Clemens Brentano
Die Chronika des fahrenden Schülers (Urfassung)
Clemens Brentano

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Ich habe einstens von einem großen Meister gehört, der es in wunderbaren Kunstwerken über den Begriff unkundiger Männer nächst weit hinausgetrieben, daß man ihn nächst für einen Zauberer hielt; der hatte auch von Metall so sinnreiche Spiegel gemacht, daß auch die unsichtbaren Geister darin als liebliche Gestalten erschienen. Wenn in der Ferne geredet oder gesungen ward, so klang es in dem Spiegel weit lieblicher und klarer, ja, und wenn die Sonne hineinschien, ward die Wärme so gewaltig, daß man in ihrem Abstrahl Metall konnte fließen machen. Diesen Spiegel hatte der Meister mit großem Fleiß und in steter Bewunderung der Allmacht Gottes endlich zustande gebracht, nur seine Freunde und Schüler wußten davon, und viel Freude und Andacht hat er mit seinem Kunstwerke unter ihnen erweckt. Da aber die Bürger der Stadt davon hörten, mußte er sein Werk öffentlich ausstellen, und entstand daraus mannichfaltiger Mißbrauch, auch war der Zulauf des Volkes so groß, daß er ein Diener seines eignen Werkes werden mußte. Er mußte immer bei dem Spiegel stehen und den törichten Menschen Antwort geben, welche bald ihre Zukunft in weltlichem Glück oder ihr Geschick in der Liebe in seinem Spiegel sehen wollten; und so entstand viel Sünde durch ihn, indem die Menschen durch den Spiegel von Glauben, Hoffen und Lieben gewendet wurden, ja es entstand schreckliche Ketzerei, da ein teuflischer Zweifler den heiligen Leib Christi figürlich vor dem Spiegel sehen wollte. Der Meister erhielt großen Reichtum und ging endlich in weltlicher Hoffart unter, denn er ergab sich zügelloser Liebe und richtete großes Elend an; denn als die Sonne von Wolken verhüllt war, legte sich sein Kind an der Erde schlafen, und da der Meister nicht zugegen war, stand der Spiegel ohne Herr, die Sonne trat hervor und der Abstrahl des Spiegels traf und tötete das Kind. Da kehrte der Meister zurück und erkannte das Elend, und da er keinen Trost mehr in Gott fand, legte er sich nieder über sein Kind in die Flamme und verbrannte sich das Herz; da traf die Flamme das Haus und verbrannte das Haus und die Stadt.«

»Das ist eine gar nachdenkliche Geschichte«, sprach Herr Veltlin, »aber wie du deine Rede von Pelagia so plötzlich auf den unglücklichen Spiegel gewendet, habe ich nicht recht verstehen mögen; du mußt mit deinen Gedanken nicht also eilen; gedenke, daß ich ein Greis bin und in anderem Leben als du ergrauet; daher sage mir, wie verstehst du das?« Da bat ich meinen Herrn um Verzeihung meiner Schnelligkeit und sprach: »Es ist wunderbar, daß man so lebendig wird in der Betrachtung solcher Menschen, als ihr Pelagia geschildert; es ist, als könne man das Feuer nicht anschauen, ohne zu erröten und zu erwarmen. Ich habe aber das Gleichnis des Spiegels also herbeigeleitet. Da ich gesagt, Otilia, die Braut des Himmels, und Gundelindis, die Braut der Erde, könnten in Pelagiens Schoß sich die Hände reichen, war mir, als müßte ich sie den seligen schönen Bund Himmels und der Erde nennen, welcher das eigentliche höchste menschliche Leben ist. Solche Menschen sehen alles in Gott und Gott in allem; sie sind diejenigen, denen Gottes Ebenbild noch nicht durch die Schuld der Eltern zerstört ist, ihre Seele ist geschaffen gleich einem schaffenden Spiegel der Schöpfung. So wie der geistliche Mensch zum Himmel ringt von der Erde und wie der irdische Mensch den Himmel zur Erde niederruft, also schweben solche Seelen zwischen beiden; in ihnen ist kein Ringen, kein Ruhen, sie sind unschuldige Kinder des Lebens, auf denen Gottes Segen tauet; ihr Blick ist wie das Licht auf alles blickend, nach ihnen schaut Himmel und Erde. Aber das Böse hat ein Ärgernis an ihnen und dringt zu ihrem Sitze, der nicht in Mauern klösterlicher Zucht, noch in dem schützenden Hause des Staates verborgen ist, und so werden sie leicht, gleich den Dichtern und Weltweisen, Beute der Eitelkeit, Schöpfer des Unglücks und gehen unter in den Flammen ihrer Seele, welche dem kunstreichen Spiegel zu vergleichen ist. Darum sollen sie wandeln in Unschuld und Demut und sollen fliehen allen Lohn, weil sie der Lohn des Herrn selber sind.«

