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Lustige Vögel

Herr Scheuermann hatte am Morgen des Tages, dessen Abend ihn in so sonderbarer Stimmung zu Hause fand, seine Geldgeschäfte in der Residenz bald mit gutem Erfolge beendigt. Daher hielt er sich für verpflichtet, den Stand der reichen Öconomen und namentlich die Würde der Provincialräthe in der Hauptstadt des Landes auch würdig zu vertreten. Diese Repräsentation, welche ihm fast als ein hochwichtiger politischer Act erschien, konnte aber keinen besseren Ausdruck finden, als ein leckeres Gabelfrühstück mit feinem Weine in der ersten Restauration der Residenz. Zu Hause aß Blasius Scheuermann, wie er es von seinen Eltern ererbt hatte, noch ganz vernünftiger Weise um Mittag wirklich zu Mittag. Denn alte Gewohnheiten sind zähe, und wo gar der liebe Magen im Spiele ist, zieht der Fortschritt leicht den kürzeren. In der Residenz aber stand der Provincialrath Scheuermann stets auf der Höhe der Zeit. Er würde es als einen förmlichen Verrath an seiner eigenen Bildung angesehen haben, wenn er um Mittag nicht das Frühstück genommen, und Abends zu Mittag gespeist hätte.

Als er in die Restauration eintrat, waren gegen sein Erwarten die Tische noch nicht gefüllt. Er wußte nicht, daß heute die erste Hofjagd war, und ein nicht geringer Theil der noblen Stammgäste dieser Wirthschaft daran Theil nahm. Unserem Gutsbesitzer war dies nicht besonders angenehm; denn wenn er ein Demonstrationsgabelfrühstück nehmen wollte, beseelte ihn natürlich auch der Wunsch, dabei gesehen zu werden. Lediglich für den eigenen Magen war doch eine solche Ausgabe zu groß; nur ein höherer Zweck konnte einen solchen verschwenderischen Posten im Budget des gewesenen Landtagsmitgliedes rechtfertigen. Da er übrigens an einem Tische nahe dem Fenster zwei Herren von feinem Äußern in lebhaftem Gespräche bei einer Flasche bemerkte, so nahm er an derselben Tafel Platz, und ließ sich so nieder, daß er beim Abgange weiterer Gäste in der Restauration doch wenigstens von dem draußen vorübergehenden Publicum bei seiner officiellen Action gesehen werden konnte.

Der eine der Herren trug die Husarenuniform; der kecke Schnurrbart paßte trefflich zu den dunkeln blitzenden Augen. Der zweite Herr, in Civilkleidung, war bleich, mit hoher kahler Stirne; aber die leibhaftige Ironie saß ihm in den Mundwinkeln, und verrieth, daß er die Welt weitmehr mit Laune als mit Ärger ansah. In der That waren die beiden jungen Männer in der Stadt als die witzigsten bekannt, und man erzählte ebenso gerne von ihren verübten tollen Streichen, als man sich vor ihren angezettelten Plänen fürchtete. Um dieses doppelte Spinnengewebe begann die unschuldige Fliege vom Lande zu flattern, als Herr Blasius Scheuermann den kühnen Gedanken faßte, sich an denselben Tisch zu setzen.

Schon an der Art und Weise, wie Herr Scheuermann die Weinkarte studirte, erkannte mit einem Blick der Husarenoffizier, aus welcher Schichte der Gesellschaft sein Tischnachbar, der so höflich gegrüßt hatte, in diese Restauration emporgestiegen sei; und sein Freund, der Journalist, war seines Mannes alsbald sicher, nachdem er gesehen hatte, wie sich Herr Scheuermann mit derselben Würde in seine Serviette wickelte, wie der sterbende Cäsar in die Falten der Toga.

