Helene Böhlau
Die kleine Goethemutter
Helene Böhlau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Der schwachsinnige Bursche wird mit auf ein Schiffchen genommen. – Allzuviel fromme Lieder an einem schönen Tag. – Madam Schaket singt, und das Schifflein kommt vorwärts. – Auf den armseligen Burschen drischt ein Liebeswetter ein. – Lind sind die Wogen des Mains

Madam Schaket saß in ihrer Stube, die Amsel sang, die Blumen vor dem Fenster dufteten, und Hinterhalter Georg hockte am Tisch, ein Blatt Papier vor sich, die Hand im Schopf vergraben, und zeichnete – nein, er schaute – und schaute –, sah auf Madam Schaket wie auf einen Baum, der sich nicht wehren kann, wenn man ihn unverwandt bis in sein Holzherz hinein anguckt. Ein Stück altes Weißbrot liegt neben dem Burschen, mit dem er schon vielfach gearbeitet und gerieben hat.

Madam Schaket war wohl sehr reizend mit ihrem frischen Adlergesicht. Wie funkelten die Augen, welch prächtigen Schwung hatte das kühne Näschen, und ihr dunkelbraunes Haar war einem festen Gefieder gleich.

»Schwer – schwer!« seufzte der Zeichner, und im Eifer seines Schauens kamen ganz wunderliche Grunztöne zutage, als schleppe er eine viel zu große Last.

»Jetzt guck Er mal weg,« sagte Madam Schaket 112 ärgerlich, »hab Ihm doch schon gesagt: sieht Er nit, daß ich Hörner hab? So angucke braucht Er mich auch nit, auch bei Seiner Zeichnerei nit – Blasen laß ich mir auf mei Gesicht nit gucke.«

»Ei,« sagte der Bursche und stand auf und strich ihr mit der Hand über die Wange.

»Sei Sie doch ruhig, Sie liebe Frau. Wie Sie so schön ist, ist Sie auch schwer zu treffe, da muß mer gucke.«

Da mußte Katharinche Schaket wieder lachen.

»Lache,« sagte der Bursch, »lache hab ich gern! Wer lacht, ist jetzt grad nit bös.«

»Jetzt hör Er einmal, was das für Sachen sind: bös? – Wer ist denn immer mit Ihm bös?«

»Die Menschen – freilich, die ganz richtigen, die schnell spreche und denke, werden leicht ungeduldig über mich, weißt du?«

»Aber Seine Leut nit – die Söhnleins nit?«

»Gut – gut! Aber es sind nur zwei.«

»Drei, mei Lieber.«

»Drei – ja.« Er lachte. »Aber weiß man noch nit, was wird – kam schlimm angerumpelt.«

»Guck mich nit so feierlich an, Bursch! Ich bitt Euch – ich mein sonst, ich bin e Domkirch« –

»Nein, nein, nein!« rief er und lachte aus vollem Hals und sprang in der Stube umher.

»Ein schön lieb Weib seid Ihr, mit Augen wie Blumen, 113 die leuchte, mit einer herrliche Nas, die königlich in die Welt guckt, nit gedrückt, nit breit.«

»Schau, das reimt sich, dann wird's so sei.« Katharinchen lachte.

»Ist so! Ist so! Und tausendmal schöner! Bei Euch werd ich wach – der Schlaf fällt von mir – ich könnt immer juble und schreie, als wär ich heimgekomme!«

»Jetzt setzt Euch und macht los, nit nur Worte – das wär mir leicht.«

»Dir leicht – mir schwer! Ich schwitz als.«

»No, so halt Er Ruh!«

Und so tat er, wie sie wollte, ganz gehorsam blickte er zu ihr hin, dankbar wie ein guter Hund.

»Ohn Courage kein Genie!« sagte sie.

»Oh – oh – oh!« Er war voller Einverständnis, verstand sie auch wie ein guter Hund seinen Herrn, Worte spielten da keine große Rolle.

Nun machte er sich ans Zeichnen.

»Die Nas, die sehr verfluchte Nas!« grunzte er wieder, als schleppte er Felsblöcke; aber es ging vorwärts.

