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Bangputys

Auf dem Stubben der alten untermeerischen Eiche sitzt der Meermann bis unter die silbergrauen Arme im Wasser und lauscht dem Gesange, der langsam feierlich vom Monde her tönt. Wie süßes Flötenspiel zieht es über den glänzenden Schimmer auf dem Meere, und an den Steinblöcken rauscht leise Antwort. Seenesseln schwimmen dem feinen Tone entgegen und drehen ihre funkelnde lebende Gallert dem Lichte zu. Robben heben ihre dunkelen Köpfe mit den sammetweichen Sehern auf. Fische schnellen über das Wasser und lassen ein Gekräusel blassen Goldes hinter sich. Und aus dem Seekraute der Tiefe quillt wohlig-grunzendes Behagen herauf.

Der Meermann auf dem Stubben der versunkenen Eiche räkelt im Wasser faul seine langen Flossenbeine und döst in die Stille der glitzernden Nacht hinein. Schlaff flutet ihm der wallende grüne Bart um Brust und Schultern, das breite Pottfischmaul und die elfenweißen Fangzähne verdeckend. Aber wie er gähnt, scheint ihm der Mond bis tief in den weiten Rachen und auf das fürchterliche Gebiß.

In den Sternen ist ein Ungewisses. Aber das Licht auf der See und das Lied, das vom Monde tönt: ihn dünkt, das hätte er gestern gehört und an dieser selben Stelle. Der Wald stand damals noch, der nun mitsamt dem Moore versunken ist. Wie schnell das geht! Und wie flink Bangputys, der große Wogenbläser, in der kurzen Zeitspanne die Dünen zu Bergesgipfeln hinaufgeblasen hat! Das Spiel gefällt dem Meermanne.

Aber dort drüben in Skandien! Durch seine Seele zieht inmitten der Nacht des Friedens ein Lied wie von wirbelnden Schwertern und weiß flammenden Fackeln über dunkeler Wogennacht, wenn er grollend Skandiens gedenkt. Schwarzalf und Sturmvogel, die Flut trägt nicht die Bürde dieser Sorge! Dort drüben in der verrückten Geschichte wächst ihm der Meeresboden in die blaue Luft hinein, und Landblumen blühen über Muschelschalen und Gräbern von altem Seegetier. Fünfzehn Eichen hoch ragt nun schon der ehemalige Seegrund ins Trockene hinauf. Und so geht es weiter mit Finnland und den Alandsfelsen, so wird ihm nächstens das Bottnische Meer zu einem labberigen Süßsee, wie schon einmal, als das große Eis zerschmolzen war und ehe dies Moor mit den Eichen hier unter Wasser sank.

Ein Schauder überläuft ihn. Unter dem Sande der Düne sind Gebeine bloßgelegt, und der Mondschein erfüllt die blinden Augen der Toten mit neuem Leben. Am Ende gar wird die Ostsee noch von diesen grinsenden Landhungrigen ausgesoffen und er, der wilde Meermann, wird trocken gelegt wie das himmlische Wickelkind!

»Willst du das? Kannst du das wollen?« brüllt er zum Monde hinauf, der sanftselig leise am Himmel dahinzieht.

»Du hast Gewalt über die Woge des Südens! Hebe sie auf am Meere der Pinguine und schmeiße sie den Neufundländern ans Land, damit sie aufbäumend zurückklatscht und anrollt gegen Friesenland und zu den dänischen Belten herein!«

Ein Weißwölklein, das vor dem Monde stand, hat sich verzogen, und das volle Antlitz des goldigen schaut heiter lächelnd auf den großen Toren herab, der den Wechsel von Werden und Vergehen selbst in der Schrift der Ewigkeit nicht versteht.

Heulend brüllt er auf, und dicke Perlen weint er ins Wasser. Dann springt er wütend hoch, macht einen Kopfsprung, daß die Flossen hoch hinten ausschlagen, und schießt unter Wasser fort. Nur die goldig leuchtende Spur auf dem blassen Spiegel verrät seine Fahrt.

Bei Bornholm verschnauft er und ruht auf einem Stubben aus, der in Baumhöhe unter Wasser steht. Dann saust er nach Seeland hinüber und setzt sich auf das Husumer untermeerische Hünengrab. Da muß er lachen, daß helle Blasen emporquellen. Die da unter ihm ruhn besser verwahrt, als die Grinseschädel in der Düne der Nehrung, die der Wind nach Gefallen bloßlegt und verweht! Hier ist das Moor mitsamt seinen Birken und Föhren versunken! Der Hügel der Helden ist des Meermannes Sessel, und ihre Feuersteinwaffen schluckt er als Magenzähne über.

