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Drittes Kapitel

Die Signora von Monza

Wer die »Verlobten« Manzonis, dieses in die meisten europäischen Sprachen übergegangene, allenthalben gefeierte und selbst vom Altmeister unserer Poesie so sehr bewunderte Meisterwerk etwas aufmerksamer gelesen hat, als Romane gelesen zu werden pflegen, dessen Phantasie wird nächst der finsteren Gestalt des »Ungenannten«, gewiß das schöne, dunkle Gesicht der Signora von Monza oder der Nonne Gertrud, wie der Dichter, dem ihr echter Name nicht bekannt war, sie zu nennen beliebte, sich am tiefsten eingeprägt haben.

Der berühmte Lombarde entnahm den Stoff zu der glänzendsten Episode seines Buches, in welcher er nicht weniger als in der Schilderung der Pest die ganze Meisterschaft seines Griffels entfaltet hat, bekanntlich der in tüchtigem Latein geschriebenen mailändischen Geschichte seines Landsmannes Ripamonti.

Dieser wackere, trotz seiner geschmacklosen Zeit so geschmackvolle Chronist hat in schöner, jedoch ziemlich allgemein gehaltener Erzählung die Schicksale der schrecklichen Nonne, ihrer Mitschuldigen und ihres Verführers der Nachwelt überliefert. Mit der Aufzählung der wichtigsten Tatsachen und Verbrechen und mit der Namhaftmachung des Ortes sich begnügend, verschwieg er, als Zeitgenosse der Begebenheiten, sämtliche Namen der dabei beteiligten Personen. Er scheint auch zudem – und bei dem geheimen geistlichen Gerichtsverfahren und der Neuheit des Gegenstandes ist ihm dies nicht zu verargen – mit den schrecklichen Ereignissen nur durch das Gerücht, das im Munde des Volkes umlief, bekannt geworden zu sein.

Als nun das Genie Manzonis an der Hand dieser dürftigen Überlieferungen eine Gestalt schuf, deren geheimnisvolle Tiefe, lebendige Fülle und plastische Vollendung lebhaft an die größten Meisterwerke der italienischen Maler des 16. Jahrhunderts erinnert, ahnte er wohl nicht, daß der ganze Prozeß, der durch jene tragischen Begebenheiten hervorgerufen worden war, vom ersten Verhör an bis zum endgültigen Urteilsspruche, in seinen ursprünglichen und echten Handschriften existierte und in zehn dicken, staubigen Faszikeln vergessen im wurmstichigen Schrein eines lombardischen Archivs lag.

Die italienische Lesewelt hat lange mit quälender Neugierde vergebens auf weitere Enthüllungen bezüglich der Signora gewartet; endlich versprach Prof. Rosini von Pisa dem allgemeinen Wunsch entgegenzukommen, weiteres über die Schicksale der Nonne zu erfahren. Tatsächlich war er aber keineswegs in der Lage, die Lücken ausfüllen zu können, die Manzoni gelassen. Die Neugierde des Publikums ausbeutend, schrieb er den hinlänglich faden Roman »La monaca di Monza«. An der Spitze desselben stehen folgende Worte:

»Ein historisches Faktum, das sich in Monza ereignet und das von Ripamonti kurz beschrieben worden ist, hat dem Verfasser der »Verlobten« die gefeiertste Episode seines vielgefeierten Buches geliefert. In die Schranken seines Gegenstandes eingeengt, konnte er jedoch nur folgenden Einzelheiten im ganzen der Erzählung Raum geben« (es folgen dem Inhalt nach summarisch aufgeführt die Abenteuer der Signora, wie sie Manzoni erzählt hat).

Nicht wenige von den zahlreichen Lesern jenes Buches haben, abgesehen von manchem ernsten Kritiker, den Wunsch geäußert, über die Lebensverhältnisse des Ägidio weiteres zu erfahren; namentlich aber über die Art und Weise, wie man durch ihn über die Liebe der Gertrud ins Klare kam, wie sie sich vom Kloster von Monza entfernt, wohin sie sich begeben, durch welche Fügungen der Vorsehung sie zur Bereuung und Abbüßung ihrer Vergehen zurückgerufen wurde, und welches endlich die dem Ägidio und ihrem Vater vorbehaltene Strafe war, die ja beide gegen Religion und Moral gefrevelt hatten.

»Dies zu berichten hat sich der Verfasser der folgenden Geschichte vorgenommen, dem der Zufall ein Buch aus dem 17. Jahrhundert in die Hände gespielt, worin sie weitläufig erzählt wird.«

Von dieser Grundlage ausgehend, führt uns der toskanische Romanschreiber einen Ägidio und eine Gertrud vor, die er sich rein erdichtet hat. Als Flüchtlinge läßt er sie ganz Italien durchschweifen und an jedem Künstlerstreit, jeder literarischen Zänkerei, jedweder politischen und sozialen Nichtswürdigkeit jenes Zeitalters aufgeblasener Dichterlinge, verheerender Seuchen, barocker Künstler, eingebildeter Hexen, roher Landsknechte und auch heimtückischer Giftmischer teilnehmen.

Der treffliche Mann mit seiner gelehrten Phantasie wußte nicht, daß nicht von Ägidio und Gertrud, wohl aber von Johann Paul Osio und Virginia von Leyva, Fürstin von Ascoli, viel erschütterndere und romantischere und dennoch entsetzlich wahre Begebenheiten und Schicksale der Welt verborgen in vergessenen Papierrollen lagen.

Begreiflicherweise war eine derartige rein erfundene und zusammengestoppelte Geschichte weit entfernt, die Neugierde der Leser der »Verlobten« zu befriedigen, ganz danach angetan, sie noch mehr zu reizen und zu steigern.

Endlich ward T. Dandolo, dem rühmlich bekannten Schriftsteller und Gelehrten, das Vergnügen zuteil, dem Wunsch und der Neugierde aller derer, die Manzonis Roman liebgewonnen und an der Signora Interesse genommen haben, durch Veröffentlichung der Prozeßakten in gedrängtem Auszug volles Genüge zu leisten.

Die »Verlobten« sind bereits durch mehrere Übersetzungen der deutschen Lesewelt zugänglich geworden, haben aber noch lange nicht die Verbreitung gefunden, die selbst die elendsten Produkte französischer Romanfabriken in Deutschland gewonnen haben. Hoffentlich ist Bülows gelungene Verdeutschung des klassischen Werkes berufen, es endlich in Deutschland vollends einzubürgern.

Insofern dürfte auch eine deutsche Bearbeitung von T. Dandolos Veröffentlichung wünschenswert erscheinen. War es ja doch von jeher Eigenart des deutschen Genius, so tief als immer möglich in den Gehalt wahrhafter Kunstwerke einzudringen, den Künstler in der geheimnisvollen Werkstätte seines Schaffens, das Werk selbst in den Momenten seines stillen Werdens zu belauschen, das gewordene in regressiver Beobachtung bis in seine geheimsten Fasern zu erforschen. Wir haben ja diese liebevolle Teilnahme und Sorgfalt nicht nur unseren nationalen Meisterwerken gewidmet, sondern neidlosen und offenen Herzens wie der Deutsche ist, sie ausgedehnt auf alle großen Schöpfungen des Menschengeistes zu allen Zeiten und bei allen Völkern. Unter den vielen Trefflichen, die auf der geistigen Sonnenhöhe ihrer nationalen Kultur und der ganzen Menschheit stehen, ist Manzoni, der Freund Goethes, keineswegs der letzte. Auch er hat ein volles Anrecht, von uns ins Pantheon der Weltliteratur aufgenommen, gekannt und als einer der edelsten Geister, die je gelebt, auch geliebt zu werden.

Wer Manzonis Art und Kunst kennenlernen will, der studiere den Charakter der Signora von Monza aus dem Prozeß, den der Dichter nicht kannte und vergleiche ihn sodann mit seiner Darstellung in den »Verlobten«, er wird gewiß zu gerechter Bewunderung des Dichtergenius hingerissen werden.

Wir betonten hauptsächlich das literarische Interesse, das sich durch Manzonis Werk an den Prozeß geknüpft hat. Er bietet aber auch, davon abgesehen, dem Geschichtsforscher, Kulturhistoriker, dem Kriminalisten und Psychologen manches, das einer Beachtung von seiner Seite nicht unwert sein dürfte.

Signora Virginia Maria von Leyva stammte aus dem Geschlechte der Fürsten von Ascoli. Das erste Blatt der Satzschrift, mit welcher der Advokat, der die Kirche und das Kloster zum heiligen Dionys in Mailand verteidigte, im Prozeß wider den vierten Fürsten von Ascoli, Urenkel des berühmten Anton von Leyva, hervortrat, um die Zahlung eines Vermächtnisses von 400 Skudi zu erwirken, die jener in seinem Testament jener frommen Genossenschaft zugedacht hatte, spricht sich über dies fürstliche Geschlecht folgendermaßen aus:

»Der weit zurückdatierte Ursprung dieses glänzenden Vermächtnisses, höchst merkwürdig wegen der großen Herrlichkeit dessen, der es machen wollte und wegen des langen Widerspruches von Seiten des Vollziehers, erheischt, daß wir der nötigen Deutlichkeit wegen die Erzählung vom Jahre 1502 beginnen, in welchem Don Antonio de Leyva, von Geburt ein Navarrese, als Offizier eines ausgezeichneten Fähnleins von Reitern seines Oheims Sancho Martino nach Italien kam, wo er hauptsächlich unter der Leitung des großen Gonsalvo, des Feldherrn Ferdinands des Katholischen, über die ganze Stufenleiter der militärischen Rangordnung emporstieg, viele Siege erfocht und am glücklichen Ausgang der Schlacht bei Pavia (al Parco), berühmt wegen der Gefangennahme Königs Franz I. von Frankreich nach den Berichten eines Alfons Loschi, eines Franz Guicciardini und anderer beachtenswerter Gewährsmänner nicht geringen Anteil hatte.

Am 6. Februar 1531 wurde er dann auf Grund seines besonderen früheren Übereinkommens mit dem unbesiegbaren Karl V., das bei dem im selben Jahre in Bologna zustande gekommenen Bündnisse getroffen worden war, vom achten Herzog von Mailand, Franz II., mit der kaiserlichen Stadt Monza und deren Gebiete mit der obersten Verwaltung (giurisdizione) sämtlicher Gefälle und öffentlichen Einkünfte eines so ausgedehnten Territoriums, nebst einem jährlichen Bezug von 7000 Ducatoni belehnt, die ihm die Salzwaren- und Mautregulatoren jener Hauptstadt zu entrichten hatten.

Am 18. Juli desselben Jahres (1531) wurde ihm vom nämlichen Kaiser die Oberherrlichkeit über die Stadt Ascoli mit dem achtbaren Titel eines Fürsten verliehen, und zwar als Zeichen der Anerkennung seiner besonderen Verdienste, vorzüglich aber, weil er zum Frommen des benannten ruhmgekrönten Kaisers mit einer Handvoll Kriegsvolk das fruchtbare Insubrien, die berühmteste Landschaft Italiens, behauptet hatte.

Endlich am 2. September 1535 machte er zu Pavia, der alten Residenz der Lombardenkönige und der Ruhmeshalle seiner Heldentaten, sein Testament, worin er sich die Kirche zum heiligen Dionys als Begräbnisstätte bestimmte und ordnete mehrere höchst preiswürdige Stiftungen an, unter denen sich wie die Sonne unter den Planeten das fromme Vermächtnis eines jährlichen reinen Einkommens von 400 Skudi zugunsten der Kirche und des Klosters zum heiligen Dionys in Mailand auszeichnet.

Die Lehensherrschaft Monza ging in der Folge auf den Grafen Joh. Bapt. Durini über, und zwar kaufte er sie von Anton Alois von Leyva, fünftem Fürsten von Ascoli, wie aus der Bestätigung des 6. Juli 1648 hervorgeht, worüber der Kameralnotar Mercantolo die Urkunde verfaßt hat und welche vom außerordentlichen Gerichte (magistrato straordinario) erteilt worden ist. Zur Zeit unserer Geschichte aber stand Monza noch unter den Leyvas.

Virginia Maria – in den Urkunden wird sie immer so genannt, es bleibt jedoch ungewiß, ob dies ihr Taufname oder der im Kloster angenommene ist, obschon letzteres wahrscheinlicher – war die Tochter Martin von Leyvas, Fürsten von Ascoli. Ihre Geburt fällt ins Jahr 1575. Sie scheint die einzige Tochter der Familie gewesen zu sein; außer ihr ist im Prozeß ein einziges Mal noch von Brüdern die Rede. Virginia war, wie uns Ripamonti berichtet, von ihrem Vater, einem jener damals unzähligen kleinen Tyrannen Italiens, von früher Jugend auf für das Kloster bestimmt, um sie auf eine Weise unterzubringen, die weniger Geld kostete, als eine fürstliche Erziehung und einstige Ausstattung ihm gekostet haben würde. Das Mädchen wurde in früher Jugend nach Monza ins Kloster St. Margarita gebracht, eines der wenigen Klöster des ausgearteten und verkommenen Humiliatenordens, die der Erzbischof Karl Borromeo in seiner Erzdiözese noch hatte bestehen lassen. Dieses Kloster hatte ein Fräuleininstitut, in dem von den Klosterfrauen Töchter aus den vornehmsten Familien Mailands erzogen und herangebildet wurden, von denen die einen, teils aus eigener Wahl, nicht selten aber auch von herzlosen Eltern dazu gezwungen, die Haare sich abschneiden ließen und den Schleier nahmen, die anderen aber nach einigen Jahren klösterlicher Zucht und Abgeschiedenheit um so freudiger wieder in den Schoß ihrer Familie zurückkehrten, um sobald tunlich sich mit dem Brautkranz zu schmücken. Für das stürmische spanisch-italienische Blut der jungen Fürstin wäre ohne Zweifel das Los der letzteren das entsprechendste gewesen, allein sie wurde von ihrem herzlosen Erzeuger zur Nonne gepreßt. Kaum, vielleicht noch nicht einmal zum kanonischen Alter vorgerückt, mußte die junge Fürstin von der unerbittlichen Schere den Schmuck ihrer Locken sich rauben lassen, in einem Alter von höchstens 18 Jahren ihre in stattlicher Jugendfülle und Schönheit aufblühende Gestalt in das einförmige Nonnengewand hüllen und ihren ausdrucksvollen Kopf mit den feurig dunklen Augen und der offenen imponierenden Stirn einer jungen Weltdame mit dem klösterlichen Schleier umgeben. Mochte sich ihr Herz darüber empören, fühlte es sich auch krampfhaft zusammengeschnürt in dem ihr unnatürlichen Gewande, was hatte das arme Wesen dazu zu sagen? Der Würfel war über sie geworfen vom Tage ihrer Geburt an. Sie hatte nur zu schweigen und sich willenlos der Herrschsucht und dem ungezügelten Ehrgeize ihres unbeugsamen, nur auf die Macht und den äußeren Glanz seines Hauses bedachten Vaters, der eine Zersplitterung seines Vermögens für das größte Unglück angesehen hätte, zum Opfer zu bringen.

In dieser Weise faßte wenigstens Manzoni die Sache auf, indem er einige Worte des von Ripamonti nach der Volkstradition entworfenen Berichtes zu einer umfangreichen Erzählung erweiterte. In den Akten findet sich keine Hinweisung darauf, daß die Signora unfreiwillig in das Kloster getreten sei und es findet keine Berufung darauf statt, die doch an sich natürlich gewesen wäre, freilich aber auch unterdrückt worden sein könnte. Wollen wir aber die auf der anderen Seite nicht unwahrscheinliche Annahme teilen, daß die Signora wider ihren Willen zu dem Eintritt in das Kloster von ihrem Vater gezwungen worden sei, so können wir hinsichtlich des speziellen Herganges dabei unsere Leser getrost auf Manzonis lebensvolle und ergreifende Schilderung des Jugendlebens der Signora bis zu ihrem Eintritt in das Kloster und in den nächsten Jahren nach demselben verweisen. Ist auch der Dichter darin wesentlich nur seiner Phantasie gefolgt, so hat er doch dabei den für ein solches Verhältnis in damaliger Zeit und besonders in Italien allgemein gültigen Typus getroffen. Was er der Virginia Maria begegnen läßt, kann vielleicht ihr begegnet sein und ist gewiß nur zu vielen armen Geschöpfen in ähnlicher Weise begegnet.

Bestätigt wird übrigens auch durch anderweite Angaben, daß die Signora bald nach ihrem Eintritt in das Kloster zur Oberin der in demselben befindlichen Kostgängerinnen bestellt ward, und daß eben dieses Verhältnis Veranlassung zu der für sie so verhängnisvollen Bekanntschaft gab, über welche und ihre unheimlichen Folgen der Dichter, der mit dem einzelnen nicht vertraut war, nur Andeutungen gibt sowie er auch über ihr weiteres Leben einen Schleier ruhen läßt, der nun in unseren Mitteilungen gelüftet wird. Manzoni führt uns die Signora in einer Zeit vor, wo sie bereits seit längerer Zeit im Kloster und allmählich immer tiefer in Schuld verstrickt, noch aber mächtig, gebietend und von keinen äußeren Folgen ihrer Schuld betroffen war. Ob die schauerlichschöne, im Guten und Schlimmen großartige Gestalt, die er uns vorführt, dem Bilde der Signora entspricht wie es sich aus den aktenmäßigen Nachrichten entwickelt, mögen unsere Leser selbst entscheiden.

Schon aus der Erzählung Manzonis ersah man, daß Virginia Maria als Nonne ein Liebesverhältnis mit einem ausschweifenden und ruchlosen jungen Mann unterhielt. Es wurde, wie man sehen wird, ziemlich offen und auf die anstößigste Weise betrieben. Wozu die Oberin und die Schwestern die Augen zudrücken mußten, was einzelne der Schwestern selbst aus Eigennutz oder Leichtsinn förderten, das gab außerhalb der Mauern des Klosters zu viel mißfälliger Besprechung Anlaß, die einen noch bedenklicheren Charakter annahm, als eine Laienschwester spurlos verschwand und als ein, vielleicht zwei Bürger von Monza durch die Leute desselben Bösewichts, den das Gerücht als den Verführer der Nonne bezeichnete, ermordet wurden. Endlich kamen diese Reden zu den Ohren des Kardinals Federico Borromeo, Erzbischofs von Mailand. Dieser benutzte den Vorwand einer Visitationsreise, sich persönlich von der Sachlage zu überzeugen, worauf er Virginia Maria in ein Kloster nach Mailand versetzen und eine Untersuchung eröffnen ließ. Ihr Vater war zu dieser Zeit bereits tot.

Das erste Verhör fand mit Angela Sacchi, der Priorin, statt, und das Protokoll darüber lautet also:

Dienstag, den 27. November 1607. Vor dem hochwürdigsten gnädigsten apostolischen Protonotar, Kriminalvikar der mailändisch-erzbischöflichen Kurie, Herrn Hieronymus Sarazeno; im inneren Sprechzimmer zur Linken, wenn man zur Tür des Klosters St. Margarita zu Monza im Quartier, das von Agrate genannt wird, eintritt; die ehrwürdige Angela Margarita, im weltlichen Stande Angela de Sacchi genannt, Priorin des besagten Klosters, welche zur Zeugenschaft berufen, daß sie die Wahrheit sagen werde, nach Zuschiebung des Eides die Finger auf das Evangelium gelegt und geschworen hat. Gefragt, ob sie die Ursache unserer Ankunft im Kloster und unserer gegenwärtigen Untersuchung wisse oder vermute, antwortete sie: »Ich stelle mir vor die Ursache, wegen welcher Euer Gnaden hiehergekommen sind und mich gerichtlich vernehmen wollen, sei der Verdacht, daß der Herr Johann Paul in dieses Haus gekommen sei.«

Als man ihr bedeutete, sie solle sagen, wer dieser Johann Paul sei, antwortete sie: »Johann Paul, von dem ich zu euch rede, ist aus der Verwandtschaft der Osii, welche ihren Wohnsitz hier in der Nähe des Klosters haben; es ist die erste Tür rechts, wenn man hinausgeht.«

Und als man ihr sagte, sie solle alles erzählen, was man von dem Eindringen Johann Paul Osios in dieses Kloster wisse, antwortete sie: »Ich will sagen, was ich weiß. Ich weiß, daß einige Nonnen sagten, man habe Verdacht gehabt, genannter Johann Paul sei in das Kloster gekommen und andere sagte», er sei wahrhaft darin gewesen und ich kann sagen, daß die Mehrzahl der Nonnen vermuteten, er komme dahin. Viele behaupteten, er sei noch dort, jedoch sagten sie dies nur als eine Vermutung, die sie hätten. Eine Laienschwester, namens Febronia, von mir befragt – als diejenige, die mit mir vertraut war, weil sie mich zu bedienen in mein Zimmer kam und die Sachen mehr beobachtete als ich –, was sie davon wisse, antwortete mir, es sei ausgemacht, daß genannter Johann Paul Osio im Kloster gewesen. Der Verdacht entstand wegen der Umstände in betreff der Mahlzeit, die manchmal früher, manchmal auch später stattfand wegen außerordentlicher Dinge.«

Gefragt, gab sie zur Antwort: »Ihre Weise, früher oder später zu Tisch zu gehen als es Übung ist, datiert von dem Feste Allerheiligen her, das wir vor kurzem gefeiert haben. Wer sich in diesem Punkt (des Essens) so benahm, war die Schwester Octavia Ricci, Schwester Silvia Casata, Schwester Benedicta Homata, die Freundinnen der Schwester Virginia Maria von Leyva waren, die sich hier in demselben Kloster befand. Das Essen trug man bald an diesen, bald an jenen Ort, wo man eben sagte, daß Paul Osio verborgen sei. Die Orte, die man in Verdacht hatte, waren zwei Zimmerchen, eines linker Hand am Eingang oben, das andere auf der Seite gegen den Hofraum hin, wo das Zimmer der Schwester Virginia Maria sich befand; im ersteren wohnt und schläft Benedicta, im letzteren Schwester Octavia. Es ging ganz offen die Rede, daß das außer der gewöhnlichen Stunde zubereitete Essen in die erwähnten Zimmerchen gebracht werde, und zwar von den nämlichen Nonnen, die jene Zimmerchen bewohnten. Dies wurde von den Nonnen erzählt, die ihnen mit gedachten Speisen auf der Stiege begegnet waren. Sie suchten allerdings die Speisen zu verbergen und sie nicht sehen zu lassen. Diejenigen aber, die sie auf diese Weise gesehen haben, sind die Mutter Vikarin und die Schwester Febronia; nachher haben alle gemeinschaftlich davon gesprochen.«

Auf die Frage, warum die Nonnen, welche die Speisen außer der gewöhnlichen Zeit zubereitet sahen, Verdacht schöpften, daß Osio sich im Kloster aufhalten und zu welchem Zweck er gekommen, antwortete sie: »Man hegte den Verdacht, Osio und niemand anderer müsse im Kloster sein, weil er mit genannter Schwester Virginia Maria in freundschaftlichem Verhältnis stand. Das Essen war der Art, daß es notwendigerweise für eine außerordentliche Person zubereitet schien, denn sonst rüstete man zu dieser Zeit für niemand zu essen und niemand trug man es so heimlich zu. Wäre es für sie zubereitet gewesen, hätten sie es nicht auf diese Weise getragen. Überhaupt war etwas Ungewöhnliches und sie verrichteten die Dinge auf eine Art, daß im ganzen Kloster Verdacht daraus entstand. Als Grund endlich, warum Osio in diesem Kloster sich aufhielt, habe ich mir gedacht, daß er sich zurückziehen wolle, um sich nicht vom Gerichtshofe fangen zu lassen.«

Und als man sie fragte, warum sie glaube, daß Osio sich in dem Kloster verborgen habe, um dem strafenden Arme der Gerechtigkeit zu entgehen, da er doch ohne Einbruch nicht hinein gelangen könne und es noch viele andere Freistätten gebe, gab sie zur Antwort: »Ich kann nichts anderes sagen, als daß er sich hieher zurückgezogen, um hier mehr verborgen zu bleiben und wegen des freundschaftlichen Verkehres, den er mit der Schwester Virginia Maria unterhielt; ich glaube jedoch mehr aus dem vorerwähnten Grunde.«

Gefragt, antwortete sie: »Es ist acht oder neun Jahre her – bestimmt kann ich es nicht angeben –, seit dieser Verkehr begonnen.« Hinzufügend sagte sie: »Ich habe mehr Zeit angegeben, als es wirklich ist. Es mag etwa sieben Jahre her sein und die Freundschaft zwischen ihnen begann und setzte sich fort durch Gespräche, durch gegenseitiges Übersenden von Geschenken und Eßwaren; die damaligen Priorinnen werden alles besser wissen als ich. Ihre Unterredungen fanden im Sprechzimmer statt.«

Auf die Frage, ob Virginia Maria immer in jener Zelle gewohnt habe, in welcher sie sich in den letzten Tagen befunden, antwortete sie: »Sie ist eine Zeitlang in einem anderen Zimmer gewesen, das damals ein Fenster hatte, das in den Garten Osios ging, nachher aber zugestopft wurde.«

Gefragt, erwiderte sie: »Bezeichnetes Fenster war hoch und ich weiß nicht, ob man von demselben aus mit den Personen, die im Garten Osios waren, sprechen konnte oder nicht.«

Des weiteren gefragt, gab sie zur Antwort: »Ja, es ist eine Mauer am Garten des Osio, die sich mit unserer Klostermauer verbindet. Darin ist das Zimmerfenster, von welchem wir oben gesprochen. Es wird ungefähr zwei Jahre her sein, seit die Schwester Virginia dieses Zimmer verließ. Besagtes Fenster wurde zugestopft, nachdem die Schwester Virginia dort ausgezogen war, und Monsignore Barca war es, der es vermauern ließ.«

Auf die Frage, ob sie wisse oder gehört habe, daß gegen den genannten Apotheker einst eine Flinte abgeschossen worden sei, antwortete sie: »Ja, ich habe ungefähr vor einem Jahre sagen hören, daß auf genannten Apotheker geschossen worden sei; er wurde aber nicht getroffen.«

Über die Abführung Osios ins Gefängnis gefragt, antwortete sie: »Ja, ich hörte in der letzten Fastnacht sagen, daß Osio in Pavia eingesperrt worden sei.«

Ferner fügte sie bei: »Ich glaube, Osio sei im genannten Gefängnis gewesen, wegen der Freundschaft zwischen ihm und Schwester Virginia, und wir sprachen hier unter uns.«

Weiter lautete die Antwort: »Die Pförtnerinnen des Klosters seit den letzten sechs Jahren waren Schwester Bianca Homata und die Parloja, Schwester Dionysia von Como und Schwester Cantaria, die von mir, d.h. von Signor Barca dazu bestimmt wurden, als ich Priorin war. Ehe ich Priorin wurde, war ich Pförtnerin in Gesellschaft der benannten, außer der Schwester Bianca, die an meiner Statt gewählt wurde. Obengenannte sind seit fünf Jahren im Dienste, mit Ausnahme Biancas.«

Als sie gefragt wurde, ob sie in dieser Zwischenzeit ein Mädchen zum Kloster habe kommen sehen und wem es angehörte, antwortete sie: »Ja, es kam ein Mädchen hierher, das von Schwester Virginia liebkost wurde.«

Auf eine weitere Frage fügte sie bei: »Man sagte, genanntes Mädchen, namens Francisca, sei eine Tochter Osios und der Schwester Virginia, und man behauptete dies unter uns im Kloster wegen der Liebkosungen, mit denen Schwester Virginia sie überhäufte, und auch deshalb, weil sie ihr Kleider anfertigte und große Stücke auf sie hielt.«

Nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des Mädchens gefragt, antwortete sie: »Ich glaube, es ist in Johann Pauls Hause, und ich habe für gewiß sagen hören, es sei legitimiert worden.«

Im Manuskript ist die authentische Kopie der Legitimationsurkunde enthalten. Der comes palatinus Flaminio Melzi hatte 1597 vom Kaiser das Privilegium erhalten, außer der Ehe geborene Kinder zu legitimieren. Er bediente sich dessen zur Legitimierung der Tochter Osios. Wir entnehmen der Urkunde folgendes: »1606 den 17. April. Es erschien und erscheint Johann Paul Osio, Sohn des Johann Paul Osio, welcher auf den Knien, aus Ehrfurcht vor dem Namen seiner Majestät, dem genannten Pfalzgrafen erklärte, er habe eine einzige junge Tochter, 21 Monate alt, namens Francisca Maria, die ihm geboren worden sei von Isabella von Meda; er habe keine rechtmäßigen Nachkommen und er wünschte, diese Francisca, obwohl sie abwesend sei, in der ausgedehntesten Form zu legitimieren, so daß die Genannte auch in die Erbfolge eintreten könne usw.« Aus diesem Aktenstück geht hervor, daß die Tochter Isabellas, ein Name, hinter dem Schwester Virginia steckt, im Juli 1604 geboren wurde, und daß das Verhältnis mit Osio (wegen eines anderen Kindes, das früher, jedoch tot geboren wurde, wie wir sehen werden) schon mehrere Jahre vorher seinen Anfang genommen haben muß.

