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Christoph Columbus

Unsere Analyse der Lebensbilder Alexanders und Casanovas läßt einen reizvollen Winkel im Dunkeln. Gemeint ist die Natur, um nicht zu sagen die Persönlichkeit des allmächtigen Gegenspielers, des unsichtbaren Kartenmischers, der ihnen und der Gesellschaft in dem verlorenen Endspiel das Blatt austeilt. Mitunter glaube ich selbst unter der dicken Tünche, mit der Plutarch der Welt größtes Unternehmen überkleisterte, einen schwankenden Schatten, die Umrisse eines Wesens zu entdecken, das weder Grieche, noch Perser, noch Mensch ist. Es lockt den jungen Halbgott, verwöhnt ihn, erdrosselt ihn mit der Fülle seiner Gaben. So läßt sich in den Spuren seiner Feldzüge, die er in seiner Ungeduld kreuz und quer über die Landkarten Asiens, Europas und Afrikas kritzelte, in Geister-Schrift (ihm selbst nicht bewußt) die Hand des Schicksals erkennen. Diese Macht, mag sie nun Schicksal, Fatum oder Vorsehung heißen – und jeder ihrer Namen deutet auf eine unabweisbare Theorie oder Vermutung – diese Herrin und Mörderin aller Abenteurer, erscheint uns in dem Leben des venetianischen Wüstlings näher gerückt, weil sie dort in weniger erhabener Gestalt auftritt. Jene mitternächtliche Katastrophe zu Rom im Palast des Kardinals Aquaviva, jener Brief, den der alte Senator am Kanalufer verlor, jener rostige Riegel in den Bodenkammern der Piombi lassen ein Beben des Vorhangs und eine leichte Gänsehaut zurück, selbst wenn wir nicht von Casanovas naivem Mystizismus beseelt sind.

Darf nun unsere profane Untersuchung hoffen, dem Mysterium, das die Religion aller Abenteurer ist, näher zu rücken? Können wir hoffen, über dieses Fatum, das in allen Sprachen der Welt weiblich ist, wohl weil es sich den Frauen gegenüber meist ungalant erweist, mehr als nur rein Allegorisches zu erfahren, – mehr als die altehrwürdigen genialen Sprüche Casanovas in ihrer Lebensweisheit verraten? Sie zeigt uns den Weg. Sie führt den Willigen, läßt den Saumseligen im Stich. Darin liegt tiefere Weisheit, als in dem Galgentrost des Kismet. Aber sie genügt nicht.

Kurz und gut: Um dem großen X dieser Gleichungen seinen vollen Wert zu geben, müssen wir versuchen, eine Gotteslehre des Abenteuerlichen aufzustellen. Der einzige Weg hierzu ist ein genaues Studium der Wahl, die das Schicksal trifft; wir müssen das Leben eines seiner erklärten Günstlinge so scharf ins Auge fassen, wie die Zuschauer in der ersten Parkettreihe die linke Hand des Jongleurs, dem sie seine Kniffe ablauschen wollen. Wir können nicht hoffen, mehr als nur verschleierte Winke zu erhaschen; wenn wir aber den Elementen, die wir in Alexander und Casanova erkennen, noch einige Vermutungen über des Schicksals Neigungen und Abneigungen sowie über die Taktik hinzufügen können, mit welcher der unsichtbare Dritte sie in seinen unbewachten Momenten befriedigt, so wird das unser Interesse an unseren Forschungen fördern. Dann werden wir in der Lage sein, vom Standpunkte des Abenteurers selbst dem Ringen befriedigt zuzuschauen. Er selbst sieht nie eine mathematische Rechnung vor sich, sondern stets eine Persönlichkeit oder zum, mindesten ein psychologisches Kalkül.

Niemand eignet sich für dieses lästerliche Unterfangen besser als der vortreffliche Christoph Columbus, Colon, Coullon oder Colombo – wie nun sein richtiger Name lauten mag – der glücklichste und geachtetste der ganzen erlauchten Versammlung. So sehr war er vom Glücke begünstigt, daß das abenteuerliebende neunzehnte Jahrhundert aus ihm einen Heiligen zu machen suchte. Allerdings hat die moderne Forschung ihn dieser Ehre beraubt, indem sie an Stelle der faden Gipsfigur, als die wir ihn bisher kannten, einen Abenteurer von echtem Schrot und Korn setzte.

Er wurde etwa um die Zeit, als Konstantinopel in die Hände der Türken fiel, also um 1453, das Jahr, mit dem das eigentliche Mittelalter endigt, geboren. Wie so viele vom Schicksal und der Geschichte Auserwählte, war er ganz und gar ein Mann seiner Zeit. Das heißt, er besaß alle Vorurteile der Zeit, die ihm voranging. Das Mittelalter erlebte in ihm, einem der größten seiner Söhne, noch einmal seine Wiedergeburt, wie sterbende Zeitalter das manchmal tun. Ohne mich auf ein Gebiet zu wagen, das bereits von unzähligen Schulen, Autoren, Duodezmächten und Großmächten des Gedankens und der Propaganda eingezäunt und mit Stacheldraht umfriedet wurde, muß hier festgestellt werden, daß diese Verkörperung des Mittelalters sich in Columbus vor allem auf zweierlei Art äußert: in seiner Gewohnheit, alles zu unterschätzen und – in seinem gewaltigen Snobbismus. Für Columbus wie für das Zeitalter, das mit seiner Geburt starb, war »der Mensch das Maß aller Dinge«; er hielt alles im Himmel und auf Erden (insbesondere diesen Himmel und diese Erde selbst) für kleiner, einfacher, näher gerückt, als es in Wirklichkeit der Fall war. Dieser falsche Maßstab bildet den eigenartigen, manchmal infantilen Reiz des Mittelalters; er ist der Schlüssel zur mittelalterlichen Kunst und zu den trostlosen mittelalterlichen Kreuzzügen: beide in ihrer Art einzigartige Erscheinungen! Die Sterne sind nur ein paar Ellen weit weg; Asien liegt um die Ecke herum; die Welt ist nicht alt, sie wird jung sterben; Aristoteles wußte alles.

Die Renaissance warf in gewisser Hinsicht diesen mittelalterlichen Zollstock auf den Kehrichthaufen; sie ist eine Offenbarung der Größe der Welt; ihre Menschen wandern von Lilliput nach Brobdingnag aus. Christoph, der in erster Linie für jene Umwälzung verantwortlich ist, hielt sein Leben lang an den alten Normen fest. Wir werden im Laufe unserer Abhandlung noch auf die guten und schlechten konkreten Folgen seiner Laufbahn zu sprechen kommen. Psychologisch wirkte dieser eingewurzelte Irrtum sich in Gestalt einer allmächtigen, ungemein praktischen »pragmatischen Lüge« aus. Diese verlieh ihm jenen Kinderglauben, den man sonst nur in Büchern findet, der aber die unerläßliche Voraussetzung jedes großen Wagnisses ist, und den ein Mann von Phantasie aus dem eisigen Brunnen der reinen Wahrheit niemals schöpfen kann. Columbus war vor allem ein Mann der Phantasie und – ein Snob; Snobbismus aber ist nur eine phantasievolle, poetische Form des Ehrgeizes. Sein Snobbismus hat nichts mit dem Thackerays gemein; dessen Menschen sind letzten Endes nur ein paar über ihre Verhältnisse lebende Akademiker. Für einen mittelalterlichen Snob war eine Ahnentafel eine mit Poesie und mystischer Tugend ausgestattete Notwendigkeit. Ein ehrgeiziger Weberssohn wäre 1453 in der Gesellschaft überall auf Feinde gestoßen, hätte er überhaupt den Mut gehabt, sich mit den Nachkommen der Kriegsknechte Wilhelms des Eroberers und der verlausten Soldateska Karls des Großen zu messen. Ein schützendes Tabu umschwebte diese Kavaliere mit dem klangvollen Namen. Ein Columbus von Genua konnte dessen nur teilhaftig werden, wenn er, was auch wirklich geschah, vorgab, einer der ihren zu sein.

Vornehmlich aus diesem Grunde haben jene, denen es Spaß macht, unsere kleinen Schwächen medizinisch zu benennen, ihn einen »pathologischen Lügner« genannt. Falls es pathologisch ist, Lügen auszustreuen, und zwar auf die einzig überzeugende Art: indem man sie selbst herunterschluckt, so litt, Columbus tatsächlich an diesem Übel, nicht nur in bezug auf seine Herkunft und Familie. Er und sein Sohn und Biograph, der sein unschuldiger Helfershelfer wurde, verstanden es so gut, die Welt zu beschwindeln, daß heute noch über diesen Punkt eine heftige Kontroverse herrscht. Die eine Schule behauptet, er sei ein galizischer Marrano oder getaufter Jude gewesen; die andere erklärt ihn für einen Italiener spanischer Abstammung; die dritte und respektabelste (der auch ich mich anschließe) hält ihn für Christoph, Sohn des Domenico Colombo und seiner Gattin Susanna Fontanarossa, getauft in der kleinen Kirche San Stefano zu Genua. Alle diese Hypothesen hätten ihn sich im Grabe umdrehen lassen, denn die Fabel, an der er sein Leben lang festhielt, besagt, daß er ein Sproß des Grafen Colombo auf Schloß Curraco in Montferrat sei, der Legende nach ein Nachkomme des römischen Feldherrn Colonius, der Mithridates, König von Pontus besiegte und als Gefangenen nach Rom schleppte. Diese Lüge, an die er nach jahrelanger Übung selbst glaubte, schmückte er noch mit phantastischen Einzelheiten aus. So gab er sich zum Beispiel als einen Vetter ersten Grades von zwei anderen großen Herren aus. Jene waren ein gascognischer Admiral, namens Guillaume de Casenove Coullon, und ein Grieche, Georg Bissiprat Palaeologus, gleichfalls Admiral, ein direkter Nachkomme des Kaisers von Konstantinopel.

