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XVI

Lucchetti fuhr mit Alasco, Viktor und Teresa nach Rom, wo er, wie er sagte, eine wichtige Angelegenheit zu ordnen hatte.

Während sie durch die Vorstadt fuhren, wo sich seit seiner Kindheit so viel verändert hatte, wurde er immer ernster und antwortete nicht mehr auf die Worte, die Teresa hin und wieder an ihn richtete.

Sie erreichten die Porta Maggiore in dem Augenblick, als die Glocken von Santa Croce in Gerusalemme zum Angelus läuteten.

Alasco hatte es eilig, er wollte noch den Abendzug nach Livorno erreichen, und während Viktor ihn zum Hauptbahnhof fuhr, erzählte er ihm alles, was Flora betraf.

Nach einem herzlichen Abschied von Alasco, fuhr Viktor, auf Lucchettis Wunsch, über die Via Nazionale zur Kirche Sant' Agostino.

Lucchetti sprach kein Wort unterwegs; von dem lärmenden Leben ringsum schien er nichts zu sehen und zu hören; er saß mit vorgeneigtem Kopfe und starrte ins Leere. Teresa blickte ihn von der Seite ängstlich an und wagte nichts zu sagen.

Als sie auf dem kleinen Platz vor der Kirche ausgestiegen waren, kniete Lucchetti mit seinem Hut zwischen den Händen, auf der hohen, breiten Steintreppe nieder, die zum Portal führte. Schweigend gingen sie durch die Tür.

In dem Lichtschein der Wachskerzen bekamen Lucchettis Augen einen seltsamen Ausdruck, – es war, als ob ein alter unerträglicher Schmerz von neuem aufbrach.

Teresa war geblendet, ihre Augen strahlten, als sei sie Zeit und Ort entrückt.

Viktor bekreuzigte sich unwillkürlich, als er die wundertätige, überlebensgroße alte Statue der Madonna del Parto wiedersah, die Madonna der Geburten, – wie sie dort thronte mit ihrer edelsteinblitzenden Krone, worin sich der Schein der zahllosen Wachskerzen brach. Gnadenreich beugte sie sich der leidenden Menschheit entgegen, mit dem Bambino auf dem Schoße, das gleich ihr gekrönt, von der Kraft heiliger Einfalt strahlte.

Die rechte, kostbar geschmückte Hand war auf das Kind gerichtet, – halb zeigte sie auf das Wunder, halb schützte sie es vor bösen Blicken aus dem Dunkel der Welt. Der nackte Fuß war vorgestreckt, und die Zehe von andächtigen Küssen blankgescheuert.

Lucchetti und Teresa knieten auf dem Steinboden nieder, Viktor auf der Bank – auf dem Schemel vor der Statue war kein Platz, denn viele, viele suchten den Blick der Himmelskönigin –

Angehende Mütter knieten, – fühlten sie sich doch von der Welt bedroht, in der sie dem keimenden Leben einen bescheidenen Platz erobern sollten, obgleich alle Plätze bereits besetzt schienen –

Angehende Väter, – ernste, von Arbeit geprägte Männer, beteten treuherzig zu der erhabensten aller Mütter, sie um Segen anflehend für ihr Weib und ihre gemeinsame Frucht, auf daß sie köstlich reifen und im richtigen Augenblick vom Baume auf die schlimme Erde fallen möge, deren schwere Bedingungen sie tagtäglich am eigenen Leibe spürten –

Angehende Großeltern, um die schwere Entbindungsstunde einer schwächlichen Tochter besorgt, knieten in andächtigem Gebet –

Alle wurden von derselben Sorge niedergedrückt und beteten gemeinsam, daß die Stunde, in der das neue Wesen die Schwelle des Lebens überschreiten sollte, leicht werden möge.

Endlich gelangte Lucchetti in den Schein der vielen Kerzen, zu beiden Seiten der heiligen Statue.

Viktor sah, wie er auf dem Schemel niederkniete und mit geblendeten Augen auf die vorgestreckte Hand der Madonna hinaufstarrte, während seine Hand über den blankgescheuerten Fuß tastete. Er sah, wie er den Fuß küßte, seine Stirn dagegenlehnte und so lange verweilte, bis die hinter ihm Stehenden ungeduldig wurden. Schließlich erhob er sich und taumelte zurück.