Aber die große Sorge schläft nicht. Langsam steigt er empor, reckt die silbergrauen Arme auf und singt:

Einäugiger, Vater der Meere, Herr auf dem Bullen der Flut!
Wuischischt jaloho jalohoh!
Höre du, den ich ehre, meine Not und des Herzens grollende
Wut!
Wende dich, wende dich, kehre her zu mir mit deiner
gischenden Brut!

Hilf mir berennen die Wehre –
wuischischt jaloho! –
der Küsten mit jauchzendem Mut!

Vom Südendmeer,
von Fundland her,
von Erins umbrandetem Stein,
komm her zu mir
zum Sunde hier
und stille, ach stille die ewige bittere Pein!

Ayolo, ayoloh!
Wie werd ich froh
auf deinen wild brandenden weißen Brechern sein!
Wuischischt jojoh!
In Wettersloh
und Sturme herein nur, herein!
Hui! Nur her immer mehr!
Hui! O du Wiederkehr!
Hui! O ihr Donner stürzender Flut!
Nun reißt mit Macht,
was bricht und kracht,
hui, von den Deichen der menschlichen Brut!

O natt, natt, natt, natt!
Ums Kattegatt
herum immer mehr, immer mehr!
O natt, natt, natt, natt
im Nehrungssand
im Hungerland
nun sauft euch satt,
ihr Schädel, so hohl wie leer,
am Meere, am flutenden Meer!
O natt, natt, natt, natt,
das tut euch gut,
landgehrende Brut,
für immer und nimmermehr!

Agg – agg! – Da zieht die Skua daher, die man nie hier noch sah, die wilde, plattschwänzige Raubmöwe, der Eishai, der gefürchtete Räuber. Schwer schleppenden Fluges zieht sie vor der wärmer werdenden Luft gegen Ost, gegen Ost, um das Weiße Meer und das Eis ihrer Heimat zu gewinnen, wo der Tran des Weißwales den Sand salbt. Unter ihr schwimmt eine Schar von Seehunden dahin. Von Zeit zu Zeit heben sie verwundert die dunklen Köpfe. Was soll das Lied, was soll der Druck in der Luft?

Agg – agg! – Weit im Osten ist die düstere Raubmöwe verschwunden. Da tauchen zwei andere auf und ziehn schweren Fluges der ersten nach.

Und den Vorboten folgt die Flut, die gefürchtete Springflut, die Seligkeit der Bewohner der Tiefe. Brüllend stürzen die weißen Wellen aufeinander und gegen den Strand hin, um im gleichen Augenblicke zu versinken, von der groben Masse des Sandes verschlungen. Andere reiten auf den Kämmen ihrer Vorläufer wütend daher. Und draußen auf dem freien Wasser gibt es ein Schieben, Stoßen, wildes Drängen. Immer höher steigt, immer gewaltiger die Flut zum Ostseebecken herein. Verschwunden ist das goldige Friedensglück des Mondes. Wie flatternde Trauerfetzen jagt zerzaustes Gewölk an dem Erbleichten vorüber.

Inmitten des Aufruhrs schießt der Meermann jauchzend seine Purzelbäume und klatscht mit den Beinflossen die Wogenkämme: Wuischischt, jalohóh jalohóh!

Und die Masse der Wogen drängt gen Ost, Nordost, immer weiter Nordost zum Finnischen Busen hinein, als wolle sie wie in alter Zeit durch den Onega und Ladoga hindurch, den Raubmöwen nach, zum Weißen Meere hinaus.

Der Meermann rast vor Entzücken. Jeden kochenden Brecher küßt er, und die langen, weißen Fangzähne blitzen ihm dazu aus dem wulstigen Maule heraus.

Jauchzend hebt er einen Schädel hoch:

O natt, natt, natt, natt,
nun findest du Ruh!
Nun sauf dich satt,
immerzu, immerzu, immerzu!

Schleudert ihn gegen einen anrollenden Brander und ist dann schon wieder unter Wasser weg, weit, weit weg. Wo das Windenburger Steinlager unter der Nehrung weg in die See stößt, weiß er eine eklige Stelle, die ihm schon viel Spaß gemacht hat. Vor hundert Jahren ist da ein Schiff gestrandet, und die Knochen des Schiffers stecken im Tang. Da will er sich ein Beinchen holen, das zur Pfeife taugt. Oben beißt er die Kugel ab und seitwärts zwei Löcher hinein. Tülliöh, tülliöh!

