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Lola Montez

Die Frage nach der Abenteurerin erhebt sich um so dringender, je länger wir sie hinausschieben. Das ist der zwingende Grund, weshalb die erste, mit der wir hier zu tun haben, Lola Montez, den Platz gleich hinter Mohammed einnimmt; schwerwiegender noch als diese merkwürdige Zusammenstellung ist das Versäumnis, das wir uns haben zu Schulden kommen lassen. Von Anfang an hat sich bei unseren Untersuchungen ein Mangel schmerzhaft fühlbar gemacht, dem nachzuspüren ich allzu lange gezögert habe: Auf unserer Fahrt hat uns bisher nur ein Licht geleuchtet, wir gingen von der irrigen Voraussetzung aus, daß die Menschheit eingeschlechtlich und nicht unheilbar bisexuell sei. Die Kräfte, denen unser Interesse galt, waren samt und sonders männlich; das Weib war ihnen lediglich Wegweiser, Motiv, Beute, Katastrophe. Mag es daher der Anstand auch verlangen, daß wir einen größeren Raum zwischen dem ehrwürdigen Propheten, der den Begriff der Houri erfand, und einem Frauenzimmerchen lassen, dem gegenüber selbst Becky Sharp den Kürzeren gezogen hätte, wir haben schon allzu lange gezögert.

Jetzt aber sitzen sie Seite an Seite am gleichen Tisch oder vor der nämlichen Gerichtsschranke, und siehe da – sie passen nicht schlecht zu einander, Lola – und dieser Seher, der »vor allem die Weiber liebte«, dieser Lautsprecher, der im Namen der Menschheit Gott um »glatte, schwarzäugige Jungfrauen passenden Alters – mit schwellenden Brüsten – auf prächtigen weichen Teppichen – –« bat und im Anschluß daran sich eindeutig verbürgte, daß eine solche Gabe vollauf für sämtliche Leiden entschädige, die der Allmächtige in seiner Unerforschlichkeit uns allen auferlegt. Lola besaß sechsundzwanzig der siebenundzwanzig Reize, die der wollüstige Maure von der vollendeten Schönheit fordert. Drei von ihnen sind weiß: die Haut, die Zähne und die Hände. Drei rot: die Lippen, die Wangen und die Nägel. Drei lang: der Körper, das Haar und die Hände. Drei kurz: die Ohren, die Zähne und das Kinn. Drei breit: die Brust, die Stirn und der Abstand zwischen den Augen. Drei schlank: die Taille, die Hände und die Füße. Drei dünn: die Finger, die Fesseln und die Nasenlöcher. Drei rundlich: die Lippen, die Arme und die Hüften.

Aber wenn auch eine so nahe Berührung dem Propheten sicherlich nicht mißfallen hätte, bei der Kurtisane müssen wir mit einem ganz anderen Verhalten rechnen: einem Verhalten, das ihre Rolle als Abenteurerin, die sie bis zu Ende durchspielte, wesentlich und ausschlaggebend bestimmt. In der Regel sind die Beziehungen des Abenteurers zum Weibe nicht anders, als die der Mehrzahl aller Männer; es verkörpert für ihn die Jagd nach Begierde, die sich je nach seinem Temperament als ein Heranpirschen an die zu verschlingende Beute oder als ein Fahnden nach einer Seltenheit – einer Orchidee oder einem Edelstein, den er rauben und lieben wird – gestaltet. Jedoch hat dieser Trieb, wie wir bereits gesehen haben, nichts mit der Definition des Abenteurers zu tun. Zwei von den vieren, die wir bisher kennenlernten, Alexander und Columbus, an sich treffende Beispiele ihrer Art, vollendeten ihre Bahn frei von der scheinbaren Schwerkraft der Erotik, ohne daß ihre Unternehmen deshalb litten. In dem Naturgesetz des Abenteuers nimmt die Liebe – zum mindesten im Leben der männlichen Adepten – keinen größeren Platz ein, als Gold oder Ruhm; alle drei erscheinen als lockende, glitzernde Sternbilder an seinem Horizont.

Die Abenteurerin dagegen kennt nur Liebe oder Haß – die ausschließlichen polaren Kräfte, die sie bewegen. Ihr Abenteuer ist der Mann; sie kommt als Kurtisane, nicht als Goldsucherin oder Forschungsreisende auf die Welt. Ihr Abenteuer ist gleichsam eine Flucht, die sich unausweichlich zu einem fortlaufenden Kampf mit der gesetzlich sanktionierten Ehe entwickelt. Diesen Kampf führt sie mit der stärksten und beweglichsten Einheit der Gesellschaft, mit der geschlossenen Reihe jener, die sich auf Moral, Gesetz, Interessen, Eifersucht, Eitelkeit und Furcht stützen. Sie muß die Verteidigungstaktik der Häsin und den Gegensprung der Tigerin lernen. Jedes Abenteuer steht außerhalb des Gesetzes; der Abenteurerin sind selbst die männlichen Abenteurer feind. Das Wagnis ist den Frauen abhold. So kommt es, daß sie kraft dieser Aussichtslosigkeit ihrer Unternehmen sich Seite an Seite mit den kühnsten und blendendsten Hasardeuren sehen lassen können; sie gleichen einem Häuflein Todgeweihter neben einem zu schneidigem Angriff vorgehenden Kavallerieregiment; die geringe Ausdehnung des Kampffeldes vermag die Größe ihres Heldenmuts nicht zu verdunkeln. Das Abenteuer der Lola Montez hat nur rein materiell andere Maße als das unserer übrigen Studien; mag der Leser selbst weitere Vergleiche ziehen.

Sie wurde 1818 in jener zweifelhaften Gesellschaftsschicht geboren, in welcher der Mensch, um zu überdauern, vor allem konzentrierte Einbildungskraft und ein starkes unkritisches Talent braucht. Ihr Vater war Leutnant in einem Linienregiment; er hatte von der Pike auf gedient, das heißt, er war ein Aristokrat von Gesellschafts Gnaden ohne Ahnen und Vermögen – und die Gesellschaft behandelte ihn nur selten gnädig –, ein Knappe, der, plötzlich zum fahrenden Ritter geschlagen, in einer elenden Garnisonstadt in dem engen Raum zwischen Exerzierplatz und Familienquartier von den Einkünften eines Kuraten und in einer Atmosphäre, beschränkter noch als die priesterliche, leben und denken mußte. Gleich dem Hemd unter seiner Uniform war sein Leben inmitten der offiziellen Poesie seines Berufes fadenscheinig und unbequem, seine Tochter aber, Dolores-Elisa, genoß eine Erziehung, die den eigenartigen geistigen Verhältnissen angepaßt war. Trotz des Mißverhältnisses zwischen der prächtigen Uniform des Herrn Leutnants und der Tatsache, daß er gesellschaftlich nicht für voll galt, führten sie ein Leben schäbiger Vornehmheit, wie es sich als Nährboden für abenteuerlüsterne Naturen und für Dichter, Schauspielerinnen, Buchhalter und künftige Selbstmörder eignet. Dieser Leutnant (oder Fähnrich Gilbert) hatte ein Fräulein Oliver »auf Schloß Oliver«, wie Lola allen vertrauensvoll mitteilte, geheiratet, ein Fräulein, das vermutlich dem scharmanten irischen Kleinadel angehörte, in dessen Schoß Leichtsinn, Armut und Schönheit blühen und gedeihen. In jenen Tagen war Spanien der magnetische Pol, der die Träume solcher Damen anzog; es war die vorherrschende Farbe in dem Byronschen Spektrum: Frau Gilbert legte sich daher eine spanische Ahnenreihe, komplett in Kostüm und Geschichte, zu.

Von dieser Mutter erhielt Dolores-Elisa – oder Lola, wie sie von jetzt an heißen wird – ihren Namen und den Spruch des Novalis in etwas veränderter Form »Unser Leben ist kein Traum, aber es soll und wird vielleicht einer werden.« mit auf den Weg: unser Leben ist kein Traum, aber es sollte einer werden und vielleicht wird es auch einer. Ferner von jenen sechsundzwanzig Schönheitspostulaten alle jene, welche die Anhänger Gregor Mendels dem Einfluß einer blendend schönen Mutter zuschreiben.

Nach vier Jahren ließ die Familie sich von Limerick nach Indien versetzen; dieses Indien war damals, wie überhaupt bis zu Montagues Verzicht, das Paradies des englischen Mittelstands. Dort gesundeten sämtliche Budgets, alle Sahibs waren dort pukka, Hochkastig (Anmerkung der Übersetzerin). alle Dienstboten billig und höflich; und einmal im Jahr die Sommerfrische Simla! Die Überfahrt dauerte vier Monate; man schrieb das Jahr 1822. Das Schiff berührte das menschenwimmelnde Madeira, das dampfend ungesunde Sankt Helena, den vor Hitze und Wind unerträglichen Hafen von Kapstadt. Von Kalkutta aus fuhren sie den ewigen Ganges bis zur Garnison Dinapore hinauf.