Domenico Colombo war ein kleiner Weber, der eine Weinhandlung aufmachte, welcher er später noch einen Käsehandel hinzufügte. Zum Schluß machte er Bankrott – ein schweres Vergehen in der Handelsrepublik Genua, wofür er auch eine Weile eingesperrt wurde. Christoph pflegte eine für sich vorteilhafte Geschichte zu erzählen. Er behauptete, eine gute Erziehung, insbesondere gründlichen lateinischen Unterricht genossen zu haben. Wenn dem so war, muß er rasch gelernt haben, denn schon mit elf Jahren wurde er nach der Sitte der Zeit Lehrling bei seinem Vater. Als Domenicos Geschäft, wenn auch nicht sein Vermögen, sich vergrößerte, mußten Christoph und sein Bruder Bartolomäus dem Vater helfen; sie wurden Handelsreisende oder vielmehr Kleiderhöker, Carminatores, die die Früchte ihrer abendlichen Arbeit in den Bauernhäusern der Nachbarschaft feilboten. Dieser Typ ist auch heute nicht ausgestorben. In ganz Norditalien bis hinunter nach Marseille und Avignon in der Provence sieht man junge Italiener, halb Hausierer, halb Ladengehilfen, einen Berg Stoffe auf dem Rücken, ihre Fahrräder mit verzweifelter Energie staubige Hügel hinaufschieben: fleißige, ernste junge Leute, knickerige Sparer, bei denen Kupfermünzen Grünspan ansetzen.

Als Christoph achtzehn Jahre alt war, scheint man es ihm erlaubt oder ihn gezwungen zu haben, sich an seines Vaters Spekulationen zu beteiligen. Es existiert ein Schein, auf dem er und sein Vater anerkennen, einem gewissen Pietro Bellesio aus Porto Maurizio zehn Taler für Wein zu schulden. Im nämlichen Jahr wurde der arme Domenico Schulden halber gefangen gesetzt; Christoph aber mußte für seine Verpflichtungen an Girolamo del Porto, einen Käsegroßhändler, Bürge stehen, bevor sein Vater die Freiheit zurückerhielt.

Drei Jahre später unternimmt er seine erste Seereise, nicht als Seemann, geschweige denn als Admiral der Flotte König Renés »auf einer Strafexpedition gegen die Piraten von Algier«, wie er selbst behauptet hat. (Die letzte derartige Expedition fand statt, als Christoph neun Jahre alt war.) Er schiffte sich vielmehr ganz natürlich in der Eigenschaft ein, zu der man ihn erzogen hatte, nämlich als Handelsreisender mit einer Ladung Kleiderstoffe für die Levante. Er reiste im Auftrag der großen Firma Di Negro und Spinola, eines der mächtigsten Handelshäuser Genuas, in dessen Händen das Weizenmonopol ruhte. 1476 schiffte er sich im gleichen Auftrag nach England ein, wo Genueser Stoffe sehr begehrt waren. Bei Kap St. Vincent wurde der Konvoi von zwölf Kriegsschiffen unter Casenove-Coullon, dem nämlichen Manne, dessen Name Christoph. sich später zulegte, angegriffen. Drei Genueser Schiffe gingen in Flammen auf, die übrigen, darunter auch das Fahrzeug, auf dem sich Christoph befand, wurden von Portugiesen gerettet und nach Lissabon gebracht.

Di Negro und Spinola besaßen dort eine Filiale. Man nahm Christoph und die anderen einhundertzwanzig Überlebenden gut auf, und im Herbst des gleichen Jahres stach er mit einem zweiten Konvoi in See, der sein Ziel auch glücklich erreichte. Um diese Reise wob Christoph eine kühne Geschichte, über einen Besuch in Ultima Thule, jenseits Islands, eine Geschichte, die seine Kommentatoren vergeblich versucht haben, mit der Aufnahmefähigkeit des Grönländer Markts für Genueser Stoffe in Einklang zu bringen. Heutzutage meinen wohlmeinende Menschen, daß er vielleicht in Galway anlegte, wo allenfalls noch ein bescheidenes Geschäft für ihn zu machen gewesen wäre.

Im folgenden Jahr finden wir ihn wieder in Lissabon. Anfänglich arbeitet er für Di Negro, später für den Centurione-Konzern, der für den aufblühenden Handel mit der afrikanischen Küste, den neuentdeckten Kanarischen Inseln und Madeira eine Lizenz besaß. Es gibt eine Urkunde vom 25. April 1479 aus einem Prozeß wegen Madeira-Zucker, in welcher der damals sechsundzwanzigjährige Columbus als Zeuge genannt wird. Der Notar stellt ihm die merkwürdige Frage: »Wer, glaubt Ihr, wird in diesem Streite gewinnen?« Christoph gibt die vorsichtige Antwort: »Die Partei, die recht hat.« Er erklärt, daß er einhundert Gulden besitze und daß er am folgenden Tage Lissabon verlassen müsse.

Die damaligen kosmographischen Vorstellungen im Volke, die zur Entdeckung Amerikas führten, waren vielfach grotesk. An dieser Verzerrung sind vornehmlich Columbus und seine von ihm beeinflußten Biographen schuld. Die Wirklichkeit ist weit interessanter. Die Feiglinge und Dummköpfe der damaligen Zeit hatten sich in die Theorie verrannt, daß die Erde flach und der Atlantische Ozean von Dämonen bevölkert sei. Diesen Glauben warf Columbus auf einen Schlag mit dem Genie eines Galilei und Kopernikus und – will man die Legende mit dem Ei für voll nehmen – auch mit der Geschicklichkeit eines Salonzauberers über den Haufen. Allein in dem Kreis von Piloten, Gelehrten und seefahrenden Kaufleuten, in den Columbus sich kraft seiner abenteuerlichen Geschichten einschmuggelte, glaubte keiner allen Ernstes noch, daß die Erde flach sei. 1481 verkündete sogar der Papst, Silvius Piccolomini oder Pius II. als Gemeinplatz allen, die da hören wollten: »Mundi formam omnes fere consentiunt rotundam esse. In Wahrheit sind sich fast alle einig, daß die Welt rund ist.« Was gar die übernatürlichen Gefahren des Reisens anbetrifft, so glaubte niemand fester an sie, als Columbus. Seine Lieblingsbücher, denen er sein Leben lang treu blieb, waren die »Reisen des Sir John de Mandeville« und die »Imago Mundi« des Pierre d'Ailly. Mit dieser Vorliebe für das Phantastische blieb er weit hinter seinen Zeitgenossen zurück. Die Seeleute von Lissabon und Genua und ihre Auftraggeber, die großen Handelsherren, welche Filialen und Agenten selbst in dem entlegenen Peking besaßen, hatten eine recht gute Vorstellung von der Alten Welt; das geht aus ihren Land- und Seekarten klar hervor. Columbus aber sah überall Sirenen, schaute nach den feurigen Mauern des irdischen Paradieses aus und versah Mandevilles Fabeln über Menschen mit Hundeköpfen, Lämmern aus dem Pflanzenreich und goldgepflasterten Städten eigenhändig mit Anmerkungen. Das geographische Dogma des Columbus, von dem er bis ans Ende seines Lebens und Erlebens nicht abrückte, wird von ihm in seinen Tagebüchern dahin zusammengefaßt, daß die Welt aus Europa, Afrika und Asien (also aus der Hälfte ihrer wahren Größe) bestehe. Ferner soll sie sich zu sechs Teilen aus festem Land und genau zu einem Teil aus Wasser zusammensetzen.

Der Unterschied zwischen seiner und der damals üblichen Anschauung ist damit folgender: Hier wie dort weiß man nichts von der Existenz der beiden amerikanischen Kontinente. Aber während Columbus der Ansicht ist, daß Asien nur eine kurze Strecke westlich von Portugal liegt, sind die anderen überzeugt, daß es schrecklich weit weg ist. Sie stimmen nur darin überein, daß gewisse Inseln, wie Madeira oder besser noch die Azoren – die laut Christophs Büchern mit Heiligen und Unsterblichen bevölkert waren – sich zwischen die beiden Erdteile schieben. Weit bedenklicher ist es, daß die Legende um Columbus die Seeleute jener Zeit unterschätzte und in einem falschen Licht darstellte. Columbus stellte das Ei der Entdeckungsfahrten durchaus nicht auf die Spitze. Er war, abgesehen von dem Erfolg, der ihn begleitete, nur einer aus einer ganzen Schar von Seefahrern. Die Küstenstädte Portugals, Liguriens und Spaniens wimmelten von wetterfesten Seeleuten, die vor Entdeckungseifer brannten. Jede Hafenstadt hallte wider von Berichten über Heldentaten, die täglich vollbracht wurden, um die Weltkarte zu vergrößern; von Plänen zu neuen Vorstößen in das Reich des Unbekannten. Aus einem äußerst merkwürdigen Grunde läßt sich nur schwer feststellen, was man wirklich von der Welt wußte; aber sicherlich war es genug, um Christophs Lieblingslektüre in den Augen einer ganzen Anzahl von klugen Leuten in das Reich der Kinderbücher zu verweisen. Insbesondere hatten die Portugiesen ihre Geschäftsbeziehungen bis an die Küste Guineas ausgedehnt; sie hatten Madeira und die Kanarischen Inseln entdeckt und einen gewinnbringenden Handelsverkehr dorthin eröffnet. Vier Jahre vor der Fahrt des Columbus umschiffte Bartolomäus Diaz das Kap der guten Hoffnung. Er sah den Seeweg nach Indien vor sich, aber er war gezwungen, nach Europa zurückzukehren. Neben diesen bedeutenden, allen bekannten Entdeckungen gab es aber noch andere, welche die großen Handelshäuser und Banken ängstlich als ihr Privateigentum hüteten. Schon damals hatten sie nicht die Gewohnheit, nützliche Informationen in die Welt hinauszuposaunen: Aus Bruchstücken von Nachrichten, welche die heimgekehrten Kapitäne und Agenten derartiger Konzerne durchsickern ließen, Nachrichten, die von den damaligen Gelehrten eifrig gesammelt wurden, entstanden jene wunderbaren Landkarten, welche inmitten banaler, gelehrter Verzerrungen mitunter die überraschendsten, in ihrem Anachronismus direkt geheimnisvoll wirkenden Einzelheiten aufweisen. Der berühmte florentinische Gelehrte, Pietro Toscanelli hatte zu einer Zeit, da Columbus noch mit seines Vaters Kleiderpacken in den Hügeln um Genua hausieren ging, auf seinen besten Landkarten unter dem Namen Antilia bereits die Insel Kuba eingezeichnet.

