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Bedenkliche Dinge

Der reiche Öconom, Herr Blasius Scheuermann, kam in ganz sonderlicher Stimmung aus der nahen Residenz nach Hause gefahren. Er war offenbar verdrießlich, aber noch mehr zerstreut. In der Kutsche ließ er nicht nur den Regenschirm, sondern auch die goldene Schnupftabakdose zurück; den Braunen, welcher ihn in munterem Trabe heimgebracht hatte, führte er anstatt zum Stalle zu der offenen Küchenthüre, so daß die stattliche Hausfrau, seine Gattin, die gerade am Herde stand, vor Befremden nicht wußte, was sie sagen sollte. Der Eheherr aber wurde über sein zerstreutes Wesen nur um so verdrießlicher, schalt barsch, daß der Knecht nicht zur Hand war, und als dieser endlich erschien, warf er ihm brummend den Zügel des Pferdes zu, und trat ins Wohnzimmer, wo ihm Friederike, seine blühende Tochter, umsonst mit dem freundlichsten Gesichte entgegenkam. Der sonst so gutmüthige, heitere Mann warf sich in den Sessel und verlangte einsilbig sein »Gutteh«. Sein Vater hatte seiner Zeit sein »Bieruhrenbrod« gegessen; aber man muß doch zeigen, daß man auf der Landwirthschaftsschule in Pflugfelden gewesen, und daß man auch in Beziehung auf das Vesperbrod dem Fortschritt huldige und der Culturgeschichte Rechnung zu tragen wisse. Deßhalb verlangte Herr Scheuermann mit Recht sein goûter.

»Was hat denn der Vater?« – fragte die Tochter in der Küche die Mutter, welche eben die fette Sahne für den Nachmittagskaffee in das altmodische, aber kostbare Porzellan goß.

»Ich weiß nicht« – war die Antwort. – »Er wird keine guten Geschäfte in der Residenz gemacht haben. Hat wieder mit Actien und Staatspapieren zu thun gehabt –«

»Die ihn noch zu Grunde richten werden« – sprach das Mädchen mit einer Bestimmtheit, welche Niemand aus ihrem großen milden Auge heraus gelesen hätte.

»Nun, Rike, davon verstehst du nichts« – versetzte die Mutter im Tone der Autorität und Erfahrung. »In Geldsachen kann man nicht alle Tage Glück haben. Die neue Creditbank trägt ihre guten Zinsen, und die zwanzig Procente von der Seidenspinnerei sind auch nicht zu verachten.«

»Aber die armen Arbeiter sind zu bedauern« – sagte die Tochter vor sich hin und seufzte.

»Rike sei mir nur nicht zu weichherzig und gleich so gerührt über fremdes Schicksal« – mahnte die Mama in ernstem Tone, aber ganz gut gemeint. »Wo kömmst du damit hin? Mach es wie deine Mutter! Jeder Mensch braucht seine Rührung. Wenn ich sie nöthig habe, lese ich etwas Trauriges oder Entsetzliches. Du hast ja die »Gartenlaube«, die dein guter Vater für deine Ausbildung hält.«

»Zu meiner Ausbildung!« – wiederholte die Tochter, und die großen blauen Augen senkten sich mit vielsagendem Ausdruck auf den kalten Rehbraten, welchen sie eben für den Bedarf des väterlichen Vesperbrodes zusammen schnitt.

Es hatte dabei nämlich eine besondere Bewandniß. So sehr sich die Tochter sträubte, die »Gartenlaube« zu lesen, so unbeugsam bestand der gute Vater auf dem Abonnement. Er hatte für solche Dinge seine eigenen Autoritäten, von welchen er nicht leicht abzubringen war. Sein verehrter Nachbar, der Hüttenwerkbesitzer Hähnchen hatte ihn darüber ins Klare gesetzt, daß die »Gartenlaube« zum Gradmesser der Cultur eines gebildeten Hauses des neunzehnten Jahrhunderts gehöre; und Papa Scheuermann wollte durchaus diese Bildung in seinen vier Wänden haben.

»Punctum« – pflegte er zu sagen, und dann wußten Mutter und Tochter, daß das Urtheil des höchsten unfehlbaren Gerichtshofes gefällt sei, wogegen zu appelliren ein Unding gewesen wäre.

