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Legende vom Sauerkraut

Augustin

Schon eilt der fünfte Mond am Himmel hin,
der über Hippo hoch, hell und hauchzart blaut.
Noch immer fastet der große Augustin,
nährt sich von Rüben und Runkeln, von Zwiebeln und Sauerkraut,
kommt mit hölzerner Schüssel mittags und abends zu Tisch,
der schier kracht unter Lasten von leckerem Braten und Fisch,
schöpft sich mageres Kraut aus seinem schlechten Geschirre
und macht ihn kein Tuscheln und Sticheln der Tischgenossen irre.

Bereit steht die Tafel wieder zum Mittagsmahl,
froh drängt der Schwarm von guten Mägen herein,
und als letzter schließt heute die Türen zum Saal
ein stattlicher Mann, um das Braunhaar milden Schein.
Stumm schaut der Fremde die Tische entlang,
reckt die Hände und schreitet hinauf die Gasse.
Verwandelt ist jäh der guten Gerüche Überschwang,
nur noch Kraut und Rüben duften aus Teller und Tasse,
und die Esser alle mit scheelen Augen blicken
hin zu Augustinus und dem fremden Mann
und murmeln: »Muß sich für Sünder schicken,
was nur dem großen Augustinus anschlagen kann?«
Jeder stochert mürrisch um seinen Teller,
zieht den Bissen im Munde breit,
verwünschen alle den Zauber und den ungebetenen Preller.
Weg ist ihre lautschmatzende Fröhlichkeit.

Augustinus schiebt die Schüssel fort,
ihm will das saure Kraut nimmer munden.
Mit jeder Miene, mit jedem Wort
hat er den schlechten Geschmack empfunden,
und lächelnd tritt der Fremde an seinen Sitz,
beugt sich und spricht:
                              »Schau dich um, mein Bruder!
Wo ist ihre Laune, wo ist ihr Witz?
Die Welt wird ein mißvergnügtes Luder,
setzt du nur Kraut und Rüben vor.
Der Magen ist auch ein Himmelstor,
und ihr sollt doch alle Wege gehn,
die euch zum Himmel offen stehn.«

Die Hände hebt der Herr zum Gebet,
es leuchten die heiligen Kreuzeswunden,
und wieder auf allen Tischen steht
Braten und Fisch und was verschwunden.
Einen Hahnen schneidet der Gast entzwei,
legt die Hälfte auf Augustins Schüssel.
»Mach dich aus deinem Rübenkerker frei!
Hier hast du einen ganz prächtigen Schlüssel.
Bei Rüben und saurem Kraut sich kastein,
heißt Gott in seinen Gaben verachten.
Doch vor diesem fetten Kapaun noch Augustinus zu sein,
ist mehr und bleibe immer dein Trachten.«

Illustration: Rudolf Schiestl

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