Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Alexander der Große

Dann kam das Feuer, verbrannte den Stab,
Der den Hund schlug.
Der die Katze biß.
Die das Kitz fraß.
Das mein Vater kaufte
Für zwei Stück Geld.
Ein Kitz! Ein Kitz!

Die Juden, jene ewigen Zeitgenossen, die alles mit erlebt und die Erinnerung daran festgehalten haben, kennen ein kindliches Reimgeklingel weltgeschichtlichen Inhalts. Ganz am Anfang, wohin ich diesen Reim gestellt habe, erscheint Alexander, das Feuer, welches das Achaemenische Reich verbrannte, das über die Welt den Stab schwang, der den grausamen assyrischen Hund schlug, der die weise babylonische Katze biß, die das arme unschuldige Geißlein verschlang: das auserwählte Volk, das Gott von Moses kaufte. Dieses steht am Ausgang des kosmischen Zermahlungsprozesses, der für die Juden die Weltgeschichte verkörpert. Feuer ist eine treffende Bezeichnung für Alexander: er lebte wie Feuer, focht wie Feuer und starb jung, ausgebrannt.

Er nimmt in diesen Porträtstudien den ersten Platz ein, nicht nur weil er zeitlich an erster Stelle steht (356-323 vor Christi Geburt), sondern weil er gewissermaßen das ganze Thema in sich begreift. Jeder Abenteurer gleicht in irgendeinem Punkte Alexander, ja viele der größten haben ihn bewußt nachgeahmt. In ihm sind stärker als in den anderen die Geheimnisse des Wachstums und der Charakterentwicklung vereinigt, die allen gemeinsam sind.

Zum Teil ist das eine Folge des Zufalls seiner Geburt, die ihn zum Sohn eines großen Mannes machte. Knaben in seiner Lage entwickeln sich meist zu psychologischen Ungeheuern, von vorne herein zu der bitteren oder lächerlichen Rolle eines Hamlet bestimmt. Allein Alexander sog aus seiner Herkunft jene doppelt gestählte Reaktionskraft, die Bacon an Buckligen und Zwergen beobachtete. Opposition gegen seinen Vater, dessen gewaltige Persönlichkeit ihm nach allen Richtungen den Horizont versperrte, mußte notgedrungen seine Hauptentwicklungsphase kennzeichnen. Alle übrigen Kräfte seiner Ichbildung unterliegen dem Doppeleinfluß seiner Mutter und seines Erziehers. Die Tigerhexe Olympias haßte Philipp gleichfalls kraft einer andersartigen Eifersucht, und Aristoteles war ihm von seinem Vater aufgezwungen.

Dieser Philipp hatte eine ungewöhnliche Laufbahn hinter sich. Noch vor seinem zwanzigsten Lebensjahre wurde er durch eine Verschwörung verräterischer wilder Bergfürsten, die ihm den väterlichen Thron entreißen wollten, an seine Feinde, die Thebaner verkauft. Kaum lohnte es sich, um seine Rechte als Oberhaupt eines solchen Hofes zu kämpfen. Dies war der Anfang, und im Laufe von zwanzig bis dreißig Jahren gelang es Philipp, sich nicht nur zum König eines befriedeten, geordneten Mazedoniens emporzuschwingen, nein, er wurde Oberfeldherr von ganz Griechenland: eine Leistung, die etwa mit den Schwierigkeiten zu vergleichen wäre, die ein junger Mexikaner überwinden müßte, wollte er allen Gesetzen, Gewohnheiten und Rassenvorurteilen zum Trotz Präsident der Vereinigten Staaten werden. Trotzdem war Philipp kein Abenteurer. Seine Laufbahn birgt weniger abenteuerliche Züge als eine Schachpartie. Sie war ein einziger Aufbau. Er war ein Ingenieur des Lebens. Jeder Gewinn seines Daseins wurde im voraus geplant und als reife Ernte eingesammelt. Nichts entglitt seinen Händen – mit Ausnahme der Liebe seines Sohnes.

Ist ein derartiger Mann daneben noch gutmütig, mit dem Temperament eines Berges und der Gesundheit eines Felsens, ansteckend lustig in Gesellschaft, eifrig wie ein Schuljunge beim Sport, eitel mit dem halbernsten Übermut eines Mannes, der im Grunde seines Herzens mit dem Leben zufriedener als mit sich selbst ist, sieghaft in seiner lächelnden Überlegenheit ebenso wie in seinen Schlachten, so wirkt er nicht nur überragend, nein erdrückend. Im Plutarch findet sich eine Stelle, die Alexanders Geheimnis verrät.

»Wann immer die Nachricht überbracht wurde, daß Philipp eine feste Stadt genommen oder eine große Schlacht gewonnen hatte, pflegte der Jüngling, statt sich zu freuen, zu seinen Gefährten zu sagen: ›Mein Vater wird so lange siegen, bis es für Euch und mich nichts Außergewöhnliches mehr zu leisten gibt.‹ Denn er wollte kein Reich erben, das ihm Wohlstand, Üppigkeit und Genuß brachte, sondern eines, das ihm Gelegenheit zum Siegen, Kämpfen und zur Befriedigung seines großen Ehrgeizes böte.«

Indes reizt Heldenhaß nicht minder zur Nachahmung als Heldenverehrung – mit dem einen Unterschied: er wirkt durch Opposition. Alexanders glühender Wunsch, seine Persönlichkeit gewaltsam von jeder Ähnlichkeit mit Philipp zu befreien, zog ihm die gleichen Grenzen, wie tiefste Verehrung sie gezogen haben würde: er schlug sich selbst in eine Kette von Widersetzlichkeiten. Philipp war seiner vorsichtigen Schlauheit wegen berühmt; Alexander wählte für sich Draufgängertum und die große Geste. Philipp war beredt. Alexander tat sich auf seine Schweigsamkeit, die seiner überschäumenden Natur schwer fiel, etwas zugute. Philipp war eitel genug, seine Siege in den olympischen Wagenrennen durch Denkmünzen zu verewigen. Alexander dagegen antwortete auf die Frage, ob er sich an den olympischen Wettläufen beteiligen wolle (er war ein flinker Läufer): »Ja, hätte ich Könige zu Gegnern.« Er machte mit Vorbedacht gegen die sportlichen Neigungen seines Vaters Front. In der frühreifen Erkenntnis, daß auf ihnen vor allem Philipps Volkstümlichkeit beruhe, zog er zwischen seines Vaters und seinen eigenen Liebhabereien eine wunderliche Trennungslinie. Philipp, zum Beispiel, liebte es, Faust- und Ringkämpfen beizuwohnen. Alexander »gab vor, den Ringkampf, einschließlich eines unter dem Namen Pankration bekannten Faustkampfes mit Schlagringen, von Grund auf zu hassen.«

Die von Wildwestromantikern getreulich gehegte Geschichte der Zähmung des Bukephalos bietet ein überraschendes Beispiel für diesen verborgenen Konflikt zwischen Vater und Sohn. »Als Philonikos, der Thessalier, Philipp ein Pferd namens Bukephalos zum Preise von 13 Talenten (rund 25 000 M.) anbot, begab sich der König in Begleitung des Prinzen und vieler anderer hinaus auf ein Feld, um es sich vorführen zu lassen. Das Pferd gebärdete sich sehr boshaft und unbändig. Weit davon entfernt, sich reiten zu lassen, duldete es nicht, daß man es anredete und wandte sich wutschnaubend gegen die Reitknechte. Philipp war ungnädig, daß man ihm ein so wildes und ungebärdiges Pferd gebracht und befahl, es abzuführen. Doch Alexander, der es scharf beobachtet hatte, sagte: ›Welch ein Pferd geht uns hier aus Mangel an Geschick und Mut verloren!‹ Anfänglich achtete Philipp nicht auf seine Worte, als jedoch der Prinz mit großer Unruhe die gleiche Rede öfters wiederholte, sagte er: ›Junger Mann, du tadelst ältere Männer, als wüßtest du mehr denn sie und könntest dieses Pferd besser regieren.‹ ›Das könnte ich in der Tat‹, lautete die Antwort des Prinzen. ›Falls du es nun nicht reiten kannst, welches Pfand willst du für deine Tollkühnheit zahlen?‹ ›Ich werde den Preis für das Pferd zahlen.‹ Hierauf lachten alle Anwesenden, allein der König und der Prinz waren die Wette eingegangen. Alexander lief daher zu dem Pferde hin und drehte es, die Zügel ergreifend, der Sonne zu; denn er hatte bemerkt, daß der ständig mit dem Tier sich bewegende Schatten es ängstigte. So lange seine Wut anhielt, fuhr Alexander fort, ihm sanft zuzureden und es zu streicheln; alsdann warf er behutsam seinen Mantel ab, sprang mit einem leichten Satz auf seinen Rücken und gewann einen sicheren Sitz. Darnach ließ er es, jedoch ohne allzu straff die Zügel und ohne Peitsche oder Sporn zu gebrauchen, Schritt gehen. Als er sah, daß seine Unruhe sich gelegt hatte und daß es zu laufen wünschte, ließ er es in vollen Galopp fallen, es mit Stimme und Sporn antreibend.

»Philipp und sein Hof waren anfänglich in großer Sorge um ihn, und tiefes Schweigen senkte sich herab; als aber der Prinz das Pferd gewendet und auf kürzestem Wege zurückgeführt hatte, empfingen sie ihn mit lautem Jubel, der Vater ausgenommen, der ihn mit den Worten küßte: ›Suche dir ein anderes Reich, würdig deiner Fähigkeiten, mein Sohn, denn Mazedonien ist für dich zu klein‹.«

Dem guten Plutarch ist die leise Ironie dieser Bemerkung entgangen, die der gewiegteste Kenner einer ganzen Nation von Reitern einem jungen Manne gegenüber fallen läßt, der soeben einem Händler geholfen hat, einen bösartigen Gaul zu exorbitantem Preise zu verkaufen. Trotzdem klingt echter Stolz aus ihr. Riesen beneiden ihre Väter, aber nur Pygmäen vermögen ihre Söhne zu beneiden. Philipp nahm Alexander gegenüber meist eine Haltung belustigten Stolzes ein; es war der Stolz eines Züchters und Vaters zugleich, der auch die heftigsten Zornausbrüche über des Sohnes Trotz und Dreistigkeit überdauerte.

So liegt vielleicht in der Opposition zu seinem Vater das Geheimnis von Alexanders persönlicher Lebensführung. Sie bestand aus einer Art athletischer Askese und übte auf die Welt einen fast ebenso starken erzieherischen Einfluß aus, wie die festgefügten Lehrsätze einer Religion, die auch heute noch in der seltsam gefälschten und geflickten Form des 18. Jahrhunderts unter der Etikette: »English gentleman« das Ideal eines Teiles der Menschheit bildet. Das geht vor allem aus seinen typischen Indiosynkrasien hervor. Die Grundlage von allem ist die Auflehnung gegen einen sinnlichen, lärmenden, immer noch halb barbarischen Häuptling, denn das und nichts anderes war Philipp bis an sein Lebensende. Indes baute Alexander auf dieser strengen Basis für den arischen Jüngling eines der reizvollsten Ideale auf. Seine Verbote und Gebote sind weit mehr als bloße Launen, aber ihr Ursprung hat nichts mit Religion oder Metaphysik zu tun. Allerdings haben zahlreiche griechische Schulen Alexanders Verachtung des Körpers und dessen Freuden als ihr geistiges Eigentum in Anspruch genommen. Diese Lehre war kurz vor Alexanders Zeit von dem eigensinnigen Antisthenes aus dem Grundsatz des Sokrates: »Tugend ist Wissen« in den Schlachtruf: »Schlechte Manieren als Selbstzweck« umgewandelt worden. Seinen Schülern trug er den Namen Zyniker ein. Antisthenes frecher Freund, der ehemalige Münzer Diogenes von Sinope, hatte dann die Schule auf seine Art sehr bekannt gemacht. Ohne Zweifel fühlte sich Alexander von ihr angezogen. Er befand sich in dem Alter, da jeder intelligente Jüngling für seine Neigungen und Abneigungen einen theoretischen Hintergrund sucht. Doch jenseits und als Basis der Wirkung, die jene düsteren Vernunftsschlüsse ausübten, lag ein instinktiver Komplex, in welchem ich zwei verbundene Elemente zu erkennen glaube – den Drang nach Selbstkasteiung und den Wunsch, weder rein berechnend noch ausschließlich uneigennützig, die Kultbedingungen des Abenteuers zu erfassen, sobald ihm die erste einladende Geste winkt. Grob ausgedrückt: Puritanismus und Training.

