Clemens Brentano
Gockel, Hinkel und Gackeleia
Clemens Brentano

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Dieses Lied lockte Amey ans Fenster und als sie den tiefrothen Fleck im Abendschein auf der Wiese funkeln sah, konnte sie der Begierde nicht wiederstehen; sie mußte hineilen, und sich auf die Decke niedersetzen, und so entschlummerte sie. Da zogen die Räuber mit verborgenen Schnüren plötzlich die Decke über ihr zusammen, banden sie auf ein Pferd und entführten sie bis hieher unter die Hennenlinde, wo Urgockel sie auf ihr Hülfsgeschrei befreite. – Sieh, sie ist ganz in ein weites amaranthseidenes Gewand gehüllt, das deutet auf jene Decke, in der sie entführt, gerettet und die Braut Urgockels ward.« – »Es paßt recht schön,« sprach nun Gackeleia, »daß sie diese Farbe auch hier im Tode trägt, denn so ist sie auch in dieser Farbe von der Erde entführt, und unter dem wahren Hennenkreuz gerettet, eine Braut des Himmels und wie ein Küchlein unter die Flügel der Henne versammelt worden. – Aber sage, warum haben denn die Räuber die liebe Ahnfrau entführen wollen? – Sie sieht doch gar nicht so reichgeschmückt aus wie andere Gräfinnen, die von funkelndem Geschmeide strotzen, und ich habe mich schon über diese Armuth verwundert, kannst du mir wohl sagen, warum hat sie denn gar keinen andern Schmuck auf ihrem amaranthseidenen Brautkleid, als nur zwei kleine Edelsteine auf den beiden Spangen, welche das weite Gewand auf den Schultern zusammen fassen?« – Da schaute Gockel die Gackeleia lächelnd an und sprach: »du bist ein rechter Schelm, du fragst mich über Allerlei, was längst vergessen ist, und dann drehst du heimlich den Ring Salomonis, damit mir Alles in den Sinn kommen soll, was ich nie oder doch nur dunkel gewußt habe.« – »Freilich mache ich es so,« antwortete Gackeleia, »denn wie jede Speise ihr eigenthümliches Gefäß hat, so sind solche alte Geschichten immer am schönsten, wenn sie der Vater erzählt.« – Da fuhr Gockel fort: »du fragst ganz recht wegen den Räubern, die sie entführten und diesen einsamen Edelsteinen auf ihren Achselbändern zugleich, denn wegen dieser wollten die Räuber, welches böse Edelleute aus dem Turgau waren, sie entführen, und Kronovus mag dich nur gut bewachen, sonst kann dir es auch so gehen; denn auch du trägst solche zwei kleine Edelsteine auf den goldnen Spangen, welche die Aermel deines amaranthfarbigen Brautkleides auf der Schulter schürzen, und es sind diese Spangen deine eigentliche Morgengabe, welche dir allein gehört. Es sind die sogenannten heiligen Lehns-Kleinode der Grafschaft Vadutz, deren Wappen darauf eingegraben ist. Vadutz mit seinen Felsenschlößern ist ein Frauenlehn und gehört allen erstgebornen Gräfinnen von Hennegau, die mit diesen Spangen auch alle Rechte einer Lehnshuldinn von Vadutz empfangen. Es ist eine alte geheimnisvolle Sage mit diesen Steinen verbunden; es heißt, die wahren, heiligen Gnaden-Kleinode, habe schon Rebecka auf ihren Schultern getragen, sie seyen wunderthätig, die Ahnfrau habe sie mit ins Grab genommen, um ihre Nachkommen vor Gefahren zu hüten, und jene, welche diese trügen, seyen gewöhnliche Edelsteine; das mag wohl auch so seyn, denn Mutter Hinkel trug diese Kleinode auch, seit sie Gräfin von Vadutz ward, aber ich habe sie dadurch nie Wunder wirken sehen. Jedoch sind die Kleinode, wodurch die Gräfin Amey ihre Tochter zur Gräfin von Vadutz weihte und welche nun bis auf deine Schultern gekommen sind, an die ächten Edelsteine angerührt worden und mögen so einen Strahl ihres Segens empfangen haben. Die ächten heiligen Lehns-Kleinode aber sehen wir hier auf den Spangen der lieben Ahnfrau, und in dem großen Buche, welches hier neben ihr im Sarge liegt, steht von dem Geheimniß dieser Steine, wir wollen es heute nach der Hochzeitsmahlzeit lesen, jetzt aber sollt ihr mit der Nachricht Vorlieb nehmen, wie diese Kleinodien und das Ländchen Vadutz an die Gräfinnen von Hennegau gekommen sind. – Der Vater der lieben Ahnfrau trug diese Kleinode selbst, er war ein Erb-Graf von Vadutz, vermählte sich aber mit einer Gräfin von Hennegau, zog mit den Kleinoden nach Hennegau und nahm dessen Namen an. Er sehnte sich lange nach einem Töchterlein; als nun seine Gemahlin die liebe Amey gebohren, war es gerade Neujahrstag, der Graf von Hennegau war in der Schloßkapelle und im Augenblick als man sang:

