Clemens Brentano
Gockel, Hinkel und Gackeleia
Clemens Brentano

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Von den Lehnskleinodien von Vadutz. – Ich Jakob von Guise habe folgende Sagen, Meinungen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterspangen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Siegelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. s. w. für meine Landesherrinn, Gräfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn von Vadutz, zusammengeschrieben aus einer Schrift, welche mir Klareta zur Lilien, ein Fräulein aus Vadutz mitgetheilt und aus dem, was mir Carthophylax, der da ist der ewige Jude, am St. Servatiustag im Walde erzählt. Als ich diesen Cartophylax gefragt: »was hievon ist Wahrheit?« antwortete er, »nur der sey die Wahrheit, den Pilatus gefragt, was ist Wahrheit?« Dasselbe erwiedere auch ich Jakob von Guise jedem, der mich fraget, was an diesen Erzählungen Wahrheit sey. – Wahr ist, daß ich sie vernommen habe als Reden der auf der Erde spielenden Menschenkinder seit Jahrtausenden. Ob sie dieselben für wahr gehalten, weiß ich eben so wenig, als ob sie wahr sind. Die Geschichte der Kinder Gottes sind diese Erzählungen nicht. Da aber die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen gesehen hatten, wie sie schön waren, erzählten sie sich Menschenkindermährchen, die waren kristalisirt in Formen der Wahrheit und waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis sie rund und bunt waren gleich Kieselsteinlein, mit denen auch wir spielen. Einige dieser bunten Steinlein aber habe ich hier gesammelt zum Spiele für das arme Kind von Hennegau, meine gnädige Herrinn, auf deren Schultern die Lehnskleinode von Vadutz ruhen.