Der Impuls hinter diesem Entdeckungsfieber, dem auch Columbus erlag, entsprang teils der wachsenden Macht der Türken, teils Europas Mangel an Gold. Die Mohammedaner versperrten den italienischen Handelsrepubliken den seit Generationen gebrauchten Landweg nach dem Osten. Wirtschaftshistoriker haben auf ihre eigene geheimnisvolle Art festgestellt, daß es damals in ganz Europa an gemünztem Gold und Schmuck nicht mehr als zwanzig Millionen Dollar gab. Die einzigen Goldquellen waren die Goldwaschungen in Sachsen und Spanien, und diese warfen einen so geringen Ertrag ab, daß man sie nach der Entdeckung Amerikas ganz einstellte. Drei zwingende Gründe veranlaßten die europäischen Regierungen und Bankiers, sämtlichen, auch den geringsten Möglichkeiten, neue Vorräte des kostbaren Metalls zu entdecken, nachzuspüren: die Notwendigkeit, einen Entscheidungskrieg gegen die Türken und Mohammedaner zu führen, der Bedarf an Gold die Luxuswaren des Ostens zu bezahlen (für transportierbare europäische Waren fehlte in dem hochzivilisierten Osten der Markt), und der Goldbedarf der Währungen. Der Preis einer derartigen Entdeckung war, mit einem Wort, die Rettung sowohl als die Weltherrschaft Europas, und, unklar erfaßt, spornte er Seeleute, Kapitäne und alle jene an, die, wie Columbus, unmittelbar oder mittelbar mit Schiffen zu tun hatten.

Viele haben Columbus unter dem Einfluß seines eigenen Bluffs und Schwindels als den einzigen Kapitän seines Zeitalters dargestellt, als überragende Erscheinung, was Wissenschaft, Phantasie und Wagemut betrifft. Ihnen allen ist sein wahrer Ruhm entgangen. Dieser Ruhm ist der Ruhm aller Abenteurer: ein großer Outsider zu sein. Columbus' Navigationskenntnisse waren nicht größer als die jedes tüchtigen Seemanns. Es ist sehr zweifelhaft, ob er vor seiner letzten Reise mit einem Quadranten umzugehen wußte. Er war außerstande, die Breiten- und Längengrade des von ihm entdeckten Landes zu berechnen. Auf seiner ersten Expedition besaß er noch keinerlei Erfahrung in der Herrschaft über Menschen, und er lernte diese Kunst nie. Seine eigene Politik hatte ihn von sämtlichen Vorteilen des Nationalismus abgeschnitten; falls je ein Mensch ein einsames Solospiel gegen die Gesellschaft spielte, so war es Christoph Columbus.

Sein war der Triumph des Nichtqualifizierten, das Stigma des Abenteurers, den die geordnete Gesellschaft von allen Menschen am meisten haßt; des Mannes, der sich seinen Weg mit den Ellbogen erkämpft und der dasjenige ausführt, was die anderen, die dazu befugt sind, gewissenhaft, nüchtern, auf Grund ihrer Vorbildung nur planen. Er ist das Musterbeispiel des Sonderlings und Amateurs. Die Art, wie das Schicksal ihn behandelte, bedeutet eine Beleidigung für alle Tüchtigen und Kompetenten.

Wir kennen seine soziale Taktik. Als erste Frucht brachte sie ihm eine reiche oder doch zum mindesten gesellschaftlich angesehene Braut. Auf Grund seiner »Familienbeziehungen« wurde er in Lissabon Filipa Moniz Perestrello vorgestellt, deren Vater Gouverneur von Porto Santo, der Schwesterinsel Madeiras war. Perestrello verdankte seine Stellung der Tatsache, daß seine beiden Schwestern die Geliebten des Kardinals de Noronha, des bei Hofe allmächtigen Erzbischofs von Lissabon waren; der von Columbus getäuschte Adel war also ein sehr vornehmer. Sein Schwiegervater besaß eine gute Sammlung von Reisebeschreibungen. Christoph machte von ihr Gebrauch; an den Rand von Pius' II. Historia rerum ubique gestarum, des Kompendiums, aus dem das Zitat über die Kugelgestalt der Erde stammt, hat er eigenhändig die Worte geschrieben: »Indien produziert zahlreiche Dinge, aromatische Gewürze, große Mengen kostbarer Steine und Berge von Gold.« Das wußten sogar die florentinischen Gassenjungen; der Refrain des »Lieds der heimkehrenden reichen Kaufleute« lautete:

Dagli estremi confin di Gallicutta
Con diligenza e cura
Abbiam piu spezierie di qua condutte.

Aus dem fernen Kalkutta
Brachten wir mit Fleiß und Tüchtigkeit
Zahlreiche Spezereien heim.

In seinem Exemplar der Imago Mundi findet sich die tiefsinnigere, wenn auch weniger zutreffende Bemerkung, ebenfalls von seiner eigenen Hand: »Zwischen Spanien und den Ausläufern Indiens liegt ein kleines, in wenigen Tagen zu durchschiffendes Meer.« An diesem Lehrsatz hielt er bis an sein Lebensende fest. Durch seine Heirat besserte sich seine Lage und er gab den Stoffhandel auf, Natürlich besuchte er Porto Santo, wahrscheinlich weilte er zu längerem Aufenthalt dort und auf Madeira. Es existieren keine Beweise für seine Behauptung, daß er bis Guinea fuhr; seine Vorstellung von dessen Lage auf der Landkarte war gänzlich falsch, und seine Erklärungen sind durchaus nicht überzeugend. Aber die Inseln bildeten eine Art Börse für Seefahrergeschichten. Die Lieblingserzählungen der Seeleute handelten von Antilia und Brasilien. Antilia war ein Archipel genau westlich von Madeira, wohin sieben Bischöfe anläßlich der Eroberung Spaniens durch die Mauren ausgewandert waren, um dort sieben Städte zu gründen. Brasilien war ein Land, in dem die Edelhölzer wuchsen, die von Zeit zu Zeit in Irland und Madeira an Land gespült wurden. Karl V. von Frankreich hatte seine Bibliothek im Louvre mit diesem Strandgut täfeln lassen.

Die Portugiesen hatten bereits des öfteren versucht, Antilia zu erreichen, bevor sie ihre Bemühungen auf die Umschiffung Afrikas konzentrierten. Der Sage nach war dies einem portugiesischen Schiffer auch wirklich geglückt. Er war der einzig Überlebende der Expedition, die vor Porto Santo scheiterte, ein einäugiger Pilot, Alonzo Sanchez, der, ohne das Geheimnis preiszugeben, im Hause von Christophs Schwiegervater starb. Noch geheimnisvoller ist die Geschichte, die sich hinter der Tatsache verbirgt, daß Antilia auf der 1434 verfertigten Landkarte des genuesischen Kosmographen Bedaire als die »Isola novo scoperta«, oder »neu entdeckte Insel« eingezeichnet ist. Zwei Jahre später finden wir sie auf einer anderen italienischen Karte von Andrea Bianco mit einem neuen Detail wieder: Questo he mar di Spagna. Hier ist die Spanische See. Vergleiche die oben erwähnten »geheimen Pionierfahrten« mit der Tatsache, daß Madeira bereits 1351, also fünfzig Jahre vor seiner offiziellen Entdeckung auf einer italienischen Karte mit seinem übersetzten Namen »Holzinsel« vermerkt ist.

Aus dieser Zwiespältigkeit kristallisiert sich um jene Zeit Christophs Wille. Niemals erreichte er die strenge Einfachheit von Alexanders oder auch nur Casanovas Wollen. Columbus schwankt zwischen Indien und Antilia; sein Beweggrund ist teils Gold, teils Ruhm. Sonderbarerweise steuert er zum Schluß weder dem einen noch dem anderen, sondern dem irdischen Paradiese zu: derselben Stimmung entspringt der Wunsch, den ganzen Gewinn einem neuen Kreuzzug zu stiften. Diese in ihm schlummernde Unklarheit wird jedoch durch ein prätentiöses Schweigen verdeckt, in das er sich, wie alle Meister des Bluffs, nach Perioden der Geschwätzigkeit hüllt.

Durch die Familie seiner Frau erhält er mühelos eine Audienz bei dem König von Portugal, Johann II. In allen seinen Unterhandlungen mit dem Großen dieser Erde entpuppt er sich als ein Meister der Überredungskunst. Er war blond und hochgewachsen mit vorzeitig ergrautem Haar und sommersprossigem, rötlichen Teint, langsam und feierlich in allen seinen Bewegungen, außerordentlich redselig, aber mit einer besonderen Art des Vortrags und der Betonung, ohne je den Eindruck von Geschwätzigkeit zu erwecken. Nie wird die Welt lernen, sich vor diesen stattlichen Herren zu hüten, die einem mit eiserner Ruhe fest in die Augen schauen, die niemals scherzen und niemals schwanken, die es an vorsichtigen Winken und Andeutungen nicht fehlen lassen und die geübt sind, im gegebenen Augenblick zu schweigen. Ohne sie gäbe es heute keine abgekarteten Fälle von mißbrauchtem Vertrauen mehr. Seltsamerweise scheint diese persönliche Anziehungskraft einfachen Leuten gegenüber versagt zu haben – die Matrosen vor allem haßten und verachteten ihn; nur so sind zahlreiche Begebenheiten auf seinen Reisen zu erklären. Aber Königen gegenüber erwies er sich als unwiderstehlich. Johann hört ihn mit größter Achtung und Aufmerksamkeit an; trennend zwischen ihnen beiden standen nur die Bedingungen der geplanten Fahrt nach dem Westen.