Herr Scheuermann saß unterdeß unwirsch in seinem Lehnstuhle im Wohnzimmer, und es wäre sehr Unrecht gewesen, der Ermüdung durch die kleine Reise oder etwa gar dem leeren Magen des Reisenden die Ursache dieser fortwährenden Mißstimmung beizumessen. Ermüdet war der Hausherr gar nicht; denn der Weg in die Stadt und zurück war eine sehr angenehme Spazierfahrt. Auch hatte er in der eleganten Restauration der fürstlichen Residenz gegenüber ein viel zu delicates Gabelfrühstück eingenommen, um jetzt, was man so sagt, vom Hunger geplagt zu sein. Außerdem hatte er alsbald nach den Zeitungen, welche vor ihm auf dem Tische lagen, gegriffen, und wie es schien, darin in ziemlicher Aufregung nach irgend einer Nachricht gesucht, ohne befriedigt zu werden. Was aber bezüglich der bedenklichen Gemüthsstimmung des Herrn Scheuermann unbestreitbar den Ausschlag gab, und dieselbe gewissermaßen juristisch constatirte, war das nun einmal nicht wegzuleugnende Factum, daß er seine goldene Schnupftabakdose im Wagen hatte liegen lassen.

Nachdem er, noch verdrießlicher, alle Taschen betastet hatte, rief er mit einer Stimme, welche nichts weniger als rosige Laune verrieth.

»Rike! – Rike!«

Der blonde Kopf des Mädchens erschien an der halbgeöffneten Thüre.

»Meine Dose! – Sie liegt noch im Wagen! Ei, daß dich!« – ?

Als die Tochter mit dem goldenen Schreine des narkotischen Pulvers erschien, und das Kleinod dem Vater mit anmuthigem Lächeln überreichte, hatte dieser nicht einmal Zeit, freundlich zu danken. Denn er hatte sich schon wieder in die Zeitungen vertieft, und suchte darin mit den Augen herum, als glaubte er, irgendwo gedruckt zu finden, daß er das große Loos gewonnen habe. Was Zeitungen angeht, war Herr Scheuermann entschieden auf der Höhe der Zeit. Er war der treue Abonnent der hervorragendsten liberalen Zeitungen der Hauptstadt, an welchen er lediglich zweierlei auszusetzen hatte, daß sie zu groß und der Druck zu klein sei. Nichtsdestoweniger las er sie mit der größten Geduld und Gewissenhaftigkeit. Ja, seine Geduld ging so weit, daß er die prächtigen Leitartikel, wenn sie in den Local- und Winkelblättern der Umgegend, die er natürlich ebenfalls hielt, nachgedruckt waren, mit derselben Andacht wieder las, womit er im Originale sie sich angeeignet hatte. Doch bleibt dabei im Zweifel, ob er stets und immer wußte, daß er zum zweiten Male die schönen Worte lese. Am Ende könnte selbst gefragt werden, ob er das überhaupt jemals wußte. Doch wir wollen der Bildung, und namentlich der politischen Bildung des Herrn Scheuermann nicht zu nahe treten, welcher nicht nur dem Casino im nahen Orte angehörte, und wirkliches, wenn auch nicht correspondirendes Mitglied des landwirtschaftlichen sowie des historischen Vereines war, sondern auch in dem Provinzialrathe saß und vor einiger Zeit selbst Landtagsabgeordneter gewesen war.

