich entfernen wollte, stieß er an der Türe auf den Gardehauptmann Guitant, der ihm befahl, ihm im Namen des Königs und der Königin zu folgen. Der Herzog maß ihn erst mit starren Blicken, dann sagte er: »Ja, ich will; aber das ist höchst sonderbar, gestehe ich.« Darauf wandte er sich nach den Damen Chevreuse und Hautefort, die zusammen im Gespräche waren und sprach: »Sie sehen, meine Damen, die Königin läßt mich verhaften.«

Am nächsten Morgen wurde Beaufort nach demselben Schlosse von Vincennes abgeführt, wohin er einige Tage zuvor einen Spazierritt gemacht und Erfrischungen eingenommen hatte. Hieher gehört, was die Motteville in ihrem Bericht von diesen Vorgängen erzählt. »Während«, heißt es darin, »am nämlichen Morgen die Königin sich das Haar ordnen (peigner) ließ, erzählte sie ihren Kammerfrauen (worunter auch die Motteville) von der vor zwei oder drei Tagen gemachten Promenade in Vincennes und der splendiden Kollation, welche ihr zu Ehren Herr von Chavigny veranstaltet hätte; da habe sie den Herzog von Beaufort ungemein lustig gesehen und ihr sei weh zumute geworden und sie habe bei sich gesagt: Ach, der arme Bursche wird vielleicht in drei Tagen hier sein, alsdann aber nicht lachen. Und den ganzen Abend beim Niederlegen habe die Königin geweint, wie ihr, der Berichterstatterin, ihre erste Kammerfrau, die Demoiselle Filandre, zugeschworen.« – Die Motteville verschweigt oder leugnet eifrigst, was ihre Gebieterin benachteiligen kann, hebt aber ebenso geflissentlich hervor, was zu ihren Gunsten spricht. Im gegenwärtigen Fall macht sie sich eine Freude daraus, ihre Milde und Menschlichkeit anzupreisen, kann aber doch nicht umhin, zu bemerken, wie meisterlich sich diese Fürstin in ihrem Benehmen zu verstellen wußte. Denn zuerst ist augenscheinlich, daß im voraus alles zwischen der Königin und Mazarin verabredet war, und wenn die bei dieser Gelegenheit vergossenen Tränen dartun mögen, wieviel es sie kostete, einen alten Freund ins Gefängnis werfen zu lassen, so beweisen sie zugleich und noch mehr, bis zu welchem Grade ihr der neue Freund bereits ans Herz gewachsen war, daß er ihr ein solches Opfer zumuten durfte. Es darf freilich hier nicht außer Betracht gelassen werden, daß Beaufort seine Sache durch Eigendünkel und Unfähigkeit verdorben und die Königin durch sein öffentliches Verhältnis zur Montbazon gereizt hatte.

Das Pariser Volk, immer kühnen Entschlüssen hold, wenn sie glücken, brauste nicht auf, als es denjenigen in Ungnade gefallen sah, der nachmals (zur Zeit der Fronde) der Gegenstand seiner abgöttischen Verehrung werden sollte. Vielmehr, als es den künftigen König der Vorstädte und Hallen auf der Straße nach Vincennes erblickte, jubelte es nach Mazarins Versicherung auf und schrie: Da seht mir den Ruhestörer! Die gefährlichsten der Importans erhielten Befehl, Paris zu räumen; Montrésor, Béthune, St. Ybar, Varicarville und etliche wurden ins Innere verwiesen und unter scharfe Aufsicht gestellt oder verließen auch Frankreich. Die Vendome bekamen die Weisung, sich auf das Schloß Anet zurückzuziehen und als selbiges in kurzem wurde, was in Paris das Hotel Vendome gewesen war, das Asyl der Meuterer, so drang Mazarin, der es nicht dulden konnte, daß der Herzog Cäsar durch Protektion der Mitschuldigen seines Sohnes der Gerechtigkeit und den Landesgesetzen Hohn sprach, auf ihre Auslieferung, und als er diese nicht erlangte, schritt er fast zu einer förmlichen Belagerung des Schlosses oder drohte wenigstens mit offener Gewalt. Der Herzog ließ es nicht zum äußersten kommen; er räumte von selbst Frankreich und ging nach Italien, wo er auf den Sturz Mazarins wartete, wie er früher in England auf den Sturz Richelieus gewartet hatte.