Diese Bedingungen des Columbus sind für unsere Geschichte von Bedeutung, ja um sie dreht sich die ganze Handlung. Ihnen gelten alle seine Bemühungen, vor ihnen müssen alle sekundären Entscheidungen zurückstehen. An Johann, an die spanischen Granden, ja an Königin Isabella selbst stellte er folgende Forderungen, von denen er nicht wankte noch wich: den Titel eines Großadmirals des Ozeanischen Meeres (des Atlantik), die lebenslängliche Vizeregentschaft über sämtliche von ihm entdeckten Länder, zehn Prozent von den Handelserträgnissen dieser Länder und das Recht, die Gouverneure zu ernennen. Alle diese Privilegien sollten erblich und für die Ewigkeit sein. Christophs geplante Fahrt steht nicht ohne Präzedenzfall da, aber in der ganzen Geschichte der Entdeckungen ist der Preis, den er forderte, ohne Beispiel. Wenn man dazu noch seine Armut und den Mangel an Originalität seines Planes bedenkt, die sich nur hinter geschicktester Zurückhaltung verbergen ließ, sowie die Tatsache, daß er zu dessen Ausführung in keiner Hinsicht befähigt war; wenn man ferner seine gesellschaftliche Stellung in Betracht zieht und das zu einer Zeit, da die Führung eines einzigen Schiffes (er verlangt eine ganze Flotte) das Monopol, mitunter, wie zum Beispiel in Venedig, sogar das gesetzliche Monopol der Mitglieder großer Häuser war; wenn man schließlich noch erwägt, daß der geforderte Lohn im Falle des Erfolges der Gründung einer mit dem Mutterstaat rivalisierenden Macht gleichkam, so bedeutet das Ganze eine Unverfrorenheit, die den Charakter des Mannes wie mit grellem Scheinwerfer beleuchtet. Wären seine Forderungen nur Bluff, nur der erste Schritt zu einem hartnäckigen Feilschen gewesen, man müßte ihn als erhaben bewundern, obwohl natürlich der König und das Schicksal den anmaßenden Hausierer lachend und mit einem Fußtritt an Ladentisch und Zollstock zurückgeschickt hätten. So aber ließ Columbus zu keiner Zeit trotz der Einwände seiner Freunde, die an ihn glaubten, ein Jota von seinen Bedingungen nach; auch nicht, als alles sich seinem Unternehmen entgegenstellte, nicht einmal als Verzweiflung ihn übermannte. Auch die Gier hat ihren Heroismus.

Der König weigerte sich also, wenn auch höflich und vorsichtig. Man bemerke: Nur durch hartnäckige Maßlosigkeit erhob Columbus seinen durchaus mittelmäßigen Vorschlag zu der Würde eines Planes, dessen Ausführung selbst der größten Seemacht seiner Zeit unmöglich war. Das Interesse, das die Schicksalsgöttin an ihm nahm, wirkt nicht länger wie ein phantastischer Witz. Von nun an wird sie von einem großen Manne gejagt.

1484 starb seine Gattin und er reiste mit seinem kleinen Sohn Diego nach Spanien. Die nun folgenden sieben Jahre sind die rührendsten der ganzen Columbuslegende. Columbus im rauhen Sergegewand, sein geliebtes Kind an der Hand haltend und von törichten Königen, unwissenden Adeligen und eifersüchtigen Höflingen zurückgewiesen und verspottet: Zahlreiche akademische Maler sind dem lockenden Vorwurf erlegen und manch eine Provinzgalerie hat ihre Arbeiten geerbt. Indes muß der moderne Historiker das Bild ein wenig übermalen. Erstens einmal wissen wir nicht, weshalb Columbus Lissabon verließ. Die höfliche Weigerung des Königs kann nicht der Grund gewesen sein, denn Columbus ist, wie die Zukunft zeigen wird, nicht der Mann, sich von einem Mißerfolg entmutigen zu lassen. Gewisse Zeichen lassen den Verdacht entstehen, daß die eigentliche Ursache eine unbezahlte Schuld war – eine jener Verpflichtungen, um deren Begleichung Columbus in seinem Testament seine Erben so diskret ersucht. Vielleicht handelte es sich auch um Schlimmeres; ein Brief Johanns, den er in Spanien erhielt, läßt daraufschließen. Der König bietet ihm in folgenden merkwürdigen Ausdrücken ein sicheres Geleit an: »Und da Ihr unsere Gerichtshöfe wegen gewisser über Euch schwebender Dinge fürchten könntet, garantieren wir Euch durch diesen Brief, daß Ihr bei Eurem Kommen, Eurem Aufenthalt und Eurer Heimreise weder verhaftet, gefangen gesetzt, angeklagt, noch vor Gericht geladen werdet, mag es sich nun um Vergehen gegen das bürgerliche oder das Strafrecht handeln.« Ferner widerspricht seinem selbstgewählten Märtyrertum die Gewißheit, daß er in der langen Zeitspanne zwischen seiner Ankunft in Spanien und dem Aufbruch seiner Expedition weder Hunger noch Beleidigungen erlitt. Im Gegenteil, überall findet er einflußreiche Freunde, Unterstützung, Gastfreundschaft, trifft er Herzöge, Kirchenfürsten, Finanzleute, wie Luis de Santangel, hochgestellte Günstlinge des Hofes; das Ganze ist ein Triumph persönlicher Reklame. Auch der geliebte Diego muß aus dem Bilde entfernt werden; bereits im Monat seiner Ankunft in Spanien nahmen die gelehrten, gütigen und damals in Mode stehenden Franziskaner des Palos-Klosters ihm die Sorge um den Knaben ab.

Wie alle künstlerischen Leistungen, war Christophs Reklamefeldzug in Spanien ein allmählicher Aufbau, ein Übereinanderschichten von Glücksfällen, vermauert durch persönliche Bemühungen und gute Technik. Ich habe letztere sowie ihren Kern: Selbsthypnose, ein geschicktes Schweigen, mit einem Wort, das Genie des guten Verkäufers bereits erwähnt. Columbus verfügte über drei innere, einander als Bollwerk dienende Befestigungen: er hielt an seinen Forderungen fest, er weigerte sich, seinen Plan auseinanderzusetzen, und er ließ seine Herkunft im Dunkel. Als erstes Manöver seines Feldzuges errang er sich durch seine Frömmigkeit, seine Reden und seine Prätentionen die Sympathie der begeisterungsfähigen Mönche von Palos. In allen kritischen Perioden seines Lebens legte er Kutte und Strick des dritten (Laien-)Ordens des heiligen Franziskus an. In dieser Aufmachung traf er in Spanien ein. Der Prior war Isabellas Beichtvater gewesen und erfreute sich auch jetzt noch ihrer ehrfurchtsvollen Zuneigung. Durch ihn gelangt Columbus auf geradestem Wege in das innere Heiligtum des Hofes, wo er als ersten den Herzog von Medina Sidonia, den reichsten Großgrundbesitzer Spaniens und einen berühmten Patrioten kennenlernt. Zwar weigert dieser sich, zu irgendeinem Unternehmen beizusteuern, solange der damals in seinen letzten Stadien liegende Krieg gegen die Mauren Granadas nicht beendet wäre. Aber er setzt den Namen des vertrauenerweckenden Fremdlings auf die Liste der Gabenempfänger und schickt diesen selbst zu seinem Freund und Vetter, dem Herzog von Medina Celi. Dieser Grande billigte sogleich aus vollem Herzen Columbus' Plan, oder vielmehr diesen selbst und hätte ihm am liebsten sogleich eine Flotte ausgerüstet. Das einzige Hindernis waren die Forderungen des Abenteurers. Sie erwiesen sich als unerfüllbar, denn kein bloßer Untertan, nicht einmal der Herzog von Medina Celi, vermochte das Gewünschte, den Admiralstitel, die Vizeregentschaft usw. zu verleihen. Die Zusammenkunft fällt in das Jahr 1485. Bis 1487 lebt Columbus auf Kosten des Herzogs in dem herzoglichen Palast. Außerdem erwirken ihm seine Freunde von 1487 an eine Pension aus der Zivilliste der Königin.

Inzwischen intrigiert er mit Hilfe seiner mächtigen Gönner um eine Audienz bei Isabella. In den Pausen dieses Ränkeschmiedens lernt er die Imago Mundi und Sir John de Mandevilles Werk auswendig; daneben verführt er ein Mädchen aus guter aber armer Familie – Beatriz Enriquez de Arana, die ihm Ferdinand, seinen künftigen Biographen und Heiligsprecher gebar.

Christophs Beziehungen zu Frauen lassen sich mit denen des Wüstlings Casanova nicht vergleichen. Nur drei Frauen sollen in seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Die erste brachte ihm ein kleines Vermögen, das er aufzehrte. Sie wird später in keinem seiner zahlreichen Dokumente erwähnt. Die zweite, die arme Beatriz, blieb arm, auch als er schon reich war; die dritte war jenes grausige Geschöpf, Isabella, Königin von Spanien. Naturgemäß blieb diese dritte Affäre streng platonisch, und da Keuschheit stets die beste Politik für Gründer ist, brachte sie ihm auch den meisten Gewinn. Die Frau, die Granada zerstörte, die Torquemada Macht verlieh, die Schraube der Inquisition anzuziehen und sich mit ihm um die Beute der Ketzer stritt, diese Frau, die eine Million siebenhunderttausend jüdische Familien verbannte und ihre Habe konfiszierte, die das Autodafé zu einer nationalen Einrichtung erhob, die selbst im Sterben ihre Füße noch unter der Bettdecke versteckte und sich aus Keuschheit nicht salben ließ, braucht wegen ihrer Religion, Staatsweisheit und Tugend kein Lob von mir zu erwarten. Rasputin und Barnum hätten die ungeheuren Schwierigkeiten nicht überwunden. Selbst sie wären mit Ferdinand, Isabellas Geizhals von einem Gatten (dazu mit dem eventuellen Schatten eines Torquemadas hinter dem Thron), nicht fertig geworden. Columbus besiegte sie beide auf den ersten Anhieb. Aber wieder standen ihm seine Forderungen im Wege.

Die nun folgenden Jahre, in denen der Held fest auf dem geforderten Lohn bestand, schildert er selbst als »Jahre des Hungerns und Frierens, in denen ich, von aller Welt verlassen, nur einen armen Mönch zum Freunde hatte«. Er hielt sich bei dem Herzog und bei Hofe auf. Immer wieder kam er um neue Audienzen ein und bestand auf seinem Admiralsrang, der Vizeregentschaft und der zehnprozentigen Beteiligung. Einmal legte sich Kardinal Mendoza, »der dritte König von Spanien« für ihn ins Mittel; er rät, den geforderten Preis zu bewilligen. Später sind die Edeldame und Kurtisane, Beatriz de Babadilla, der Herzog oder Luis Santangel, der jüdische Finanzier, dem selbst Torquemada nichts anhaben konnte, seine Fürsprecher. Oder aber der mächtige Franziskaner-Orden, den sowohl Columbus wie die Königin besonders verehrten, befürwortete seine Sache. In den Zwischenpausen kehrt er nach Palos ins Kloster zurück, um in der dortigen Bibliothek zu blättern und in den antiken Schriftstellern nach Zitaten zu suchen, von denen er dann bei seinem nächsten Interview Gebrauch macht.