Wir haben die gesteigerte Wirkung einer frühen Verpflanzung auf das Wachstum bereits vermerkt, sie läßt sich nahezu unfehlbar am menschlichen Geiste ebenso wie an den Sämlingen beobachten, die der kundige Gärtner rechtzeitig pikiert. Wahrscheinlich liegt ein allgemeines biologisches Gesetz jener Erscheinung zugrunde, denn auch der Aufstieg und Verfall ganzer Nationen und Rassen, ja der Kulturentwicklung überhaupt weist anfänglich, ebenso wie das menschliche Individuum, analoge Erscheinungen auf. Diese Wirkung war zwar nicht unvermeidlich – dafür sind die Persönlichkeits- und Augenblickskräfte allzu schwer greifbar – aber sie war bei einem kleinen Mädchen mit Phantasie zu erwarten, so überwältigend war der geistige und körperliche Gegensatz zwischen der spezifischen Umgebung Limericks und der officinagentium des Ostens. Im Osten ist der Mensch »ein Unkraut«, das üppiger und seltsamer als die Dschungelvegetation auf dem Boden ungeheurer Reiche wuchert; diese Reiche aber sind unendlich viel älter als die Dschungel selbst, älter fast als das Gestein, aus dem ihre gewaltigen, geheimnisvollen Städte erbaut wurden. Reichtum und Armut leben dort auf der Straße in innigem Verein, ja sie wirken stärker und bunter, weil sie in der Erinnerung an Myriaden Leben wurzeln, die kommen und vergehen wie tiefe, fette, gärende Schicht sterbender Vegetation unter tropischen Wäldern. Wie dem auch sei, aus den frühesten Gemütseindrücken kristallisiert sich jenes Element, das den Hintergrund einer Persönlichkeit bildet, das mystische Geheimnis von Neigung und Abneigung, Wollen und Begehren: jener Teil des Menschen, den selbst Liebe niemals besitzen und verschenken kann (bei Künstlern vielleicht ausgenommen). Das einzige Geheimnis von Lolas Innenleben, das wir nicht erforschen können, ist die in ihrem Unterbewußtsein wurzelnde Welt ihrer Träume mitsamt den Düften, Sehnsüchten, Bildern und Geräuschen ihrer ersten Verpflanzung. Der Rest ist logisch, dramatisch und einfach.

Gilbert starb bereits im ersten Kapitel. Er bekam in Dinapore die Cholera und war nach zwei Tagen tot. Sein Freund, Hauptmann Craigie, übernahm pietätvoll und freudig die Witwe und heiratete sie; die Veränderungen in Lolas Lebensrhythmus beschleunigten sich. Craigie besaß Vermögen und einflußreiche Gönner, die ihm bei seiner Karriere helfen konnten. Nach ein, zwei Jahren war er zum Obersten avanciert; Frau Gilbert war jetzt die unumschränkte Herrscherin einer anglo-indischen Garnison, Lola das wundervolle kleine Idol eines Regiments, einer ganzen Niederlassung, ja eines Fürstentums.

Allein die englischen Herren des indischen Reichs haben von jeher den teils allegorischen, teils ahnungsvollen Brauch befolgt – dessen wahrer Zweck sich wie der aller geistiger Zeremonien von der Beschneidung bis zum Fasten hinter einwandfreien medizinischen Gründen verbirgt –, ihre Kinder aus einem Land, das zwar ihrer Herrschaft untersteht, jedoch nie zu ihrer Kolonie werden kann, in die Heimat zu schicken. Man schickte Lola zu Craigies Verwandten, die streng kalvinistische Kaufleute in Montrose in Schottland waren. Man glaube aber ja nicht, daß Lola sich durch sie bedrücken oder verbittern ließ. Zwar zieht der Kalvinismus, wie alle auf Logik aufgebauten Lehren, meist nur nüchterne Seelen an, jedoch seine kühnen Bilder, die schwindelnden Gipfel und Schlünde, die er zwischen Himmel und Hölle, dem Guten und dem Bösen pflanzt, das Gefühl der nahen Gefahr, das aus der Wirklichkeit erwächst und das die am wenigsten zufällige Begleiterscheinung seiner Atmosphäre ist, stößt auch ganz andere Naturen, wie die R. L. Stevensons oder Lolas nicht ab. In Wahrheit blieb Lola zutiefst auch bei den gewagtesten Abenteuern ihres Lebens stets eine entgleiste Kalvinistin. Einerseits stählte der Kalvinismus ihren Mut; wie sollte sie sich vor geringeren Gefahren fürchten, wo doch der Geruch des Höllenfeuers ihr dauernd in die Nase stieg? Eben dieser Geruch war auch das Parfüm, das ihre Verehrer kitzelte, nur sahen sie nicht, daß er aus Schottland, nicht aus Spanien stammte. Lola wurde in Montrose genau so verwöhnt wie in Dinapore; ihre Seele entfaltete sich im Regen nicht minder interessant als in der Sonne, und zweifellos kam der Wechsel ihrem Teint zugute.

Als wollte die Chemie des Schicksals sämtliche Reagenzien an ihr ausprobieren, wird sie wenige Jahre später der Obhut Sir Jasper Nicholls anvertraut. Dieser, ein General a. D., besaß sowohl Temperament wie Vermögen und sandte sie mit seinen eigenen Töchtern in ein elegantes Pensionat nach Paris. Hier nahm ihr empfänglicher Geist die ausländische Lehre auf, daß die Ehe eine Sitte, die Liebe aber das Ziel im Leben einer Frau sei; außerdem eignete sie sich eine für ihre Laufbahn gänzlich unbrauchbare Technik an.

Diese Laufbahn war natürlich die Ehe in jener verwickelten Form, in welche sexuelle Eifersucht, der Ehevertrag, uralte Tabus und die syrisch-christliche Metaphysik des Tastsinnes eine ursprünglich natürliche Gemeinschaft verwandelt haben. Mit einem Wort, ihre Mutter hatte eine reiche Heirat für Lola geplant, der Gatte sollte einer der Nabobs ihres Kreises sein. Eine solche Karriere – die einzige, durch die eine Frau zu einem ansehnlichen Vermögen gelangen kann – erfordert aber eine ganz andere Schulung, als sie den begüterten Mädchen des Pariser Instituts zuteil wurde. Die erste Voraussetzung dazu (angenommen die natürlichen Vorbedingungen: Jugend und Schönheit sind gegeben), ohne die das Unterfangen kaum gelingen kann, ist ein merkantiler Sinn, eine Hingebung an die strengsten Geschäftsprinzipien, wie sie nur ein alter Hausierer nach jahrelangen Erfahrungen im Straßenhandel besitzen kann. Lola hätte von Preisen träumen, jede Wohlfeilheit verabscheuen, auch jedem Anschein einer warmen Regung abschwören und selbst mit ihrem Lächeln geizen müssen; mit achtzehn Jahren eine recht schwierige Sache. Sie versagte denn auch kläglich, ja sie entwickelte eine herrliche Unbegabtheit. Als sie mit ihrer Mama in Paris ihre Aussteuer besorgen sollte, brannte sie mit einem bettelarmen Leutnant James durch, ja sie war unvorsichtig genug, ihn zu heiraten.

Ihre Bahn ist mitunter als Schleife beschrieben worden – als einen circulus vitiosus der Kraft, wie er dem Volkswirtschaftler und Astronomen nur allzu bekannt ist. So genau wie ein Leben dem anderen zu ähneln vermag (nicht ähnlicher als zwei verschiedene Fingerabdrücke), wiederholte Lola jetzt das Leben ihrer Mutter, nur hieß sie Frau James statt Frau Gilbert. Selbst die Fahrt nach Indien wiederholte sich, nachdem auch Lola die kleinlichen Kümmernisse einer irischen Garnisonstadt ausgekostet hatte. Leutnant James glich ihrem Vater, wie zwei Dummköpfe einander gleichen, mit dem einzigen Unterschied, daß er mehr trank; aber er war auf seine mürrische englische Art genau so ein hübscher Kerl und hatte genau die gleichen, dumpfen, ehrgeizigen Wünsche, die sich alle unter dem Begriff »ein angenehmes Leben« zusammenfassen lassen: mehr Geld, mehr Weiber, mehr Diener und Pferde und Avancement. Die indische Garnison hieß diesmal Karnal statt Dinapore und lag zwischen Delhi und Simla am Jumma-Kanal.

Mit Hilfe der Vorsehung oder der Cholera wäre es Lola vielleicht geglückt, sich noch so weit aus alledem zu retten, um von ihrer Mutter in Gnaden wieder aufgenommen zu werden. Sie wäre dadurch vielleicht der Tragik, eine Geschichte zu haben, entronnen. Aber Leutnant James, statt zu sterben oder sie freizugeben, brannte eines schönen Morgens vor dem Frühstück mit der Frau eines Kameraden durch; Lola flüchtete in das Leben und nach Europa zurück. Das war im Jahre 1841. Eine Weile war sogar die Rede davon, sie nach Montrose zurückzuschicken, damit sie dort in dem kataleptischen Zustand einer Trennung von Tisch und Bett ihr Dasein fristete. Aber im Hintergrunde hatten die vitalen Kräfte ihrer Schönheit sich gestaut, so wie ein Schachmeister sich hinter einem vorgeschobenen Bauern eine starke Position aufbaut. Sie schleuderten sie auf ihrer Überfahrt in eine neue Bahn. Diese war gefährlich, ja unmöglich, aber unvermeidlich und führte sie weitab von ihrem bisherigen Leben. Von jetzt an haben wir es nicht länger mit Frau Dolores-Elisa James, sondern mit Lola Montez zu tun. Des Schicksals Handlanger war ein anonymes Mannsbild, irgendein gleichgültiger Offizier oder Attaché, den sie traf und als Geliebten gebrauchte, als das Schiff über den Äquator fuhr, und der eine ebenso unbedeutende Rolle spielte wie die winzige männliche Spinne, die das Weibchen in seine Umarmung lockt, um sie für eine Stunde zu benutzen und dann zu fressen.