Beauforts Festnehmung, das Zersprengen seiner Mitschuldigen, Freunde und Familie war die erste, unabweisbare Maßregel, die Mazarin zur Abwendung der drohenden Gefahr ergreifen mußte. Aber was hätte es ihm geholfen, den Arm zu entwaffnen, wenn er den Kopf verschont hätte, wenn die Chevreuse auf der Bühne geblieben wäre, die immer um die Königin Geschäftige und ihr Artigkeiten zu sagen und Ehrfurchtsbeweise zu geben Beflissene, sie, die mit vielem Geschick den letzten Rest ihrer Gunst dazu benutzte, im Verborgenen die Mißvergnügten zu stützen und zu ermutigen, ihnen ihre Kühnheit einzuhauchen und neue Anschläge zu spinnen! Noch hielt sie in ihrer Hand die nicht völlig abgerissenen Fäden der Verschwörung, und ihr zur Seite stand ein Mann, der zu viel Lebenserfahrung besaß, um sich durch dergleichen Umtriebe bloßstellen zu lassen, aber sehr bereit war, sie zu benutzen, und den die Herzogin fortwährend der Königin, Frankreich und Europa als den gewiegtesten Mann zur Führung der Geschäfte empfohlen hatte. Da war keine Zeit zu verlieren. Am Tage nach Beauforts Verhaftung (3. September) wurde Chateauneuf zur Regentin geladen und erhielt die Weisung, sich in sein Gouvernement, die Touraine, zu verfügen. Der einstige Großsiegelbewahrer fand, es sei noch immer etwas Schönes, so heiler Haut zu entgehen, den früher im Staate besessenen Rang wieder einzunehmen und Statthalter einer ansehnlichen Provinz zu werden. Sein Ehrgeiz ging freilich viel höher, aber diesen behielt er einstweilen für sich oder vertagte ihn, gehorchte der Königin, benahm sich klug und vorsichtig gegen sie und ebenso auch gegen ihren Minister, bis die Zeit käme, wo er an seine Stelle treten könnte. – Er mußte noch geraume Zeit warten, starb aber nicht, ohne sich, einen Augenblick wenigstens, wieder im Besitz der Macht zu sehen, die ihm eine törichte Leidenschaft entrissen hatte und die eine treue und unermüdliche Freundschaft ihm zurückgab. Chateauneuf erhielt das Staatssiegel im März 1650, als Mazarin sich selbst verbannte, bis zum April 1651. Er starb 1653 im Alter von 73 Jahren.

Frau von Chevreuse war weniger klug als Chateauneuf. Sie verstand nicht, gute Miene zu bösem Spiel zu machen oder hatte sich zu tief eingelassen, um die Partie so bald aufzugeben. La Châtre, einer ihrer speziellsten Freunde, der sie täglich sah, erzählt, daß noch am Abend der Verhaftung Beauforts im Louvre Ihre Majestät zu ihr gesagt habe, sie halte sie für unschuldig an dem bösen Treiben des Gefangenen, erachte es aber dennoch für ratsam, daß sie sich ohne Aufsehen nach Dampierre verfüge und nach einigem Verweilen daselbst in die Touraine zurückziehe. Die Herzogin mußte freilich Folge leisten, aber anstatt sich in Dampierre ruhig zu verhalten, bot sie Himmel und was noch zu Rettung derer auf, die sich ihretwegen bloßgestellt hatten. Sie empfing Alexander von Campion bei sich und versah ihn mit Geld und allem Nötigen, um sich den Verfolgungen des Kardinals zu entziehen. Über alles beunruhigte sie das Schicksal ihrer Freunde auf Schloß Anet, mit dem sie in ununterbrochener Verbindung blieb. Auch neue Anschläge zu schmieden hörte sie nicht auf, fand sogar Mittel, einen Brief in die Hände der Königin zu spielen. Man fertigte Boten auf Boten an sie ab, sie möchte ihre Abreise nach der Touraine beschleunigen, die sie unter allerhand Vorwänden verschob. Die Königin und Mazarin hatten ihr, wie oben gesagt, durch Montague Bezahlung der während ihrer Verbannung gemachten Schulden versprechen lassen, worauf sie auch schon große Summen bezogen hatte; jetzt weigerte sie sich, eher abzureisen, bis die Königin alle ihre Zusagen erfüllt hätte. Den Hof und Paris verließ sie mit tiefem Schmerz in der Seele und fast unter Verwünschungen, wie Hannibal bei der Abfahrt aus Italien. Trauernd sahen ihr die ganze katholische Partei, die Freunde des Friedens und der spanischen Allianz nach; dagegen herrschte bei ihrem Abzug allgemeiner Jubel unter den Anhängern des protestantischen Bündnisses. Der Graf d'Estrade kam von Seiten des Prinzen von Oranien, bei welchem er akkreditiert war, nach dem Louvre und stattete der Regentin offiziellen Dank ab.