Die Unterhaltung der beiden jungen Männer war bisher, wie es schien, eine ernstere politische gewesen. Auch die unvermeidlichen kirchlichen Fragen wurden berührt, wie es in einer Zeit nicht mehr anders möglich ist, wo die Zeitungsspalten zu dogmatischen Lehrbüchern, und die Parlamentstribünen zu Kanzeln werden. Papst und Bismarck, Syllabus und Kaiser, Unfehlbarkeit und Nationalkirche kamen in lebendiger Wechselrede zur Sprache, und man konnte den zwei disputirenden Herren Geist und Kenntnisse nicht absprechen, wenn man auch nicht allen ihren Behauptungen beizupflichten vermochte. Einem scharfen Beobachter hätte auch nicht entgehen können, daß durch das Freundschaftsverhältniß, welches zwischen ihnen offenbar bestand, die Weltanschauung des einen mit jener des Anderen nichts weniger als ausgeglichen war. Von allen geflügelten Worten, welche hier fielen, faßte aber das aufmerksame Ohr des Öconomen, während er sich mit den Präliminarien seines Gabelfrühstücks beschäftigte, namentlich eines auf. Es war ein Wort, welches ihm im Stillen schon viel zu schaffen gemacht hatte, ohne daß er sich darüber ins Klare zu setzen vermocht hätte. Vergeblich hatte er es wiederholt in seinem großen, aber etwas älteren Fremdwörterbuche aufgesucht; das Wort fand sich nicht. Zwar hätte er den jungen Pfarrvicar, welcher seinem Söhnchen Franz die lateinischen Declinationen beibrachte, über dieses räthselhafte Wort befragen können. Aber seine Stellung als Provincialrath schien ihm mit einem solchen Recurse an den Hauslehrer unvereinbar. Nachbar Hähnchen, der Großfabricant, hatte ihn schon verschiedene Male in Versuchung gebracht, um eine Erklärung über dieses Wort zu bitten. Denn wenn der liberale Fabricant auf sein Steckenpferd zu sitzen kam, und über Politik sprach, als hätte er eben wieder den neuesten Leitartikel seines Leiborganes auswendig gelernt, so kam nicht selten dieses geheimnißvolle Wort über seine Lippen; und dann sprach er es stets mit einem solchen oratorischen Accente der Verachtung aus, daß Herr Scheuermann hinterher für sich sehr häufig die Probe anstellte, ob er es mit dem nämlichen wegwerfenden Tone bei der nächsten Sitzung der Provincialräthe anzubringen vermöchte. Aber die Sache hatte doch immer einen bedeutenden Haken; denn was nützte der schönste declamatorische Ton, wenn die Bedeutung des merkwürdigen Wortes im Dunkeln lag? Was aber würde der gebildete Herr Hähnchen gedacht haben, wenn sein Nachbar durch eine Frage seine Unwissenheit verrathen hätte? So trug denn Blasius Scheuermann seinen Zweifel in stummer Resignation im Herzen, und entschloß sich, zu warten, bis sich irgend wo eine passende Gelegenheit ergeben würde. Jetzt schien er sie gefunden zu haben: denn er hörte das fatale Wort wiederholt von den beiden Herren aussprechen. – »Syllabus!« – Sollte er nicht endlich Gelegenheit finden, hier und zwar incognito es herauszukriegen, was denn dieser Syllabus sei?

Mit einem Vorgefühle naher Befriedigung machte er sich an seine Beefsteaks, und goß mit fast triumphatorischer Miene den duftenden Rheinwein in den grünen Römer.

Die Unterhaltung der beiden jungen Herren hatte aber plötzlich eine ganz unerwartete Wendung genommen. Von der Politik kam man in das Criminalfach, und der Offizier erzählte einen haarsträubenden Raubanfall, dessen Opfer ein Gutsbesitzer aus der Umgegend der Residenz fast vor deren Thoren geworden wäre. Der Journalist wußte eine zweite fast noch grausenerregendere zu erzählen, von welcher er heute frühe gehört haben wollte. Und als der Husar mit funkelnden Augen die dritte Räubergeschichte begann, welche an hellem Tage mitten auf dem Platze der Residenz spielte, war Herr Scheuermann, die beiden Hände mit Messer und Gabel bewaffnet, schon näher zu den beiden Erzählern herbei gerückt, und hatte Essen und Trinken völlig vergessen.

»Aber, verzeihen Sie!« – fiel der Öconom in einer spannenden Pause ein, welche der junge Offizier zu machen wußte, indem er sich den Schnurrbart drehte – »Verzeihen Sie! – die Polizei?« –

»Ach was, die Polizei!« – rief der Journalist – »was vermag die Polizei gegen solche wirklich künstlerisch durchgebildete Spitzbuben, welche zugleich eine vollständig organisirte, weit verzweigte Bande bilden!«

Sodann fuhr der Husarenoffizier fort, das unheimliche Abenteuer auszuerzählen, dessen letzte peinliche Scene abermals bei einem Gutsbesitzer in der Nähe der Residenz spielte.