»Du meinst also, Johannes, es gebe dreierlei Arten von gottgefälligen Menschen, die geistlichen, welche ihr ganzes Leben schon vor dem Tode bloß dem Herrn aufopfern, und die weltlichen, welche in häuslicher Treue und Zucht ihre Kinder zur Gottesfurcht und Arbeit erziehen, dann aber noch welche, in denen sich beides verbinde, und diesen gesellest du Pelagia zu. Ich muß dir wohl gestehen, daß ich früher solcher Menschen nicht gedacht habe und nun gar wohl begreife, wie sie auf gefährlicher Bahn zwischen Himmel und Erde wandlen, denn sie können leicht straucheln, und sollen sie wohl sich mit ihren Künsten und tiefen Gedanken zu Gott halten, damit sie nicht mächtige Diener der Welt werden.«

Da sprach ich: »Ich kann besser noch sagen, daß es gebe betende, arbeitende und lehrende Menschen, denn lehrend soll sein und ist alle wahre Kunst. Wenn sie gleich oft eine bloße Ergötzung der Sinne scheint, so führt sie doch die geheimeren, wunderbarlicheren Eigenschaften Gottes, der Seele und der Welt vor unser Gemüt, das sie mit mannigfacher Rührung bewegt, von dem alltäglichen befangenen Leben die Augen zu erheben und sich nicht verloren zu geben an die kurze Zeit und ihren Dienst; auch reicht sie der betenden und beschauenden Einfalt, welche sich selbst dem Herrn aufopfert, mannigfache Sprache und Gestalt, seinen kindlichen Willen mit allem, was der unermeßliche Gott dem Menschen Göttliches verliehen, zu verherrlichen; und wenn ich es Euch so recht deutlich machen wollte, möchte ich sagen: Wenn der geistliche Mensch einem Kinde gleicht, das mit heftigem Verlangen seine Händlein zur Sonne erhebt, so ist die Kunst ein Kindlein, welches ihm in das eine Händlein eine brennende Kerze und in das andere eine schöne Lilie gibt, daß es mit Licht und Duft seinem Herrn bildlich näher komme und nicht verzweifle durch seine Armut; und wenn der weltliche Mensch, umringt von Werkzeugen, an den Gebäuden seiner Zeit arbeitet und, geängstet von dem Bedürfnis und ermüdend in der Arbeit, in irdischen Zweifel fällt, so singt ihm die Kunst ein Lied, daß das behaune Holz wieder zu ergrünen scheint und der Schlag der fallenden Axt nur der Takt und Klang erquickender Gesänge scheint. Aus der toten Wand läßt sie das Antlitz des Göttlichen hervorscheinen, sie befestigt die Bilder der Heiligen, der Patrioten und der Freunde auf die tote Leinwand und bezwingt die Zeit und die Ferne, die sie von uns nahm. Sie macht das Heilige und Teure des Lebens ewig, gibt den verborgenen tiefen Geistern der Seele einen scheinbaren Leib, fördert alle Schätze des Geheimnisses in Wort und Gestalt zu Tag; sie übersetzt allen geistlichen Reichtum aller Völker in die allgemeine Sprache der Sinne und gibt dem unaussprechlichen Gefühle die herrliche Tonkunst; sie ist Gottes ewiges unaufhörliches Werde, insoweit es seinem Ebenbild, dem Menschen, verliehen ist. Ach, wie herrlich ist sie schon, wenn sie auch nur eine Sonnenblume dem ist, der den Anblick der Sonne nicht ertragen mag mit kranken Augen.«