Eine Abenteurerin beginnt ihre Laufbahn stets damit, »vor die Hunde zu gehen«, ebenso wie der männliche Abenteurer »von Hause wegläuft«. Der Unterschied ist der gleiche wie zwischen Geben und Nehmen; die Menschheit mit ihrem robusten Jahu-Instinkt wird einen Diebstahl verzeihen, niemals aber eine warmblütige Torheit. Diese Tatsache liegt zahlreicheren Todfeindschaften zugrunde, als sämtliche Beleidigungen und Schädigungen des bürgerlichen Gesetzbuches. Die gefährliche Kunst des Schenkens erfordert mehr Takt als jede andere gesellschaftliche Handlung. So steht es auch mit dem höchsten natürlichen Ziel der männlichen Begierde; es gibt einen schrittweisen Abstieg, dann einen raschen Fall vom höchsten Respekt vor der verheirateten Frau, die sich zu nichts Entwürdigenderem als zu einem gesetzlichen Vertrag auf lebenslänglichen Unterhalt herbeigelassen hat, bis zu dem merklich tieferen aber berechenbaren Niveau einer Mätresse, welche sich einen reichen Mann aussucht, der vor aller Welt kräftig zahlen muß. Diese kommt leichteren Kaufes davon. Für die Prostituierte aber, die feilschende Gewerbetreibende hat das englische Slang-Lexikon sechsunddreißig Seiten von Schimpfnamen. Ihre Lebenskurve führt an ihrer tiefsten Neigung weit unterhalb des Nichts in ein unbegrenztes Minus, wo nur noch Verachtung herrscht, und zwar trifft die stärkste, mit Spott und Schmähungen gewürzte Verachtung der Männer jene, die sich für nichts, ja sogar unter Verzicht auf ein Versprechen, verschenken. Wenige Männer vermögen das, auch wenn sie die Früchte davon genießen, zu verzeihen. Allerdings ist der Fall nicht häufig. So hatte sich Lola mit dem Schritt, der sie auf immer von der Zärtlichkeit ihrer Verwandten und Freunde trennte, der ihr jeden Anspruch auf die Gesellschaft raubte, ausgenommen den des Schutzes ihres nackten Lebens, Schlimmeres getan, als sich dem Abenteuer zu verschreiben. Es hieß, sie habe »eine Tat begangen, vor der selbst Krokodil und Ibis zurückschreckten«.

Als ihre Mutter davon hörte, legte sie Trauer an. Nie in ihrem Leben hat Lola wieder von ihr gehört, sie hat auch nie versucht, sich mit ihr oder sonst einem ihrer Augehörigen in Verbindung zu setzen. Ihr Liebhaber beeilte sich zu verschwinden. Sie war jetzt in London gestrandet.

Das London jener Tage – es war im Jahre 1842 – war schwanger von modernen Ideen, von einem brutalen, rüden Leben, befruchtet durch einen wilden sieghaften Puritanismus. Das naive, viktorianische Kindermärchen, wonach das London der fünfziger Jahre niemals später als um halb elf Uhr nachts zu Bett ging, darf uns über Lolas eigentliche Lage nicht hinwegtäuschen. Heute arbeitet das Gesetz so sicher und gewissenhaft, daß die glückliche Jugend sich durch ein paar ertrotzte oder ängstlich gewährte Freiheiten ein erhebendes Gefühl der Lasterhaftigkeit und Kühnheit verschaffen kann. Der englische Gaumen ist unendlich viel feiner geworden; er kann den Prozentsatz an Alkohol in Mineralwasser herausschmecken. 1842 war Gesetzlosigkeit ein Prinzip. Der Fanatismus der kompakten Oligarchie von Manchester, die sich in wahnwitziger Angst vor dem Ruin an ihren Reichtum klammerte, hatte es der Gesellschaft mit Hilfe von Ricardos Theorie des Laissez faire aufgezwungen.

Das unbändige englische Berserkertemperament stürzte sich gierig auf diese Freiheit; ohne inneres Gleichgewicht und übersättigt von Wohlstand hätte es sich in einer katastrophalen Orgie austoben können – die Engländer sind das einzige originelle Volk – in einem derben Massenspaß, neben dem Neros Heldentaten glaubhaft erscheinen würden. Aber kraft eines günstigen Wachstums, das nur als Äußerung eines lebensstarken Schwarminstinkts angesehen werden kann – die Engländer sind das einzige Volk mit einem natürlichen Instinkt – entwickelte sich aus dem Schoß gerade jener Kaufmannskreise, die dank ihrer soziologischen Leichtgläubigkeit die Bestie entfesselt hatten, eine furchtbare asketische Bewegung. Diese läßt sich mit der Selbstverstümmelungswut orgiastischer Tänzer vergleichen und artete in eine Bewegung wie die der Albigenser, Anabaptisten und Ikonoklasten aus, Strömungen, die in erster Linie pessimistisch und destruktiv sind und die ganze Seiten der Weltgeschichte ungenießbar machen. Es wäre ein großer Fehler, wollte man die viktorianische Frömmigkeit als prüde oder auch nur zaghaft bezeichnen; ebenso grundfalsch wäre es, wenn man sie mystisch nennte. Der Puritaner von 1840 war mit Bitterkeit enthaltsam; seine Kunst war eine wüste Tendenzkunst und darum schlecht; er verpönte die leiseste geschlechtliche Anspielung, nicht weil sie ihn schockierte, nein, weil sie ihn anwiderte und in Wut brachte: genau die gleiche Haltung, die das amerikanische Volk oder irgendwelche anderen erregten nationalistischen Kreise 1918 Deutschland gegenüber einnahmen. Der verblendete Eigenbrödler, der gewagt hätte, das Wort Hose in den Mund zu nehmen, hätte den gleichen, durchaus nicht leicht zu nehmenden Empfang riskiert, wie irgendein Witzbold, der 1917 die Versenkung der Lusitania verteidigt hätte: nicht etwa hochgehobene Fäuste, nein, derbe Knüttel. Auch waren die gestickten Mottos über den Ehebetten keine Stoßseufzer, sondern bürgerliche Kriegsstandarten. Der Kampf zwischen Moral und persönlicher Freiheit war ein Kampf bis aufs Messer – und Lola sah sich zwischen die feindlichen Heere eingeklemmt.

Einerseits setzte ihre Lage sie der unermüdlichen Verfolgung der Reinen und Guten aus, die bei einer einfachen Exkommunikation nicht haltmachten, sondern auch in den kleinsten Einzelheiten des täglichen Lebens ihren Haß zum Ausdruck brachten, angefangen bei den unerwartetsten öffentlichen Demütigungen bis zur Aufhetzung ihrer Dienstboten und Lieferanten. Sie mußte mehr als den üblichen Preis für ihre Wohnung bezahlen, die ihr nur widerwillig überlassen wurde; ganze Stadtviertel duldeten sie weder als Mieterin noch Hotelgast. Selbst ihre Scheuerfrau stützte sich bei ihren Versuchen, sie zu betrügen und ihr mit Frechheit zu begegnen, auf die öffentliche Meinung. Das war das Treiben der Engel. Die Aufmerksamkeiten der Bösewichte waren nicht minder unangenehm. Die neue Schönheit konnte sich in der Öffentlichkeit nicht zeigen, ohne von jener besonderen Art Gelächter und Rippenstöße begrüßt zu werden, die eine Höllenstrafe sein müssen: das ölige Lächeln eleganter Müßiggänger, unleidlich selbstzufriedener Stutzer, Narren und Schürzenjäger. Als diese dann die Wahrheit entdeckten, nämlich daß Lola um zwei Grad schlimmer war, als sie erwartet hatten – weil sie um der Liebe willen liebte und sie nicht liebte – verschärfte sich ihr abscheuliches Betragen. Lola hatte an His Majesty's Theatre ein Engagement als spanische Tänzerin erhalten – das Eigenschaftswort ist so bezeichnend wie das Hauptwort – und schon bei ihrem ersten Auftreten wurde sie durch eine von Lord Ranelagh und seinen Klubfreunden inszenierte Kabale derart ausgezischt, daß sie die Bühne verlassen mußte. Am folgenden Morgen reiste sie nach Brüssel; wie sie selbst behauptete, hatte sie für Paris nicht genug Geld.