Die Eltern Scheuermanns waren Pächtersleute gewesen, welche so fleißig und umsichtig mit ihrem kleinen ererbten Vermögen wirtschafteten, daß sie, als der verschwenderische Gutsherr in Rückgang gerieth, und seine Ländereien nach einander unter den Hammer brachte, im Stande waren, das schöne Pachtgut zu ihrem Eigenthume zu machen. Der alte Scheuermann blieb aber sein Leben lang, was er als Pächter gewesen, ein einfacher, tüchtiger Landwirth vom alten Schroth und Korn. Nur darin zeigte er eine Schwäche, daß er, so sehr es ihm auch gegen die Natur ging, dem eigensinnigen Drängen seiner ehrenwerthen Ehehälfte nachgab, und seinen einzigen Sohn auf eine Landwirthschaftschule schickte. Nach seiner Ansicht war das alles Flunkerei, und der Sohn konnte bei dem Großknechte die Öconomie viel besser lernen, als aus Büchern. Blasius bewies übrigens bald, daß er aus Büchern sehr wenig oder gar nichts lerne. Denn in keinem Fache wollte es mit dem jungen landwirthschaftlichen Candidaten vorwärts gehen. Nichtsdestoweniger absolvirte er sämmtliche Curse, und kam als hochaufgeschlossener Bursche in flotter Studententracht nach Hause. Der Mutter lachte das Herz über die vortreffliche Erziehung ihres Sohnes; der Vater aber gab sich erst dann zufrieden, als er sich überzeugte, daß sein Blasius die Freude an der Landwirthschaft nicht verloren hatte, und nun als Schüler des Großknechtes bessere Fortschritte machte, als es in dem Institute der Fall gewesen war. Den gescheidtesten Streich seines Lebens – wir sagen, den gescheidtesten, um damit anzudeuten, daß er auch sonst nicht gerade auf den Kopf gefallen war und sein väterliches Erbe zu bewahren und zu vermehren verstand – machte der junge Scheuermann durch die Wahl seiner künftigen Lebensgefährtin. Frau Scheuermann junior war eine tüchtige Hauswirthin, fleißig und verständig, und hielt auf weibliche Zucht, wie es mehr das Herz, als die Erziehung ihr eingab. Das war auch ein großes Glück für die heranblühende Tochter Friederike, welche mit Fränzchen, ihrem jungem Bruder, die ganze Nachkommenschaft des reichen Öconomen bildete.

Herr Scheuermann wäre ein kreuzbraver, practischer Landwirth geblieben, welchem es nicht allzuviel schadete, daß er auf der Landwirthschaftsschule zu Pflugfelden nichts gelernt, oder die paar Brocken sogenannter deutscher Bildung gründlich vergessen hatte. Aber der Landtag wurde ihm verhängnißvoll, wie dem Cäsar der Rubicon. Bis dahin hatte er sich mehr um Stall und Scheuer, Acker und Wald gekümmert, als um Zeitungen und Politik. Des Sonntags ging er, wie es der kleine Blasius von Großvaterszeit her nicht anders wußte, in die Kirche, und wenn er sich auch hin und wieder ein Wort über die Predigt des Pfarrers erlaubte, der nie fertig werden konnte, so geschah das in der ersten Ungeduld oder in aller Ehrerbietigkeit. Aber der Abgeordnete machte einen ganz anderen Menschen aus ihm. Nicht, daß er etwa die ermüdende Laufbahn eines Parlamentsredners betreten hätte und zum Demosthenes der Kammer geworden wäre. Sein Nachbar in der Kammer blieb einmal in der Rede stecken, fast ehe sie begonnen war; und das machte einen heilsamen Eindruck auf Herrn Scheuermann. Aber dieser erkannte plötzlich nicht nur, welche wichtige Person er geworden sei, sondern auch, was er für ein allseitiges Wissen besitze. Da gab es ein neues Steuergesetz, und er, als gewiegter Finanzmann, stimmte darüber, gleich einem Solon, ab; man gab ein neues Strafgesetz, und Herr Scheuermann machte, ohne die Carolina studirt zu haben, beim Votiren von seinen gründlichen criminalistischen Kenntnissen Gebrauch; man errichtete verschiedene Kunstanstalten und wissenschaftliche Schulen, und er bewies beim Scrutinium, daß man auf der Landwirthschaftsschule zu Pflugfelden nicht blos die Düngertheorie lehrte, sondern auch Ästhetik nach Bischer; man berieth einige neue Eisenbahnnetze, und unser Öconom war über alle industriellen und commerciellen Fragen, welche dabei auftauchten, orientirt; man debattirte das Militärbudget, und er constatirte durch seine Stimme, daß er die neuesten Erfindungen der Artillerie ganz richtig beurtheilen, und über die Nothwendigkeit der Vermehrung der leichten Cavallerie so gut als irgend wer, auch wenn er von der Schlacht bei Leipzig an bei allen Schlachten des Jahrhunderts betheiligt gewesen, mitberathen könne.