»Ein Menschengesicht und ein Adlergesicht beieinander, da mög eim Gott behüte.«

»Glaubt Er an Gott?« frug Madam Schaket mitleidig. Mitleid hatte ihr Herz erfaßt. War so ein schlanker Mensch mit seinem Haarschopf, wie er da so eifrig über sein Blatt gebeugt saß – und doch so sonderbar, als hätte er 114 sein Lebtag für sich allein in eim Topf gesessen, mit eim Deckel drüber. Er war gar nicht so groß, aber kam so groß 'eraus, weil der richtige Meister, der im Oberstübchen sitzt, ihn nicht kutschierte. Gott weiß, wer sich dahin gesetzt hatte, der sein Sach nit recht verstand. Als ecke er immer an, war es, und seine Glieder fuhren daher, viel heftiger als er wollte. So dachte Madam Schaket und fühlte, das könnte einzig und allein der liebe Gott repariere.

Alles, was Kreatur sich nannte, war da nicht allzuviel nütze. So frug sie noch einmal, ob er an Gott glaube. Er hatte ihr nicht geantwortet.

»Ja,« sagte er, »in der Schul die Lieder, die nit in den Kopf gehen, und die Zehn Gebot, wo's immer Prügel setzt. Und in der Kirch, wo sie als singe und der Pfarrer so lang redt.«

»No, und seine Schwester Madam Söhnlein?«

»Die – ja, die bet zum Mittag und auch zum Nachtmahl.«

Katharinche Schaket blickte nachdenklich. Und darum die viele Kirche und Pfarrer, und so ein arm Kerl läuft 'erum wie ein Hemdematz, dachte sie und sprang auf.

»Da sind harte Stücker zu verdauen! Ja, fühlt Er denn nit mitten in seim Herz so eine sanfte Ruh? Und wenn die Leut bös und ungeduldig waren, hört Er da nit, wie's in Ihm spricht: Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken?

115 Und wenn Er in die Stern guckt – was macht Er da für Glossen? Denkt Er da, die Stern habe die Schöffen, der Burgemeister und der Schultheiß aufhänge lasse?

Gott, mei Lieber, tat's, der Euch näher ist, als ich Euch jetzt bin, der Euch lieb hat, lieber als alles, was die Leut so lieb nennen, der sitzt Euch als schöne Ruh im Herzen, – braucht nur hineinzuhorche, da spürt Ihr ihn gar bald. Und guckt als nur oft in die Stern. Zuerst wird's Euch durmelig werde, weil's gar so unmenschlich is, was Ihr da guckt, und Ihr werd meine, daß einer Euch den Kopf herunterdruckt, aber da is keiner da – als Eure eigene Faulheit, die nit will, daß Ihr in die Ewigkeit und in die Unsterblichkeit und zu Gott guckt.«

»Ei freilich,« sagte er, »Ihr liebe Frau,« sprang wieder auf und streichelte sie über die Wange hart und unbeholfen. – »Wie du das so sagst, is vor dem Dümmsten sehr gut – das versteh ich wohl, und werde gucke und dem Faulen, der den Kopp mir runterdruckt, eine runterhauen.«

»Ja,« sagte Katharinche Schaket ausdrucksvoll, »das macht nur; aber die Leut, die es gut mit Euch meinen, müßt Ihr nit gleich so anpacke und streichele. Das macht nur nit.«

»Ei freilich, nit alle streichle ich, dich aber, dich, liebe Frau!«

»Mich gar nit – ich gehör dem Herrn Doktor Schaket, 116 Resepkt! Der allein darf mich streichele, – tut's aber nit, weil's auch ganz unnotwendig ist, denn wir sind alte Eheleut.«

»Was Ihr sagt! Was Ihr sagt! Gibt's das?«

Er saß wieder nachdenklich bei seiner Zeichnung und krümelte an seinem Weißbrot.

»Gibt's das – gibt's das?«

Da rumpelte es eben an der Tür. Sie wurde aufgeschlossen.

»Es ist der Doktor Schaket.«

»Dem Ihr gehört?«

»Freilich.«

Der Bursche schaute ganz verwirrt. Es war so wunderschön gewesen wie noch nie, in seinem ganzen Leben. Und er hatte gemeint, es könnte nun so bleiben. Das hatte er noch von gar nichts gemeint, nicht vom Essen, nicht vom Schlafen, nicht vom Zeichnen – alles verging, das wußte er; aber das in der Himmelreichstube, wo der Vogel sang und die liebe Frau mit dem schönen Adlergesicht saß, das sollte bleiben.