Nun aber los! Raus auf die freie See! Und dem Ohm, dem Ohmchen, dem lieben Ohmchen eins gepfiffen, daß er herbei kommt, der liebe lustige Bangputys.

Tüiht, tüiht, tüiht, tüh!

Noch regt sich nichts, als die lustig brüllenden Sturzseen. Wo steckt der Ohm, das Ohmchen, das liebe Ohmchen? Ey kuku!

Heia, noch mal! Wieder bläst er in seine Beinpfeife. Und diesmal gibt's kalten, reinen Klang. Als ob die Raubmöwen zurückkehrten und weiße Vögel vom Eise des Nordens ihnen folgten. Huissiih! Durch das Brausen der Wogen treiben diese eisigen Töne hindurch. Und ein Schauder läuft über die Wogen. Von ferne her kommt schrille Antwort: der Hohn des Windes, der Schrei der Grausamkeit.

Bangputys!

Nicht in wildem Anpralle kommt er dahergerast. O nein, kalt und ruhig schreitet er über die See aus Norden heran. Wohl gar vom Ende der Welt her, wo das Leben erstarrt. Er wirbelt nicht die Wogen auf. O nein, er duckt sie mit schwerem Tritte: aber die ganze wilde Masse, die gegen Ost, gegen Ost, gegen Nordost hinaus gewollt hatte zu den alten längst verrammelten Toren, die bläst er auf einmal hoch mit einem Pust aus gewaltigen Backen, und dann jagt er sie gegen das Memeler Tief, daß die Dünen den Verstand verlieren und in wildem Sandverwehen ins Haff abstieben, aber das Tief aufgewühlt wird bis zum Grunde der Versandung und Raum geben muß, Raum, immer mehr Raum für die wahnsinnig anstürmende Springflut.

Da jauchzt der Meermann und springt flossenklatschend den Wogen voraus und brüllt hinein in den Aufruhr von Wind und Wogen: wuischischt jalohóh jalohóh!

Hier, in dem verdammt engen Loche, ist er lange nicht gewesen. Die Wiesen dort drüben, oh, die kennt er ja noch! Da geht sich der Hecht, das Hechtchen, das liebe Hechtchen auf die Weide.

Aber, wuischischt jallohóh! Was ist das? Da stehn Vierbeinige, Schwarzbunte mit vollem Euter in den überschwemmten Wiesen! Steht das Meer noch fest in seinen Wogen? Und dort am Walde, wo sonst die Welle an Eichenwurzeln lustig leckte, dort steht ein Kerl, den die große Eisflut des Strafgerichtes mitzunehmen vergessen hat! Wie kommt das Beest hierher?

Wuischischt jalohóh, wuischt.

Ein Kerl wie ein Mondochs! Auf dem Nacken sträubt sich ihm der Schopf, eine Nase hat er, fast so schön wie des Meermannes Maul, und auf dem Kopfe ein paar Flossen wie von Meermanns eigenen Beinen.

Warte du, dich wollen wir auf den Marsch bringen! Her, du mein Beinpfeifchen! Huissih!

Da schmeißt der Ohm, das Ohmchen, das liebe Ohmchen, der wilde Bangputys, eine Woge gegen den Strand, daß der Meermann selber beinahe hinausgeflogen wäre zu den Hechtchen, den lieben Hechtchen auf den Wiesen. Wie ein Zappelfisch muß er sich mit der ablaufenden Welle ins Wasser zurückkrabbeln.

Aber dem da draußen mit dem Mondsgeweih auf dem Kopfe hat's nichts ausgemacht. Dort hinten steigt er ans Land, und seine weißen Läufe blitzen durch das Dunkel der Nacht.