Aus den sieben Schichten der jungfräulichen Erde ließ der Herr sich den edelsten Staub durch den Engel reichen und bildete den ersten Menschen daraus, und da er ihm eine lebendige Seele eingeblasen, ward der Rest jenes Staubes ein Fels der köstlichsten Edelsteine, worin alle Art und Kraft und alles Geheimniß jener zwölf Edelsteine vereinigt war, die in späteren Zeiten auf dem Brustschild und den Schulterspangen Aarons schimmerten. Dieser Fels ward mit Adam in das Paradies versetzet, und er wohnte bei ihm. Er war sein Altar und von ihm aus sprach der Herr mit ihm. Als unsere ersten Eltern nach der Sünde aus dem Paradiese auf die Erde gestoßen wurden, ward auch der Edelsteinfelsen hinabgeworfen, er zertrümmerte und ward in vielen Theilen über die Erde zerstreut. – Als die Menschen nun Kleider empfingen, sich zu bedecken, ward das Kleid Evas mit Spangen von Einhorn, worin Körnlein dieses Edelsteins, auf den Schultern geschürzt. – Wie nun jetzt im Herzen des Menschen Gutes und Böses, Rechtes und Linkes war, so war auch ein Wiederspruch in die Trümmer dieses Felsens gekommen. Alle Stücke der linken Seite wirkten irdisch und leiblich, alle Trümmer der rechten Seite aber himmlisch und geistlich. – Wo die Menschen Altäre bauten, fügten sie Bruchstücke dieses Felsens hinein. Abels Altar enthielt Trümmer der rechten, Kains der linken Seite. – Die Töchter der Menschen suchten funkelnde Körnlein der linken Seite des Felsens, die schöner schimmerten, und schmückten ihre Schultern damit, wodurch sie bösen Zauber übten. – Ein großes Bruchstück des Felsens, das auf die Erde fiel, hieß Sakrath und war das Fundament des wunderbaren Berges Kaf, der die ganze Erde umfaßt. Wer ein kleines Körnlein dieses Steines Sakrath besitzt, kann große Wunder thun. Als Noah in die Arche ging, trug sein Weib die Achselspangen Evas auf den Schultern. – Nach der Sündfluth waren die Trümmer jenes Felsens noch weiter zerstreut, und der Fundamentstein des Berges Kaf, der Stein Sakrath, war herausgewälzt und lag im Lande Kanaan. – Abraham wußte, daß die linke Schulterspange Evas in Labans Familie in Mesopotamien war. Er selbst besaß nur die rechte Spange und er sendete seinen Knecht Elieser dahin, die Besitzerinn dieses Kleinods für Isack zum Weibe zu hohlen. Als nun dieser dort zum Brunnen kam und Rebecka den Krug von der Schulter nahm, um ihm zu trinken zu geben, sah er, daß sie die Spange auf der Schulter trug und erkannte daraus, daß sie die Frau Isacks werden solle; denn die Trümmer des Edelsteinfelsens waren heilige Zeichen, wo sie sich fanden, und die Altväter suchten sie überall auf und brachten sie zusammen, wie sie nur konnten, weil sie eine Prophezeihung hatten, wenn der ganze, bei Adams Fall zertrümmerte und über die Erde zerstreute Edelsteinfelsen wieder beisammen sey, werde ein Tempel daraus gebaut werden und in diesem sich die Verheißung erfüllen. – Unter den Geschmeiden und Armbändern, welche der Knecht Abrahams der Rebecka als Brautgeschenk am Brunnen anlegte, war auch das rechte Achselband, und da nun die beiden Edelsteine auf ihren Schultern ruhten, war eine große Anmuth, ein schönes Ebenmaas leiblicher und geistlicher, zeitlicher und ewiger Kraft in ihr. – Als später Rebecka dem Jakob den Segen Isacks vor Esau verschaffen wollte, befestigte sie ihm das Kleid von rauhen Fellen mit diesen Spangen auf die Schultern und da der Erstgeborne diese Kleinode tragen sollte, hielt ihn der blinde Isack für Esau. – Esau faßte Haß gegen Jakob und raubte ihm die linke Spange, sein Haß ward durch leibliches, irdisches Gedeihen viel ungestümer und gewaltiger. – Als Jakob nach Mesopotamien zog, um sich bei Laban, dem Bruder seiner Mutter, vor der Verfolgung Esaus zu retten, kam er an die Stelle Lus in Kanaan, wo der Stein Sakrath lag, und da er sein Haupt darauf legte und schlief, sah er eine Leiter von der Erde bis zum Himmel; die Engel stiegen auf ihr auf und nieder, und von oben gab ihm Gott die Verheißung; da richtete er den Stein Sakrath auf und salbte ihn mit Oel zu einem Altar, und er nannte den Ort Bethel. – Als Jakob mit Weib und Kind aus Mesopotamien zurückkehrte und sich mit Esau zu Mahanaim versöhnte, gab ihm dieser die linke Achselspange zurück, und Jakob wandelte wieder ruhig zwischen beiden. – Von Jakob kamen nun diese Kleinode von Geschlecht zu Geschlecht bis zu dem hebräischen Mann, der sie nach der Zerstörung Jerusalems nach Rom brachte und vor seinem Martertode dem guten Kaiser Curio schenkte, von dem sie auf die Lehnshulden von Vadutz gekommen sind. – Der Stein Sakrath, auf welchem Jakob die Himmelsleiter gesehen, hieß fortan Bethel und war lange Zeit ein Ort der Anbetung, und es geschah viel Gnade dort. – Ueberall, wo man Bruchstücke des zertrümmerten Edelsteinfelsens aus dem Paradiese fand, richteten die Menschen sie auf, salbten sie zu Altären, und nannten sie Bethel, und viele, welche nur Bruchstücke von der linken Seite des Felsens fanden und denen die Kenntniß der rechten nicht von Vater auf Sohn überliefert war, trieben Abgötterei bei denselben. – Der weise König Salomo hatte einen Ring aus einem Edelsteine dieses Felsen, mit dessen Drehen am Finger er alle seine Wünsche erfüllen konnte; es ist auch eine alte Sage, dieser Ring und die Achselspangen Rebeckas würden einst in den Händen eines Dieners des Messias zusammen kommen. – Als der Tempel vollendet war, wollte Salomon den Stein Sakrath in dessen Mitte legen; aber seine Hände waren nicht mehr rein von Sünde und Abgötterei, und da er den Stein Sakrath berührte, zerbrach dieser in drei Stücke. Das eine Stück kam in den Tempel, wo es noch ruhet, das andre blieb zu Bethel, das dritte aber schenkte Salomo dem König Hiram von Tyrus, der ihm den Tempel zu bauen geholfen. Das Stück, welches zu Bethel geblieben, ward nach Salomos Tod, da sich das Reich gespalten, von dem König Jerobeam von Israel durch Götzendienst entweiht, er ließ das Volk das goldne Kalb dort anbeten. Das dritte Stück, welches mit Hiram nach Phönizien gekommen, wurde von den Phöniziern, die eine Kolonie im Lande Galäzien in Hispanien hatten, wohin sie vielen Handel trieben, dorthin in eine Stadt Brigantium gebracht und dort von ihren kunstreichen Meistern in den Thronstuhl des schottischen Königes Gothol angebracht, der hier darauf sitzend regierte. Nachher ward dieser Stein Jakobs ungefähr 700 Jahre vor Christi Geburt durch den König Simon Breach nach Irland übertragen und später 330 Jahre vor Christi Geburt durch den König Fergus nach Schottland. Endlich im Jahre Christi 650 ließ der Schottenkönig Kenneth den heiligen Stein in die Abtei zu Scone in der Herrschaft Perth bringen und in den Sitz eines künstlich gemalten Krönungsstuhls von hartem Holz einschließen. In unsern Tagen aber vor 21 Jahren im Jahre 1296, als Eduard I., König von England den Schottenkönig Johannes Baillot besiegte, hat er den Stuhl nach London in St. Eduards Kapelle in der Westmünster-Abtei gewidmet, wo er als Krönungsstuhl der englischen Könige bewahrt wird, und sind diesem Stuhle Pfleger bestellt, welches Amt bei den Grafen Gothol aus dem Geschlecht der alten Schottenkönige ist. – Hier endet, was ich von den Kleinoden von Vadutz durch die Chronik von Bänderen und den Carthophilax erfahren.


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