»Uns ist geboren ein Kindelein,
Sein Reich lehnt auf den Schultern sein.«

kam ein Edelknab gelaufen, er solle geschwind zu der Frau Gräfin kommen, so eben habe ihr der Klapperstorch ein allerliebstes Töchterchen gebracht. Da lief der Graf geschwind hinauf in das Zimmer der Gräfin und sang den ganzen Weg:

»Mir ist geboren ein Töchterlein,
Sein Reich lehnt auf den Schultern sein,«

und als er hinauf kam, saß die Gräfin aufrecht auf ihrem Lager und hatte das liebe, arme Kind von Hennegau am Herzen, und der Graf war ganz außer sich vor Freude und lehnte sein Haupt auf die Schulter der Mutter und sah dem Töchterlein in die lieben Augen und vergoß Freudenthränen, dann nahm er seine Achselbänder, worauf zwei Edelsteine, die Reichskleinode von Vadutz, befestiget waren und sagte feierlich: »weil uns das liebe Töchterchen gerade bescheert worden ist, da man das Verschen sang, so will ich ihm auch sein Reich auf seine Schultern lehnen und zwar jetzt dir, als seiner treuen Vormünderin.« Da heftete er seiner Gemahlin die Achselbänder mit den Edelsteinen, worauf das Wappen von Vadutz eingeschnitten war, auf die Schultern und sagte: »Ich belehne deine Erstgeborne durch dich und alle erstgebornen Töchter ihrer Nachkommen mit dem Ländchen Vadutz, es sey ein Frauenlehn, ein Kunkellehn in unsren Nachkommen, und sollen den erstgebornen Töchtern der Grafen von Hennegau, sobald sie die erste Kunkel des zartesten Flachses für die Armen, ohne den Faden zu zerreißen, abgesponnen haben, diese Edelsteine auf die Schultern geheftet und sie so mit dem Ländchen Vadutz belehnt werden.« – Du nun, liebe Gackeleia, trägst jetzt diese Kleinodien auf deinen Achselbändern. Der alte Graf von Hennegau sprach nichts von dem Ursprung und den Gnaden dieser Kleinode, die bei seinen Vorfahren schon in Vergessenheit gekommen waren, welche aber die Ahnfrau später von drei Klosterfrauen erfuhr, denen sie zum Lohn ein Kloster Lilienthal stiftete, es sind dieselben, welche dort neben den Lilien bei ihr stehen. – Wegen diesen Kleinoden nun und dem Besitz der Grafschaft Vadutz entführten einige Ritter, welche nicht vom Auslande her regiert werden wollten, die Lehnshuldin und wurden hier von Urgockel erschlagen.«

Hierauf schwieg Gackeleia ein Weilchen, und da Gockel sie fragte, »warum sprichst du nicht?« antwortete sie, in dem sie ihm eine Spindel voll des feinsten Gespinnstes reichte: »Ei Vater, weil ich jenen Rocken nicht abgesponnen, lehnte mir das Ländchen so schwer auf den Schultern wie ungerechtes Gut, da drehte ich den Ring Salomonis geschwind, geschwind am Finger wie eine Spindel und da hab ich sie nun voll feinem Garn für die Armen und es ist mir wieder ganz leicht auf den Schultern.«