So war er ganz vom Weg abgekommen. Als der Medikus eintrat, sprang er auf und stand kerzengerade da.

Herr Schaket grüßte ihn und fragte: »Ist das der junge Bursch?«

»Jawohl,« sagte Katharinche.

»Zeigt her, was Ihr gemacht habt? 117 Ja, was End! Da habt Ihr der Frau ja ein artig Eulengesicht gesetzt, statt ihrer Adlerphysiognomie.«

Der Bursch schaute trüb auf sein Werk, der Medikus bedenklich auf den jungen Kerl.

»Steht's so?« brummelte er und sieht auf die Frau.

»Ja doch!« sagt die. »Und wenn's auch noch nit so ist mit dem Bildwerk, daß eins im Verwunderungssprudel darüber dasitzt, so wird's als werde.«

»Ja, ja, weshalb nit!« Aber er meinte es so glimpflich und wissend, wie eben ein Arzt leicht über einen Fall redet, den er als hoffnungslos ansieht. Das Wesen des Burschen verriet ihm allzusehr, um was es sich mit ihm handelte, und so wendete er sich ab wie von etwas Erledigtem.

Der Frau aber schnitt die Kühle des Mannes ins Herz. Es erbarmte sie der gute Mensch. Es stieß sie seine Unvollkommenheit nicht ab, ihr Nichtwissen gab ihr Kraft zu glauben, ihm sei zu helfen. So fühlte sie sich in der Seele des Armen verletzt.

Der stand unbeholfen demütig und schaute auf das Eulengesicht, sah selbst einen großen Unterschied mit dem Original und wurde von Augenblick zu Augenblick trübseliger und wie ausgelöscht.

»Sei nit so krittlich,« sagte Madam Schaket zu ihrem Doktor. »Was dem einen sein Uhl ist, ist dem andern sein Nachtigall. Freilich wär es für ihn Freud und Wonne gewesen, wenn's gleich auf den ersten Streich gelungen wäre; 118 aber gut Ding will gut Weile habe. Morgen werden wir schon weiter sein und ein ganz pompos Adlergesicht zustanne gebracht habe. Und gehen wird's, als wenn man auf einer neuen Chaussee rumpelt. Potz Fritzchen, daß man sich ins Bildwerk verschammerieren könnte!«

Da lachte der Bursche und schaute auf die Frau, die in seinen stehenden matten Lebenstümpel ihre frische Lebensquelle strömen ließ.

Der Medikus stand neben ihr.

»Geh, da wetterleuchtest du nit hinein. Wir wollen heut zu Schiff auf den Sandhof fahren. Die Leut aus der Schnurgaß tun mit.«

Das waren die Pietisten und Separatisten, die sich jede Woche in der Schnurgasse im reichen Hause eines Pietisten versammelten und hin und wieder Spaziergänge miteinander machten, auf denen sie religiöse Lieder sangen.

»Madam Heideblut ist auch dabei.«

In Gotts Namen, dachte Katharinche, war nicht besonders erfreut. Madam Heideblut fand sie so gar scharmant nicht und, was die Hauptsach ist, meinen närrischen Kerl, den Schaket, versteht sie gar nit; der meint's als nur so, ehnder wird er scho merke, was für eine Bomeranz die Heideblutin is.

»Fahr Er auch mit.« Der Medikus wandte sich an den Burschen, der noch immer versonnen dastand und seine eckigen Hände ineinanderrang und drehte.

119 Mit unseren Pietisten nimmt der's auch noch auf, dachte Herr Schaket. Des Patienten Krankheit schickt sich für niemanden besser als gerade für ihn selbst. Sieht der Kerl nit fürtrefflich aus? Stehen ihm die schwachen Sinn nicht gut? Genau so gut wie die starken Sinn dem schönsten Ehrenmann – und gar die Eselsseminare des Rats und der Edeln verglichen mit ihm? Ist er da nit eine wahrhaftige und glaubwürdige Offenbarung der Natur gegen eine widrige Verschleimtheit und Verdecktheit? Die meisten Menschen krepieren vor heimlichem Verdruß und laufen umher wie gärende Bottiche ihr Lebtag, aber zugedeckt, damit nichts entweicht – und hier ist alles ehrliche Natur. Gefällt mir.