Die Herzogin begab sich auf eine ihrer zwischen Tours und Angers gelegenen Besitzungen. Die tiefe Stille, welche sie jetzt umgab, machte ihr das Gefühl ihrer Niederlage doppelt bitter. Sie traf und besprach sich mit Montrésor, der sich ebenfalls nach Touraine gewandt hatte. Sie schrieb nach Paris an den Herzog von Guise, um ihn auszuhorchen und seine ritterliche Gesinnung auf die Probe zu stellen. Sie korrespondierte fleißig mit ihrer nach Rochefort verbannten Stiefmutter, und beide feuerten einander an, zum Sturz ihres gemeinschaftlichen Feindes alles zu wagen. Alle Hoffnungen der Herzogin lenkten sich auf das Ausland. Sie knüpfte die zu keiner Zeit abgebrochenen Verständnisse mit England, Spanien und den Niederlanden wieder an. Ihre Hauptstütze, der Mittelsmann aller ihrer Intrigen, war der englische Gesandte am französischen Hofe, Lord Gorin, der, wie sein Herr und besonders seine Herrin, zu Spanien hielt. Unter dem Deckmantel der englischen Gesandtschaft hatte sich zwischen der Chevreuse, Vendome, Bouillon und sämtlichen Mißvergnügten ein umfänglicher Briefwechsel entsponnen. Mazarin kannte und belauerte alle diese geheimen Schliche. In der Mitte des Jahres 1644 ließ er in Paris den Kontrolleur des Hauses der Herzogin und einige Zeit nachher sogar ihren Leibarzt im Wagen ihrer eigenen Tochter festnehmen. Über ein solches Verfahren beschwerte sie sich bitter in einem Schreiben, das sie heimlich an die Königin zu bringen wußte. Sie behauptet, daß man ihre Tochter aus dem Wagen zu steigen gezwungen und zwei Hatschiere ihr die Pistole auf die Brust gesetzt und in einem fort gerufen hätten: »Schieß zu (tue, tue)!« und ebenso ihren Begleiterinnen. Sie beteuert ihre Unschuld und appelliert von der Feindschaft Mazarins an Annas Gerechtigkeitsliebe. Aber der nach der Bastille geführte Arzt legte Geständnisse ab, welche auf die Spur von sehr erschwerenden Dingen führten, und ein Gefreiter der königlichen Garde hatte ihr deshalb den Befehl zu überbringen, sich nach Angoulême zu begeben; im Weigerungsfall sollte er sie dahin abführen. Im Staatsgefängnis zu Angoulême war ihr Freund Chateauneuf um ihretwillen zehn Jahre lang in Haft gehalten worden. Diese ihrer Phantasie immer gegenwärtige Erinnerung schreckte sie; sie fürchtete, Angoulême möchte zu ihrem letzten Wohnort ausersehen sein, und weil sie der Gefangenschaft jedes andere Los vorzog, beschloß sie, wie 1637, lieber alles andere über sich ergehen zu lassen, lieber zum drittenmal in die Verbannung zu wandern.