Das erstere ginge mich hier nichts an, wenn man sein Vorhandensein in Alexander wie in der übrigen Menschheit ahnte. Es würde zum besseren Verständnis sämtlicher Biographien, insbesondere der folgenden, beitragen, wenn man sich erinnern würde, daß der Mensch auch den Impuls der Selbstkasteiung kennt, und zwar in gewissen Lebensaltern in starkem, ja unvernünftigem Maße. Die Voraussetzung, daß Jugend zum Genusse neigt, daß eines jungen Mannes Widerwillen gegen weiche Betten, Wein und Rosen widernatürlich oder doch zum mindesten der Ausfluß einer zwingenden Morallehre sei, ist leichtfertig. Genuß ist ein zweifelhafter Begriff, ja es gibt auf der Welt ebenso viele Geizige wie Gourmets.

In dem jungen Alexander wird der angeborene Hang, mit sich selber zu geizen, durch den ahnungsvollen Wunsch verdoppelt, jede lästige Gewohnheit, jedes weichliche Kompromiß abzuschütteln. Er fürchtet alles, was dem Abenteuer seines Lebens hinderlich sein könnte. Kaum hat er den Schattenriß der Zukunft erkannt, so hören die Freuden des Bettes und der Tafel für ihn auf, sündig und seiner unwürdig zu sein; mag er sich auch in den Augenblicken, da er den Kopf mit dem Unsinn des Diogenes vollgepfropft hatte, derartiger Ausdrücke bedient haben, letzten Endes betrachtete er den Genuß nur als gefährliches Hindernis. Lassen wir ihn seine Moralität erklären, und zwar in dem Augenblick, da seine Erfolge ihn der Notwendigkeit enthoben hatten, eine messerscharfe Moral zu gebrauchen. Seine Worte lauten: »Schlaf und Geschlechtsverkehr bringen mir meine Sterblichkeit am stärksten zum Bewußtsein.«

Der zweite menschliche Einfluß auf diesen feurigen, Wohlleben hassenden, vaterneidischen Jüngling ist der seiner Mutter, der furchtbaren Olympias. Der dritte ist der schwer zu fassende Faktor Aristoteles. Der universelle Philosoph war sein Lehrer von seinem dreizehnten Lebensjahre an. Sowohl das Weib wie der Weise haben ihre seltsam verschlungenen Spuren in dem Wesen des Knaben hinterlassen.

Diese Olympias ist, selbst nach dem schattenhaften, mißverstandenen Umriß der Geschichtsschreiber, ein prachtvolles Geschöpf. Wie wir noch näher untersuchen werden, haßte sie Philipp aus den allgemeinsten wie aus den kompliziertesten Gründen. Den Griechen der Stadtstaaten mußte der Hof Philipps als barbarisch und primitiv erscheinen. Die Königin Olympias aber war eine Prinzessin des mittelalbanischen Bergstaates Epirus, wo man fünfhundert Jahre hinter dem Kalender zurückgeblieben war. In Wahrheit gehörte sie einer Zeit an, die um vieles jünger war, als der Sonnenuntergang der antiken Welt, an dessen Schwelle Sohn und Gatte standen. In ihr lebte das neolithische, das Steinzeitalter, jene ungeheuer verwickelte Kultur, die niemals einen Historiker gehabt noch gebraucht hat; wir sind daher genötigt, unsere Begriffe aus den Fingerzeigen der Opferaltäre und dem Ju-ju der Ureinwohner notdürftig zusammenzuflicken.

Der lang verloren gegangene Schlüssel zum Wesen der Olympias, dem wir um Alexanders willen ein wenig nachspüren müssen, liegt in ihrem Geschlecht. Sie war ein Weib aus der Zeit, da noch die Erinnerung an das Matriarchat und an die zärtlich gehütete Zivilisation der Jagdvölker lebendig war, und sie lehnte sich immer noch gegen die veränderten Verhältnisse auf. In den Werken der Griechen wird sie eine Zauberin genannt, und der friedliche Plutarch, der von Herzen wünscht, selbst die Familienmitglieder seiner Helden möchten durchaus ehrbare Leute sein, stottert, wenn von ihr die Rede ist. Uns interessieren nicht ihre Verbrechen, sondern ihre Denkungsart, das heißt ihre Religion. Sie war eine eifrige Anhängerin und Hohepriesterin der Mysterien des Orpheus und Dionysos. Erteilen wir Plutarch das Wort: »Die Weiber jenes Landes sollen die Zeremonien des Orpheus und die Orgien des Dionysos über alles lieben, und sie sollen Chlodones und Mimallones heißen, weil sie in mancher Hinsicht den edonischen und thrazischen Weibern vom Berge Haemus nacheifern, von denen das griechische Wort threskuein (einen Zauber weben) stammt. Dieses bezeichnet die Ausübung absonderlicher und abergläubischer Gebräuche. Olympias war auf derartige Gepflogenheiten ganz erpicht und führte in dem Wunsche, jenen enthusiastischen Feierlichkeiten einen seltsameren und grausigeren Anstrich zu verleihen, eine Anzahl großer zahmer Schlangen ein, die aus dem Efeu und den mystischen Fächern hervorkrochen, sich um die Thyrsen und Girlanden der Weiber wanden und die Zuschauer mit Schrecken erfüllten.«

So kommt es, daß wir, wann immer in Geschichtswerken Olympias Name fällt, vorsichtig und nur andeutungsweise in den bisher mangelhaft erforschten Hintergrund archaischer, übernatürlicher Geheimnisse geführt werden. Dieser liegt jenseits des leuchtenden Vernunftsglaubens griechischen Lebens. An den Mysterien, deren Schülerin sie war, interessiert uns zweierlei: der ungewöhnlich bedeutende und in keinem Verhältnis zu ihrer politischen oder auch nur gesellschaftlichen Rolle stehende Anteil, der den Frauen dabei zugemessen war, sowie die Eigenart des – wenn auch nicht – Internationalismus, so doch der stammesgeschichtlichen oder übernationalistischen Bindungen, die aus einem unerklärlichen Grunde mit dem Kulte verknüpft waren. Was für kindische und brutale Dinge Olympias und ihre Genossinnen den Knaben unter dem Deckmantel jenes ehrwürdigen Hokuspokus auch gelehrt haben mögen, dieser Internationalismus war wertvoll und für ihn kritisch von Wichtigkeit. Ihr verworrener und problematischer Polytheismus räumte in seinen Tempeln Isis wie Attis einen Platz ein. Cybele hauste dort Seite an Seite mit dem etruskischen Priapus, dem persischen Mithras und dem griechischen Orpheus. Nicht nur konnte ein wandernder Jude, Syrer oder Meder kraft dieser Riten der Blutsbruder eines Griechen oder Mazedoniers werden, nein, jene Verbände waren so zahlreich, ihre Geheimnisse so miteinander verstrickt, daß der Unterschied zwischen dem Eingeweihten und dem Outsider, der eigentlich eine besondere Art Partikularismus hätte hervorbringen können, in Wahrheit durch einen schier unendlichen Gedankenaustausch, eine unbegrenzte Zahl von Abstufungen des Eingeweihtseins überdeckt war. Daß Alexander ein durch seine Mutter eingeführter Adept der orphischen Mysterien war, hätte ihn zum Beispiel nicht gehindert, den ägyptischen Thebanern beizutreten; im Gegenteil, diese Tatsache hätte ihn von vorne herein halb und halb zu einem der ihren gemacht.

So schüttelt Alexander als erste Folge des mütterlichen Einflusses die größte Hemmung des Abenteurers, einen exklusiven Patriotismus ab. Im Innersten seines Herzens konnte ein Perser ihm Bruder, ein Athener ihm fremd sein. Das heißt, er vermochte sich von der raffiniertesten Machenschaft der Gesellschaft – der Erzfeindin des Abenteurers – nämlich vom Wesen des Nationalismus zu befreien. Der gesellschaftlich denkende Mensch verzeiht dem Abenteurer alles eher als eingefleischte Vaterlandslosigkeit. In Wahrheit ist die Vaterlandsliebe letzten Endes ein Versuch, dem Abenteurer auf halbem Wege entgegenzukommen; sie will die Gesellschaft, jene langweilige Stubenhockerin, in bunte Farben kleiden, will den Ausreißer überreden und mittels einer Art Musik verlocken, in Reih und Glied zurückzukehren; kurz die Anhänglichkeit soll nicht nur zur Pflicht, nein auch zum aufregenden Vergnügen werden. Der Rückschlag dieser List wirkt auf den Betreffenden nicht wie ein Hieb auf einen Mann, sondern wie eine Zurückweisung auf eine Frau. Die Vaterlandsliebe oder das Massenabenteuer ist die Alternative zum reinen Abenteuer, das immer individuell bleibt. Die abenteuerfeindlichen Rassen, wie die Franzosen und modernen Engländer, sind daher die patriotischsten. So findet sich auch im Leben der typischen Abenteurer, parallel und übereinstimmend mit ihrer Nichtachtung der sozialen und moralischen Gesetze, eine mehr oder weniger auffallende Gleichgültigkeit gegenüber dem vaterländischen Gefühl. Ein patriotischer Abenteurer ist allerdings kein solches Paradoxon wie ein gesetzesliebender Abenteurer. Trotzdem legt man gerade den genialsten Vertretern dieser Menschengattung, wie auch Alexander, den klaren Vorwurf der Vaterlandslosigkeit zur Last, gegen den ihre offiziellen Biographien sie nur mit Mühe verteidigen können. Das Abenteuer seines Lebens bestand darin, den Höhepunkt griechischer Macht zugleich zum größten Betrug an Griechenland zu machen, dessen Epoche mit ihm endigt.