»Man meint wirklich, daß es diese Strolche auf die Öconomen abgesehen haben« – sagte Herr Scheuermann, und versuchte zu lachen, indem er mit der Serviette nicht nur den Mund, sondern auch die Stirne abwischte, welche ihm warm zu werden begann.

Die beiden jungen Männer hatten in wenigen Augenblicken ein Seelengeheimniß des ehrenwerthen Herrn Scheuermann erlauscht, was zu Hause noch Niemand recht inne geworden war, ausgenommen seine Ehehälfte, Frau Scheuermann. Der Herr Provincialrath war furchtsam wie ein Hase, so gut er das auch im gewöhnlichen Leben zu verheimlichen verstand.

»Ja!« – sprach der Journalist, und stocherte sich die Zähne aus mit vorgehaltener Hand, um sein Lachen zu verbergen. – »Das will ich meinen. Sagt man sich doch, daß diese Kerle sich hauptsächlich auf das Studium der reichen Pächtershöfe und der stattlichen Landhäuser verlegt haben.«

»Erst dieser Tage las ich noch« – sagte der Husarenoffizier, indem er den Wein mit aller Gemächlichkeit aus der Flasche in sein Glas rinnen ließ – »daß man in der Tasche eines dieser blutdürstigen Gauner eine förmliche geographische Karte der Villen und Landgüter rings um die Residenz gefunden habe.«

»Schrecklich!« – stöhnte Herr Scheuermann.

»Furchtbar!« – seufzte der Journalist.

»Danken Sie dem Himmel« – fuhr der junge Offizier mit ernster Miene zu dem Öconomen gewendet fort – »daß Sie in der Residenz, und hoffentlich in einer recht belebten, gasbeleuchteten Straße wohnen, mein Herr!«

»Ich?« – seufzte Blasius Scheuermann. »Leider« –

»Wie? Leider!«

»Ach ja!« – versetzte der geschlagene Mann – »Ich wohne ja gerade draußen auf dem Lande!«

»Sie Ärmster!« – rief der Journalist, und es zuckte eigenthümlich in seinen Mundwinkeln.

»Sie wohnen wirklich auf dem Lande?« – frug mit der Stimme herzlichen Mitleidens der Husar. »Und am Ende gar ganz einsam?«

»Das wohl nicht!« – erwiderte der Öconom, und schöpfte aus seinen eigenen Worten gleichsam Beruhigung. – »Mein Haus steht nahe bei dem Dorfe.«

»Da möchte ich Ihnen aber doch unmaßgeblich rathen« flüsterte der Journalist in vertraulichem Tone – »sich mit einem zwölfläufigen Revolver zu versehen.«

»Meinen Sie?« – ächzte Herr Scheuermann.

»Ja, ganz gewiß!« – rief der Offizier. »Wir haben eine schlechte Justiz. Ich scheue mich nicht, es geradezu herauszusagen. Da lobe ich mir doch noch das finstere Mittelalter. Es mag eine Zeit gewesen sein, wo es überall von Räubern und Zigeunern wimmelte, wie im Frühjahr von Maikäfern. Aber man hatte auch eine prompte Justiz und machte mit den Strolchen nicht lange Federlesen.«

»Wir haben doch ein ganz vortreffliches neues Strafgesetzbuch zu Stande gebracht« – meinte Herr Scheuermann, welcher mitten in seiner Angst doch nicht seinen würdevollen Sitz im Landtag bei den criminalistischen Verhandlungen vergaß.

»Mag sein!« – antwortete der Offizier. »Aber mir kommt es vor, als ob die jüngsten Gesetzgeber einen ganz erstaunlichen Respect vor den Spitzbuben an den Tag legten, und es durchblicken ließen, daß sie von dem Recht und der Pflicht der Obrigkeit, die armen Sünder zu bestrafen, selbst nicht ganz überzeugt wären. Sonst sprach man von dem Schwerte, das die Obrigkeit führt, und die Gerechtigkeit trug es blank in der Hand. Jetzt läßt man es dieser zwar; aber man gibt ihr die Scheide dazu, und sie muß es einstecken.«

Der Journalist lachte, und der arme Herr Scheuermann hätte gern mitgelacht; aber er gurgelte in seiner Angst nur einige Töne hervor.

»Ja, um wieder auf diese Fra Diavolos und Rinaldo Rinaldinis zu kommen« – sagte der Husar und strich sich mit neuem Behagen den Schnurrbart. »Es sind darunter verteufelte Burschen, und ich hätte nichts dagegen, wenn man einmal einen Streifzug, einen flotten Guerrillaskrieg, gegen sie in Scene setzte. Ich glaube, sie schlügen sich, wie jene italienischen Banditen.