Während einer solchen Klausur lernt er Martin Alonzo Pinzon kennen. In Palos wohnte eine Schiffsreeder- und Seefahrerfamilie. Es waren drei Brüder, von denen der älteste, reichste und mächtigste, eben dieser Martin, sich ebenfalls mit dem Plan einer Entdeckungsfahrt trug. Um dafür die nötigen Unterlagen zu erhalten, hatte er sogar eine Reise nach Rom unternommen, wo er sich mit den berühmtesten Kosmographen beriet. Er brachte eine kostbare Landkarte, auf der Antilia vermerkt war, mit heim. Sein Plan lautete, jene Insel zu erreichen, sich dort neu zu verproviantieren und dann bis Japan, dem Zipangu Marco Polos vorzustoßen, wo es, wie der alte »Milione« schreibt: »Gold in größter Fülle gibt, denn seine Goldquellen sind unerschöpflich, nur erlaubt der König nicht die Ausfuhr. Diesem Umstände müssen wir auch die wunderbare Pracht des königlichen Palastes zuschreiben, wenn wir denen, die dort aus- und eingehen, glauben wollen. Es heißt, das Dach sei ganz mit Goldplättchen gedeckt ...« Anscheinend war Martin bereits vor seinem Zusammentreffen mit Columbus fest entschlossen, die Reise auf eigenen Gewinn oder Verlust zu unternehmen. Die Mönche brachten nun eine Zusammenkunft des einflußreichen, geheimnisvollen Fremden und des hartköpfigen, einheimischen Magnaten zustande. Es wurde auch irgendeine Vereinbarung getroffen, aber wir wissen nichts von den Bedingungen oder Ursachen. Wir kennen nur die recht dunklen Anklagen, die Columbus später erhob, und die Aussagen zweier Zeugen in einem Prozeß über die Verteilung seiner Hinterlassenschaft nach seinem Tode. Der erste dieser Zeugen ist Arias Pinzo, der Sohn Martins, welcher aussagte: »Ich weiß, man war übereingekommen, die eventuellen Bewilligungen der Königin gleichmäßig zu teilen. Besagter Martin Alonzo zeigte dem Columbus besagtes Dokument (die italienische Landkarte), was den Admiral sehr ermutigte. Es kam zu einer Vereinbarung, und Martin Alonzo gab ihm das Geld für seine nächste Reise an den Hof.« Der Seemann Alonzo Gallego aus Huelva bestätigt dies mit den Worten: »Ich erkläre, gehört zu haben, wie Columbus zu Pinzon sagte: ›Senor Pinzon, laßt uns diese Fahrt zusammen ausführen, und so wir Glück haben und mit Gottes Willen Land entdecken, verspreche ich Euch bei der königlichen Krone, es brüderlich mit Euch zu teilen‹.« Falls irgend jemand fragen sollte, ob dies wahr sei, und welchen Vorteil Christoph dem Senor Pinzon brachte, so müssen wir, darauf antworten: Hier liegt das gleiche Geheimnis vor wie bei allen seinen Unterhandlungen, das Geheimnis des tüchtigen Verkäufers, eine der vielen Ungereimtheiten, die im Leben täglich vorkommen, und die uns nur als historische Tatsachen überraschen.

Im Januar 1492 fiel Granada, die letzte Festung der spanischen Mauren. Der Traum der Christenheit ging in Erfüllung und Isabella beeilte sich, eine weit fortgeschrittenere Kultur vom Erdboden zu vertilgen. Der Augenblick für einen letzten Vorstoß war gekommen. Columbus gab vor, dem König von Frankreich einen Besuch abstatten zu wollen, gleichzeitig brachte er den Einfluß aller derer, die er genasführt hatte, ins Treffen und setzte so endlich seinen Vertrag durch. Man bewilligte ihm eine Million Maravedis, was laut Thatcher etwas über sechstausend Dollars ausmacht. Die ganze Expedition kostete 1167542 Maravedis oder 7200 Dollars: – Nord- und Südamerikas Grundschuld an Europa. Enthalten wir uns eines allzu billigen Lächelns über diese Summe. Das Tun und Treiben jener sieben Jahre galt nicht einer derartigen Lappalie, sondern den ungeheuerlichen Bedingungen des neuen Admirals. Diese hätten (ohne das schlaue, von Columbus nicht entdeckte Vertragseinschiebsel eines betrügerischen Advokaten) dem spanischen Amerika zugunsten der Nachkommen des Entdeckers bis zur Revolution eine zehnprozentige Abgabe auferlegt. Außerdem hätte es sich mit einer Dynastie von Columbus-Kaisern abfinden müssen.

Mit diesem imposanten, wenn auch doppelzüngigen Dokument kehrte Columbus nach Palos zurück. Jetzt besaß er das Geld und die Vollmacht, Schiffe zu requirieren; natürlich ließ er als erstes Martin Alonzo fallen. Der geschäftliche Ehrenkodex ist so unveränderlich wie das moralische Gesetz. Indes erhob sich eine recht lächerliche Schwierigkeit in Gestalt einer unbedeutenden Unterlassungssünde, wie sie auch die glänzenden Organisatoren teuer zu stehen kommt: Die Seeleute von Palos weigerten sich, Columbus zu dienen. Mit diesen schlichten Gesellen, die ihn einstimmig für einen Betrüger, eine Landratte und einen Schwindler hielten, und die sich in ihrer Gewissenhaftigkeit weigerten, sich auch nur bis zum nächsten Hafen auf einem von ihm befehligten Fahrzeug einzuschiffen, hatte seine hohe Politik nicht gerechnet. Er war in jener kleinen Stadt nur allzu gut bekannt – vielleicht war er mit seinen Reden und Ansprüchen vor ihnen nicht so zurückhaltend gewesen, wie vor dem königlichen Sachverständigen-Ausschuß. Es meldete sich auch nicht ein einziger Freiwilliger.

Sein erster Impuls in dieser beschämenden Lage war höchst exzentrisch: er schlug vor, die Besatzung aus Sträflingen zusammenzusetzen. Glücklicherweise brachte das noch keine Lösung des schwerwiegenden Navigationsproblems, und Columbus selbst war auf diesem Wissensgebiet ein blutiger Laie. Er war daher gezwungen, mit den Pinzons Frieden zu schließen. Diese lachten sich zwar ins Fäustchen, willigten aber ein, das Vergangene zu vergessen. Sofort rüsteten sie zwei ihrer besten Schiffe aus, die Santa Maria und die Nina, außerdem fanden sie noch ein drittes Schiff, die Pinta. Christophs Ansicht über diese drei Fahrzeuge ist nicht leicht zu durchschauen. Anfänglich lobt er sie höchlich in seinem Tagebuch, später jedoch, insbesondere nachdem das eine gestrandet war, erklärt er sie für alt, baufällig und nicht seetüchtig. Wahrscheinlich ist seine frühere Meinung die richtige, denn alle drei Brüder nahmen an der Expedition teil, und es ist nicht anzunehmen, daß sie nur aus Knickrigkeit und Rachsucht ihr Leben aufs Spiel setzten. Das größte Schiff – etwa von dem Tonnengehalt einer stattlichen Brigg – war die Santa Maria. Columbus wählte es als Admiralsschiff und gewann den Freund der Pinzons, den berühmten Juan de la Cosa als Navigations-Offizier und Kapitän. Martin und sein Bruder Francisco fuhren auf der Pinta, während das kleinste Fahrzeug von dem jüngsten Bruder, Vicente, befehligt wurde. Mit ihnen und mit insgesamt neunzig Matrosen, einigen Beamten der Königin als Rechnungsführer und einem Dolmetscher, einem gelehrten Juden, namens Luis de Torrez, der Hebräisch, Griechisch, Arabisch, Koptisch und Armenisch verstand, stach er in See. Torrez sollte bei ihrer Ankunft im Lande des Großen Khan, das heißt des Kaisers von China, als Vermittler dienen.

Die Vorbereitungen waren so unklar wie das Ziel des Admirals: wohin ging die Fahrt? Nach Antilia, nach Indien oder in das Reich des Großen Khan? Oder etwa gar nach Zipangu, wie Pinzon es wollte? Fuhren sie nach Antilia, wozu dann einen Dolmetscher mitnehmen? Ging die Reise aber nach Indien oder in das Reich des Großen Khan, was nützten Columbus dann seine vizeköniglichen Privilegien? Niemand in jenem Zeitalter glaubte allen Ernstes, daß der Erbe Dschingis oder Kubla Khans sich (durch neunzig Seeleute!) zu irgendwelchen Annexionen zwingen oder überreden lassen würde.

Wahrscheinlich war der Admiral selbst sich nicht im klaren, aber wenn auch sein Wille gespalten war – ein Dreizack, kein Speer – so deutete er doch, komme, was da wolle, nach Westen. Vielleicht hoffte Columbus ein zweites Madeira zu entdecken – oder aber sein siebenjähriges Beharren auf der Vizeregentschaft muß als eine Art geistiger Starrkampf angesehen werden.

Wie dem auch sei, am dritten August 1492 um acht Uhr morgens stachen sie in See, statt aber einen geraden westlichen Kurs zu halten, wandten sie sich südwestwärts den Kanarischen Inseln zu. Was immer auch sein Ziel gewesen sein mag, es lag irgendwo auf dem 28. Längengrad; mit zuversichtlicher Miene erklärte er seinen Leuten, es läge genau siebenhundert Seemeilen stracks westwärts.

Der von Las Casas verfaßte Bericht dieser Seereise (das Original ist uns leider verlorengegangen) gehört zu den hübschesten Dokumenten der Entdeckerliteratur. Dieser Columbus war ein Dichter – das sei hier ausdrücklich bemerkt, falls man noch nicht selbst dahinter gekommen ist. Trotz des verlorengegangenen Tagebuchs ist das Konglomerat von Charaktereigenschaften, das hier zutage tritt, unwiderstehlich: sein Snobbismus, sein Talent, andere, insbesondere sich selbst zu belügen, seine Geldgier – so ganz anders als die des nüchternen Geschäftsmannes – sein angeborenes Außenseitertum. Amerika wurde von einem Dichter entdeckt; einem geringeren oder besseren Mann möchte das Schicksal einen derartigen Preis nicht gönnen. Man lese seine Schilderung einer Sternschnuppe in der Nacht vom 11. September: »Zu Beginn dieser Nacht sahen wir vier bis fünf Seemeilen entfernt ein wunderbar gegabeltes Feuer vom Himmel niederfallen.« 18. September: »Heute war die See so still und ruhig wie unter den Brücken Sevillas.« 20. September: »Die Luft war mild und äußerst angenehm; es fehlte nur der Sang der Nachtigallen, und die See war so glatt wie ein Fluß.« 8. Oktober: »Heute war die Luft so würzig, daß das Atmen eine Wonne war.« In der Nacht vom 8. Oktober schreibt er: »Die ganze Nacht hörten wir Vögel zu unseren Häupten vorüberziehen.« Wer jetzt noch irgendwelche Zweifel hat, mag das ganze Tagebuch für sich selbst entdecken.