So wechselt sie schon beim ersten Relais die Pferde. Sie war zum erstenmal in ihrem Leben dem Pöbel begegnet; jetzt wählte sie ihren Beruf: die Bühne und, was mehr heißen will, den Tanz. Und sie floh in der Richtung auf Paris. Alle diese Züge sind so charakteristisch für den Weg der Abenteurerin an sich, daß man sie förmlich auf einer Tabelle vermerken könnte. Was nun die Hetze der eleganten Kreise anbetrifft, so liefert sie ein einschlägiges Beispiel für die Verabreichung jenes Stimulans, das gleich einem rituellen Satteltrunk, aufpeitschend und Verzweiflung einflößend, der Abenteurerin unentbehrlich ist, um sie zu dem Entschluß zu bewegen, sich ganz und gar in das Wagnis zu stürzen. Einerseits hatte mit diesem Ergebnis die Unmöglichkeit eines Rückzugs und die unermeßliche Gefahr, die ihr drohte, greifbare Gestalt angenommen; auch die Ratte wird, in die Ecke gedrängt, kämpfen. Andererseits wirkt eine feindliche Menge, entgegen den Erwartungen der männlichen Sentimentalität und Psychologie, auf das Weib als bitteres aber anregendes Kräftigungsmittel. Sarah Bernhards Worte: »Mögen sie schlecht von mir reden, wenn sie nur überhaupt reden«, sind der Frau wie dem Reklamechef aus der Seele gesprochen. In jener Nacht sah sich Lola zum erstenmal als Mittelpunkt einer Menge; daß diese Menge negativ statt positiv zu ihr eingestellt war, ist ziemlich nebensächlich. Sie war durchaus nicht vernichtet, sondern nur erschrocken, aber der Schreck lähmte sie nicht, sondern rüttelte sie auf. Gleichgültigkeit hätte sie zu Boden geschlagen; ein paar Tropfen lahmen Beifalls statt des ohrenzerreißenden, ungerechtfertigten, leidenschaftlich interessierten Gebrülls hätten sie Hals über Kopf nach Montrose statt nach dem europäischen Festland gejagt.

Diese romanische Hedschra ist gleichfalls ein unveränderlicher Faktor im Leben der Abenteurerin. Der Instinkt treibt alle Abenteurer von Hause fort, für eine Frau jedoch, die sich an Bord der Brigg begibt, welche sie vom festen Ufer ins Unbekannte tragen soll, ist ein erster Aufenthalt in Paris, der Stadt der Frauen, so unentbehrlich wie eine Hochzeitsreise. Paris, die Bühne, der Tanz: das sind keine scharf auskalkulierten Posten eines Rechenexempels; trotzdem bilden sie das einzig wahre Mittel, um die Flugbahn ihres Abenteuers zu verlängern. Paris oder ein Surrogat von Paris; wie das von Lola gewählte Brüssel, eröffnen der Abenteurerin ein Tätigkeitsfeld, auf dem ihre Kräfte sich vollends entfalten können; die Bühne ist die Hochburg der Schönheit, der Tanz dasjenige Gebiet, auf dem die Macht der Schönheit am unmittelbarsten wirkt. Denn nur im Tanz ist Schönheit frei von forschenden Blicken: Bewegung und Rhythmus sind eine zehnmal bessere Vermummung als jede Kleidung.

In Brüssel, schreibt Lola in ihren Memoiren, mußte sie aus Not Straßensängerin werden. Die arme Lola sang noch schlechter als sie tanzte, das heißt, »leidenschaftlich aber ohne jede Technik«. Ob dieses »Singen« ein romantischer Euphemismus oder Wahrheit ist – alle Heldinnen müssen zu irgendeiner Zeit Straßensängerinnen werden, ebenso wie jeder Held im Laufe seines Lebens ungerecht angeklagt wird – das vermag die Geschichte nicht zu ergründen. Wie dem auch sei, sie wurde von einem Deutschen gerettet, »einem armen Mann, der viele Sprachen konnte«. Der liebenswürdige Gelehrte reiste mit ihr nach Warschau. Dieser winzige Bruchteil Überlieferung trägt den Stempel der Wahrheit. Denn Lola Montez im Unterschied zu Dolores-Elisa Gilbert oder James und zu der überwältigenden Mehrzahl anderer berühmter Frauen bis hinauf in die Antike besaß eine edle Eigenschaft: sie liebte Bildung und Genie. Nicht aus Berechnung, sondern aus Neigung, so unwiderstehlich, so ausschließlich wie andere Frauen den Durchschnitt oder die Dummheit lieben; eine verräterische Neigung, die jenen schwerlich größeren Verrat, ihren Hang zu streikbrecherischer Generosität, noch verschlimmerte. Beide Leidenschaften müssen als den berechtigten Interessen der Spezies zuwiderlaufend angesehen werden.

In Warschau beginnt sie sich endlich zu finden; zum erstenmal entdecken wir, wenn wir einen Blick in ihr Inneres werfen, ihre wahren Neigungen und Richtlinien. Erfolg bleibt sich immer gleich, Mißerfolg nicht, es sei denn, daß er verranntem Eigensinn entspringt, im allgemeinen aber besteht er aus einer anorganischen Reihe falscher Anfänge. Lolas Stunde ist gekommen; sie strebt jetzt einem Ziele zu, das weder Instinkt noch Intellekt zu erkennen vermögen.

Aber sie ist nur in einem Punkte wahrhaft originell. Sie verfolgt ihr Ziel so konsequent wie Alexander und die anderen Helden, mit denen wir es bisher zu tun hatten; dieses Ziel ist die romantische Liebe. Wo ist die Frau, die nicht den gleichen glühenden Lebenswunsch hegte, mag sie ihn auch hinter Vorsicht und Feigheit, Sorge um die Zukunft und Geldgier, hinter erotischer Rivalität (mit allen kleinlichen, urzeitlichen Ränken) und ihren auf schlichte Eitelkeit reduzierten ästhetischen Bedürfnissen verbergen. Aber die Frauen im allgemeinen sind unentwirrbar in das Gespinst der Gesellschaft hineinverwoben, dessen Kette das Gesetz ist. Lola hingegen ist nur ein zufälliger Faden, dem Spiel der Winde preisgegeben. Auf ihr ruht der Fluch aller Abenteurerinnen: eine tragische Freiheit. Die uralten Seitenwege wie Stellung, Sicherheit, Kinder sind ihr selbst über die Möglichkeit der Versuchung hinaus versperrt; sie, das Eintagsliebchen, eine losgelöste Einheit unter Abermillionen Frauen, vermag allein den geraden Weg zu gehen und den verborgenen Kurs zu enthüllen.

Der Deutsche verließ sie; ihre Wege trennten sich. Als letzten Gegendienst verschaffte er ihr ein Engagement an der Oper. Dies war im Jahr 1844, sieben Jahre nach der Meuterei in der polnischen Armee. Eine schamlose Verfolgung war dem nicht ganz ruhmreichen Aufstand gefolgt; Dummheit rangt Brust an Brust mit grober Untüchtigkeit, Fürst Paskiewitsch war der Gouverneur und Alleinherrscher Polens. Dieser gefährliche Bursche sah mit ganz Warschau Lola tanzen. Sie stand damals in der Blüte ihrer Schönheit, die verbunden mit dem bißchen Tanzkunst, das sie sich angegeignet hatte, auf die Männer derart wirkte, daß sie vor atemloser Bewunderung kaum die Augen zu ihr zu erheben wagten. Lola gehört zu den seltenen, eigenartigen Erscheinungen, wie Helena von Troja und jene anderen Damen, die Villon in seinen Werken feiert; der Streit über Schön und Nichtschön schwieg augenblicks vor der unbeschreiblichen, unvergleichlichen Wirklichkeit, die auf alle wie eine erschütternde Sinnestäuschung wirkte. Ich erinnere mich an drei solche Frauen; eine von ihnen war eine Fabrikarbeiterin in Alt-Kapstadt, die jeden Nachmittag um fünf Uhr in einen Vorortzug stieg. Ich weiß auch heute nicht, ob sie blond wie Helena oder dunkel wie Lola war, aber kaum betrat sie den Perron, so schaute der ganze Zug, nüchterne Geschäftsleute in den Rauchkupees erster Klasse wie auch die armen Hottentotten im letzten Wagen zum Fenster hinaus. Sie wollten nur einen Blick auf sie werfen, nie habe ich erlebt, daß einer sie anzureden wagte. Viel später kam mir dann durch eine Klatschbase zu Ohren, daß sie töricht genug gewesen sei, mit einem verheirateten Tischler nach Australien durchzubrennen – eine durchaus glaubwürdige Geschichte, denn Lola ist von all diesen wundervollen Naturerscheinungen fast die einzige geschichtliche Persönlichkeit, die sowohl Verstand wie Herz besaß. Paskiewitsch begehrte sie und schickte nach ihr. Er war ein eitler, grausamer sechzigjähriger Zwerg und daher recht langweilig, aber er bot dieser bettelarmen, vogelfreien Vagabundin ein Vermögen, einen Titel und seine ehrfurchtsvolle, nicht gänzlich abzulehnende Verehrung an. Zuerst gab Lola ihm eine sanfte Antwort, dann, als er sich durch seine irrige Auffassung von den Möglichkeiten des Lebens zu verzweifelten Drohungen hinreißen ließ, lachte sie ihn aus.