»Den Fra Diavolo kenne ich aus der Oper« – sagte Herr Scheuermann, und suchte sich mit diesem Worte als Kunstliebhaber vorzustellen.

»Und den Rinaldo Rinaldini kennen Sie nicht?« – fragte mit pathetischem Erstaunen der Journalist. – »Haben Sie den unsterblichen Roman ›Rinaldo Rinaldini, der edle Räuberhauptmann‹ nicht gelesen?«

»Steht er vielleicht in der Gartenlaube?« – fragte etwas kleinlaut der Öconom.

Der Husarenoffizier stürzte rasch ein Glas hinunter, um nicht in ein lautes Lachen auszubrechen. Der Journalist verzog kaum den Mund, und sprach fast feierlich:

»Italien ist jedenfalls das eigentliche Stammland der Straßenräuber. Nur zeichnen sich dieselben durch eine gewisse Poesie aus, wodurch sie alsbald zum Helden eines dreibändigen Romans oder zum ersten Tenoristen einer fünfactigen Oper werden können!«

»Ja, Italien!« – sagte Herr Scheuermann und zog seine Stirne in politische Falten. – »Das arme Land! Was wird noch aus ihm werden?« Er wäre froh gewesen, wenn das Gespräch eine andere Wendung genommen und er nichts mehr von den entsetzlichen Räubern gehört hätte.

»Italien!« – sprach der Journalist unerbittlich, und seine sonore Baßstimme klang immer tiefer und tragischer. »Es gebar uns den Fra Diavolo, den Rinaldo Rinaldini und den Garibaldi; es schickte uns die Catalani, die Taglioni« –

»Und den Syllabus« – ergänzte der Husar und lachte laut auf.

Herr Scheuermann fuhr wie elektrisiert in die Höhe. Sein von Räubern bedrohtes Eigenthum war für den Augenblick vergessen, und es beschäftigte ihn nur der Gedanke, ob er vielleicht jetzt die Lösung dieses seines alten Räthsels finden könne. In seiner Schlauheit glaubte er den richtigen Weg gefunden zu haben.

»Ach ja der Syllabus! – Ei, dieser Syllabus!« – murmelte er deutlich genug vor sich hin, und trommelte mit beiden Händen auf der Tafel den vaterländischen Zapfenstreich.

Die Telegraphendrähte aus den lustigen Augen des Offiziers spielten abermals in der Richtung nach den boshaften des Journalisten.

»Kennen Sie den Syllabus?« – fragte der Journalist, und seine Blicke schienen in den Hirnkasten des Herrn Scheuermann dringen zu wollen.

»Ja wohl! Natürlich!« – entgegnete dieser und trommelte crescendo weiter.

»Seit wann?« – lautete die lauernde Gegenfrage.

»Hm, hm« – ließ sich der Provincialrath vernehmen, und trommelte ein solches Fortissimo, daß die Gläser und Teller auf dem Tische klirrten.

Der Offizier faßte Herrn Blasius einige Secunden ebenfalls fest ins Auge. Dann blitzten die Husarenaugen keck, und er platzte mit der Frage heraus: »Haben Sie den Herrn schon gesehen?«

»Welchen Herrn?« – fragte etwas verlegen der Öconom, und der laute Zapfenstreich verstummte.

»Nun, den Herrn von Syllabus« – sagte mit der ernsthaftesten Miene von der Welt der Journalist.

»Das gerade noch nicht« – war die kleinlaute Antwort des Herrn Scheuermann.