Die erste Lehre der Olympias ist der Internationalismus; die zweite dürfte noch weniger auf Billigung hoffen. Plutarch erzählt, daß es Olympias »in der Nacht vor dem Vollzug ihrer Ehe« träumte, »ein Donnerkeil sei ihr auf den Leib gefallen und habe ein großes Feuer entfacht, und die Flamme habe weit und breit um sich gegriffen, ehe sie verschwunden sei. Kurze Zeit nach seiner Heirat träumte dann Philipp, er habe der Königin Schoß versiegelt mit einem Siegel, dessen Prägung er für einen Löwen hielt. Die meisten Traumdeuter glaubten, der Traum gäbe Anlaß, die Ehre der Olympias anzuzweifeln, und Philipp täte gut daran, sie scharf zu bewachen. Aber Aristander von Themesus erklärte, der Traum besage nur, daß die Königin schwanger sei und daß das Kind kühnen, löwengleichen Mut beweisen würde. Ferner sah man eine Schlange, während Olympias schlief, an ihrer Seite liegen, ein Vorfall, der Philipps Zuneigung zu ihr mehr denn alles andere gedämpft haben soll ... Außerdem wird behauptet, er habe eines seiner Augen verloren, als er durch einen Türspalt spähend den Gott (Jupiter) in Gestalt einer Schlange in seines Weibes Armen liegen sah. Nach Erathosthenes soll Olympias insgeheim dem Alexander das Geheimnis seiner Geburt enthüllt und ihn ermahnt haben, sich in einer seiner göttlichen Herkunft würdigen Art aufzuführen.«

Das »Jupitertum« Alexanders wird durch diese Geschichte auf eine ganz andere Ebene gerückt. Es hat nichts mit der tollen, durch die überschwänglichen Komplimente der Orientalen aufgepeitschte Eitelkeit zu tun, die manche Kommentatoren ihm zuschreiben. Erstens wird die Ursache außerhalb seiner selbst in das Zusammenwirken von Philipp und Olympias gelegt; zweitens liegt ihr Ursprung – die erfinderischen Freudianer von Schlange und Donnerkeil würden ihn näher zu bezeichnen wissen – irgendwo in den Beziehungen jener beiden zu Beginn ihrer Entfremdung. Der Knabe glaubte an seine Göttlichkeit lang vor seiner Eroberung Persiens, womöglich lang ehe er auch nur diesen Gedanken faßte. Wie dem auch sei, Olympias wußte davon und mag diese Einbildung sehr wohl gepflegt, ja sie als besonderes Erziehungsmittel benutzt haben. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre – Plutarch spricht sich darüber nur zögernd aus – so mußte doch die Umgebung, in der der Knabe an seiner Mutter Seite lebte, jene Vorstellung bekräftigen. Diese leidenschaftliche Mutter und haßerfüllte Gattin lebte als Primitive und Anhängerin des Orpheus in einer mit Gottheiten bevölkerten Welt. Die ersten Worte, die ihr Adeptentum ihn lehrte, lauteten: »Ich bin ein Sohn der Erde und des Himmels.« Die letzten Worte, geprägt auf den Amuletten, die man den toten Jüngern in die Hände legte, lauteten: »Ich bin hinausgeströmt aus dem Kreislauf des Lebens.« Und: »O Glücklicher, Gesegneter, du hast deine Unsterblichkeit abgelegt und sollst zum Gotte werden.«

Getrennt von dem Problem der Entstehung und Entfaltung dieses Jupiterglaubens steht die praktische Frage seines Einflusses auf Alexanders persönliche Entwickelung. Als psychologischer Faktor hat er bei den unerhörten Taten, die der Held vollbringen sollte, zweifellos mitgewirkt. In ihm wurzelt zum Beispiel Alexanders Rebellion gegen die Persönlichkeit des Vaters. Er war jetzt imstande, sich gegen die härteste geistige Belastung, die die Söhne großer Männer trifft, zu stählen: gegen das Erbteil seines Vaters und gegen den inneren und äußeren Vorwurf, daß aus allen seinen Handlungen doch nur das väterliche Blut spräche. Mit Hilfe der Welt seiner Mutter samt ihrer Wunder und Mysterien hatte er sich überredet, an jene mächtige Fiktion zu glauben; jetzt erschloß sie ihm eine fast unübersehbare Fülle von Vorteilen. Verstünde ein neuer William James die pragmatische Lüge zu feiern, der warmblütige Mephistopheles-Mensch würde sich von der kärglichen Wahrheit der stattlichen Fiktion zuwenden, die all unsere sozialen Einrichtungen, ja selbst die Romantik unseres Privatlebens geschaffen hat. Ihre Gegenwart allein ist das verborgene Geheimnis jeglichen Glücks, wenn nicht jeglichen Erfolges, ihre Flucht ein hinreichender Grund zu jeglichem gesunden Selbstmord. Alexander hielt sich für einen Gott und eroberte die ganze zivilisierte Welt, um schließlich auf seinem Thron als Gott angebetet zu werden; hätte er sich damit begnügt, ein Held zu sein, wäre er nie so weit gekommen. Und Aristoteles? Der »Vater derer, die da wissen«, der Genius der Sachlichkeit, den Philipp im bildsamsten Alter als Widerpart der Zauberin-Mutter aufstellte? Es ist Zeit, den Einfluß eines solchen Lehrers zu prüfen. Das Experiment, einen Großen durch einen Großen zu bilden, ist stets eine Enttäuschung, aber verläuft es auch nicht positiv, so dient es doch als Korrektivum. Der kluge Mazedonier war anscheinend nicht sonderlich bemüht, dem Knaben die Schulweisheit mit Löffeln einzutrichtern. Er ließ bei des Aristoteles Ankunft einen philosophischen Garten nach angenehmsten Athener Muster anlegen mit grasbewachsenen, von seltenen Bäumen beschatteten Wegen, Steinbänken und Terrassen, wo nach der Tageshitze diskutiert und unterrichtet werden konnte. Spürte Alexander Lust dazu, so ging er hier spazieren und stellte Fragen. Seine früheren Lehrer waren ein grotesker Höfling namens Leonidas und ein noch burleskerer Sohn des Landes, Lysimachus; mit oder trotz ihrer Hilfe hatte er die Ilias lieben gelernt. Aristoteles setzte er mit der Feierlichkeit eines Vierzehnjährigen auseinander, sie sei eine immer bereite Schatzkammer militärischen Wissens. Aristoteles stimmte zu und schenkte ihm ein korrigiertes und mit eigenen Anmerkungen versehenes Exemplar, das Alexander später auf allen Feldzügen mit sich führte. Ferner zeigte der Jüngling eine sprunghafte Begeisterung für Metaphysik. In späteren Jahren machte er Aristoteles den Vorwurf, »die geheimen Teile der Logik« der gemeinen Menge enthüllt zu haben, genau wie seine Mutter einen religiösen Lehrer getadelt hätte, würde er die Geheimnisse seiner Loge verraten haben. Trotzdem lernte der jugendliche Gott die Philosophen und sogar die Dichter achten, obwohl letzteres nicht in Aristoteles' Interesse lag. Auf einem höchst sonderbaren Gebiet, dem der medizinischen Botanik, verstand er des Knaben Geist zu fesseln. Alexander war vermutlich enttäuscht, daß sein Lehrer ihm so gut wie nichts über die magischen Kräfte der Pflanzen: über den Schrei der Alraune, den antidämonischen Duft der Verbenen, die Heilwirkung des bei Vollmond gesammelten Ysop zu sagen wußte, aber er fand Entzücken auch an den nüchternen Berichten des ersten Wissenschaftlers seiner Zeit und wählte das Brauen von Tees und Tränken sowie das Herumdoktern an seinen Freunden zu seinem lebenslänglichen Steckenpferd.

Ein geringerer Philosoph würde wahrscheinlich versucht und es vielleicht auch erreicht haben, die beiden gewaltigen, von Olympias übernommenen Ideen: der Unpatriotismus der Mysterien und den schicksalhaft vorwärtstreibenden Jupiterglauben aus Alexander zu verdrängen. Da Aristoteles aber Aristoteles war, wird sein Standpunkt vermutlich weniger einfach gewesen sein. Er muß vielmehr mit Schrecken erkannt haben, daß dieser unbändige Prinz, nachdem er mit seiner tollen Mutter Gott weiß wieviele Meilen schmaler verbotener Steige des Gedankens erklettert hatte, nun nicht auf dem Gipfelpunkt des Unsinns, sondern auf den steilen Höhen eigenster aristotelischer Lehren angelangt war, auf denen es auch dem Philosophen trotz der Stütze seiner Logik mitunter schwindelte. Der Traum Alexanders von einem zu schaffenden Reich, in welchem Völker, Städte und Stämme lediglich von einem Gottmenschen regierte Elemente waren, ist nichts weiter als ein klarer Folgesatz der äußersten, fast esoterischen Grenze der aristotelischen politischen Doktrin: nämlich, daß der wahre König ein Gott unter den Menschen sei und an Vaterland oder Gesetz so wenig gebunden wie Zeus selbst, »da er ja in sich das Gesetz verkörpert«.

So verbindet sich in Alexanders Erziehung ein Element dem anderen; jeder Faktor trug dazu bei, den größten, nahezu unerreichbaren Vorteil zu verwirklichen, der einem so unternehmungshungrigen Menschen zuteil werden kann: Einheit des Willens. Diese allein vermag, bar jedes Widerspruchs, Großes zu schaffen. Jetzt galt es nur noch, den Willen zu lenken, und auch hier war Alexanders Schicksal ihm eindeutig hold. Jedes Ziel, mit Ausnahme des einen, war ihm durch die nach allen Seiten um sich greifende Persönlichkeit seines Vaters versperrt. Unmöglich konnte der Gott-Jüngling sich damit zufrieden geben, ein herrlicher König, der Führer Griechenlands zu werden. Volkstümlichkeit, Macht, Staatsweisheit: alle diese Dinge waren seinem Vater geworden, Alexanders Willen konzentrierte sich daher auf die Notwendigkeit, ihn zu übertreffen. Ein Ziel allein war übriggeblieben und dank seiner Größe und Unerreichbarkeit dem Ehrgeiz, ja dem universellen Erfolg Philipps entglitten. Die Eroberung des Achaemenischen Reichs durch einen Griechen konnte in der Fantasie eines Sterblichen nicht auftauchen; dem Knaben aber, der sich, noch als er einen halblangen Speer schwang, für einen Gott hielt, erschien der Plan einfach und unausweichlich. So wie seine Erziehung seinen Willen vereinheitlichte, so trieben ihn auch die inneren und äußeren Lebensbedingungen diesem einen Unternehmen in die Arme. Nicht um der Mazedonier, noch weniger um der Griechen willen – ein einheitlicher Wille ist gleichbedeutend mit einheitlichem Egoismus – nein, lediglich sich selbst zuliebe.

Als geographischer Begriff bedeutete dieser ungeheure Gegner oder Preis insofern die Welt, als er ihr Herz, die Nabe dreier alter Erdteile darstellte. In seiner größten Ausdehnung umfaßte er das europäische Thrazien. Seine Herrscher hatten sich die Wasser von Donau, Nil und Indus in ihren Palast bringen und als Symbol ihres Besitzes in einem Becher mischen lassen. Die alten Namen für seine Teilstaaten geben ein besseres Bild seiner Macht; denn heute ist selbst die Erinnerung an ihre einstige Fruchtbarkeit Persien, Palästina, Afghanistan, Kleinasien und dem Irak verlorengegangen. Das damalige Reich hatte die Länder seiner erhabenen Vorgänger: Ägypten, Babylon, Assyrien, das Gebiet der Karer, Lydier, Phryger, der Armenier, Juden, Hyrkanier, Parther, Baktrier und vieler anderer samt ihren Hauptstädten, Göttern und Schätzen aufgesogen. Es erstreckte sich vom oberen Nil bis zum Indus, von Samarkand bis jenseits Babylon und vom Kaspischen bis zum Roten Meer. Es war die größte sichtbare Macht, die die Welt je gekannt hat. An Stärke, Reichtum und Stabilität läßt sie sich mit jedem Land der Geschichte, ausgenommen allein mit den Staaten unseres eigenen übersättigten Jahrhunderts vergleichen. Hunderte von Jahren vor Alexanders Geburt hatte eine unzählbare Bevölkerung sich innerhalb seiner Grenzen einer größeren Sicherheit und eines fruchtbareren Friedens erfreut, als je vorher auf dieser Erde existiert hatten. Es war eine Oase zivilisierten Herrschertums und wußte nichts von dem im Werden begriffenen China jenseits der nordöstlichen Wüste, nichts von den schwachen, unendlich zersplitterten brahmanischen Königreichen südöstlich seiner Berggrenzen. Auf seinen Strafexpeditionen – es war viel zu mächtig, um Krieg zu führen – vermochte es nach den Berichten des Xerxes eine Million Soldaten mit hundert verschiedenen Sprachen und Kampfarten ins Feld zu stellen und über Tausende von Meilen zu befördern.

