Franz Xaver Bronner
Ein Mönchsleben aus der empfindsamen Zeit. Erster Band
Franz Xaver Bronner

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Einleitung.

In dem doppeldeutigen Titel »Dichtung und Wahrheit«, den Goethe seiner herrlichen Selbstbiographie gegeben hat, hat er zugleich die zwei Pole festgelegt, nach denen hin Memoirenwerken und Biographien überhaupt wirkliche Bedeutung zuzukommen vermag. Die einen von ihnen sind vornehmlich interessant nach der Seite der Wahrheit hin, durch das Inhaltliche und Gegenständliche, das sie vorbringen, seien es nun weltgeschichtliche Ereignisse, seltsame Abenteuer oder kulturelle Merkwürdigkeiten, die anderen dagegen sind bedeutsam nach der Seite der Dichtung hin, durch Stil und künstlerische Darstellung, durch die Art dichterischer Durchdringung des Stoffes, durch die Fülle des poetischen Gehalts, der in dem Werk Gestalt gewonnen hat, und durch den auch anscheinend unwichtige und alltägliche Begebenheiten verklärt werden.

Die vorliegende Autobiographie von Franz Xaver Bronner, die aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts stammt, gehört ihrer wesentlichen Bedeutung nach durchaus zur Gattung der letzteren, wenn dies auch in diesem Falle keineswegs dahin verstanden werden darf, als ob sich hier der Verfasser dichterische Ausschmückungen und phantasievolle Willkürlichkeiten auf Kosten der Wahrheit erlaubt hätte. Im Gegenteil! Die ungeschminkte Wahrhaftigkeit alles dessen, was erzählt ist, ist ein bedeutsames Charakteristikum dieser Biographie. Trotzdem aber nicht ihr wesentlichstes; denn es sind keine großen Ereignisse, von denen uns darin berichtet wird – der Dichter selbst wollte sie im Untertitel allzu bescheiden »alltägliche Abenteuer eines unbedeutenden Menschen« nennen – was uns hingegen hier allein durch die poetische Verarbeitung der Geschehnisse vermittelt wird, das ist die Gefühlswelt einer ganzen Epoche, nämlich die der empfindsamen Zeit. So wenig die Gefühlswerte dieser Periode schon gänzlich der Vergangenheit angehören, wie verschiedentliche Erneuerungs- und Anknüpfungsversuche moderner Dichter beweisen, so unzugänglich oder wenigstens schwer genießbar sind für uns die Produkte dieser Zeit selbst; denn die ganze Idyllen- und Schäferpoesie, die uns in ein schönes Arkadien führen will, um uns den schwärmerischen Herzensergüssen von Daphnis und Chloe, von Damon und Phyllis lauschen zu lassen, sie vermag heute wohl schwerlich mehr jemand in lebendigem Sinne zu fesseln. Den Dichtern dieser Periode, auch ihrem besten Vertreter, dem Schweizer Salomon Geßner, mangelte es eben durchaus an der Fähigkeit, Menschen zu gestalten; ihre Personen haben kein Mark und Bein, es sind verzuckerte Schäfer und Schäferinnen ohne alle Individualität, Schattenwesen ohne jede Wirklichkeit, dazu vollbepackt mit süßen Empfindungen, überladen mit schönen Gefühlen. Auch Fr. X. Bronner, ein direkter Schüler und persönlicher Bekannter Geßners, zu welchem, als dem für ihn geeignetsten Lehrer, ihn eine seltsame Fügung des Schicksals aus Bayrisch-Schwaben verschlagen hatte, auch er würde wohl als Verfasser von empfindsamen Idyllen und Fischergedichten und als ein später Ausläufer dieser Dichtungsart (bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein) lediglich eine historische Rolle in den Literaturgeschichten spielen, hätte er nicht diese Autobiographie verfaßt, die nicht nur von seinen Werken bei weitem das Beste ist, sondern auch nahezu das Einzige, das uns heutigen noch einen mühelosen, ja sogar in jeder Hinsicht lohnenden und ergötzlichen Zugang zu der Empfindungsweise dieser eigenartigen Welt zu verschaffen vermag. Denn hier hoben die besonderen Bedürfnisse der Dichtungsgattung, wenn man Biographien so nennen darf, von vornherein die Nachteile einer unwirklichen Schilderung auf, der die Dichter sonst verfielen, und forderten geradezu strengen Wirklichkeitssinn und bestimmte Charakterisierung, während andererseits die guten Seiten der Zeit, innige Gefühlswärme und anmutigste idyllische Kleinmalerei nun auf diesem tragfähigeren Untergrund viel stärker und intensiver zur Geltung kommen konnten. So entstand ein Werk, das auf uns keineswegs mehr einen gesuchten und befremdlichen Eindruck macht, sondern im Gegenteil ganz natürlich und ungezwungen wirkt, wenn auch natürlich der Zeitcharakter und die starke Betonung der empfindsamen Note dem Ganzen ein etwas altertümliches Gepräge verleihen.