Wie war doch ihr diesmaliges Entweichen aus Frankreich so verschieden von demjenigen im Jahre 1626, als sie jung, schön, überall vergöttert, Triumph auf Triumph feierte und zuletzt Nancy und den von ihren Reizen bestrickten Karl IV. nur verließ, um bei ihrer Rückkunft nach Paris auch Richelieus Herz in Alarm zu setzen! Oder von dem Entweichen im Jahre 1637, wo sie auf der Flucht nach Spanien zwar manche Gefahr bestanden, viel erduldet, fünf lange Jahre sich fruchtlos abgemüht hatte, aber noch immer die Kraft der Jugend und das stolze Bewußtsein ihrer Unwiderstehlichkeit in sich trug, vor der sich alle beugten, selbst gekrönte Häupter, wo sie auch noch auf die Freundschaft der Königin und endliche Belohnung ihrer Treue rechnen durfte! Jetzt fing das Alter an, sich fühlbar zu machen; ihre Schönheit war im Welken und versprach ihr nur noch vereinzelte Eroberungen. Sie sah ein, daß sie mit dem Herzen der Königin den schönsten Teil ihres Zaubers in und außer Frankreich verloren hatte. Die Flucht Vendomes, auf welche sehr bald auch die des Herzogs von Bouillon folgte, ließ die Importans ohne gewichtiges Oberhaupt. Sie wußte nun, daß Mazarin ein ebenso feiner und furchtbarer Feind als Richelieu war. Der Sieg schien im Bunde mit ihm; der eigene Bruder Bouillons, Turenne, hielt es für eine Ehre, sein Diener zu sein, und Enghien gewann ihm Schlacht auf Schlacht. Auch das wußte sie, daß der Kardinal die Rechtsbeweise in der Hand hatte, sie aburteilen und auf Lebenszeit einsperren zu lassen.

Die ungewöhnliche Frau verzagte dennoch nicht; sobald der Gefreite sich seines Auftrages entledigt hatte, schritt sie mit gewohnter Entschlossenheit zu Werke, und in Begleitung ihrer Tochter Charlotte, die zu ihr gekommen war und sie nicht verlassen wollte, erreichte sie auf Querwegen die Vendée und die Einöden der Bretagne, wo sie einige Meilen von St. Malo den Marquis von Cortquin um ein gastliches Obdach ansprach. Der edelherzige Bretagner nahm sie gastfreundlich auf, wie er einer Frau und dem Unglück schuldig war. Nachdem sie in seinen Verschluß ihre Juwelen niedergelegt hatte, wie schon einmal in die Hände La Rochefoucaulds, schiffte sie sich nebst ihrer Tochter im strengsten Winter in St. Malo auf einem kleinen Fahrzeug ein, welches sie nach Darmouth bringen sollte, von wo sie sich nach Dünkirchen und Flandern zu wenden gesonnen war; aber Kriegsschiffe von der englischen Parlamentspartei, die in jenen Gewässern kreuzten, brachten die ärmliche Barke nach der Insel Wight auf. Hier wurde die Herzogin erkannt, und da man wußte, daß sie eine Freundin der Königin Henriette war, so lief sie große Gefahr, von den Anti-Royalisten übel behandelt und an Mazarin ausgeliefert zu werden. Zum Glück für sie, war Graf Pembroke, ihr von früher bekannt, Gouverneur der Insel. Sie wandte sich an seine Courtoisie und erhielt auf seine Verwendung mit großer Mühe die Pässe, welche ihr die Weiterreise nach Dünkirchen und von da nach den spanischen Niederlanden möglich machten. Einige Zeit verweilte sie in Lüttich, um zwischen dem Herzog von Lothringen, Österreich und Spanien zu vermitteln, worauf der letzte Pfeiler ihres persönlichen Kredits und die letzte Hoffnung der Importans beruhte. Dagegen bemühte sich Mazarin, der alle Pläne Richelieus zu den seinigen gemacht hatte, den Herzog von seinen beiden Bundesgenossen abwendig zu machen. Der Lothringer war zu dieser Zeit sterblich verliebt in die schöne Beatrix von Cusance, Prinzessin von Cantecroix. Mazarin unterstützte seine Bewerbungen und schlug dem ehrgeizigen und unternehmungslustigen Fürsten vor, mit Spanien zu brechen und, von Frankreich unterstützt, in die Franché Comté einzufallen; alles Eroberte sollte ihm verbleiben. Es gelang ihm, sogar des Herzogs Schwester, die Prinzessin von Pfalzburg, in sein Interesse zu ziehen; diese stattete ihm von allem, was um ihren Bruder her vorging, geheimen und treulichen Bericht ab. Mazarin wünschte von ihr ganz besonders, daß sie ihn über die mindesten Bewegungen der Frau von Chevreuse auf dem laufenden halten sollte; wußte er doch, daß diese mit Bouillon Briefe wechselte, daß sie mittels ihrer Freundin, der Frau von Strozzi, über den kaiserlichen General Piccolomini disponierte, daß sie sogar, ungeachtet der Reize der schönen Beatrix, noch ihr ganzes Ansehen bei dem Lothringer behalten hatte. Mit Beistand der Prinzessin von Pfalzburg verfolgte er alle ihre Gänge und Wege und machte ihr Schritt für Schritt den unzuverlässigen Karl IV. streitig.