Ein Hauch der Ehrfurcht und des Bedauerns, stärker selbst als Rom oder das alte Ägypten ihn auszulösen vermögen, erfaßt auch heute noch Dichter und Historiker angesichts der Spuren seiner Ruinen. Wir müssen uns ein Bild aus den Büchern seiner skrupellosen Feinde erwecken, der im Siege stets kleinlichen Griechen und der Juden, die alle Menschen außer sich selbst haßten. Trotzdem erscheint dieses Reich auch in ihren Berichten als gewaltiges, wundervolles Gebilde. Seine Herrscher waren schön und human, seine Gesetze ihrer Objektivität und Duldsamkeit wegen berühmt; sein Reichtum aber war ungeheuer, und Reichtum ist des Menschen Wertmesser für Staaten. Über die Welt, in die Confucius, Buddha und Plato hineingeboren wurden, warf es den Schatten der größten sozialen Leistung der Menschheit, eine Verwirklichung des goldenen Zeitalters. Mir, der ich jenseits einer unüberbrückbaren Kluft zurückschaue, will es scheinen, daß es die vielversprechendste aller zivilisatorischen Schöpfungen war. Hätte es auch nur einige hundert Jahre noch weiterbestanden, Europa und Asien wären die langen, stagnierenden Jahrhunderte der Trennung erspart geblieben.

Neben diesem Koloß, der sich weit über die Meerengen vorbeugte, wirkte Griechenland etwa wie das Volk Israel neben dem pharaonischen Ägypten. Dieser kleine Wespenstaat verdankte seine Bedeutung seiner Intelligenz, nicht seiner Macht. Seine Einwohner waren ein zähes Grenzvolk, das man zwar niemals verachten, häufig jedoch vergessen durfte. Dem mächtigen persischen Oberherrn im Innern des Landes war der griechische Soldat eine bekanntere und auch geachtetere Erscheinung als der griechische Künstler oder Philosoph. Tausende von Griechen verdingten sich an das Reich als Söldner, um sich dort anzusiedeln und von ihm aufgesogen zu werden. Man achtete ihre Religion, die fremden Gesetze waren leicht und galten für alle, der Sold wurde pünktlich und reichlich ausbezahlt. Diese schönen, aufbrausenden, blonden Kriegsknechte, die je nach Heimatstadt oder Stand mit Speer, Schwert oder Axt fochten, waren wohl die intelligentesten Soldaten, die die Welt je gesehen. Mögen auch Religion oder Unterdrückung Analphabeten und Tölpel gelegentlich in Todesmutige umwandeln, des Berufssoldaten Wert wird nach seinem Kopfe gemessen. Auf entlegenen Märkten wie Belutschistan oder in dem bewässerten Paradiese hinter Babylon waren diese Sparter, Athener, Inselgriechen und Mazedonier, die zwischen den schwarzwangigen, finsterblickenden medischen Bogenschützen einherstolzierten, den Weibern ein gewohnter Anblick, und von allen Rassen, die, Halbgöttern ähnlich, unter dem Zepter des Großkönigs stritten, disputierten und fochten, waren sie die lebendigsten.

Von den Zurückgekehrten und von dem Enzyklopädisten Aristoteles ließ sich der eifrig lauschende Alexander die Wunder Persiens schildern. In seinem fünfzehnten Lebensjahr begann sein Vater voll Sorgen und Umsicht die gefährliche Krönung seiner Laufbahn, einen Überfall auf die gegenüberliegenden Küstenhäfen des Reichs, vorzubereiten. Die Berichte der Späher häuften sich in den Archiven, und aus ihnen vermochte Alexander nach Belieben feierliche Tatsachen über den insgeheim erkorenen Gegner zu erfahren: Namen und Temperament der verschiedenen Statthalter, Entfernungen, Straßen und Besatzungen. Wahrscheinlich jedoch interessierten ihn die bunten Erzählungen der heimgekehrten Söldner, ja selbst die philosophischen Gedankengänge seines Lehrers mehr. Wir besitzen keine Beweise, daß Alexander seine Eroberung tatsächlich so plante, wie Philipp auch nur seinen Streifzug. Das eine war ein wohlüberlegtes Unternehmen, das andere ein Abenteuer, welches durch andere als rein geistige Vorbereitungen nur aufgehalten worden wäre. Ein Abenteuer kennt keine Verbindungslinien.

Indes hätte Alexander ohne das eine Werk Philipps: die mazedonische Armee, nichts ausrichten können. Dieser Körper ist der medischen Kavallerie des Cyrus, den Janitscharen des Sultans und den Kriegern Gustav Adolfs an die Seite gestellt worden. Sein Herz war die mazedonische Bauernschaft, die »Fußgefährten« oder pezetairoi, eine lose, in bronzener Rüstung steckende und mit der »Sarissa«, der mächtigen, vierzehn Fuß langen mazedonischen Pike bewaffnete Phalanx. Sie hatte eine lockere Anordnung und eine ungleich stärkere Beweglichkeit im Felde, die sich nur durch eine Disziplin, hart und doch elastisch wie Stahl, ermöglichen ließ. So war sie in jeder Schlacht der sonst unübertrefflichen griechischen Phalanx überlegen. Ein Trabant dieses Körpers war die königliche Leibgarde. Dieses Korps war leichter bewaffnet und setzte sich aus Freibauern zusammen, welche Beinschienen aus polierter Silberbronze, Helme, Piken und Schilde trugen. Aus ihnen wiederum hatte Philipp einen Sturmtrupp von tausend Mann gewählt, der auf jedem Terrain, regelrechte Landstraßen ausgenommen, flinker als selbst die Kavallerie war.

Diese mazedonische Kavallerie bestand in der Hauptsache aus verarmten, arroganten, leichtsinnigen Landadeligen: ein Material, würdig Philipps Genius als psychologischer Lebensbildner. Die Quintessenz all ihrer brauchbaren Fehler und Vorzüge hatte er in der gefürchteten Schwadron der »Königsgefährten«, »die letzte Abwehr und das Haupt des Angriffs« zusammengefaßt. In sie trat Alexander ein, sobald er das vorschriftsmäßige Schwert schwingen konnte.

Es ist nicht anzunehmen, daß Alexander seinem Vater gegenüber etwas von seinen Absichten verlauten ließ. Hätte er das getan, der Veteran würde seine Pläne als Geschwätz beiseite geschoben haben. Eine natürlich anmutende Anekdote Plutarchs beleuchtet um diese Zeit sowohl den großen Respekt, den Alexander dem Reich entgegenbrachte, wie auch die bitteren und verwickelten Familienverhältnisse, unter denen sein Leben sich abspielte. »Pexodorus, der persische Statthalter von Karien (einer kleinen Provinz im Südwestzipfel Kleinasiens südlich von Ephesus und Smyrna), wünschte Philipp durch Verschwägerung ihrer Familien zu einem Defensiv- und Offensivbündnis zu bewegen und bot seine älteste Tochter dem Aridaeus, einem Sohn Philipps (und Halbbruder Alexanders) zum Weibe an. Er schickte Aristokrates nach Mazedonien, um darüber zu verhandeln. Da aber flüsterten ein Freund Alexanders und seine Mutter Olympias dem Prinzen die völlig unbegründete Furcht ein, Philipp könne dank seiner vornehmen und mächtigen Verbindung Aridaeus die Krone zusprechen.« Wenn aber die Aussicht auf eine Heirat mit einem Familienmitglied eines der untergeordneten Beamten des Großkönigs ihn so aufzubringen vermochte, wie muß dann erst seine nüchterne Einschätzung der ungeheuren Macht des Reiches gewesen sein?

Wir wissen nur wenig über jene Entwicklungszeit. Als Alexander sechzehn Jahre alt war, nahm er an einem Bergscharmützel teil. Im folgenden Jahr führte er die Attacke der »Königsgefährten«, die die »heilige Schar« zu Chaeronea zerriß. Es war Philipps letzte große Schlacht. Im neunzehnten Lebensjahr Alexanders nahm das Familiendrama eine neue Wendung. Olympias kam in den Verdacht, dem jungen Aridaeus ein Gift eingeflößt zu haben, das ihn aus »einem stolzen, hochfahrenden Geist« in einen Halbidioten verwandelte. Deswegen und ohne Zweifel auch wegen ihres Alters und Temperaments beschloß Philipp, sie zu verstoßen und Cleopatra, eine der Schönheiten seines Hofs, zu heiraten.

»Bei der Hochzeitsfeier forderte Cleopatras Oheim, Attalus, die Mazedonier auf, die Götter anzuflehen, daß aus dieser Ehe ein gesetzlicher Thronerbe hervorgehen möge. Aufgebracht erwiderte Alexander: ›Hältst du mich für einen Bastard?‹ und warf ihm seinen Becher an den Kopf. Hierauf erhob sich Philipp und zog sein Schwert, zum Glück jedoch für beide brachten ihn sein Zorn und der Wein, den er getrunken, zum Stolpern und er schlug lang hin, Alexander machte sich auf freche Art diesen Umstand zunütze und sagte: ›Männer von Mazedonien, seht hier diesen Mann, der sich von Europa nach Asien begeben will. Dabei ist er nicht einmal imstande, ohne zu fallen, von einem Tisch zum andern zu gehen‹.«

Philipp hatte nicht mehr lange zu leben. Wir wissen nicht, ob Alexander bei seiner Ermordung mitwirkte, aber es ist bewiesen, daß er aus ihr Nutzen zog, und daß die theologische Schlangenbändigerin, seine Mutter Olympias, den namenlosen Häscher dingte, der zwei Jahre später am Schluß eines Gelages Philipp erdolchte. Die Weiber von Epirus waren ungemein gefährlich.

