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Die Buchhandlung

»Und außerdem, mein lieber Junge, kann ich dir auch noch was anderes erzählen ...« Fritz Brösicke nahm eine Zigarette vom Tisch, er lag auf dem Bett und hatte nur die Hosen an.

»... etwas ganz Besonderes. Ich habe sie nämlich gesehen, wie sie heute früh am Bahnhof ein Taxi suchten. Und weißt du, was da deine Flamme gesagt hat? Sie hat gesagt, aber halte dich bitte fest, sie hat gesagt, sie würde sich heute abend zwohundert Emm verdienen, und da könnte sie sich auch das Taxi leisten.«

Das Fenster stand weit offen, und über den Häusern der Stadt lag mittäglicher Rauch. Ein Zug fuhr vorbei, und das Haus zitterte.

»... übrigens ist sie ganz hübsch. Ich kann dich schon verstehen. Bloß deine Chancen, die sind Null Komma Null. So ein Mädchen kostet Geld. Viel Geld. Wenn du das hast, genügt es. Dann ist alles in Ordnung. Dann kannst du ihretwegen aussehen wie der leibhaftige Gottseibeiuns.«

Ganz nahe am Fenster schoß ein Vogel vorbei. Ob es wohl eine Schwalbe war? Das war so ein Gedanke, der ihm manchmal kam, ganz sinnlos. Schwalben und Lerchen und silberne Luft über gepflügten, fetten Feldern, ein dicker, dunkler Strich am Horizont, Wälder, Teiche zum Baden, Teiche mit klarem Sand, einsame Tümpel mit Schilf und kleinen Fischen am Grund, die man mit den Händen greifen kann, heimkehrende Bauernwagen auf den abendlichen Feldwegen, Glocken weither und aufdämmernde Nachtwolken, entferntes Hundegebell, Lichter über dem nebelrauchigen Land, Zirpen, Wind, dunkle Geräusche im Korn, Sterne am Himmel, der Mond, einsam, allein, ein Tier springt über den Weg, verschwindet, die Feuchtigkeit quillt aus dem Boden, warmer Nachtwind, Ackergeruch ...

»Ich werde das Mädchen selbst fragen.«

»Haha. Du fliegst raus. Die lassen sich doch von dir nicht auf den Arm nehmen.«

»Na gut. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.«

»Und was nützt dir das?«

»Vielleicht mehr als du denkst.«

»Was willst du eigentlich von dem Mädel?«

Er zuckte die Achseln. Mitten in der Stube stand er und sah zum Fenster hinaus.

»Na und was meinst du wohl, wenn sie dir ins Gesicht sagt, daß sie heute abend im Stadthotel tanzt und so ...?«

»Was kann so ein kleines Mädchen schon dafür?«

Brösicke drehte sich um und warf den Zigarettenstummel auf den Boden.

»Verflucht. Frieda hat doch recht. Du bist vom Kino verdorben. Du siehst dir zu viel Kitschfilme an, mein Junge ...«

»Hat gar nischt damit zu tun. Ist doch kein Verbrechen, wenn ein Mädchen zur Revue geht.«

»Zur Revue? Haha. Da mußt du mich schon kitzeln, wenn ich lachen soll. Ich könnte dir ja was Handgreifliches sagen. Aber bitte, gucke dir bloß das Plakat an. Sie läßt sich verschenken. Für zwohundert Mark pro Abend, alles in allem ein ganz guter Preis ...«

»Woher weißt du denn, daß sie es gerade tut?« brüllte Emanuel.

»Na also gut, dann tut sie es nicht. Sie wird wahrscheinlich Programme verkaufen. Alles für zwohundert Mark.«

Emanuel stand auf.

»Ich werde sie selbst fragen.«

»Tue das, mein Junge. Renne dir die Hörner ein. Es wird auch bald Zeit.« Er drehte sich um und schloß die Augen, hundemüde war er. Mitten im Schlaf hatte ihn Emanuel gestört.

Auf einmal fuhr er wieder herum, als er etwas hinter sich hörte und schnauzte:

»Was machst du denn da?«

Alles blieb still, und dann lachte Fritz. Er beobachtete seinen Freund, ohne etwas zu sagen. Emanuel band sich nämlich Kragen und Schlips um. Er bürstete seine alten Klamotten ab, feuchtete das Haar an, kämmte es sorgfältig. Er wußte auf einmal ganz fest und sicher, daß er zu diesem kleinen Mädchen namens Susie Schmitz gehen mußte, die ein so hübsches, kluges Gesicht und helle Augen hatte und angeblich, wie viele Leute behaupteten, sich für Geld verkaufen sollte an diesem Abend. Er, Emanuel Roßhaupt, ein Junge mit rotem Haar und vielen Sommersprossen, mit nicht ganz tadellosem Benehmen, ein Junge ohne Arbeit, aber mit einem guten Gemüt – für das er sich nichts kaufen konnte, nicht einmal ein warmes Essen –, er wollte zu ihr hingehen und ihr sagen: Was tust du da? Tue es nicht. Warum? Weil ich dich liebe.