Mit diesen Worten aber hatte sich der Arme gleichsam hülflos in die Hände seiner boshaften Tischgenossen geliefert, und wurde das bemitleidenswertheste Opfer seiner unglücklichen Zeitungsleserei und seines harmlosen Dünkels. Kaum war nach diesem Geständnisse unseres Provincialrathes eine halbe Stunde vergangen, als ihm die beiden losen Vögel gründlich die höchst merkwürdige Biographie des Gauners beigebracht hatten, welcher seit geraumer Zeit unter dem Namen eines Herrn von Syllabus durch Deutschland vagabundire, und die größten Schelmenstreiche ausgeführt habe. Die beiden Freunde übertrafen sich förmlich in der improvisirten Erfindung von Abenteuern und Anekdoten dieses großartigen Schwindlers. Dabei vergaß es der Husar nicht, dem aufmerksam zuhörenden Öconomen ein genaues Signalement dieses Betrügers mitzutheilen, welches er sich notirt haben wollte; und der Journalist war boshaft genug, ihm im Vertrauen zu eröffnen, was er von einem Freunde auf dem Polizeibureau der Residenz vor wenigen Tagen gehört habe. Dieser Nachricht gemäß unterlag es nicht dem geringsten Zweifel, daß jenes gefährliche Subject, welches bis jetzt immer den Händen der Justiz zu entschlüpfen verstand, sich gegenwärtig in der Umgegend der Residenz herumtreibe, und es namentlich auf die reichen Gutsbesitzer auf dem flachen Lande abgesehen habe.

Als der grausame Journalist das Wort »Gutsbesitzer« aussprach, erbleichte der Öconom. Aber ihm blieb doch so viel Fassung, den freundlichen Offizier nochmals um das Signalement des Herrn von Syllabus zu bitten, damit er sich die nöthigen Notizen darüber in sein Taschenbuch mache.

»Haare pechschwarz, Augen schielend, Nase den Augen proportionirt« – dictirte der Husar mit der Miene eines in dieser Kunst erfahrenen Polizeimannes aus seiner Brieftasche.

»Nase den Augen proportionirt« – schrieb Herr Scheuermann ein; und der Journalist zählte die orthographischen Böcke, welche er allein in diesem letzten Worte schoß.

»Gesichtsfarbe bleich« – fuhr der Offizier fort. »Statur von mittlerer Größe, ist modisch gekleidet und trägt eine goldene Brille und schwere goldene Uhrenkette«.

»Ich kann das« – sagte Herr Scheuermann, indem er seine Brieftasche einschob, – »bei nächster Gelegenheit dem Ortsbüttel und dem Feldschützen mittheilen. Aber wie schreibt sich denn eigentlich dieser fürchterliche Mensch?« fragte er weiter.

»So weit ist die Polizeikunst in dieser Sache noch nicht vorangekommen« – versetzte der Husar und zuckte die Achseln. »Eines bleibt gewiß: er kommt aus Italien.«

»Darum vergessen Sie nicht den zwölfläufigen Revolver« – ermahnte mit tragischer Baßstimme der Journalist.

»Werden vorläufig nicht zwei Doppelflinten und eine Pistole nebst Hirschfänger ausreichen?« – fragte beklommen der arme Gutsbesitzer.

»Vorläufig schon!« – beruhigte der Journalist. »Aber Vorsicht, mein Herr, Vorsicht!«

»Ergebenster Diener« – entgegnete Scheuermann und bebte.

Rasch zahlte er die teure Zeche, dankte verbindlich den freundlichen Tischnachbarn für ihre Aufklärungen, und wußte selbst nicht, wie er in seinen Wagen kam. Zum Glück errieth der Braune, daß es nach Hause gehe, und fand den richtigen Weg zum Thore der Stadt. Erst draußen im Freien faßte Herr Scheuermann fester die Zügel und schwang die elegante Peitsche über der flatternden Mähne des treuen Thieres, welches den sorgenbeschwerten Herrn in raschem Trabe nach Hause brachte. –

»Aber heute hast du dich selbst übertroffen« – sagte der Offizier zum Freunde, als der Öconom die Restauration verlassen hatte.

»Soll ich das Compliment zurückgeben?« – entgegnete der Journalist. »Was lernt man nicht eben beim Zeitungsschreiben!«

»Ein kostbares Exemplar, dieser Öconom! Man hätte sich seine Photographie ausbitten sollen!« – fuhr der Offizier fort.

»Aber sollte man denn meinen,« – rief der Journalist aus – »daß es solche Käuze geben könne!« –

»Bei dem hohen Stande der Bildung unseres Jahrhunderts« – declamirte im feierlichen Tone der Husar.

»Nun, eine solche idyllische Ignoranz ist denn doch etwas stark« – versetzte der Andere.

Der Husar lachte wieder laut auf.

»Wann werde ich dich gründlich von deiner Begeisterung für das selbstbewußte neunzehnte Jahrhundert curirt haben?« – fragte er.

»Solche Begegnungen vermöchten es am Ende« – meinte der Journalist.