Auf die Frage um das Alter des Kindes sagte sie: »Es muß ungefähr zwei Jahre alt sein.«

Man fragte sie weiter, ob Osio Monza verlassen habe und wohin er gegangen sei. Darauf antwortete sie: »Man sagte, er sei nach Rom gegangen; um welche Zeit, erinnere ich mich nicht mehr.« Weiter sagte sie: »Es mag sein, daß er sich nach Rom begeben hat, um sich von der Schuld absolvieren zu lassen, daß er hier im Kloster gewesen; so hieß es hier innen.«

Auf die Frage, ob nie eine Laienschwester, namens Katharina de' Cassini oder auch anders zubenannt, von der Ortschaft Meda, im Kloster gewesen sei, gab sie zur Antwort: »Sie ist dagewesen. Ihren gegenwärtigen Aufenthalt weiß ich aber nicht: man glaubt, sie habe sich flüchtig gemacht.«

Gefragt, warum genannte Katharina nicht Profeß abgelegt habe, meinte sie: »Weil sie nicht tauglich war; man war im Zweifel, ob man sie aus dem Kloster wegschicken sollte; ja, man hatte sich sogar darüber beraten, sie fortzuschicken, und zu diesem Behufe erwartete man Monsigneur Barca.«

Weiter sagte sie: »Genannte Katharina bediente die Schwester Virginia; zur selben Zeit war Bianca Homata Priorin. Katharina wurde von den Nonnen entfernt und in einen Ort geschlossen, wo man das Weißzeug wäscht. Dieser Ort stößt an die Hauptstraße, und ich glaube, sie ist drei oder vier Tage dort gewesen. Am Morgen des Tages, an dem Monsignor Barca in unser Kloster kam, bemerkte ich, daß genannte Katharina entflohen war, indem sie die Tür aufriß, wo sie eingesperrt war, und hatte dann ein Stück Mauer eingebrochen, durch deren Öffnung sie hinauskam. Sie wurde dort eingesperrt wegen ihrer Antworten, auch deshalb, weil sie gewisse Worte gesagt hatte.«

Auf die Frage, welche Klosterfrauen Katharina an diesen Ort geführt hätten, gab sie zur Antwort: »Ich glaube, sie ist von vielen Nonnen hingeführt worden; denn sie wollte freiwillig nicht gehen; besser wissen dies die damalige Frau Mutter und die Vikarin, welche Schwester Virginia war.«

Man wollte ferner wissen, ob Katharina an jenem Ort irgendein Werkzeug zurückgelassen habe, mit dessen Hilfe die Türe hätte eingebrochen werden können, darüber gab sie folgende Auskunft: »Man sagte, es sei dort etwas vorgefunden worden, womit Katharina die Tür eingebrochen habe; an den Gegenstand erinnere ich mich aber nicht.«

Weiter teilte sie mit: »Wir haben nie wieder Nachrichten von Katharina erhalten. Ich kann nicht sagen, ob sie mit jemand in Monza freundschaftlich verkehrt habe; nach dem Gerede im Kloster zu schließen, war sie mitwissend in den Dingen, die zwischen Osio und Schwester Virginia vorgingen. Sie habe darüber auch Worte fallen lassen, hieß es, und deshalb sei genannte Katharina von Osio aus jenem Orte weggeschafft worden; was später mit ihr geschah, weiß man nicht.«

Man fragte, ob es wahr sei, daß Osio ins Kloster eingedrungen sei, von welcher Seite und mit wessen Hilfe das geschehen sei, darauf antwortete sie: »Ich glaube, er ist hereingekommen, ob durch die Türe oder über die Mauern, weiß man nicht; ich kann mir nicht erklären, wie er durch die Türe hereinkommen konnte; denn den Schlüssel dazu habe ich; ein anderer befindet sich in Ihren (der Untersuchenden) Händen. Wenn er über die Mauer hereingekommen sein sollte, so zweifelt man, ob es die Seite war, wo das Tor für die Wagen ist. Im Kloster befinden sich aber zwei Handleitern, die eine sei in der Holzlege versperrt, die andere ist bald da, bald dort im Hause. Die Leiter, die im Hause ist, ist ganz klein und zu dem Behufe ungeeignet. Es scheint, man hat abends im Kloster eine Leiter gesehen und man hat sie so gestellt, als ob man jemand von der Decke eines Zimmers herunterlassen wollte; man sagte, sie sei im Zimmer der Schwester Benedicta gesehen worden. Man war darüber verwundert, besagte Leiter an diesem Orte zu sehen. Als ich hierauf aufmerksam gemacht worden war, ging ich wie von ungefähr in das Zimmer der Schwester Virginia; aber ich nahm mich besonders in acht; denn ich befürchtete, Schwester Virginia werde schreien, wenn sie Worte des Verdachtes höre. In der Tat machte sie mir viele mündliche Drohungen.«

Auf die Frage um ihr Alter sagte sie: »Ich bin 45 Jahre alt.«

Nachdem sie dies gesagt hatte und da es schon spät an der Zeit war, entfernte sich die genannte Klosterfrau unter dem Befehle der Beobachtung strengsten Stillschweigens bei Strafe der Exkommunikation.

Dieses Verhör wurde von uns vollständig aufgeführt. Dieses Muster möge genügen. Wir werden in den folgenden Zitaten gedrängter zu Werke gehen.

Am folgenden Tage, dem 28. November 1607, wurden Domenico de Ferrari und Elisabeth Sarra, sein Weib, verhört, die bei den Klosterfrauen von St. Margarita in der Eigenschaft von Klostermaiern in Dienst gestanden und wenige Wochen vorher entlassen worden waren.

Domenico erklärte, er sei schon vom Senator Truffi über die Ermordung Raineris befragt worden und habe folgendes geantwortet: »Ich habe sagen hören, Herr Johann Paul Osio habe ihn getötet, in jener Untersuchung sagte ich: Als ich im Auftrage der Schwester Octavia, der Organistin des Klosters, gegen die Apotheke hin meinem Weibe entgegenging, das dorthin geschickt worden war, um für die Schwester Virginia eine Arznei zu holen, blieb ich bei dem Steine von St. Maurilio stehen, denn es war Nacht; ein Bedienter Osios, den man Rosso nennt, ging mit einem Schießgewehr auf der Schulter hinter mir vorbei, ich erkannte ihn am Gang und auch wegen des Lichtes von der Lunte, die stark verkohlt war und hell leuchtete. Er ging in der Richtung nach dem Hause des Osio und kurz vorher war auf Raineri geschossen worden ... Am Abend selbst, als ich im Begriffe war, zu Bette zu gehen, hörte ich die Glocke von St. Johann zum Versehen läuten. Da ich das heilige Sakrament zu begleiten pflegte, ging ich nach St. Johann und sah dort, daß sie es in das Haus des Raineri trugen, nun wußte ich, daß der Schuß ihm gegolten hatte.«

Auf die Frage, was für Gespräche er am folgenden Tage mit den Klosterfrauen auf die Geschichte mit Raineri geführt, antwortete er, daß die meisten geweint hätten, daß Schwester Virginia ihm ihr Mißfallen kundgab, weil er Osio bei dieser Ermordung nannte, daß sie sogar, darüber erzürnt, ihn mit seinem Weibe ohne weiteres aus dem Klosterdienste habe jagen lassen.

Zum Verhör gerufen, erklärte Elisabeth, sie wiederhole: »Als ich in die Apotheke Raineris um eine Arznei gegangen war und nachts im Dunkel nach Hause zurückkehrte (es war ungefähr 2 Uhr), da hörte ich ein Geräusch, als wäre von einem Burschen ein kleines Gewehr losgefeuert worden – denn der Knall war nicht stark –, während ich gegen das Haus zu ging, und im gleichen Augenblicke sagte ich: Jesus, was ist das? – Als ich bei der Ecke stand und gegen das Kloster abschwenkte, hörte ich hinter mir laufen, und es ging nahe an mir jemand vorbei, der den Mantel unter den Arm genommen hatte und an meinen rechten Arm anstieß, dergestalt, daß er, hätte ich die Arzneiflasche in der Rechten gehabt, sie mir weggeworfen haben würde. Und dieser Gewisse, den ich nicht erkannte, lief abwärts gegen Porta Lecco. Wie ich im Kloster war, sagte ich der Pförtnerin Schwester Dionysia, der ich die Arznei einhändigte, daß ich um diese Zeit nicht mehr in die Stadt gehen würde.«

Den 28. November 1607. Franziska Imbersaga, Nonne und Vikarin des besagten Klosters, zur Zeugenschaft gerufen, beeidigt und verhört.

Gefragt, ob sie die Ursache der gegenwärtigen Untersuchung wisse, oder zu wissen glaube, antwortete sie: »Ich kann mir keine andere vorstellen, als die Unordnung, die durch Schwester Virginia Maria de Leyva in diesem Kloster angerichtet wurde.«

Auf die Frage, was daran sei, gab sie zur Antwort: »Die Sache verhält sich, wie folgt; – vor ungefähr acht Jahren, als ich Priorin dieses Klosters war, dessen Vikarin ich gegenwärtig bin, wurde ich durch Personen außerhalb des Hauses, ich erinnere mich nicht mehr, wer sie waren, darauf aufmerksam gemacht, daß einige Klosterfrauen Liebeleien mit Johann Paul Osio trieben, der sich in einen seiner Gärten zurückgezogen hatte, welcher an unser Kloster angrenzt, und daß die Nonnen an einem Zimmerfensterchen gestanden, das in diesen Garten geht. Zuerst hatte Osio eine Liebschaft mit einer Lehrtochter namens Isabella degli Ortensii von Monza, die, in den Hühnerhof des Klosters gehend, sich von Osio sehen ließ, der einen Baum bestieg und von oben ihr Früchte zuwarf. Dies wurde Schwester Virginia gewahr und fing nun vom Fenster eines Zimmers herab Tändeleien mit Osio an. In diesem Zimmer, das auf den Garten Osios ging, wohnte Schwester Candida. Über Obiges benachrichtigt, ging ich einmal nach dem Mittagessen in das Zimmer jener Klosterfrau, um nachzusehen; da fand ich, daß darin Schwester Candida und Virginia eingeschlossen waren. Mir kam daher der Gedanke, zu entdecken, was da vorging; mithin begab ich mich auf den Kornboden. Von da aus sah ich, daß Osio, den ich gut kannte, in dem Garten war und gegen jenes Fenster hinaufschaute. Er hatte gerade damals sich zurückgezogen, wegen des Mordes, den er an Josef Molteno verübt hatte. Als ich dies gesehen hatte, kehrte ich zu genannten Klosterfrauen zurück und sagte ihnen, es gezieme sich nicht, an diesen Fenstern zu stehen, und befahl ihnen beim heiligen Gehorsam, daß sie sich nicht mehr dahin begeben sollten, indem ich ihnen zugleich bemerkte, dies könnte dem ganzen Kloster Unehre bringen, und sie sollten auf den guten Ruf ihres Hauses bedacht sein. Sie aber taten, als wäre nichts Wahres an der Sache. Ich wartete auf einen Tag, wo alle im Chor waren, und da das Zimmer der Schwester Candida offen war, ging ich in dasselbe hinein und sah, daß, wenn man einen Schemel unter die Füße stellte, was ich wirklich tat, man mit den Personen im Garten sprechen und sich auch gegenseitig sehen konnte; daher ließ ich es vermauern. Vier oder fünf Monate später machte man mich darauf aufmerksam, daß Schwester Virginia an ein Fenster des Backhauses dieses Klosters gehe, das auf einer anderen Seite auf den Garten Osios hinauslief. Ich traf sie da an, wie sie hinunterschaute, und schalt sie deshalb tüchtig aus; sie aber behauptete immer, es sei nicht wahr. Weil sich aber ein gewisser Josef Pesen zum Vermittler ihres wechselseitigen Verkehrs hergab, verabschiedete ich ihn, damit er nie mehr ins Kloster käme. Als dies Schwester Virginia vernahm, stieß sie viele Scheltworte gegen mich aus und schrie so heftig, daß die Klosterfrauen, die zugegen waren, davonliefen und mich allein zurückließen. Darauf wurde sie krank und blieb beständig im Bett, ließ sich vom Arzt besuchen und sagte, dies rühre vom Gift her, das ich ihr habe geben lassen. Dermaßen verhielt sie sich eine Zeit lang, bis die Zeit erschien, wo ich aufhörte, Priorin zu sein; sie ließ mich vom Priorate und andern Ämtern absetzen. An meine Stelle trat die Schwester Beatrix, und die Schwester Virginia selbst wurde Vikarin. Diese beiden vertrugen sich stets aufs beste.

»Zwei Jahre später, als die genannte Priorin gestorben und ich Pförtnerin geworden war, fand ich des Nachts mehrere Male den Riegel an der großen Kirchentüre nicht vorgeschoben; es stieg mir daher der Verdacht auf, Osio komme dort herein und von dort ins Kloster. In einer Nacht geschah es, daß ich aus Furcht ob des erwähnten Gerüchtes (einige Lehrtöchter hatten es der Schwester Virginia gemeldet, die ihnen die Augen hatte herausreißen wollen) die Laienschwester bei mir schlafen hieß. Als diese nun in den andern Klöstern zur Matutin läuten hörte, stand sie auf und lief barfuß der Kirche zu, um für uns gleichfalls zu läuten. Mitten auf der Stiege angelangt, sah sie, daß die Lampe, die von innerhalb angezündet ward, auf einmal erlosch. Eine der Genossinnen Virginias, die herauskam, sagte der Schwester Victoria, sie solle gehen und die Lampe anzünden; diese aber antwortete, wer sie ausgelöscht habe, möge sie anzünden. Dies meldete mir die Schwester Victoria, und wir dachten, die Schwester Virginia sei in der Kirche und um nicht gesehen zu werden, weil das etwas Außergewöhnliches von ihr war, habe sie die Lampe ausgelöscht, damit sie sich zurückziehen könne, und auch Osio müsse zugegen gewesen sein; oder sie hatten ihn hinausbegleitet und die Lampe ausgelöscht, damit die Kirchentüre nicht offen gesehen werde. Später an einem Abend, ungefähr um die vierte Stunde der Nacht, als Schwester Paula Antonia Aliprandi aus ihrem Zimmer ging, sah sie drei Klosterfrauen unterhalb des Klosters, von der Seite gegen das Tor hin, herkommen. Beherzt, wie sie war, entschloß sie sich, zu erkunden, wer sie seien, und ging ihnen entgegen. Weder sie noch die andern hatten Licht. Als sie nahe bei einander waren, rief die Schwester Paula – wer ist da? – Unter diesen drei Nonnen hatte eine eine Bedeckung auf dem Kopf, die ihr ganzes Gesicht barg. Diese zog sich in einen Winkel beim Tore zurück; die Schwester Paula trat aber nahe zu ihr hin, um zu sehen, wer sie sei. Die Schwester Benedicta, eine von den dreien, nahm sie jedoch beim Arme und zog sie weg, mit den Worten – es ist die Schwester Johanna. – Allein, als Schwester Paula in die Kirche ging, traf sie da die Schwester Johanna; daher drängte sich ihr der Gedanke auf, den sie mir mitteilte, daß nämlich die Person in den Nonnenkleidern mit der Kopfbedeckung, die sich nicht zu erkennen geben wollte, Osio gewesen sei. Ein stärkerer Verdacht aber, daß Osio ins Kloster komme und darin sich aufhalte, ergab sich, als in der Nacht der Vigil vor dem letzten Allerheiligenfeste die Schwester Dorothea krank lag und viele Klosterfrauen wach blieben, um ihr Gesellschaft zu leisten, unter ihnen auch Candida, Benedicta und Octavia. Letztere ging ungefähr um die dritte Stunde der Nacht, wie mir die Schwester Lucia sagte, die auch dabei war, dreimal aus jenem Zimmer und blieb eine Zeit lang weg, kehrte dann wieder zurück und fing mit Candida und Benedicta heimlich zu sprechen an. Man hält für gewiß, daß Osio jene Nacht ins Kloster gekommen und dort geblieben sei, was sich durch die Dinge bestätigt, die nachher eintrafen. Am Tage Allerheiligen nämlich begaben sich die Schwestern Virginia und Octavia, unter dem Vorwand von Unpäßlichkeit, nicht allein zur Ruhe; ja, noch mehr, Schwester Virginia schlief acht Tage hindurch in dem Zimmer der Schwester Octavia. Die Schwestern Silvia, Candida und Benedicta gingen immer hin und her und schlossen schnell die Türe, sowohl, wenn sie in genanntes Zimmer ein-, als wenn sie aus demselben heraustraten. Dies wurde von den Schwestern Stephanie Marina und Rorane bemerkt. Diese sagten auch aus: als die genannten drei Klosterfrauen eines Morgens miteinander aus dem besagten Zimmer herausgetreten seien, um zur Messe zu gehen, hätten sie die Türe sich schließen sehen, als hätte jemand dahinter gestanden, der sie zugestoßen, und dächten, es sei Osio gewesen. Ferner ließ sich die Schwester Virginia in dieser ganzen Zeit gegen ihre Gewohnheit sehr selten sehen, während sie sonst immer im Kloster herum war. Überdies wurden während dieser ganzen Zeit, die Osio mutmaßlich im Kloster zubrachte, von den Schwestern Octavia, Silvia und Benedicta mehr Speisen zubereitet als gewöhnlich, und fortwährend trug man das Essen bald dieser, bald jener in das Zimmer, wo sich Osio eben aufhielt; denn er mußte auf ihr Geheiß den Ort öfter wechseln. Während er da war, kam eine Frau von außen, die der Pförtnerin Schwester Dionysia erzählte, daß man Osio überall gesucht, aber nirgends ihn habe finden können. Dionysia selbst, der Schwester Octavia begegnend, bemerkte, um ihr Furcht einzujagen, es seien Leute zur Türe gekommen, die gesagt hätten, daß die Obern Knechte und Büttel schicken wollten, um Durchsuchung im Gebäude zu halten und Osio darin aufzuspüren. Bei diesen Worten errötete Schwester Octavia und lief zur Schwester Virginia, die nachher die Schwester Dionysia herbeiholte und ihr die beiden Zimmerchen und ihre Zelle zeigte, auch die Kästen öffnete, damit sie sehe, daß niemand da sei. Allein die Schwester Octavia hatte, wie mir von der Schwester Johanna gesagt wurde, das Leiterchen zur Orgel in ihrem Zimmer und mit Hilfe desselben konnte sie den Osio durch den Schornstein entkommen lassen. Als Osio in Pavia gefangen saß, glaubten wir im Paradies zu sein, denn der Lärm war verstummt, den man sonst gehört hatte und der wieder auftauchte, nachdem er aus dem Kastell herausgekommen war. Jene Gefangenschaft hatte der Schwester Virginia mißfallen. Sie sagte in Gegenwart des Kardinals, daß es sich, da Osio gefangen sei, um ihre Ehre handle, und sie selbst überreichte dem Grafen Fuentes eine Denkschrift und ließ uns dieselbe unterzeichnen, worin bezeugt war, daß nichts Übles an der Sache sei.«

Auf dieses Verhör der Vikarin folgten andere von verschiedenen Klosterfrauen. Am Donnerstag, dem 29. November fanden deren viele statt: Sie hatten die Ermordung Raineris, das Verschwinden Katharinas, Untersuchungen über das junge Mädchen, das man für die Tochter Virginias hielt, und über den brieflichen Verkehr, in dem sie mit Osio stand, als er nach Rom gegangen war, zum Gegenstande. Wir wollen bloß folgende kurze Stellen hiehersetzen.

Schwester Blanca, befragt, ob Virginia irgendein Amt im Kloster verwaltet habe, bevor sie Vikarin geworden sei, antwortete: »Sie war Sakristanin und Aufseherin über die weltlichen Ziehtöchter (putte), deren damals mehrere im Kloster waren.«

Befragt, worin das Amt der Vikarin bestehe, antwortete sie: »Der Priorin in den Dingen zu helfen, die das Kloster notwendig hat, und in den Sprechzimmern zu assistieren; allein sie half mir wenig, denn sie war fast immer krank und bettlägerig.«

Auf die Frage, ob sie je Pförtnerin des Klosters gewesen sei, antwortete sie: »Ich bin es seit St. Martha des verflossenen Jahres und bin es noch fortwährend.«

Befragt, ob sie wisse, daß die Schwester Virginia jemandes Hemdkrägen rein wasche und bügle, antwortete sie: »Ich habe manchmal gesehen, daß sie solche herrichtet, und sie sagte, sie gehörten ihren Brüdern.«

Auf die Frage, mit welchen Klosterfrauen Schwester Virginia sich am häufigsten zu unterhalten pflegte, und welche ihre Freundinnen seien, antwortete sie: »Wir sind ihr alle gewogen, besonders aber die Schwestern Benedicta, Octavia, Silvia und Candida, obschon wir sie, wie gesagt, alle lieben; denn sie ist eine so gute junge Person.«

Die Schwester Constantia Panzolina legte unter vielen andern auch folgendes Geständnis, das nun freilich mit dem eben gehörten Urteil weniger übereinstimmt, ab: Da sie bemerkt habe, daß der Riegel am Haupttore des Nachts nicht vorgeschoben wurde, habe sie ein Schloß mit einem Schlüssel daran machen lassen, ohne jemand davon etwas zu sagen. »Als die Schwestern Virginia und Octavia dies wahrnahmen, fingen sie an, im Zimmer der Mutter, zu der ich mich begeben, um ihr die Sache anzuzeigen, mich mit Schimpfwörtern zu überhäufen. Wenn die Schwester Virginia nicht abgehalten worden wäre, so war sie willens, mich die Treppe hinunterzuwerfen, und als ich mich wegbegeben wollte, versetzte sie mir Faustschläge ins Gesicht, daß ich darüber sterben zu müssen glaubte. Ich saß immer in einem Winkel, ohne ein Wort zu sagen. Die Schwester Virginia sagte mir, sie wolle einen meiner Brüder ermorden, außer Landes jagen, zugrunde richten lassen.«

Dies alles sind nur Vorspiele, allein in der Tat ganz dazu angetan, uns ahnen zu lassen, welch' ein Ungewitter im Anzuge sei und mit wem wir es zu tun haben. Der Blitz zuckt und eine schaudererregende Szene geht unversehens an unseren Augen vorüber.

Das Nähere ergibt sich aus folgendem Protokoll.

1607, Freitag, den 30. November am frühen Morgen. Während der Erlauchte und Hochwürdige Herr Vikar und ich Unterfertigter, die wir im Hause des Erzpriesters (Pfarrers) in Monza wohnten, uns vom Bett erhoben, kam der Hochwürdige Herr Erzpriester Settala eilig zu uns und zeigte uns ein Billett vor, das ihm vom Guardian delle Grazie geschrieben worden war, und das ich aufbewahrte und den Akten einverleibte. Er sagte: »Während ich im Beichtstuhl saß, wurde mir dieses Billett gegeben.«

An den Herrn Erzpriester.

Euer Gnaden und Hochwürden mögen so schnell als möglich schicken; denn es ist eine Nonne von St. Margarita ganz verwundet angekommen: der Eile halber nichts Weiteres, aber mit guter Hut; denn ich weiß, was ich sage, aber insgeheim zu Euer Gnaden.

Der Guardian delle Grazie.

 

Infolge dieser Mitteilung machten sich der Vikar und der Erzpriester eilig auf den Weg gegen das Kloster St. Maria delle Grazie vor der Stadt, und gaben mir, dem Notar, den Auftrag, schnell zum Kloster St. Margarita zu gehen und nachzufragen, ob in der letzten Nacht dort etwas Neues vorgefallen sei; nachdem ich mich also dorthin hegeben und die Priorin gerufen hatte, gab ich ihr den Auftrag, nachzuschauen, ob ihre Klosterfrauen sämtlich im Kloster seien; als sie den Besuch in allen Zellen und im Kloster gemacht hatte, kehrte sie zurück und sagte:

»Zwei meiner Nonnen fehlen, nämlich die Schwester Octavia Ricci und die Schwester Benedicta Homati.«

So wie ich dies vernommen, kehrte ich eilig wieder zum Kloster delle Grazie und erstattete darüber dem Vikar Bericht. Ich traf ihn in einer Zelle des Gottesackers mit einer Person in Nonnenkleidern, die zerzaust und ganz blutig aussah. Diese Person sagte, sie sei die Schwester Octavia aus dem Kloster St. Margarita. Weil der Pater Guardian äußerte, sie habe erzählt, daß Johann Paul Osio sie zugleich mit der Schwester Benedicta aus dem Kloster geholt habe, so versicherte sie, hierüber gefragt, die Sache verhalte sich ganz genau so; allein sie wisse nicht, was aus ihrer Gefährtin geworden sei; wahrscheinlich sei sie gestorben. Hierauf wurde sie in eine Kutsche, sodann nach der Vorschrift des Herrn Vikars in das Frauenkloster St. Ursula in genannter Stadt und allda in eine von den obern Zellen gebracht, wo die Schwestern ihr die durchnäßten Kleider auszogen und sie, schwer am Kopfe verwundet, wie sie war, ins Bett legten.