Drei Erscheinungen aus dem Gang der Ereignisse bedürfen eines Kommentars. Bezüglich der Märe des Herrn Admirals, daß er täglich das Logbuch fälschte, »damit die Leute nicht wüßten, wie weit sie gekommen wären und den Mut nicht verlören« – ein Manöver, das von einer Generation unkritischer Historiker als eine List, würdig des Odysseus, gepriesen wurde – genügt die Bemerkung, daß das Ganze schier unglaublich ist und niemandem außer einer Landratte eingefallen wäre. Christoph war ganz einfach außerstande, die Lage des Schiffes zu berechnen und hat das auch nie getan. Sonst hätte er seine Offiziere nicht täuschen können, und jene Mystifikation wird durch eine andere Stelle des Logbuches widerlegt, wo er sagt, er hätte die Piloten instruiert, »nach Erreichung von siebenhundert Seemeilen des Nachts nicht zu fahren«. Der nächste Punkt bezieht sich auf den legendären Bericht einer Meuterei sowie auf Columbus' Versprechen, Land zu entdecken, falls sie ihm noch drei Tage Zeit ließen. Die einzige Stelle seines Tagebuchs, die sich hierauf beziehen kann, lautet: »10. Oktober. Heute beklagten sich die Matrosen über die Länge der Fahrt; sie weigerten sich, sie fortzusetzen, jedoch der Admiral (er schreibt in der dritten Person) tröstete sie, so gut er konnte, indem er sie auf den großen Gewinn, der ihnen winkte, verwies.« Dies ist die letzte einer Reihe von Bemerkungen des Admirals über die schlechte Moral auf seinem Schiffe. Indes war man nur auf der Santa Maria unzufrieden, an Bord der anderen beiden Schiffe herrschte von Anfang bis zu Ende tiefster Friede. Wir besitzen auch die Aussagen zweier Seeleute. Der eine von ihnen, Francisco Vallejo, der den Admiral durchaus nicht liebte, erklärt in diesem Zusammenhang, der Admiral habe sich einmal Martin Pinzon gegenüber beklagt, als dieser sein Fahrzeug in die Nähe des Flaggschiffs brachte. Der Schiffseigentümer habe jedoch kühl erwidert: »An Bord meines Schiffes und der Nina ist alles ruhig. Habt Ihr Scherereien, so hängt ein halbes Dutzend Eurer Leute auf, oder mein Bruder und ich werden, falls Ihr wollt, an Bord kommen und es für Euch tun.«

Der dritte Punkt ist noch merkwürdiger. Am gleichen Tage – den 6., nicht den 10. Oktober nach Aussage des nämlichen Zeugen – beriet sich Columbus mit Martin Alonzo über den Kurs. Fühlte er sich am Ende selbst entmutigt? Sie hatten jetzt siebenhundert Seemeilen zurückgelegt und noch immer kein Land gesichtet. Martin erwiderte, sie müßten an Antilia vorbeigefahren sein und riet dringend, eine südwestliche Richtung einzuschlagen und nach Zipangu zu fahren. »Das liegt aber viel weiter weg.« Der Admiral zauderte, gab aber seine Einwilligung, obwohl er die Entfernung bestritt. Er behauptete, Zipangu könne nur wenige Seemeilen entfernt liegen, (seiner Theorie nach lag Antilia ja in der Nähe der chinesischen Küste). Es wurde ein entsprechender Kurs gewählt. Da sichtete am Morgen des 12. Oktobers 1492 ein Seemann, ein gewisser Rodrigo, vom Mastkorb aus im Mondlicht eine weiße sandige Landzunge. Er feuerte die bereits geladene Bombarde ab und schrie: »Land! Land!« Sofort wurden bis zum Tagesanbruch die Segel eingeholt. Amerika war entdeckt.

Sicher ist, daß es sich um eine der Bahama-Inseln handelte, welche vermögen wir dank des Columbus' poetischen Neigungen nicht zu entscheiden, obwohl man aus offiziellen Gründen der Watling-Insel den Vorzug gegeben hat. Hören wir des Admirals Schilderung: »Anfänglich packte mich Furcht, denn vor meinen Augen ragte ein ungeheurer, gebirgiger Felsen, der die Insel allseitig umschloß. Jedoch bildet er an einer Stelle eine Vertiefung und somit einen Hafen, der sämtliche Flotten Europas aufnehmen könnte, nur ist die Einfahrt sehr eng. Gewiß ist, daß dieses Riff zahlreiche Tiefen aufweist, aber die See ist dort so ruhig, wie in einem tiefen Brunnen.« An anderer Stelle heißt es: »Hier sind die schönsten Gärten, die ich in meinem Leben gesehen und süßes Wasser die Hülle und Fülle.« Mögen die Einwohner der Bahama-Inseln, von denen auch nicht eine von einem Riff, geschweige denn von einem mächtigen Gebirge umgeben ist, entscheiden, welcher die Ehre gebührt, die dichterische Phantasie des Admirals zu so hohem Fluge begeistert zu haben.

Von diesem unfeststellbaren San Salvador, wie Columbus das Eiland taufte, schiffte sich die Flotte nach anderen Inseln ein. Überall stieß sie auf reizende Eingeborene, Papageien, baumwollene Lendentücher und Hängematten, aber weder auf Gold noch auf Gewürze. Der Admiral berichtet von langen komplizierten Gesprächen mit der Bevölkerung – alle in der Zeichensprache; das eine handelte sogar von einem äußerst rührenden Thema: von der Sünde und Erlösung. Er ist jedoch tief verwirrt: anfänglich beschließt er, daß er ohne Zweifel Zipangu entdeckt hat. »Der goldgepflasterte Palast muß auf der anderen Seite der Insel liegen.« Später aber schreibt er: »Ich glaube, alle diese Inseln sind nichts als Länder, die mit dem Großen Khan von China im Kriege liegen. Gewiß ist, daß der Ort, wo ich jetzt weile, von den Einwohnern Kuba genannt wird, und daß er Quinsay und Zayto (Hang-Kau und Amoy) gegenüberliegt, etwa hundert Seemeilen von jeder dieser beiden Städte entfernt. Ich weiß dies, weil das Meer hier auf eine ganz andere, mir bisher unbekannte Art heranströmt.« Unter dieser Voraussetzung schickte er den gelehrten Juden, Luiz de Torres – wer sich für die Genealogie der Kolonisation interessiert, halte sich die Tatsache vor Augen, daß weder ein Engländer noch ein Deutscher, sondern ein Jude die Expedition begleitete – an den Kaiser von China, mit dem Auftrag, ihm den Brief der Königin zu übergeben. Torres sucht den Monarchen verzweifelt in dem Inselurwald und kehrt dann zu Columbus zurück, um von ihm tüchtig ausgescholten zu werden. Nachträglich überlegt sich der Admiral, daß dieses Kuba Indien und nicht Japan oder China sein müsse. Er geht von nun an bei seiner Goldsuche weit weniger umsichtig vor, denn es ist allgemein bekannt, daß die Beherrscher Indiens weniger schrecklich sind als der Große Khan. Jeder Eingeborene, dem man begegnet, wird durch Zeichen nach einer Goldmine ausgefragt; von jedem einzelnen entnimmt man, daß eine große Mine vorhanden sei, daß sie aber ein wenig weiter weg liege. Dem einen glückte es sogar, durch Kopfnicken und Schwenken der Arme mitzuteilen, daß in der Nähe eine ganze Insel aus purem Golde läge, nur konnte er den Weißen die genaue Richtung nicht klarmachen. Die friedlichen Kariber unterzogen sich auch sämtlicher, von den Entdeckern erwarteter Riten; sie hielten sie für Götter und schrien auf vor Entzücken, als man die üblichen Glasperlen und Spiegel hervorholte. Der Admiral war von den Eingeborenen begeistert, er vermeinte, den Missionaren ein glorioses Tätigkeitsfeld erschlossen zu haben, »da sie äußerst lenksam und leicht zu überreden seien.«

Inzwischen nahm Pinzon die Pinta und veranstaltete Kreuzfahrten auf eigene Faust. Bei richtiger Überlegung wollte dieser Unabhängigkeitsdrang dem Admiral durchaus nicht gefallen. Am dritten Tage seiner Abwesenheit fällt er den düstersten Gedanken zur Beute; er sieht sich verraten und fürchtet bereits, Pinzon sei nach Spanien gefahren, um ihm den Ruhm seiner Entdeckung zu rauben. Kurz darauf kehrte jedoch die Pinta in Sichtweite der Santa Maria zurück. Der Schiffseigentümer entschuldigte sich wegen seines Ausreißens und Verkündete, er habe Antilia entdeckt. Columbus folgte ihm und landete auf der Insel Haiti. Hier aber strandete infolge Unachtsamkeit das Admiralsschiff, die Santa Maria, und konnte um keinen Preis wieder flottgemacht werden. Nach zahlreichen Bemühungen beschloß man, das Schiff auseinanderzunehmen, worauf man mit dem Holz dicht neben einem Eingeborenendorf ein Fort baute, das man Natividad taufte. Auch hier waren die Einwohner ungemein freundlich und fügsam, die Weiber waren gefällig, vierzig Freiwillige ließen sich daher ohne Schwierigkeiten überreden, im Lande zu bleiben, während der Admiral und die übrigen nach Spanien zurückkehrten, um eine neue Expedition auszurüsten.

