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Das fremde Zimmer

Als sie aus dem »Astoria« kamen und rasch über den Damm zur Taxihaltestelle gingen, wurde Frieda einen Augenblick nüchtern und sie dachte: O Gott, wenn Fritz gerade in dem Taxi sitzt. Sie versteckte sich hinter dem Rücken Kurts, aber es nützte ihr nicht viel, weil Kurt immer so seltsam hin und her schlenderte. Der Chauffeur war ein alter Mann mit einem buschigen Schnurrbart. Frieda lachte ihn an. Dann stieg sie ein.

Es war unerhört heiß und schwül. Man schien zu zerfließen, und diese Nacht war die letzte Nacht, und jeder lebte nur einmal. Rasch fuhr das Auto, sie glitten unerkannt durch eine dicke Dunkelheit. Allein, allein ...

Reinhard hielt den Abrechnungszettel des Kellners in der rechten Hand, aber obwohl er viel weniger getrunken hatte als Frieda, verschwammen die Zahlen vor seinen Augen und er wußte nur so viel, daß die Schlußsumme beängstigend hoch war.

Frieda fächelte sich Luft zu und knöpfte sachte und behutsam die leichte Bluse auf, so daß ihre prallen Brüstchen weiß und keck abstanden. Er fuhr sofort mit seiner linken Hand hinein, die rechte Hand faßte ihren Rücken und sein Mund tastete über ihren Hals. Der Abrechnungszettel des »Astoria« segelte zu Boden. Ein Schauer rieselte über ihre Haut, sie faßte seinen Kopf und preßte ihn fest in die Mulde zwischen den heißen Brüsten. Sie schloß ihre Augen.

So saßen sie einen langen Augenblick in dem schwankenden Gefährt. Der intensive Geruch ihres Körpers vernebelte ihm angenehm sein Bewußtsein, nach gesundem Schweiß roch sie, nach jungem Fleisch und wildem Temperament. Als das Taxi um die Ecke bog, fiel der breite weiße Lichtschein einer Straßenlaterne in den Wagen. Sie rückte hoch und stieß seinen Kopf weg. Dann knöpfte sie ihre Bluse wieder zu und küßte ihn leicht und zart auf den Mund. Er starrte sie an. Sie lehnte sich tief zurück und hatte große, schwimmende Augen. Er fühlte seine Überlegenheit und sagte nichts. Beinahe vergaß er, warum er sie mitgenommen hatte.

Der Chauffeur würde zehn Häuser vorher halten, er hatte ihm eine falsche Nummer angegeben. Alles ging seinen Lauf. Heute du, morgen ich ...

Er nahm seine Zigarettenschachtel heraus, aber dann steckte er sie wieder ein. Verrauchte Münder schmecken nicht gut. Sie fuhren das letzte Stück ganz still. Draußen war wenig Verkehr. Er sah sie wieder an. Sie hatte ihre Handtasche auf dem Schoß liegen.

Das Taxi hielt mit einem harten Ruck. Während Kurt bezahlte, lief sie schon in den Hausflur.

»Nein, komm«, sagte er, »noch ein paar Schritte ...«

Er faßte sie am Arm. Sie drängte sich eng an ihn. Ob sie betrunken ist? dachte er. Aber er wußte selbst nicht mehr genau, wieviel er getrunken hatte, obwohl er sich noch ganz genau kontrollieren konnte.

»Du mußt leise die Treppe hinaufgehen«, sagte er. Er knipste den Dreiminutenbrenner nicht an. Halb trug er sie durch den dunklen Flur. Sie hielt ihn fest umklammert, und er spürte ihren heißen Atem im Gesicht. Dann schloß er die Tür auf, ging durch den Vorsaal und machte in seinem Zimmer Licht. Bei seinen Wirtsleuten war alles dunkel.

»Oh«, sagte sie aus einem nicht ganz ersichtlichen Grunde, und schlug die Hände zusammen. Benimm dich nicht so kindisch, dachte er und trat von hinten an sie heran, um ihr die Bluse aufzuknöpfen.

»Nein, laß das!« sagte sie heftig und entwand sich ihm.

»Das mache ich allein.« Er stand verblüfft da, mit offenem Munde, dann zuckte er die Achseln und ging an den Spiegel, um sich den Schlips aufzubinden.

Kurt Reinhards Wohnung gehörte zu der Gattung der »besser möblierten«. Braune Täflung, braune, pittoresk verschnörkelte Möbel, das Bett in einem kleinen Separatraum, der innerhalb des Zimmers durch einen grünseidenen, chinesisch-imitierten Vorhang geschaffen worden war, ein weinrot gefärbtes Sofa mit Blumenmustern und Troddeln, darüber kleine Konsolen, Familienbilder auf verschossener Tapete.

Frieda entdeckte das Bett und schlüpfte hinter den Vorhang. Er hörte, wie sie sich auszog. Ihre Handtasche hatte sie mitgenommen.

Er öffnete vorsichtig die Zimmertür und lauschte in den dunklen Gang. Alles war still. Dann stellte er seine Schuhe vor die Tür, schloß sie und riegelte ab. Er hörte heftigen Donner. Rasch und leise ging er durch das Zimmer, schob den Vorhang zur Seite und umfaßte sie. Sie hatte nichts an als ihr Hemdhöschen, der Träger auf der linken Achsel war herabgerutscht und ihr weißer Rücken schimmerte aus der Dunkelheit hervor. Sie schrie leise wie ein gefangenes Tier, als er sie auf das Bett warf. Eine Weile lagen sie Mund an Mund. Eintönig tickte eine Uhr. Ihr Atem ging hastig und laut, und er spürte den warmen Geruch in seinem Gesicht, der mit einem schalen Bierdunst vermischt war.

»Zieh dich aus«, sagte sie leise und strich ihm durch das Haar.

Er richtete sich auf und sah sich um. Ihre Kleider lagen auf dem Stuhl, sauber und ordentlich. Darunter mußte die Tasche liegen. Langsam stand er auf. Sie drehte sich um und drückte ihr Gesicht in die Kissen. Er holte die Tasche hervor, sah wieder zu ihr hin, aber sie rührte sich nicht. Da ging er aus dem Verschlag heraus und in das Zimmer zurück, wo das Licht noch brannte.

Eine ganz gewöhnliche Tasche, altmodisch, mit Perlen bestickt. Er mußte eine Weile am Schloß herumwürgen, ehe es aufging. Sein Herz schlug heftig, und er lauschte nach dem Bett, ob etwas zu hören war.

Ein Taschentuch, ein Kamm, Schlüssel, ein Geldtäschchen, aber keine Zeitung. Nur ein Zettel mit ein paar Namen. Er kannte die Namen nicht.

Sollte er den Zettel einstecken?

Aber auf einmal war das Zimmer taghell erleuchtet, blauviolett dann, und am Fenster schienen Funken zu sprühen. Keine Sekunde später knallte der Schlag herunter, mit furchtbarer Gewalt, und die Nippesfiguren begannen heftig zu wackeln.

»Das hat eingeschlagen«, sagte er, und seine Knie waren ganz weich geworden. Er warf den Zettel in die Tasche und drückte das Schloß zu.

»Oh, wie furchtbar«, hörte er ihre ängstliche Stimme, »komm zu mir ... oh ... komm zu mir ...«

Er zog sich rasch aus und löschte das Licht.


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