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VII

Auch beim Lunch war Viktor unter den ersten Gästen. Ein gutes Trinkgeld an den Maitre d'Hotel hatte ihm einen Eckplatz gesichert, von wo er den ganzen Speisesaal überblicken konnte.

Er warf einen Blick in das » Journal des Etrangers«, um nach bekannten Namen zu suchen. Da wurde er auf eine lachende Stimme aufmerksam.

Maitre d'Hotel hielt mit tiefer Verbeugung einem älteren, aber noch jugendlich aussehenden Herrn die Tür auf, der kurz und gellend auflachte und mit einer Festigkeit und Bestimmtheit auftrat, als sei er gewohnt, auf eigenem Boden zu gehen.

Seine Frau – entre deux âges, wie der Franzose sagt – trug das grau gepuderte Haar in vollen Locken wie einen Kranz um das kunstvoll gepuderte Gesicht. Sie hatte große, hervortretende Augen, mit einem Ausdruck gieriger Freundlichkeit. Ihr Kleid war elegant aber einfach, abgesehen von dem Schmuck, der ihr trotz des Vormittagskleides auf Haar, an Armen und Fingern blitzte.

Eine Gesellschaftsdame von dem knöchernen Typ, mit hervorstehenden Zähnen und einem stereotypen Lächeln, hielt sich ihr zur Linken, um beim geringsten Wink dienstbereit zu sein.

Ihnen folgte ein junger Mensch, der trotz des Abstandes einer Generation – oder richtiger Degeneration, die nahe Verwandtschaft nicht verleugnen konnte. Er hatte die ausdruckslosen, hervortretenden Augen der Mutter, dunkler im Blick, gelber im Weißen, und ohne die gierige Freundlichkeit. Die Ohren fast durchsichtig, standen von dem gedrungenen Schädel ab, die Nase war wie die des Vaters gebogen, aber weniger schmal an der Wurzel und ohne den Ausdruck von Energie; das Haar war braun und glänzend mit einem rötlichen Schein, glatt zurückgekämmt und an den Schläfen leicht ergraut. War es das frühzeitige Werk der Jahre? – er konnte kaum über dreißig sein – oder ein Toilettenkniff, der ihm ein individuelles Gepräge geben sollte?

Seine Schultern waren breit wie die des Alten, aber nicht so gestrafft, eher herabhängend; der Gang war gleitend, zögernd, ohne die Festigkeit des Vaters. Über dem ganzen Menschen lag etwas Unbestimmbares, das sich nicht einordnen ließ, obgleich er wie die Mutter nach neuester Pariser Mode gekleidet war.

Es war die Familie Farham. Sie hatte ihren Platz in einer Fensternische, wie in einem Raum für sich, wo sie außer von ihrem eigenen Diener im weißen Jachtanzug von dem Maitre d'Hotel persönlich bedient wurde.

Da kam ein Paar herein, das Viktor durch äußere Verschiedenheit auffiel. Beide waren groß und schlank, im übrigen aber waren sie so verschiedenartig wie nur möglich – er dunkel, südländisch, fast exotisch; sie blond und nordisch. Alles an ihm war dunkel, vom Haar und Augen bis zu Schlips, Jackett und Schuhen; der kupferbraune Nacken über dem weißen Kragen machte einen Eindruck von beherrschter Kraft.

Dabei war er so in seine Begleiterin verliebt, so unbekümmert, hemmungslos verliebt, daß man unwillkürlich lächeln und den Kopf schütteln mußte. Sie dagegen war trotz ihres ausgeprägt mondänen Wesens bemüht, diese Verliebtheit zu dämpfen, obgleich sie ihr soviel Freude zu machen schien, daß sie es kaum zu verbergen vermochte. Viktor zweifelte nicht, daß sie an einen andern Mann gebunden war und sich auf unsicherem Boden fühlte.

Etwas an ihr wollte ihm bekannt erscheinen. –

Als sie an ihrem Tische Platz genommen hatten und sie sich im Saal umblickte, sah Viktor ihr Gesicht von vorn, seine Augen begegneten den ihren – und ein frohes Wiedererkennen leuchtete darin auf.