Allerdings so gering, wie sie nach dem Bisherigen vielleicht erscheinen könnte, darf die Bedeutung des rein Inhaltlichen in diesen Memoiren doch nicht gewertet werden. Sind es im allgemeinen auch keine großen, spannenden Ereignisse, durch die wir gefesselt werden, so sind es doch menschlich so interessante Einblicke, die wir in das private, öffentliche und vor allem religiöse Leben des achtzehnten Jahrhunderts tun, sind es kulturgeschichtlich so bedeutsame Zustände, die geschildert werden, daß sich eine Neuausgabe schon von diesem Gesichtspunkt aus lohnen würde. Da ist es einmal das ganze, zum Teil noch recht mittelalterliche Leben in einem kleinen Städtchen, das uns mit reizenden Details lebendig gemacht wird und das in manchem noch dem heutigen gleichen mag; besonders interessant sind die für unsere Begriffe ganz haarsträubenden Schulverhältnisse unter des Herrn Kantors Leitung, wo kaum ein Tag verging, an dem nicht die berüchtigten »Schillinge« mit der oft noch durch Bleikugeln verstärkten Ochsensehne verabreicht wurden usw. Dann lernen wir das Zwangssystem in den geistlichen Seminarien und Konvikten kennen, die die Stätten der höheren Bildung vorstellen sollten, des ferneren die Wirkungen der geheimen Ordenschaften, die damals eine große Rolle spielten, vor allem der Freimaurer und der Illuminatisten. Die weitaus wichtigsten und wertvollsten Aufschlüsse gewährt jedoch die Darstellung des gesamten Klosterlebens, das Bronner vom Novizen bis zum Pater mit all seinen Mühsalen und geheimen Leiden durchgekostet hat, bis er sich endlich entschloß, sein Heil in der Flucht zu suchen. Da sehen wir ewige Parteisucht, Hader und Zank unter den Mönchen, verborgene Unzucht und Völlerei, das zur stumpfen Gewohnheit herabgesunkene Begehen der religiösen Riten, wozu vor allem das gedankenlose Ableiern der Chöre gehört, die den ewigen Kampfplatz für den Streit zwischen den Alten und den Jungen bilden, die Unterdrückung jeder Bildung in einem etwas freiheitlichen Sinne, all das wird mit anschaulichen Einzelheiten uns vor Augen geführt und einer strengen, wenn auch keineswegs gehässigen Kritik unterzogen. Von da aus werden dann die Schäden der gesamten Kirche aufgedeckt, wir tun tiefe Einblicke in die geistlichen Streitigkeiten der damaligen Zeit, insbesondere in die Schwindeleien und Betrügereien der Jesuiten, die immer das Mäntelchen nach dem Winde zu hängen verstehen. Die vielen dazwischen eingestreuten, genauen Reisebeschreibungen vermögen nebenher manche Kenntnisse über die damalige Art zu reisen zu vermitteln, und eine abenteuerreiche Tour nach Frankreich, die Bronner unternahm und die ihn fast unter die Guillotine gebracht hätte, führt uns schließlich mitten in die große Umsturzzeit und den Kriegstumult der französischen Revolution.