Nachdem dies zu Ende war, beschloß der Herr Vikar, genannte Frau zu verhören und verhörte sie wirklich wie folgt:

Über Namen, Zunamen und Stand befragt, antwortete sie:

»Ich heiße Schwester Octavia Ricci; mein Vater heißt Agrippa und mein Geburtsort ist Mailand; ich bin Klosterfrau von St. Benedikt und das Kloster, dem ich hier in Monza einverleibt bin, heißt St. Margarita.«

Gefragt, warum sie diesen Morgen außerhalb dieses Klosters getroffen worden sei.

Antwort: »Als ich gestern ungefähr um 6 Uhr im genannten Kloster war und es mir nicht mehr behagte in meiner Zelle zu bleiben, da ich im Gemüte unruhig war, seitdem jene Klosterfrau weggeführt worden war, ging ich in das Zimmer, wo Schwester Candida und Degnamerita wohnten und zog mich da aus, um mit Schwester Silvia ins Bett zu gehen, die im gleichen Zimmer schlief. Schon hatte ich das Oberkleid ausgezogen und bloß die Pelizza (wahrscheinlich das härene Unterkleid) noch an, selbst die Strümpfe hatte ich ausgezogen und den Schleier mir vom Kopfe genommen, als die Schwester Homati zur Türe kam, mir hinauszukommen winkte und mir draußen sagte: Ich will entfliehen um jeden Preis; ich habe Osio rufen lassen, der mich wegführen soll. – Ich antwortete ihr, sie solle diese Dummheit lassen. Sie erwiderte mir, auch ich solle mit ihr entfliehen, sonst sei die Dummheit auf meiner Seite und ging die Kirchentreppe hinunter. Ich lief ihr nach, um sie zurückzuhalten und fragte sie, wo Osio sei. Sie sagte zu mir: Komm mit mir und du wirst es sehen; er hat schon angefangen, die Mauer zu durchbrechen. Während diese Worte zwischen ihr und mir gewechselt wurden, zog ich meine Strümpfe an, die ich mitgebracht hatte und begab mich in den Garten an die Stelle, wo er angefangen hatte, die Mauer zu durchbrechen auf der Seite des Tores für die Wagen. Als wir dort waren, sagte Schwester Benedicta zu Osio, der draußen war: Wißt Ihr nicht, daß die Schwester Octavia nicht kommen will? Und der Herr Paul antwortete: Laßt sie machen; allein soviel ich als gewiß sagen höre, ist sie auch darein verwickelt. Indessen fuhr die Schwester Benedicta fort, das Loch zu erweitern, indem sie Ziegelsteine weghob; auf der äußeren Seite half ihr Osio. Beide setzten ihre schreckenden Drohungen fort, so daß sie mich dadurch zur Flucht trieben, zumal Osio zu mir sagte: Wenn ich Nonne bleiben wolle, so würde er mich des Zutrauens wegen, das ich ihm schenkte, in ein Kloster nach Bergamo bringen. Nachdem ich diesen Entschluß gefaßt, begab ich mich in meine Zelle, zog mich vollends an, und zum Loche zurückgekehrt, kroch ich mit der Schwester Benedicta hinaus. Ein Stück weit sind wir auf der inneren Seite den Mauern entlang gegangen, bis wir an einen Ort kamen, wo die Mauer zerbrochen war, welcher Ort Carabiolo heißt, wie Johann Paul Osio sagte. Von da ließen wir uns herab und gingen dann vorwärts über eine Straße, die der Lambro stellenweise berührt. Wir begaben uns zur Kirche der Madonna delle Grazie. Da überredete ich sie, niederzuknien und die Madonna um die Gnade zu bitten, daß sie uns geleite. So machten wir es unter dem großen Tore der Kirche und beteten siebenmal das Salve Regina, zogen dann weiter auf einer Straße hinter dem Lambro. Hierauf sind wir an einen Ort gekommen, von welchem drei Wege ausgehen. Ich fragte Osio, wohin diese Wege führten. Er erwiderte, einer führe gegen La Santa, der andere nach Vela. Ich entgegnete ihm, daß ich nicht über öffentliche Straßen gehen wolle. Er führte uns daher auf der dritten. Wir kamen neuerdings zum Lambro. Ich bin hinabgestürzt und das Wasser riß mich fort bis zur Schleuse, wo der Fluß von einer Mühle in zwei Arme getrennt wird. Ich kann sagen, daß mich die Madonna wunderbar an den Ort gebracht, wo ich sitzend mich wiederfand, obschon das Wasser über mich gegangen war. Während ich fortgeschwemmt wurde, kam ich doch einmal ans Ufer. Sie sagten mir, ich solle heraussteigen, sie wollten mir helfen, allein der Fluß riß mich weiter fort.«

Gefragt, wie sie so viele Wunden am Kopfe und an der rechten Hand bekommen habe, antwortete sie:

»Die Wunden am Kopfe wurden mir von Osio mittels der Flinte geschlagen. Als ich unterwegs mit Schwester Benedicta Händel bekommen, bin ich in den Lambro gefallen, und als ich mich dem Ufer wieder näherte, haben mir Osio und die Schwester Benedicta die Hände gereicht, indem sie sagten: Sputet euch, es kommen Leute! Osio fing an, mir Schläge zu versetzen und ich schrie: Heilige Maria von Loreto, hilf mir! Er überhäufte mich mit Vorwürfen, weil ich schrie – so glaub' ich wenigstens – und schlug mich, ich weiß nicht wieviel mal auf den Kopf. Ich sagte zu ihm: Die Madonna wird dich strafen, weshalb ich befürchtete, er werde sein Gewehr auf mich losdrücken, als ich ihn dasselbe unter dem Mantel hervorziehen sah. Allein er prügelte mich bloß, wie ich gesagt habe, und da ich mit der Hand abwehren wollte, hat er mir sie ganz gebrochen. Während Osio auf mich zuschlug, zog sich die Schwester Benedicta ein wenig zurück, indem sie sagte: Laßt das bleiben! Ich denke, sie hat sich aus Furcht entfernt oder weil sie Leute kommen sah. Als Osio merkte, daß ich schwieg, glaubte er vielleicht, ich sei tot. Aber ich schwieg, damit er mich nicht mehr mißhandle. Weiter sah ich weder ihn noch sie, denn das Wasser riß mich wieder fort. Und so bin ich mit Hilfe der seligsten Jungfrau, die ich bat, mich in dieser Sünde nicht sterben zu lassen, sondern mir Zeit zur Beichte zu geben, schwimmend bis an den Ort gelangt, wo man mich gefunden hat. Da habe ich wohl geschrien: Helft mir! Allein sie hörten mich nicht oder wollten mich nicht hören. Darum blieb ich drei Stunden lang liegen bis zum Morgen, als ein Bauer kam, der in jenen Häusern wohnhaft ist. Ich gab mich ihm als Klosterfrau von St. Margarita zu erkennen und hat ihn, mich bis zur Nacht zu behalten. Allein weder er noch die Seinigen wollten sich dazu verstehen. Sie jagten mich von dannen und gaben mir bloß einen Stock, auf den ich mich stützen konnte. Ich schleppte mich bis zur Kirche delle Grazie, wo ich blieb, bis Euer Gnaden mit der Kutsche kamen, um mich hieher führen zu lassen.«

Über ihr Alter befragt, antwortete sie: »Ich bin 35 Jahre alt.«

Man hörte mit der Untersuchung ein wenig auf und ließ Octavia ausruhen.

(Es folgen nun im Manuskript Berichte, und zwar vorerst die Beschreibung des Zustandes, in welchem im Kloster zu St. Margarita die Zellen der Entflohenen und die Mauerlücke gefunden worden waren, dann einige Vernehmungen von Bauern, welche die Schwester Octavia am Ufer liegen gesehen und dort den Kolben von Osios Flinte gefunden hatten, der bei der Wut des Daraufschlagens abgesprungen war. Dann fährt der Notar im Protokoll fort.)

Hierauf ging der genannte Herr Vikar mit mir nach Santa Maria delle Grazie, um dort die Brüder zu verhören, welche die mitgenommene Klosterfrau gesprochen hatten, als ein Eilbote ankam und meldete: »Der Herr Erzpriester sagt, Euer Gnaden sollten schnell zu den Ursulinerinnen gehen, denn die Schwester Octavia sei im Sterben.« Der Herr Vikar begab sich und ich mit ihm zu genanntem Kloster. Als wir da die Schwester Octavia in einem Zustande antrafen, der ein Verhör zuließ, wurde das früher begonnene wieder aufgenommen.

(Dieses Verhör bewegt sich um uns bekannte Tatsachen. Folgende zwei Stücke aus demselben sind zu bemerken.)

Gefragt, was für Gespräche sie auf dem Wege mit Osio geführt, antwortete sie: »Osio fragte uns, was Neues Euer Gnaden im Kloster zu schaffen haben. Wir antworteten: Wir wüßten nichts anderes, als daß sie die Klosterfrauen ausfragten. Nachher sprachen wir von dem Ort, wohin er uns führen wolle. Er antwortete: Nach Vedano, wo ich etwas zu tun habe. Wir sagten ihm, das sei zu nahe. Er stand still und sagte: Laßt mich nachdenken. Diese Gespräche fanden statt, nachdem wir alle Grazie gebetet hatten.«

Gefragt, warum Osio sie verwundet habe, antwortete sie darauf: »Ich glaube, er fürchtete sich, als er sah, daß ich aus dem Fluß nicht herauskommen konnte, ich würde aussagen, daß er uns aus dem Kloster geholt.«

Hierauf setzte der Vikar das Verhör nicht mehr fort, um die Leidende nicht zu sehr zu belästigen.

Unter dem Datum vom 2. Dezember 1607 finden sich einige Aussagen von geringer Bedeutung von Seiten der Klosterbediensteten und eines Stallknechtes des Osio.

Der Stallknecht gab in bezug seiner Beschäftigung folgende Antwort:

»Ich kenne den Herrn Johann Paul seit vier Jahren und von da an nach einem Jahre kam ich zu ihm und habe bei ihm ungefähr seit zwei Jahren gedient. Ich verließ seinen Dienst, nicht lange bevor er in Pavia eingesperrt wurde. Ich mußte ihm seine zwei Pferde besorgen; er hatte ein starkes, genannt Chiappino und eine kleine Stute. Ich mußte nach Mailand gehen und wieder zurück, während er sich dort im Hause des Herrn Grafen Ludwig Paverna aufhielt, der beständig dort wohnte.«

Hier erlauben wir uns, um mit der Schwester Octavia zu schließen, einen kleinen Sprung in bezug auf die Reihenfolge der Tage und der Aussagen.

Den 17. Dezember. Geständnisse der sterbenden Schwester Octavia: »Wenn ich zuerst manches leugnete, so wissen Euer Gnaden, daß es aus keinem anderen Grunde geschah, als um mich selbst nicht zu verraten und auch dasjenige nicht, was die Schwester Virginia begangen, für welche ich das Leben hingegeben hätte, wie ich es jetzt hingebe, da ich ja deshalb auf dem Sterbebette liege. Das ist's auch, was mich bewogen, mein Gewissen zu erleichtern, sonst hätte ich mir lieber das Blut abzapfen lassen, ehe ich die Dinge offenbart hätte, die ich nun offenbart habe.«

Gefragt, ob sie sich der früher gemachten Geständnisse erinnere, antwortete sie:

»Ich habe die Sachen, die ich gesagt habe, nicht gut im Gedächtnis wegen der Schwere meiner Krankheit.«

Auf Anfrage und nach ihrem Wunsch wurden ihr ihre früheren Geständnisse vorgelesen, wie sie in den Akten enthalten sind, hierauf antwortete sie:

»Ich habe vernommen, was mir vorgelesen wurde und es ist das nämliche, das ich eingestanden habe, obschon ich anfangs die Lüge in bezug meines Sturzes in den Lambro sagte. Denn Osio war es, der mich hineingeworfen hat, das übrige ist alles wahr.«

Gefragt, ob sie bereit wäre, alles zu behaupten und zu bestätigen, wenn sie es auf der Folter sagen müßte, insofern sie imstande wäre, dieselbe auszuhalten, antwortete sie:

»Ja, wenn ich imstande wäre, Folterqualen zu erdulden, so würde ich die Aussagen, die ich gemacht, auch auf der Folter bestätigen. In den Dingen, die die Genannten beschweren, habe ich die Wahrheit dargelegt, um mein Gewissen zu erleichtern, da ich dem Tode nahe bin.«

Hierauf folgt unter dem Datum des 26. Dezember 1607 der Totenschein der Schwester Octavia durch den Notar P. Josef Franscino ausgefertigt, laut dessen sie im Kloster St. Ursula in derselben Stadt infolge der erhaltenen Wunden gestorben.

Wieder ein Akt der blutigen Tragödie ist vorüber, aber immer dichter drängen sich die schwarzen Enthüllungen.

Der Notar fährt fort:

Während ich das Obige niederschrieb, kam ein Bote zu dem Herrn Vikar und sagte:

»Der Herr Erzpriester läßt Euer Gnaden melden, er habe die Nachricht erhalten, die Schwester Benedicta sei in einem Brunnen zu Velate gefunden worden; er konnte nichts erfahren. Es wird gut sein, daß Euer Gnaden alsogleich mit dem Notar und mit Knechten hingehen, sie zu sehen und von der Stelle zu schaffen.«

Als der genannte Herr dies gehört hatte, unterbrach er sogleich das Verhör, begab sich in das Haus des Erzpriesters, stieg dann mit mir in die Kutsche und machte sich, von berittenen Häschern (Sbirren) begleitet, nach Velate auf. Dort ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht angelangt, fand er in einem Zimmer des Herrn Alberici zu ebener Erde eine Frauensperson im Bette liegen. Sie hatte den Kopf nach Art der Klosterfrauen mit Tüchern verbunden und seufzte und jammerte heftig. Er fragte sie um Namen, Zunamen und Stand und sie antwortete: »Ich bin die Schwester Benedicta Omati, Nonne vom Kloster St. Margarita in Monza.«

Als der Herr Vikar dies vernommen, hieß er sie aufstehen und sich ankleiden, um sie nach Monza zu bringen. Sie stand auf, kleidete sich mit Hilfe zweier Frauen an, weil sie vor Schmerz es nicht allein zu tun vermochte. Indessen nahm der Herr Vikar einige Männer aus dieser Ortschaft ins Verhör wie folgt:

Sonntag, den 2. Dezember 1607.

Im Haus des Herrn Alberich degli Alberici in Verlate in Gegenwart des usw.

Derselbe Herr Alberich als Zeuge zur Vernehmung gefragt, wie es komme, daß diese Frauensperson in seinem Hause und in diesem Bette sei, seit wann sie da sich befinde und ob er sie kenne, antwortete: »Ich kenne diese Frau nicht, ich habe sie in mein Haus tragen lassen bei dem Anlaß, den ich nun erzählen werde: Als wir sämtliche Männer der Gemeinde in unserer Kirche waren und die Messe hörten, haben wir mehrmals eine Stimme laut rufen hören: Helft mir, ich bin in diesem Brunnen! Wir waren über diesen Ruf erstaunt und liefen dem Brunnen zu, der einige Dutzend Schritte von der Kirche entfernt ist. In demselben sahen wir diese Arme, die von den Männern des Dorfes in Gegenwart vieler mittels eines Seiles und mit Hilfe eines Mannes, der hinabstieg, heraufgezogen wurde. Da sie niemand anders wollte, ließ ich sie in mein Haus tragen, ins Bett legen und laben. Sie hat gesagt, sie habe den ganzen Tag vorher und die Nacht im Brunnen gesteckt; sonst weiß sie nichts zu sagen.«

Nachher wurde genannte Schwester Benedicta um die dritte Stunde der Nacht mit dem Herrn Vikar, dem Erzpriester und mir in die Kutsche gebracht und ins Kloster St. Ursula in Monza gefahren, dort sodann von den Klosterfrauen ausgezogen und in einem der oberen Zimmer zu Bette gelegt. Weil sie sagte, sie fühle großen Schmerz auf der linken Seite wegen des Sturzes in den Brunnen, wurde Herr Ambrosio Vimercati, der Chirurg, gerufen, damit er sie untersuche, was er um die achte Stunde der Nacht tat.

Montag, den 3. Dezember 1607.

In Gegenwart usw.

Genannte Schwester ins Verhör gezogen, und zwar wegen ihrer selbst und als Zeuge anderen gegenüber, nachdem sie beeidigt und gefragt worden, wie sie dahin gekommen, antwortete:

»Da zwischen Johann Paul Osio und der Schwester Virginia Maria von Leyva, Nonne im Kloster St. Margarita, ein vertrautes Verhältnis stattfand, schickte genannter Osio letzten Donnerstag nach dem Mittagessen einen Mann zu mir, der wie ein Meier gekleidet war, den ich aber nicht kannte, damit er mit mir spreche. Und er sagte zu mir, da ich an der Pforte war, Osio verlange zu wissen, ob die Schwester Virginia aus dem Kloster weggeführt worden sei. Dies schrieb er mir eigenhändig auf einem Zettel und ich schrieb ihm auf einem anderen Zettel zurück, daß die Schwester Virginia nach Mailand gebracht worden sei, und daß ich, da ich die Dinge geschehen sehe, die geschähen, mich von diesem Kloster zu entfernen und in ein anderes zu begeben wünsche. Er solle mir helfen und solle nach drei oder vier Stunden zur Gartenmauer kommen, wo ich mit ihm über das Entkommen sprechen würde.«

Hier folgt ungefähr dieselbe Erzählung, wie sie von der Schwester Octavia angeführt wurde, und zwar bis auf den Punkt des Salve Regina, das auf den Knien vor der Türe der Madonna delle Grazie hergesagt worden war. Dann fährt sie fort:

»Nachher kehrten wir auf derselben Straße zurück, indem wir die Brücke über den Lambro passierten, die sich unweit der genannten Kirche befindet. Als wir in geringer Entfernung von derselben waren, warf Osio hinter dem Fluß, wo eine Hecke war, die Schwester Octavia, die mitten zwischen uns ging, ins Wasser, und ich hörte sie sagen: Ach, ist das eine Art? Ich lief hinzu, um ihr die Hand zu bieten und zu helfen. Aber Osio nahm die Flinte unter dem Mantel hervor und versetzte damit der Schwester Octavia, welche schrie und die Madonna anrief, viele Schläge auf den Kopf. Ich zog mich weiter zurück, aus Furcht, er könnte auch mich schlagen und fing an zu weinen. Nachher ließen wir die Schwester Octavia, die wir für tot hielten, folgten dem Wege längs des Lambro und kamen endlich querüber zu einem einsamen Haus, fünf oder sechs (italienische) Meilen von Monza, das ein großes Tor hat. In dem Zimmer, in das ich gebracht wurde, war ein Kamin mit Holzblöcken, daß man darauf sitzen konnte. Das Haus ist groß und hat einen weiten Hof; wir fanden das Tor desselben offen und sahen niemand. Es gab kein Bett oder sonst etwas, außer dem Angeführten. Da blieb ich den Rest der Nacht hindurch und den ganzen folgenden Tag, der ein Freitag war, immer allein. Den Osio sah ich nur ein einziges Mal, als er mir Brot und Käse und ein Fläschchen Wein brachte. Allein, ich wollte weder essen noch trinken, indem ich fürchtete, es könnte vergiftet sein, weil ich gesehen, was er der Schwester Octavia angetan. Um die vierte Stunde der Nacht kehrte Osio wieder und sagte, wir müßten anderswohin gehen. Nachdem wir drei Meilen weit auf Nebenwegen gegangen waren, kamen wir auf ein Feld, wo ein kleiner Wald ist, innerhalb dessen ich einen Ziehbrunnen sah. Ich warf einen Stein hinab, ohne daß ich ihn in der Tiefe ankommen hörte; er aber kam zu mir heran und gab mir einen Stoß, um mich in den Brunnen zu stürzen. Allein, Gott sei Dank, ich fiel nicht hinein. Ich floh; Osio lief mir nach, faßte mich an einem Arm, schleppte mich zu genanntem Brunnen und stürzte mich hinunter. Im Sturze fiel ich mit der linken Seite auf Steine und verletzte mich dermaßen, daß ich mich in üblem Zustand befinde. Als ich unten lag, fühlte ich, daß ein Stein heruntergeworfen wurde, der mich am rechten Knie traf, wo jetzt eine Quetschung ist. Vom Falle des Steines und vom Geräusche, das er verursachte, schloß ich, er müsse groß gewesen sein, aber ich sah ihn nicht. Ich blieb nun in diesem sehr tiefen Brunnen, der kein Wasser, aber viele Steine und Knochen enthielt, den Rest jener Nacht und den ganzen folgenden Tag hindurch, bis mitten in den gestrigen Morgen hinein, wo ich, um Hilfe schreiend, von den Männern dieses Dorfes gehört wurde, die mich herausholten und in das Haus des Herrn Alberich trugen, wo ich bis zu der Stunde geblieben hin, da Euer Gnaden mit der Kutsche mich abholten. Während ich in das Haus Alberichs getragen wurde, versuchte eine Edelfrau, die nach ihrem schwarzen Anzug zu schließen eine Witwe zu sein schien und alt war, mich zu der Aussage zu überreden, ich habe mich selbst in den Brunnen gestürzt. Ich antwortete ihr, daß ich die Wahrheit sagen wolle. Während ich im Brunnen lag, rief ich nur bei Tage um Hilfe, weil ich fürchtete, bei Nacht könnte Osio kommen und mehr Steine herunterwerfen, um mich zu töten, im Falle er sich überzeugt hätte, daß ich noch am Leben wäre. Deshalb schützte ich den Kopf unter und zwischen großen Steinen, die in der weiten Tiefe hervorragten. Außer den Steinen sind auch Knochen darin, die ich bei Tage deutlich genug unterschied; ja, ich glaubte sogar in einem Loche einen schwarzen Gegenstand zu erblicken, der einem menschlichen Schädel gleich sah.«

Gefragt, ob sie wisse, daß Johann Paul Osio in das Kloster St. Margarita gekommen und wie oft und zu welcher Zeit, antwortete sie: »Er ist, soviel mir bekannt, seit vier oder fünf Jahren mehrere Nächte hereingekommen. Bevor man einen Schlüssel am Riegel des Haupttores der Kirche machen ließ, trat er durch dieses herein, das von irgend jemandem offen gelassen wurde, mögen es auch Auswärtige gewesen sein (ancora chè fossero forestieri). Dies geschah am Abend; einigemal öffnete ich die Kirche, bisweilen auch Schwester Octavia und hie und da Schwester Virginia selbst. Wir ließen Osio mit Hilfe nachgemachter Schlüssel, welche Virginia und Octavia besaßen, ins Kloster herein. Sie führte ihn ins Zimmer der Schwester Virginia, von wo er sich vor Tage entfernte. Ich habe ihn zweimal in der Woche auf diese Weise hereingeführt. Einigemal sagte ich zu Virginia, sie handle nicht recht; dann drohte sie mir und sagte, ich solle meiner Wege gehen und mich darum nicht kümmern. Nachdem der Eingang durch die Kirchentüre verschlossen war, fand sich ein anderer Weg, nämlich ein Loch, das aus dem Garten Osios ins Zimmer der Schwester Octavia hereinging. Seit dem letzten Allerheiligenfeste aber kam Osio durch den Garten nach Übersteigung der Mauer, während der Vigil genannten Festes ins Kloster herein und verweilte da 14 Tage lang teils im Zimmer der Schwester Octavia und teils in dem meinen, das an dasjenige der Schwester Virginia anstößt. Ja, sogar an dem Abend, als diese in der Kutsche weggeführt wurde, befand sich Johann Paul in meinem Zimmer und verbarg sich unter den Leintüchern, die um das Bett herum waren.«

Gefragt, ob Schwester Virginia Kinder hatte, antwortete sie: »Ein Mädchen, das Osio wegtrug und wie ich glaube nach Mailand brachte. Jetzt hat er es in seinem Hause und es heißt Franziska.«

Die ausführliche Erzählung, welche die Schwester Benedicta über das Liebesverhältnis Osios mit der Schwester Virginia auf die bezügliche Frage hier machte, übergehen wir, denn wir werden sie aus dem Munde der Signora selbst hören. Bloß wollen wir uns merken, daß hier jener Pfaffe Paul Arrigone aufzutreten beginnt, der dem Osio in der ersten Zeit bei seinem Briefwechsel mit der Schwester Virginia als Sekretär diente und sich selbst um ihre Liebe zu bewerben wagte, aber von ihr mit der schmählichsten Verachtung zurückgewiesen wurde, indem sie alle die Vergehen ihm zur Last legte, zu denen sich die Schwester Candida von ihm habe verleiten lassen. Führen wir von diesen häßlichen Seiten einige Zeilen an, die für Gewissensbisse der Schwester Virginia und für ihre Absicht, sich zu bekehren, sprechen, eine Absicht, welche freilich, nachdem sie einmal von allen Seiten zu sehr in die Sünde verstrickt war, nicht in Vollzug gesetzt wurde.

»Osio hatte mehr als 50 nachgemachte Schlüssel verfertigen lassen, weil die Schwester Virginia, die in dieser Sünde nicht verharren wollte, sie in den Brunnen warf; er aber ließ immer wieder neue anfertigen.«

Aus einem Ausdruck der Schwester Benedicta erhellt, daß Osio ein sehr schöner, junger Mensch gewesen sein mußte. In der Erzählung, die sie von der Liebesgeschichte der Signora gibt, sagt sie, daß dieselbe, als sie ungesehen eines der ersten Male ihn von ihrem Fensterchen aus betrachtete, ausrief: »Könnte man wohl etwas Schöneres sehen!« und so ging sie hinfort immer zu jenem Fensterchen und betrachtete Johann Paul, ohne sich von ihm sehen zu lassen.

Wir treten nun an einen neuen Akt des furchtbaren Dramas und sehen das Schreckliche desselben noch immer anwachsen.

Der Notar sagt:

Sonntag, den 9. Dezember 1607.

Im Auftrag des königlichen Fiskals zu Mailand, Herrn Forniali, wurde dem Vikar in einem Kistchen ein verwesender menschlicher Kopf überbracht, den man im selben Brunnen von Velate entdeckt hatte, worin die Schwester Benedicta gestürzt und worin sie gefunden worden war Man hatte ihn bei Gelegenheit der Untersuchung gefunden, die auf Geheiß des genannten Herrn Fiskals in jenem Brunnen angestellt wurde.

Der Kopf wurde dem Herrn Vikar überreicht, damit er ihn untersuche und untersuchen lasse, ob es ein Manns- oder Frauenkopf sei. Bei diesem Schädel oder vielmehr um ihn herum, hieß es, sei ein halbvermodertes Tüchlein gefunden worden; der Schädel war mit zweiquerfingerlangen Haaren bewachsen, das Gesicht rund, wie ich selbst gesehen und bemerkt habe.

Folgenden Tages wurde der Dr. Antonio Monti gerufen, damit er diesen Kopf untersuche und urteile, ob er von einem Mann oder von einem Weib sei. Nachdem er dies mit aller Sorgfalt in meiner Gegenwart getan, leistete er den Eid usw.