Es war ja Flora Linnholm! – Der runde Kopf mit den breiten Backenknochen auf dem schlanken Halse, die unregelmäßigen, eigentlich alles andre als schönen Züge, die aber von einem rebellischen Temperament, einer zügellosen Lebensfreude leuchteten, die gefährlicher ist als Schönheit.

Sie war dieselbe wie damals und dennoch – die Augen lagen tiefer in den Höhlen und hatten eine Glut, die nicht ganz echt zu sein schien. Was war es, das in den großen Pupillen seine Aufmerksamkeit weckte? – Im selben Augenblick stieg ihr eine tiefe Röte in die Wangen, – solch empfindsames Gemüt hatte Flora Linnholm früher nicht gehabt.

Die Haut war zarter geworden, – oder hatte die frische Naturfarbe einer geschickt aufgelegten Schminke einfach weichen müssen? Um den Mund lag ein erfahrenes Lächeln, – früher hatte ihr Lächeln die übermütige Freude eines Kindes ausgedrückt.

Sein prüfender Blick schien ihr peinlich zu sein, sie stand auf, und bevor sie noch gesprochen hatte, stand er neben ihr und nahm die ausgestreckte Hand. –

»Sie hier! Wo haben Sie denn so lange gesteckt?«

»Und Sie, Flora, – unverändert dieselbe!« log er.

Plötzlich erinnerte er sich ihres Alters, er selbst war damals Ende der Zwanziger gewesen und sie war nicht viel jünger. –

Er sah sie vor sich, wie sie ihn um den Kopf faßte und den feierlichen Kuß auf die Stirn drückte, nachdem der Freiherr seine Rede auf den neugebackenen Doktor gehalten und Champagnerflasche und Glas ins Wasser geschleudert hatte. Es war eine herrliche Nacht auf der Hotelterrasse am Sunde, – das Mondlicht hatte sich wie Gold auf den weichen Wellenkämmen in der hellen Nacht geschaukelt. –

Das übrige Publikum, Plebs, wie der übermütige schwedische Freiherr alle Außenstehenden nannte, war schon längst aufgebrochen; nur der Ober hielt noch aus, des riesigen Trinkgeldes wegen, das seiner wartete, – der Chauffeur war im Auto eingeschlafen. –

Es war in den Tagen der wilden Spekulation, als Kontoristen sich Reitpferde und Mätressen hielten, und die Krämer von der Ecke Gemälde von berühmten Malern meterweise bezahlten, während ihre Damen die Logen in der Oper füllten. Der Freiherr v. Mornfeld, der flotte Schwede, war nach Kopenhagen gekommen und verspielte das Erbe seiner Väter an der Börse ...

Sie faßte ihn um den Kopf und drückte ihm einen Kuß auf die Stirn, während der kleine Inder, Maler und Musiker zugleich, auf dem Tische zwischen Gläsern und Flaschen den Liebestanz der Bajadere zu Ehren des Gottes tanzte. Er war während des Krieges nach Europa gekommen, nannte sich Raj-Habib-Aoud und behauptete, es hieße »der Fürst – der Geliebte – der die Violine spielt«. Während er tanzte, wurden seine Augen in dem opalisierenden Gesicht immer dunkler und schmachtender. –

Flora Linnholm hob ihn ausgelassen vom Tisch weg und rollte ihn den Abhang hinunter, bis er unten am Strande zwischen Steinen sitzen blieb und verdutzt über das Wasser mit dem schaukelnden Gold blickte. –

Der Freiherr wollte mitten in der Nacht baden. Flora aber verbot es ihm. Stolz und hochaufgerichtet stand sie ihm auf den äußersten Steinen gegenüber, – wie die beiden Starken, die sich an Haltung und Kühnheit des Blickes glichen, sich maßen! ... Mit einer tiefen Verbeugung aber kapitulierte er schließlich. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und stimmte ihr übermütiges Lachen an, er aber hob sie mit seinen Armen hoch und watete mit ihr ins Wasser hinaus, bis er den Kopf der Badebrücke erreicht, wo er sie niedersetzte – ihre nackten Arme leuchteten im Mondlicht, während sie seinen Zentaurenkopf mit der lockigen Mähne bearbeiteten.

Viktor sah, daß sie an dieselbe schöne Nacht dachte: In ihren Augen glühte der Widerschein eines Feuers auf, das längst verlöscht war, und um ihren Mund trat ein schmerzlicher Zug, als mache sie ihm Vorwürfe, daß er wieder zum Leben erweckte, was sie längst aus ihrer Erinnerung verdrängt hatte.