In einer Beziehung trat nunmehr eine sehr entschiedene Änderung in der Lebensweise des neuen Abgeordneten und späteren Provincialrathes ein. Er hatte früher, wir dürfen es uns nicht verheimlichen, eine gewisse Gleichgültigkeit gegen das Zeitungswesen an den Tag gelegt, und es mehr als einmal »dummes Geschreibsel« genannt. Von dem ersten Landtage kam er aber hierin eines Bessern belehrt nach Hause. Herr Scheuermann hatte seinen Fehler erkannt, und als ehrlicher, gerader Charakter bekehrte er sich sofort zu den erhabenen Principien der modernen Publicität, und schwang sich mit Hilfe der überaus tüchtigen Tagespresse der nahen Residenz in kurzer Zeit auf die Höhe der Bildung des neunzehnten Jahrhunderts. Eines bedauerte er dabei im Stillen gar oft, ließ aber seinen Gram vor Niemand, selbst nicht seiner Ehefrau, laut werden. Das Lesen, welches er seit jungen Jahren sehr wenig betrieben hatte, wurde ihm schwer, und es war ihm nicht selten eine geheime sauere Arbeit, sich durch einen mit klingenden und polternden Fremdwörtern reichlich ausgestatteten Leitartikel durchzuarbeiten. Bei sich dachte er dabei an seine Mecklenburger Rappen, welche in einem Neugrund den Pflug ziehen mußten. Wenn er sich dann müde buchstabirt hatte, seufzte er wohl verstohlen über das so schöne und doch so schwere Loos eines Landtagsabgeordneten und Provcincialrathes. Aber in einer Beziehung leistete er in den Zeitungen wirklich Vollendetes, in der musterhaften Genauigkeit nämlich, womit er sie sammelte und ordnete, als ob er sie zu einem Quellenwerke benützen wollte, obgleich er nie daran dachte, einen sauber mit Bindfaden versehenen Zeitungspack wieder zu öffnen. Beim Schnüren der Packe überkam ihn vielmehr immer ein wahres Feierabendsgefühl wie nach überstandener harter Arbeit. Dabei hatte er die Eigenheit, nie ein Zeitungsblatt weg zu leihen. Sobald es gelesen war, wurde es sorgfältig zu den Vornummern gelegt, und dieser Schatz treu behütet, bis es zu jener Feierabendsbeschäftigung kam. Dann wanderten die Packe in einen Speicherschrank, wo alle ihre Lügen, Widersprüche, Verläumdungen u. s. w. friedlich bei einander ausruhten.

Herr Scheuermann hatte eben wieder die Zeitung unzufrieden aus der Hand gelegt und machte sich mit etwas erheiterter Miene über den einladenden Rehbraten her, welchen ihm die Tochter in zierlichen Schnitten vorgesetzt hatte. Es schien ihm zu munden, und die Flasche Bordeaux that das Ihrige dazu. Aber zum Reden war der Hausherr kaum zu bringen. Höchst einsilbig schlürfte er mit Frau und Tochter den Caffee, und gab Beiden auf ihre gutgemeinten Fragen über die Residenz und ihre Neuigkeiten nur kurzen, zerstreuten Bescheid. Die Tochter sah die Mutter ganz bedenklich an, und diese schüttelte verstimmt den Kopf. Als aber Herr Scheuermann, nachdem er den letzten Rest des arabischen Trankes hastig geschlürft hatte, abermals nach den Zeitungen langte, und jetzt gar die allergrößte ergriff, hinter deren mächtigen Spalten er im Lehnstuhle förmlich verschwand, da verließ die Gattin, halb ärgerlich und halb beunruhigt, das Zimmer, dessen Thüre sie mit einiger Demonstration hinter sich zuwarf. Rike jedoch setzte sich ans Fenster, und nahm schweigend ihr Nähzeug zur Hand, in welches sie bald ebenso vertieft erschien, wie der Vater in die Tagesfragen der Presse.

Plötzlich warf Herr Scheuermann die Zeitung weg, öffnete die Dose, nahm eine starke Prise, und sprach:

»Punctum!«

Erstaunt sah die Tochter nach ihm hin. Er ließ sie aber nicht lange in Ungewißheit.

»Der Großknecht soll kommen« – rief er in dem Tone eines Feldmarschalls, dessen Plänkler eben Fühlung mit dem Feinde erhalten. »Ist der Schäfer zu Hause?«

»Ich weiß es nicht« – sagte die Tochter.

»So sieh' nach!« war die Antwort des Hausvaters. – »Er soll ebenfalls kommen, und der Kutscher auch.«

Der Kutscher wurde im Hause nur bei feierlicher Gelegenheit so genannt. Denn seine eigentliche Stellung war die des Cincinnatus – hinter dem Pfluge. Die Tochter ahnte daher, daß etwas Wichtiges vor sich gehe, und eilte den väterlichen Befehl schnell zu vollziehen.