Auf Befragen, antwortete er: »Ich habe diesen Kopf mit Sorgfalt untersucht und obschon es schwierig ist, zu entscheiden, ob er ein Mannes- oder Frauenkopf sei, weil er schon in Verwesung übergegangen, so halte ich dennoch wegen der äußeren Bildung und Beschaffenheit dafür, daß er ein Frauenkopf ist; aber, wie gesagt, versichert bin ich dessen nicht.«

Hierauf befahl genannter Vikar, jenen Schädel auf dem Friedhof zu begraben. Dies geschah auch am Abend desselben Tages.

Dienstag, den 11. Dezember 1607.

Schwester Octavia in Verhör genommen.

Nach Eidesleistung usw. Gefragt über die Form des Kopfes der Katharina von Meda, antwortete sie: »Sie hatte ein rundes Gesicht, trug kurze Haare; an deren Farbe erinnere ich mich nicht mehr.«

Gefragt und in sie gedrungen, daß sie endlich sage, was jener Katharina begegnet sei, antwortete sie: »Ich will die Tatsache erzählen, wie sie geschehen ist. Wenn ich es früher nicht getan, so war es aus dem Grunde, weil ich müde war am ganzen Körper und halbtot ob meiner Wunden. Nun sage ich in Wahrheit, daß Schwester Virginia, weil ihre teuerste Freundin Schwester Degnamerita von jener Katharina erzürnt worden war, diese letztere hat ins Gefängnis werfen lassen. Katharina fing daher an, Böses über die Schwester Benedicta und über mich auszusagen in betreff Osios und besonders, weil sie beabsichtigte, dadurch, daß sie alles offenbar machte, aus dem Gefängnisse zu kommen und uns dafür hineinzubringen. Als Johann Paul Osio, der sich seiner Gewohnheit gemäß damals im Kloster befand, dies vernommen und zugleich erfahren hatte, daß Monsignore Barca kommen und sie der Strafe entheben werde, so entschloß er sich, sie zu töten. Daher ging Schwester Benedicta um Mitternacht in das Zimmer, wo Katharina gefangengehalten wurde und fing an, mit ihr zu sprechen; sodann ging auch Schwester Virginia zu ihr und nach ihr ich. Später kam noch Johann Paul dazu, der mit einem Instrument, gemeinhin Garnbrettfuß (piede di bicocca) genannt, das er aus dem Arbeitszimmer der Klosterfrauen genommen, in welches er gebracht worden war, ehe er sich zurückgezogen hatte, drei oder vier Streiche auf den Hinterkopf Katharinas führte, die auf einen Strohsack hingestreckt lag und sie auf diese Weise tötete. Sie starb sogleich in unserer Gegenwart. Wir trugen die Leiche in den Hühnerstall, alle halfen mit. Schwester Benedicta und ich stellten eine Menge Scheiter dagegen auf, damit sie nicht gesehen werden könne. Dann machte Osio mit dem Schwert ein Loch in die Gartenmauer und ging hinaus. Die Leiche Katharinas blieb den ganzen folgenden Tag hindurch in dem Stall. Als es wieder Nacht geworden war, kehrte Osio zurück und trug die Leiche mit Hilfe der Schwester Benedicta in sein Haus. Was er damit angestellt, weiß ich nicht; ich glaube, er hat sie zerschnitten und ein Stück davon dahin, ein anderes dorthin getan. Den Kopf hat er, wie er wenigstens sagte, außerhalb Monza in einen Brunnen geworfen.«

Den 12. Dezember bestätigte Schwester Benedicta vollständig, was tags vorher die Schwester Octavia auf ihrem Totenbette bekannt hatte, indem sie, noch mehr ins einzelne eingehend, die Ermordung Katharinas also schilderte:

»Als ich im Garten war, um das Brevier zu beten, ersuchte mich Katharina vom Fenster ihres Gefängnisses aus, das gerade auf den Garten hinausschaut, ich möchte doch zu ihr kommen, sie fürchte sich. Ich antwortete ihr, ich könne nicht kommen. Dennoch ging ich ungefähr um 2 Uhr nachts hin und blieb eine Weile bei ihr, indem wir vom schlechten Wetter sprachen, weil es eben donnerte, regnete und blitzte. Unterdessen kamen Schwester Virginia und Schwester Octavia herbei. Katharina sagte zur Schwester Virginia: Sie wolle kein eitel Geschwätz mehr vor ihr, und am folgenden Morgen werde sie schon hören. In diesem Moment war auch Osio gekommen, und kaum erblickte ich ihn, als er mit dem Fuße eines Garnbrettes (piede di bicocca), den er in der Hand hatte, auf die Daliegende losschlug. Sie starb infolge der Streiche, ohne ein Wort zu sagen. Er schlug nämlich von hinten her auf sie zu und zerbrach ihr auch den Schädel, woraus Blut hervorströmte, das den genannten hölzernen Fuß befleckte, den ich nachher abwusch.«

Gefragt, ob noch eine andere Klosterfrau von der Tötung Katharinas und vom Liebesverhältnis Osios mit der Schwester Virginia unterrichtet sei, antwortete sie: »Die Schwester Silvia ist in die Geheimnisse Virginias besser eingeweiht als ich und weiß um ihre Dinge mehr denn ich. Ich will damit sagen, daß die Signora mehr dieser als mir ihre Geheimnisse anvertraute; ich weiß aber nicht gewiß, was sie alles weiß.«

Auf die Frage, ob und wie oft Schwester Virginia aus dem Kloster herausgegangen sei und sich in Osios Haus begeben habe, antwortete sie: »Schwester Virginia ist verschiedene Male des Nachts dahin gegangen und dort bis zum Mettengeläute zu Carabiolo geblieben; wenn sie wieder ins Kloster zurückkehren wollte, zogen sie eine Schnur, die in die Galerie nahe am Kornboden ging. Es war eine Schelle daran. Wenn es schellte, war dies das Zeichen, der zurückkehrenden Virginia entgegenzugehen, welche in ihrer Nonnenkleidung sich dahin zu begeben pflegte.«

Gefragt, ob andere Klosterfrauen bei der Ermordung Katharinas zugegen gewesen seien, antwortete sie: »Es waren auch Schwester Silvia und Schwester Candida zugegen; wir waren unser fünf.«

Das Verhör fährt mit uns bereits bekannten Einzelheiten fort. Es ist darin der piede di bicocca beschrieben, mit dem Osio Katharina totgeschlagen, »viereckig, unten breit; er lief zu in Gestalt eines Diamanten und war von einem rötlichen Holz. Wenn ich ihn sähe, würde ich ihn erkennen.« Er wurde ihr mitten unter anderen gezeigt und sie erkannte ihn.

Am 13. Dezember folgten lange Geständnisse der Schwester Silvia und der Schwester Candida, die mit sehr geringen Abweichungen das Obige wiederholen und bestätigen.

Schwester Benedicta wird wieder gefragt; sie fügt bei: »Ich glaube, Candida und Silvia haben gesehen, wie man die Leiche im Hühnerstalle zurechtstellte; beide halfen sie aus dem Kloster hinaustragen, d. h. bis zur Türe; ich half dieselbe bis ins Haus Osios hinüberbringen.«

Die Schwester Candida sagte: »Man möge überzeugt sein, daß ich zu diesen Dingen einwilligte, weil ich nicht anders konnte. Ich habe im Verlaufe der Zeit die Schwester Virginia mehrmals ermahnt, sie solle ein solches Verhältnis aufgeben; sie aber, befürchtend, ich möchte enthüllen, was ich wisse, indem ich sah, daß es mir mißfalle, drohte mir mehrmals, mich ums Leben zu bringen, indem sie sagte, sie wolle mich mit einer Serviette ersticken oder mit einer Gabel erstechen, und ich glaube, sie hat mich hingeführt, damit ich die Ermordung Katharinens mit ansehe und nichts mehr sage.«

Die Schwester Silvia legte folgendes Geständnis ab: »Osio war mit einem Rock bekleidet und mit einer Mütze; er trug ein Schwert mit versilbertem Griff und hatte eine Art Kapuze (scossale) auf dem Kopf; er kam durch das Loch, das er in die Mauer gemacht, aus dem Kloster heraus und gab vor, er wolle nach Mailand gehen. In der folgenden Nacht kehrte er aber wie gewöhnlich wieder zurück, denn er besaß nachgemachte Schlüssel.

Nachdem wir Obengenannte sämtlich in den Hühnerstall gegangen waren, steckte Osio die Leiche in einen Sack und trug sie mit Hilfe Benedictas in sein eigenes Haus, wo er sie in einem Keller begraben hat, wie Benedicta sagte.«

Am gleichen Tage, dem 13. Dezember, fährt der Notar fort, ließ der Herr Vikar sogleich zwei Handwerker kommen, die in seinem Auftrage im Hause Osios nachzugraben anfingen, anfangs zur rechten Seite, wenn man vom Garten her eintritt. Der Platz schien aber nicht günstig, weil er zu offen und den Augen der Nachharn ausgesetzt war; es wurde ein passenderer Ort gesucht, und rechts vom Eingange neben den Wohnzimmern Johann Pauls bemerkte man einen viereckigen Raum, der bloß mit Mauern ohne Decke umgeben war. Zu diesem war kein Zugang, außer einem Fenster, das vom Boden weg eine Mannshöhe hoch stand, so daß man, um hineinzukommen, einer Unterlage bedurfte, wie z.B. eines Stuhles. Dieses Fenster ging in einen kleinen Hof hinaus, der an den genannten Raum angrenzte, in den zur Linken eines Vorhofes eine aufgeschlossene Türe führte; dort wurde den Arbeitern befohlen, nachzugraben; sie gelangten mittels einer Leiter hinein und gruben in meiner Gegenwart nach, während ich am oben beschriebenen Fenster stand; von da aus sah ich, daß Knochen zu Tage gefördert wurden, jedoch ohne Schädel; man sammelte dieselben in einen Korb.

Der bekannte Vimercati wird gerufen und um sein Gutachten darüber befragt; er antwortete auf kluge Weise:

»Ich habe diese Gebeine gesehen und ich werde mein Urteil darüber abgeben; aber ich will noch einen Gefährten haben, damit ich um so sicherer gehe.«

Über die Auffindung des Schädels der Katharina von Meda im Brunnen zu Velate sagte Bernardin Seregno aus:

»Auf Befehl des Herrn Vikars stieg ich in den Brunnen nieder, der meines Erachtens mehr als 30 Ellen tief ist. Sobald ich unten war, sah ich einen Filzhut, der unter einer Grotte lag, wo die Steine fehlten; dann entdeckte ich unter einer anderen ähnlichen Grotte etwas Rundes und Schwarzes, das mir der Schädel eines vernunftbegabten, aber toten Wesens zu sein schien. Als ich ihn mit einem Stückchen Holz berühren wollte, rief der Fiscal, der oben stand, mir Halt! zu und fragte mich, was es wäre. Ich antwortete, ich fürchte, daß es Ekel verursachen könnte, indem ich hinzufügte, meiner Vorstellung nach glaube ich, es sei ein Totenschädel. Er schickte dann einen anderen hinunter, der eine Schaufel hatte. Dieser nahm, um nichts zu beschädigen, den Kopf ganz sachte darauf (denn so sehr war er schon in Verwesung) und legte ihn in einen Korb, der von den oben Stehenden heruntergelassen worden war. Der Kopf war von einem Menschen; ich glaube, er hat mehr als ein Jahr lang in genanntem Brunnen gelegen und sich noch so gut erhalten, weil der Ort tief und kühl ist.«

Der Kopf wird Vimercati gezeigt, der ihn für einen Menschenkopf erklärt und charakteristisch daran findet: »dunkelblonde Haare und den Abgang des Bartes«. Er fügt noch hinzu: »In bezug auf die Gebeine, die im Garten Osios gefunden wurden, antwortete ich, ich wolle allein kein Urteil darüber abgeben, um es desto sicherer abgeben zu können, und so wurde mir Dr. Johann Baptista Beretta von Monza beigesellt, wir gaben unser Gutachten ab: Genannte Gebeine ohne Kopf seien von einem menschlichen Körper.«

In diese Tage fällt, wie aus dem Datum ersichtlich ist, folgender Brief Osios an den Kardinal Friedrich Borromeo.

»Johann Paul Osio, der Flüchtling, dem Kardinal Friedrich Borromeo.

Hochwürdigster, gnädigster Herr und Vater!

Die Welt geht heutzutage ganz verkehrt; denn den Lügen derer, die als Urheber, Erfinder und Ursache alles Übels und jedes Unfalles bestraft zu werden verdienten, schenkt man Glauben; man liebkost sie; denjenigen aber, die ihretwegen zugrunde gehen, wird nicht geglaubt; man verfolgt sie bis zum Tode, als wären sie Rebellen und die Urheber dieser Handlungen selbst, wie ich vernommen habe, daß es mir ergangen. Abgesehen davon, daß man mir das Haus geschleift und mein Hab und Gut verzehrt hat, hat Ew. Eminenz mich exkommuniziert, damit ich obendrein noch die Seele verliere. Schon der Gedanke an diese Dinge möchte einen in die äußerste Verzweiflung bringen; der Fall ist des größten Mitleids wert; man muß die Tatsachen wissen, wie sie geschehen sind; denn dafür, daß ich die Erfinder alles Übels und Verderbens gezüchtigt habe, hätt' ich Lob und nicht Strafe verdient. Die arme Signora Virginia und ich sind durch die anderen niederträchtigen Vetteln, welche die Welt genossen haben, ehe sie ins Kloster gegangen sind, und die, aller Arglist voll, dort eingetreten sind, um andere zu stürzen, in die Falle gelockt worden. Die Schuld war nicht auf der Seite der genannten armen Signora Virginia Maria, welche, aus edelm Hause stammend, ihr Sinnen auf anderes gerichtet hatte, als auf weltliche Dinge, was schon ihr Gewissen kundgibt. Allein Octavia und Benedicta waren es, die das Übel angerichtet, und da sie die Urheberinnen gewesen, hat Gott sie gestraft, wie sie es verdient. Ich wurde nie allein aufgesucht als von ihnen und, obwohl versucht, mit ihnen zu sündigen (Gott ist mir Zeuge, daß ich die Wahrheit sage), konnte ich sie nicht ausstehen und werde sie nicht ausstehen können, wenn ich bedenke, daß sie die Ursache meines Verderbens gewesen sind. Wer erfand die Stelldichein und andere Dinge? Sie allein. Wer kam zu den Türen? Sie allein. Wer anders als sie führte mich in ihr Zimmer? Wer hatte die geheimen Wege erfunden? Sie allein; denn bei meinem Gewissen beteuere ich es, die arme Signora Virginia wußte nichts von all den Dingen, die sie trieben. Man könnte ein Buch schreiben von dem, was ich ausgestanden und erlitten habe, und es würde den Leser zu Tränen rühren und alle Zuhörer zu lebhaftem Mitleid stimmen; denn durch ihre Schuld wurde die Signora Virginia Maria und ich, schuldlos, bis zu diesem Grad von Elend gebracht; und der Erlösungstod Christi soll nie unserer Seele zugute kommen, wenn, was ich sage, unwahr ist. Was für Erfahrung hatte ich in diesen Dingen, wenn mich nicht diese beiden angereizt hätten? Bin ich mit einer Kutsche oder mit Pferden oder mit Mannschaft hingekommen, um sie aus dem Kloster zu holen, oder sind sie nicht freiwillig aus demselben gegangen? Allein Gott wollte sie sichtbar strafen als die Ursache dieser Übel. O, wäre es mir vergönnt, offen zu reden; würde mir geglaubt, was ich zu sagen habe, und stellte man mir einen Geleitsbrief aus! Was würde ich nicht sagen und von wie großem Nutzen wäre es, die Wahrheit zu hören!

Wohl weiß ich, wer die Strafe verdient, aber ich nicht, und auch nicht die Signora Virginia Maria, denn wir hatten nie die Absicht, Gott zu beleidigen, obgleich wir von diesen Teufelinnen jede Stunde zu etwas Neuem gereizt wurden. Wer war der Erfinder der Briefe? Der Priester Paul Arrigone. Wer hat das Kloster zugrunde gerichtet und arm gemacht? Der Kanonikus Pisnato, der jetzt die Nonne von Meda beichten hört: man sehe in seinem Hause nach und man wird finden, was man in dem meinigen nicht gefunden: Geschenke von den Nonnen, Aufforderungen zur Liebe und andere Dinge. Priester Jakob Bertola, Beichtvater der Nonnen zu St. Margarita, wer war seine Auserkorene? Die Sacchi, bei welcher er den ganzen Tag zubrachte. Diesen, weil sie Priester sind, macht man den Prozeß nicht, denn man hält sie für entschuldigt ... nur vom armen Osio spricht man, nur er wird verfolgt, er allein ist der Übeltäter, er allein der Verräter ... O mein guter Gott! wie sehr liebst du mich, da du siehst, daß die Verfolgung so groß ist, und ich so schwach! Der du mich bewahrt, hast nach deiner heiligen Barmherzigkeit und mir geholfen hast im Kastell zu Pavia! Warum, o Herr, erweisest du mir so viele Gnaden? Was für ein Vorrecht habe ich vor so vielen anderen: Die Ursache davon kann ich nicht wissen, wenn es nicht darum geschah, weil du, o Herr, immer mein Herz gesehen und wahrgenommen hast, mit welcher Sehnsucht ich dir zu dienen wünschte, und daß meine Sünden nie freiwillig oder in der Absicht begangen wurden, deine Majestät damit zu beleidigen, und weil du wußtest, welche Gewissensbisse ich empfand, die mich zur Schwermut führten, und welche Vorsätze ich gefaßt. Das, o Herr, war, wie ich glaube, der Grund, der mich stark erhielt gegenüber so vielen Verfolgungen; möge es daher dein Wille sein, daß diese Herren Fürsten sich besänftigen lassen, und besonders der Kardinal Borromeo, damit er den Bann von mir nehme, auf daß meine Seele nicht ewig zugrunde gehe! Denn du allein weißt es, o Herr, daß weder ich noch die Signora Virginia Maria die Urheber dieser verderblichen Vorgänge gewesen sind.

Ich kann Ihnen aus Mangel an Zeit nichts anderes sagen, als daß unser Herr im Himmel Euer Gnaden all das Gute verleihen möge, das ich Ihnen wünsche, damit Sie auch gegen mich sich bezeigen, wie Gott sich gegen die Sünder bezeigt, der nicht ihren Tod will, sondern daß sie leben und sich bekehren; obschon mir wenig am Leben liegt, wenn nur Gott mir Barmherzigkeit erweist, wie ich zu seiner göttlichen Majestät vertraue. Wenn es Euer Gnaden gefällt, will ich mich freiwillig Ihrer Gewalt überliefern, und Sie mögen mit mir beginnen, was Sie wollen; allein lassen Sie mich doch nicht getrennt sein von der Kirche, weil das Vergehen Mitleid verdient, und weder von meiner Seite noch von der der Signora Virginia Maria freiwillig begangen wurde, sondern allein von den Obengenannten, die wie vom Teufel besessen schienen. Heute vor drei Wochen hatte jene zweite, und ich kann sagen, jenes Unheil, das Benedicta war, als sie mich bei der Canonica sah, mir ein Billett durch den Klostermeier Damiano geschickt (ich beging einen großen Fehler, daß ich es ins Feuer warf, denn jenes Billett hätte der Wahrheit Zeugnis gegeben), in dem sie mir schrieb, ich solle mich um die sechste Stunde der Nacht zum großen Tore begeben, ich würde sie verkleidet dort antreffen, und mich bei der Mutter Gottes bat, hinzugehen; denn wenn ich nicht hinginge, so habe sie sich entschlossen, allein zu entfliehen, weil im Kloster die Zerstörung von Troja sei, just so drückte sie sich aus. Ich hatte nichts gegessen, als dies Billett mir zukam, denn ich fastete; ich war ganz entrüstet und warf es ins Feuer; es war um die zweite Stunde der Nacht; ich spazierte im Saale auf und ab und dachte über das nach, was dieses Untier beginnen wollte. Endlich entschloß ich mich, hinzugehen und sie von ihrem Vorhaben womöglich abzubringen. Obwohl es regnete, standen sie schon da, als ich ankam; ich bat sie längere Zeit, einen Entschluß nicht auszuführen, der verhängnisvoll für alle sei; sie aber, entbrannt und glühend mehr als je, gingen so weit, daß sie sagten, sie wollten lieber das Kloster in Flammen stecken, als länger darin bleiben. Am Ende dachte ich, Gott wolle und werde sie strafen, und ich ließ sie tun, was sie wollten. Als wir bei der Madonna delle Grazie angekommen waren, sagte ich ihnen, sie sollten sich der Madonna empfehlen; denn ich wollte sie dort lassen, indem ich nicht Lust hatte, ihretwegen mich gefangen nehmen zu lassen, weil ich sie aus dem Kloster geführt. Sie wollten, daß ich sie mit mir nehme; ich aber sagte, das tue ich um keinen Preis; aber sie hörten nicht auf mich, und die Folge davon war, daß sie beide untereinander in Streit gerieten und Benedicta auf Octavia schlug und sie stieß, dergestalt, daß sie, weil sie am Rande war, in den Lambro stürzte; die andere aber ging, ich weiß nicht wohin; denn ich entfernte mich allein von dort; wahr ist, daß ich ihr die Straße gegen Valete anriet, um ins Bergamasker Gebiet zu kommen, wohin sie sagte, daß sie gehen wolle. Hätte ich den bösen Willen gehabt, ihr etwas Leides zuzufügen, sie wäre nicht davongekommen; doch ich wollte Gott dieser Bestie wegen nicht beleidigen; wohl aber hat sie sich von selbst ins Verderben gestürzt, wie sie es verdiente.

Wenn man eine tot gefunden hat, so waren Benedicta und Octavia es, die sie getötet und im Hühnerstall verborgen haben, zu dem sie die Schlüssel hatten, was sie nicht leugnen können. Und sie trug die Leiche in mein Haus, ohne daß ich eine Schuld daran habe, sondern ich wurde darum gebeten; denn sie erwarteten den Barca, der sie begraben lassen sollte, und Benedicta war es, welche die Leiche da hintrug. Ich habe mit diesen Bestien viel ausgestanden, damit sie nicht noch größeren Schaden anrichteten; mehrere Male habe ich es zur Signora Virginia Maria gesagt, daß sie die Ursache unseres Elendes seien und daß sie verdient hätten, vergiftet zu werden in Anbetracht des Unheils, das sie gestiftet; allein um Gott nicht zu beleidigen, unterblieb es. Ich will mich nicht weiter ausbreiten; wenn aber geurteilt würde, wie ich Gott darum bitte, so würde in Wahrheit die Strafe über sie kommen und nicht über mich und die Signora Virginia Maria; deshalb möge man Gnade für Recht ergehen lassen und ihnen Zeit zur Buße gewähren.

Gegeben heute Donnerstag, den 20. Dezember 1607.

Euer Hochwürden und Gnaden ergebenster
Johann Paul Osio.«

Überschrift: »An den Durchlauchtigsten und Hochwürdigen Herrn und Gebieter, C. Kardinal Borromeo, Erzbischof von Mailand, in Mailand.«

Wir sind bei dem Akte der Tragödie angelangt, in dem die Hauptperson selbst auf die Bühne gerufen wird, die sie bereits mit dem geheimnisvollen Schrecken ihres Namens erfüllt hat; die Hauptperson, wie sie wenigstens von der Dichtung erfaßt wurde, die sie uns als eine hohe, gebieterische Gestalt in schwarzem Mantel schildert, deren Blässe von den weißen Linnen ihres Hauptes eingerahmt ist, während vor dem unheilvollen Leuchten ihres Blickes die Seele sich scheu und ängstlich in sich selbst zurückzieht.

Jetzt findet sich in den geistlichen Niederschriften alles verändert: Schreiber, Ort und Stil.

Samstag, den 22. Dezember 1607. Mailand im Kloster des Bochetto in einem der oberen Zimmer, das gegen die innern Klosterhallen schaut. In Gegenwart des hochwürdigsten gnädigsten Herrn Hieronymus Sarazeno, Kriminalvikars der erzbischöflichen Kurie, und vor mir, dem Notar.

Schwester Virginia, Tochter des gnädigen Herrn Martin von Leyva, Klosterfrau von St.-Margarita zu Monza, jetzt wohnhaft im genannten Kloster Bochetto, die Hauptperson des Prozesses, in ihrer eigenen Sache, und als Zeuge den anderen gegenüber. Nach Auferlegung des Eides usw.