Also an sich genug des stofflich Anregenden! Aber trotz dieser interessanten und abwechslungsreichen Fülle würde derjenige doch das Buch schlecht gelesen haben, der nur nach jenem suchend und haschend es durchblättert hätte, ohne von den feinen und zarten Reizen der Darstellung, die hier durchweg zu finden sind, etwas zu empfinden, ja ohne geradezu von ihnen gefangen genommen zu werden; denn auf diesen liegt durchaus der Hauptwert und der Hauptnachdruck. Wieviel geringfügige, unbedeutende, ja anscheinend nichtssagende Begebenheiten sind hier eingestreut! Alle heimlichen Kinderspiele, alle Knabenunarten, alle kleinsten Vorkommnisse werden hier berichtet; aber wie werden sie erzählt! Entkleidet aller banalen Wirklichkeit, ganz erfüllt von dichterischer Anschauung und durchtränkt vom Zauber echtester Poesie! Es ist ein einheitlicher Geist, von dem aus alles gesehen wird und durch den alle Einzelheiten in den höheren Zusammenhang eines wenn auch nicht sehr umfassenden, so doch geschlossenen Weltbildes eingefügt werden. Gewiß war Bronner kein Feuergeist, der sich zu den Himmelshöhen höchster Begeisterung aufschwang oder in die Tiefen menschlicher Erkenntnis hinabstieg, sondern eine durchaus einfache, unkomplizierte Natur, harmonisch, ausgeglichen, schon als Knabe festgelegt in seinem Verhältnis zur Welt, nur durch einen klugen Verstand und die Stärke dichterischer Empfindung über das gute Mittelmaß hinausragend; dafür besaß er ein überreiches, außerordentlich sensitives Gemüt und eine feine Knabenseele, auf deren Goldgrund sich die Dinge der Welt mit unvergleichlicher Anmut und in zartester Lieblichkeit abmalten. So gilt seine ganze Liebe und Hingabe dem Kleinen und Kleinsten, in das er sich voller Innigkeit vertieft wie ein Kind, und das er bei aller Sachlichkeit und Schlichtheit der Darstellung mit all der süßen Inbrunst wiederzugeben weiß, mit der er es erfaßt hat. Und welche Naivität und echteste Kindlichkeit ist ihm dabei zu eigen! Welch' goldenes Kindergemüt leuchtet aus all seinen idyllischen Schilderungen hervor! Unwillkürlich denkt man an die einzig süße und wonnigliche Art, mit der die alten deutschen Meister auf ihren Gemälden die ganze Kleinwelt, Blumen, Gräser, Vögel, Quellen dargestellt haben, man denkt an Cranachsche spielende Putten, an Lochnersche Engelfiguren, aber auch mancher Holzbeinsche Kopf läßt sich in ernster Strenge dazwischen blicken. Diese wunderbare Vertiefung und Versenkung in den Mikrokosmos, eine spezifische Eigenart deutschen Geistes, hat in Bronner eine neue, bedeutsame Verkörperung gewonnen und hebt ihn allerdings gewaltig über die bloß empfindsamen Dichter hinaus, denen selten ganz natürliche Herzenstöne gelangen.

Nebenbei mag bemerkt werden, daß Bronner ja auch dem Volk entsprossen ist, in dem die idyllische Betrachtungsweise sozusagen Erbgut des Stammes ist, nämlich dem schwäbischen, und seine späteren Landsleute, ein Mörike, ein Kerner, ein Carl Mayer, sie würden wohl, hätten sie ihn gekannt, großen Gefallen an seiner Art gefunden haben, die so manche verwandte Züge mit ihnen aufweist.

Gewiß ist, daß mit all diesen Eigenschaften Bronners Biographie insofern eine Ausnahmestellung einnimmt, als nur schwerlich eine andere gefunden werden könnte, die sich mit ihr eben an echter Kindlichkeit und Naivität der Auffassung messen kann. Ebenso ist es kein Zufall, daß innerhalb derselben, wenigstens was die Darstellung anlangt, die Erzählungen aus der frühen und frühesten Jugend am meisten gelungen sind und das eigentliche Glanzstück bilden, so sehr, daß man diese Kindheitsgeschichte als eine der schönsten und lieblichsten ansprechen muß, die wir überhaupt in der deutschen Sprache besitzen. Hier fand Bronner sein eigentliches Feld; denn hier war natürlich die kindlichste Anschauung gerade die beste, weil sie allein in die rätselvollen Geheimnisse und die ahnungsvollen Gründe, die das Paradies der Kindheit birgt, einzudringen vermag und sich ganz deckte mit den Empfindungen, die dargestellt werden sollten; späterhin ist hingegen öfters leichte Diskrepanz zu spüren zwischen der kindlichen Schilderung und dem Bewußtsein des Lesers, daß es sich hier um die Erlebnisse und Gefühle eines erwachsenen Mannes handelt. Außerdem treten im weiteren die empfindsamen Elemente stärker in den Vordergrund und verleihen dem Ganzen einen etwas veränderten Charakter, der sich für unser Gefühl manchmal ins Barock-Seltsame, ja oft ins Komische steigert, wie etwa in den Liebesszenen, wo bei aller Lieblichkeit der Erzählung denn doch des Schmachtens und Schwärmens oft ein wenig zu viel wird.