Die drei Würdenträger des Hauses, welche sich ihres Ranges gegenüber dem übrigen Gesinde wohl bewußt waren, erschienen bald: Hans, der Großknecht, an Sonn- und Feiertagen von dem Gebieter Jean genannt, Gregor, der Schäfer, welcher alle Gespenstergeschichten wußte und sich auf's Prophezeien verstand, und Philipp, der Pferdebändiger, welcher in der Voraussicht einer Staatsaction noch schnell seine hechtgraue Livree mit rothem Aufschlag angezogen hatte, wiewohl sie zur nicht mehr allzu blendenden Weiße des Hemdes und zum groben Leinenzeug der Werktagshosen in malerischem Contraste stand.

»Also« – begann Herr Scheuermann sichtlich befangen, und dachte sofort an seinen unseligen Kammernachbarn, welcher den Anfang seiner Jungfernrede über die Tabakssteuer nicht mehr finden konnte.

»Also – Punctum!«

Die drei Sterne erster Größe am Himmel der Scheuermannschen Öconomie sahen sich verdutzt an. Denn, wenn sie auch noch nie Zeugen einer besonderen Beredsamkeit ihres Herrn gewesen waren, so hatten sie dennoch eine Rede von solcher lakonischer Meisterschaft, wobei die Peroration das Exordium fast überflügelte, aus dem Munde des Gebieters niemals gehört. Zugleich hatte sich auch eine Zimmerthüre im Rücken des Redners lautlos aufgethan, und Frau Scheuermann mit ihrer Tochter erschien als Publicum der Galerie bei dieser parlamentarischen Verhandlung, deren Debatte gleich anfangs sehr spannend anhub.

Wenn Herr Scheuermann auf der Landwirthschaftsschule nichts gelernt hatte, so hatte er auf dem Landtage doch wenigstens gelernt, welcher oratorischen Figur man sich bediene, wenn das verrätherische Gedächtniß den Redner im Stiche lasse, und derselbe stecken geblieben sei. Man räuspert sich. Also räusperte sich der gewesene Landtagsabgeordnete und wirkliche Provincialrath; und zwar war dies ein ausdrucksvolles, so zu sagen, autoritatives Räuspern, so daß sich der prophetische Schäfer unwillkürlich verbeugte, während der Großknecht seine Zipfelmütze fast erwürgte und Kutscher Philipp, der sich hinterm Pfluge stattlich wie jener alte Römer ausnahm, in aller Demuth die kreischenden rothen Rosen in der Tapete des Zimmers zu zählen begann.

Der Hausherr hatte, wie es schien, nur den ehrfurchtsvollen Bückling des Schäfers gesehen, und dieses unwillkürliche Zeichen der Unterwürfigkeit gab ihm das volle Bewußtsein seiner Würde zurück, welches er in jenem ersten Theile seiner Rede offenbar etwas verloren hatte.

»Nichts Neues, Jean?« – fragte er den Großknecht, welcher noch immer seine baumwollene Mütze strangulirte.

»Mit Verlaub, nein,« – erwiderte etwas verblüfft der Majordomus des Scheuermann'schen Reiches. Er merkte alsbald an seinem Namen, daß es sich, obwohl es Werktag war, um etwas Hochwichtiges handele.

»Und ihr« – fuhr Herr Scheuermann, zu den beiden andern gewendet, fort – »habt ihr nichts gesehen?«

»Gesehen?« – fragte der Schäfer. »Ich sah gestern Abend zwischen Elf und Zwölf am Friedhof einen feurigen Wolf.«

»Schafskopf! Mit Deinem Aberglauben!« – fiel ihm der Hausherr ins Wort, ohne sich übrigens in seinem Innern eines heimlichen Gruselns erwehren zu können. »Wie oft habe ich Dir nicht schon gesagt, mich mit deinen Altweiberflausen zu verschonen. Ich will wissen, ob Ihr nichts Verdächtiges gesehen. Punctum!«

»Verdächtiges?« – stotterte der Großknecht, welchen die Reden des Herrn immer mehr befremdeten.

»Den wüthenden Hund aus Herrn Hähnchens Fabrik haben sie gestern am Mühlsteg erschlagen« – berichtete der Cincinnatus in der Kutscherlivree.