Auf die Frage, ob sie wisse oder zu wissen vermeine die Ursache des gegenwärtigen Verhörs, und warum sie in dieses Kloster gebracht worden sei, antwortete sie: »Ich weiß nichts anderes, als daß es vielleicht wegen, ich weiß nicht, welchen Geredes über Johann Paul Osio geschieht, und daß ich deshalb hierher gebracht worden bin, nachdem ich immer danach verlangt habe.«

Gefragt, sie solle anzeigen, welches Gerede in bezug auf Osio stattgefunden, antwortete sie: »Ich habe einigemal von den Obern und insbesondere von Monsignor Barka und von Leuten in Monza ein Gerede vernommen, daß ich, wegen der Nähe des Hauses des Johann Paul und unseres Klosters, mit ihm ein Liebesverhältnis hätte.«

Auf die Frage, ob es wahr sei, daß sie ein Liebesverhältnis mit Osio habe und seit wie lange, antwortete sie: »Es ist wahr, daß ich ein Liebesverhältnis (mit ihm) hatte, jedoch ein erzwungenes; denn aus freiem Willen wäre ich selbst mit dem Könige von Spanien in kein solches Verhältnis getreten. Es sind sieben Jahre, seit dieser Liebeshandel zwischen mir und Osio den Anfang genommen.«

Aufgefordert, den Anfang dieses Liebeshandels, und wie es dazu gekommen, auseinanderzusetzen, antwortete sie: »Der Anfang davon war so beschaffen: ich hatte einen gewissen Josef Molteno, Fiskal zu Monza, der als Agent meine Geschäfte besorgte. Dieser wurde von Johann Paul ermordet. Da sich deshalb genannter Johann Paul Osio in seinen Garten zurückgezogen hatte, der an die Mauer unseres Klosters grenzt, und ich mich im Zimmer der Schwester Candida Brancolina befand, das neben dem meinigen lag und ein Fenster auf den Garten hinaus hatte, so grüßte er mich, indem er mich am bezeichneten Fenster sah, und als ich nachher noch einmal an jenes Fenster ging, grüßte er mich wieder und gab mir durch Winke zu verstehen, daß er mir einen Brief schicken wolle. Ich, die ich über ihn erzürnt war wegen des oben erwähnten Mordes, ließ, da ich ihn so vor meinen Augen hatte, und es mir schien, er tue der Gerechtigkeit Gewalt an, dem Herrn Karl Pirovano darüber berichten, damit er jemand schicke, der ihn gefangen nehme und in den Kerker werfe. Er schickte seine Mutter, die Priorin zu bitten, daß man ihm durch meine Vermittlung Aufschub und Nachlaß erwirke. Die Priorin bat mich nun darum, und befahl mir es sogar unter Strafe des Gehorsams. Ich schrieb mithin dem Pirovano, der Auditor zu Monza war, daß er dies tun möge. Er antwortete mir, daß, obgleich er von vielen Rittern darum angegangen worden sei, er es dennoch nicht habe tun wollen, und nur aus Liebe zu mir sich dazu verstehe. Als Osio dies vernommen hatte, dankte er mir sehr vom Garten herauf, indem er sagte, er sei mir nicht weniger zu Diensten erbötig, wie Molteno es gewesen sei. Er wünsche, mir einen Brief zu schreiben. Nach einigen Tagen nun, als er im Garten war, zeigte er mir einen Brief, den er in der Hand hatte, indem er mir mit Geberden andeutete, er wolle ihn mir, wie ers dann wirklich tat, über die Gartenmauer in den Hühnerhof unseres Klosters werfen. Ich glaube, die Schwester Octavia ging, ihn mir zu bringen. Als ich sah, daß dieser Brief, wie mir schien, ein wenig ausgelassen war, und die Absicht enthielt, eine laszive Liebschaft mit mir anzuknüpfen, schrieb ich ihm mit großer Entrüstung zurück und wies ihn zurecht, indem ich sagte, es wundere mich, daß er die Keckheit habe, meines Gleichen so zu behandeln; er solle davon ablassen, sonst würde ich es ihm verleiden. Johann Paul aber, der mit dem Priester Arrigone in intimer Freundschaft stand, beriet sich mit diesem, auf was für eine Art er sich vor mir entschuldigen solle. Jener sagte ihm, das sei nicht der Weg, mich zur Freundin zu machen; er müsse mich hintergehen und einen Brief schreiben, worin er Spuren von Heiligkeit zeige. Er schrieb mir demnach einen zweiten Brief, in welchem er mich wegen der Ungebührlichkeit, die er sich mir gegenüber habe zu Schulden kommen lassen, um Verzeihung bat; er werde in Zukunft wohl auf der Hut sein, mir zu mißfallen. Er hätte es nicht getan, außer inwiefern es mein Wunsch gewesen sei; es wurde nun ein Faden aus jenem Fenster heruntergelassen und der Brief hinaufgezogen. Die Mutter Johann Pauls schickte mir eine Schachtel voll Blumen von bologneser Seide mit einigen Bisamkugeln; allein ich glaube, eigentlich habe Johann Paul Osio sie mir geschickt. Arrigone sagte mir nachher, er sei es gewesen, der Osio geraten habe, mir auf diese Art zu schreiben. Wenn auch der Brief im Namen Osios geschrieben wäre, so sei doch er der Verliebte, und er legte mir hierüber ein Geständnis ab. Im obengenannten Briefe bat mich Osio um die Gnade, mit mir im Sprechzimmer sich unterreden zu dürfen; ich gewährte sie ihm. Eines Nachts kam er in das Sprechzimmer des Beichtvaters; die Schwester Octavia hatte ihm nämlich den Schlüssel über die Mauer hinübergeworfen, und so ist er hereingekommen. Getrennt, wie wir durch das Doppelgitter waren, sprachen wir von ehrbaren Dingen; er bat mich um Verzeihung wegen der Ermordung Moltenos, und machte sich zum Ersatz dafür zu jeder Dienstleistung erbötig; kurz, er gebärdete sich so eingezogen, als man sich nur denken kann.«

Dann fügte sie bei: »Johann Paul Osio hatte ein Liebesverhältnis mit einem weltlichen Fräulein des Erziehungsinstitutes unseres Klosters, sie hieß Isabella degli Ortensi. Da ich bemerkt hatte, daß sie sich beim Hühnerhof wechselseitig betrachteten und besprachen, gab ich ihm einen derben Verweis, daß er die Ehre des Klosters so wenig berücksichtige, besonders, da das genannte Mädchen meiner Aufsicht anvertraut sei. Er ging gesenkten Hauptes von dannen, und dies war auch die Ursache, warum er den ersten Brief schrieb.«

Ferner: »Nachdem ich Osio zweimal im Sprechzimmer gesehen hatte, besonders seitdem er sich mit Arrigone immer enger verband, fühlte ich mich wie von einer dämonischen Gewalt getrieben, an jenes Fenster zu gehen. Als mir einmal von der Schwester Octavia hinterbracht wurde, Johann Paul Osio sei im Garten, wollte ich mir Gewalt antun, nicht hinzugehen, um ihn zu sehen; allein ich fiel ohnmächtig auf eine Kiste nieder und dies wiederholte sich mehreremal. Bisweilen geriet ich in Zorn und bat Gott, er möge mir helfen; bisweilen schien mir, ich werde mit Gewalt hingerissen, um ihn zu sehen; einigemal raufte ich mir die Haare aus, als ich von dieser Versuchung gestachelt wurde; ja ich dachte sogar an Selbstmord. All dies, glaub' ich, ist mir durch Einwirkung der Hölle, durch Zauberkünste widerfahren, die man angewendet. Ich habe später erfahren, daß es wirklich so gewesen; denn als ich in genanntes Sprechzimmer ging, um mit Osio zu reden, hieß er mich etwas, das in Gold eingefaßt war und das er für geweiht ausgab, berühren und küssen; nachher bekannte er mir, es sei ein Magnetstein (calamita bianca) gewesen. Ich glaube, Arrigone war dabei im Spiele, dem ich, nachdem er mich mit Briefen verfolgt hatte, eines Tages dieselben vor seinen eigenen Augen zerriß, worauf er mit der Schwester Candida sich einzulassen anfing und sie bewog, des Nachts ins Sprechzimmer zu gehen, um sich mit ihm zu unterhalten. Als ich davon in Kenntnis gesetzt wurde, gab ich unserem Meier Dominikus einen tüchtigen Verweis, daß er die Briefe hin und wieder trage, und drohte ihm, ihn in das Gefängnis werfen und vom Kardinal bestrafen zu lassen. Aus diesen und anderen Gründen ließ ich den genannten Meier verabschieden, weshalb Arrigone, als er den Sachverhalt von ihm erfahren hatte, mich mit tödlichem Hasse verfolgte.«

Als man fragte, was zwischen ihr und Osio nach jenem brieflichen Verkehre, der Tage und Monate dauerte, vorgefallen sei, antwortete sie: »Osio schickte mir ein Paar weißseidene Handschuhe zum Geschenk. In ihnen befand sich ein Brief, der lauter Heiligkeit und Keuschheit war; er schickte mir auch ein silbernes Kruzifix, das ich ihm durch die Hand des Josef Pesen zurücksandte, der unser Bote war, das er mich aber unter Drohungen anzunehmen nötigte. Nachher fuhren wir fort, zu Unterredungen im Sprechzimmer zusammenzukommen, wo wir über verschiedene Dinge, jedoch immer über ehrbare, uns unterhielten. Einmal erbat er sich von mir, unter dem Vorwande, es sei das letztemal, die Vergünstigung, ich möchte des Nachts zur kleinen Klosterpforte kommen, um mit ihm zu sprechen. Ich, in dem Wahne, mir ihn auf diese Weise vom Halse zu schaffen oder von jener Zauberei mich überwältigt fühlend – Pater Baptista, der mich exorzisierte, weiß um die Sache –-, willigte ein und gestattete ihm, zu kommen.

Auf die Frage, ob jene Türe geschlossen oder offen gewesen, und was für Gespräche sie geführt, antwortete sie: »Wir sprachen bei offener Türe; sie wurde von Schwester Octavia geöffnet, die den Querbalken weghob und Osio hereinführte. Wir führten das Gespräch miteinander zwischen beiden Türen, und die Schwester Octavia hörte es; Osio entfernte sich, nachdem er von mir das Versprechen erhalten hatte, ich wolle bald wieder erscheinen. Allein unterdessen verging eine lange Zeit, und er machte mir deshalb in einem Briefe Vorwürfe, indem er die Ehrbarkeit in Erinnerung brachte, die er in der vorhergegangenen Besprechung beobachtet. Wir fanden uns mithin in einer Nacht am nämlichen Orte ein und sprachen über verschiedene Dinge; plötzlich suchte er mir Gewalt anzutun, trotzdem, daß ich schrie: ›Ha, Verräter!‹; Doch ich sprang eilig davon und ließ ihn am Platze zurück.«

Gefragt, was noch ferner zwischen ihr und Osio vorgefallen sei, antwortete sie: »Ich kann Euer Gnaden sagen, daß ich alle möglichen Gebete und Bußübungen, bis aufs Blut, verrichtet habe, um nur nicht mit Osio zu tun zu bekommen; allein es hatte den Anschein, als stachle mich der Teufel, und quäle mich dermaßen im Herzen, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihn zu sehen und hinzugehen, wo er war; so daß ich, von ihm darum ersucht und gebeten, wieder zu jenem Tore gegangen und in die Sünde gefallen bin! Darüber wurde ich so schwermütig, daß ich erkrankte und drei Monate im Bette lag. Er hörte unterdessen nicht auf, mir Briefe zu schicken, worin er sagte: wenn ich wieder gesund sei, müsse ich ihm gestatten, ins Kloster zu kommen. Weil ich ihm antworten ließ, ich wolle nicht in die Exkommunikation verfallen, schickte er mir ein gedrucktes Buch, das über die Gewissensfälle handelt, damit ich daraus ersähe, daß der Bann nicht darauf sei, wenn er hereinkomme, dies wohl aber, wenn die Klosterfrauen hinausgingen. Es wurde mir nachher gesagt, dies Buch sei ihm von Arrigone geliehen worden. Ich willigte ein, daß Osio ins Kloster kam. Lange nachher wurde ich von einem toten Knäblein entbunden; ich fiel wegen des großen Herzeleides in eine Nervenkrankheit, die drei Jahre dauerte. Zu jener Zeit verkaufte ich, um von diesem sündhaften Umgange loszukommen, einen Teil meines Silberzeuges und schickte der Madonna von Loreto ein Votivtäfelchen, auf dem ich eine Nonne mit einem Knäblein weinend und auf den Knien abbilden ließ. Ich schickte es durch Bernardo Grosso, dem ich für die Reise sechs Dukaten gab, und einen, damit er ihr denselben als Opfer hinlege. Später schickte ich den Genannten noch zweimal zur Madonna, damit sie mir die Gnade verleihe, mich von dieser Leidenschaft freizumachen. Allein die Zaubereien, von denen ich umstrickt war, behielten die Oberhand; denn als man in meinem Bette Nachschau gepflogen, traf man Totengebeine, eiserne Nägel und vieles andere darin, wie alle Nonnen wissen ... Ich habe mehr als das Leben gewagt, um meine Seele zu retten. Ich war so leidend, daß ich einmal, von der Verzweiflung überwältigt, mich in den Brunnen stürzen wollte; ich wurde aber durch die Gestalt der Madonna zurückgehalten, die im Hintergrunde des Gartens steht und zu der ich meine Andacht hatte ...«

Die traurige Erzählung fährt fort. In die Gewalt des Versuchers gefallen, wird die Unglückliche bei jedem Verbrechen ihres Buhlen für mitschuldig gehalten; sie muß zuerst sich vom Verdachte reinigen, daß sie beim Meuchelmord Raineris die Hände im Spiel gehallt, und sie tut es, indem sie die Dienste erwähnt, die dieser Mann ihr geleistet und das Wohlwollen, das er gegen sie hegte; sie sucht sich dann von jeder vorbedachten Teilnahme am Morde der Katharina von Meda rein zu waschen. Hier wird sie gewahr, daß die Prämissen und Verdachtsgründe sehr wider sie sprechen; sie nimmt daher zu folgender Erzählung ihre Zuflucht, um erstere zu schwächen.

»Ich will die Geschichte mit dieser Katharina, diesem ausgelassenen und halbverrückten Weibe, erzählen. Obgleich die Nonnen schon mehr als einmal für gut gefunden hatten, sie fortzuschicken, wurde sie aus Barmherzigkeit und mir zu lieb noch zurückbehalten, indem man glaubte, sie ließe sich noch bessern. Als es sich aber zutrug, daß sie gegen Schwester Degnamerita eine Unbill verübte, so sorgte ich dafür, daß sie eingesperrt wurde, mit Zustimmung der Frau Mutter und des Beichtvaters; dies geschah zu der Zeit, um welche Monsignor Barka ins Kloster kommen sollte, um die Klostervorstandschaft neu zu bestellen. Katharina fing während ihrer Gefangenschaft an, zu sagen, sie wolle den Obern von mir und von den andern vielerlei mitteilen. Als zufällig jenen Abend Osio ins Kloster hereingelassen wurde, hinterbrachten ihm jene Nonnen diese Drohung Katharinas. Ich machte mich auf den Weg zu ihr hin, um sie zu besänftigen, mit dem Lichte in der Hand und weit entfernt von jeder bösen Absicht, indem ich Octavia, Candida und Silvia in meiner Gesellschaft hatte. Wir traten an das Fenster, das in den Garten schaut; es ist niedrig und die Brüstung reicht bis zum Gürtel herab. Ich bemerkte, daß die Schwester Benedicta mir vorausgeeilt war, und bereits mit der Eingesperrten sich unterredete. Sie war mir behilflich, hineinzukommen: dann folgten die anderen nach; zuletzt erschien Osio. Ich sagte zu Katharina – ›hör einmal‹;, und wollte beifügen, sie solle schweigen und versichert sein, daß ich mich für ihre Belassung im Kloster verwenden würde. Als sie aber stolz erwiderte: ›Ich will Euer Geschwätz nicht mehr hören; Euer und Eures Buhlen Verderben will ich sein; morgen werdet ihr an meine Stelle hieher kommen,‹; geriet Osio vor Zorn außer sich und schlug ihr mit einem Gegenstande zwei- oder dreimal auf den Kopf, infolgedessen sie plötzlich verschied. Weder ich noch die anderen wußten das Geringste von dem, was er mit Katharina vorhatte.«

Nun folgt die bereits bekannte Erzählung von der Verbergung und Fortschaffung des Leichnams, dann: »Ich ersuche Euer Gnaden ins Protokoll eintragen zu lassen, daß ich aus freiem Willen nie etwas Schlechtes begangen habe, wohl aber durch Zaubereien und Hexenwerk dazu gezwungen worden bin; ich hätte viel lieber nicht nur ein, sondern tausendmal das Leben verloren, als in etwas Unehrbares mit irgend jemand eingewilligt, und wäre es selbst der Kaiser gewesen.«

Auf die Frage, wie alt sie sei, antwortete sie: »Zweiunddreißig Jahre.«

Mit dem 19. Februar entfernt sich der Prozeß von den Begebenheiten des Klosters St. Margarita, um die Schändlichkeiten Arrigones zu erforschen.

Erst später erscheint zum zweiten- und letztenmal die Schwester Virginia wieder, die gerufen wird, eine Aussage wider Arrigone zu machen, die sie mit eigener Hand unterschreibt: »Ich, Schwester Virginia Maria Leyva, habe ausgesagt und als wahr bestätigt, wie oben steht.«

Kurz vorher hatte sie die Folter de' sibilli (Schraubenstock?) bestanden; denn wir lesen, daß der Richter (dies ist der einzige Fall im Prozeß) ihre Hände in die sibilli zu legen befahl. Als dies geschehen war und ihre Finger von einem hindurchgehenden Stricke gepreßt wurden, fing sie laut zu rufen an: »Ich bestätige alles als wahr, was ich im Verhör ausgesagt habe; aber laßt mich los! ihr tut mir weh! ich kann es nicht länger aushalten!« ... Es scheint jedoch, daß diese Art Tortur leicht gewesen ist; denn sie hinderte nicht, daß die kaum befreiten Finger die Feder ergreifen und mit zierlichen Zügen obige Worte niederschreiben konnten.

Weiterhin ist bloß von Arrigone noch die Rede, wobei die Schwester Candida und Osio als Nebenpersonen erscheinen.

Unter dem 17. Oktober 1608 wurde Virginia Maria zur Anhörung folgenden Erkenntnisses vorgeladen.

Urteilsspruch über die Schwester Virginia Maria von Leyva.

Nach wiederholter Anrufung des Namens Jesu Christi, und einzig Gott vor unseren Augen habend, bestätigen wir, tun kund, und durch den Rat und die Zustimmung der Rechtsgelehrten und auf jede andere Weise unterstützt, urteilen wir endgültig wie folgt: Schwester Virginia Maria von Leyva, Nonne im Kloster St. Margarita zu Monza in der Diözese Mailand, das der Gerichtsbarkeit dieser Kurie unterwürfig ist, wurde wahrhaft und wirklich nicht nur durch viele Zeugnisse, sondern auch durch ihre eigenen Geständnisse vieler, schwerer, ungewöhnlicher, schrecklicher Verbrechen überführt, die sämtlich erwiesen sind durch den gegen sie und die anderen Klosterfrauen und Mitschuldigen geführten Prozeß, aus dem mit aller Augenfälligkeit erhellt, daß sie schuldig, sehr schuldig und mit Fug und Recht in jeder Hinsicht strafwürdig ist: deshalb verurteilen wir sie (jedoch nicht ohne teilweise von der vorgeschriebenen Strenge in Gemäßheit der Vorschriften der heiligen Kanones, der päpstlichen Konstitutionen und der übrigen Maßnahmen über diesen Punkt nachzulassen) zur Strafe, beziehungsweise Buße ewigen Gefängnisses im Kloster St. Valeria zu Mailand, d.h. daß sie im genannten Kloster in einen kleinen Keller eingeschlossen werde, dessen Türe abgesperrt werden muß mittels einer Mauer aus Stein und Kalk, so daß die genannte Virginia Maria darin wohne, so lange sie lebt, eingeschlossen und eingemauert bei Tag wie bei Nacht bis zu ihrem Tode, und zwar zur Strafe und beziehungsweise zur Abbüßung ihrer Sünden und besonders der vorbenannten Exzesse, Verbrechen und Missetaten, die von ihr und ihrem Mitschuldigen begangen worden; sie soll von da nie mehr herausgelassen und niemand die Erlaubnis erteilt werden, sie herauszulassen; einzig lasse man in der Wand des genannten Kerkers ein kleines Loch, durch das man genannter Schwester Virginia Maria die Nahrung und was sonst notwendig ist, reichen kann, damit sie nicht Hungers sterbe; ebenso noch ein anderes Loch oder Fensterchen, durch das Luft und Licht zu ihr dringen können.

Um vom Allmächtigen Verzeihung ihrer oben genannten Sünden, Verbrechen und Ausschweifungen zu erlangen und das Heil ihrer Seele zu erwirken, wird Schwester Virginia während fünf Jahren verhalten, jeden sechsten Tag in der Woche zu fasten, insofern sie dies zu tun vermag bei Wasser und Brot, zum Andenken an das hochheilige Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Dies zur heilsamen Buße neben den benannten Strafen und über die lebenslängliche Gefängnisstrafe, die wir zum Heil ihrer Seele ihr zur Pflicht machen und auferlegen.

Ferner machen wir ihr es zur Pflicht, aufmerksam und andächtig die drei kanonischen Tagzeiten zu beten und nie es zu unterlassen, solange sie am Leben ist, Fälle rechtmäßiger Hindernisse ausgenommen. Wir verordnen ferner und schreiben vor, daß alle Einkünfte, Pensionen, Zinsen (frutti), Giebigkeiten und Bezüge, von was immer für einer Art sie sein mögen, die der genannten Schwester Virginia gehören, dem Kloster St. Valeria in Mailand unter dem Titel der Nahrungskosten für die Gefangene überlassen werden. Dies aber nur so lange, sie am Leben ist; denn wenn es Gott gefallen haben wird, sie zu sich zu rufen, befehlen wir, daß alle diese Einkünfte und Zinsen als Eigentum und zum freien Gebrauch dem Kloster St. Margarita wieder zurückfallen, in welchem die Schwester Virginia das Gelübde abgelegt und gewohnt hat.

Wir erklären überdies die genannte Schwester Virginia Maria jeglichen Amtes, Vorteiles, Privilegiums, Benefiziums und jeder Würde, die sie im genannten Kloster besessen und geübt hat, ebenso auch alles und jedes Stimmrechtes für verlustig.

Dermaßen und wie oben bezeichnet wurde, verurteilen, erklären und verdammen oder respektive verordnen, wollen und befehlen wir den Vollzug und was immer zur Vollstreckung alles Obigen notwendig ist, das schreiben wir vor und auferlegen wir jedem, den es betrifft, und zwar auf die bestmögliche Weise zu tun.

Das ist mein Richterspruch.

Ich Mamurio Lancilotto,

erzbischöflicher Kriminalvikar

Heute Samstag, den 18. Oktober 1608.

Geschöpft, erlassen, promulgiert und verlesen wurde der oben geschriebene Urteilsspruch vom gnädigsten Herrn Mamurio Lancilotto, apostolischem Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflich-mailändischen Kurie, von seinem Richterstuhle im Hofe der Kanzlei des erzbischöflichen Palastes aus und durch mich, Hieronymus Bolino, Notar und Aktuar bei dem erwähnten Kriminalgerichtshofe. Derohalben habe ich den genannten Urteilsspruch stipuliert und bekräftigt und in Gegenwart des hochwürdigsten gnädigsten Don Pietro Barca, Doktors der Theologie, Kanonikus des erlauchten Kollegiatstiftes St. Ambrosio maggiore zu Mailand und des hochwürdigen Priesters Johann Anton Mazainella, Provisor des Ambrosius-Hospitals bei der Porta Vercellina zu Mailand, die ausdrücklich hinzuberufen worden waren. Urkunde dessen usw.

Hieronymus Bolino.

Noch teilen wir folgendes Urteil über den Priester Paul Arrigone mit.

Nach Anrufung der Namen Jesu Christi und der Jungfrau Maria, seiner Mutter.

Wir, Mamurio Lancilotto, apostolischer Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflichen Kurie von Mailand, von unserem Richterstuhl aus, und einzig Gott vor Augen habend bei diesem unserem endgültigen Urteil. Nachdem wir den Rat ausgezeichneter Rechtsgelehrten gehört und die Beistimmung derselben erlangt hatten betreffend den Prozeß und die Prozesse, die in erster Instanz vor uns zwischen dem hochwürdigen Herrn Sebastian Ricci, Anwalt der vorgenannten Kurie und Fiskalprokurator, von der einen Seite, und dem Herrn Paul Arrigone, Pfarrer von St. Mauriz in Monza, Diözese Mailand, auf der anderen Seite verhandelt worden sind, der ins Gefängnis geworfen, gerichtlich abgehandelt, schwer angeschuldigt, mit starken Indizien überwiesen und beziehungsweise zum Geständnis gebracht und ungeheurer und grausamer Verbrechen, Missetaten, Exzesse und Sünden überführt worden ist, als da sind:

1. Daß vor mehreren Jahren, während Johann Paul Osio (welcher seine Wohnung in Monza neben dem Kloster Santa Margarita hatte) mit Maria Virginia Leyva, Nonne im Kloster, ein Liebesverhältnis hatte (indem Osio den Arrigone in dieses Verhältnis hereinzog, während er mit ihm im Garten spazierte, welcher an das obengenannte Kloster stößt, von dem aus Osio die Schwester Virginia sehen und mit ihr in Wechselverkehr treten konnte). Genannter Arrigone, von ihm um Rat gefragt über die Art und Weise, wie er sich die Zuneigung der genannten Klosterfrau gewinnen könne, hat, dem Grunde entsprechend, vorhingenannter Klosterfrau eigenhändig im Namen Osios viele Liebesbriefe geschrieben und ihr vorgespiegelt, eine solche Liebe sei nicht sündhaft und zu diesem Behufe verfälscht die Autorität des heiligen Augustinus angeführt und versichert, wer in ein Frauenkloster eindringe, falle nicht in den Kirchenbann, und daß Osio, um sie besser zu überreden, ihr ein Buch über Gewissensfälle gegeben (lauter Dinge, zu denen Arrigone der Ratgeber war).

2. Daß zur Erreichung des Zweckes, von dem oben die Rede war, der genannte Priester Paul Magnetsteine gekauft und sie dem Osio übergeben hat, der dann zur Nachtzeit damit ins Sprechzimmer der Klosterfrauen kam (Arrigone begleitete ihn und blieb vor dem Sprechzimmer als Wache stehen) und die Steine, geküßt und beleckt, der Schwester Virginia überreichte, damit auch sie dieselben küsse und belecke.

3. Daß der nämliche Arrigone die hauptsächlichste und unmittelbarste Ursache war, daß die folgenden verabscheuungswürdigen Untaten begangen wurden:

a) Daß Osio, der viele Jahre hindurch freien Eintritt ins Kloster St. Margarita hatte, mit der vorgenannten Schwester Virginia in sündhaftem Liebesverhältnis gelebt, sie zur Mutter zweier Kinder gemacht und sie zu wiederholten Malen aus dem Kloster in sein eigenes Haus genommen hat.

b) Daß Osio, befürchtend, eine gewisse Katharina von Meda, eine Laienschwester, welche keine Gelübde abgelegt hatte und die Schwester Virginia bediente, möchte, über dieses Verhältnis unterrichtet, es den Obern anzeigen, zur Nachtzeit mittels eines gewissen Werkzeuges, das teils aus Holz, teils aus Eisen besteht und gemeinhin Piede di bicocca genannt wird, diese Katharina im Kloster selbst erschlagen, dann den Leichnam hinausgeschleppt und ihn im eigenen Hause begraben hat.

c) Daß Osio selbst aus Furcht, Schwester Octavia Ricci und Schwester Benedicta Omati, beide Nonnen im genannten Kloster, die sowohl von der Liebschaft als von dem Morde wußten, könnten dies hinterbringen, sie beide aus dem Kloster genommen, indem er zur Nachtzeit die Mauer durchbrochen, die den Garten umgibt und in der Absicht, sie zu töten, die Schwester Octavia in der Fluß Lambro geworfen, nachdem er sie zu wiederholten Malen mit dem Flintenkolben auf den Kopf geschlagen, worauf sie bald gestorben und die Benedicta in einen tiefen Ziehbrunnen gestürzt hat, wo sie zwei Tage lang verblieb und, ungeachtet sie einen Schenkel und zwei Rippen gebrochen, mit göttlichem Beistand aus demselben herausgezogen worden und obschon sie ihrem Ende nahe ist, noch lebt, weswegen genannter Osio von dem erlauchten Senate zum Tode und zur Schleifung seines Hauses verurteilt ist.

d) Daß genannter Arrigone aus eigenem Antrieb die Schwester Virginia um ein Liebesverhältnis angegangen, indem er ihr Briefe und Verse schickte, sie ins Sprechzimmer lockte und jeden Weg, zu diesen Zwecke zu gelangen, versuchte.

e) Daß genannter Arrigone schon vier Jahre vorher ein sündhaftes Liebesverhältnis mit der Schwester Candida Colomba, Klosterfrau zu St. Margarita, angeknüpft und ihr viele Liebesbriefe geschrieben und Erwiderungen auf gleiche Weise erhalten und was noch schlimmer und verabscheuungswürdiger ist ...