Also hatte ich, in dem Laubgang auf und nieder gehend, mit meinem gnädigen Herrn gesprochen, und ging die Sonne bereits unter; da wurden wir still. Das währte nicht lang, da hörten wir gar herrlich auf der Orgel schlagen und mehrere klare Stimmen dazu singen. Herr Veltlin faßte meine Hand und blieb mit mir stehn. O, das war eine herrliche Musik, und sangen sie in abwechselndem Liede fragend und antwortend, und dann fielen wieder die Stimmen zusammen in vereinter Glut. Da wir stillstanden, hatten wir uns gen Abend gekehrt, und der Schein der Sonne gegen das Gewölk gab manche glühende Farbe; auch war es wunderbar zu schauen, dann die Sonne ging hinter dem Münster unter, und stand der hohe durchbrochene Turm schwarz vor uns, und konnte man seinen Abriß von innen und außen vor dem feurigen Himmel erkennen. Und wann die Wolken durcheinander zogen und ihr Glanz sich vermischte zu höherem Purpur, fielen auch oft die klaren Stimmen der Sänger und die runden Tonfluten der Orgel zusammen, und war es, als wenn der Gesang und der Farbenhimmel sich verstanden und zusammenspielten.

»Es hat die Orgel gar schön angefangen«, sagte Herr Veltlin, »auf deine Rede so recht wohltätig.« »Ja, sie hat sagen können, was ich nicht sagen konnte, was ich selbst nicht denken konnte. Ist es doch, als wäre der kunstreiche Turm das Gebäude der Orgel und ziehe der bunte Himmel wie die Töne durch ihn.« Als ich so sprach, präludierte die Orgel ein ander Lied, und Herr Veltlin sagte: »Sieh, jetzt zieht der letzte Lichtstreif am Himmel hin!« Dann hob er an, mit herzlicher Stimme in die Singweise der Orgel einzufallen:

Ich grüß dich, zarte schöne Fraue,
Und biet dir freundlich gute Nacht,
Bis daß der ewge Tag im Taue
Vor deinem Kämmerlein erwacht.

Ein heilger Engel soll zur Seiten
An deinem Bettlein wachend stehn,
Den goldnen Flügel ob dir spreiten
Und schwere Träume von dir wehn.

    Daß sie sanft erwache
    Aus ihres Schlummers Ruh,
    Der Morgenstern, der scheine
    Ihr recht mit Liebe zu.
        Sie schlafe, sie wache,
    Sie stehe, sie gehe,
    Die Fraue meine,
    Oder was sie tu.

Ich grüß vor aller Blüt die Rose,
Die an dem Abendhimmel blüht,
Ihr Herz ergießt sich dir im Schoße,
Wenn sie zur Erde niederglüht.

Ich grüß dich, klarer Abendsterne,
Du brennest auf dem Haupte mein.
Bei ihr, bei ihr so wär ich gerne
In ihrem engen Kämmerlein.

    Daß ein Engel bringe
    Der Zarten meinen Gruß,
    Leis wie im Maienscheine
    Der Honigblumen Kuß.
        Sie bete, sie singe,
    Daß eile die Weile,
    Da ich alleine
    Ohne sie sein muß.

Also sang Veltlin mit bewegter Stimme dies Abendliedlein, und da er aufgehört hatte, sagte er ruhig zu mir: »Gelobt sei Jesus Christus.« Ich sprach: »In Ewigkeit, Amen.« Dann sagte er: »Lasse uns nun hinaufgehn und uns bei den Spielleuten bedanken für die Musik.« Da wunderte ich mich, daß die Orgel im Hause war geschlagen worden, denn es war an dem Münster ein so schönes Echo, daß ich geglaubt hatte, der Gesang sei in der Kirche. Das Liedlein, welches mein Herr sang, war aber ein altes Abendlied, das er noch als ein Junggeselle, da er um seine selige Hausfrau warb, gesungen; er pflegte es jetzt oft an schönen Abenden zu singen als ein Gedächtnis an sie, und weil es eine solche Art hat, daß es leicht als eine ruhige Betrachtung des Todes und eine Sehnsucht des Wiedersehens konnte verstanden werden. Auch muß die selige Frau Herrn Veltlins eine gar tugendsam und schöne Frau gewesen sein, denn sie ist das Fräulein Agnes von Endingen, auf welche das Lied gedichtet worden, das hier in Straßburg noch in vieler Leute Mund:

Eines reinen guten Weibes Angesicht
Und fröhlich Zucht dabei,
Die sind wahrlich gut zu sehn.
Zu guten Weibern hab ich Pflicht

und wie es ferner lautet.