Der Direktor der Oper und der Polizeichef mußten nun ihrerseits ihre Überredungskünste zeigen. Wie stets in den großen Momenten ihres Lebens, verlor Lola ihre Selbstbeherrschung und jagte sie mit der Reitpeitsche hinaus. An jenem Abend wurde sie von der Claque ausgezischt, es war das zweite mal, daß sie sich mit dem Mob auseinandersetzen mußte. Aber die Bestie kam nicht so leichten Kaufs davon. Lola stürmte ans Rampenlicht und enthüllte genügend Einzelheiten über den ausgeschlagenen Antrag und die daraus folgende Rache, um die meisten anwesenden polnischen Theaterbesucher in leidenschaftliche Anhänger ihrer Sache zu verwandeln. Die Claque wurde mißhandelt und hinausgeworfen und dichte Reihen von Polen, Hochrufe auf die Schönheit und auf die Revolution ausstoßend, geleiteten sie unter ständigen Scharmützeln mit der Polizei, wobei sie sie verteidigten wie einst die Trojaner Helena, nach Hause.

Ihr eigener Bericht, der in ihren »Memoiren« in der banal verzerrten Fassung der Zeitungsreporter, die für sie schrieben, wiedergegeben ist, erschließt uns ein paar nachweislich wahre Einblicke. Die Angelegenheit wird darin des weiteren ausgeführt:

»Ohne Absicht und ohne es zu erwarten, sah sie sich plötzlich in die Rolle einer Heldin gedrängt. In einem Anfall von Wut hatte sie die ganze Wahrheit aufgedeckt und dadurch, ohne es zu wollen, ganz Warschau in Aufruhr gestürzt. Der glühende Haß, den diese Polen dem Gouverneur entgegenbrachten, fand hier eine günstige Gelegenheit, sich Luft zu machen, und in weniger als vierundzwanzig Stunden kochte und brodelte Warschau unter allen Anzeichen einer kommenden Revolution. Als man Lola Montez benachrichtigte, daß ein Haftbefehl gegen sie erlassen sei, verschanzte sie sich, eine Pistole in der Hand, hinter ihrer Tür. Als die Polizei erschien, erklärte sie mit lauter Stimme, sie würde den ersten Mann, der zu ihr einzudringen wagte, niederschießen. Die Polizei bekam es mit der Angst, vielleicht konnte man unter sich auch nicht einig werden, wer den Märtyrertod erleiden sollte, man benachrichtigte die vorgesetzte Behörde, mit welcher Tigerin man es hier zu tun habe, und begann zu beraten. Inzwischen eilte der französische Konsul ihr ritterlich zu Hilfe, er erklärte Lola Montez für eine französische Untertanin und rettete sie so vor der Verhaftung; dennoch erhielt sie den bündigen Befehl, Warschau zu verlassen.«

Ihr körperlicher Mut und ihre Gewalttätigkeit, die hier anläßlich ihres ersten Erfolges glaubwürdig erscheinen, machen sie später berühmt. Von Warschau soll sie nach Petersburg gereist sein, wo sie eine vertrauliche Zusammenkunft mit dem Zaren hatte, indes sind beide Tatsachen nicht bewiesen. Ernsthafter ist, daß sie erwiesenermaßen in Berlin während einer Parade König Friedrich Wilhelms zu Ehren des Zaren mit einem berittenen Gendarmen aneinander geriet. Lolas Pferd durchbrach den Kordon um die königlichen Hoheiten, der Gendarm packte die Zügel, um es hinauszuführen und Lola versetzte ihm einen Hieb mit der Reitpeitsche. Das in Verbindung mit unklaren Gerüchten über ihre Warschauer Streiche schuf ihr einen Ruf, der sich durch sämtliche Hauptstädte Europas verbreitete. Eine Nebenwirkung war, daß sie mit dem großen Franz Liszt in Berührung kam.

Liszt stand, wie Lola, in der Blüte seiner Schönheit; er hatte das Aussehn eines Byron ohne dessen Pose, mehr Verstand, mehr Herz und, wenn wir einigen Stimmen glauben wollen, auch mehr Genie. Selbst heute noch stimmt sein Jugendbildnis die Frauen nachdenklich. Gab es eine glückliche Lösung für Lolas Abenteuer, so hieß diese Lösung Liszt; der Pianist seinerseits war in endlose Intrigen verwickelt, die ihn mit unerbittlicher Folgerichtigkeit in irgendein häusliches Joch hineintrieben, er griff daher nach Lola wie nach einem rettenden Strohhalm, einem Stückchen Regenbogen. Sie trafen sich, liebten sich und waren zusammen – niemand weiß, wie lange, keinesfalls aber länger als etliche Monate. Den Winter 1843 verbrachten sie zusammen in Dresden, wo Liszt tolle Triumphe feierte. Im Frühling 1844 fuhren sie nach Paris. Lolas wegen brach Liszt mit der Mutter seiner Kinder, der Gräfin d'Agoult. Kurz nach ihrem Pariser Aufenthalt trennten sie sich für immer. Keiner von beiden hat der Welt je erzählt, was sich hier zugetragen, selbst über Anfang und Ende schwiegen sie sich aus, obwohl sie über die anderen Geheimnisse ihres Lebens bereitwillig schwatzten. In diesem Punkt genoß keiner ihr Vertrauen. Eine seltsame Sache!

Nach jenem Ausflug in die Wirklichkeit stürzte sich unsere Phantastin wieder Hals über Kopf in ihr altes Treiben, ja sehr bald versinkt sie in einer unendlichen Serie von Boulevard-Abenteuern, die sich wie Zitate aus einem der geistreichen, langweiligen Romane jener Zeit lesen. Das Paris Louis Philipps war das größte Dorf der Christenheit, bevor Napoleon III. es lasterhafterweise in eine Weltstadt verwandelte. Sein Leben und Treiben spielte sich auf der Hauptstraße, das heißt den Boulevards ab, wo alle jungen Burschen einander kannten und gescheite Köpfe waren und sämtliche Mädchen hübsch und berühmt – wenn man den zeitgenössischen Schilderungen glauben will.

Essen und Trinken waren wohlfeil, Wohnungen wurden nahezu umsonst abgegeben, das Kochen war immer noch eine Kunst: die Dichter waren daher glücklich und produktiv. Jeder Stuhl in jedem Café war dreimal am Tage von den geistreichsten zweitrangigen Talenten der Literatur und Bühne besetzt. Und hinter ihnen allen, sie mit Glanz übergießend, leuchtete das Licht wahrer Größe: Balzac, Hugo, Musset, obwohl sie meist zu beschäftigt waren, um in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Aus dieser Welt wählte Lola sich einen gewissen Dujarier, einen boshaften, taktlosen Journalisten, der ihretwegen in einem Duell fiel. Als Nachfolger Liszts? Auch das muß Lolas Geheimnis bleiben. Dujarier hinterließ ihr eine Summe Geldes und sie brach zu einer Tournee durch Deutschland auf. Das natürliche Ende ihres Abenteuers war ihr bereits dicht auf den Fersen; Frauen können es sich nicht leisten, wie Kolumbus sieben Jahre auf eine Flotte zu warten. Sie war jetzt 27 Jahre alt und bekam es mit der Angst zu tun. Was immer auch zwischen Lola und Liszt vorgefallen sein mag, ihr Hineinrennen in die Dujarier-Affäre beweist, daß sie jetzt an Triebkraft eingebüßt hatte, die Bahn ihres Lebens nähert sich dem Erdboden. Falls das Glück, jener Brennstoff, der die Flamme des Abenteuers nährt, ihr noch lange fernblieb, mußte sie zur berufsmäßigen Kurtisane werden, ein Stand, der für jeden, dumme Jungens ausgenommen, weniger interessant ist als die friedlichste Jungfernschaft. In ihrer Sorge beschrieb sie Zickzacklinien durch ganz Deutschland, wie Alexander auf seinem Zug durch Kleinasien, traf aber überall auf Niederlagen, mitunter sogar auf schmähliche Hinausweisung. Sie hatte eine vorübergehende Affäre mit dem armen Heinrich LXXII. von Reuß, verbrämt mit Anekdoten über zertrampelte Blumenbeete und unbezahlte Rechnungen, in der sie als schlecht erzogenes, überlauniges Frauenzimmer erscheint. Jeder, der einzig das Glück der Menschheit im Auge hat, mag er nun als Prophet oder Abenteurerin auftreten, läuft Gefahr zur Landplage zu werden: Lola war hinausgezogen, um sich dem Genie zu schenken, sie war auf dem besten Wege, eine ordinäre Hure zu werden. Ihre ersten Krähenfüßchen und ihr Mißerfolg, vor allem die Art ihres Mißerfolgs, arbeiteten Hand in Hand, um ihre Sorge zu vermehren und ihr Altern zu beschleunigen.

Seltsamerweise ist dies der erste Fall, der eine solche Wendung nimmt – dem Abenteurer droht ein frühzeitiger Tod aus reinem Mangel an Glück; Lola ist auch die erste Frau auf unserer Liste. Insofern als sie es wagte, mutterseelenallein dem Unwetter zu trotzen, hat sie alles, was ihr begegnete, verdient, ja nur ein Bruchteil von dem, was sie verdient hätte, stieß ihr zu. Aber endlich winkt ihr ein Lebenszeichen aus dem Dunkel. Eine Hand streckt sich ihr entgegen, nicht um sie vor der Tragödie, wohl aber vor der Banalität zu retten.