Dann kehrten sie beide zum Augenblick zurück.

»Wissen Sie, Heller, daß – Sie erinnern sich doch an Freiherrn v. Mornfeld?«

»Und ob!« Viktor richtete sich auf, um die Schulterbreite des Riesen anzudeuten.

»Wir sind jetzt verheiratet. Nach dem Zusammenbruch an der Börse ging er nach Amerika –« sie hielt inne, fuhr dann aber fort, mit einem Ausdruck als dächte sie: er weiß es ja doch aus den Zeitungen – »und nach dem Tode meines Vaters reiste auch ich hinüber. Wir trafen uns in San Franzisko und heirateten.«

Sie zögerte, überlegte, dann wagte sie den Sprung: »Ich will es Ihnen lieber gleich sagen: Freiherr v. Mornfeld existiert nicht mehr –« unwillkürlich flüsterte sie, obgleich sie dänisch sprach – »Gustav hatte ein Holzgeschäft in den Vereinigten Staaten und wurde in allerhand hineingetrieben, wozu er seinen guten Namen nicht hergeben wollte. Darum wurde ich keine Freiherrin. – Sie sprechen mit Mrs. Millner –«

Ein Schimmer ihres Mädchenlächelns, dann eine anmutige, fast demütige Neigung des Kopfes, die ihm neu an ihr war.

»Was aber bedeutet das im Verhältnis zu –« sie erbebte und bei der Erinnerung an die gemeinsam verlebten glücklichen Stunden wich sie vor einer Mitteilung zurück, die sie auf den Lippen hatte. Schließlich aber stieß sie atemlos, fast brutal hervor: »Gustav ist ein Krüppel geworden, er stürzte im Walde mit seinem Pferde, sein Rückgrat wurde beschädigt und jetzt geht er mit zwei Stöcken, muß viel liegen –«

Sie schluckte, strich das aschblonde Haar entschlossen zurück – sie hatte es nicht der Mode geopfert, die üppige Welle fiel ihr wie damals tief ins Auge.

»Jetzt wissen Sie es, Heller, und lassen Sie es bitte nicht merken, wenn Sie ihn wieder sehen. Und sprechen Sie um Gottes willen nicht von den alten Zeiten, als er noch ›der große Mann‹ war,« fügte sie wehmütig lächelnd hinzu. – »Nun, vielleicht erinnert er sich Ihrer gar nicht mehr.«

Viktor griff unwillkürlich nach ihrer Hand. Sie aber zog sie hastig zurück, als ob sie fürchtete, daß jemand seine impulsive Bewegung gesehen haben könnte.

»Wir hatten Glück im Unglück,« – sie lächelte in Erinnerung an den Übermut vergangener Jahre – »Gustavs Geschäft war gerade bankrott, doch hatte er sich ziemlich hoch gegen Unfall versichert, so daß wir von den Zinsen dieser Summe leben können. Wir reisen jetzt von Ort zu Ort und bleiben dort, wo ihm das Klima am besten bekommt.

»So, jetzt wissen Sie alles,« schloß sie erleichtert, »und nun erwarte ich von Ihnen, Heller, daß Sie mir ein guter Freund und Landsmann sein werden.«

Sie neigte ihren Kopf und wieder fiel ihm die demütige Anmut auf. War es ein Werk der Jahre oder des Kummers?

Ohne seine Antwort abzuwarten, wandte sie sich jetzt an ihren Begleiter, der stehend gewartet hatte und jetzt Anzeichen von Ungeduld verriet.

»Entschuldigen Sie, mein Freund,« sagte sie auf Französisch, indem sie seinen Arm leicht berührte, »Monsieur ist ein alter Bekannter von mir, den ich seit vielen Jahren nicht gesehen habe, – Monsieur Viktor Heller aus Kopenhagen – Señor Don Luigi Alasco aus Mexiko, der berühmteste Ingenieur des romanischen Amerikas, der soeben eine große Erfindung gemacht hat.«

Alasco machte eine abwehrende Handbewegung, sie aber ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Setzen Sie sich!«

Sie setzte sich selbst und fuhr fort: »Wollen Sie nicht an unserm Tische Platz nehmen, Heller?«

Heller nahm das Angebot dankend an, und gleich darauf hatte der Ober ein drittes Kuvert aufgelegt.