So war Herr Schaket dem armen Burschen, der die Frau porträtieren wollte, ganz wohlgesinnt.

»Wir sind schon vom Guten weit abgekommen vor lauter Aberwitz und Prunk, weitab vom heiligen Geiz in jeder Beziehung,« polterte er mit einem Male im Laufe seiner Gedanken laut auf, daß der Bursch und die Frau erschraken, denn sie kannten die Reihenfolge seiner Ideen nicht.

Katharinchen meinte, es ginge auf sie, auf irgendeinen Aufwand, den sie getrieben. Rein war ihr Gewissen nie. Immer war etwas zu verbergen, hing entweder mit dem Kattunlädchen zusammen oder sonst mit etwas, womit sie ihr Leben zu verschönern verstand und auch das seine.

Der arme Bursche aber meinte, er poltere mit ihm und 120 kroch ganz in sich selbst hinein, was er sich so angewöhnt hatte und darin eine außerordentliche Geschicklichkeit besaß.

Herr Schaket aber sagte: »Um 7 Uhr in der Früh kommt morgen mein Schneider. Endlich haben sie einen Spitzbuben erwischt. Einen Gesellen, der wegen schweren Betrugs dingfest wurde, gottlob! Richte den roten Rockelor, die langen Lederbeinkleider vom Vater selig – und so werden wir, wenn alles klappt, bald in fürtrefflicher Ordnung wieder vor Gott und der Welt bestehen.«

»Den roten Rockelor, den nur die Farb noch zusammehält – und die zwei Lederschläuch vom Vater selig, die in allen Nähten platzen –! O Mannsbild, du hast 'ne Ahnung! Der Stadtsoldat wird lache, wenn er deine Kostbarkeiten sieht, und erst der Spitzbub! Spitzbube sind feine Leut! Gar Schneider.«

»Mag er lachen, in Gotts Namen, die Sucht, prunken zu wollen, liegt mir fern.«

»Meileweit,« lachte Madam Schaket. »Und wann sollen wir nu bete, singe und spazierelaufe zu deim Pläsierort und zurücklaufe und singe und bete – aber doch auch ein paar Bouteillen Wein trinke?«

»Du welscht und welscht alles durcheinander.«

»Das nennt er welsche!

»Was werd ich nit wolle fahren an diesen einzigen Pläsierort – aber morgen den Spitzbuben, den Stadtsoldaten, den roten Rockelor, die langen Ledernen und heut 121 noch singe und bete und die Frau Heideblut – und ein Schiff voll Pietiste – und wer weiß, ob eine Bouteille Rheinwein? – Und da spricht er von welsche! Jetzt hör einmal, was das für Sache wieder sind. Das ganze Leben welscht!« Sie lacht und schaut den Medikus so spitzbübisch an.

»Und wann geht's fort?«

»Um ein Uhr – und Er geht mit,« wendete sich der Medikus an den Burschen, über dessen Gesicht ein unbändiges Leuchten ging.

»Stell Er sich nicht so an, groß ist die Pläsierlichkeit nicht. Die Pietisten singen und schnarren, daß Gott sich mög erbarmen.«

»Nun essen, dann verbring ich noch so ein Zeitche vor dem Spiegel,« sagte Madam Schaket, »und dann wär ich bereit zu gehe, zu fahre, zu rede, zu tanze, zu singe und zu bete, was er will.« Damit sprang Katharinchen auf, sagte dem Burschen noch, wo er sie treffen sollte.

»Und die Beth nehm ich als mit. Das ist so ein Fressen für sie! Schiffche fahre und singe. Du bist als doch ein guter Kerl!« Damit war sie zum Zimmer hinaus, und man hörte sie singen.

 

Das Schiffchen fuhr den Main hinab, ein wackeres Marktschiff, das neue Furage für die Stadt holen sollte und gern Passagiere mitnahm. Ausflügler, die in mancherlei 122 Pläsierorten längs des Mains ein Gläschen kippen wollten, um dann behaglich vor Tagesschluß wieder heimzuwandern, wie es die fromme Gesellschaft, zu der Herr Schaket auch hin und wieder gehörte, ebenso vorhatte.