»Glaubst du nicht,« – rief der junge Soldat, und seine Augen leuchteten – »daß man unseren Öconomen dahin bringen könnte, den Syllabus wirklich geknebelt der Residenzpolizei auszuliefern?«

»Toller Mensch!«

»Was gilt die Wette? – Hundert Ducaten?« –

»Weißt ja nicht einmal den Namen deines Opfers!« –

»Der wird in wenig Stunden ermittelt sein« – versetzte der Offizier.

»Und dann?«

»Dann verpflichte ich mich« – sagte der Husar – »unseren Dorfkrösus innerhalb sechs Wochen dahin zu bringen, daß er den Syllabus« –

»Gräßlicher Wahnwitz!«

»Das heißt« – fuhr der Offizier fort – »den Herrn von Syllabus in der Gestalt eines wirklichen oder erdichteten Vagabunden« –

»Dessen Rolle du vielleicht selber übernehmen würdest« – fiel der Journalist ein.

»Gleichviel!« – rief der Husar. »Mein Öconom wird innerhalb sechs Wochen den Syllabus geknebelt der hiesigen Polizei ausliefern. Was gilt die Wette?« –

»Und die Bedingungen?« –

»Hundert Ducaten, wer verliert, und unbeschränkte Benutzung deiner Zeitung!« –

»Preßpolizeiliche Rücksichten vorbehalten!« –

»Meinetwegen! Schlägst du ein?« –

»Topp! Hundert Ducaten.« –

Das war das verhängnisvolle Abenteuer, welches Herr Scheuermann in der Residenz zu bestehen hatte. Kein Wunder, daß er nicht in der besten Laune nach Hause kam, und seinen Dienstboten jene Aufträge ertheilte, welche die Neugierde seiner Frau in so hohem Maße erregten.

Daß das Siegel des Geheimnisses noch spät am Abend, als der Öconom mit seiner Frau allein war, gebrochen wurde, versteht sich von selbst. Frau Scheuermann drang dermaßen auf den wortkargen Ehemann ein, daß er am Ende dem drohenden zweiten Thränenerguß nicht zu widerstehen vermochte. Aber er blieb immer noch zurückhaltend. »Denn« – pflegte er zu sagen – »es taugt nicht, wenn die Weiber Alles wissen, und damit Punctum.« – Insbesondere aber fürchtete er die Redefertigkeit seiner Frau in dieser Sache fast eben so sehr, wie den Herrn von Syllabus. Denn das war ihm klar, daß man solchen Gaunern gegenüber mit einer gewissen List operieren müsse. So erzählte er zwar seiner Frau in aller Offenheit, was er von den beiden Herren in der Residenz über die jüngsten Criminalfälle und die gegenwärtige Unsicherheit der Gegend gehört hatte. Wie er aber über den so oft in den Blättern genannten Syllabus ins Reine gekommen war, das verschwieg er gänzlich.

Aber Morpheus, der Gott der Träume, rächte sich an dem gewesenen Landtagsmitgliede in der folgenden Nacht. Hinter dem Rücken seiner Frau hatte Herr Scheuermann seine Jagdflinten untersucht, die Pistole geladen, und den etwas eingerosteten Hirschfänger mit Öl eingerieben und dergestalt in Kriegsbereitschaft gesetzt. Als er dann in der friedlichen Waffenrüstung der weißen Zipfelmütze und des eleganten großgeblümten wattirten Nachtgewammses in die Federn versunken war, konnte er freilich lange nicht einschlafen. Mehrmals schnellte er kerzengerade aus den weißen Hüllen des Lagers in die Höhe, und horchte, einem Leuchtthurm in den weißschäumenden Wogen des Meeres vergleichbar, ob die Räuber nicht kämen. Endlich gewann doch die Natur die Oberhand über die so gerechtfertigte Aufregung. Er versank in tiefen, festen Schlaf. Aber um Mitternacht rang sich mit Gewalt das verrätherische Wort von seinen Lippen.

»Syllabus!« – rief er laut und vernehmlich, und die heißere Stimme hatte die Tonfarbe des Zornes. Er träumte, daß er den verruchten Gauner entlarvt habe, und ihn eben den Landjägern mit Angabe seines wirklichen Namens überliefere.

»Scheuermann, was hast du?« – rief die bei dem zornigen Worte erwachte Frau ängstlich herüber.

»Syl-la-bus!« war die lallende Antwort des träumenden Provincialrathes.

Frau Scheuermann lauschte. Alsbald vernahm sie das wohlbekannte regelrechte Schnarchen, und war beruhigt.


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