Noch einmal pfeift der Meermann. Noch eine Woge schmeißt Bangputys auf den Skirwithstrom, dreimal so hoch wie die andere. Häuser reißt sie mit sich fort, und ganze Dörfer versinken vor ihr in Nacht und Not. Aber dem Elchhirsche am Strande hat sie nichts geschadet. Kaum daß er sich an Land gepaddelt hat, macht er Kehrt und nimmt dankbar ein Bündel rotglänzenden Tangs auf, den die Springflut zum Haffe herein und auf seine Wiese geschleudert hat. Seelensruhig läßt er sich, während die Brander ihn umspritzen, die würzigherbe und salzige Lieblingsäsung munden. Was kümmert ihn dieser tosende Aufruhr von Wind und Wogen? Der schützt ihn vor der entarteten Menschenbrut und freut ihn wie die kreischend aufjagenden Möwen. Und wenn das Salzwasser ihm die Decke wäscht mit unbeschreiblich molligen Wellen, um die Lausfliegenbrut wegzubeizen, wenn es lustig mit weißem Sommerschnee und Wintermai ihn umschäumt, so ist ihm das aller Freuden liebste. Wohlig läßt er noch einmal sich von den Wellen treiben, die immer wilder und hohler auflaufen. Dann arbeitet er sich kämpfend an den Strand heran, schüttelt sich die Decke aus, und noch einmal, und trollt dann mit weit ausgreifenden Schritten durch die überschwemmten Wiesen davon. Hoch hinter ihm spritzt das Wasser in breiten Garben auf. Und weiß leuchten die Läufe aus dem grauen Unwetter heraus.

Das hat inzwischen über alles Land in der Niederung Unheil und Verwüstung gebracht. Bei Nacht und Finsternis mußten die Fischer ihr Vieh, die Ärmeren unter ihnen ihr ein und alles, ihr Schweinchen, ihr liebes Schweinchen aus den leicht gebauten Holzställen in das Wohnhaus treiben. Und als die Flut immer wilder, hohler aufgurgelte, rettete man alle, Kinder, Frauen und Vieh auf die Hausböden. Draußen auf dem verrückten Wasser treibt – ui Gott, ui Gottchen, du liebes Gottchen! – der ganze schöne Wintervorrat von Kartoffeln und gehacktem Holze, das gegen die Winterkälte schützen sollte. Und das Heu, das Heuchen, das schöne Heu, das auf den Kähnen zur Bahn geführt werden sollte, das jagt Bangputys nun in hohen Haufen fort in die weite, aus Rand und Band geratene Welt! Und immer wilder gluckst die steigende Flut. In die Wut des Sturmes mischen sich die Verzweiflungsschreie der Menschen, das Brüllen des Viehs, das Quieken der Schweine. Wer hört sie in dieser öden Wasserwüstenei? Gestern ist eine der kleinen Hütten auf dem Neuen Werder zusammengebrochen unter dem furchtbaren Wogendrucke und verschwunden. Kein Nachbar hat die Hilferufe der Verzweifelnden und Versinkenden erhört. Aber Laima, die Schicksalsgöttin, ruft dort nun laut und unaufhörlich bei Tag und bei der Nacht und klagt um die Ertrunkenen. –

Das Wild hat, als das Wetter umschlug, in drangvoller Angst sich zu den Poldern hingezogen und auf die mit Bäumen bepflanzten Elchberge, die mit kleinen Dämmen verbunden sind, damit nicht ein großer Haupthirsch sich dort zum Alleinherrscher machen und alles andrängende Wild vertreiben kann. Den Rehen scheint diesmal auch diese Zuflucht zu unsicher. Sie haben sich auf die Hochmoore geflüchtet, auf das große Moosbruch, wo sie sich in Sicherheit fühlen.

Inzwischen sind in Rußland schwarze Wolkenbrüche niedergegangen. Die Memel strömt randvoll in ihren Mündungen dem Haffe zu. Da streben auch die Elchtiere mit ihren Kälbern den Mooren zu, und selbst dem starken Hirsch vom Skirwith wird des Wassers zuviel. Rüstig arbeitet er sich durch den wildgehenden Strom hindurch, und mit Aufbietung aller Kräfte gelingt es ihm, das jenseitige Ufer zu gewinnen. Dort hofft er, wie so oft schon, den hohen Deich und damit die Sicherheit zu erreichen. Aber heute liegt vor ihm eine Reihe losgetriebener Traften. An den Strompfählen sind sie zum Stehen gekommen, und der Hirsch muß sie nun überklettern. In mächtiger Anstrengung wirft er sich vorn hoch, aber der Baum, auf den er aufgreifen wollte, ist losgerissen und rollt unter seinen Läufen fort. Freigekommen, versucht es der Hirsch mit dem zweiten, dritten und vierten ebenso vergebens. Endlich gelingt es ihm, ein festverbundenes Floß zu finden und sich hinaufzuarbeiten. Ein Zittern überläuft seinen von der Anstrengung bis zum letzten erschöpften Körper. Wild schüttelt er die schwarze Decke mit der zottigen Mähne und dem breiten Schlackerbarte. Dann prüft er das vor ihm lagernde Holz und schreitet vorwärts, Baum für Baum antastend, dem Ufer zu. Aber kaum hat er die dritte Traft betreten, da rutscht ein starker, glatter Baum ihm unter den Schalen fort. Der Hirsch tritt durch und bricht, als der schwere Baum im Wasser wieder hochschlägt, den rechten Vorderlauf kurz unter dem Blatte. Lange versucht er vergebens, den eingeklemmten gebrochenen Lauf zu befreien. Als ihm dies endlich unter grimmen Schmerzen gelingt, humpelt er auf drei Läufen weiter. Aber kaum ist er über zehn, zwölf Stämme hin, als er wieder durchtritt und nun auch den anderen Vorderlauf bricht.