Die Ufer leuchteten schon in Herbstpracht. Dörfer und Landhäuser funkelten wie verstreute Kostbarkeiten, eingewoben in Schimmern und Strahlen einer überirdischen Welt. Duft von Obst und Trauben wehte von den Ufern her, aus den vollaubigen bunten Gärten überall herbsteten die Leute. Ihr froher Mut, ihre ganze Lust kam mit dem weichen Wind über den Fluß gezogen. Die Herzen taten sich auf, und Lebenswonne zog ein. Im Schifflein aber sangen die frommen Leute geistliche Lieder, und Musikanten, die sie mitgenommen, spielten dazu, und man sang auch das Lied, das die Magd den Kindern gelehrt hatte, und das damals unter den Stillen im Lande sehr im Schwange war.

O Jesulein,
Laß mich in deinen Wunden wohnen,
In deiner Dornenkrone thronen,
Laß deine Nägel stark
Mir dringen durch Herz und Mark.

»Oh,« sagte Herr Schaket zu Madam Heideblut, »hab einmal schon verlauten lassen, daß ich keine Ausfahrt wieder miterleb, keinen Gang und keine Versammlung in der Schnurgaß, so dies Lied gesungen wird, was der Größe 123 und dem Leiden unseres Heilands nur stracks zuwiderläuft. Frömmigkeit ist eine gute Sach, aber nit Kriecherei und Geschmacklosigkeit.

Und wenn wir nichts sind als Staub, doch sind wir's nit – so will unser Herrgott uns schön und stolz, denn nach seinem Bilde schuf er uns – so sehr wir's ihm auch verdarben. Also merk Sie sich das: der Schaket ist nicht zu haben für solcherlei. – Sag Sie es den anderen.«

»Das ist doch aber Geschmacksach,« meinte die spärliche Witwe bescheiden.

»Aber nicht die meine. Christi Leiden und Tod aller unergründlichen Geheimnisse voll soll nicht hinausgeschrien werden von Plappermäulern aller Art, wie sie hier schäbig herumhocke.

Ein gutes Herz und ein guter Kopf gehören zur Pietät, sonst ist's Wind und Grille – auch Geschmack und Schönheit gehören dazu – Teufel noch einmal! Der Arzt muß fromm sein, wenn er nicht ein Stümper sein will. Gäbe es in dieser verkehrten Welt nicht etwas, was uns über sie erhebt, so wäre es am besten, sein Leben so bald als möglich zu schließen!«

»Aber Herr Schaket, wie rede Sie denn, so ein böse Humor wie Sie habe, an so ein schöne Tag, bei Musik und Gesang? Wie komme Sie mir denn vor?«

»Ich werd von keinem verstanden, und was für mich göttlich ist, wird von den Pietisten verlacht.«

124 »Von mir aber, Herr Schaket, doch nit?«

»Na, so nehm Sie den Mut aus dem Pompadour und geh Sie hin und sage: der Schaket kann absolut die trübselige und gottserbärmliche Melodie nit mit anhöre! Sie möchten anders aufspielen. Ihr Montagssterbelied meinetwegen, – nur das nicht!«

»Aber Herr Schaket, das geht nit, das kann ich doch nit? Wo denke Sie denn hie? Was däten die sage?«

Die spärliche Witwe sah so außerordentlich zaghaft, winzig und zimperlich aus, daß es ganz augenscheinlich war, daß sie keinen Mut im Pompadour hatte. War auch gar nicht nötig. Die Musik schwieg, mit ihr der Gesang.

Einer der Musikanten erhob sich, gab der Gesellschaft bekannt, daß sie an dem schönen Tag nun genug der Frommheit hätten und nicht weiterspielen würden, wenn man nicht wenigstens ein paar fröhliche Lieder sänge, zu denen sie dann gern aufspielen würden.

Aber das Wort mochte ihnen im Munde steckenbleiben, als der Musikant die Gesellschaft daraufhin betrachtete. Wie von aller Freude verlassen saßen sie in ihren engen, dunkeln, pietistischen, nicht titulierten Kleidern, kein Rot aufgelegt, keine Paniers, Reifröcke, alles schlicht und lebensabgewandt, die Gesichter ältlich und alt, versonnen wie kleine verschattete Tümpel, in die die Sonne nicht scheint, die von keinem Lachwindchen gekräuselt werden.