Merkwürdig ist, daß bei einer so klar umrissenen Gesamteinstellung zur Welt und zum Leben, bei einer im allgemeinen so selten ausgeglichenen Denk- und Empfindungsweise, wie sie Bronner besaß, doch gewisse Kräfte in seinem Charakter tätig waren, die einander mehr oder weniger entgegenarbeiteten. Auf zwei Angelpunkten ruhte neben seiner dichterischen Einstellung eigentlich sein Wesen: der eine war ein heller Verstand, der die Welt vernünftig zu erklären suchte und innerhalb der gänzlich anderen Umgebung, in die er gestellt war, notwendig aufklärerisch und revolutionär sich entwickeln mußte. Dem stand entgegen seine seltene Weichheit des Gemüts, eine fast feminine Sanftmut, äußerste Bescheidenheit, Herzensgüte und Menschenliebe. Hätte er die letzteren Eigenschaften nicht oder nur beschränkt besessen, er würde vielleicht als ein Mann der Aufklärung eine ziemliche Rolle gespielt haben; so aber mußten, da ihm alle inneren Möglichkeiten zu einer brutalen Durchsetzung der Ideen sowohl, wie auch seiner selbst abgingen, alle revolutionären Gedanken in sich selbst zerfallen, und es blieb ihm nur übrig, sie in passiver Weise auf die eigene Person anzuwenden, indem er den Menschen und Verhältnissen, die er haßte, auszuweichen und zu entfliehen suchte. Das Gegenspiel dieser beiden Kräfte können wir durch seine ganze Biographie verfolgen. Schon mit achtzehn Jahren, als er ins Kloster sollte, bezeigte er den heftigsten Widerwillen dagegen, aber seine Sanftmut ließ ihn den drängenden Wünschen der Eltern, wenn auch unter Tränen, nachgeben. Einmal dort, prüfte er gleich als Novize das katholische Religionssystem nach allen Seiten, verwarf mit kühnem Freimut, wenn auch auf ziemlich rationalistische Art, eine Lehre um die andre, und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem richtigen Lutheraner, der alle äußeren Formen, wie Wallfahrten, Messelesen, Beichtsitzen, Reliquienverehrung als Irrlehren betrachtete und allein die gute und reine Gesinnung vor Gott gelten ließ. Kein Wunder, daß er sich später offen zum Protestantismus bekannte. Daß bei solcher Denkart das Kloster nicht der richtige Aufenthalt für ihn war, ist klar, aber erst ein äußerer Anlaß, die Eifersucht wegen eines Mädchens, ließ ihn nach langem Zögern die Flucht wirklich zur Ausführung bringen. Allein kaum war ein Jahr vergangen, so stand er freiwillig schon wieder unter der Botmäßigkeit der Kirche, die er innerlich doch verurteilte, und wurde von ihren Vertretern in der schmählichsten Weise betrogen und hintergangen, ohne daß er die Kraft gehabt hätte, sich dagegen zu wehren; es dauerte endlos lange, bis er sich diesem unwürdigen Zustand durch eine zweite Flucht entzog, da ihn immer wieder gewisse Rücksichten auf Personen, denen er nicht weh tun wollte, und denen er Dankbarkeit schulden zu müssen glaubte, zum Bleiben bestimmten (am rührendsten ist in dieser Hinsicht sein Verhältnis zu dem geistlichen Statthalter v. Ungelter). Die neugewonnene Freiheit dachte er zuerst am schönsten als Einsiedler zu genießen, sein aufklärerischer Drang ließ ihm aber keine Ruhe und bewog ihn zu einer Reise nach dem revolutionären Frankreich, das er sich, etwas vorschnell urteilend, als das gelobte Land der persönlichen Freiheit und der idealen Staatsverfassung vorstellte, und in dem er alle seine Ideen aufs schönste verwirklicht glaubte. Der kurze Einblick, den er tat, brachte ihm denn auch gleich so herbe Enttäuschungen, daß er völlig an der Durchführung seiner Pläne verzweifelte und sich beeilte, zu einer Privatbeschäftigung in seine geliebte Schweiz zurückzukehren.