Fritz Brösicke beugte sich noch einmal aus dem Bett.

»Heh, schneide dir noch 'ne Schnitte Brot runter. Siehst ja ganz käsig aus ... So, aber richtig Butter drauf ... Laß dirs schmecken ...«

»Mahlzeit«, sagte Emanuel, als er fertig war, und ging hinaus.

»Halt, hallo!« rief Fritz hinter ihm her, »du hast was vergessen!«

»Was denn?«

»Die drei Mark von den Mädchen.«

Emanuel drehte sich um und ging an den Tisch, auf dem ein neues, schönes Dreimarkstück lag.

»Ich hab doch bloß zwei Mark dreißig ausgelegt«, sagte er.

»Deine Sorgen! Mir hat die Große drei Mark gebracht. Aber nun hau ab, ich will schlafen.«

Emanuel nahm das Geldstück in die rechte Hand, streckte sie flach aus und wippte die Münze ein paarmal nachdenklich in die Luft. Dann nickte er mit dem Kopf von links nach rechts und steckte das Geld in seine Jackentasche.

Die Tür plauzte hinter ihm zu.

Langsam stieg er die Treppen hinunter, bog unten durch den Torweg ab und ging auf die Straße hinaus. Er sah sich nicht einmal nach dem Hinterhaus um. Er lief rasch am Bahndamm entlang. Die Böschung war durch einen Bretterzaun von der Straße abgetrennt. Das erwärmte Holz des Zaunes strömte einen eigenartig harzigen Geruch aus, der das Atmen schwer und ungemütlich machte. Emanuel zählte die Bretter, aber er kam nicht richtig mit, weil er schneller ausschritt, als er zählen konnte. Hinter der ersten Unterführung begann Drahtgitter.

Sie kann es nicht tun, sie wird es nicht tun, dachte er. Ich muß es ihr sagen. Es lohnt sich nicht, deswegen zu leben und Geld zu verdienen. Heute siehst du noch wie ein Kind aus, gesund und unberührt, und dann kommt einer, so einer ...

Er drehte sich um und paßte scharf auf. Auf der Straße war ein lebhafter Autoverkehr, er kam tiefer in das Zentrum der Stadt hinein. Dort fuhr ein eleganter Wagen, blaues Cabriolet mit langgestrecktem Motor, ja, da fahren sie hin, und da sind ihre Firmenschilder, und dort rauchen ihre Essen, und hier stehen wir und haben nichts als unsere Fäuste und werden verprügelt, wenn wir unsere magere Unterstützung holen, und werden schikaniert von den Beamten, und keiner gibt uns Arbeit, und niemand schützt uns.

Wir müssen uns selbst schützen. Wir müssen uns selber helfen.

Du gehörst zu uns, Susie, du gehörst zu uns.

Er preßte das Dreimarkstück fest in der Hand, dann öffnete er sie und wippte das Geldstück in die Luft.

In der gleichen Richtung, in der Emanuel ging, kam ein Schnellzug über den Damm, keuchend und pfeifend. Die Maschine spuckte dicken, fettigen Rauch aus, der nicht hochsteigen konnte und von der Hitze auf die Straße hinuntergeschlagen wurde. Emanuel hatte das unangenehme Gefühl, im Gesicht schmutzig geworden zu sein und auch sein neuer weißer Kragen schien etwas abbekommen zu haben. Er verließ die Bahndammchaussee und ging in die Geschäftsstraße hinein. Nach einer Weile fand er die Buchhandlung wieder.