Die Männer auch grau, ernst, ein wenig griesgrämig, 125 nicht gut aufgelegt, als wäre ihnen etwas mißglückt und sie säßen nun da, es auszubaden.

Bei so bewandten Umständen fiel dem Musikanten das Herz in die Hosen. Im ganzen Schifflein waren da außer den Schiffern und Musikanten nur noch vier Personnagen, von denen sich etwas Ersprießliches hätte erwarten lassen: Doktor Schaket, der schöne Mann, Madam Schaket in weltlicher Kleidung mit ihrem froh-kühnen Adlergesicht, ein Kind, das ihr wunderlich glich, nur waren die Augen des Kindes wie eben erst aufgeblüht, alle Verschwiegenheiten, Dunkelheiten des Keimens und Wachsens lagen noch unergründlich in ihnen, die Geheimnisse der Menschwerdung; aber der Adlersblick glühte schon, kühner wie in den dunklen Augen der Frau.

Um die vierte Personnage hatte das wohl elfjährige Kind wie schützend den zarten Arm geschlungen, ein junger Bursche, der neben Madam Schaket und dem Kinde saß, mit einem starken Haarschopf, schweren Gliedern, die nicht von der Lebenssonne so recht durchdrungen worden waren, und den suchenden Augen, die ihren Halt im Augenblick an der schönen Frau fanden, sonst unstet schauten.

Der Musikant aber stand jetzt vor Madam Schaket, hatte sich durch das Marktschiff bis zu ihr durchgeschlängelt, hielt seine Violine in der Hand, tippte leicht mit dem Bogen Madam Schaket an der Schulter und bat sie, ein fröhliches Lied zu singen, damit das Schiffchen besser vorwärts komme.

126 »Frommheit sei gut,« sagte er, um es mit den streng blickenden Leuten nicht zu verderben; »aber nit so viel an so eim schönen Tag.«

Und er schaute auf Herrn Schaket, der mit Frau Heideblut in der Nähe saß, und wiederholte seine Bitte.

»Soll nur singe,« sagte der Medikus, »soll nur singe.«

Und da sang sie ungehemmt, ganz in der Pracht ihrer ungehemmten freien Seele:

»Es rauscht das Kleid im Schranke«,

ihr Lieblingslied.

Aber wie sie sang! Und es rauschte im Liede und in der Stimme der Frau wie zarte rauschende Seide von leuchtender, seliger Farbe. Alle Herrlichkeiten der Erde rauschten auf. Das Herz rauschte – alle Sinne – und auch das Kleid im Schranke, in das die Seligkeiten der Erde, Sonne, Wind, Baumgeflüster, Liebeswonne, Lachen, Rosen sich verfangen hatten und die in sehnsüchtiger Seligkeit rauschten im Seidengeflüster.

Und das Kind sang mit, leise wie ein Zirpchen, die Stimme dünn wie ein Silberfädchen, aber durch alles Wogen des Liedes flog sie mit wie ein Vogel.

Herr Schaket schaute auf die Frau und auch auf das Kind, das der Frau so wunderlich glich, als wär's ihr eigen Fleisch und Blut und Seele.

Welch ein Weib, dachte er– und welch ein Kind! 127 Vergiß, daß du auf der langweiligen Welt bist und im Alltag steckst bis über die Ohren – und schau sie dir einmal an, die in deim Haus herumquirlt, die du mit Vorlieb ausfilzt, die deiner Verbissenheit nichts recht macht – und immer allert ist. Welch Wunder umgibt dich, du Esel! Unangebetet läuft mei Madonne umher, Gott sei's geklagt, und klingt und leuchtet, lebt mit zehn Leben, und in den Kirchen stehen Madonnen zu Hunderten stocksteif – und wird zu ihnen gebetet. – Und du Brummer und Husterich läufst in der Welt umher voll Grimm und Ärger im heiligen Geiz, der ihr so viel Beschwerden macht.

So packte die Reue und ein wenig Erkenntnis Herrn Schaket am Schlafittchen, ganz bescheiden, die hellen Augenblicke sind selten im Duselleben und gar im Ehestandsdusel.

Er sah auch nicht, daß ein Paar arme Augen, die noch nie recht wach gesehen hatten, über denen Unbewußtheit dunkler lag wie sonst über den Augen der Leute, sich ansogen an die singende, rauschende Frau wie an das mütterliche Leben selbst.