Neben den Wirkungen seiner mönchischen Lebensart mag es dieser Zwiespalt in seinen Wesenskräften gewesen sein, aus dem sich das leicht schrullige und etwas sonderliche Wesen entwickelte, das mitunter, wenn auch nicht gerade häufig, bei ihm zutage tritt; denn er war ein bißchen, was man so nennt, ein Eigenbrödler und Umstandskrämer, sehr menschenscheu, bei starkem Bedürfnis nach Gesellschaft, schüchtern und bescheiden in seinem Auftreten, aber doch auf seine Art seinen Vorteil erspähend, äußerst vorsichtig, ja furchtsam bis zur Feigheit in seinen Unternehmungen, langsam in seinen Entschlüssen, dann aber wieder eigensinnig und zäh in der Durchführung derselben. Aber wie gesagt, es ist nur wie ein leichtes Hinneigen nach dieser Seite, und gewiß ist ein gut Teil davon der damaligen Empfindungsweise überhaupt zuzuschreiben. Denn sonst war er sehr heiteren und beweglichen Geistes, interessierte sich für alles mögliche, studierte beinah alles, was es damals zu studieren gab, Mathematik, Philosophie, Theologie, Literatur, Naturwissenschaften, Musik usw. und war in allen diesen Fächern auch irgendwie tätig. Ja selbst ganz moderne Anwandlungen hatte er: er konstruierte für sich elektrische Maschinen, stellte Versuche zu einem Perpetuum mobile an und ging sogar – was für uns Heutige von besonders akutem Interesse ist – allen Ernstes an den Bau eines Aeroplans, der allerdings recht kläglich mißglückte und ihn nie höher als einen Schuh über den Erdboden emporbrachte. Schließlich verschlug ihn sein Geschick in der Schweiz noch unter die Journalisten, indem er bald nach seiner Rückkehr aus Frankreich die Redaktion der Züricher Zeitung übernahm. Mit dieser Mitteilung schließt die Biographie ab. Aber die Reihe der Ämter und Tätigkeiten war für Bronner damit noch nicht erschöpft. Nach Gründung der helvetischen Republik wurde er Sekretär beim Ministerium der Künste und Wissenschaften, dann Professor in Aarau; durch einen seltsamen Entschluß siedelte er 1810 als Professor der Physik nach Kasan in Rußland über, kehrte jedoch 1817 nach Aarau zurück, wo er zum Protestantismus übertrat; hernach ward er Rektor der Kantonschule, Kantonsbibliothekar und Staatsarchivar. Im hohen Alter von 92 Jahren starb er am 11. August 1850.

Die vorliegende neue Ausgabe (die erste seit 1810) fußt auf der ersten Auflage von 1795-97. Allerdings mußte mannigfach gekürzt und zusammengestrichen werden, um das Werk für uns Heutige genießbar zu machen; denn es enthält viele ermüdende Längen, unter denen die künstlerische Einheitlichkeit sichtlich zu leiden hat. Schon Geßner, der im Grunde die Ausführlichkeit liebte und der Bronner sonst sehr schätzte, tadelte an ihm die allzu große Breite der Behandlung, und was für ihn störend war, wird für uns unerträglich. Es sind dies vor allem die seitenlangen Gebete, die in aller Vollständigkeit mitgeteilt werden, ebenso die endlosen Korrespondenzen, vielfache Wiederholungen und nicht zuletzt die vielen moralisierenden Betrachtungen, die überall eingestreut sind. Trotzdem ziemlich viel davon fallen mußte, ist eigentlich nichts dichterisch oder biographisch Wesentliches unterdrückt worden, vielmehr glaube ich, daß sich die Wirkung des Ganzen durch die knappere Zusammenfassung nur um ein gutes erhöht hat.

München, August 1912.

Oskar Lang.


Ein Mönchsleben aus der empfindsamen Zeit


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