Er blieb vor dem großen Schaufenster stehen und sah sich die Auslage an. Auf einer stufenförmig nach oben ansteigenden Dekoration lagen sehr viele Bücher und in der Mitte stand ein wunderschöner, bunter Feldblumenstrauß. Emanuel betrachtete diese Fülle mit etwas Wehmut. Früher, als er noch nicht stempeln ging, war er in der Städtischen Volksbücherei abonniert gewesen und hatte sich wöchentlich regelmäßig sein Buch geholt. Auch in der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit konnte er die Leihkarte noch bezahlen. Dann fehlte eines Tages, als der Betrag fällig war, das Geld, er mußte sich abmelden – »nur auf ein paar Tage«, sagte er sich – aber dann kamen immer wichtigere Dinge, Essen, Kleider, Miete, und er konnte sich nicht wieder in der Bibliothek anmelden, trotzdem für Arbeitslose eine besondere ermäßigte Gebühr festgesetzt worden war. Er las sehr gern, aber die Bücher und Hefte, die manchmal auf dem Arbeitsamt von Hand zu Hand gingen, die machten ihm nicht viel Spaß. Richtige Detektivgeschichten gefielen ihm und die Abenteuerbücher von Jack London, Bret Harte, Kapitän Marryat, alles von Karl May, dazu Reiseerzählungen, Berichte aus fernen Ländern und alles, was mit seinem Beruf zusammenhing. Frieda brachte manchmal politische Broschüren mit.

Er starrte wieder auf das rosa Buch. »Die Hoffnungen der jungen Mädchen«. Was mochten das wohl für Hoffnungen sein? Am besten wäre ein Buch für Susie, wo sie etwas daraus lernen kann. Sie muß lernen, wie es nicht zu machen ist im Leben, und sie muß lernen, sich vor den Männern mit dem vielen Geld zu hüten und daß ein Automechaniker ein netter Kerl sein kann. Gab es so ein Buch überhaupt? Unter diesen vielen Büchern müßte eigentlich auch so eins sein, denn das war ein wichtiges und wertvolles Buch. Aber wer würde ihm darüber Auskunft geben?

Unschlüssig betrachtete er die Romane und die Lehrbücher und Magazine, die in dem Schaufenster lagen, und dabei hatte er immer das Dreimarkstück in der rechten Hand, und die Innenfläche der Hand fühlte sich schon klebrig an. Die Auslage war durch einen blauen Stoffvorhang vom Laden abgeschlossen, und dieser Vorhang wurde auf einmal zur Seite geschoben. Ein junger Mann mit einem völlig weißblonden Haarschopf und einer sehr geraden ausdrucksvollen Nase sah sich die Bücher an und nahm vorsichtig eins heraus. Emanuel starrte den jungen Verkäufer so heftig an, bis dieser es bemerkte und zu Emanuel hinsah, ehe er den Vorhang wieder herunterfallen ließ. Aber sein Gesicht veränderte sich dabei nicht im geringsten. Ihn könnte ich fragen, dachte Emanuel, vielleicht weiß er Bescheid.

Aber weil er seiner Sache nicht ganz sicher war und sich ein wenig schämte, blieb er schließlich doch draußen vor dem Fenster stehen.

Rechts von Emanuel stützte sich ein alter Mann auf einen Knotenstock und nuschelte vor sich hin. Als der junge Arbeitslose ihn ansah, drehte der Mann seinen Kopf zu Emanuel hin und wackelte mit dem Munde. Er hatte wäßrige blaue Augen und Emanuel kam es so vor, als habe der Alte erst kürzlich ein paar Schnäpse hinter die Binde gekippt.

»Gibts hier auch Bibeln?« fragte der Alte.

»Nee, da müssen Sie in eine evangelische Buchhandlung gehen.«

»In was für eine?«

Emanuel bereute, daß er sich in dieses nutzlose Gespräch eingelassen hatte.

»In eine evangelische Buchhandlung«, sagte er.

»Gibts denn das?«

Emanuel gab keine Antwort. Nach einer kleinen Pause fing der Alte wieder an. Er zeigte auf ein Buch, auf dessen Umschlag der Duce, die Hand zum Faschistengruß erhoben, abgebildet war.

»Ist das Mussolini?«

»Ja.«

»Will der schlagen?«

»Nein.«

Zuerst schien der Alte über diese Antwort verstimmt, aber dann faßte er Emanuel plötzlich am Arm und sagte eifrig zu ihm: »Sie, wissen Sie, wir bekommen bestimmt das Heilige Römische Reich wieder ...«

Emanuel wollte »Idiot« sagen, aber er dachte sich: Wozu? Er schüttelte nur die Hand des Alten ab, drehte sich um und ging in den Laden hinein.

Ein junges Mädchen kam auf ihn zu und sagte: »Sie wünschen?«

»Kann ich von diesem Herrn da bedient werden?« antwortete Emanuel leise und zeigte auf den weißblonden jungen Verkäufer, der gerade mit einem Kunden sprach.

Das junge Mädchen nickte hochmütig und ging weg. Sie hatte schwarze Flechten und einen schmalen goldenen Reif im Haar.