Da lächelten sie alle über die Gewissenhaftigkeit der neuen Königin Gackeleia von Gelnhausen, Gräfin von Gockelsruh und Hennegau, Lehnshuldin von Vadutz, und schauten die liebe Ahnfrau weiter an. Die goldnen Armringe, welche einst die weiten Aermel fest angeschlossen, waren los an den dürren Armen herabgesunken, die feinen weißen Hände ruhten an beiden Seiten des Leibes. Die Linke hielt die obengenannten Heilkräuter, die Rechte ruhte auf einem großen Buch und faßte acht lange amaranthfarbige, mit Perlen gestickte Bänder, welche von dem ähnlichen Gürtel ausliefen, der das weite Gewand über den Hüften umschloß. An diesem Gürtel hingen auch Schlüssel, und ein Löffel, Kinder zu speisen und eine Rassel, Scheere und Aehnliches. Die hagern feinen Füßchen schauten so arm und rührend unter dem Saum des Gewandes hervor, als zitterten sie, und die mit Perlen gestickten Goldpantöffelchen waren zu weit geworden, und eines herunter gefallen, so daß der eine Fuß mit den weißen schimmernden Zehen hervorsah. – Da kniete Gackeleia mit großer Liebe und Rührung an dem Sarge nieder und küßte den Fuß und benetzte ihn mit Thränen, mit den Worten: »du liebes armes Kind von Hennegau hast ja dein Pantöffelchen verloren, o Mutter Hinkel sieh, wie muß das liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatscht seyn, die Spitze des Fußes ist ganz braun, sie hat sich die Füße verfroren, – wart, ich weiß, was ich thue, in der goldnen Gallina der Königin von Saba ist eine Frostsalbe, hohle mir sie Kronovus!« – Gleich brachte Kronovus die Salbe und sie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit und schaute mit Thränen den Vater an und sprach: »Vater Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau ist schon lange todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das ist nicht ganz unvernünftig? denn sieh, ich muß es thun aus Liebe und Dank und würde mich schämen, so ich es nicht thäte, ich thue es mit dem Wunsche, es ihr selbst zu thun, sie wird schon wissen, wozu sie es gebrauchen kann, vielleicht kann sie jetzt, da ich ihr Liebe erwiesen habe, viel lustiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir es.« – Unter diesen Worten küßte Gackeleia den Fuß, den sie gepflegt und nur einem reinen Tüchlein verbunden hatte und steckte ihn wieder in das Pantöffelchen, dann erhob sie sich und alle umarmten sie schweigend, und es ertönte von dem Geiste der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Gesang her:

»Mein Schmerz ward milder, tausend Dank!
Lieb ewig heilt, was zeitlich krank,
Nimm dir zu deiner Liebe Lohn
Die ächten Steine von Vadutz;
Im großen Buche findst du schon,
Wie heilsam dieser Gnadenputz;
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!«

Es war eine schimmernde Freude in der Erscheinung und den drei weisen Nönnchen bei den Lilien, die süßer dufteten, als je. – Gackeleia aber besann sich nicht lange, schnell vertauschte sie ihre Achselspangen mit jenen des armen Kindes von Hennegau, und nahm zugleich das große Buch aus dem Sarg und gab es dem Vater. – Gockel blätterte ein wenig dann und sagte: »es ist kurios geschrieben von beiden Seiten nach der Mitte zu. Von einer Seite einhält es die Rechnungen der Grafschaft Vadutz, von der andern ein Tagebuch. – Potz tausend! was stehen da für Lehen und Zinsen darin, aber – aber irren ist menschlich, das Kind hat sich auch da einmal verrechnet. Hier auf diesem Blatt bei der Almosen-Rechnung hatte sie subtrahiren sollen, 1 von 100 bleibt 99, aber sie hat statt dessen gesagt, 1 von 100 kann ich nicht, 1 von 10 bleibt 9 und 9 von 9 geht auf, – das kann ja unmöglich eintreffen, aber aufgegangen ist's doch, wie Saat im Garten der Armen. – In der Orthographie war sie auch nicht ganz fest, hier in der täglichen Haushaltungsrechnung steht immer, eine Maß Michl, ein Schoppen Michl, immer Michl statt Milch; aber halt, da kömmt Etwas, das muß jetzt verlesen werden, lies Gackeleia!« und er gab ihr das Buch und sie las:

Gräflich Hennegauische Hühner- und Menschensatzungen

Zu der Sache ewiger Gedächtniß. Wir von Gottes Gnaden Gräfin Amey, Urhinkel von Hennegau, allererste Lehnshuldin des Ländchens Vadutz, armes Kind von Hennegau und des Ordens der freudigen frommen Kinder Stifterin, erklären in hoher Pünktlichkeit, Komma cum Pünktlichkeit und Duopünktlichkeit. – Als wir, der abgründlichen Untiefe übertriebener Beschaulichkeit zu begegnen, unsern Orden errichteten, haben wir unsern Namensverwandten und ersten Ordensgespielinnen bei verschiedenen Veranlassungen, welche in den Tagebüchern des Jahres 1318 aufgeschrieben sind, mancherlei Gnaden und Rechte für sich und ihre weiblichen Nachkommen verliehen, wogegen dem Brautzug und Leichenzug jeder Gräfin von Hennegau eine Nachkommin dieser Gespielinnen gottesfürchtig beizuwohnen und ein Huhn an dem sogenannten Hühnerabend abzuliefern hat. Auch sollen dieselben solchen Braut- und Leichenzügen mit ihren Namen bezeichnenden Blumen geschmückt beiwohnen und derlei Blumen zu Füßen des Grabes erhalten, mit der kindlichen Liebesmeinung, diese möchten dort statt ihrer beten, wenn sie selbst nicht anwesend seyn könnten. – Eine jede erstgeborne Tochter meiner Nachkommen nimmt mit ihren mündigen Jahren das Amt der Ordensgeneralin und den Titel: »das arme Kind von Hennegau« an und hat an ihrem Gürtel als Braut und als Leiche acht Bänder von amaranthfarbigem Linnenband befestiget, welche die Ordensgespielinnen anfassen, wenn sie dem Zuge folgen. Sie gehen in dem Grand Cortege dicht hinter den drei Klosterfrauen von Lilienthal. – Sie haben dies Alles zu erfüllen bei Verlust ihrer Rechte.

Diese unsre Erklärung soll bei Braut- und Leichenzügen den Ordensgespielinnen jedesmal vorgelesen werden. – Sodann sind die Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal zu lesen und dieselben aufzurufen, worauf die Ordensgespielinnen oder deren Lehnserben aufgerufen und von ihnen die Pflichthühner abgeliefert werden sollen.

Gegeben in unserm Kabinetchen im Jahr, da man sang:

»Gott grüß dich Mond und Sternenschein,
Entlaubet ist das Fensterlein!«

 
Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal.

Als ich am Tage nach Johanni des Jahres 1318 den drei Fräulein zur Lilien auf Gottes höhere Mahnung und ihr dringendes Bitten das Kloster Lilienthal gründete und ausstattete, wurde dieses Kloster Lilienthal verpflichtet, den Braut- und Leichenzug jeder Gräfin von Hennegau und Lehnshuldinn von Vadutz, welche das Kleinod auf den Schultern trägt, von drei Klosterjungfrauen begleiten zu lassen und auf ewige Zeiten drei weiße Lilien auf meinem Grabe zu erhalten. – Es sind aber diese drei Klosterschwestern bei solcher Gelegenheit mit den Worten aufzurufen:

»Ihr Lilien im Garten
Gedenket der Nacht,
Gedenket der Zarten,
Die bei euch gewacht;
Gedenket der Gnade,
Die auf euch gethaut,
Und duftet am Pfade
Der lieblichen Braut,
Und bittet am Grabe,
In dem sie nun ruht,
Daß Friede sie habe,
Die lieb war und gut.«
 

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