Indem dies alles und noch vieles andere unserem Geiste vorschwebt, worüber im Prozesse weitläufigere Aufklärung gegeben wird, sind wir zum folgenden Urteil geschritten:

In Anbetracht der vorher beschriebenen Akten und Zeugenschaften, der starken Anklagen, augenfälligen Inzichten, kräftigen Mutmaßungen und dem gewichtigen aus den genannten Prozessen und Zeugenschaften fließenden und ersichtlichen Ergebnisse gegen den Priester Paul Arrigone sowie nicht minder in Anbetracht seiner Geständnisse und seines Verhöres. Ferner in Anbetracht der von Arrigone selbst vorgebrachten Verteidigungen sowie der angeführten Rechtsberufungen sowohl von selten genannten Priesters Paul, wie von Seiten des Herrn Viskalprokurators und endlich in Betracht der auf diesen Tag und Stunde genanntem Arrigone eröffneten Vorladung zur Anhörung des in betreff seiner gefällten Urteiles und in Erwägung dessen, was in Betracht zu ziehen war und nach vorher gehaltener Rücksprache mit dem hochwürdigsten gnädigsten Herrn Kardinal und Erzbischof Borromeo.

Sowie nach wiederholter Anrufung der Namen Jesus und Maria sagen, entscheiden, erklären und urteilen wir endgültig, daß genannter Priester Paul Arrigone, seiner Schuld überführt und daher gemäß den Gesetzen strafbar, bloß zu zwei Jahren Galeerenstrafe verurteilt werde und dies in Anbetracht der langen Gefangenschaft, die er schon überstanden und anderer Rücksichten, die uns dazu bewogen. Erwähnter zweijähriger Galeerenstrafe soll er ohne Verzug überliefert werden, und wir verordnen, daß er auf der Galeere die genannte Zeit hindurch wirklich Ruderdienste zu tun hat. Unmittelbar nach Verlauf dieser Zeit verurteilen wir den nämlichen Arrigone zu lebenslänglicher Verbannung von Monza und 15 Meilen seiner Umgebung unter Strafe der Degradation von den heiligen Weihen und des Verlustes des Kuratbenefiziums und weiterer drei Jahre Galeerendienstes, im Falle er das Verbot zu verletzen wagen sollte, das heißt, wenn er sich nach Monza und dessen Nähe in einem Umkreise von 15 Meilen begäbe.

So habe ich endgültig das Urteil gefällt.

Samstag, den 24. Januar 1609, abends.

Ich Mamurio Lancilotto,
Kriminalvikar.

Obiges Urteil wurde gefällt und kundgegeben vom gnädigsten Herrn Kriminalvikar von seinem Richterstuhle herab in Gegenwart der hochweisen Herren Hieronymus Bosisio und Bernhard Serpenti, beide Notare des erzbischöflichen Kriminalgerichtshofes.

Arrigone beruhigte sich jedoch bei diesem Urteile nicht. Vielmehr findet sich noch folgendes Protokoll:

»1609, heute Dienstag, den 27. Jänner.

Obiges Urteil ist von mir, Notar im Saale, der zum Verhör der Eingekerkerten bestimmt ist, dem Priester Paul Arrigone, der es ganz gut hörte und verstand, vorgelesen worden.

Nachdem er es vernommen und verstanden, sagte er:

Ich nehme von diesem Urteil nichts an, weil es unbillig und ungerecht ist; ich appelliere im Gegenteil an den Papst, denn ich fühle mich sehr beschwert, indem ich mir nicht bewußt bin, solche Verbrechen begangen zu haben, die lauter Erdichtungen sind und von meinen Feinden gegen mich geschmiedet wurden.«

Erst im Juli 1609 scheinen die Urteile gegen die mitschuldigen Nonnen publiziert worden zu sein. Das Urteil über Schwester Candida lautete im Auszug:

Nach Anrufung des Namens Jesu Christi.

Wir Mamurio Lancilotto usw. mit diesem endgültigem Richterspruch, nach Anhörung der Gutachten tüchtiger Rechtsgelehrten und mit deren Zustimmung, in der zwischen dem hochwürdigen Herrn Sebastian Ricci, Fiskalanwalt der erzbischöflichen Kurie einerseits und der Schwester Candida Colomba Trotti oder de Brancolini, Klosterfrau im Kloster St. Margarita zu Monza usw., anderseits (sowie der mitschuldigen Nonnen) verhandelten Streitsache, welche (Candida) nicht nur durch viele Zeugen, sondern auch durch ihre eigenen Geständnisse folgender, außerordentlicher und verabscheuungswürdiger Verbrechen und Sünden überführt wurde, als da sind:

1. Daß sie mehrere Jahre hindurch mitwissend, mitbeteiligt und mitwirkend war, nicht nur im schändlichen Verhältnisse zwischen Osio und Virginia, sondern auch bei der Einlassung des genannten Osio ins Kloster, die unzählige Male geschah (infolgedessen die Schwester Virginia Mutter eines Mädchens wurde), welchem Osio sie mit nachgemachten Schlüsseln den Zutritt erleichterte, auf daß er frei mit genannter Schwester Virginia Umgang haben könne.

2. Daß gleicherweise die genannte Schwester Candida zugleich mit anderen mitwissend, mitbeteiligt und mitwirkend war bei dem oftmaligen nächtlichen Austritt der Schwester Virginia mit Osio aus dem Kloster, und daß sie dann jedesmal wartete auf das Zeichen, wann sie (Virginia) in das Haus zurückkehrte.

3. Daß genannte Schwester Candida mitwissend, mitbeteiligt und mitwirkend war bei dem an der Person der Katharina de Cassini folgendermaßen begangenen Mord.

(Hier folgt die Erzählung der bekannten Vorgänge.)

Überdies hatte Schwester Candida mit dem Priester Paul Arrigone, Pfarrer in der Stadt Monza, schon seit fünf Jahren ein Liebesverhältnis angeknüpft und ihm mehrere Liebesbriefe geschrieben und von ihm empfangen und was noch schlimmer ist ...

(Man sehe das Urteil Arrigones.)

Nach Durchgehung der obigen Prozesse usw., nach nochmaliger Anrufung des Namens Jesu sagen, befehlen usw. verurteilen wir die Schwester Candida Colomba zur Buße und beziehungsweise zur Strafe lebenslänglichen Gefängnisses im Kloster St. Margarita, das heißt, daß sie dort in einen kleinen Kerker eingesperrt werde usw. (Es folgen die nämlichen Anordnungen, denen wir schon beim Urteil der Schwester Virginia begegnet sind sowie auch die Klauseln der Konfiskation und die Unfähigkeitserklärung zu jeglichem Amte.) Dies ist mein Urteilsspruch.

Ich Mamurio Lancilotto,

Heute, den 26. Juli 1609. Kriminalvikar.

Das Urteil über Schwester Benedicta Omati ist im Hauptwerke gleichlautend, nur daß auch noch die Flucht aus dem Kloster unter ihren Verbrechen angeführt, dagegen der Verkehr mit dem Priester Arrigone weggelassen wird.

In dem Urteil über Schwester Silvia Casati sind der Anklagepunkte nur drei, nämlich: die Mitschuld bei der Buhlschaft Osios und der Schwester Virginia aus dem Kloster; die Teilnahme an der Ermordung der Katharina von Meda, und dies alles ist in den nämlichen Ausdrücken wiedergegeben, die im Urteilsspruche über Schwester Candida gebraucht wurden. Der Text der Verurteilung ist ebenfalls wörtlich derselbe.

Ein Protokoll über die Vollstreckung obiger Urteilssprüche gegen Candida, Benedicta und Silvia lautet:

Vor den genannten Schwestern Candida, Silvia und Benedicta, die es gut hörten und verstanden, wurden von mir (Notar) in einer Zelle im oberen Stockwerke des Klosters St. Margarita und in Gegenwart des Herrn Kriminalvikars die obigen Urteile in lateinischer und italienischer Sprache Wort für Wort verlesen. Anwesend dabei waren auch die ehrwürdigen Klosterfrauen Margarita de Sacchi, Priorin, und Franziska Imbersaga, Vikarin (Subvikarin) des genannten Klosters, die auf Befehl des Herrn Kriminalvikars zu Zeugen gerufen worden waren. Die Klosterfrauen Benedicta, Candida und Silvia nahmen mit fröhlichem Gemüte das über sie ergangene Urteil an und versprachen, dessen Inhalt sich willig zu unterwerfen. Daher wurden behufs der Vollstreckung obiger Urteilssprüche die genannten Klosterfrauen eine nach der anderen zum Kerker geführt, der im bezeichneten Kloster für sie hergerichtet worden war und jede von ihnen in ein abgesondertes Gefängnis gesperrt mit allem, was sie bedurften und mittels Stein und Kalk die Kerker zugemauert, nachdem die Schlüssel der äußeren Tür des Kerkers und zugleich auch der inneren sowie des Haupttores des Gefängnisses, das zu ihnen führt, der vorhin genannten Priorin überreicht waren mit dem Befehl, daß ohne spezielle schriftliche Erlaubnis die kleinen Türen niemand öffnen dürfe, und was das Haupttor betreffe, nur dann, wenn es unvermeidlich sei, um den Gefangenen die notwendigen Lebensbedürfnisse zukommen zu lassen, und daß sie hierauf mit aller Sorgfalt acht habe.

In betreff der Priorin und der Vikarin von St. Margarita findet sich, jedoch ohne Datum und Unterschrift, eine geheime Mißtrauensakte folgenden Inhaltes:

»Schwester Angela Margarita Sacchi, die Priorin, hat verdient, ihres Amtes entsetzt zu werden; um sie nicht in Unehre zu bringen, ist Vorsorge zu treffen, daß sie beim Austritt aus dem Amte für keine andere Stelle im Kloster Santa Margarita mehr gewählt werde. Man sorge auf gleiche Weise in betreff der Vikarin Schwester Franziska Imbersaga.«

Unter den Urkunden, die außer den Prozeßakten der Signora anderwärts gesammelt wurden, finden wir zuvor eine Aufforderung an Osio und seine Mitschuldigen, vor dem Kriminalgerichtshof zu erscheinen, damit über sie das Urteil gefällt werde.

Dieser Vorruf gehört zu den Akten des Prozesses, den der Kriminalgerichtshof von Mailand gegen Osio und seine Mitschuldigen eingeleitet hatte und lautet folgendermaßen:

Wir Don Johann von Salamanca, Doktor beider Rechte, herzoglich mailändischer Senator, und Johann Franz Forniali, Generalfiskal im mailändischen Staat.

Gemäß dem Gegenwärtigen, auf Verlangen des königlichherzoglichen Fiskus und im Auftrag des erlauchten Senats gebieten und befehlen wir dem Johann Paul Osio, dem Camillo, genannt il Rosso (der Rote), seinem Knechte, dem Nikolaus Pessina und dem Alois Panzuglio, Sohn des Josef, daß sie binnen der Frist von acht Tagen, von der Ankündigung des Gegenwärtigen gerechnet, persönlich vor uns in dem Amtszimmer des vortrefflichen Herrn Justizhauptmannes im königlichen Gerichtshofe zu erscheinen haben, um unserem Befehl zu gehorchen und den erforderlichen Verhören sich zu unterziehen; nämlich genannte Osio, Pessina und Camillo von wegen eines mit einem Flintenschuß zur Nachtzeit vorbedächtig begangenen Mordes, welcher im letztverflossenen Oktober an der Person des Apothekers Raineri Roncini verübt worden ist, während er sich in seiner Apotheke in der Stadt Monza befand; und die nämlichen Osio, Pessina, Camillo und Alois Panzuglio von wegen einer falschen Anklage, die von ihnen über die Mitschuld anderer, deren Namen aus Rücksichten jetzt verschwiegen werden, vors Gericht gebracht wurden, damit die Genannten vom Prozeß wegen des fraglichen Mordes frei davonkommen und statt ihrer der hochwürdige Priester Paul Arrigone von der Kirche zu St. Maurilio für schuldig erkannt werde. Sodann genannter Osio von wegen Entführung mittels Durchbrechung der Mauer aus dem Kloster St. Margarita in genannter Stadt, welche Entführung in betreff der Schwestern des bezeichneten Klosters namens Octavia Ricci und Benedicta Omati vollbracht wurde, von denen die erste auf verräterische Weise von ihm in den Fluß Lambro geworfen und nachher, um sie gänzlich zu töten, mit vielen Schlägen mittels des Kolbens einer Flinte, die er bei sich führte, blutig geschlagen worden ist, infolgedessen sie wenige Tage darauf verschied. Die andere aber er vorbedachten Sinnes und auf verräterische Weise, gleich der obigen sie zu töten entschlossen, in einen tiefen Ziehbrunnen nahe bei Velate stürzte, so daß sie sich gegenwärtig noch in Lebensgefahr befindet.

Ferner der genannte Osio wegen Entführung einer Laienschwester namens Katharina aus dem genannten Kloster und wegen des an ihrer Person verübten Mordes.

Und dies allen vorhin Genannten unter Androhung, sie widrigenfalls für geständig und der Verbrechen, die beziehungsweise ihnen zur Last gelegt werden, für überführt zu halten;

über diese Ankündigung usw.,

und zwar mit dem Vorbehalt, gegen die übrigen in Anklagezustand Versetzten gerichtlich zu verfahren und nicht anders usw.

Gegeben zu Mailand, Mittwoch, den 2. Januar 1608

Gezeichnet: Salamanca, Forniali, Delegierte.
Unterschrieben: Negroni.

Ferner findet sich folgende Mitteilung des Urteiles Osios und seiner Mitschuldigen an den Gerichtshof.

1608. Erlauchter Gerichtshof.

Heute haben wir Johann Paul Osio, Einwohner von Monza, Camillo, genannt il Rosso, seinen Knecht, und Nikolaus Pessina, genannt Panzuglio, Sohn des Josefs, auch sie wohnhaft im genannten Orte, verurteilt, und zwar, was Osio anbetrifft, zur Strafe des Galgens, die anderen zur Enthauptung, endlich alle zur Konfiskation ihrer Güter zugunsten der königlich-herzoglichen mailändischen Kammer und dies wegen der in der hier beigefügten Erklärung angezeigten Verbrechen, welche Erklärung jedem der darin Verwickelten regelmäßig bekanntgemacht werden soll.

Wir setzen Euer Gnaden hievon in Kenntnis zum Zwecke der Vormerkung in den eigenen Büchern. Gegeben im königlichen Gerichtshof.

Den 25. Februar, abends.

Dr. Josef Salamanca, Forniali,
Delegierte.

Dazu kommt die nachstehende Bekanntmachung gegen Johann Paul Osio von Monza, Nikolaus Pessina, genannt Panzuglio, und Camillo, genannt il Rosso, Knecht des vorerwähnten Osio:

Da dem erlauchtesten gnädigsten Herrn Don Pietro Enriquez de Acevedo, Grafen von Fuentes, Gouverneur des mailändischen Staates, über die Maßen mißfallen haben usw. der grausame, vorbedachte Mord mittels eines Flintenschusses, der vergangenen Jahres an der Person des Apothekers Raineri Roncini begangen wurde, während er zur Nachtzeit in seiner Apotheke in Monza war und die anderen grausamen Ermordungen gleicher Art sowie die ebendort von Johann Paul Osio aus Monza begangenen schweren Verbrechen, wegen deren er mit der Todesstrafe belegt und aus diesem Staate vertrieben wurde, so haben Seine Exzellenz zur Ausrottung eines so verderblichen Samens festgesetzt, daß folgende Bekanntmachung veröffentlicht werde, mit welcher jeder nicht landesverwiesenen (bandita) Person oder Genossenschaft, die genannten Johann Paul Osio dem Arme der Gerechtigkeit lebendig überliefert, die Belohnung von 1000 Skudi, welche ihr pünktlich aus der königlich-herzoglichen Schatzkammer bezahlt werden, nebstdem noch die Befreiung von vier wegen gleicher oder kleinerer Verbrechen Landesverwiesenen zugesichert wird. Wenn er aber tot eingeliefert wird, wenn auch aus auswärtigen Ländern, die Hälfte des Geldpreises und die Befreiung zweier Verwiesenen wie oben. Und wenn derjenige, der ihn lebendig einliefert, selbst wegen eines gleichen oder kleineren Vergehens landesverwiesen ist, so soll er außer der Befreiung seiner selbst und zweier anderer Verwiesener auch die Hälfte des Geldpreises erlangen; wenn er ihn aber tot einliefert, die Befreiung seiner selbst und zweier anderer Verwiesener wie oben. (Es folgen in der Bekanntmachung einige die Mitschuldigen Osios betreffende Punkte, die wir hier übergehen.) Und im Falle einer der Obgenannten getötet werden sollte, erklärt Seine Exzellenz, daß es hinreiche, den Kopf des Getöteten vorzuzeigen zum genügenden Beweis, daß, wer ihn zeigt oder in wessen Namen er gezeigt wird, der Töter gewesen sei, so daß, was den Beweis betrifft, bloß die Identität des Verwiesenen zu konstatieren ist.

Und wenn diejenigen, welche den erwähnten Osio sowie die Obgenannten einliefern oder töten, außer Landes verwiesen sind und nicht Verzeihung erlangt haben, so beanraumt ihnen Seine Exzellenz drei Monate Zeit, sie von den Beleidigten einzuholen; während welcher man ihnen freies Geleit unter der Bedingung gibt, daß sie die Orte nicht betreten, wo sie ihre Verbrechen begangen haben, noch auch bis auf drei Meilen sich den Orten nähern, wo jene wohnen, welchen die besagte Verzeihung zu erteilen zukommt.

Ferner befiehlt Seine Exzellenz, die gegenwärtige Bekanntmachung zu drucken und in den gewöhnlichen Teilen des Staates, besonders auf dem Gebiet von Monza und von Monte di Brianza veröffentlichen zu lassen, damit sie allmählich bekannt werde.

Gegeben zu Mailand, den 4. April 1608.

Da man des Osio selbst nicht habhaft geworden war, so hatte man sein Haus in Monza niederreißen lassen und einen freien Platz daraus gemacht, auf welchem eine marmorne Schandsäule mit folgender Inschrift errichtet wurde:

»Nachdem Johann Paul Osio ob der von ihm begangenen gräßlichen Ermordungen und anderen Schandtaten zu der gebührenden Strafe verurteilt worden, gab der erlauchteste gnädigste Graf von Fuentos, Gouverneur dieser Provinz, nach dem Antrage und Beschluß des sehr erlauchten Senats, den Befehl, das Haus Osios, das sich an diesem Platz befand, bis auf den Grund niederzureißen und für immer einen freien Platz daraus zu machen, auf dem zum ewigen Andenken an das Geschehene diese Säule errichtet wurde im Jahre 1608.«

Auf dieser Säule scheint ein Standbild der Justitia gestanden zu haben, und dieses wurde im Mai 1609 umgestürzt. Es erschien darauf folgende Bekanntmachung:

Die Frechheit der Tat, die sich auf dem Gebiete von Monza zugetragen, indem man die Statue der Gerechtigkeit, die an dem Platze stand, wo Johann Paul Osios Haus gewesen, freventlich zertrümmert hat, verdient, daß man alle Sorgfalt anwende, um dies Verbrechen ans Licht zu fördern und die Urheber anderen zum Exempel zu züchtigen. Deshalb und weil die zu diesem Behufe vom Senat besonders angestellten Untersuchungen ohne Erfolg waren, hat der erlauchte gnädigste Herr Don Pietro Enriquez de Acevedo, Graf von Fuentes, mailändischer Staatsrat usw., im Einverständnis mit dem Geheimen Rat wie auch mit dem mailändischen Senat befohlen, daß eine Bekanntmachung veröffentlicht werde, mit welcher Seine Exzellenz einem der Mitschuldigen, der es ans Licht bringt oder hinreichende Indizien liefert, um die Tortur anwenden zu können, Straflosigkeit zusichert, ferner noch die Belohnung von 100 Skudi und überdies die Befreiung eines wegen eines zu begnadigenden Falles Entwichenen verspricht.

Und weil auch in der Stadt Monza der üble Gebrauch, auf dem Platze und hinter der Straße der Kirche und des Klosters St. Margarita Ballon und Ball zu spielen, mit so großem Ärgernis und so großer Insolenz eingerissen ist, daß einige beim Spiele, wenn der Ball bisweilen ins Kloster fiel, die Frechheit gehabt haben, in dieses hineinzudringen und ihn zu holen, indem sie mit den Dolchen die Schlösser am Tore des genannten Klosters erbrachen, ohne auf Gott und Gerechtigkeit zu achten und weil auch andere Unordnung aus Anlaß dieser Spiele entstanden, befiehlt Seine Exzellenz ausdrücklich, daß keiner, sei er wer er wolle, in Zukunft es wage, Ballon oder Ball, noch irgendein anderes Spiel auf der Straße, wo genannte Kirche und das Kloster St. Margarita ist, zu spielen, und zwar für die Dawiderhandelnden unter einer Geldbuße von 25 Skudi für jeden, die zugunsten heiliger Stätten verwendet werden sollen und unter Strafe einer noch schwereren körperlichen Züchtigung nach dem Ermessen Seiner Exzellenz, welche den Hauptmann von Monza beauftragt, diese Kundmachung alsogleich in jener Stadt zu verlautbaren und, was das Spielen betrifft, diese Anordnung pünktlich zu vollziehen und die Übertreter unerbittlich zu strafen.

Gegeben zu Mailand, den 23. Mai 1609.

Unterzeichnet: El Conde Fuentes.

Bemerkenswert aber ist dabei, daß die Nonnen es durchsetzten, daß die Wiederaufrichtung des Standbildes unterblieb.

Es existiert ein Brief, den der Kardinal Friedrich Borromeo an die Priorin des Klosters St. Margarita zu Monza, 14 Jahre nach der Verurteilung der Signora, gerichtet hat. Wir halten es der Mühe wert, ihn anzuführen.

Ehrwürdige Mutter!

Mailand, den 15. September 1622.

Wie gefährlich es für Euren heiligen Stand ist, Soldaten in der Nähe zu haben, hat uns in ähnlichen Fällen die Erfahrung gezeigt wegen des Verkehres, den der junge, müßige Soldat beständig mit den Klöstern anzuknüpfen sucht, auch unter ehrenwerten und ehrbaren Vorwänden. Deshalb haben wir mit großem Mißfallen gehört, daß in den Orten unserer Diözese, wo Frauenklöster und Kongregationen von Jungfrauen bestehen, förmliche Wohnungen für die Soldaten eingerichtet worden sind, was man case erme (Kasernen) nennt, wo sie lange wohnen können und müssen ... Indem wir daher vorsehen wollten, daß nicht etwelche Unordnung zur Unehre Eures Hauses daraus entstehe, befehlen wir Euch kraft des heiligen Gehorsams und unter anderen Strafen nach unserem Ermessen und je nach der Beschaffenheit des Vergehens, daß Ihr nie weder in das Kloster noch in Eure Kirche, sei es unter was für einem Vorwande immer, weder unter dem der Frömmigkeit und Andacht, noch unter dem der Verwandtschaft, wenn es selbst ein Bruder wäre, irgendeinen Soldaten, oder jemand aus seinem Anhange, sei es ein Diener oder Begleiter oder ein Bote desselben, zulaßt noch mit ihm verkehret; denn wir wollen, daß jeder Umgang und jedes Gespräch zwischen ihnen und Euch ausgeschlossen bleibe. Gestattet nicht, daß auf Verlangen irgendeines Soldaten oder eines zu ihm Gehörigen gottesdienstliche Verrichtungen in Eurer Kirche vorgenommen werden, noch daß Eure Kaplane in ihrem Namen die heilige Messe lesen oder eine andere kirchliche Funktion abhalten ... Jede Türe des Klosters soll zur größeren Sicherheit und Bewachung der Klausur einen Riegel mit einem Schlüssel haben, der, bis in die Mauer übergehend, sie ganz schließt; den Riegel des kleinen Türchens, das gewöhnlich benutzt wird, soll die Oberin, wie schon andermal unter Strafe der Exkommunikation geboten wurde, am Abende schließen und am Morgen öffnen zur gehörigen Stunde und den Schlüssel dazu immer bei sich führen oder an einem verborgenen und sicher verwahrten Orte aufgeben; was das Wagentor anbetrifft, soll sie gleichfalls immer einen der beiden Schlüssel behalten und verwahren, und sie selbst es öffnen und wieder schließen, wenn man es nicht mehr offen braucht. Stößt ihr ein Krankheitsfall zu, der sie daran hindert, so soll die Vikarin das gleiche und unter der nämlichen Strafe tun, unter welcher auch die Pförtnerinnen den anderen gewöhnlichen Schlüssel bei sich oder am Gürtel behalten und wohl Acht haben sollen, ihn nicht an der Türe stecken zu lassen oder an derselben aufzuhängen, noch an irgendeinem anderen Orte, wo er in anderer Leute Bereich wäre ...«

Auch der folgende Brief verdient Erwähnung, weil er der Signora gedenkt und zu erkennen gibt, daß 19 Jahre nach dem Prozesse, der sie betraf, in Madrid das Gerücht von ihrem tragischen Schicksal noch fortlebte.

Der Kardinal Friedrich Borromeo an Besozzo, seinen Prokurator zu Madrid:

Herr Besozzo!

Den 21. Juni 1627.

Diese Nachricht und diese Zeugschaft muß man allen Herren des Rates von Italien zeigen und jedem Vertrauteren eigens sagen, daß, so viele Jahre ich regiere, nur eine Unordnung in Monza verfiel, die mit dem Kerker bestraft wurde; die Person wird aus gebührenden Rücksichten nicht genannt. Man kann jedoch ebenso vertraulich ihm weiter mitteilen, daß dies Donna Virginia Leyva aus dem Hause Leyva, Nichte des Fürsten von Ascoli, war, damit sie wissen, wer es sei; daß aber auch diese nämliche Person, die noch lebt, von diesem Umstände so großen Nutzen gezogen hat, daß man sie einen wahren Spiegel der Bußfertigkeit nennen kann.

Friedr. Kard. Borromeo.

In dem Vorstehenden ist ein großer Teil des Herganges der Ereignisse, die sich an die Nonne von Manza knüpfen, aktenmäßig dargelegt. Das noch Fehlende nachzutragen und zugleich diese Zusammenstellung der auf jene Persönlichkeit bezüglichen Materialien zu vervollständigen, fügen wir das einschlagende Bruchstück aus der mailändischen Geschichte des Ripamonti bei. Was darin unrichtig oder lückenhaft ist, wird durch das Obige meistenteils berichtigt und ergänzt. Ripamonti erzählt die Sache in folgender Weise:

»Die verschiedenen und wechselvollen Schicksale dieser Frau waren furchtbar und erschütternd, ergaben sich aber in der Folge durch die von der göttlichen Gnade bewirkte Bekehrung als preiswürdig und erbauend. Sie setzen die Tugenden, die der Kardinal beim Hereinbrechen und Toben dieses Sturmes gegen die Keuschheit entwickelte, in ein glänzendes Licht. Es war kein vereinzelter Fall von Ausschweifung; die Ausschweifung einer Person riß viele andere mit ins Verderben, und nicht nur die Ehrbarkeit litt dabei Schiffbruch, sondern es kostete sogar Menschenleben. Dennoch ging am Ende aus diesem Verderbnis eine herrliche und ruhmwerte Frucht der Heiligkeit hervor, indem gräuelvolle Szenen, die unglaublich scheinen, und schauderhafte Untaten von einer noch größeren Reue und Buße gesühnt wurden, wobei die Frömmigkeit und Großmütigkeit des Kardinals hebend und unterstützend bei dem großen Werke mithalf, gleichsam als wäre er selbst einer der Sünder gewesen.