Der Sieg blieb auf Seiten der Chevreuse. Ihre Gewalt über den Herzog, erwachsen aus Liebe, aber sie überdauernd und stärker als alle späteren Liebschaften dieses Unbeständigen, erhielt ihn Spanien treu und vereitelte Mazarins Entwürfe. Allmählich wurde sie wieder die Seele aller gegen die französische Regierung gesponnenen Ränke. Krieg dem Kardinal! war ihre Losung; nicht nur im Ausland, auch im Innern Frankreichs suchte und wußte sie ihm immerfort neue Schwierigkeiten zu bereiten, und sie sah sich dabei von mehreren der starrköpfigsten und waghalsigsten Importans aus ihrer Umgebung, vor anderen dem Grafen St. Ybar, einem der hitzigsten der Partei, getreulich unterstützt. Sie war es, welche die Reste der Partei aufrecht- und zusammenhielt und allenthalben die Flammen des Aufruhrs schürte. Nie die Herrschaft über sich verlierend, zeigte sie inmitten der Stürme ein heiteres Antlitz und entwickelte zu gleicher Zeit eine rastlose Tätigkeit, um die Schwäche des Feindes zu erspähen und zu nutzen. Ihren Zwecken mußte die protestantische Partei ebensowohl als die katholische dienen. Bald ging sie mit einem Aufstandsversuche im Languedoc, bald mit einer Landung in der Bretagne um, und bei dem geringsten Symptom von Unzufriedenheit, das sich irgendeine hochgestellte Person entschlüpfen ließ, war sie geschäftig, diese dem Kardinal zu entführen. Im Jahre 1647 entdeckte ihr durchdringender Blick im Schoße des Kongresses von Münster Anzeichen von Mißhelligkeit zwischen dem französischen Gesandten, dem Herzog von Longueville, und dem ersten Minister, die ohnehin nicht sehr einig waren, und ihr gebührt der traurige Ruhm, schon damals auf den schlecht geregelten Ehrgeiz und die launische Inkonsequenz des Herzogs von Enghien, der seit kurzem Prinz von Condé geworden, Hoffnungen gebaut zu haben, die in kurzem nur zu sehr in Erfüllung gingen.

Es kommt die Zeit der Fronde. Die leidenschaftliche Frau verläßt 1649 Brüssel und bringt ihren Freunden spanische Hilfe und das Gewicht ihrer Erfahrung. Sie nahte ihrem fünfzigsten Lebensjahre. Zeit und Kummer hatten über ihre Schönheit triumphiert, aber noch war sie voller Anmut, noch besaß sie den festen, sicheren Blick von sonst, noch ihre ehemalige Entschlossenheit und Kühnheit, noch immer, was sie je an Geist besessen. An dem Marquis de Laigues, Hauptmann in der Garde des Herzogs von Orleans, einem Manne von Mut und Talent, hatte sie einen letzten Freund gefunden, den sie bis ans Ende liebte, mit welchem sie sich vielleicht nach dem Tode des Herzogs von Chevreuse (1657) zu einer Gewissens- oder Winkelehe, wie sie damals ziemlich in der Mode waren, verband. Auch während der Fronde spielte sie eine hervorragende Rolle. Im Jahre 1651 hatte sie begründete Hoffnung, ihre Tochter Charlotte mit dem Prinzen von Conti zu vermählen; daher ihre Annäherung an die Condé und ihr Mitwirken zur Befreiung der gefangenen Prinzen; allein im folgenden Jahre söhnten sie die sich häufenden Fehler, welche Condé beging, für immer mit der Königin und Mazarin aus. Ihr politischer Instinkt sagte ihr, daß nach so vielen Stürmen das dringendste Bedürfnis für Frankreich eine feste und dauerhafte Regierung sei. Mazarin, der sie, wie auch Richelieu, jederzeit nur ungern bekämpft hatte, kam jetzt, ihren Rat zu suchen und machte nicht selten Gebrauch davon. Sie stand jetzt entschieden auf Seiten der Krone, widmete sich ihrem Dienst und nahm auch gern Gegendienste. Ohne Mühe erlangte sie, was sie für sich und ihre Familie wünschte, und so groß waren die Achtung und das Ansehen, worin sie fortan stand, daß ihr nichts zu wünschen übrig blieb. Wie die Herzogin von Longueville und die Palatine, beschloß auch sie in tiefem Frieden ihren Lebenslauf, einen der bewegtesten des siebzehnten Jahrhunderts.