Es war die Hand Ludwigs I., Königs von Bayern. Er war damals einundsechzig Jahre alt, ein schöner, ergrauter Mann, enttäuscht, aber nicht verbittert. Er war mit ebenso vielen Träumen und Illusionen ins Leben getreten wie Lola selbst. Es waren ihm noch ebenso viele Träume und Illusionen geblieben, als Lola beim Beginn ihrer Laufbahn hegte. Er kannte sämtliche Formen der Romantik, denn er hatte Napoleon, den Patriotismus, die Ritterlichkeit und die Demokratie überlebt, und im großen und ganzen war er wohl der kultivierteste Mann Europas, einer der wenigen wahren Könige. Auf seine Art hatte er den gleichen Weg wie Lola zurückgelegt, auch er rang um ein nie zu verwirklichendes Lebensideal. Wie Lolas Ideal war auch seines zugleich ungeheuer wirklich und ungeheuer phantastisch. Er wollte nichts weiter als ein Königreich voll Glück und Wohlstand unter einer guten Herrschaft, die Blüte der Künste, Musik auf den Straßen und in jedem Bauernhaus einen Schinken im Rauchfang. Gerade als Lola sich klar darüber wurde, daß sie sich bald damit abfinden müsse, gewöhnlich und melancholisch zu werden, hatte Ludwig beschlossen, sich mit einem himmlischen Ersatz zu begnügen. Sein bankrotter Traum sollte von dem Treuhänder aller gescheiterten Hoffnungen, der Kirche, liquidiert werden; Priester sollten die Troubadoure, Kirchenglocken das Jahrmarktsgeläut, der Klerikalismus die allgemeine Menschenliebe ersetzen. In Wahrheit hatten die Ultramontanen, die überall, vom Tajo bis zur Wolga, mit dem neuen Europa im Kampfe lagen, in Bayern einen Sieg erstritten. Die glaubenseifrigen Soldaten Christi, die Jesuiten, strömten ins Land. Ludwig sperrte Zeus und Odin, denen vierzig Jahre lang seine Verehrung gegolten hatte, zusammen mit seinen alten Liebesbriefen zum Fraß für die Ratten hinter Schloß und Riegel.

Dies war der Schnittpunkt, an dem die beiden Tangenten sich berührten. Lola bewarb sich um ein Engagement am Münchener Hoftheater. Der Direktor, eine Kreatur der Kirche, schlug es ihr ab; dieses letzte Überbleibsel von Ludwigs Florentiner Plänen war dazu bestimmt, die Zuhörerschaft zu erbauen, eine Forderung, die weder Lola noch ihre Kunst erfüllen konnte. Aber sie gab sich mit dem abschlägigen Bescheid nicht zufrieden. Wie gesagt, war sie recht gewöhnlich und zudringlich geworden. Sie bediente sich daher der Vermittlung eines gewissen Grafen Rechberg, eines Adjutanten des Königs, der den Auftrag erhielt, ihr eine Audienz zu verschaffen. Wie so oft, wenn das Schicksal seine Hand im Spiele hat, wurde die Gunst nur widerwillig gewährt. »Muß ich denn jede hergelaufene Tänzerin empfangen?« fragte der König. »Diese zu empfangen lohnt sich«, lautete die wahrheitsgetreue Antwort.

Während der König noch übellaunig zögerte, stieß Lola die Tür des Vorzimmers auf; erstaunt und schweigend standen die beiden einander gegenüber. Ohne mich als Platoniker zu bekennen, glaube ich doch, daß in solch einem Blick zweier Menschen, deren Leben schicksalsmäßig unlösbar zusammenfließt, eine Art Erkennen liegt, das sogleich zur Vertrautheit führt und Präliminarien überflüssig macht. Sie begannen miteinander zu reden, als nähmen sie ein fallengelassenes Gespräch wieder auf; der Adjutant merkte, wie es stand und beeilte sich, sie allein zu lassen. Lola hatte nichts zu sagen, aber der König, obwohl er durchaus kein Frauenjäger war, erging sich, leicht verwirrt, in einem langen Lob ihrer Schönheit. Währenddessen sah sie ihn unentwegt an; als er, halb zu sich selbst, einige schmeichelhafte Zweifel über ihre Figur äußerte, knöpfte sie schlicht und ohne jede Koketterie ihre Taille auf und zeigte ihm ihren Busen. So begann ein äußerst sonderbares rührendes Verhältnis, das die trüben Zeiten erhellte. Im Rat teilte der König seinen erstaunten und empörten Ministern mit: »Ich weiß nicht wie, aber ich bin behext.« Schwanken und Unklarheit hat es zu keiner Zeit zwischen ihnen gegeben. Fast vom ersten Tage an war Ludwig für sie Lear, Lola seine gefangene Cordelia, so bildete sich zwischen ihnen eine ganze seltene Gemeinschaft der Ideen und des gegenseitigen Trostes.

Der König gewann seine Begeisterungsfähigkeit zurück, jetzt hatte er doch eine Verbündete; Lola warf Furcht und Gewöhnlichkeit wie einen schmutzigen Reisemantel ab und wurde zur großen Dame. Es ist lächerlich, anzunehmen, wie einige verschrobene englische Idealisten das tun, sie sei ihm eine Beatrice oder Laura gewesen, ein leeres Ideal für schöne Sonette, der Vorwand für ein ekstatisches, leicht lasterhaftes Asketentum. Sie war seine Geliebte und seine Tochter, vor allem aber seine Verbündete und Retterin. Zu einer Periode des Werbens kam es erst gar nicht, damit fielen auch Liebesstreit – und Versöhnung, kurz das gesamte entnervende Ritual geringerer Liebesbeziehungen weg. Sie küßten und umarmten sich und zogen zusammen in die Schlacht, seine Schlacht, die er für sein Recht und seine Hoffnungen schlug, welche er begraben zu haben glaubte, ehe das Leben ihm diese Bundesgenossin sandte.

So beginnt das »Lola-Regime«, eines der seltsamsten und sympathischsten Experimente in der Regierungsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Ein frommes Werk der Reaktion nach dem anderen fiel, als erstes die allgemeine Zensur, dann die verschiedenen Bändel klerikaler Bevormundung, die der gute Ludwig in seiner Müdigkeit geduldet hatte. Wo hatte Lola ihren Liberalismus her? Wahrscheinlich von nirgends; was gar die zahllosen Geschichten über ihre Freimaurerei, ihre Mission im Auftrage Palmerstons anbetrifft, so sind sie nichts als raffinierte Erfindungen der üblichen kontinentalen Taktik, jede Politik der Überzeugung als eine Art Verschwörung hinzustellen, genau wie die alte Großmutter, die zu jeder in den Zeitungen gemeldeten Katastrophe, angefangen bei einem Erdbeben und endigend mit den ersten Schutzzollgesetzen, zu bemerken pflegte: »Ein Komplott! Eine Kamarilla!« Lolas Politik war die Erfüllung von Ludwigs Träumen, für die sie sich mit einer Kraft, Intelligenz und Tapferkeit einsetzte, wie sie niemals vor- oder nachher in einem aussichtslosen Kampf bewiesen wurden. Allein die Kühnheit dieser erstaunlichen aus dem Nichts auftauchenden Einmischung brachte die Gegner außer Fassung; sie waren erschrocken und dumm genug, ihr Geld anzubieten. Metternich selbst beging den groben Fehler, ihr eine Jahresrente von 15  000 Talern zu versprechen, falls sie Bayern verließe. Mit ungewöhnlicher Ruhe lehnte sie den Vorschlag ab.

Aber es dauerte nicht lange, bis der Feind sich zum Gegenstoß sammelte. Bayern war um diese Zeit der Schlüssel zur hohen Politik. Nebenan in der Schweiz wurde der Krieg des Sonderbundes ausgefochten, eine Frage, an welcher die katholische Politik glühend interessiert war und in der sie, soweit sie sich überhaupt in irdische Fragen einlassen kann, mit Herz und Hand mitfocht. Die antireaktionären Kräfte Europas hatten durch ihren feurigen, streitsüchtigen Vertreter Palmerston die Einmischung Metternichs und der Ultramontanen zugunsten der aufsässigen katholischen Kantone zurückgewiesen: Bayern allein lag zu weitab vom Schuß, um die drohend erhobene Kampffaust Englands zu beachten. Keine, auch nicht die romantischste Situation in einer Operette, kam der Lage Lolas gleich. Allein, einzig kraft ihrer Schönheit (vorausgesetzt, diese läßt sich von ihrer Persönlichkeit trennen), versperrte sie mit ihrer kleinen Peitsche ganzen Parteien und Königreichen, ja der Kirche selbst den Weg, indem sie den alten schwärmerischen Ludwig in diesem unbequemsten Winkel der Geschichte zu einem neuen Menschen machte. Das eben geschilderte Bild und tausend andere boshafte Karrikaturen füllten die Blätter, der monarchistisch-klerikalen Presse Europas. Man sah Ludwig als gekrönten Satyr mit einer nackten Nymphe und einer Flöte, sah »einen Mops und einen Esel mit einer Krone am Schwanz« und tausend andere aufreizende Burlesken ... Das alles war, was wir Propaganda nennen, und diese Propaganda gegen Lola und Ludwig füllt große illustrierte Wälzer für gelehrte Deutsche und wandte sich zu beider Ruin unter dem Schutze ihres eigenen Schlagworts: Keine Zensur! an das Münchener Volk. Ludwig hätte unter jenem Wolkenbruch von Tinte am liebsten nachgegeben, aber Lola stand ihm zur Seite, gestählt gegen die Schmähungen des Pöbels. Ja, sie lehrte den König, sich an ihnen zu freuen.