Endlich, endlich – er war erst zwanzig Jahre alt, aber er hatte eine Ewigkeit warten müssen – besaß also der Gott-Jüngling eine Armee, das einzige königliche Erbteil, das ihn interessierte. In der Tat war sonst nur wenig von Philipps Schätzen übriggeblieben. Die Führerschaft über ganz Griechenland, das geordnete Reich, das Geld: alles schmolz schon in den ersten Tagen dahin. Ein plötzlicher Aufstand, von den Stadtstaaten im Süden bis zu den Bergvölkern des Nordens, spaltete das Gebilde, an dem Philipp ein Leben lang gearbeitet hatte, in zwei Teile. Die Armee, drei, vier alte Generale, Parmenio, Perdiccas und der intimere Kreis junger Lebemänner wie Hephästion, Clitus, Craterus und Ptolemäus, sowie die mürrische, nicht vielversprechende Treue der alten Staatsbeamten war alles, womit Alexander rechnen konnte. Es genügte jedoch. In den nun folgenden Ereignissen stellt das Wunder seiner stürmenden Ungeduld selbst die Erinnerung an seine phantastischen Taten in den Schatten. Sein einziges Gefühl gegen die Rebellion, die vielleicht gefährlicher war als alles, was seinen genialen Vater bedroht hatte, war weder Furcht noch Zorn, sondern eine elementare, durch den Aufschub geweckte, leidenschaftliche Energie. Zuerst packte er das Unternehmen am falschen Ende an. Statt die organisierten Heere der griechischen Stadtstaaten zu stellen, wandte er sich nordwärts, um die aufsässigen Bergbewohner aus ihrer Heide auszuräuchern. Den Römern und nach ihnen den Türken ist es trotz all ihrer Mittel nicht gelungen, dieses Balkanwespennest zu säubern. Alexander machte in Monatsfrist dem Widerstand ein Ende. Seine Phalangen erzwangen den Schipkapaß. Seine Kavallerie schwärmte von der Marschlinie aus gleich den Speichen eines Rades und erstürmte die Engpässe, während er in einer Zickzacklinie Feuer und Verderben säte, als hätte er eine Herde wilder Schafe und nicht die hartnäckigsten Rebellen der Welt auf ihrem eigenen Grund und Boden vor sich.

Am Ende seines Reichs und seines Zuges lag die Donau. Jenseits ragte das Geheimnis des dunkelsten Europas. Alexander erreichte den Strom in der Nacht, wartete bis zur Dämmerung und spähte nach dem anderen Ufer. Irgendwo in ungreifbarer Ferne waren um diese Zeit Menschen am Werk, Stonehenge Vorgeschichtliches Bauwerk aus der Druidenzeit, eine Sehenswürdigkeit Englands. zu bauen, in den öden Gängen von Karnak ihre Götter anzubeten, einen Zollbreit dänischer Erde alljährlich dem Meere abzugewinnen. Prähistorisches Europa! Alexander zögerte. Nicht zum letztenmal floß das große Weltgeschehen mit diesem Strom des Schicksals zusammen. Alles schien möglich in jener Nacht. Alexander vermochte keinen Entschluß zu fassen. Am folgenden Morgen setzte er mit einer Handbewegung seine ganze Armee über den Fluß. Es bedurfte jetzt in den Anfangstagen nur eines Fingers, um Philipps Maschine in Gang zu setzen. Am andern Ufer lag ein Dorf mit einer Handvoll armer Barbarenteufel. Germanen, Kelten? Wer weiß es? Dahinter auf der ungeheuren Ebene vermochten Alexanders Späher nach einstündigem Ritt nicht das geringste zu entdecken. Alexander verbrannte das Dorf und hatte am Abend sein Heer wieder auf das diesseitige Ufer zurückgenommen, das Geheimnis weitere tausend Jahre im Dunkel lassend.

Dann durchquerte er mit einer Schnelligkeit, wie keine Armee vor oder nach ihm es je gewagt hat, das heutige Jugoslavien und erschien vor den Mauern Thebens, der Stadt Pindars, dem Haupt der Koalition und dem Mittelpunkt der geordneten zivilisierten Welt. Nach wenigen Tagen war der Ort ein schwelender Aschenhaufen; 6000 waffentragende Männer waren tot, 30 000 als Sklaven verkauft. Nur das Haus Pindars wurde verschont, um die Welt daran zu erinnern, daß der Zerstörer ein gebildeter Mann und Schüler eines Philosophen sei.

Es wage indes keiner seiner Ehrenretter zu behaupten, diese Verbrechen seien das Werk einer unbedachten Natur, die so wenig Urteilskraft gehabt hätte, wie das Feuer. Alexander war für alle seine Verbrechen verantwortlich; sie waren für sein Abenteuer unerläßlich und er wußte, was er tat, kannte auch die Reue. Er ließ seines Vaters Mörder hinrichten und fahndete mit mehr oder weniger Ernst nach dessen Helfershelfern. Er kam, so wenig wie das plötzlich beruhigte Griechenland, nie über jenen Tag vor Theben hinweg. »Das Unglück, das er über die Thebaner gebracht, beschwerte noch lange sein Gemüt, weshalb er auch viele andere weniger hart behandelte. Gewiß ist, daß er den Mord an Clitus, den er im Trunke beging, und die schändliche Weigerung der Mazedonier, den Zug nach Indien fortzusetzen, wodurch seine Kriege und Siege nur Stückwerk blieben, dem Zorn des Bacchus, des Rächers von Theben zuschrieb. Und keinem Thebaner, der jenen verhängnisvollen Tag überlebte, wurde je eine Gunst, um die er bat, verweigert.«

Jetzt war er wiederum der anerkannte Oberbefehlshaber Griechenlands; ja die griechischen Städte (mit Ausnahme Spartas) sandten ihm, wenn auch nur widerwillig, Kontingente, die seine Truppenzahl auf 30 000 Mann Fußvolk und 5000 Reiter erhöhten.

Immer mit der gleichen ungeheuren Schwungkraft wandte er sich jetzt ostwärts. Als erstes zerstörte er in voller Erkenntnis dessen, was ein solches Abenteuer verlangte, seine sämtlichen Rückzugslinien. Alles, was er in der Monarchie besaß, Ländereien, Einkünfte, Monopole, verteilte er unter seine Freunde; dem einen schenkte er einen Bauernhof, dem anderen ein Dorf, dem dritten die Einkünfte eines Marktfleckens, dem vierten die eines Amts. Als er auf diese Weise sich seines ganzen Besitzes entledigt hatte, fragte Perdiccas ihn ernsthaft, was er denn für sich zurückbehalten habe. »Die Hoffnung«, lautete seine Antwort. In Wahrheit hatte er das Leben selbst sich zum Geschenk erwählt, das Leben eines Gottes, wie Homer es schildert, mit endlosen Kampfspielen und mit einem guten Dichter, es zu besingen. Mangels des letzteren nahm er den Homer in dem ihm von Aristoteles geschenkten und kommentierten Exemplar mit.

Wir wissen recht genau, wie er aussah, als er von dem Ponton auf das jenseitige Ufer des Bosporus sprang. Er hatte rote Haare, und sein Äußeres war von jener trügerischen Offenheit, wie sie mit solchem Haar und Sonnenbrand Hand in Hand geht. Die Haltung seines Kopfes, den er leicht zur Seite geneigt trug, und die Lebhaftigkeit seines Blicks soll der Bildhauer Lysippus am besten wiedergegeben haben. Er war weder groß noch schwer. Meist focht er mit der Kavallerie, und der Augenblick, da er sein Pferd bestieg, war unfehlbar das Zeichen zum Angriff. Seine Lieblingswaffe war ein leichtes Schwert mit rasiermesserscharfer Schneide. In geschlossener Schlacht ritt sein Wahrsager Aristander in weißem Gewand mit goldener Krone ihm zur Seite, um ihm die Zeichen des Himmels zu deuten.

Als erstes nach der Landung begab er sich zu den Ruinen des alten Troja, um, wie natürlich, Minerva und Achilles ein Opfer zu bringen. Dem Helden zu Ehren salbte er dessen Säule mit Öl und lief nackt mit seinen Freunden um sein Grab, wie es die Sitte erheischte.

Das Riesenreich reagierte nur träge. Das leise Beben dieses ersten Anpralls erreichte kaum das Hirn des Leviathans fern im östlichen Susa. Eine lokale Polizeimacht unter Führung der Statthalter der überfallenen Gebiete wurde von dem schläfrigen Ungeheuer für genügende Abwehr erachtet. Gemächlich marschierte dieses Heer, das dem des Alexander an Zahl ungefähr ebenbürtig war, und das sich in der Hauptsache aus Söldnern seiner eigenen Nationalität zusammensetzte, auf das feindliche Lager. Es genügte allerdings, um den ganz im Geiste Philipps geschulten alten Parmenio in Besorgnis zu stürzen; er schlug dem erstaunten und belustigten Alexander vor, noch eine Weile, zum mindesten bis Ende Mai, welcher der mazedonischen Tradition zufolge als Unglücksmonat galt, zu manövrieren. Alexander meinte, sie könnten ja den Namen des Monats ändern.

Die Schlacht begann am Spätnachmittage. Der Feind hatte eine gute, vorschriftsmäßige Stellung an den Ufern des Granikos, eines kleinen wilden Bergstroms bezogen; auf Alexanders Seite fiel dieses Ufer steil ab, während es jenseits des Flusses sich in Sumpf verlor. Die älteren Offiziere hielten die Stellung für ungünstig. Während sie noch beratschlagten, warf sich Alexander mit dreizehn Schwadronen in den Strom. Die persischen Bogenschützen ließen ein Strafgericht von Pfeilen auf das Wasser niedergehen, und kaum hatten die Mazedonier den Übergang erzwungen, da ging auf dem Sumpfgelände eine Reiterschar unter Führung zweier persischer Granden, Roesaces und Spithridates, zum Angriff über. Alexander wurde an seinem Helm mit dem großen weißen Federbusch erkannt und mußte sich mehrere Minuten lang im Einzelkampf verteidigen. Unter einem solchen Feldherrn glich die Schlacht eher einem hitzigen Fußballmatch als einer kriegerischen Handlung; die kampfgewohnten ernsten Führer wußten diesem Gegner gegenüber, der sämtliche, ihnen bekannte Taktiken in den Wind schlug, weder aus noch ein – der junge Roesaces und Spithridates aber wurden von ihm mitgerissen, überließen ihre Schwadronen sich selber und nahmen den persönlichen Kampf mit Alexander auf. Spithridates grub seine Streitaxt in den Helm des Griechen und rasierte ihm den weißen Federbusch ab. Jedoch Alexanders Freund Clitus rannte ihm seine Pike durch den Leib.

Auf der Höhe des Reitergefechts trat die Maschine in Aktion. Die mazedonische Phalanx überschritt den Fluß und zerschmetterte hammergleich die Bogenschützen – die in wilder Flucht auseinanderstoben. Nach zehn Minuten waren nur noch die griechischen Söldner übriggeblieben. Diese sammelten sich in guter Ordnung auf einen Abhang und sandten Botschaft an Alexander, daß sie sich zu ergeben wünschten. Der Prinz schlug es ihnen in der Aufregung ab und sandte ihnen unverzüglich seine Reiter entgegen, die sich automatisch neu gebildet hatten. Sein Pferd wurde getötet, und der unnütze unrühmliche Endkampf dauerte noch einige Stunden, bis alle Söldner niedergemacht oder verwundet waren.

Die weiteren Feldzüge Alexanders haben der Gelehrtenwelt viel Kopfzerbrechen verursacht. Jedem Erfolg liegt ein erkennbares, zielbewußtes Wollen zugrunde, trotzdem sollte man das Wort »Plan« nur auf ein vorbedachtes, bestimmtes Konzept anwenden; unter dieser Voraussetzung kann man nur schwer zugeben, daß Alexander mit seinen bewaffneten Streifzügen, deren Weg, ähnlich den Kritzeleien eines Kindes, kreuz und quer über die Weltkarte führt, einen Plan verfolgte. Alexander tat das Richtige, weil es ihm gefiel, das heißt, er wanderte den Rest seines Lebens auf der Suche nach Schlachten im ungeheuren Zickzack durch die Welt. Zufällig war das auch gute Strategie. Man unternahm keinen weiteren ernstlichen Versuch, ihn zurückzuschlagen; das Reich wartete ab. Wohin er kam, empfingen die Einwohner ihn mit Rosen und Wein, oder aber sie stellten sich zur Wehr und wurden besiegt. Das letztere war ihm lieber.