Auf dem Heimwege liefen sie in der Höhe der Kanarischen Insel einem heftigen Sturm in die Arme; die Pinta und Martin Pinzon wurden von dem Admiralsschiff abgetrieben. Christophs Verdacht regte sich wieder, die letzten Seiten seines Tagebuchs sind eine beredte Jeremiade über den Verrat. Aber die Nina schlug sich glücklich bis Lissabon durch und lief endlich am 15. März 1493 nach siebenmonatlicher Fahrt in den Hafen von Palos ein. Pinzon war noch nicht eingetroffen. Diese Tatsache bedeutet wohl den krönenden Triumph im Leben des Admirals. Er stellt nun eine Prozession zusammen, die sich von dem Dock in Palos quer durch Spanien bis nach Barcelona wand, wo die beiden Herrscher Hof hielten. An ihrer Spitze schritt, schweigend und unbewegt in seiner Franziskaner-Kutte, umgeben von bärtigen, bewaffneten Seeleuten, der hochgewachsene, ergraute Columbus. Seine Gefolgsleute trugen mächtige Bambusrohre und Alligatorenhäute. Hinter ihm marschierte ein Trupp Indianer, lächelnd und sich bekreuzigend, beladen mit Käfigen voll kreischender Papageien. Dieser Zirkuszug betrat jede einzelne Kirche, an der er vorbeikam und hielt, um zu beten, vor jedem Kruzifix am Wege an.

So trafen sie bei Hofe ein; Isabella und Ferdinand erlaubten Columbus, zu ihrer Rechten Platz zu nehmen, und mächtige Adelige baten ihn, ein Wort zugunsten ihrer Söhne einzulegen. Über all diesem Gepränge vergaß er aber nicht die ihm eigene minutiöse Sorgfalt für die kleinsten Einzelheiten: er erinnerte die Königin an die lebenslängliche Rente von sechzig Dollar im Jahr, die sie demjenigen versprochen hatte, der als erster Land sichten würde. Der berechtigte Anspruch des Matrosen Rodrigo Rodigro soll sich angewidert nach Marocco begeben haben, wo er Mohammedaner wurde. wurde zugunsten des Admirals beiseite geschoben, und dieser vermachte das Geld Beatriz, der Mutter seines Fernando. Das ist alles, was sie je im Leben von ihm bekam.

Pinzon traf zwei, drei Tage später als Columbus in einem galizischen Hafen ein, wo er, zum Schaden für sein Andenken bei der Nachwelt, alsbald starb. Die columbische Legende wurde somit um einen Bösewicht bereichert, der glücklicherweise weder protestieren noch sich verteidigen konnte.

Als jedoch die Beamten des Schatzamtes die Bilanz der Expedition zogen, war man einigermaßen enttäuscht. Auf der Kreditseite standen vierzig grüne Papageien, eine kleine Handvoll dünner, goldener Nasenringe, einige Ballen groben Gewebes, schlechter als irgendeines, das in Isabellas Spanien gesponnen wurde, sechs gutgläubige Wilde, ein Sammelsurium von mangelhaft präparierten, ausgestopften Tieren und die Bambusrohre. Man wußte nicht einmal genau, wo der Admiral eigentlich gewesen war. Er nannte Zipangu, Antilia, China, entschied sich aber zum Schluß für Indien – die königlichen Schreiber notierten den Ort als irgendwo in der Nachbarschaft Indiens liegend (en la parte de las Indias). Die Königin war indes zufrieden. Mit echt weiblicher Feinfühligkeit erkannte sie die Vorteile, die ihr aus der zahlreichen Bevölkerung Haitis erwachsen würden – rund eine Million Menschen konnten möglicherweise bekehrt und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Christophs eigene Idee, sie als Sklaven zu exportieren, verwarf sie jetzt und für immer. Man verlieh dem Admiral ein Wappenschild. Den freigelassenen Raum für die ahnherrlichen Wappenfelder ließ er mit Gold und Blau ausfüllen. Es muß ihm viel Kopfzerbrechen verursacht haben. Eine neue Expedition wurde in Marsch gesetzt. Diesmal bestand jedoch die Königin darauf, einen geübten Kosmographen mitzusenden. Sie hatte schon vordem an Columbus geschrieben: »Auf daß wir Euer Buch besser verstehen, müssen wir die Längen- und Breitengrade der von Euch entdeckten Inseln und des Festlandes erfahren, wie auch die Längen- und Breitengrade der von Euch zurückgelegten Fahrt, ich bitte Euch, sie uns zusammen mit einer Landkarte zu senden.«

Diesmal stand der Admiral an der Spitze einer ansehnlichen Flotte, die fünfzehnhundert Mann, darunter Handwerker und Agronome und eine Anzahl gerissener Glücksritter, mit sich führte. Das Geld hierfür wurde teils von dem Herzog von Medina Sidonia, teils aus der Beute der verbannten, expropriierten Juden vorgeschossen.

Er schiffte sich am 25. September 1493 ein, wählte die gleiche Route, wurde von seinem Kurse abgetrieben, verlor den Weg, berührte die Antillen, hielt sich dort längere Zeit mit der Suche nach Gold auf und traf am 22. November in Natividad ein. Auf seine Salutschüsse erhielt er keine Antwort. Bei der Landung entdeckte er, daß das Fort niedergebrannt war; die Leichen der Besatzung lagen entsetzlich verstümmelt im Gebüsch verstreut. Auch nicht einer war am Leben geblieben, die Katastrophe zu schildern; diese war aber nicht schwer zu erraten. Tatsächlich begannen die Neueingetroffenen sogleich, die Ereignisse, die sich hier abgespielt haben müssen, zu wiederholen, jedoch ohne tragischen Ausgang für sie selber. Viele von ihnen warfen, kaum daß sie Fuß, an Land gesetzt hatten, »den Respekt und die Disziplin, die sie dem Admiral schuldeten«, ab und ließen sich als Freibeuter auf der Insel nieder. Ein mönchischer Chronist bemerkt: »Sie pflegten sich über die Härte der Eingeborenenschädel, welche Kerben in ihre Schwerter schlugen, zu beklagen,« Auch jene »Männer vom Himmel«, die Columbus treu blieben, waren nicht viel liebenswerter. Die Eingeborenen waren bisher nichts Blutrünstigeres und Gefährlicheres gewohnt als die Alligatoren, von denen es in ihren Flüssen wimmelte. Ein halbes Jahrhundert später waren die Ureinwohner dieses Eilands und der meisten benachbarten Inseln, von denen einige noch dichter bevölkert waren, vom Erdboden vertilgt.

Drei Jahre brachte Columbus teils mit weiteren Entdeckungsfahrten und der persönlichen Leitung von Goldsucher-Expeditionen, teils mit Regierungsgeschäften zu. Er steht jetzt auf der Höhe seiner Laufbahn; seine Titel werden ihm nur von seinen eigenen Leuten streitig gemacht. Er hoffte, seinen anhaltenden Mißerfolg bei der Goldsuche durch Organisierung des Sklavenhandels wettzumachen. 1495 sandte er fünfhundert karibische Frauen, »nackt wie im Mutterleib«, zum Verkauf nach Sevilla. Como andaban en su tierra, como nacierom. Auf königlichen Befehl wurde diesem Treiben ein Ende gemacht, aber auf den Inseln, über die er herrschte, geriet allmählich die ganze Bevölkerung in Gefangenschaft. Die ballistische Kurve des Admirals hat ihren Scheitelpunkt erreicht. Ein von ihm erlassenes Gesetz bestimmt, daß sämtliche europäischen Einwanderer eine Erklärung unterschreiben müssen, wonach Kuba keine Insel, sondern das indische Festland sei. Wer diese Worte zurücknahm, dem sollte die Zunge herausgerissen werden. Der Abenteurer hatte das ewige Fragen satt; auf solche einfache Art kündigte er an, daß das Abenteuer zu Ende sei. Indien war entdeckt, nüchternes Organisieren war alles, was zu tun übrig blieb.

Bei diesem Organisieren erwies er sich nicht als Genie. Furchtbarer Streit entbrannte im Herzen der kleinen Kolonie; die verzweifelten Einwohner flohen, wo immer sie konnten, in den Urwald und suchten die Reihen ihrer Entdecker durch Pfeile und schlau versteckte Tierfallen zu lichten. Täglich vermehrte sich die Zahl der Buschklepper. Indes rächte sich das irdische Paradies auf seltsam romantische Art an seinen Zerstörern, dieser Vorhut Europas, und durch sie an allen künftigen Generationen von Europäern. Die Kariber von Haiti waren schwächliche, zarte Geschöpfe; ihr Mangel an Widerstandsfähigkeit wurde schon bei dem ersten Besuch in des Admirals Tagebuch vermerkt und gab später zu zahlreichen Klagen seitens der Sklavenhändler Anlaß. In Wahrheit litten sie an einer Seuche, die seit vielen Generationen dort endemisch war und deren Folgen sie daher nur schwächten. Auf ihre Herren jedoch, welche sich bei den Weibern ansteckten, hatte sie weit ernstere Wirkungen. Später wurde sie unter dem poetischen Namen Syphilis Nach einem Namen in einem poetischen Drama des Italieners Fracastro. bekannt. Hundert Jahre darauf war auch die letzte karibische Schönheit gestorben, dafür aber war ganz Europa von einem Ende bis zum anderen verseucht.

Columbus entging jedoch dieser fast biblischen Nemesis durch seine wohlbekannte Enthaltsamkeit und segelte Ende 1495 nach Europa zurück. Er landete in Cadix, da er aus persönlichen Gründen Palos vermeiden wollte. Er kam mit leeren Händen. Spanien war von bleichen, durch und durch kranken Männern bevölkert, die vor ihm zurückgekehrt waren, um sein Indien zu verfluchen. Der König sandte auf die Kunde seiner Ankunft eine kühle Antwort. Trotzdem bildete der Admiral eine zweite Prozession. An der Spitze von fünfzehn nackten, vor Kälte zitternden Indianern, die aber auf seinen Befehl ihren vollen Federkopfschmuck tragen mußten, marschierte er durch Spanien, um dem Hofe seine Aufwartung zu machen. Wieder hatte er das Kostüm der Franziskaner angelegt. Es war im Januar. Bis zu ihrer Auflösung weit vor dem eigentlichen Ziel zog diese Prozession entmutigter Eingeborener und bewußt feierlicher Weißer durch ganz Andalusien.