Ein Mädchen von fürstlichem Geblüte, eine Jungfrau, wie es damals hieß, war sie, wie sich nachher ergab, nicht, sowohl aus freier Wahl, als vielmehr auf Antrieb väterlicher Habsucht ins Kloster gebracht worden nach der bekannten Sitte der damaligen Großen, die es für ihren zeitlichen Besitz und ihre Vermögenszustände oft sehr ersprießlich fanden, ihre Töchter auf diese Weise zu versorgen.

Das Kloster, das von diesem Unfall betroffen wurde, liegt außerhalb Monza, einer alten und berühmten Gemeinde, der zur Würde und Gestalt einer eigentlichen Stadt bloß der Name abgeht und die zur Belohnung mir unbekannter Dienste von königlicher Freigebigkeit der Familie eben dieser Tochter zum Lehen geschenkt ward. Die Familie hatte sich erst seit kurzem aus mäßigen Verhältnissen zu bedeutendem Ansehen und Wohlstande emporgeschwungen. Über die neue Vestalin herrschte anfänglich eine günstige Meinung, weil sie überhaupt zurückgezogen und still war und weil man sie als die Zierde und den Schutz des ganzen Klosters ansah. Zuerst fing die Dienerschaft des Klosters an, sie »Signora« zu nennen; bald unterschied sie sich durch keinen anderen Namen von ihren Gefährtinnen. Zum Beweis, wie hoch man sie wegen ihrer Bescheidenheit, Unschuld und sonstigen Tugenden schützte, möge der Umstand dienen, daß sie zur Lehrerin und Leiterin des Fräuleininstitutes im Kloster erwählt wurde. Aber gerade hieraus entsprang gegen alle Erwartung alles Übel. An das Kloster stieß ein Haus, von dessen verborgener Hinterseite man in den kleinen Hofraum hineinschauen konnte, wo die Töchter der Erziehungsanstalt im Sommer den Nachmittag zubrachten und sich belustigten. Der Herr dieses Hauses war ein reicher und junger Müßiggänger; er kam, um sie zu belauschen. Bald haftete sein Blick mit Vorliebe auf einer von den Töchtern.

Er begann mit ihr Liebesgespräche. Bald aber wurde sie, da sie schon mannbar war, von den Eltern aus dem Institut genommen und einem anderen vermählt. Als der junge Mensch dieser Augenweide und des Gegenstandes seiner Unterhaltung bei seinem Müßiggange sich beraubt sah, übertrug er auf die Leiterin der Anstalt alle Liebe oder besser gesagt alle sinnlichen Gelüste, welche die Tochter der Anstalt in ihm wachgerufen hatte.

Es dauerte nicht lange und sie fanden ohne Mühe den Weg zum Verbrechen, das nach derartigen Vorspielen nicht fernliegt. Einige Jahre hindurch blieb die Sache verborgen. Nach Durchbrechung einer Wand und Öffnung des Zutrittes zum Gemach der Signora lebten sie wie in der Ehe und zeugten Kinder.

Ihr waren zwei andere Klosterfrauen als Gesellschafterinnen beigegeben und waren so gleichsam ihre Zimmergenossinnen. Auch sie unterlagen der Befleckung als Zuwachs und Zugabe zum Sakrilegium der Signora.

Eine Laienschwester, die im Garten des Klosters einmal im Zorne ein Wort fallen ließ, sie wisse, was geschehe und werde es zu seiner Zeit anzeigen, wurde in derselben Werkstätte aller Verbrechen, im Zimmer der Signora nämlich, durch den Schlag mit einem Fußschemel auf den Hinterkopf getötet, ihre Leiche verborgen und das Gerücht ausgestreut und verbreitet, sie sei zur Nachtzeit entflohen. Damit dies um so glaubwürdiger erscheine, durchbrachen sie aus freien Stücken die Ringmauer des Gartens und sagten, sie sei durch dieses Loch entkommen. Ebenso wurden zwei rechtschaffene Männer, der eine ein Schmied, der andere ein Apotheker, die in der Nähe des Klosters wohnten, als sie leise Zweifel darüber äußerten und hier und da geheimnisvoll etwas vor sich hinmurmelten, dann aber immer offener und vernehmbarer sagten, innerhalb der Ringmauern ihrer Gemeinde, in den Mauern eines Klosters würden schreckliche, schauderhafte, verabscheuungswürdige Verbrechen begangen, dieser Reden und dieses Geflüsters wegen aus dem Wege geräumt und tot aufgefunden.

Dem ganzen Flecken schauderte wegen des Verdachtes, der rege ward, und wegen des Gerüchtes, das in Umlauf kam. Die Vordersten wagten klugerweise nicht, über eine so dunkle und ungewisse Sache ein Wort verlauten zu lassen. Innerhalb der Mauern des Klosters aber gerieten die Schwestern um so mehr in Schrecken, je stärkere Indizien dafür sprachen, die Untat sei ganz in der Nähe in einem Zimmer geschehen. Obschon die Sache noch im Zweifel lag und unter den erschreckten Klosterfrauen bloß ein blinder Verdacht herrschte, so war doch so viel gewiß, daß in der Umgebung der Signora Klosterzucht und Gesetze mit Füßen getreten wurden, die gewohnte Ordnung, Lebens- und Gesprächsweise, selbst die innersten Gesinnungen sich geändert hatten und alles entfernt war von reiner Sitte und Ehrbarkeit; ja, daß letztere selbst nicht lange mehr da ihre Wohnstätte haben könne, wenn sie anders nicht schon ganz ausgewandert sei.

Das wurde dem Kardinal hinterbracht, jedoch ängstlich, zaudernd und verworren, wie es sich anfangs verbreitet hatte. Der Erzpriester des Ortes, ein ehrenhafter und wachsamer Mann, forschte und suchte lange nach, konnte aber nichts Weiteres berichten. So sehr hatten jene Unglücklichen, wie sie sich einmal in die Arme der Wollust geworfen hatten, sogleich Verschmitztheit, Hinterlist und Trugkünste sich angeeignet, die dem weiblichen Wesen zwar immer angeboren sind, in jener Genossenschaft aber um so mächtiger wurden, als sie sich mit Schreckmitteln und Drohungen und Grausamkeit zur Unterdrückung der Verdachtsgründe verbanden, von denen jeder Winkel des Klosters einige aufzuweisen hatte.

Als der Kardinal dies erfahren, wie es ihm hinterbracht worden, betrübte und schmerzte es ihn sehr, daß diejenigen so lange die Anzeige versäumt hatten, deren Pflicht es gewesen war, dieselbe zu erstatten. Er zauderte keinen Augenblick, begab sich nach Monza unter dem Vorwande einer allgemeinen Klostervisitation, welche er nach der hergebrachten Weise bewerkstelligte. Er besuchte die übrigen Klöster dieser Ortschaft, damit er nicht gerade dieses Klosters wegen gekommen zu sein schien, redete auch einzelne Klosterfrauen, bald diese, bald jene, wie sich die Gelegenheit etwa ergab oder wie er selbst sie sich verschaffte, an und richtete bald erheiternde, bald belehrende Worte an sie, je nachdem Zeit und Ort und der Vorwand irgendeines Geschäftes es mit sich brachten. Endlich redete er auch diejenige an, um derentwillen er mit den anderen zum Schein allerlei Gespräche angeknüpft hatte. Er setzte ihr auf Umwegen immer näher zu, suchte die Gesinnung der Frau in dem Punkte zu erforschen, um den es sich handelte und wandte alle möglichen Feinheiten an, mehr um ihr das Geständnis der Schuld zu entlocken, wenn sie sich einer solchen bewußt war, als um sie hart anzufahren und zu beschuldigen. Er ermahnte sie, daß sie, eingedenk ihres Geschlechtes und Unsprunges, eingedenk auch der Gaben, die ihr von oben verliehen waren, in Frömmigkeit, Sittsamkeit und in allen übrigen Tugenden den übrigen Nonnen als Beispiel vorleuchte. Nicht nur die Schwestern und die im Kloster wohnenden Lehrtöchter, sondern sogar die ganze Bevölkerung der Stadt habe auf sie ihre Augen gerichtet und schaue dahin, wo sie ihren Wohnsitz haben. Ihre Mitbürger beobachteten sie und forschten soviel sie könnten, nicht aus Böswilligkeit oder irgend aus Haß, sondern weil der fürstliche Stand das überhaupt mit sich bringe, über alles nach, was im Kloster vorgehe. Er sei hinlänglich überzeugt, daß alles bis auf diesen Tag unschädlich, unbescholten und schuldlos gewesen sei, und daß für die Zukunft durch die Heiligkeit des Lebenswandels widerlegt werde, was weniger günstige Gerüchte und Meinungen einzelner weniger verbreitet hätten.

Dies und ähnliches sprach er. Der Ausgang war, daß die Frau argwöhnischer als vorher zurückgelassen wurde und der Kardinal selbst besorgter und ängstlicher von dannen zog, als er gekommen war.

Es war leicht zu sehen, wie von ihrem Äußern, von ihrem Antlitz und aus ihrem Gemüte mit der Jungfräulichkeit zugleich auch jedes Schamgefühl verschwunden war. Daß sie nicht mehr eine Jungfrau und nicht wert war, in Mitte einer Genossenschaft von Jungfrauen zu wohnen, denn sie wagte sogar laut auszusprechen, sie sei nicht nach Regel und Ordnung zur Klosterfrau eingeweiht, sondern von ihren Eltern wider Willen ins Kloster gesteckt worden. Sie habe nicht das gesetzlich vorgeschriebene Alter gehabt, um gültig Profeß ablegen zu können. In der heftigen Aufregung ihres Gemütes und in der Hartnäckigkeit der Gesinnung entschlüpften ihr selbst die Worte: Man müsse sie heiraten lassen und demjenigen geben, den sie sich bereits selbst gewählt habe.

Nach vier Tagen, als der Kardinal besorgt und angeordnet hatte, was anzuordnen war, wurde die Frau aus dem Kloster genommen, in einer Kutsche mit geeigneter Begleitung nach Mailand geführt und dort in ein anderes Kloster gebracht.

Der Kardinal wollte auch dem Urheber des Sakrilegiums, dem Schänder der Jungfrau, der, wie es sich später zeigte, sogar ihre nächste Umgebung geschändet hatte, selbst auf die Spur kommen. Zu diesem Behufe hatte er entsprechende Befehle gegeben, denn die Inzichten wurden immer deutlicher und zahlreicher. Die Sache kam täglich mehr ans Licht, und gleichsam, als hätte man den Vorhang aufgezogen, ward allmählich die ganze Greuelszene den Blicken der Zuschauer bloßgelegt. Allein jener, sei es, daß Gewissensbisse ihn folterten oder die Furcht vor den Enthüllungen ihn forttrieb, die stufenweise das Verbrechen ans Tageslicht förderten, war bereits entflohen und sein Haus geschlossen und leer gefunden worden.

Alles aber vereinigte sich nachher in dieser Angelegenheit jählings zu seiner Schmach und Schande und zu seinem Untergange, so daß der unglückselige, schandbedeckte Verderber auch ein unglückseliges und schmähliches Ende nahm, die geschwächten Klosterfrauen hingegen nach diesen traurigen und garstigen Begebnissen durch ihr Ende dermaßen geadelt wurden, daß sie dem Jahrhunderte selbst, dem sie angehörten, zur Zierde gereichen.

Diejenige, welche die erste im Sündigen gewesen war, wurde auch die erste in der Verherrlichung der Heiligkeit. Sie hat fürwahr noch lange getobt und gewütet, denn zur Zeit, als man sie eben den Armen der Wollust und ihrer Herrschaft entrissen, eingesperrt, an einen anderen Ort gebracht, in eine andere Lebensweise eingezwängt, einem anderen Wandel, neuen Genossinnen, einem neuen Hause, wo aller Augen auf sie gerichtet waren, bestimmt hatte und als sie sich von der Macht eines unabwendbaren Schicksals erdrückt sah, zerbrach sie Fesseln und Kerker und trachtete, mit einem Schwert bewaffnet, das sie irgendwo erhascht hatte, drohend und wütend selbst Schlösser und Türen aufzureißen. Als sie wieder festgenommen und von der Flucht zurückgebracht ward, verschmähte sie alle Nahrung, als wolle sie sich das Leben nehmen, schlug mit ihrem Kopfe gegen die Wand und hätte, wäre sie nicht entwaffnet und gewaltsam davon abgehalten worden, durch Stiche in die Eingeweide sich selbst entleibt. Der hauptsächlichste Gegenstand ihrer Wut, ihres tötlichen Hasses und ihrer Raserei war der Kardinal. Sie verfluchte ihn nach der Art der Besessenen, die den Himmel zu verfluchen pflegen. Sie selbst hat später bekannt, sie glaube, der Inbegriff aller Feindschaften und alles Hasses, die unter den übrigen Sterblichen wüten, sei ein Spiel gegen die Heftigkeit und Böswilligkeit, mit der sie ihren Befreier zur Zeit der Raserei haßte und verabscheute. »Befreier« pflegte sie nachher den Kardinal zu nennen, als ihre Blindheit und der Irrwahn ihres Geistes vertrieben waren und sie die ihr gewährte Wohltat nach ihrem wahren Wert zu schätzen begann und als an die Stelle des Hasses das Gefühl der Dankbarkeit und eine bewunderungswürdige Pietät gegen den Rächer ihres Lasters getreten war. Doch geschah dies erst später und erst nach neuen schrecklichen Begebenheiten, welche diesen Umschwung ermöglichten. Bald waren sie da, indem die bereits vorher begangenen Missetaten Stoff zu neuen grausamen Verbrechen geboten hatten.

Ihr Buhle nämlich, der auf die ersten Indizien des kundgewordenen Sakrilegiums, aus Furcht und List zugleich das Haus verlassen, dessen Mauer von ihm, wie bereits erwähnt, durchbrochen worden war und im nahen Wald sich verborgen hatte, aufmerksam auf alles, was sodann vorbereitet wurde und geschah, drang auf die Nachricht, daß die Frau weggeführt, in ein anderes Kloster gebracht worden und am Verzweifeln sei, selbst verzweifelnd und rasend vor Wut und Zorn, durch die gewohnten Öffnungen ins Kloster und führte bei stürmischer Nacht die beiden zurückgebliebenen Nonnen mit sich fort. Wie man nachher erfuhr, hatten diese sich anfangs geweigert, ihm zu folgen und zu entfliehen, indem sie sagten, sie wollten lieber im Kloster gefoltert werden und den Tod empfangen, als die Gefahr, den Schimpf und die Schmach der Flucht auf sich laden, zu dem bereits verübten Verbrechen ein neues hinzufügen und dabei zugrunde gehen. Ihm aber gelang es, bald durch Aufmunterung, bald durch Schmeichelei und dann wieder durch Drohungen, indem er sagte, er werde sie mit eigener Hand erdrosseln, über sie obsiegen, so daß sie ihm endlich folgten und sich aus dem Kloster entfernten. Ein Fluß, Lambro genannt, der aus dem alten Eupilis fließt und keine geringe Wassermenge führt, berührt, nachdem er eine Strecke weit zwischen Hügeln und durch Ebenen hingelaufen, die Mauern des Fleckens und strömt dann in denselben ein. Wie tief und reißend der Fluß ist, nahm man erst seit dem Falle, den zu erzählen ich im Begriffe bin, besser in acht. Seinen Ufern entlang wandelten in der klösterlichen Kleidung die aus der heiligen Umfriedung des Klosters Flüchtigen dahin und mit ihnen der bewaffnete Straßenräuber, ihr Entehrer und Entführer, der bald auch ihr Mörder werden sollte. Eine schreckliche Gruppe, gehüllt in die Schauer und das Dunkel der Nacht, dieser ähnlich. Ja, ihr Einherschreiten und ihren Anblick hätte selbst die Nacht verabscheuen müssen. Während sie so dahinzogen, keuchend vor Angst wegen der begangenen und noch zu begehenden Verbrechen, begleitete und behütete sie die göttliche Barmherzigkeit, welche die Klosterfrauen von der Schwelle des Todes und dem Rachen der Hölle, von der letzten Schmach und Schande rettete und sie zur Reue und zum Leben, zum Heil und zu ihrer Verherrlichung führte. Der Entführer und treulose Begleiter versetzte der einen von ihnen mit plötzlich gezücktem Dolche mehrere Stiche und stürzte sie, als er sie für tot hielt, in den Fluß. Mit der noch übrigen setzte er den Weg dahin fort, wo, wie er sagte, für Verborgenheit, für eine sichere Wohnstätte der Liebe und für alle Gemächlichkeit des Lebens gesorgt sei. In der Tat aber führte er sie mit gemeinem Vorbedacht dahin, wo er sie, die Unbehutsame, lebendig und in ihren Kleidern zu begraben gedachte. Sie waren in eine nach allen Seiten hin offene Ebene gekommen (von der der Flecken umgeben ist), wo ein alter, tiefer und schmutziger Ziehbrunnen, ohne alles Wasser, von darüber gewachsenem Gesträuch verdeckt wird. Diese Vertiefung war anderen unbekannt, wohlbekannt aber dem Mörder, der sich ihr nicht das erstemal zur Verbergung von Leichen, statt eines Grabes bediente. Er führte die Nonne im Dunkeln an den Ort, stürzte sie hinein und gab sie dem Schlund preis, auch sie bei Seite geschafft und zerschmettert wähnend, worauf er sich entfernte und sich dahin begab, wo sein Wahnsinn und das Bewußtsein seiner Verbrechen ihn hinriß.

Hier möchte ich diejenigen vor mir haben, welche meinen, die Macht und Größe Gottes ruhe müßig droben im Himmel oder würdige sich höchstens, den allgemeinen Gang der Dinge zu lenken, während er das Kleine und Geringfügige unbeachtet lasse. Diese zwei Frauen, von denen man wohl annehmen darf, sie seien durch göttlichen Ratschluß für den Himmel und das Heil von Ewigkeit her bestimmt gewesen, seht, wie die eine, mehrmals an Kehle und Brust durchbohrt, als tot in das Wasser geworfen wird, seht, wie die andere so tief hinuntergestürzt wird, daß sie bloß vom Schrecken hätte tot bleiben können. Und dennoch entgehen beide durch göttliche Fügung dem Tode. Die eine trägt die sanfte Gewalt des Flusses bis vor die Türe eines Kirchleins, das am Flusse liegt. Dort wird sie gefunden und gepflegt und gesundet nach einiger Zeit wieder. Die andere führt durch schwachen Hilferuf die Bauern auf ihre Spur, die sie aufsuchen und endlich herausziehen, ein Wunder, das dem ersten gleichkäme. Beide aber sind nachher durch die Heiligkeit ihres Lebenswandels noch viel bewunderungswürdiger geworden.

Unterdessen wurde die Signora, die Urheberin aller Übel, die einst die Fürstin des Schlosses und der Ortschaft samt dem Kloster war, nun aber nach Verlust der Zucht und Ehrbarkeit die Schande ihres Geschlechtes und ihrer Familie geworden war, aus ihrem Kloster verwiesen; und in einem anderen Hause beherbergt. Gefangen, verzweifelnd, wahnsinnig, voll Wut und hartnäckigen Frevelsinnes, mehr ein Ungeheuer als ein Weib, erfährt sie innerhalb der Klostermauern so viele Sakrilegien, Morde und Gewalttaten, als deren Ursache oder Veranlassung sie sich und ihr Vorleben erkennt. Da erschrickt sie, ist verwirrt, betroffen, vernichtet und ändert plötzlich ihre Sitten, ihre Gesinnung und ich möchte sagen ihren Körper; so groß war die Macht des Gewissens.

Was von jenem erhabenen angestammten Geiste durch Verderbnis oder Müßiggang eingeschläfert war, tauchte wieder empor und entflammte alle Kräfte des Gemütes mit heiligem Schmerz zur Beweinung und Verabscheuung der begangenen und veranlaßten Verbrechen. Es ward offenbar, daß sie das Beispiel jener großen und ungewöhnlichen Seelen nachahmen werde, welche, in die Tiefen des menschlichen Irrtums und Elends gefallen, plötzlich von himmlischer Kraft gehoben, sich wieder emporgeschwungen und dahin gelangten, wo sie an Verdienst und Gnade bei Gott den Seelen gleichkamen, die ihre Unschuld bewahrt hatten und den Häuptern, die das Böse nicht gekannt und wo ihnen gerade ob ihrer früheren Sündhaftigkeit die Fülle der Herrlichkeit desto strahlender zuteil wurde: So ward ihr Leben umgestaltet, so groß ward der Geist ihrer Buße!

Ihre neuen Gefährtinnen selbst, deren Obhut sie übergeben war, erstaunten über diese großartige Umwandlung in ihrem Innern, um so mehr, als sie wußten, wer sie früher gewesen und weil nun alles in dieser Frau das Maß menschlicher Bewunderung überschritten hatte.

Nicht weniger bewunderungswürdige Zeichen eines vom göttlichen Strahl der Gnade getroffenen und zum Besseren gewandten Gemütes gaben bald auch jene beiden, durch deren Schicksal die Signora so erschüttert und geändert worden war. Sie verlangten, irgend wohin verborgen, fortgestoßen, entfernt zu werden, wo sie weder von irgendeinem menschlichen Auge mehr angeschaut würden, noch selbst den Anblick des Lichtes genießen könnten, dessen sich jeder Sterbliche erfreut.

Dem Kardinal wurde dies alles beinahe in einem und demselben Berichte und in einem und demselben Briefe mitgeteilt, der neue Einbruch jenes Wahnsinnigen in die Klostermauern, der neue Raub an den Gelübden der Nonnen, die beinahe gelungene Ermordung der Entführten, die Wunder der Rettung vom Tode und ein fast noch größeres Wunder! – mitten aus einem solchen Schwall von Ereignissen, die Seelen angeweht vom Hauche der göttlichen Gnade und dem Herrn wiedergegeben! Einer so großen Mannigfaltigkeit hochwichtiger Nachrichten entsprachen in der Brust des Kardinals verdientermaßen die Stärke der Führung und die Verdopplung seiner Sorgfalt. Mitleid, Schmerz, Zorn und Trost wechselten in demselben; besonders aber der Trost, daß inmitten so großen Verderbnisses die göttliche Milde so hilfreich sich erwiesen! Er macht sich sogleich bereit, jedes Mittel ins Werk zu setzen, das menschlicher Macht und Klugheit zu Gebote stand. Zuerst trug er Sorge für jene Entführten, damit sie nicht länger im Privathause verbleiben mußten, wo die Not geboten hatte, sie nach ihren Unglücksfällen unterzubringen. Als sie wieder Kräfte gesammelt hatten und die Mühsale des Weges aushalten konnten, wurden beide, eine nach der anderen, in ein anderes Kloster des nämlichen Fleckens (Monza) gebracht, das an Reichtum und Ansehen dem früheren nachstand, aber an guter Zucht und Ordnung vor jenem sich auszeichnete. Hier wurden sie abgesondert untergebracht und beinahe ganz auf Kosten des Kardinals erhalten. Den Rest des Lebens brachten sie so zu, daß man aus Rücksichten der Menschlichkeit unter Verweisung auf das Gelübde des Gehorsams ihrer Strenge und ihrem Bußeifer bisweilen Einhalt tun mußte. Abgesondert und eingeschlossen, Begrabenen mehr ähnlich, als sie vorher Toten ähnlich gesehen, nahmen sie nur auf Befehl und gezwungen Speise zu sich. Sie konnten nicht dahin gebracht werden, das Tageslicht zu schauen. Man hörte kein anderes Wort von ihnen als Klagen über ihre Sünden und Seufzer. Sie vergossen zahllose Tränen; während sie Bußpalmen sangen und beteten, hörte man Seufzer aus tiefster Brust, und gleich den Bildern, die uns die Gemälde von den alten Anachoreten zeigen, war ihr Ansehen und ihre Gestalt. Jene aber, die durch ihre Geburt und durch die Größe ihrer Verbrechen vor der anderen hervorragte, aber auch durch ihre aufrichtige Bekehrung und Buße sich auszeichnete, unterschied sich nicht nur durch ihren ganzen Wandel von den übrigen, sondern auch dadurch, daß sie beständig weinte und nie mehr mit trockenen Augen gesehen wurde. Und wie sie Stillschweigen, Abgeschiedenheit vom Tageslicht und Weinen mit jenen beiden gemein hatte, so übertraf sie dieselben durch die ohne Zweifel vom Himmel erhaltene Gabe der Tränen und stieg nach dem Falle desto höher empor.