In der Stunde vor der Abenddämmerung wandelten sie alle heimwärts. Ein paar Bouteillen Rheinwein hatten sie auf dem Sandhof getrunken, denn der reiche Herr in der Schnurgasse, der der Papst der Pietisten war und sich in dieser ehrenden Stelle gar wohl gefiel, ließ sich nicht lumpen und gönnte seinen Frommen gar manche weltliche Freude, die ihnen wohl tat und ihnen nichts kostete. So hielt er auch 128 Herrn Schaket, der nicht gern Unnötiges ausgab und nicht gern Gebotenes ausschlug.

So wandelten sie am Ufer des Mains hin über sanfte Wiesen und durchs Gehölze, an duftenden Gärten vorüber, und überall sang es von nah und fern. Der Herbst war wohlgeraten und wurde mit Fleiß, Kraft und Lust eingetan. Die Luft war so weich, und der Gesang der Frommen klang lieblich und feierlich durch die von der Abendsonne ganz durchleuchtete Gegend, als zöge ein Engelchor singend dahin mit selig strahlenden Angesichtern und nicht die Leute mit den kärglich verschatteten kleinen Tümpeln, die kein Lachwindchen bewegte.

Herr Schaket wandelte hinter dem Zuge, ging auch nicht neben Frau Heideblut, über die er sich geärgert. Es war ihm einsamlich zumute. Seine Madam hat ihm heute sonderlich gefallen, mehr als es gut war für den Einfluß der spärlichen Witwe, die doch eigentlich das war, was er sein Ideal von Weiblichkeit nannte, bescheiden, angenehm zimperlich, sparsam an Leib und Seele und Lebensäußerungen, wie es einem Weibe zukommt für die geringe Leistung, die es in der Lebensführung der Völker ausübte, – daß es die Völker mit Mühen und Nöten aller Art selbst auf die Welt beförderte, fiel bei Herrn Schaket nicht ins Gewicht. Besser, sie unterließen dies, dachte er. Sie bringen eine unausstehliche Fruchtbarkeit zuwege, einen unerhörten Verbrauch, eine Fresserei in Schwang, die ganze Natur 129 wird durch den Schlund gejagt durch der Weiber Fruchtbarkeit und Torheit, damit Christ und Heide auf Erden bleiben kann, nicht Hungers stirbt, sein Seelenheil befördert – – und dann macht er's gerade verkehrt, es kommt zu nichts – und besser wär es, es unterbliebe ganz.

Herrn Schaket war die Kinderlosigkeit in seinem Hause außerordentlich sympathisch, ein Wunder bei dieser Frau, eine Freundlichkeit des Geschickes, für die man nicht dankbar genug sein konnte.

Bei Madam Heideblut war es ihm auch durchaus angenehm, daß er sie sich ohne Nachwuchs denken konnte, denn, um es kurz zu sagen: das Menschengeschlecht mißfiel Herrn Schaket ganz außerordentlich. Er selbst schloß sich nicht aus, ja es war ihm widerlich, und zwar je mehr es sich spreizte. Von allem Menschenvolk gefiel seine Frau ihm schließlich noch am allerbesten, trotzdem sie unnützen Aufwand in jeder Beziehung trieb: aber sie war doch ein gut Stück unverfälschter Natur, was sich sehen lassen konnte, und ihr Anhängsel, die Beth, an dem er gottlob keine Schuld trug, das ihr zugefallen war, weil ihre Mütterlichkeit eines Kindes bedurfte, hatte der sonderbare Medikus ins Herz geschlossen, auch weil andere sich mit der Herstellung bemüht hatten, er keine Kosten, keinerlei Müh dadurch gehabt hatte und es so ausgefallen war, als hätte er und die Frau alles Nötige dazu selbst bestritten. Beth hätte ohne weiteres Katharinchens eigenes Kind sein können und natürlich das 130 seine auch. Das war ein Streich, der ihn mit Heiterkeit erfüllte. Auch Katharinche konnte einverstanden sein, trotzdem die Weiber Eigengebackenes allem anderen vorziehen.