Viktor war erstaunt und bewegt. Was barg diese sonst so barsche Seele? – Welche zarten, treuherzigen Erinnerungen konnten nach so vielen wildbewegten Jahren noch den Widerschein tiefer Ergriffenheit in dem sonst so grimmigen Blick entfachen?

Die Gläubigen begannen jetzt aus der Kirche zu strömen, – der Sakristan in seinem schwarzen Rock rückte Stühle und rasselte mit dem Schlüsselbund, zum Zeichen, daß jetzt geschlossen werden sollte.

Viktor stand in tiefem Anschauen versunken vor dem Pilaster mit dem Fresko des Propheten Jesaias von Raphael; Teresa ging still umher, die großen Augen auf all das Neue und Wunderbare gerichtet; Lucchetti kniete vor der Schranke des Hauptaltars.

Sie waren die Letzten; der Sakristan näherte sich Viktor und sagte: » Si chiude

Als sie zusammen durch das dunkle Seitenschiff zum Ausgang gingen, blieb Lucchetti stehen, blickte noch einmal zwischen die Pfeiler zu der strahlenden Madonna zurück und sagte dann so laut zu Teresa, daß auch Viktor es hören konnte: »Was ich hier in Rom auszurichten habe, ist das Schwerste noch in meinem Leben. Heute nacht aber muß es geschehen, – meine Seligkeit hängt davon ab. Und damit mein Vorhaben glückt, muß ich mich der Gnade der Madonna versichern –«

Teresa ahnte, was er sagen würde –

Er legte seine Hand auf ihre Schulter: »Ich bitte dich, leihe mir deinen Ring, damit ich ihn heute nacht zum Schutz tragen kann!«

Bevor er seine Bitte noch ganz ausgesprochen hatte, beugte sie den Kopf, löste die Seidenlitze und reichte ihm den Ring.

Lucchetti küßte ihn und barg ihn an seiner Brust.

Als sie draußen auf dem Treppenabsatz standen, sagte er, er müsse sie jetzt verlassen, – daß sie ihn aber morgen früh um neun Uhr an dieser selben Stelle treffen sollten. Tief bewegt drückte er ihnen die Hände, als sei es ein Abschied auf lange Zeit, nahm Teresas Kopf zwischen die Hände und küßte sie auf die Stirn.

Viktor sah, daß er sich die Augen trocknete, als er vor ihnen die Treppe hinabeilte.

   

Viktor fuhr mit Teresa zu dem uralten Hotel del Sole auf dem Pantheonplatz.

Nachdem sie gegessen hatten, begaben sie sich auf ihre Zimmer im zweiten Stockwerk, und Viktor schlug die Fensterläden zurück –

Schweigend standen sie nebeneinander und blickten über den Marktplatz, dem Atemzug der ewigen Stadt lauschend.

Die Kuppel des Pantheon verdeckte den südlichen Teil des klaren Abendhimmels, – dahinter stand der Mond, sein Schein umstrahlte die Rundung der Kuppel.

Das Plätschern des Springbrunnens mit dem Obelisken in der Mitte des Platzes klang zu ihnen herauf. Das Mondlicht streifte einen der Wasserstrahlen – er rann wie ein Strom von schäumendem Silber –

Jeden Augenblick wurde die Stimmung von einer Straßenbahn gestört, die vom Pantheon kam und um die Ecke einer Seitenstraße mit einem kreischenden Laut verschwand.

Um eine andre Ecke kam eine Frau mit einem Kind auf dem Arm, ein Harmonium hinter sich herziehend, und ein kleines Mädchen schob –

Vor einer hellerleuchteten Bar, deren Tür offen stand, blieb die Frau stehen. Während sie die Orgel drehte, tanzte das kleine Mädchen und schwang das Tamburin.

Teresas Hände wurden unruhig, – sie war wieder selbst ein kleines Mädchen, – eine Bewegung ging durch ihren Körper, als wollte sie tanzen –

Nur einen Augenblick, – dann besann sie sich, – ihre Brust hob sich mit einem tiefen, befreiten Seufzer, – es war, als ob sie erst jetzt begriff, daß kein Entsetzen mehr über ihr brütete, – daß der Teufel in Walthers Augen keine Macht mehr über sie besaß. Ein jubelndes Gefühl der Freiheit durchströmte sie und überglücklich lehnte sie sich gegen den Mann, der sie gerettet hatte.

Viktor beugte sich herab und küßte ihre geöffneten Lippen.


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