siehe Bildunterschrift

Kardinal Mazarin.
Zeitgenössischer Stich. Porträtsammlung der Nationalhibliothek Wien

Man sagt, daß auch sie gegen das Ende ihrer Tage die Einwirkungen der göttlichen Gnade empfand und ihre von der Unbeständigkeit der irdischen Dinge müden Augen gen Himmel wandte. Sie hatte nacheinander fallen sehen, was sie hienieden geliebt und gehaßt hatte, Richelieu und Mazarin, Ludwig XIII. und Anna, die Königin von England und ihre Tochter, die liebenswürdige Henriette, Chateauneuf und den Herzog von Lothringen. Ihre geliebte Tochter war mitten in der Zeit der Fronde in ihren Armen erloschen. Der sie zuerst von der Bahn der Pflicht abgelenkt hatte, der schöne, leichtsinnige Holland, hatte das Schafott Karls I. bestiegen, und ihr letzter Herzensfreund, viel jünger als sie, der Marquis de Laigues, war ihr voran zur Gruft gegangen. Sie erkannte, daß sie ihr Herz an Hirngespinste gehängt hatte, und um sich jetzt dafür zu kasteien und ihr Fleisch zu kreuzigen, wurde aus der stolzen Herzogin die demütigste der Frauen; sie verzichtete auf alle Herrlichkeit, verließ ihr Prachthotel in der Vorstadt St. Germain und ging aufs Land, nicht nach Dampierre, das sie zu sehr an die glänzenden Tage der Vergangenheit erinnert hätte, sondern in ein bescheidenes Haus zu Gagny bei Chelles. Hier erwartete sie ihre letzte Stunde, fern von den Blicken der Welt; hier starb sie, ohne Aufsehen zu erregen, 79 Jahre alt; in demselben Jahre, in dem der Kardinal von Retz und Frau von Longueville starben. Sie wollte weder feierliche Bestattung noch Grabrede; sie verbot, daß man ihr einen Titel beilegte, auf die sie jetzt mit Geringschätzung hinblickte; sie wünschte, in aller Verborgenheit in dem alten Kirchlein von Gagny beigesetzt zu werden. Dort setzte ihr nahe bei der Kapelle der hl. Jungfrau eine treue, unbekannt gebliebene Hand auf schwarzem Marmor folgende Inschrift:

siehe Bildunterschrift

Henriette von England.
Zeitgenössischer Stich. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Hier ruht Marie von Rohan, Herzogin von Chevreuse, Tochter des Herkules von Rohan, Herzogs von Montbazon. Sie war zum erstenmal vermählt mit Charles d'Albert Herzog von Luynes, Pair und Connetable von Frankreich, zum zweitenmal mit Claudius von Lothringen, Herzog von Chevreuse. Da die Demut in ihrer Brust allen Sinn für die Herrlichkeiten der Welt ertötet hatte, verbot sie, bei ihrem Ableben irgendein Zeichen jenes Erdentandes aufzufrischen, dessen letzte Spuren sie unter dieser einfachen Gruft begraben wissen wollte, und verordnete, daß man sie im Kirchspiel Gagny beerdige, allwo sie im Alter von 79 Jahren am 12. August 1679 verstorben ist.


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