Teppiche und Läufer bedeckten den Fußboden, alle sprachen leise, nur ganz ferne hämmerte eine Schreibmaschine, hinter irgendeiner Tür. Emanuel wurde es beklommen zumute zwischen den vielen Büchern und der vornehmen Bedienung. Er bereute schon, den Laden betreten zu haben. Die einzige Sicherheit gewährte ihm das Dreimarkstück in der rechten Hand. Überall standen Regale mit Büchern, nur ganz links an der Tür befand sich die Kasse und da – da hing wieder das Plakat. Es verfolgte ihn überallhin:

Das verschenkete Girl

Vorverkauf hier

Unverwandt starrte er hin und eine ohnmächtige Wut überwältigte ihn.

»Sie wünschen bitte?«

Der junge Verkäufer stand vor ihm.

Emanuel schrak zusammen, er mußte sich erst wieder zurechtfinden, und dann begann er zu stottern.

»Ich wollte ein Buch.«

»Was darf es sein?«

»...«

»In welcher Preislage, wenn ich fragen darf?«

»Haben Sie Bücher für drei Mark?«

»Sicher. Sollte es ein Geschenk sein oder für Sie persönlich?«

Das ganze Gespräch kam Emanuel so komisch vor, und doch blieb der Verkäufer völlig ernst dabei.

»Kann ich vielleicht ein Buch aus dem Fenster sehen?«

»Aber gern. Welches soll es denn sein?«

»Die Hoffnungen der jungen Mädchen.«

»Aha«, sagte der Verkäufer. Dieses »Aha« klang wie: Wir wissen Bescheid, mein Lieber. Er nahm das Buch vom Ladentisch. Dort lag noch ein großer Stoß.

Emanuel blätterte darin, ohne etwas lesen zu können.

»Ist das Buch etwas für ein junges Mädchen?« fragte er.

Der Verkäufer schwieg einen Augenblick und sah Emanuel erstaunt an. Er schien ihn erst jetzt richtig zu bemerken und auch, was für einen gewöhnlichen Anzug dieser seltsame Käufer trug. Aber seine Stimme und sein Benehmen blieben durchaus höflich.

»Was für ein Mädchen? Ein sehr junges?«

»Oh, ein ganz einfaches, nettes junges Mädchen. Ich möchte ihr aber nur etwas Gutes schenken, wo sie etwas lernen kann.«

Der Verkäufer lachte, und Emanuel lachte auch.

»Dann ist das nicht das Richtige«, sagte der Verkäufer und nahm das rosarote Buch weg, um es wieder auf den Stoß zu legen.

»Ich habe den Knulp einmal sehr gerne gelesen«, sagte Emanuel, und er war stolz, von seinen Bücherkenntnissen erzählen zu können, »aber das ist mehr für junge Männer. Wenn Sie so etwas für ein Mädchen hätten!«

Der Verkäufer lächelte wieder und sagte: »Wir werden schon etwas finden.«

Darauf ging er nach hinten, wo die Regale in dichten Reihen standen.

»Und nicht teurer als drei Mark!« rief Emanuel ihm nach. Er hatte auf einmal ein grenzenloses Zutrauen zu dem freundlichen Verkäufer, der würde ihm schon das Richtige bringen. Und dann läuft er schnell nach Hause und geht durch das Vorderhaus in den Hof, steigt die Treppen empor bis zum zweiten Stockwerk, wo an einer dunklen Tür zwei Visitenkarten hängen: Gerda Sponholtz. Susie Schmitz. Guten Tag, wird er sagen, ich bin auf dem Bahnhof gewesen, aber der Koffer war leider schon abgeholt. Haben Sie ihn geholt? Warum? Dachten Sie, ich würde es nicht ordentlich erledigen? Oh, ich habe mich nur verspätet, weil ich vorher auf dem Arbeitsamt war, um meinen Stempel zu holen, und auf dem Arbeitsamt war etwas los. Aber das gehört nicht hierher. Haben Sie sich ausschlafen können? Sie müssen doch heute abend arbeiten, im Stadthotel, nicht wahr? Habe ich recht? So wird er sprechen, ganz ruhig und ganz gleichmütig, wie man sich mit solchen jungen Mädchen unterhält. Ich habe das Plakat gesehen, ja, das Plakat vom verschenkten Girl. Das Mädchen weiß vielleicht gar nicht, was man von ihr verlangt, es ist eine tolle Sache. Kennen Sie das Mädchen vielleicht? Man müßte mit ihr sprechen ...