Nach einem Jahr lustig tollen Herumstreifens in Kleinasien erkannte der König Darius, daß Alexander sich doch nicht so rasch aufsaugen ließe, und daß auch an einen freiwilligen Rückzug seinerseits nicht zu denken war. Er sammelte daher eines jener monströsen Heere, wie Weltreiche sie zu sammeln pflegen, die den militärischen Instinkt verloren haben: eine Dampfwalze von einem Heer, das kaum einige Meilen am Tage zurücklegen konnte. Es war die unvermeidliche Abwehr der zahlenmäßig ungeheuer überlegenen, friedlichen Herde gegen das Raubtier. Das kleinste Bataillon dieser Armee stellte eine größere Macht dar als ganz Mazedonien. Es setzte sich aus den ausgehobenen Mannschaften jedes kriegerischen und unkriegerischen Stammes Kleinasiens zusammen. Diese Menschenflut wälzte sich langsam westwärts, bis sie in der Höhe von Cypern den Issus erreichte.

Alexander aber hatte wenigstens ein Jahr als Gott gelebt, er hatte die wöchentliche Schlacht oder Belagerung und den monatlichen Triumphzug genossen. Er genoß auch die langen Tage muskelermüdenden Marsches über staubige Straßen und den heiter ununterbrochenen Lärm der griechischen Nachtlager. Daneben feierte er homerische Feste, wie das des Zerschneidens des gordischen Knotens in der farbenfreudigen Stadt des Midas. In dem dortigen Tempel befand sich ein uralter Streitwagen, der mit Schnüren aus der Rinde der Kornelkirsche zusammengebunden war. Eine gewaltige Menschenmenge versammelte sich, um zu sehen, was Alexander angesichts der schwierigen Aufgabe beginnen würde. Der Überlieferung zufolge »hatten nämlich die Parzen demjenigen die Herrschaft über die Welt zugesprochen, der imstande wäre, den Knoten zu lösen«. Dieser war jedoch so vielfach verschlungen und seine Enden waren so geschickt verborgen, daß Alexander nichts auszurichten vermochte. Nun war allerdings Alexander der zeichengläubigste Mensch, der je aus einer Schlangenbeschwörerin Erziehung hervorgegangen war, aber er hatte die Gewohnheit, ungünstige Omina wie zum Beispiel das des oben erwähnten, Unglücksmonats, gewaltsam umzudeuten. Er zerhieb daher den Knoten mit einem einzigen Schlag seines Schwertes.

Das brachte ihm nicht sofort Glück. Er liebte es leidenschaftlich, zu baden (obwohl er nicht schwimmen konnte) und erkältete sich in den eisigen Fluten des Flusses Kydnus, gerade als seine Generale sich über die Kunde des Herannahens jener menschlichen Lawine Sorge machten. Während er dem Tode nahe lag, empfing er einen Brief von dem stets unheilschwangeren Parmenio, des Inhalts: »er möge sich vor seinem Leibarzt Philipp hüten. Darius habe diesen durch Geschenke von unermeßlichem Wert sowie durch das Versprechen, ihm die Tochter zur Ehe zu geben, bestochen, Alexander zu vergiften.« Plutarch fährt fort: »Er legte diesen Brief unter sein Kopfkissen, ohne ihn einem seiner Freunde zu zeigen. Im gegebenen Augenblick betrat Philipp mit einem Becher Arznei in Begleitung der Freunde des Königs dessen Zimmer. Alexander nahm den Trank ohne jedes Zeichen von Argwohn entgegen und überreichte gleichzeitig dem Arzt Parmenios Brief. Das Schauspiel, wie der eine trank, während der andere las, war interessanter als jede Tragödie. Der König gab mit offenem freimütigen Gesicht seiner Wertschätzung Philipps Ausdruck, dieser aber warf sich vor seinem Bette auf die Knie und beschwor ihn, guten Muts zu sein und sich seiner Pflege anzuvertrauen. Die Arznei war derart stark, daß sie ihn überwältigte. Anfangs vermochte er nicht zu reden, aber nach drei Tagen war er geheilt.«

Sobald er stehen konnte, brach er das Lager ab und warf sich auf das schwerfällige Ungeheuer, das seine Fühler ausstreckte, um ihn seitwärts einzukreisen. Der Angriff erfolgte des Nachts, unter Umgehung des gefährlichen Flügels. Bei Tagesanbruch war die kaiserliche Armee in Stücke zerrissen und Darius geflohen, während die Straßen auf Meilen in der Runde durch die Scharen völlig entmutigter Flüchtlinge versperrt waren. So endete die berühmte Schlacht bei Issus.

Weder Alexander noch seine Leute spürten den Wunsch, ihren Sieg auszunützen. Die Mazedonier, Pikenträger wie Reiterei, machten sich ans Plündern. Obwohl Darius zur Beschleunigung des Vormarsches den größten Teil des Gepäcks in Damaskus zurückgelassen hatte, fanden die Soldaten genug, um beutetoll zu werden. Als Alexander das Königszelt aus gestickter Seide betrat, »um sich die Schalen, Phiolen, Kästen und Vasen aus seltsam getriebenem Gold anzusehen, als er dann den Duft der Essenzen roch und die kostbare Ausstattung der weitläufigen Gemächer besichtigte – das kristallene Bad des Königs, die ungeheuren, emaillierten Räuchergefäße, die immer noch ihren Weihrauch entsandten, denn man hatte alles stehen und liegen gelassen, die Tische und Gefäße, welche die Satrapen bei ihrem Mahl mit dem Herrscher der Welt benutzt hatten – wandte er sich an seine Freunde mit den Worten: ›Das also heißt es, ein König zu sein‹.«

Nachdem er gebadet und zu Nacht gegessen hatte, schickte er nach den Frauen. Jetzt kommen wir zu der Begebenheit, die von allen seinen Taten der Menschheit am besten gefallen hat. Nicht nur respektierte er die Gefühle der Frauen und deren Tugend, sondern er stellte sie unter seinen besonderen Schutz und ließ ihnen ihr gewohntes Gefolge. Zum Scherz pflegte er zu sagen: »Was für ein Dorn im Auge sind doch diese persischen Weiber!« Dabei befanden sich die schönsten Frauen des Reichs, nicht zuletzt des Kaisers Gattin und zwei seiner Töchter unter ihnen.

Wir haben diese Enthaltsamkeit Alexanders, die nicht weniger als seine Siege die damalige Welt in Erstaunen setzte, bereits des näheren beleuchtet. Auch im Essen war er sehr mäßig, doch läßt sich das Gleiche, was Trinken anbetrifft, insbesondere nach der Schlacht bei Issus, nicht von ihm behaupten. Er war jetzt reich geworden, nicht nur nach mazedonischen, nein, auch nach asiatischen Begriffen, und das spiegelte sich in seiner Lebenshaltung wieder. Statt sich mit getrockneten Feigen und Brot zu begnügen, lud er seine Offiziere und Gefährten allnächtlich zu Gelagen, deren Kostbarkeit und Fülle seinem Vater, dem Genießer Philipp, den Atem geraubt hätte. Nach dem Mahle blieb die Gesellschaft noch im Gespräch beisammen, denn Alexander liebte Geselligkeit, »vor allem die der Schmeichler und Hofpoeten«, deren er trotz des schweigenden Abscheus seiner Freunde eine große Menge besaß.

In Damaskus stieß er auf den Rest des Lagerschatzes und wandte sich von dort nach Ägypten. Er hatte die Gewohnheit, den Landesgottheiten in den Tempeln, an denen er vorbeikam, zu opfern. Höchstwahrscheinlich stattete er auch dem Tempel Jawehs zu Jerusalem einen Besuch ab, obwohl die Überlieferung nichts Genaues darüber zu sagen weiß.

Tyrus allein leistete ihm Widerstand; er mußte sich zu einer jener langwierigen und schwierigen Belagerungen bequemen, wie sie in der Kriegsgeschichte der Juden häufig vorkommen. Die phönizischen Verteidiger bedienten sich dabei eines sonderbaren Mittels; durch das Traumgesicht eines Priesters benachrichtigt, daß ihr Gott sie zu Alexanders Gunsten verraten habe, beluden sie das Götzenbild mit Ketten und nagelten seine Füße an das Piedestal.

Von den Vorgängen in Ägypten weiß man nichts mit Ausnahme von Alexanders Besuch bei Jupiter Ammon und der Gründung einer nach ihm genannten Stadt: Alexandria. Es scheint, daß die Lage ihm gefiel, und ein Zitat im Homer bestätigte ihm, daß sie für den Städtebau sehr geeignet sei. Er befahl daher, unverzüglich einen Straßengrundriß zu entwerfen. Als Modell diente ihm sein kurzer mazedonischer Mantel: ein durch eine grade Linie begrenzter Halbkreis.

Der Priester des Jupiter Ammon, den zu sprechen vielleicht das Hauptmotiv dieser ungeheuren Nebeneroberung war, gefiel ihm außerordentlich. »Da er Alexander in einer dem Griechen gefälligen Weise anzureden wünschte, machte er mit seiner barbarischen Aussprache aus den Worten ›O Paidion‹ (mein Sohn) ›O pai dios‹, das heißt ›O Sohn Jupiters‹.« Im übrigen fand die Zusammenkunft unter vier Augen statt. Man nimmt an, daß sie von der Ermordung Philipps handelte, denn Alexander selbst soll gelegentlich dieses Besuches an seine Mutter geschrieben haben: »er habe von dem Orakel gewisse vertrauliche Antworten erhalten, die er ihr bei seiner Rückkehr mitteilen würde.«

Hier in Ägypten endet der Morgen von Alexanders Abenteuern. Von nun an ist sein Wille zwiespältig: Alexandria ist sein erster Besitz, er ist nicht länger frei. Seine Soldaten haben aufgehört, Halbgötter zu sein, sie sind jetzt nur noch reiche Leute; seine Genossen sind zu Potentaten geworden, die den Wechsel der Lebensumstände durch die grobe Unvornehmheit ihres Luxus kennzeichnen. Einer von ihnen läßt nach der Provinz, die ihm zugefallen ist, Kamelkarawanen mit ägyptischer Erde kommen, um sich vor dem Bade damit einzureiben. Ein anderer läßt seine Schuhe mit silbernen Nägeln beschlagen. Philotas ließ sich Jagdnetze von zwölf Meilen Länge anfertigen. Jeder einzelne von ihnen hatte seine Badediener und Kämmerer und einige »bedienten sich kostbarer Essenzen als Öl« zur Einreibung nach dem Bade. Alexander selbst lebte so einfach wie immer und sandte all seine eroberten Schätze an seine Mutter und Freunde in der Heimat. Allein das Gewicht seines Erfolges wurde durch persönliche Askese nicht leichter. An ihm wiederholte sich der Vorgang, den er mit Bukephalos vorgenommen: Pflicht war sein Sattel und Verantwortung sein Reiter, er konnte sie nicht länger im Galopp abschütteln. Mit jedem neuen Gewinn sank das Abenteuer tiefer und tiefer auf die geistige Ebene einer Eroberung.

Diese Degeneration, das allmähliche Ersticken des in ihm brennenden Lichts und Feuers durch das schiere Gewicht seiner Erfolge, seine langsame Erdrosselung durch den Sieg bildet das krankhafte Interesse des nun folgenden Teils seiner Geschichte.