»Eine große Erfindung, sage ich Ihnen,« fuhr Flora fort, »epochemachend, die die ganze Welt revolutionieren wird. Im übrigen aber verstehe ich keine Silbe davon!«

Alasco räusperte sich und zog seine Brauen mit einem komischen Ausdruck von Verliebtheit und Ärger zusammen.

»Nein,« sie legte schelmisch einen Finger auf ihre Lippen, »ich werde kein Wort mehr sagen.«

»Es ist kein Geheimnis, – die Zeitungen in den Staaten haben es ja bereits ausgeplaudert.«

Der Mexikaner zuckte ärgerlich die Achseln und machte ein trotziges Gesicht wie ein Knabe, was ihn gut kleidete, wenn sein Blick den ihren traf, blitzte es in seinen dunkeln Augen auf, und er suchte ihren Blick beständig.

Viktor dachte an das, was sie ihm von ihrem Manne erzählt hatte, und er begriff die schwierige Lage, worin diese unverhohlene Verliebtheit des jungen – jünger als sie – starken und temperamentvollen Spaniers sie brachte.

»Sehen Sie, Monsieur – Pardon – Eller?«

»Heller!« verbesserte Flora.

»Eller!«

Sie mußten alle drei lachen.

»Sie können es ja doch nicht sagen.«

» Never mind!« Er beugte sich zu Viktor – Hellers Blondheit war ihm sympathisch, – wahrscheinlich weil sie Floras glich, dachte Viktor.

»Verstehen Sie,« fuhr er erklärend fort, »ich habe nicht die Absicht, mich durch Geheimnistuerei interessant zu machen, aber ich habe meine Erfindung an Mr. Farham verkauft, an den Herren dort –«, er machte eine Kopfbewegung zum Tisch des Millionärs, »er will sie finanzieren und – hm – ausnützen. Er haßt Zeitungen, und solange etwas in Vorbereitung ist, bewahrt er selbst strengste Diskretion. Dadurch ist er reich geworden, – er entdeckte Minen in Mexiko, kaufte sie und nutzte sie aus, bevor noch andre davon wußten. Er ist ein großer Mann.« – Der Spanier riß die Augen auf wie ein begabter Junge, der Abenteuer erzählt, »er handelt stets nach seinem eigenen Kopf.«

Er redete sich immer mehr in Feuer. Während seine funkelnden Augen von Flora zu Viktor und wieder zurück streiften, erzählte er mit überstürzten Worten, so daß Viktor nicht immer verstand, – wie der Millionär auf irgend eine Weise von seiner Erfindung erfahren und sie erworben hatte. Es handelte sich um ein sinnreiches Turbinensystem, durch das man den Temperaturunterschied des Wassers in den großen Meertiefen ausnutzen und zu einer Triebkraft von Millionen Pferdekräften umsetzen konnte.

»Wissen Sie, was Mr. Farham getan hat? Er hat unter der Hand von dem italienischen Staat ein ausrangiertes Unterseeboot gekauft, das zur Zeit in einem italienischen Hafen im Dock liegt, um ausgebessert und mit den nötigen Apparaten versehen zu werden. Wenn es fertig ist – er erwartet täglich mit Ungeduld das Telegramm – holt er es mit seiner Jacht ab und fährt dann geradeswegs zum Indischen Ozean, um die Erfindung auf ihren praktischen Wert hin zu prüfen.«

»Diesem Umstand verdanken wir Alascos Anwesenheit hier,« schob Flora ein, »er soll die Arbeit selbst leiten, ist ganz unentbehrlich. Vorläufig aber hilft er Farham die Wartezeit zu vertreiben.«

»Ich habe mich ihm mit Haut und Haaren verkauft,« seufzte Alasco, halb froh, halb verdrießlich. Darauf senkte er seine Augen wieder in Floras und sagte mit tiefer Bekümmerung: »Er kann mich abkommandieren, wann es ihm paßt, und ich habe keine Ahnung, wann ich zurückkehren, – ob ich überhaupt lebendig zurückkehren werde! Vielleicht, gnädige Frau, werde ich Sie nie wiedersehen!«

Viktor mußte unwillkürlich lächeln, denn in den jungen offenen Augen des verliebten Spaniers konnte man deutlich lesen, daß er drauf und dran war, seiner eigenen großen Erfindung zu fluchen.

»Mein Herr,« brauste Alasco auf, als er Heller lächeln sah, »es ist kein Scherz –«

Viktor entschuldigte sich, er hatte es nicht bös gemeint.

Gleichzeitig streifte sein Blick Floras Gesicht, und etwas Hilfloses in ihrem Ausdruck zeigte ihm, wie tiefernst ihre Lage tatsächlich war.

»Ich bin überzeugt,« beeilte Flora sich zu sagen, »daß Alasco Sie trotz Diskretion und Verantwortung beim Kaffee in alle Einzelheiten des Planes einweihen wird. Wenn er erst beginnt ... mich aber müssen Sie entschuldigen, ich werde den Kaffee oben bei meinem Manne trinken.« Damit steckte sie ihr Zigarettenetui in die Handtasche. –

Im selben Augenblick richtete sich aller Aufmerksamkeit auf die Glastür –

»Da haben wir die Fürstin,« sagte Flora und blieb sitzen.

Maitre d' Hotel hielt die Tür mit einer tiefen Verbeugung auf, und hereintrat – wie aus den Kulissen auf die Szene – eine kleine Dame, die lebhaft, mit klingenden, italienischen Vokalen zu ihrer Gesellschaftsdame sprach. Ihr weißes Haar war à la Kaiserin Elisabeth von Österreich frisiert, im übrigen aber war sie nach der letzten Pariser Mode gekleidet. Die Gesellschaftsdame führte eine französische Bulldogge an der Kette, mit häßlich hervorstehenden, gierigen Zähnen und einem modernen Haarenhalsband.

Ihre Durchlaucht nahm sehr umständlich, mit Hilfe der Gesellschaftsdame an ihrem Tische Platz, über den ein breiter Sonnenstreifen fiel – die alte Dame konnte gar nicht genug Sonne bekommen, – während Maitre d' Hotel für den Hund sorgte und ihn an der Seite der Fürstin, in passendem Abstand vom Tische, auf einen Stuhl setzte.

Viktor betrachtete sie voller Interesse.

»Fürstin Beatrice?« fragte er.

Flora erzählte, was man von ihren vielen Eigenheiten und von dem gestohlenen Halsband wußte; wie nach stillschweigender Übereinkunft wurde diese Angelegenheit nicht öffentlich erörtert, obgleich alle Welt davon wußte, – vom Stubenmädchen bis zu dem Stiefelwichser in den verschiedenen Stockwerken des Hotels. Diese Verschwiegenheit hatte dem Personal schon manches gute Trinkgeld eingebracht, und die Gerüchte wurden immer phantastischer.

Viktor tat, als ob ihm dies alles neu sei.

Jetzt erhob sich ein kleiner untersetzter Herr mit scharfem Blick hinter einer großen Hornbrille, der seinen Platz an einem Tisch in der Nähe hatte und ging vorsichtigen Schrittes über das Parkett auf die Fürstin zu, verbeugte sich, trat aber erst näher, als die Fürstin ihn gnädig heranwinkte.

»Das ist Doktor Manot, der Arzt des Hotels,« erklärte Flora.

Man hörte ihn mit teilnehmender Stimme nach dem Befinden der Fürstin fragen. Die Fürstin antwortete mit lebhaften Bewegungen ihrer kleinen Hände, die so reich mit Ringen besetzt waren, daß sie die Glieder kaum bewegen konnte. Die Steine blitzten und funkelten in der Sonne.

Der Arzt hob und senkte seine Brauen im Takt zu dem wechselnden Mienenspiel des trotz Alter und Schminke sehr ausdrucksvollen Gesichtes der alten Dame.

Er war noch nicht entlassen, als ein großer, etwas plumper Herr mit schwarzem Gehrock und schwarzer Halsbinde – eine Mischung von Diplomat, Gelehrter und Geistlicher – an dem Tisch der Fürstin vorbeiging und eine tiefe und zögernde Verbeugung machte, als ob er sich für eine Audienz bereithielte, man sah gleich, daß er besonderen Zutritt hatte.

Viktor dachte bei sich, daß es der in dem Brief von der H. Y. B. S. A. erwähnte Detektiv sei.

»Wer ist das?« fragte er Flora.

»Ich kenne ihn nicht. Wahrscheinlich irgend ein Angestellter von ihr, den sie hat kommen lassen; denn er hat ihr gleich am ersten Tage beim Lunch seine Aufwartung gemacht.«

Kein Zweifel, es war Herr Lacombe. Viktor musterte ihn; sie würden noch allerhand miteinander zu tun bekommen.

   

Flora war auf ihr Zimmer gegangen.

Viktor und Alasco saßen in der Halle beim Kaffee.

Es kam nicht, wie Flora vorausgesagt hatte, der Spanier erzählte nicht von seiner Erfindung. Seit sie sich verabschiedet und summend fortgegangen war, hatte Alasco kaum den Mund geöffnet.

Viktor entfaltete seine ganze Liebenswürdigkeit, um ihn wieder in Stimmung zu bringen und sprach von Floras vielen guten Eigenschaften. Der Spanier wollte gern etwas über ihre Vergangenheit erfahren, und Viktor erzählte dies und jenes von ihrer recht flüchtigen Bekanntschaft im Kopenhagener Studentenverein und Tennisklub.

Viktor erfuhr, daß Flora und Alasco sich im Kasino in Nizza kennengelernt hatten. Sie war eine leidenschaftliche Spielerin. Jeden Abend, nachdem ihr Mann zu Bett gegangen war, begab sie sich in den Spielsaal.

Ihre Leidenschaft beunruhigte Alasco, denn wie viele Südländer war er trotz seines Temperamentes ein beherrschter Spieler.

»Sie wird noch einmal durch ihre Passion zugrunde gehen,« sagte er besorgt, »aber sie läßt sich ja nichts sagen.«

Gleich darauf aber suchte er sie zu entschuldigen; in dem freudlosen Dasein, das sie mit bewunderungswürdiger Haltung trug, sei das Spiel ihre einzige Zerstreuung. Sie pflegte den Krüppel, der ihr Mann war, – durch Alascos Stimme klang die Verachtung des unzivilisierten Menschen gegen alles, was Schwäche ist, – mit rührender Aufopferung. Daß diese ihn ärgerte, verbarg er nicht, gleichzeitig aber bewunderte er sie. Hätte jemand ihre eheliche Treue in Zweifel gezogen, er würde ihm sicher an die Kehle gesprungen sein; denn diese ihre Standhaftigkeit war ja sein einziger Trost für die Abweisung der leidenschaftlichen Verliebtheit, die sie in seinem vulkanischen Gemüt geweckt hatte. Gern gäbe er Ruhm und Millionen hin, wenn er statt dessen sie gewinnen könnte, – das gestand er ganz offen.

Viktor war auf solche Vertraulichkeit von einem Menschen, den er vor drei Stunden noch nicht einmal dem Namen nach gekannt hatte, nicht vorbereitet. Sie zeigte ihm die bedenkliche Tiefe eines Gefühls, über das er vorhin noch gelächelt hatte. –

Würde er Flora helfen können? Wäre es nicht das beste, sie würde mit ihrem Manne abreisen? Wenn er vorhin richtig gesehen hatte, schien die größte Gefahr jedoch in ihr selbst zu liegen. Ihre Pupillen waren stark erweitert, ohne daß eine seelische Gespanntheit die Ursache zu sein schien; auch Stimme und Lächeln hatten eine künstliche Exaltiertheit verraten. –

Auf seiner vierjährigen Wanderung von Hotel zu Hotel war ihm diese leere Hochspannung im Blick häufig begegnet, hauptsächlich bei Frauen und Spielern. –

Er wollte nicht fragen, als er aber Alasco von der Seite ansah, war es, als ob dieser seine stumme Frage erriete, denn er seufzte und zuckte die Achseln, als ob er sagen wollte: in dem Leben, das sie zu führen verdammt ist, ist das ja ihre einzige Zuflucht.

Hier im Süden, dachte Viktor, liefern die Apotheker ohne Rezept aus, was im Norden der schärfsten Kontrolle unterliegt, und jedes Gefühl von Verantwortung ist nur eine Frage von Geld. Sollte sie ihrem Schicksal entgehen, gab es kaum ein andres Mittel als Flucht.


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