Sie war in ein Kloster gebracht worden, welches mit Fug ein Zufluchtsort für die vom Standgewerbe zurückgezogenen Weibspersonen genannt werden konnte, denen entweder die Sättigung Ekel an solch einem Leben erzeugt oder die eine verhängte Strafe dahin getrieben hatte oder die, einem göttlichen Rufe folgend, aus dem Schmutze und der Lastergrube herausgetreten waren und in jenem Kloster aus Buhldirnen Muster von reuigen Büßerinnen wurden. Nachdem die Signora dahin gebracht worden, erachtete sie es für eines der vorzüglichsten Zugeständnisse, daß man sie keiner anderen Gefährtin als jener Verrufenen für würdig hielt; daß sie da in der Schmach und Schande eines solchen Aufenthaltes auch das Ende eines so schmachvollen Lebens erwarten konnte und dies alles unter die Sühnungsmittel rechnen durfte. In ihrer Trauer freute sie sich außerordentlich über den Umstand, daß sie sogleich nach ihrem Eintritt ins Kloster einen wegen übler Gerüche sonst immer unbewohnten Teil des Klosters zur Wohnung angewiesen erhielt. Ja, sie konnte selbst später nicht dahin gebracht werden, ein bequemeres Zimmer zu beziehen. In Stillschweigen und in der Vermeidung des Lichtes und Gespräches verharrte sie ihr Leben lang. Nur hatte sie den sehnlichsten Wunsch, wegen einiger Geheimnisse ihres Herzens, wegen Gewissensbedenken und Skrupel den Kardinal selbst sprechen zu können. Denn sobald, wie bereits bemerkt wurde, das Gemüt von seiner Finsternis befreit war und sie einsah, aus welcher scheußlichen Kloake es wieder ans Tageslicht hervorgetaucht, fühlte sie auch, durch wessen Wohltat und Hilfe ihr dies Heil widerfahren sei. Ihre Wut verwandelte sich in Ehrfurcht und kindliche Liebe; sie verehrte ihn als ihren Vater und glaubte, er rage durch die Größe seiner Tugend und Weisheit weit über alle anderen Menschen hervor. Als sie mit inbrünstigen Bitten in die Vorsteherin des Klosters und in die Schwestern drang, sie möchten sie doch nicht sterben lassen, ohne daß vorher dieser ihr innigster Wunsch in Erfüllung gegangen wäre, so gab sie dadurch zu erkennen, welches Gewicht sie auf die Erhörung dieser Bitte lege. Denn außerdem verharrte sie unter allen Umständen in Trauer und in der Tiefe ihrer Betrachtungen, gleichsam als ob sie des Gebrauches der Zunge beraubt wäre. Als die Schwestern dies sahen und hörten, wurden sie unter sich einig, dem Kardinal melden zu lassen, von wie großer Wichtigkeit für die Seele ihres Gastes es sei, daß er selbst komme, mit ihr spreche und anhöre, was sie ihm anzuvertrauen habe. Er kam nicht sogleich, zunächst weil er die weiblichen Phantastereien kannte und geringachtete und wohl auch, weil er ihrer Urteilkraft und ihrem Verstände wenig zutraute und die Bitten der übrigen für nicht besser begründet hielt. Als sie ihn aber wiederholt mit derselben Bitte bestürmten, bald schriftlich, bald durch den Beichtvater des Klosters selbst, fühlte er sich endlich doch veranlaßt, hinzugehen und den Versuch zu machen. So sehr er gezögert hatte, zu erscheinen, so vorsichtig und behutsam war er, ihren Worten Glauben beizumessen. Er wendete Strenge an und gebrauchte ernste Worte, um ihre Gesinnung desto richtiger und sicherer zu erforschen. Die Frau begann eine eigentümlich inspirierte, staunenswerte Rede, die um so verdächtiger klang, je seltsamer und erhabener sie war. Mit ängstlicher Zurückhaltung, mit Zittern und mit nicht erdichteter, sondern wirklicher Furcht setzte sie auseinander, daß sie sich auf übermenschliche Weise im Herzen bewegt fühle und auch gewisse außerordentliche Dinge sehe. Ohne Zweifel fühlte sie innere Regungen und Wallungen, die sich einzustellen pflegten, wenn das Gemüt sich von der Gesellschaft des Körpers lostrennte und zu himmlischen Betrachtungen sich emporhob. Sie habe Erscheinungen von Himmelsbewohnern gehabt und oft Stimmen gehört, welche die menschliche an Stärke übertrafen und ähnliches mehr, was jedoch ihr selbst verdächtig vorkam, als wären es Kunstgriffe und Vorspiegelungen der Dämonen. Sie habe ihm diese Dinge auseinandersetzen wollen, wie sie ihr begegnet, damit sie das Gewissen von jedem Skrupel befreie; sie bat ihn dann um Verzeihung und sagte nichts weiters. Der Kardinal war ein tiefer Theologe und in der Beurteilung solcher Materien durch langjährige Übung sehr erfahren (wie seine Werke über diesen Gegenstand beweisen, in welchen wir so scharfsinnig und außerordentlich schön das Wahre vom Falschen unterschieden sehen, und zwar bei den sowohl ursprünglich höheren Eingebungen als bei den Täuschungen und Spielen der Phantasie, die die Leichtfertigkeit und Eitelkeit des menschlichen Geistes selbst erzeugt oder infernalische Bosheit einflüstert). Nachdem er alles, was die Frau gesagt, aufmerksam angehört und sowohl unter sich als auch mit den neuen Sitten und der neuen Lebensweise der Frau verglichen hatte und nachdem er bei sich zu dem Schluß gekommen war, daß ihm nicht eitel Geschwätz vorgetragen worden sei, so stellte er sich dennoch, als stimme er nicht bei und glaube und billige keineswegs, was sie gesagt. Ja, er ermahnte sie mit ernster Miene, sie möge vor allem darauf sehen und dafür sorgen, wie sie ihre Sündenschuld büße, und erst dann, wie sie sich himmlischer Gnadengaben würdig machen könne. Ungefähr dieses sagte er zu der Frau. In seinem Innern aber erwog er die Größe der göttlichen Barmherzigkeit, die bei menschlichen Vergehen so großmütig und bereit zur Versöhnung sei, und wofern eine wahrhafte Reue vorhanden, den Himmel sogleich aufschließe und die Sünder, die den Banden der Sünde sich entrissen, auf wunderbare Weise mit sich verbinde und mit dem Reichtum ihrer Gnade erfülle. Sodann befahl er, ihr Tun und Lassen sorgfältiger und aufmerksamer zu überwachen und ihn von allem in Kenntnis zu setzen. Insbesondere gab er den Auftrag, ihm zu berichten, so oft sie selbst wieder eine Unterredung mit ihm wünsche oder dringend darum bitte. Denn er war, wie bereits bemerkt wurde, sehr gerührt und bewegt von der Größe der Ereignisse, die da vorgingen, und von den Wunderdingen, die diese Frau, als wären es ihre Sünden, bekannte und auseinandersetzte; er sah, es wäre wahrhaft seine Schuld, wenn er dieser aufblühenden Tugend oder Verherrlichung, anstatt sie zu fördern, gleichsam hindernd entgegenträte. Er besuchte sie von nun an oft, bald auf Verlangen der Nonne selbst und auf die dringenden Bitten von ihr, bald wegen der steigenden Verwunderung und wegen der auf sich genommenen Obliegenheit der Nachschau. Ein weiterer Grund seiner häufigen Besuche war auch: sowohl die Gnadenwirkungen, die immer zunahmen und zahlreicher wurden, selbst kennenzulernen, als auch beim Beginne dieser wunderbaren Wirkungen dem weiblichen Gemüte als Leiter und Lehrmeister zur Seite zu stehen. Die Sache gedieh endlich, nach vielfacher Beobachtung, im Geiste des Kardinals so weit, daß er sich überzeugte, in dieser Seele habe die Gottheit wahrhaft Wohnung genommen und die Himmel, offenbar gerührt, haben der Bekehrung dieser Seele Beifall zugejauchzt. Er nahm deshalb wohl keinen Anstand, sie gleichfalls zu feiern und als Muster der Bekehrung hinzustellen. Sie wohnte, wie bemerkt, in einem dunkeln und garstigen Winkel des Klosters, den, wegen seiner Dunkelheit und seines üblen Geruches, der ihn zu einem für Menschen unleidlichen Aufenthalte machte, niemand vor ihr bewohnt hatte. Von da gebot man ihr, in ein helles, reines Zimmer zu übersiedeln, welches dem Gemüt wegen seiner Reinlichkeit und Freundlichkeit besser zusagen sollte. Was die übrige Klosterdisziplin und Lebensordnung betrifft, wurde sie in ihrem Stillschweigen, ihrer Enthaltsamkeit und früheren Strenge gelassen, damit sie nach eigenem Gutdünken den rauhen Pfad zum Himmel wandle. Aus Ehrfurcht und Bewunderung für solche Heiligkeit wurden ihre Unterhaltungskosten dem Kloster von Seiten des Kardinals so reichlich vergütet, als hätte sie täglich große Tafel zu halten. Denn ihre Familie, von welcher sie noch verschmäht wurde, war unversöhnlich beleidigt und wies allen Ruhm zurück, welcher von der Büßerin auf sie herüberstrahlen mochte. Das Ende der zwei andern war folgendes: Die zwei früheren Begleiterinnen der Signora erlagen dem Eifer ihrer Bußübungen. Die Signora, deren Heiligkeit größer war, lebt noch zur Zeit, da wir dieses schreiben; eine gebeugte, hagere, ausgemergelte, ehrwürdige alte Frau, bei deren Anblick man schwerlich begreifen könnte, daß sie einstens so schön und unzüchtig gewesen.

Meinen Bericht will ich mit der Erzählung von dem Ende des Bösewichtes schließen, durch den die Ehrbarkeit der Signora vernichtet worden war.

Ich tue dies, um ein zweifaches Beispiel, sowohl von der Güte und Barmherzigkeit Gottes, als auch von der Furchtbarkeit seines Zornes und Gerichtes aufzustellen, das schon in diesem Leben die Ruchlosen verfolgt, und zum Beweis, daß dem voranschreitenden Verbrechen die Strafe, wenn auch hinkend, auf dem Fuße nachfolgt.

Nachdem er, von den Furien getrieben, obdach- und bestimmungslos umhergeirrt war, oftmals Kleidung und Kopfbedeckung, Namen und Lebensweise gewechselt und dadurch eine Zeitlang das Gericht, die öffentliche Entrüstung und den Zorn des Volkes zu täuschen vermocht hatte und bereits für tot gehalten worden war, ergriff man ihn endlich und tötete ihn auf folgende Art: Er war zur Nachtzeit, voll Angst, die Schultern mit einem Mantel, den Kopf mit einer Kapuze bedeckt, in das Haus eines alten Freundes von ihm gekommen, das durch seinen Reichtum und sein im Glück schnell gewachsenes Ansehen damals sehr bekannt war. (Heutzutage ist dieses Ansehen verschwunden und die Reichtümer sind unter die vielen Erben zerteilt und zersplittert.) Er bat, bei der alten Freundschaft, man möchte ihm nur eine kurze Zeit gestatten, in irgend einem Schlupfwinkel des Hauses sich verborgen zu halten. Diese Bitte ward ihm ohne Anstand gewährt; er hielt sich eine Zeitlang dort auf und genoß Herberge und Verpflegung. Bald aber erblickte man seinen Kopf, vom Rumpfe getrennt, auf einem Pfahl an dem öffentlichen Platze; sei es, daß derjenige, der ihn aufgenommen, aus Furcht, weil er einen Mord er im Hause verberge, oder, um durch diese Tötung sich irgendwo in Gunst zu setzen, ihm das Leben genommen; oder sei es, daß sein Gastfreund, aus Haß und Ingrimm wegen seiner Schandtaten, ihm zuletzt durch seine Knechte den Kopf abschlagen ließ. Die Tötung selbst soll, wie die Rede geht, so bewirkt worden sein. Dem Geächteten, der sich in diesem Hause für sicher hielt und außer Sorgen war, wurde der Vorschlag gemacht, in ein unterirdisches Gemach hinabzusteigen, wo Unterhaltung und Spiel für ihn bereit gehalten sei. Da wurde er in Fesseln geschlagen; ein Priester, dem er noch beichten konnte, war zur Hand. Man hatte nämlich noch diese Menschlichkeitsrücksicht für ihn, daß man ihn, ehe zum Werke geschritten wurde, aufforderte und ihn zu überreden suchte, diese letzte Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen. Hierauf wurde er durch einen Schlag auf den Hinterkopf und nach Durchschneidung des Nackens getötet (auf die nämliche Weise, wie er selbst die Katharina von Meda getötet und ihr Haupt vom Rumpfe getrennt hatte).«

Diese schöne Erzählung, den durch den Prozeß uns bekannt gewordenen Tatsachen gegenübergestellt, dient zum Beweise, daß die Schicksale der Signora dem Repamonti bekannt geworden waren, jedoch nicht aus den Prozeßakten selbst, sondern durch das Gerücht, das einige Jahre vor Abfassung seiner Schrift darüber im Umlauf gewesen war. Es war ganz natürlich, daß das Gerücht von der Ermordung Moltenos sowie des Apothekers, des Schmiedes, der Katharina, verbunden mit der Flucht der beiden Klosterfrauen, mit der Einsperrung der Signora und mit der zu gleicher Zeit eröffneten doppelten Untersuchung vor dem weltlichen und geistlichen Forum, sich rasch nach allen Richtungen verbreitete und dem sorgfältigen und gewissenhaften mailändischen Geschichtschreiber hinlänglichen Stoff zu einer Darstellung bot, die eine der besten seines trefflichen Werkes ist. Aber gerade weil Ripamonti bei Abfassung seiner Darstellung, außer dem allgemeinen Gerüchte, keine anderweitige Autorität zu Rate ziehen, noch aus einer anderen Quelle als aus dem Gerede des Volkes schöpfen konnte, mußten sich notwendigerweise Unrichtigkeiten, ja selbst Fehler und Trugschlüsse einschleichen, indes anderseits wichtige Einzelheiten übergangen wurden. Es kostet jedoch gegenwärtig geringe Mühe, diese Ungenauigkeiten mit Hilfe der Prozeßakten zu berichtigen.

Auf mehreres ist bereits aufmerksam gemacht worden. Wenn der Annalist zum Beispiel sagt, die beiden Begleiterinnen der Schwester Virginia seien von Osio geschändet worden, so geht dies aus Akten durchaus nicht hervor. Ferner erwähnt er nichts von der Mitschuld und der Strafe der Schwester Candida und Schwester Silvia, von den Schändlichkeiten Arrigones, von dem Tode Moltenos, von den Umständen bei der Ermordung Katharinas, von der so dramatisch geschilderten Auffindung des Kopfes im Brunnen zu Veíate, von dem frechen Briefe des flüchtigen Osio an den Kardinal, von der allgemein verbreiteten Meinung, die Signora sei verhext worden, von dem infolge der erhaltenen Wunden schnell erfolgten Tode der Schwester Octavia und von anderen Einzelheiten von geringerer Bedeutung, die jedoch der Erzählung Leben gegeben hätten, wie, um bloß einige anzuführen, das Abbeten des Salve Regina in einem so schauderhaften Momente, der lakonische düstere Inhalt des Billets des Guardiano delle Grazie, die Aussagen der Barbiere, Ärzte, Brunnenuntersucher, Stallknechte, Pförtner, und vor allem die Entfaltung der tragischen Geschichte der Signora, wie wir sie aus ihrem eigenen Munde voll Selbstgefühl erzählen und vervollständigen hörten, nachdem sie uns bereits durch die Geständnisse der in Furcht geratenen Mitschuldigen stückweise bekannt geworden war.

Diese nichtsdestoweniger außerordentlich schöne Erzählung Ripamontis bietet immerhin eine zweckmäßige Ergänzung dessen, was wir in den Akten des Prozesses zu finden vermocht hätten. Diese boten uns in der Tat nichts über das tätige und erfolgreiche Eingreifen Friedrich Borromeos zur Entwirrung des Knäuels von Verbrechen.

Von der wunderbaren Sinnesänderung der Sünderinnen, besonders von der rührenden Umwandlung der Hauptschuldigen, auch von der Verletzung der Gastfreundschaft behufs der Ermordung des Geächteten und von dessen Ende überhaupt, wüßten wir ohne die erwähnten Blätter nichts. Sie schildern zudem die Tragödie von Monza in der Form und in den Ausdrücken, wie sie dem Volke bekannt geworden, worüber uns ebenso wenig als über jedes andere Ereignis, das keine gnädige Muse erhellte, etwas bekannt geworden wäre, hätte sie der schätzbare Geschichtschreiber der Aufmerksamkeit der Gebildeten nicht empfohlen und der berühmte Verfasser der »Verlobten« die Blicke aller nicht darauf hingeleitet.

 

Nachschrift des Herausgebers. Auch diese neuen und reichen Enthüllungen lassen noch manches in Nebenpunkten unenträtselt und ungewiß und lassen auch bei den Hauptpunkten manchen Zweifel zurück. In ersterer Beziehung werden die Ermordung des Molteno und des Apothekers nur nebenbei erwähnt und ihre Gründe bleiben im ersteren Falle ganz unbekannt, im zweiten nur mutmaßliche. Der Ermordung eines Schmiedes in Monza tut nur Ripamonti Erwähnung. Über den Anteil des Priesters Arrigone an den schuldvollen Vorgängen, wie über sein endliches Schicksal, bleibt ein Dunkel, das weder durch den einer verschiedenartigen Auslegung unterliegenden Brief der Signora noch durch die dunkle Andeutung in der Vorladung an Osio und Konsorten gelichtet wird. Ebenso bleibt es zweifelhaft, wann Osio eigentlich auf das Kastell zu Pavia gebracht und wann und wodurch er sehr zur Unzeit wieder in Freiheit gesetzt ward, um das Maß seiner Verbrechen durch die verräterischen und grausamen Handlungen gegen die Schwestern Octavia und Benedicta voll machen zu können, Handlungen, für die ihn eine gerechte Nemesis sein Ende auch nicht im geordneten Gang der Justiz, sondern durch eine Art mit Hinterlist und Verrat verbundener Eigenmacht finden ließ.

Daß er schuldig gewesen, daß er ein Wüstling und Bösewicht war, daß er ein freches Spiel mit der Ruhe der von ihm Verführten getrieben, daß Menschenleben ihm völlig gleichgültig waren, daß es ihm der leichteste und natürlichste Ausweg dünkte, sich eines jeden, der ihm irgend hinderlich oder bedrohlich erschien, durch Mord zu entledigen, ergibt sich klar, und seine Ableugnungen in dem Brief an den Kardinal können schon deshalb keinen sonderlichen Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, weil sie mit offenbaren Unwahrheiten vermischt sind. Denn als solche sind jedenfalls seine Versuche zu bezeichnen, sowohl jeden Anteil an der Ermordung der Katharina, wie die Attentate auf Octavia und Benedicta, von sich abzuwälzen. In erster Beziehung entscheidet das Zeugnis der Virginia Maria selbst gegen ihn, die er als rein und schuldlos darzustellen bemüht ist, und im zweiten Falle ist die übereinstimmende Aussage der beiden Nonnen, von denen die im Sterben begriffene Octavia gar keinen Grund gehabt hätte, den wahren Urheber ihrer Leiden und ihres Todes zu verschweigen, und der gänzliche Mangel jeder anderen Erklärung der notorischen Tatsachen entscheidend. Wenn nun aber auch das Vorbringen so augenscheinlicher Unwahrheiten dem Urheber derselben das Recht entzieht, für seine anderweitigen Angaben Glauben zu fordern und auch die wahrscheinlicheren darunter zweifelhaft macht, so wird doch dadurch weder die Möglichkeit, daß er auch Wahrheit gesagt hat, noch die Pflicht, die Gesamtheit seiner Angaben zu prüfen, aufgehoben. Indes ist. freilich auch aus dem übrigen nicht viel zu seinen Gunsten zu entnehmen. Möglich allerdings, daß ohne die Einflüsterungen und Ratschläge des Arrigone und ohne die Dienstbeflissenheit der Schwestern die Sache nicht so weit gediehen wäre. Aber auch dies dürfte weit mehr der Signora als dem Osio zustatten kommen, welcher jedenfalls kein Mensch war, der zu derartigen Unternehmungen erst zu verführen gewesen wäre, und ebensowenig könnte es seine Schuld sonderlich mindern, wenn er auch darin Recht haben sollte, daß auch noch andere in und an dem Kloster gefrevelt. Aus einem höheren Standpunkte, der aber nicht ihm zum Bewußtsein kam, wird man dagegen in dem, was von seinen Verhältnissen und seinem Lebensgange bekannt ist und in der Lage und Richtung der Zeitumstände erkennen, die das moralische Urteil über ihn einigermaßen mildern mögen. Er gehörte sichtbar einer Klasse der Gesellschaft an, der in der Regel vieles ungestraft durchging, das in besser geordneten Gesellschaftszuständen streng geahndet wird, und war unter dem Eindrucke dieser Verhältnisse aufgewachsen. Die grasse Rechtlosigkeit der Zeit ergibt sich auch aus den mitgeteilten Vorgängen vielfach, und ein Mord erweckt leider noch heute in Italien, geschweige denn damals, nicht den Schauer und Abscheu, die er bei nördlichen Völkern hervorruft. Jedenfalls aber ist der erwähnte Brief, in seiner ganzen Fassung und mit dem sichtbar heißen Verlangen, das er darlegt, wenigstens von dem Kirchenbanne losgesprochen zu werden, überhaupt mit seinen, wenn auch verworrenen, doch feurigen Glaubensäußerungen, nicht ohne psychologisches Interesse. Auch hat es für uns immerhin etwas Versöhnendes, daß er unverkennbar für die Signora Achtung und Liebe darlegt und, während er sonst alle Schuld auf andere abzuwälzen sucht, doch die Signora davon ausnimmt.

An diese heftet sich immerhin das Hauptinteresse. Dies auch ungeachtet wir in dem jetzt uns vorliegenden Bilde nicht so recht die Gestalt erkennen, welche Manzoni gezeichnet und die er, unseres Erachtens, auf eine größere Höhe gestellt und mit geheimnisvolleren Schauern umringt hat als in der Prosa der jetzt vorliegenden Verhältnisse liegen. Schon die Annahme, von der er ausgeht, daß sie zum Klosterleben gezwungen worden sei, bleibt problematisch. Sie beruht auf der Angabe Ripamontis, der aus dem Volksgerücht schöpfte, und nirgends in den Akten findet sich ein Bezug darauf, auch nicht in der umständlichen, auf Selbstentschuldigung berechneten Aussage der Signora. Daß sie das Kloster nicht aus eigenem, freiem Antriebe gewählt, sondern demselben von ihren Eltern gewidmet worden, ist wohl möglich, ja wahrscheinlich. Es war das aber in der Zeit- und Volkssitte begründet. Jedenfalls würden wir weniger auf jenen Umstand, als auf die eigentümliche Stellung, in der sich die Signora in dem Kloster befand, für das Weitere Gewicht legen. Manzoni hat diese Stellung in folgender Weise schildern lassen: »Die Domina ist eine Nonne; aber sie ist keine Nonne wie die andern. Ebenso wenig ist sie die Äbtissin oder die Priorin; sie ist sogar, wie sie sagen, eine von den jüngsten. Aber ihr Adel stammt von Adam her und die Ihrigen in der alten Zeit waren große Leute und sind aus Spanien gekommen, wo die sind, die befehlen; deshalb nennen sie sie die Domina, um zu sagen, daß sie eine große Dame ist, und der ganze Ort nennt sie bei dem Namen, weil sie sagen, sie hätten in dem Kloster niemals eine ähnliche Person gehabt, und die Ihrigen heutzutage unten in Mailand gelten gar viel, und gehören zu denen, die immer Recht haben, und in Monza nicht mehr; denn ihr Vater, wenn er gleich nicht da wohnt, ist der Erste im Orte, weswegen sie auch im Kloster schalten und walten kann, und auch die Leute heraußen halten sie hoch in Ehren, und wenn sie sich einmal einer Sache annimmt, so setzt sie sie durch.« Manzoni hat mit dem allen nicht zu viel, er hat sogar noch nicht genug damit gesagt. Die Schwester Virginia Maria von Leyva übte im Namen Don Martinos, ihres Vaters, die Lehensgerichtsbarkeit über Monza aus und war wirklich, wie Ripamonti sie bezeichnet, die Herrin (principessa) der Stadt und des Klosters. Zum Beweis dient folgendes, 1596 veröffentlichtes Aktenstück von ihr, welches Jahr eines der ersten ihres Klosterlebens sein mußte; denn sie war damals nur 20 Jahre alt:

Ich, Schwester Virginia Maria Leyva, Nonne (monaca professa) im Kloster St. Margareta zu Monza, verbiete kraft der Vollmacht, die ich von meinem Vater Don Martino habe, daß irgend jemand es wage oder sich herausnehme, im Lambro zu fischen von der Brücke an, die zuvorderst am Garten der ehrwürdigen Väter zu St. Maria in Carabiolo steht, bis an die Grenze (define) von Marceliis Haus; damit die ehrwürdigen Väter ganz nach ihrem Wohlgefallen in genanntem Flusse fischen und fischen lassen können ohne anderweitige Erlaubnis.

Zur Bekräftigung des Gesagten habe ich diese Urkunde mit eigener Hand geschrieben und unterzeichnet.

Gegeben im genannten Kloster, den 26. Dezember 1596.

Ich, Schwester Virginia Maria Leyva,
bestätige wie oben.

Ebendahin gehört es wohl auch, daß sie sich die Macht zutraute, und daß ihr diese Macht auch von Osio und dessen Mutter mit gutem Grunde zugetraut wurde, den Richter des Ortes zu bestimmen, die Untersuchung eines von Osio begangenen Mordes nach ihrem Belieben zu betreiben oder fallen zu lassen. Zwar steht es mit dieser Obergewalt in einigem Widerspruch, daß die Priorin, wenn deren Aussagen wahr sind, ihr mehrfach Verweise gab und ihren Absichten zuwiderlaufende Anordnungen traf. Indes wird diese anscheinende Strenge wohl nicht viel anders gewesen sein, als sie wohl auch in einer weltlichen Pension, um den Schein zu retten, gegen eine begünstigte reiche Komtesse oder Millionärstochter geltend gemacht wird, und schon der Umstand, daß man eine Abwesenheit der Signora benutzte, um ein verdächtiges Fenster verstopfen zu lassen und daß diese Maßregel, wie sich weiter ergibt, nicht eigentlich von der Priorin, sondern durch den geistlichen Inspektor verfügt ward, läßt das ganze Verfahren in seinem wahren Lichte erscheinen. Virginia Maria stand sichtbar über der Klosterzucht und war die Sonne, um welche sich die Schwestern dienend bewegten.

Wenn Schwester Bianca, die nicht zu ihren eigentlichen Vertrauten gehörte, von ihr versichert, sie seien ihr alle gewogen, sie sei eine so gute junge Person, und gleich darauf erzählt, daß die Signora sie die Treppe habe herunterwerfen wollen und ihr Faustschläge ins Gesicht gegeben habe, so erkennen wir darin nur das Wesen eines an sich gutartigen, aber verzogenen Kindes, das seinen Willen als den höchsten in seinem Kreise kennt, dem alle Umgebungen schmeicheln und dienen und es so hoch halten, daß sie es trotz seiner Unarten vergöttern. Als ein solches verzogenes Kind, ohne Selbstbeherrschung und Entsagungskraft, jeder Laune folgend, nicht als das dämonische, zwischen Leidenschaft und Gewissensqual hin- und hergezogene Wesen, das Manzoni schildert, will uns Virginia Maria erscheinen. Als nun ihr feuriges italienisches Blut durch die sinnliche Glut einer geschlechtlichen Verbindung mit einem schönen und kräftigen Manne entzündet ward, ist es wohl natürlich, daß sie sich ganz und willenlos diesem hingab und an nichts, was er vornahm, Anstoß fand. Ob aber von ihrer Seite mehr als sinnliche Liebe im Spiele gewesen, mag bezweifelt werden, wenn man erwägt, daß, während er auch als Geächteter und Verbannter ihr die höchste Rücksicht widmet, sie dagegen in ihrem Verhör alle Schuld auf ihn wirft. Mit Recht vielleicht, aber gewiß nicht im Geiste einer Liebenden. Das ganze Verhältnis mag wesentlich durch die Gelegenheitsmachereien der dienstbeflissenen Schwestern gefördert worden sein. Octavia und Benedicta sind schwer dafür sowie für ihren mindestens passiven Anteil an dem Morde der Katharina gestraft worden. Charakteristisch und empörend ist die Gleichgültigkeit, mit welcher die Schwestern in den Verhören von einer Bluttat sprechen, die ihnen erst Sorge gemacht zu haben scheint, wie die Gefahr der Entdeckung eintrat. Die wunderbare Entdeckung aller dieser Greuel ist aber wohl das bedeutsamste in der Sache. Die spätere Sinnesänderung der Virginia Maria, die übrigens für die Nonnen in Mailand eine wichtige Person wurde, da sie ihnen reiche Einkünfte brachte, halten wir gern für echt, und sie wird durch die so gänzliche Änderung ihrer Lage sowie durch die Aufschlüsse, die das Schicksal ihrer Vertrauten Octavia und Benedicta ihr jetzt doch über den Osio geben mußte, wohl erklärt. Sie wäre denn die endliche heilsame Frucht so schlimmer Vorgänge gewesen.


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