Wir gingen aber in die Buchkammer, worin die kleine Orgel stand, da fanden wir die vier Jungfräulein. Pelagia saß vor der Orgel und spielte; ihr zur Seiten stand Otilia, die ich nicht gleich erkannte, denn sie hatte einen ganzen Nonnenhabit an und wollte sich bereits im Chorsingen üben. Gundelindis aber schwebte munter auf und nieder; indem sie mitsang, trat sie die Bälge. Athala saß allein auf einem niedrigen Schemel und sah mit gestütztem Haupte zur Erde; vor ihr lag ein großes Buch aufgeschlagen mit schönen Bildern, aber sie war ermüdet, hineinzusehen, und die Kerze neben ihr brannte trüb herunter. Herr Veltlin dankte Pelagien, daß sie ein Abendlied angestimmt, und sagte: »Ich habe es gar herzlich mitgesungen.« Da stritten die drei Jungfräulein, welche es zuerst gewollt habe. Gundelindis sagte: »Habe ich nicht gesagt: ›Nun noch des Vaters Abendlied, das will ich noch treten, dann höre ich auf, weil ich schon gar müde bin‹?« Otilie aber sagte: »Du hast früher gesagt, daß du müde seist, und ich bat dich, noch das Abendlied zu vollenden.« Da sprach Pelagia: »Ich spiele es ja alle Abend, wenn der Vater im Garten ist.« Da wendete sich Herr Veltlin zu Athala und sprach: »Guten Abend, Athala; du mußt es wohl am besten wissen, da du stille zugehört; sage, wem verdanke ich das Abendlied?« Die Jungfrau aber fuhr auf als aus schweren Träumen und hatte auf die Rede nicht gemerket. Da sagte Herr Veltlin: »Von dir werde ich es wohl nicht erfahren, denn du hast seit einigen Tagen gar großes Studieren vorgenommen, liest auch, wie ich sehe, in meinen allergrößten Büchern, und wirst bald zu wissen tun, wie die Gräslein wachsen.« Also sprach der Ritter scherzend. Da sprach das traurige Jungfräulein: »Gnädiger Herr, entzieht mir Eure Liebe nicht, meiner Traurigkeit halben! Ach, ich sitze wohl Stunden lang und denke und sinne, um sie zu bekämpfen, aber ich vermag es nicht, und wenn ich mich besinne, so bin ich immer nur traurig gewesen, wenn ich geglaubt, mich zu trösten.« Da sprach Herr Veltlin: »Du willst deine Traurigkeit mit Betrübnis bekämpfen, das geht wohl an; denn man kann wohl mit Tapferkeit einen Tapfern besiegen und mit manchem Schritt legt man eine Reise zurück, aber wer der Sieger sein soll, muß mächtiger sein als der Gegner; drum sei traurig über das Leiden des Herrn, dann wird deine irdische Trauer zerrinnen. Aber laß sehen das Bild, das du betrachtet hast und das dich nicht trösten konnte.« Da legte er das Buch auf den Tisch, und wir traten alle um ihn; Otilie aber ging ruhig nach ihrer Kammer, ihr Nonnengewand wieder abzulegen. Das Bild aber stellte drei Jungfrauen vor, die auf offner See mit verschlungnen Armen in einem Schiffe saßen, das eben untergehen wollte; vom Lande aber fuhren drei andere Jungfrauen auf sie zu. Da baten auch die Mägdlein, daß ich ihnen die Schrift lesen möchte. Herr Veltlin setzte sich nieder, und da Otilia zurückgekehrt war, setzte sie sich auch zu den andern Jungfrauen, und sagte Herr Veltlin: »Nun, Athala, achte fein auf die Geschichte und werde guten Muts.« Da las ich also, wie ich es geschrieben fand:


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