Nicht nur in der Hoffnung, sein Abenteuer wiederaufleben zu lassen, nein, aus persönlichem Interesse sucht er jetzt Darius zu stellen. Jener unglückliche König, dieser schönste, kräftigste und untüchtigste aller Menschen, hatte ein zweites Heer, an Zahl dem ersten gleich und an Schlagfertigkeit ihm überlegen, zusammengerafft und marschierte, wenn auch mit gesunkenem Mut, abermals westwärts. Die mazedonische Maschine war so konstruiert, daß selbst die Korrosion ihres Materials ihr nichts anzuhaben vermochte; noch einmal setzte Alexander sie in Gang, und sie erwies sich trotz des einjährigen Rostes so brauchbar und geschmeidig wie immer. Aber als wolle er der Welt die geheime innere Veränderung zeigen, beging Alexander einen merkwürdig einfältigen Schritt. Er war Darius, der untätig bei dem Dorf Gaugamela, ungefähr an der Stelle des alten Ninive, lag, auf Vorpostennähe zu Leibe gerückt, da unterzog er sich im Beisein seines Wahrsagers und geistigen Beichtvaters Aristander »einiger privater Zeremonien und brachte der Furcht ein Opfer dar«. Damit ist zweifellos nicht die körperliche oder sonst eine greifbare Furcht gemeint, sondern die Furcht der Unruhe, der Besorgnis, die Furcht nicht vor der Niederlage, sondern vor der Verantwortung, dieser neuen und schrecklichen Gefährtin seiner schlaflosen Nächte.

Es heißt, der Lärm des persischen Lagers sei wie das Brüllen eines gewaltigen Ozeans gewesen und der ganze Horizont habe des Nachts von zahllosen Feuern geglüht. Vor allem Parmenio ängstigte sich vor dem morgigen Tage; er erschien mit den meisten Generalen seines Stabes vor Alexander und bat ihn als einzige Hoffnung auf Erfolg, noch einmal einen Nachtangriff zu wagen. Die Dunkelheit würde den Phalangen die gewaltigen Schwierigkeiten ihrer Aufgabe verbergen. Der soeben von dem Opfer zurückgekehrte Alexander erteilte ihm jene berühmt törichte Antwort, die beweist, daß die Nähe der Schlacht ihm den alten Geist zurückgegeben hatte: »Ich will mir den Sieg nicht stehlen.«

Dann ging er zu Bett, um ruhiger zu schlafen, als er es seit Issus je gekonnt. Parmenio vermochte es ihm nicht nachzutun. Beim ersten Morgengrauen betrat der alte Bär noch einmal Alexanders Zelt und rief ihn zwei-, dreimal mit Namen. »Als er erwachte, fragte ihn Parmenio, wie es käme, daß er wie ein Mann, der bereits gesiegt hätte, schlafen könne, da es doch die größte Schlacht zu schlagen gälte, die die Welt je gesehen?«

Der Tag begann ungünstig. Dichte, nicht endenwollende Wolken baktrischer Kavallerie, vielleicht die Ahnen jener leichten, teuflischen mongolischen Reiter, die tausend Jahre später Dschingis Khan die Herrschaft über ein größeres aber nicht gewaltigeres Reich erringen sollten, schlugen den unter Parmenios Befehl stehenden Flügel der Kavallerie zurück. Der Feldherr sandte verzweifelte Botschaft an Alexander, er möge an seinen Rückzug denken. Alexander schrie dem Boten eine verächtliche, allen hörbare Antwort zu, setzte seinen Helm auf und bestieg sein Pferd. Zum erstenmal in seinem Leben bedeutete dies nicht das Zeichen zum Angriff. Er zögerte und ritt langsam die Front seiner schweigenden Reserven ab, um ihnen eine Ansprache zu halten. Er war noch nicht weit gekommen, als sie in lautes Geschrei ausbrachen, und als er sein Pferd anhielt, um zu hören, was sie sagten, merkte er, »daß sie, weit davon entfernt, der Ermutigung zu bedürfen, ihm Vertrauen einzuflößen suchten, indem sie zu sofortigem Angriff drängten«. Da entriß dieser Sohn Jupiters einem Soldaten seinen kurzen Spieß und rief, die Waffe schwingend, Jupiter an, daß er seines Sohnes Taten zuschauen möge. Hierauf wartete er noch einmal.

Inzwischen war das gesamte Zentrum, Darius' ganze Hoffnung: das Streitwagenkorps, zum Angriff vorgegangen. Diese gewaltige Masse, der Schrecken der Alten Welt, stürmte mit der Wucht eines Dammbruchs heran. Am Fuße des Abhangs erwartete sie die harte bleiche Phalanx der Pikenträger. Hinter den rasenden Pferden standen, unbeweglich wie Stein oder Bronze, mit bis zu den Augen verhüllten Häuptern, die Körper gegen den Anprall gestrafft, die Meder der uns bekannten Monumente. Sie trafen auf die leichten mazedonischen Speerträger und Bogenschützen. Ihr treffsicheres Zielen mähte die Pferde hin, und als die Front in Verwirrung geraten war, liefen die Truppen mit jener wunderbaren Disziplin, die jedem Manne freies Spiel ließ, aber dennoch ihre Kräfte wie die einer Fußballmannschaft zusammenfaßte, Sturm. Nach wenigen Minuten gingen die neu formierten Wagenlenker abermals zum Angriff vor. Sie durchbrachen die kämpfenden Reihen, aber nicht der zehnte, nicht der fünfzigste Teil gelangte ans Ziel. Die Phalanx öffnete sich und ließ sie durch, damit sie von den rückwärtigen Truppen niedergemacht würden. In diesem Augenblick sahen Alexander und seine Leute hoch oben am Himmel einen Adler, den Jupitervogel; sogleich gab er das Zeichen für die Hauptaktion. Die Wucht der Phalanx trieb die Stürmenden bis zum Herzen der Asiaten vor, Alexander stieß auf die Leibwache des Darius. Hier wurde mit äußerstem Heldenmut gefochten; die sterbenden Perser klammerten sich an die Hufe der feindlichen Rosse und suchten sie mit ihren zu Berge sich türmenden Leibern am Vorwärtskommen zu hindern. Möglich, daß Alexander und Darius persönlich aneinander gerieten, die Überlieferung will es so, aber schon nach sehr kurzer Zeit packte Panik die Perser; man hörte sie schreien, daß der König gefallen sei, die Götter wären gegen sie, das Ende war ihre vollkommene Auflösung.

Mit dieser Schlacht ging die Weltherrschaft in neue Hände über. Alexander wird von jetzt an ein irdischer Gott, alle zivilisierten Menschen erweisen ihm göttliche Ehren; aber er ist nicht der strahlende, blitzende Kampfgott seiner Bücher, sondern ein orientalisches Idol, verdammt über allem Argwohn und aller Verantwortlichkeit der Welt zu brüten. Seine Tage waren mit dem Zeremoniell, der Korrespondenz und der Langenweile einer weltumspannenden Verwaltung angefüllt. Seine Nächte schleppten sich unter der Last der Erinnerung an des Tages Geschäfte dahin. Dreimal im Laufe seines Lebens versuchte er umzukehren, wieder ein freier Abenteurer zu werden. Das erstemal geschah es also:

Als er endlich nach Persepolis gelangt war und auf dem Thron der Perserkönige unter dem Goldbaldachin saß, veranstaltete er ein Gelage. Ganz Griechenland scheint sich angestrengt zu haben, an seinen Erfolgen teilzunehmen und sämtliche Spitzen der Gesellschaft, Feldherren, Dichter, Staatsmänner, ja Kurtisanen und Narren befanden sich unter den Geladenen, darunter auch eine berühmte athenische Hetäre, Thais, die sich dem jungen Ptolemäus angeschlossen hatte. Nach dem Mahle, als alle schwer betrunken waren, kletterte Thais auf den Tisch vor Alexander und sagte: »Ich habe auf meinen Wanderungen durch Asien große Entbehrungen erduldet, aber dieser Tag hat mich für alles entschädigt, da er mir die Möglichkeit gibt, den stolzen Hof der Perserkönige zu beleidigen. 0 wieviel größer noch wäre meine Freude, wenn wir am Schluß dieses Festes den Palast des Xerxes in Flammen aufgehen ließen und ich in Alexanders Gegenwart ihn eigenhändig in Brand setzen dürfte.« Dieser charakteristische Vorschlag wurde mit ungeheurem Jubel begrüßt; alle bemühten sich, des Königs Zustimmung zu erlangen. Endlich sprang dieser von seinem Thron und eilte mit einer brennenden Fackel in der Hand auf die Straße. Alle folgten ihm tanzend und schreiend nach dem Palast. Inzwischen hatten die Soldaten Wind von dem Vorhaben bekommen; sie schleppten eilends Werg und Holz herbei, und wenn auch Marmor und Gold schwer anzuzünden sind, brachten sie es doch glücklich zu Wege. Es scheint, daß sie im Rausche die Idee gefaßt hatten, Alexander wolle mit diesem Schritt zu erkennen geben, daß er beabsichtige, nicht als König in jenem Lande zu bleiben, sondern mit den eroberten Schätzen nach Griechenland zurückzukehren. Plutarch fügt indes mit wenigen Worten hinzu: »Alle aber stimmten darin überein, daß der König seine Tat bereute und alsbald befahl, den Brand zu löschen.«

Als er später die Verfolgung des unglücklichen Darius aufnahm, der mit wenigen Getreuen nach Norden geflohen war, erreichte er im äußersten Nordzipfel Marakanda, im Lande der Sogdier, das heutige Samarkand. Hier stieß er auf den Fluß Iaxartes, und hier wiederholte sich auch der seltsame Vorfall aus den ersten Tagen seines Abenteuers. Wieder führte er, wie von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, seine Armee über den Strom, und wieder nahm er sie zurück, nachdem er ein Dorf verbrannt hatte. Jener Weg führte nach China, wo in diesem Augenblick als ungeheures Gegenspiel zu seinem Abenteuer Tsin den Kampf gegen die Schattenkaiser führte. Alexander jedoch kehrte um. Sein Freund Clitus, der ihm das Leben gerettet hatte, befand sich in seiner Begleitung, und während des nächtlichen Gelages im Hauptquartier entbrannte zwischen ihnen Streit. Ein griechischer Narr hatte einige Verse über die Roheit und Eitelkeit der mazedonischen Soldaten verfaßt und erhielt jetzt unter dem Einfluß des Weins vom König die Erlaubnis, sie vorzutragen. Alle mit Ausnahme der Mazedonier äußerten lachend und lärmend ihren Beifall. Clitus und einige ältere Offiziere protestierten. Der König antwortete ihnen nicht und forderte den Narren auf, das Ganze zu wiederholen. Da schrie Clitus: »Wie dem auch sei, diese selben Mazedonier haben dich groß gemacht und haben dich vor dem Speer des Spithridates gerettet, als du ihm den Rücken kehrtest, obwohl du dich jetzt als Sohn des Jupiter Ammon ausgibst und deinen eigenen Vater, unseren Philipp verleugnest!« Hierauf kam es zwischen beiden zu einem furchtbaren Wortgefecht, an dessen Schluß Alexander sich mit den Worten an die Gesellschaft wandte: »Dünkt es euch nicht auch, daß die Griechen sich unter diesen Mazedoniern wie Halbgötter unter wilden Tieren ausnehmen?« Clitus erwiderte: »Sage, was du sagen zu müssen glaubst, aber lade nicht freie Männer an deine Tafel, sondern Sklaven, die dich ohne Skrupel anzubeten bereit sind.« Alexander nahm jetzt einen Apfel vom Tisch und warf ihn Clitus ins Gesicht, dann sah er sich nach seinem Schwert um, aber einer seiner Freunde hatte es versteckt. Er riß sich von denen los, die ihn zu beruhigen suchten, stürzte zur Tür und rief auf mazedonisch nach der Wache; es sei eine Meuterei ausgebrochen. Im Vorzimmer stand ein Trompeter auf Posten. Alexander befahl ihm, Alarm zu blasen. Der Mann zögerte, und der König warf sich auf ihn und schlug ihn mit Fäusten. Später wurde er dafür belohnt, daß er nicht die gesamte Armee in Bewegung gesetzt hatte. Inzwischen hatte man Clitus überredet, sich zurückzuziehen; er stand in der Tür und rezitierte einen Spottvers aus einem Drama über Prahlhänse. Da entriß Alexander einem Wachsoldaten seinen Speer und rannte ihn Clitus, gerade als dieser den Vorhang zur Seite schob, durch den Leib. Er starb auf der Stelle.