»Wollen Sie sich bitte einmal dieses Buch ansehen?« Der junge Verkäufer drückte ihm lächelnd einen Band in die Hand. »Ich glaube, es wäre das Richtige für ein nettes junges Mädchen.« Er betonte das Wörtchen »nett«. Emanuel las die Aufschrift: Selma Lagerlöf, Gösta Berling. Den Namen kannte er, aber er hatte das Buch noch nicht gelesen.

»Es ist zwar nur ein Pappband, alte Ausgabe, verstehen Sie, aber dafür lassen wir es Ihnen auch ausnahmsweise für zwei Mark fünfzig. Es ist etwas aus unseren Restbeständen.«

»Ja?« sagte Emanuel, »und das Buch ist gut?«

»Es ist sehr gut. Das Mädchen wird sich darüber freuen.«

»Schön, dann packen Sie es mir bitte ein.« Emanuel schob das Buch weg, ohne noch einmal hinzusehen. Er wollte hinaus und fort zu ihr, quer durch das Stadtviertel, an den Straßenbahnen und Omnibussen und Autos vorbei, an Fernzügen und Vorortbahnen vorüber, über die Schächte der Untergrundbahnen, über die Kanäle und Röhren der Fernleitungen, durch Straßen und Straßen und Straßen in ein schmutziges gewöhnliches Mietshaus, wo sie sich ausruhte und wartete, auf den Abend und auf die Arbeit wartete, auf eine zweifelhafte Arbeit. Da kamen schon die Herren und kauften sich Karten für den Sommerball im Stadthotel, fünf Mark pro Stück und Chance, ein Broadway-Girl zu gewinnen, kostenlos dazu. Er, Emanuel Roßhaupt, ein nicht besonders hübscher stellenloser Chauffeur, würde ihnen diese Chance aus der Hand schlagen.

»Viel Glück bei dem kleinen netten Mädchen«, sagte der Verkäufer freundlich, als Emanuel hinausging. Sie lachten, sie verstanden sich. Es war ein guter Tag. Fünfzig Pfennig hatte er zurückbekommen, er setzte sich in die nächste Straßenbahn und fuhr nach Hause.

Als er durch das kühle dunkle Treppenhaus lief, dachte er an nichts mehr. Fest krampfte sich seine rechte Hand um das Buch. Keuchend blieb er vor der Tür im zweiten Stock stehen und klopfte.

Nichts rührte sich.

Er klopfte noch einmal, heftiger.

Alles blieb still.

Er rannte in das Vorderhaus, lief nach oben, schloß die Tür auf. Fritz Brösicke fuhr aus dem tiefsten Schlaf auf.

»Mensch, was fällt dir ein, mich noch einmal zu wecken?«

»Die Mädchen sind weg.« Der Schweiß lief über sein blasses Gesicht, und die Knie zitterten.

»Laß sie dir einpökeln!« schrie Fritz und drehte sich nach der Wand um.

»Sag mir doch, wo sie sind?«

»Woher soll ich denn das wissen, du hirnverbrannter Trottel. Du machst dich doch bloß lächerlich!« Er drehte sich um, richtete sich auf und sah Emanuel an. Der Junge war übergeschnappt.

»Warum zitterst du denn so?«

»Ich ...?«

»Hast du Hunger?«

»Nein. Sag mir bloß, wo sind die Mädchen hin?«

Fritz atmete tief, dann dachte er: Na, renne ruhig in dein Unglück, ich kann nichts mehr machen, schade um dich, eigentlich bist du ein patenter Kerl. Und laut sagte er: »Wenn deine holden Schönheiten nicht drüben sind, werden sie wohl schon auf der Probe sein. Ab dafür! Aber ich bitte dich um den einen Gefallen: störe mich nicht mehr im Schlafe!«

»Schön, sage mir bloß noch eins: wo ist die Probe?«

»Himmelherrgottdonnerwetter, woher soll ich denn das wissen?«

»Also gut, Tschüs.« Emanuel ging fort, und Fritz schlief gleich wieder ein, denn er war sehr müde, und die Hitze lastete dumpf auf der Stadt.

Emanuel aber lief zu dem nächsten Telephonautomaten, rief das Stadthotel an und erkundigte sich, wo man die Broadway-Girls erreichen könnte, es sei sehr wichtig. Nach einer geraumen Zeit erhielt er die Auskunft, sie könnten keine genauen Angaben machen, aber die Proben der Tanztruppe fänden regelmäßig im Café Hollander statt.

»Danke schön«, sagte Emanuel und hängte ab.

Dann wartete er noch ein paar Minuten erschöpft im Telephonautomaten, bis das jagende Herzklopfen vorübergegangen war.


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