Georg Bötticher
Gedichte
Georg Bötticher

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An meine Stirnlocke

        Wenn von Gedanken trüb umnachtet
Im Spiegel ich mein Haupt betrachtet,
Das ein verdächt'ger Schein verklärt –
Warst du es, die mich aufgerichtet.
So oft ich sinnend dich geschlichtet,
Hat mir dein Anblick Trost gewährt.

Ich sah auf deinen blonden Spitzen
Noch jenen Schein der Jugend blitzen,
Der stets mich innerlichst erwärmt.
Verknüpft konnt ich mit deinen Strähnen
Mich noch den holden Tagen wähnen,
Da ich gedichtet und geschwärmt.

Zwar schuf die Zeit dich licht und lichter –
Doch höher nur vor dem Vernichter
Hast du dich trotzig aufgebäumt.
Noch ließ sich, für den Blick vom Weiten,
Aus dir ein Schmuck der Stirn bereiten,
Wie ihn der Kahlkopf sehnend träumt.

Wie lange hast du standgehalten,
Geliebte Locke, den Gewalten
des Schicksals, das nicht Schonung kennt!
Noch ragst du – rings umgähnt von Leere –
Der letzte Damm, der mich vom Meere
Der fürchterlichen Glatze trennt.

Nun willst auch du mich ganz verlassen!
Das letzte Zeichen soll verblassen,
Das noch der Jugend mich vermählt!
Ich seh es wohl: seit zweien Jahren
Bestehst du nur aus zwanzig Haaren –
O, sie sind alle wohl gezählt!

Ein Tag wird kommen – und die Welle
Des Glanzlichts flutet an der Stelle,
Wo du gestanden, ungehemmt!
Stirb denn, nach tapfrer Wehr bezwungen,
Doch sei voll Dankes noch besungen,
Eh dich der Zeitstrom fortgeschwemmt.

 


 


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