Diesmal sind alle Versuche zur Befreiung vergebens. Die schreckliche Fessel hält fest bis zum letzten bitteren Ende. Ohne Klage trägt der Hirsch die Pein. Er sieht den Mond über den gurgelnden, grauen Wogen und den Rohrwäldern aufgehen und dann nach qualvollen Stunden hinter wild einherjagendem Gewölke verschwinden; aber kein Laut dringt aus seiner Brust. Er sieht die Sonne kommen und sieht den trüben Tag, den sie heraufgeführt hat, einer dunkeln Sturmnacht weichen. Immer matter wird der Blick der blutig unterlaufenen Lichter; aber keine Klage wird laut. Erst als die Sonne des zweiten Tages tiefrot über dem düstergrauen Niederwalde heraufsteigt, entringt sich ein zitterndes Röcheln und dumpfes Stöhnen seiner gequälten Brust. Dann wird es still. Noch einmal hebt er sterbensmüde das Haupt, und ein Blick voll namenloser Sehnsucht fliegt über die empörte Wasserwildnis, sein weites, schönes Reich. Dann sinkt er zurück, und ein letztes Zittern läuft über ihn hin. Klatschend und gurgelnd bricht sich die Flut in dem vom Sturme gepeitschten Rohre.

Als das gebrochene Licht des Hirsches erlischt, quorkt schon über ihm der alte Rabe vom Niederwalde. Krauh, klong, kroh!

Da bläst Bangputys noch einmal auf. Und eine Woge steigt, wie keine vordem. Es ist ein würgendes Schütteln darin und ein gurgelndes Jauchzen. Das hebt die Traften auf, daß die Stämme knirschend sich bäumen und voneinander gerissen sich stoßen und drängen.

Und dann klatscht ein Riesenflossenpaar auf die Wogen, ein silbergrauer Arm greift heraus und reißt den Recken des Niederwaldes von seiner Bahre hinab in die Tiefe.

Dort schließt der Meermann ihn fest an die Brust und zieht in der saugenden Unterströmung still und langsam mit dem Toten davon.

Hinaus, weit hinaus in die See.

Und siehe, da glätten sich die Wogen!

Bangputys schreitet über das beruhigte Meer seinem Schlosse zu in Nordens Königsgarten, wo die weißen Schwäne singen auf den Wassern des eisigen Schweigens. Ei daina, daina! – –

Der Meermann aber wartet still auf den Abendstern und das Segeln des Mondes durch das Helle Wolkenmeer. Als die Mondstrahlen herabtanzen und durch die leichten Wellen der See laufen, wie Heringe durch Lachsnetze, ey kuku, da hebt der Meermann seinen zottigen Toten empor, den Mondochsen mit den Flossen auf dem zottelbärtigen Haupte. Und küßt ihn. Und herzt ihn. Und wiegt ihn wie ein schlafendes Kind. Und leise, langsam, feierlich tönt über das blaßgoldige Gekräusel des Wassers des Meermannes Lied:

Laßt ab, ihr Winde, zu blasen nun,
Bangputys ist heimgegangen,
ey kuku!
Laßt ab, ihr Wogen, zu rasen nun,
mein Opfer halt ich umfangen
zu ewiger Ruh!
Ei daina, daina, wohlig und gut
soll er im Bernsteinhafen,
wo die Seenesseln glühn
ey kuku,
und Silbersterne im Tang erblühn,
in ewiger Ruh
schlafen nun, schlafen, schlafen! –

Süßes Flötenspiel zieht vom Monde her über das schimmernde Meer, und leise rauscht ferne Antwort am Strande von Bornholm.

Da gleitet der Meermann regungslos mit seiner Bürde in die Tiefe und birgt sein Opfer in den großen Feldern des goldroten Tang.

Keine Möwe kennt den heimlichen Platz. