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XIII

Als Viktor tags darauf von seiner morgendlichen Fahrt zurückkam, ging er auf dem Wege zum Garten an einem jüngeren Herrn vorbei, der mit dem Portier sprach.

Er trug einen hellen Sommeranzug, flachen Strohhut mit einem Band in den französischen Farben, einen gelben, bunt gemusterten Schlips und eine gelbe Rose im Knopfloch.

Viktor hatte es sich gerade mit einer Zeitung auf seiner Bank bequem gemacht, als er den Fremden auf sich zukommen sah.

Sein Gang mit den schlenkernden Gliedern, der zu der strammen Haltung in merkwürdigem Gegensatz stand, weckte seine Aufmerksamkeit. Der Mann erschien ihm bekannt, – die langen Hände, das gelbliche, faltige Gesicht –

Der Fremde sah Viktors Blick auf sich gerichtet, grüßte schon von weitem mit einem ehrerbietigen Lächeln, wobei sein Untergesicht sich verzog und eine Reihe langer, gelber Zähne zeigte –

Im selben Augenblick erkannte Viktor ihn, – es war der Ober aus dem »Goldenen Engel«.

»Gestatten Sie, mein Herr, daß ich mir die Freiheit nehme, mich vorzustellen,« begann er auf Französisch, mit leichtem slavischen Akzent.

Viktor blickte von seiner Zeitung auf, und nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß der andre ihn nicht erkannte, beugte er höflich abwartend den Kopf.

»Erlauben Sie, daß ich mich setze –« ohne eine Antwort abzuwarten, setzte er sich neben Viktor auf die Bank, nahm seinen Hut ab und wischte sich den Schweiß von Stirn und Haar, mit einem stark parfümierten Taschentuch.

»Mein Name ist Weyler. Als Pole spreche ich alle Weltsprachen. Ist Ihnen Französisch recht?«

Viktor nickte.

»Durch Herrn Lacombe habe ich erfahren, daß Sie der Vertreter der H. Y. B. S. A. sind?«

Viktor beherrschte seinen Widerwillen und nickte.

»Darf ich gleich zur Sache gehen?«

Viktor rückte unwillkürlich etwas von ihm ab, indem er seine Zeitung zusammenlegte.

»Sehen Sie,« begann er, »Lacombe und ich sind eigentlich Kollegen, ich bin auch einmal Detektiv gewesen – ja, was bin ich eigentlich noch nicht gewesen – Schauspieler, als ich ganz jung war, – Dolmetscher, Führer, – ich habe stets die Chance zu greifen verstanden. Jetzt bin ich Inhaber eines kombinierten Touristen-, Impresario- und Auswandererbüros, mit Südamerika als Spezialität. Vor einigen Jahren hatte ich nämlich das Glück, ein paar Tausende mit einem Schlage zu verdienen, so daß ich mich selbständig machen konnte –«

»In welchem Fach?« fragte Viktor entgegenkommend.

»Sozusagen als Restaurateur. Glück muß man haben, nicht wahr, – natürlich auch etwas Grütze im Kopf, – Ideen. Ich bin auch mal Polizeibeamter gewesen, in Deutschland, – das Polizeischild bewahre ich wie eine Art Andenken auf; sehen Sie hier –«

Er zog ein Messingschild aus der Tasche und reichte es Viktor, der es mit größtem Interesse betrachtete.

»Sieh mal an,« sagte Viktor auf Deutsch, »es war also im Rheinlande –?«

»Ja, jawohl.« Weyler steckte das Schild hastig wieder zu sich, »angenehme Menschen dort, heitere Menschen und sehr human. Später nahm ich meinen Abschied, trieb mich in der Welt herum, und jetzt bin ich mit meinem eigenen Geschäft seßhaft geworden.« Er sah sich selbstbewußt um und nahm dann den Faden wieder auf: »Um aber zur Sache zu kommen, denn von mir soll hier ja nicht die Rede sein, – so sage ich neulich zu Herrn Lacombe, nachdem der Geschäftsführer des Hotels uns bekannt gemacht hat, – daß er über mich verfügen könne, falls ich ihm in seiner Tätigkeit behilflich sein könne. Und dann zeigte ich ihm das Polizeischild, – denn ich wußte, weshalb er hier ist, und es macht mir Spaß, ein wenig in meinem alten Fach zu arbeiten, während ich auf Ferien bin.«

Viktor nickte verständnisvoll, und Herr Weyler, der sich sicher zu fühlen begann, fuhr fort: »Lacombe forderte mich daraufhin auf, ein Auge auf das Personal in der Villa zu haben, wo ich wohne. Mein Geschäft bringt es mit sich, daß ich mit den untern Gesellschaftsklassen verkehre, wo ich meine besten Kunden habe. Na, kurz und gut, Lacombe erwähnte gelegentlich, daß auch die Weltfirma Hybsa hier ihren Vertreter habe, und nannte Ihren Namen, Herr Heller. – Wenn ich nun in aller Bescheidenheit meine Meinung sagen darf, so glaube ich, daß man den Dieb ganz wo anders als zwischen dem Hotelpersonal suchen muß, – ich spreche ganz offen zu Ihnen, denn ich hoffe, daß wir Mitarbeiter werden. Ich glaube, nach dieser Entführungsgeschichte – übrigens ein ganz hübscher Coup, man könnte fast neidisch werden, nicht wahr –?« Er lachte vergnügt, fand keine Zustimmung und beeilte sich fortzufahren: »Was ich sagen wollte! Die Leute sprechen so viel von Lucchetti, als von einem Mann von Ehre und so weiter! Ich aber sage, wenn man solchen Banditenstreich an unschuldigen Fremden verüben kann, – und ein andrer als er kann es nicht gewesen sein – dann ist er auch nicht zu edel, um den Diebstahl an der Fürstin verübt zu haben. Habe ich recht?«

Als Viktor nickte, fuhr er ermutigt fort: »Wenn ich nun meine Meinung offen sagen darf, so ist Lacombe, – ja, wenn er ein Pferd wäre, würde ich nicht unbedingt auf ihn halten. Als Mensch ist er natürlich einwandfrei, brillanter Kollege und so, – aber er gehört nicht zu denen, die Odds geben.«

Viktor konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Weyler faßte es als Zustimmung auf, fühlte sich mit Heller im Bunde und fuhr fort: »Sehen Sie, darum habe ich mir gesagt, in einem Spiel mit so hohen Gewinnen: da sind zuerst die zwanzigtausend Franc für das Halsband der Fürstin – Bagatelle, nur Franken – dann aber die fünfzigtausend Dollar, die Farham für seinen Sohn ausgesetzt hat, und seine Hunderttausend für den Banditen – abgesehen von den dreißigtausend Franc, die der französische Staat auf Lucchetti gesetzt hat, – sehen Sie, in einem solchen Spiel muß auch ein hoher Einsatz gemacht werden, nicht wahr? – Lacombe aber kann über kein Kapital verfügen, – seine Gesellschaft will wohl mitspielen, aber sie will nichts wagen, und das geht natürlich nicht.«

Er heftete seine funkelnden Augen auf Viktors und machte eine Kunstpause.

Viktor beeilte sich, ihm zuzustimmen, damit sie weiterkämen.

»Und dabei ist Geld nicht das wichtigste. Nein, hier« – er klopfte sich auf die Stirn – »muß man besser ausgerüstet sein als Herr Lacombe, wenn man mit Lucchetti Trumph spielen will!«

Er beugte sich eifrig vor: »Ich halte es für durchaus notwendig, daß man Lacombe zuvorkommt, sonst verdirbt er uns andern das Spiel. Denn mit solch alten Kniffen, wie Gendarmen als Hirten verkleidet und dergleichen, kann man Lucchetti nicht fangen. Man muß einen ganz andern Weg einschlagen.«

Viktor nickte noch einmal. »Jetzt kommt es,« dachte er und setzte sich besser zurecht.

»Darum habe ich mir erlaubt, mich an Sie zu wenden, einen Mann mit Ihrem Verstande – das sieht ein Kenner gleich! Und mit der Hybsa im Rücken. Und nun frage ich Sie, warum soll Herrn Lacombe und nicht Ihnen der Gewinn zufallen? – Der fetteste Bissen dem Klügsten, das ist meine Devise, – für einen Geschäftsmann gibt es nichts andres.«

Jetzt konnte Viktor kaum mehr seine Ungeduld beherrschen, und Weyler beeilte sich fortzufahren: »Also kurz und gut, eine solche Chance: ein Multimillionär in der Klemme, hat der Mensch nur einmal in seinem Leben! Und darum schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns gemeinsame Sache machen und den Gewinn teilen.

»Wenn Sie, Herr Heller, die Hybsa veranlassen, das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen – ich selbst verfüge nicht über so viel, meine Geschäftsunkosten sind ja bedeutend, – dann werde ich ein Aktiv in das Unternehmen stecken, das mehr wert ist als Geld –«

»Was für ein Aktiv?«

»Wie ich Ihnen bereits sagte, hatte Lacombe mich gebeten, ein Auge auf das Personal in der Villa zu haben, besonders auf ein Stubenmädchen, das mit einer echten Perle und zwei Saphiren um den Hals herumläuft und vielleicht noch andre verschwundene Dinge besitzt. Ich sah mich also nach dem Mädchen um und dabei zeigte es sich, daß ich sie von früher her recht gut kenne. ›Guten Tag, Teresa,‹ sage ich und nehme sie mit auf mein Zimmer. Kaum aber drehe ich ihr auf einen Augenblick den Rücken, als sie draußen und verschwunden ist. Am nächsten Tage erfahre ich von dem Geschäftsführer selbst, daß sie bei einer Dame mit einem kranken Mann eine Stellung angenommen und mit dieser Herrschaft auf dem Wege zu einem Hotel in die Berge ist. Nun trifft es sich so seltsam, daß es just das Ehepaar ist, das mit Farhams Auto fuhr und sich zurzeit auch in Lucchettis Gewalt befindet.

»Nun also – kurz gesagt: ich habe das Mädchen sehr genau gekannt, bevor ein andrer sie kannte – Sie verstehen, – und bevor sie ganz erwachsen war, – das heißt: das Alter hatte sie, vor dem Gesetz allen Respekt! – aber bevor sie so – wissend – war, wie Mädchen heutzutage zu sein pflegen –«

Viktor nickte und nickte und preßte die Hände zusammen, um seine Ruhe zu bewahren. Als er aber meinte, daß Herrn Weylers Augen prüfend auf ihm ruhten, zwang er sich zu einem Lächeln.

»Ich beherrsche sie vollkommen, das kann ich ruhig sagen, ohne mich selbst zu loben. Allerdings ist sie mir neulich davongelaufen, aber es sind auch drei Jahre her, seit wir uns zuletzt gesehen haben, – sie hat aber gewiß nicht vergessen, wie es ihr gehen wird, wenn ich sie erst einmal richtig ansehe. Ich habe nämlich eine Art, Frauen anzusehen, der keine widerstehen kann. Auch Teresa nicht, – und das weiß sie.«

Jetzt verlor Viktor die Geduld.

»Was hat das mit der Sache zu tun?« fragte er scharf.

Weyler, ohne Verdacht zu schöpfen, – wußte er doch selbst, daß er geneigt war, ein bißchen weitschweifig zu werden, beeilte sich fortzufahren: »Das Mädchen sitzt also in Lucchettis Käfig, – dann gilt es nur, mit ihr in Verbindung zu kommen, und dazu bin ich der richtige Mann. Ich kenne die Bevölkerung in- und auswendig, – es gibt nicht viele, die nicht direkt oder indirekt mit Lucchetti in Verbindung stehen. Es ist ja gerade seine Stärke, daß er seine Fäden überall hat. Aber auch seine Schwäche! – Denn wenn wir einen der seinen für uns gewinnen, dann gibt es Möglichkeit eines Verrates – und auf andre Weise ist es nicht möglich ihn zu fassen.

»Nun also, weil ich die Leute kenne, wird es mir nicht schwer sein, mit Teresa in Verbindung zu kommen. Ihren Aufenthalt wird man nicht verraten, das ist zu gefährlich, – aber Briefe von Hand zu Hand schmuggeln, dazu ist so mancher bereit, wenn er gut bezahlt wird. Teresa aber braucht nur ein Wort, einen Brief von mir zu erhalten – und sie wird wie eine Schlafwandlerin alles tun, was ich verlange! Von dieser Gefahr hat Lucchetti keine Ahnung und kann sich darum auch nicht dagegen wehren. – Teresa ist ein sehr anziehendes Geschöpf, das kann ich ruhig sagen, und ich bezweifle nicht, daß sie Lucchetti als Mann gewinnen – er soll durchaus kein Weiberhasser sein – und das aus ihm herausholen kann, was ich ihr befehle.

»Jetzt kennen Sie meinen Einsatz, nun kommt es darauf an, ob Sie das Geld schaffen können, das dazu gehört, um Lucchettis Netz aufzukaufen. Die Leute ringsum auf dem Lande haben wohl Angst vor Lucchetti, aber sie sind auch bettelarm, und ihr größter Wunsch ist, Geld zusammenzusparen, um nach Amerika auszuwandern. Und da ich Auswandereragent bin, so ist es mir ein Leichtes, sie gegen eine freie Überfahrt und etwas Taschengeld, aus dem Wege zu räumen. Sind sie aber erst einmal an Bord, dann kann Lucchettis Rache sie nicht mehr erreichen, denn so weit trifft seine Kugel nicht. – Ist das nicht ein guter Plan?«

Viktor war geradezu sprachlos, – es dauerte eine Weile, bevor er antworten konnte: »Wie hoch hatten Sie sich die Summe gedacht?«

Weyler überlegte einen Augenblick und bewegte die Lippen, als ob er rechnete.

»Sagen wir rund zwanzigtausend Frank. Für die Verwendung dieser Summe wird genau Rechenschaft abgelegt. Das ist das Betriebskapital, das Sie zu riskieren hätten. Ich riskiere mein Leben, falls Lucchetti mich aufstöbert. Den Gewinn teilen wir zu gleichen Teilen; mit Ihrer Gesellschaft müssen Sie selbst eine Ordnung treffen.

»Das ist ein tadelloses Angebot, soll ich meinen. Und daß Lacombe nichts mit der Sache zu tun bekommt, darin sind wir uns wohl einig. Wir müssen um jeden Preis zu verhindern suchen, daß er uns das Spiel durch seine Kinderstreiche verdirbt.«

Während er sprach, hatte Viktor überlegt, was er antworten sollte, um die geplanten Unternehmungen dieses Schurken unschädlich zu machen. Jetzt hatte er eine Antwort gefunden.

»Ihr Plan ist gut,« sagte er, »ob aber meine Gesellschaft dafür zu haben ist, kann ich unmöglich sagen. Glücklicherweise eilt die Sache ja nicht. Die Entführten sind in sicherem Gewahrsam, und Lucchetti läuft uns auch nicht davon. Ich muß erst an meine Gesellschaft schreiben und eine Antwort abwarten. Wie Sie aber wissen, habe ich die ganze Organisation der Fliegerveranstaltung übernommen und das kostet mir viel mehr Zeit als ich geglaubt habe. Heute ist Sonnabend, und bevor am Montag die Veranstaltung vom Stapel gegangen ist, kann ich mich nicht auf diese ernste Sache konzentrieren und den Brief an meine Gesellschaft schreiben. Solange müssen Sie sich gedulden, Herr Weyler.«

Weyler kniff die Augen zusammen, für Warten war er nicht. Er prüfte im stillen, ob es eine Falle sein sollte, – da er aber zugeben mußte, daß es eine kitzlige Sache sei, die gut überlegt werden wollte, – so gab er sich zufrieden.

»Gut,« erwiderte er, »ich erwarte also am Mittwochmorgen eine entscheidende Antwort von Ihnen.«

Herr Weyler streckte seine Hand aus, Viktor aber verlor im selben Augenblick die Zeitung und beugte sich danach, und inzwischen hatte Herr Weyler die unbedeutende Zeremonie des Händedruckes vergessen.

»Fast hätte ich es verschwätzt,« er wandte sich noch einmal um, »ich habe eine Bitte an Sie, Herr Heller, ich interessiere mich sehr für die Fliegervorführung; als ich aber heute morgen einen Wagen bestellen wollte, ist keiner mehr aufzutreiben. Können Sie mir nicht in irgend einem Fuhrwerk noch einen Platz verschaffen, Sie sind doch der Mann für alles –«

Viktor schüttelte bedauernd den Kopf. Plötzlich aber kam ihm eine Idee, und im nächsten Augenblick hatte er seinen Plan fix und fertig im Kopf.

»Vielleicht ist da doch eine Möglichkeit. Ich werde Doktor Manot fragen, ob er nicht einen Platz in seinem Doktorwagen hat. Ich werde Ihnen morgen früh einen Bescheid schicken.«

Weyler bedankte sich überströmend – zu Gegendiensten gern bereit – und diesmal entging Viktor nicht dem Druck der langen, behaarten Hand, die trotz ihrer Sehnigkeit so seltsam lose am Handgelenk saß.

»Auf Wiedersehen!« sagte er mit seinem verzerrten Lächeln, legte kameradschaftlich die Hand an den Strohhut und eilte durch den Garten.

Es war Essenszeit, er war hungrig.


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