Es ist Zeit, einen Punkt zu machen und unsere Entrüstung auszudrücken. Nicht damit zufrieden, einen aufgeblasenen, lügenhaften, untüchtigen und vollständig ungeeigneten Tuchverkäufer für die größte Gunst, die sie ihren Lieblingskindern, den Europäern, je erwies, auserwählt zu haben, steigt die Schicksalsgöttin aus der sie umhüllenden Wolke, um abscheulichen Schabernack mit ihm zu treiben. Die kichernde Verantwortungslosigkeit, mit der sie ihn zum Narren hält, hat etwas von dem schlechten Geschmack eines Schuljungen. Weit davon entfernt, komisch zu wirken, erfüllt das Treiben uns mit tiefer Panik. Wir sind ja auch nur Menschen, aber wir dürfen doch zum mindesten von unseren Göttern verlangen, wie Erwachsene behandelt zu werden. Auf diesem letzten Zug des Columbus wird die Menschenwürde kompromittiert; wir haben ein Recht, mit Gloster im Lear zu murren:

»– – – – Was Fliegen sind
Den müßgen Knaben, das sind wir den Göttern.
Sie töten uns zum Spaß.«

Ja, sie hängen unseren Helden zum Spott lange Schwänze an, schwärzen unseren Heiligen die Nase und streuen Orangenschalen auf die polierten Fußböden der Heiligtümer, die wir ihnen errichtet haben.

Aber es ist nicht interessant, wenn wir ruhiger geworden sind, die Tatsachen zu sammeln, die sich um die Schicksalsgöttin aller Abenteurer häufen, um aus ihnen zu erfahren, wie sie sich wegwirft? Die Erlebnisse dieses armen Teufels lehren uns, daß sie einen Dichter liebt, daß sie sich bei freier Wahl den Allerunbefugtesten aussucht und verächtlich den Tüchtigen, Erfahrenen, wie Martin Pinzon, hinschlachtet, um dem Outsider Christoph Columbus, dem Manne, der nicht einmal eine Karte lesen konnte, die Krone zu reichen. Erst duldet sie die Vernichtung der sanftmütigen, braven Kariber, grade weil sie sanftmütig und glücklich waren; dann rächt sie sie gefühllos und großzügig nicht nur an den lasterhaften Spaniern, sondern auch an den braven guten Deutschen, Engländern und Franzosen, die niemals so grausam gewesen wären, oder die doch zum mindesten nicht mit der ersten Einwanderungswelle hinüberströmten. Dann aber aus irgendeiner Laune – unsere Erfahrungen mit Alexander und Casanova möchten uns glauben machen, der Versuch des gesetzehassenden Columbus, Indien zu entdecken und seinem Abenteuer einen gesetzlichen Ausgang zu geben, habe sie gekränkt – – – macht sie sich in ihrer Allweisheit die Schwächen des Admirals zunutze, seine Gewohnheit, sich zu wiederholen, seine in schlechter Erziehung wurzelnde, grobe Freude an Pomp, seine Technik des Betrügens. Zum Schluß läßt sie ihn mitsamt seinen elenden federgeschmückten Indianern unter dem Hohn und Spott der Bauern und der Pöbelhaftigkeit der Städter hunderte von Meilen bis ins Herz Spaniens Spießruten laufen. So klingt die größte menschliche Leistung aus. Logische Ungerechtigkeit von Anfang bis zu Ende.

Wie aber, wenn diese Ungerechtigkeit das Wesen selbst des Abenteuers wäre? Der Mann, der seinen Einsatz im Roulette aufs Spiel setzt, will keine Gerechtigkeit und erwartet auch nicht, den gleichen Einsatz zurückzuerhalten. Gerechtigkeit hätte für Christoph Columbus einen kleinen Laden in Genua oder etliche Fuß Gemäuer in einem portugiesischen Gefängnis wegen betrügerischen Bankerotts bedeutet, oder doch zum mindesten ein Loch im Schlick auf dem Grunde des Meeres ein paar Seemeilen von den Kanarischen Inseln entfernt. Gerechtigkeit für Alexander hieße ein zweiter Dolch gleich jenem, der seinen Vater tötete, und für Casanova eine tüchtige Tracht Prügel mit der Reitpeitsche oder die Verurteilung, lebenslängliche Alimente zu zahlen. In diesem Lichte betrachtet, bedeutet das Abenteuer an sich einen aufgeregten Appell an die Ungerechtigkeit; des Abenteurers Gebet lautet: »Gib uns mehr, als uns von Rechts wegen zukommt.« Mögen die Martin Pinzons dieser Welt um ihr Recht kämpfen; ein Abenteurer ist seinem Gotte gegenüber demütiger. Für die große Masse seiner Mitmenschen aber, für die soziale Pyramide der Tüchtigen, Besitzenden, Titeltragenden hat er nur die Frechheit des Outsiders. Er gehört nicht zu dem Generalstab der Welt, ja er gehört nicht einmal einer Clique an. Er steht allein, der unfromme Verehrer eines ungerechten Gottes, der in seiner Weisheit bestimmt hat, daß Literaturprofessoren niemals große Dichter sind, daß der Primus in der Klasse nur selten die höchsten Ehren des Lebens davonträgt, daß die reichste Frau niemals die schönste ist, daß der rassenmäßig Hochgezüchtete kein Monopol auf Freude und Gesundheit besitzt. Diese unberechenbare, boshafte Macht anerkennt keine Schuld; sie ist leicht zum Lachen, niemals zum Weinen zu bringen; sie gleicht dem Geist des Regens, der da fällt, wo es ihm beliebt und dem Winde, der wehet, wo er mag.

Columbus ist noch nicht am Ende; Lebensläufe sind nur selten der Handlung ihres Dramas angepaßt. Auf seiner dritten Reise brach auf Haiti ein Aufstand aus. Diesmal bekam die heimatliche Regierung die Sache satt und entsandte einen Kommissar, Francisco de Bobadilla. Bobadilla war Jurist, vornehm, tüchtig, ruhig, ein Mann, der Recht und Unrecht unterscheiden konnte. Er traf mit schrankenlosen Vollmachten ausgestattet in Haiti ein. Das erste, was er im Hafen sah, war eine Reihe Gehenkter. Das erste, was er tat, war, den Admiral zu verhaften; in einer halben Stunde hörte er so viel von seinem Geschwätz und seinen Taten, daß er ihn als Rebellen hätte aufknüpfen lassen können. Statt dessen legte er ihn in Ketten und schiffte sich mit ihm nach Spanien ein. Kaum war das Schiff außer Sicht des Landes, so befahl der Kapitän, den ehrwürdigen alten Gauner auf Deck freizulassen. Christoph weigerte sich. Er hatte die Ketten seinem Stolze einverleibt. Von jetzt an vermag er sie nicht zu vergessen; sie wirkten als homöopathisches Mittel auf die ihm angetane Schmach.

Die Königin war sehr freundlich; sie entschuldigte sich bei ihm, aber weder befahl noch bat sie Bobadilla, sich zu entschuldigen, noch unternahm sie, obwohl sie ihr Verhalten hinter Freundlichkeit verbarg, irgendwelche Schritte, um den einen zu rehabilitieren und den anderen zu bestrafen. Diese Tatsachen genügen, um die columbische Legende ein für allemal zu widerlegen; wäre Columbus nicht unwiderruflich schuldig gewesen, man hätte ihn gerächt. Außerdem verbot man ihm, je wieder Fuß auf Haiti zu setzen.

Trotz alledem bestand der Admiral darauf, dem Lied noch einen Endvers anzufügen. Seine vierte Expedition verließ Cadix am 11. Mai 1502. Diesmal hatte er Isabella den Goldenen Chersones versprochen, was seiner aus Büchern geschöpften Chimäre Cochinchinas entspricht. In seinem »Buch der Prophezeiungen«, das er für die Königin schrieb, während er auf die Schiffe wartete, und von dem uns einige Bruchstücke erhalten geblieben sind, sagt er das Ende der Welt für das Jahr 1650 voraus; er müsse daher recht bald Gold finden, damit sie Zeit hätte, mit seiner Hilfe das Heilige Land zu erobern und alles für das Kommen des Herrn vorzubereiten. Vasco da Gamas Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung war zur Zeit das Tagesgespräch; Columbus hält sie für einen aufgelegten Schwindel. Hat er nicht selbst Indien entdeckt? Ohne den Verrat seiner Feinde und die Machenschaften Satans hätte er sogar das Gold gefunden. Er hat sich jetzt einen neuen Titel zugelegt: dieser lautet, »Gesandter des Allmächtigen«. Jesus Christus war ihm im Traume erschienen und hatte ihm die Entdeckung des Goldes nach Ablauf von sieben Jahren versprochen. Später will er nach dem Nordpol fahren, der von Christen bewohnt wird, welche im großen Kreuzzug gute Dienste leisten werden. Und so fort. Wahnsinn? Durchaus nicht; er ist nur ein bißchen geschwätziger geworden.

Diese letzte Fahrt brachte ihm eine Fülle von Entbehrungen und Enttäuschungen. Er berührt den südamerikanischen Kontinent, der Jahre zuvor von dem Goldsucher Amerigo Vespucci entdeckt und aufgenommen worden war; Columbus beschreibt ihn als eine »Anhäufung unbedeutender Inseln«. Seine Besatzung muß das Äußerste an Hunger und Durst erleiden; er selbst wird auf Kuba krank, schwebt in Gefahr, von Indianern, die er eingefangen und als Sklaven verkaufen möchte, massakriert zu werden, erlebt einen der schlimmsten Stürme, die je in der Literatur beschrieben wurden, beschlagnahmt die Karten seines Navigationsoffiziers, damit niemand außer ihm selbst die Lage des irdischen Paradieses erfahre. Gemeint ist das wirkliche Paradies Sir John de Mandevilles, ein Berg zwischen Ganges, Euphrat, Tigris und Nil, der rings von Feuer umgürtet ist und dem er sehr nahe kam.

Endlich hat er genug. Am Ende seiner Reise bleibt ihm mir das, was er selbst mit auf die Welt brachte. Isabella versteckte wenige Tage nach seiner Rückkunft ihre keuschen Füße unter der Bettdecke; sie starb, ohne sich das letzte Kapitel anzuhören. Von jetzt an läßt er den Hof ungeschoren; zwei Jahre später starb er selbst in tiefster! Vergessenheit. Keiner der zeitgenössischen Chronisten tut seiner Erwähnung. Er verlangt, daß seine Ketten mit ihm ins Grab gelegt würden, und man erfüllte ihm seinen Wunsch.

So endet ohne Sang und Klang der einzig wahre, historische und authentische Entdecker Amerikas, der glückliche Christoph Columbus. Sechzig Jahre nach seinem Tode stirbt auch der letzte seiner Nachkommen. Die wohledlen Colombos, Grafen von Cuccaro, erheben Anspruch auf das Familienvermögen, und da sie sich auf Christophs eigene Fabeln stützen, hätten sie es sich ums Haar gesichert.


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