Diesen Tod betrachtete Alexander vom ersten Augenblicke an als das größte Unglück, das ihn betroffen. Sein bitteres und hartes Wesen nahm zu. Immer stärker nagte an ihm die Furcht vor Rebellion und Verschwörung unter seinen Landsleuten: zahlreiche ernsthafte Aufstände gaben ihm Anlaß dazu. Nach Clitus' Tod war niemand vor seinem Argwohn sicher; viele seiner Gefährten fielen ihm auf grausame Art zum Opfer, darunter auch der arme Parmenio und sein Sohn Philotas, den er der Tortur unterwarf. Während Philotas sich unter den Griffen der Folterknechte wand, beklagte er sich in so jämmerlichen Tönen, daß Alexander, der hinter einem Vorhang versteckt auf sein Geständnis lauerte, in die Worte ausbrach: »0 Philotas, wagst du dich trotz dieser unmännlichen Schwäche an ein so großes gefährliches Unternehmen?«

328 vor Christi Geburt, als Alexander noch die Zuneigung eines Teils seiner Leute besaß, unternahm er seinen energischsten Befreiungsversuch. Unter dem Vorwand, den äußersten Osten seines Reiches erforschen zu wollen, plante er einen Vorstoß nach dem eigentlichen Indien. Der Aufbruch der Expedition ruft die Erinnerung an seine größten Tage wach. »Als er sah, daß seine Truppen derart mit Beute beladen waren, daß sie den Marsch nicht würden ausführen können, setzte er früh am Morgen des Aufbruchs, nachdem die Wagen sich versammelt hatten, zuerst sein eigenes Gepäck und dann das seiner Freunde in Brand; alsdann erteilte er den Befehl, daß man mit dem Rest in gleicher Weise verfahren solle.« Die Order wurde gut aufgenommen. Es gibt eine ganze Literatur über Alexanders Marschroute auf dieser Expedition und über die außerordentlich verwickelten Einzelheiten seines Feldzuges gegen die auf seinem Wege liegenden Völkerschaften. Allein die Tatsache, daß er sein Heer fast ohne Verluste in weniger als einem Jahr über den Hindu Kush und den Khyberpaß, ein von den wilden Ahnen der Parther und Afghanen bewohntes Berglabyrinth, zu führen vermochte, dürfte eindrucksvoll genug sein. Eine der größten Merkwürdigkeiten, die ihm auf diesem Wege begegneten, war das Grabmal Cyrus' des Großen. Dieser hatte vor zweihundert Jahren das Reich begründet und war Alexander, wenn auch nicht als Abenteurer so doch als Eroberer, ebenbürtig. Das Grabmal trug die persische Inschrift: »0 Mensch, wer du auch seist und wann immer du kommen magst, denn daß du kommen wirst, das weiß ich: Ich bin Cyrus, Begründer des persischen Reiches. Neide mir nicht das kleine Stück Erde, das meinen Leib bedeckt.«

Lange verharrte Alexander in Betrachtung versunken, dann befahl er, das Grabmal instand zu setzen.

Kaum hatte er den Indus erreicht, als er den ersten der Maharadschas, Porus oder Paurara besiegte und durch seine Großmut zum Freunde gewann. Unter den Gefangenen befanden sich gewisse alte Apostel der Jains, jener kleidungshassenden Sekte, die die Zeitgenossin und Rivalin der ersten Buddhisten war, und die sich gleich ihnen bis auf unsere Tage erhalten hat. Als seine Truppen meuterten und sich weigerten, den Zug fortzusetzen, ließ er in der Erkenntnis, daß das Abenteuer jetzt zu Ende sei, zehn von den Jains zu seiner Zerstreuung vor sich führen. Er stellte ihnen Fragen und sicherte ihnen zu, daß derjenige, der die schlechteste Antwort gäbe, getötet, die andern aber freigelassen werden sollten. Es genügt, von diesen Fragen und Antworten, die ein unruhiges Licht auf seine innersten Gedanken werfen, einige hier wiederzugeben. Den ersten fragte er: »Welche sind zahlreicher, die Lebenden oder die Toten?« Der Jain antwortete: »Die Lebenden, denn die Toten haben aufgehört, zu sein.« Der fünfte scheint sogar eine ironische Antwort gewagt zu haben. Alexander fragte ihn: »Was ist älter, der Tag oder die Nacht?« Der Weise entgegnete: »Der Tag, um einen Tag.« Alexander schien sich über diese Antwort zu wundern, worauf der Mann bemerkte: »Dunkle Fragen erfordern dunkle Antworten.« »Wie«, wandte sich Alexander an den nächsten, »kann ein Mensch zum Gotte werden?« »Indem er das Menschenunmögliche vollbringt.« Die letzte Frage lautete: »Wie lang ist es dem Menschen gut, zu leben?« »So lang«, antwortete der nackte Philosoph, »als er den Tod nicht dem Leben vorzieht.« Der König überhäufte sie alle mit Geschenken und entließ sie.

Er kehrte auf der staubigen Straße des unteren Belutschistan nach Babylon zurück, wo er starb. Am Ende des Marsches warfen die Soldaten Disziplin und Respekt in einem wilden Bacchanal beiseite. »Unter ihnen allen fand sich auch nicht ein Helm oder Speer, sondern nichts als Becher, Kelche und Pokale aus kostbarem Metall. Die Soldaten tauchten diese in ungeheure Gefäße mit Wein und tranken einander auf dem Marsche zu, andere wieder blieben am Wege sitzen. Das ganze Land tönte wider vom Schall der Flöten und Gesänge, von Tänzen und den ausgelassenen Spielen der Weiber. Schamlose Gestalten und das ganze liederliche Treiben der Bacchanalien beschlossen diesen zügellosen, unordentlichen Rückzug.«

In seiner letzten Periode lebte Alexander in einem Pavillon außerhalb der Mauern Babylons, wo er sich die Zeit mit Segeln auf dem Euphrat vertrieb. Eines Tages ereignete sich ein seltsamer Vorfall. »Alexander hatte soeben ein Ballspiel beendet. Sein Diener war gegangen, seine Kleider zu holen und kehrte mit der Nachricht zurück, daß ein Fremder sich auf seinen Thron gesetzt habe. Alexander begab sich eilends dorthin und sah einen Mann, angetan mit den königlichen Gewändern und mit dem Diadem auf dem Haupte, in tiefem Schweigen auf seinem Thron sitzen. Auf alle Fragen antwortete der Betreffende, er heiße Dionysos und sei ein Grieche. Er wäre Schulden halber aus der Heimat geflohen und sei in Babylon gefangen gesetzt worden. An diesem Tage aber wäre ihm der Gott Serapis erschienen, um ihn von seinen Ketten zu befreien; darauf habe er ihn hierher gebracht und ihm befohlen, sich mit Königsgewand und Krone zu schmücken und schweigend dort zu warten.«

Alexander war nicht erzürnt, ließ indes den Mann auf den Rat seines Wahrsagers hinrichten. Dieses und noch andere Vorzeichen lasteten auf seinem Gemüt. Er glaubte sich dem Tode nahe, meinte jedoch, daß er ihm in Gestalt einer mazedonischen Verschwörung drohe. Seine Laune wurde furchtbar. Ein Mann namens Kassander, ein mazedonischer Adeliger, der gekommen war, ihm zu huldigen, war über die Feierlichkeit des Hofempfanges, insbesondere über die Art, wie sich die Höflinge vor dem König zu Boden warfen, derart erstaunt, daß er laut auflachte. Alexander sprang von seinem Thron, packte ihn an den Haaren und schmetterte seinen Kopf gegen die Wand. Dieser Mann wurde später König von Mazedonien und Herr über ganz Griechenland. Aber jene Zusammenkunft machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er niemals, ohne am ganzen Leibe zu zittern, an einer Statue Alexanders vorbeizugehen vermochte.

So endete der größte Abenteurer der Welt in Rauch und Asche. Nach einem Trinkgelage, das eine Nacht und einen Tag gedauert hatte, bestand er darauf, zu baden. Er erkrankte an einem Fieber, das rasch stieg, da er sich nicht schonen wollte. Am vierzehnten Tage seiner Erkrankung hörten die mazedonischen Soldaten, wie es um ihn stand; sie zogen vor die Tore des Palastes, erhoben ein großes Geschrei und bedrohten die Generale und Offiziere, bis diese sie einlassen mußten. Alexander lag, der Sprache beraubt, auf seinem Lager, und sie defilierten an ihm vorbei, um ihn unter Tränen ein letztes Mal zu ehren. Er starb am folgenden Tage, dreiunddreißig Jahre alt.

Sein Tod war das Zeichen für die Aufteilung des Reiches unter seine Feldherren. Von diesen und jenen, die ihm nahegestanden, wurde Ptolemäus allein auch fernerhin vom Schicksal begünstigt. Seine Dynastie herrschte bis zur römischen Eroberung über Ägypten. Olympias schnitt man die Kehle durch. Alexanders Gattin Roxane und ihr kleiner Sohn erlitten das gleiche Los. Von Alexanders Werk war nach wenigen Jahren nichts übriggeblieben; sein Einfluß auf Asien beschränkte sich sozusagen auf die künftig von allen Königen befolgte Mode, auf Göttlichkeit und göttliche Ehren Anspruch zu erheben. Die Künste und Wissenschaften der Griechen schwanden in wenigen Jahrhunderten aus Asien gleich Wasser in der Wüste, doch hat sich bis auf den heutigen Tag eine Spur des griechischen Einflusses in den chinesischen Buddhastatuen erhalten. Seine Persönlichkeit und Lebensführung wirkten sich, wie gesagt, durch die Vermittlung Plutarchs nachhaltend im englischen Erziehungswesen aus. Sein Name spielt in der verstümmelten Form von Iskander oder Askander in zahllosen orientalischen Volksmärchen eine Rolle. Aber er muß als Pfadfinder, nicht als Erhalter, als Zerstörer alter Wege, nicht als Bahnbrecher zu neuen gewertet werden. In diesem Falle schuf er die Weltgeschichte um. Wohl legt man ihm die Folgen: die Trennung Europas von Asien, den historischen Verlust einer zentralen, alles unter seiner Herrschaft vereinigenden Reiches und das Freimachen des Weges für die Römer zur Last. Aber ein Teil des Guten, das gewaltige Stück Geschichte, das von ihm ausgeht, muß der Gerechtigkeit halber zu seinem Ruhme im Gedächtnis der Menschen fortleben.


 << zurück weiter >>