So wandelte er beruhigten Herzens einsam hinter dem Zug der singenden Frommen, denen die Musikanten hin und wieder aufspielend voranzogen. Sie hatten sich jetzt an die Frömmigkeit gewöhnt, nachdem ihnen ein so guter weltlicher Brocken durch Madam Schaket zugekommen war.

Aber ein gut Stück hinter dem Medikus zogen Katharinche, Beth und Winterhalter Georg, der armselige Bursche. Die Herbstnebel stiegen schon zart vom Flusse auf. Der Main rauschte klingend mit steinernen Scherben spielend dahin. Die blasse Mondsichel tauchte auf. Es duftete schon herb nach Herbst. Die drei wanderten, jeder nach Alter und Kraft genießend, Madam Schaket und Beth sangen, Beth ließ ihr Silberfädchen in die laufeuchte Luft steigen. Madam Schakets vollrauschende Stimme klang wie Baumgeflüster und stand im Einklang mit des Flusses Rauschen, und der junge Mensch, der sein Lebtag wie in einem zugedeckten Topf einsam gesessen hatte, breitete zwei ungeschlachte große Flügel aus und wollte schnurstracks in alle Seligkeiten der Erde hineinfliegen, selig, wenn er ein Fähnchen vom Kleid der schönen Frau erwischte; das preßte er mit Andacht in seiner ungeschickten bebenden Hand. Konnte er gar ein wenig ihre Hand erfassen und sich ein Weilchen daran führen wie ein armes irregelaufenes Kind, so schlug 131 ihm das Herz vor nie gekannter Wonne, – und alle Kräfte, Mächte und Stürme der Liebe faßten den hilflosen Burschen und beutelten ihn, daß ihm Hören und Sehen verging und es ihm dünkte, als sei er in ein gehöriges seliges Unwetter geraten, was ihn hin und her warf und auf ihn eindrosch.

So ging er schwankend und wie schwindelnd zwischen den beiden Ebenbildern.

Die Hand des Kindes legte sich hin und wieder um ihn, als wollte es ihn schützen. Beth meinte ein paarmal, er wäre gestrauchelt. Sie fühlte seine Armut, seine Unbehilflichkeit. Er kam ihr vor, als hätte man ihm etwas Köstliches fortgenommen, so arm, wie sie noch niemanden gesehen, und sie streichelte seine Hand, und sie führte ihn auch manchmal.

Die zarte Hand des mitfühlenden Kindes tat ihm wohl, als flösse lindes Wasser über ihn hin, weiche Wellen – und der Strom rauschte und lockte aus den zarten Nebeln, die von ihm aufstiegen.

Sie blieben alle drei stehen und schauten in die spielenden Wellen.

»Schön! – Schön! Müßt sehr lind sein – sehr, sehr lind – wenn die Wellen über eim hingingen – müßte sehr lind sein.« Das sagte der Bursche nachdenklich und langsam und so, daß es keinen Widerspruch hervorrufen konnte.

Beth wiederholte: »Ja, das muß sehr lind sein.«

132 Dann gingen sie vorwärts, kamen noch zur rechten Zeit vor Torschluß. Nach Sonnenuntergang wurden die Stadttore geschlossen und die Schlüssel zu einem der wohlregierenden Bürgermeister in Verwahrung gebracht, ohne deren großgünstige Bewilligung niemand mehr ein- und auspassieren durfte.

Vor Herrn Schakets Haus nahm der selige Bursche Abschied. Die Türe schloß sich. Er stand verwirrt und betroffen auf der düsteren Gasse.

So schließen sich die Türen im Leben, so gehen die Sonnen unter, und man steht da wie jener Bursche und schaut – und schaut, blickt auf die strenge unerbittliche Türe und weiß sich nicht zu helfen.

Langsam schlürfend machte er sich auf den Weg – blieb stehen – ging weiter – zögerte, zögerte – wußte nicht wohin. Alles war für ihn erloschen, als das duftige Kleid wie eine Nebelwolke vom dunklen hohen Hause eingeschluckt war.

Die Dunkelheit wurde dichter, da kamen die schlürfenden mutlosen Schritte zurück, und der verwirrte Bursche sank ermüdet auf der Schwelle von Herrn Schakets Haus nieder, als wäre es seine Heimat, und rückte sich zum Schlafen zurecht wie ein verirrter Hund. 133

 


 << zurück weiter >>