Am 15. Dezember 1846, wenige Wochen nach ihrem Zusammentreffen, erließ der König ein Dekret, das die Schulen von neuem unter das unkirchliche moderne Regime stellte, das er entmutigt zugunsten der Christlichen Brüder aufgegeben hatte. Der Schlag traf schmerzhaft die empfindlichste Stelle, und der Feind parierte ihn durch das Abelsche Memorandum. Dieser Abel war das Hauptwerkzeug seiner Partei und gleichzeitig Minister des Innern. Er setzte ein Dokument auf, wie nur wenige Könige es zu lesen bekommen, außer unmittelbar vor ihrem Rücktritt. In ihm wurde mit einem Minimum offizieller Höflichkeit gegen den Einfluß »der Senora Lola Montez« protestiert; ferner hieß es, »Männer, wie der Bischof von Augsburg, vergießen täglich bittere Tränen über das, was sich vor ihren Augen abspielt«. Hand in Hand damit wurden Kopien der giftigsten Angriffe in der »guten« Presse als Beweis überreicht, daß die genannten Empfindungen »in ganz Europa in den Hütten der Armen wie in den Palästen der Reichen« herrschten. Lola »kompromittierte die Existenz der Königswürde an sich«. Diese Freundschaft habe »Zustände herbeigeführt, die den guten Namen, die Macht, den Respekt und das künftige Glück eines geliebten Königs« zu zerstören drohten.

Außerdem trug man Sorge, eine Abschrift an die Zeitungen zu schicken.

Wäre Ludwig allein gewesen, er hätte die bittere Pille vielleicht geschluckt. Er war bereits sehr tief gesunken. Hätte Marie Antoinette nur zu einem achten Teil die königliche Rolle gespielt, die Lola jetzt an sich riß, man hätte den gesamten dritten Stand in der Nacht der Eidesablegung auf dem Ballplatz aufgeknüpft, und uns wäre ein gut Teil Geschichte erspart geblieben. Lolas Erwiderung traf rasch und sicher, wie eine gut gezielte Kugel. Abel erhielt vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, um seinen Standpunkt zu überlegen, dann wurde er summarisch entlassen und ein Liberaler, von Schenk, an seine Stelle gesetzt. Noch während das Kabinett nervös über den nächsten Schritt beratschlagte, riß ein von Lola aufgesetztes kollektives Demissionsgesuch ihm die Initiative aus der Hand. Lola selbst wurde mit den Titeln einer Gräfin von Landsfeld und einer Baronin Rosenthal in den Adelsstand erhoben und erhielt eine Jahresrente von zwanzigtausend Kronen. Der aufsehenerregende Schritt fand in den liberalen Kreisen Europas Widerhall. Die Londoner Times brachten einen ernsthaft lobenden Leitartikel über den Sieg; Bismarck und Bernsdorff und tausend weniger bedeutende Stimmen gaben begeistert ihrem Beifall Ausdruck. Lola war nahe daran, der Welt Zielscheibe für die stärksten Haß- und Liebesgefühle zu werden.

Die Hauptburg ihrer Feinde nach Verlust der festen Plätze in der Regierung war die Universität. Sowohl Studenten wie Professoren waren erbitterte Gegner Lolas und des königlichen Traums eines neo-florentinischen Fürstentums unter Lolas Ägide. Die Studentenschaft pflegt sich unfehlbar mit Leidenschaft für die unvolkstümliche Sache der verflossenen Generation zu schlagen; ob diese reaktionär oder revolutionär, konservativ oder sozialistisch ist, hängt von der zeitgenössischen Geschichte und nicht von ihnen ab. Hier in München standen die Studenten alle unter dem reaktionären Einfluß gegen die heidnische Demokratie aus Ludwigs Jugendzeit. Lola war in ihren Augen das Symbolum Antichristi, und sie verfolgten sie mit knabenhafter Grausamkeit und List. Sobald sie mit ihrer englischen Bulldogge in der Öffentlichkeit erschien, machten die jungen Korpsstudenten es sich zur Pflicht, sie zu einem ihrer gewohnten leidenschaftlichen Ausbrüche aufzupeitschen, die vor allem zu ihrer Unbeliebtheit beitrugen. Meist kamen die Angreifer dabei schlecht weg. Der junge Baron Pechmann erhielt eine derartige Ohrfeige, daß er das Gleichgewicht verlor; einem anderen schlug sie einen blutigen Schmiß mit der Reitpeitsche.

Gefährlicher war die würdige Perfidie von Professor Lassaulx. Der Gelehrte setzte ein mit vorsichtigem Gift durchtränktes und von Sympathiekundgebungen und Glückwünschen strotzendes Dankschreiben an den entlassenen Minister, Hofrat von Abel, auf. Lola parierte auf ihre eigene prompte und für die Betroffenen peinliche Art, indem sie Lassaulx absetzte. Seine Studenten brachten ihm unter seinem Fenster eine Ovation. Sein Haus lag in der gleichen Straße wie Lolas »Feenpalast« und sie zogen von dort aus weiter, um die Demonstration unter dem Kriegsruf »Pereat Lola« zu vollenden. Sogleich verschwanden die Bediensteten, die Gardine vor dem Bogenfenster wurde zurückgezogen und die Herrin Münchens zeigte sich dem Mob, ein Glas Champagner in der Hand, das sie langsam und verächtlich zum Wohle der Aufrührer leerte. Steine flogen. Die Anführer versuchten die jungen Leute so weit zu bändigen, um mit ihnen die Haustür zu stürmen. Lola beobachtete die wilden, ungeschickten Manöver der Menge und verzehrte dabei Pralinen. Der König selbst mischte sich inkognito unter den Pöbel, um seine Löwenbändigerin bei ihrem neuesten Akt zu bewundern; endlich bekam er die Sache satt und befahl der berittenen Polizei, die Straßen zu säubern. Später am Abend erfolgte noch ein zweiter Ausbruch, der sich erst nach einer mit blanker Waffe ausgeführten Kavallerieattacke unterdrücken ließ.

Lola schilderte den Vorfall summarisch in einem Brief an die Londoner Times:

»Unter anderem möchte ich hervorheben, daß ein Jesuitenprofessor, namens Lassaulx, vergangene Woche seines Lehrstuhls enthoben wurde, worauf die Klerikalen den Mob bestachen, die Fenster meines Palais einzuschlagen und auch dieses Palais selbst zu attackieren; dank jedoch der besseren Einsicht der anderen Partei und vor allem der Anhänglichkeit der Soldaten an seine Majestät und die königliche Autorität, scheiterte das ganze Unternehmen.«

Diesem Schritt folgten die Neuorganisierung der Universität, die Aufhebung der Zensur auf Bücher, die den Studenten verkauft werden durften und die beschleunigte Ausführung der Pläne des Königs für einen Umbau Münchens. Die Macht- und Schaffenskraft des seltsamen Paares standen auf ihrem Gipfelpunkt; München begann zur Weltstadt zu werden.

Politisch hatte es derart die Partei gewechselt, daß die Jesuiten, als sie nach Zertrümmerung des Sonderbundes (im November 1847) aus der Schweiz flohen, die bayrischen Grenzen gesperrt fanden. Das englische Witzblatt » Punch« brachte als Entwurf eines bayrischen Denkmals eine Karrikatur, die Lola mit einem Banner zeigte, das die Inschrift »Freiheit und die Cachuca« trug.

Man näherte sich dem ruhmreichen Jahre 1848, in welchem Europa für das Evangelium des allgemeinen Wahlrechts litt und stritt. Die Dichter bemannten an Stelle der Politiker die Barrikaden: im Sinne eines Krieges zur Beendigung des Krieges focht diese Revolution für das neue Jerusalem. Alles war äußerst einfach in jenen Tagen; alle Könige waren schlecht, alle Republikaner groß und edel. Unsicher schwankend näherte sich das zweisitzige Staatsschiff mit Lola und dem König den Stromschnellen. Ihr Krieg mit den Studenten hatte eine neue Wendung genommen. Auf einem ihrer Bälle erschienen Studenten der Pfälzer Burschenschaft mit ihren charakteristischen Mützen. Um zwei Uhr morgens entriß Lola einem Burschen seine Mütze und stülpte sie sich auf den Kopf; am folgenden Tage wurden der Besitzer und seine Freunde aus dem Korps hinausgeworfen. Sie bildeten eine neue Vereinigung, die Alemannen, und sogleich verlieh ihnen der König sämtliche alten Privilegien. Vom ersten Augenblicke an entwickelten sie sich zu einer treuen Leibwache Lolas; sie standen Posten vor ihrem Haus und wurden zu allen ihren Gesellschaften eingeladen. Am 31. Januar 1848 marschierten die Korps Frankonia, Bavaria, Isaria und Suevia in corpore auf die Straße, verstärkt durch Tausende von Revolutionären und Hunderte von Seminaristen. Durch irgendeinen Assimilierungsprozeß hatten sich alle diese feindlichen Elemente unter dem Kriegsruf: »Tod der Lola!« zusammengefunden, jetzt zogen sie vor ihre Behausung. Die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Alemannen wurden mißhandelt und aus dem Wege geräumt, alle mit Ausnahme von vieren: den Grafen Hirschberg, Peisner und Laibinger und einem Leutnant Nußbaum, der später jener Affäre wegen den Abschied erhielt. Diese vier und Lola unternahmen einen Ausfall auf die Straße und stellten sich dem wütenden Haufen. Durch irgendein Wunder bahnten die jungen Burschen ihr einen Weg ins Herz der Menge, während Lola (zweifellos mit schriller Stimme – jede Heldentat hat ihre Schattenseiten) Schmähungen und Drohungen ausstieß und fleißig ihre Peitsche gebrauchte. Endlich trennten keine Rampenlichter sie mehr von dem Feind und fürs erste behielt sie die Oberhand.