»Bleibt mir mit euren wüthenden Hunden und feurigen Wölfen vom Leibe!« – rief fast selber wüthend Herr Scheuermann und setzte die goldene Dose etwas unsanft auf den Tisch. »Punctum! Wissen will ich, ob sich kein verdächtiges Gesindel auf dem Gute gezeigt hat.« –

»Seit den Zigeunern und seit den Comödianten, welche im Dorfe ihr närrisches Zeug aufführten, hat sich nichts gezeigt« – versicherte der Großknecht.

»Gestern führten die Landjäger zwei zerrissene Vagabunden durch den Wald« – meldete der Schäfer.

»Ja! Da liegt der Hase im Pfeffer« – sprach der Gutsbesitzer, und kratzte sich ungeduldig hinter den Ohren.

»Welcher Hase?« – frug Philipp, und sah den Gebieter groß an.

»Stockfisch!« – war die nicht sehr freundliche Antwort des Herrn Scheuermann. »Punctum! Es gibt auch noch andere Strolche – im feinen Rock, mit schwerer Uhrenkette.«

»Uhrenkette!« – rief der Schäfer. »Da geht mein Traum aus. Ich sah heut Nacht – so gegen die Drei –«

»Punctum!« – schrie jetzt Herr Scheuermann in der Tonstärke eines Sängers, welchem die ästhetische Aufgabe geworden ist, ein Wagnerisches Orchester zu überbieten. »Man hört von allen Seiten von Diebstählen, und die Straßenräuber schießen aus den Chausseegräben wie Spargeln auf. Man muß deßwegen die Augen aufmachen – verstanden?« –

Das Triumvirat nickte mit Verständnis.

»Die Gartenthüre schließen, und das Scheuerthor« –

Die gehorsamen Verbeugungen wurden noch tiefer.

»Gehörig umsehen auf dem Felde, Gregor!« –

»Umsehen« – sagte der Schäfer ehrerbietig, und hätte so gerne einen andern Traum erzählt.

»Auf dem Dachboden nachschauen, Hans!«

»Freilich!« – erwiderte dieser, obschon ihm der Hausherr immer wunderlicher vorkam.

»Das Hofthor wird bis auf Weiteres um sieben Uhr geschlossen, Philipp! Punctum.« –

So schloß Herr Scheuermann die Verhandlung mit seinen Dienern, welche alsbald verlegen das Zimmer verließen. In der Gesindestube streckten sie noch lange die Köpfe zusammen. Namentlich gab ihnen der Befehl, jetzt am Ende des Sommers das Hofthor noch bei hellem Tage zu schließen, viel zu denken. Lange würden die Drei sich noch mit einander verwundert haben, wenn nicht der Schäfer abermals einen Traum hätte erzählen wollen. Da flüchtete sich Philipp in den Stall, und Hans zu den Dreschern in die Scheune.

Frau Scheuermann war mit ihrer Tochter zu dem Gemahl getreten, welchem in Folge der angestrengten oratorischen Thätigkeit die hellen Tropfen auf der heißen Stirn perlten. Aber umsonst bemühte sie sich, von ihm Aufschluß über diesen officiellen Auftritt zu erhalten, wodurch das reizend und friedlich gelegene Hofgut gleichsam in Belagerungszustand versetzt worden war. Papa Scheuermann beugte sich zwar in der Regel, und vielleicht, ohne daß er sich selbst darüber Rechenschaft gab, dem Pantoffel, welchen seine Ehehälfte mit Würde und Ausdauer als Friedensscepter zu führen verstand. Aber heute zeigte der Hausherr wiederum einmal, daß er diesen Namen nicht immer als leeren Ehrentitel führen wolle. Je mehr die Regentin des Hauses, welche solchen Widerstand nicht anerkennen wollte, in ihn drang, desto einsilbiger wurde der unbegreifbare Mann. Die ruhigen Bitten der Tochter halfen geradezu gar nichts. Als endlich die aufgeregte Hausfrau umsonst die Androhung von Nervenzufällen ins Treffen geführt hatte, und nunmehr mit Zuversicht zu den letzten, stets siegreichen, Waffen griff – zu den Thränen: da mußte sie zu ihrem unsäglichen Schrecken und Ärger erfahren, daß diesmal auch dieses kostbare Naß nicht fruchtete.

»Punctum!« – sagte der einstige Landtagsabgeordnete, und Frau Scheuermann verließ in stiller Entrüstung das Wohnzimmer.


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