Als sie müde geworden, die Peitsche zu schwingen und ihre arg zerschundene Leibwache verschwunden war, zog sie sich hoch erhobenen Hauptes und den Pöbel à distance haltend vor das Tor der Theatinerkirche zurück, wo ein nachsichtiger Priester die prachtvolle kleine Kalvinistin aufnahm. So rettete er ihr das Leben. Dieser ist einer der wenigen historischen Fälle, in denen ein Mensch, Mann oder Weib, mit heiler Haut einem wütenden Volkshaufen entkam.

Der alternde König begann zu schwanken. Zuerst schloß er die Universität für immer, dann löste er sie auf, nach einer Woche befahl er sie wieder zu eröffnen. Sogleich strömte der Feind in diese Bresche seines Willens, die selbst Lola nicht rechtzeitig zu schließen vermochte. Ein zweiter Demonstrationszug mied sorgfältig ihr Palais; sie war jetzt eingekreist, und Ludwig, der neue Lear, gab der Tragödie eine neue Wendung, indem er seine Cordelia im Stich ließ. Er hatte jetzt genug; Träume, Liebe, Schönheit, Romantik, alles packte er mit zitternder Hand zusammen, um es seinem neuen Herzenswunsch, der Sehnsucht nach Frieden zu opfern. Am Abend seiner Kapitulation ließ er Lola polizeilich verhaften. Eine gewaltige Menschenmenge lief zusammen, um Zeuge des ungemein lohnenden Endschauspiels zu sein. Als erstes sperrte Lola den jungen Nußbaum und seine Freunde, die zu einer letzten verzweifelten Verteidigung erschienen waren, ein; sie wollte nicht, daß sie ihretwegen noch weiteren Schaden nähmen. Dann, ohne der eingeschüchterten Polizei zu gestatten, Hand an sie zu legen, schritt sie mutterseelenallein durch die Menge. Diese machte ihr schweigend Platz. Auf dem Bahnhof gesellten sich drei keuchende Alemannen zu ihr; die Burschen waren aus dem Fenster gesprungen. In der gleichen Nacht plünderte der Pöbel ihr Palais. Der König erschien in einer Anwandlung von Masochismus, um mit eigenen Augen zu sehen, was er nicht zu verhindern wagte. Er wurde erkannt, als er die Trümmer inspizierte, und irgendein Lümmel betäubte ihn durch einen Schlag über den Kopf.

Das Ende dieser Episode ist wunderbar. Anscheinend bat Lola den König um eine letzte Unterredung. Auf Rat seines Beichtvaters ließ er ihr sagen, sie solle sich einem Teufelsbeschwörer, einem gewissen Justinus Kerner, der in einem Münchener Vorort lebte, anvertrauen. In dem von ihm veröffentlichten Briefwechsel schreibt er: »Vorgestern erschien Lola in Begleitung von drei Alemannen. Es ist recht ärgerlich, daß der König sie zu mir geschickt hat, aber man hat ihm gesagt, sie sei besessen. Bevor ich sie mit Magie und Magnetismus behandle, will ich eine Hungerkur an ihr versuchen. Ich erlaube ihr nur dreizehn Tropfen Himbeersaft und den vierten Teil einer Waffel.«

In einem anderen Brief heißt es: »Lola ist erstaunlich mager geworden. Mein Sohn Theodor hat sie mesmerisiert und ich lasse sie Eselsmilch trinken.«

Wenige Tage später reiste sie nach der Schweiz, wo man ihr aus Dankbarkeit das Aufenthaltsrecht gewährte. Ihre drei Getreuen blieben noch eine Weile bei ihr, dann ging ein jeder seiner Wege, die, wie immer sie auch gewesen sein mögen, sich sicherlich nicht mit der Zeit vergleichen ließen, da sie Lolas Schutz und Hort waren.

Was nun den König betrifft, so hatte er eine Todsünde begangen, für die es im Himmel und auf Erden keine Verzeihung gibt. Ich meine damit nicht den Verrat an der Frau, die er liebte, den Verrat an Loyalität und Freundschaft, Gott sei Dank kann ein Mann sich das alles zuschulden kommen lassen, ohne deswegen ein verlorener Mensch zu sein. Ludwig aber hatte seinen Lebenszweck, seine Daseinsberechtigung gegen Frieden und Sicherheit eingetauscht, ein ungesetzlicher Handel, der gegen die Gebote des Lebens selbst verstößt. Nach sechs Wochen, der Durchschnittsfrist zwischen Urteil und Hinrichtung, wurde er schmählich zur Abdankung gezwungen und aus der Hauptstadt verbannt.

Lola ist jetzt am Ende. Der Rest hat lediglich das abscheuliche Interesse einer Vivisektion. Ihre Bewegungen sind die eines gequälten Tieres im Käfig. Nacheinander rüttelt sie an jeder verrammelten Tür: Reisen, Klausur, Religion, ja selbst an der Ehe. 1849 überredet sie einen armen, dummen Gardisten, mit ihr aufs Standesamt zu gehen. Unmittelbar darauf läßt des Mannes Familie sie wegen Bigamie verhaften; Leutnant James war immer noch am Leben, aber das Verfahren wurde eingestellt. 1851 fuhr sie nach New York, wo sie mit einigem Erfolg, der aber eher auf Neugier als Wertschätzung beruhte, auftrat. Von dort ging es nach New Orleans. Hier packte sie das Goldfieber und sie reiste über Land nach Kalifornien. Jener aufgeblasene Kerl, der englische Kriegsberichterstatter Russell, begegnete ihr unterwegs und erzählt: »Gelegentlich führen die auf- und abwogenden Fluten des Rowdy- und Gaunertums, die sich periodisch durch Cruces ergießen, auch einen berühmten Reisenden mit sich. Eines schönen Tages erschien Lola Montez auf dem Gipfelpunkt ihres üblen Ruhms, begleitet von einem recht seltsamen Gefolge. Sie war auf dem Wege nach Kalifornien. Eine hübsche, herausfordernd wirkende Frau mit schönen, bösen Augen und energischem Wesen. Sie trug einen tadellosen Männeranzug, einen weißen Kragen über einem Rock mit Samtaufschlägen, eine reichgestickte Hemdbrust, schwarzen Hut, französische Beinkleider und blankgeputzte, adrette Sporenstiefel. In der Hand hielt sie eine elegante Reitpeitsche ... Ich war froh, als das elende Weib am folgenden Morgen fortritt.«

Man munkelt von weiteren Heiraten und Affären, alle sind ungewiß, unappetitlich, ephemer. Da gab es einen Redakteur namens Hull, einen deutschen Jäger, Adler, Hände, die sie sekundenlang verzweifelt zwischen den Gitterstäben ergreift und wieder fahren läßt. 1854 haust sie allein in Grass Valley am Fuße der Sierra Nevada in einem kleinen Blockhaus, umgeben von Tieren, die ihr halb Nutztiere, halb zoologischer Garten sind. Eine Zeitungsnachricht besagt: »Vergangenen Sonntag stattete uns Lola Montez mit einem Schlitten und einem Pferdegespann, das auf gut Glück mit Kuhglocken geschmückt war, einen Besuch ab. Meteorgleich jagte sie unter Schneegestöber und zufällig daherfliegenden Schneebällen vorbei, um in der Richtung von Grass Valley zu verschwinden.«

Ihr nächstes Reiseziel ist Ballarat in Australien, wo sie Gold sucht, statt dessen aber den Australier entdeckt. Dank der unbedachten, beispiellosen Pöbelhaftigkeit in den britischen Kolonien, in denen die feine gesellschaftliche Kultur des Mutterlandes zu versauern pflegt, gerät sie dort in Händel und wurde endlich, einer verwundeten Häsin gleich, an ihren Ausgangspunkt: Irland und die kalvinistische Religion zurückgejagt. Es ist ein seltsames Geheimnis jeglicher »Bußfertigkeit«, daß jene, die der Nüchternheit des Lebens erliegen, sich in die geschmeidige Romantik und veredelnde Melancholie der katholischen Kirche hineinretten; Menschen hingegen wie Lola, die der Liebe, des Abenteuers und des Erlebens überhaupt überdrüssig sind, werden Puritaner. Und hier verabschieden wir uns von ihr mit ihren eigenen Worten, die sie Seite an Seite mit Anmerkungen über fromme Vorträge, ihre wachsende Armut und fleißige Kirchenbesuche und Gebetstunden in ihr geistliches Tagebuch schrieb: »Jetzt aber ist ein wunderbarer Wandel in meinem Herzen vor sich gegangen. Was ich früher liebte, das hasse ich jetzt.« 1861 starb sie, dreiundvierzig Jahre alt.


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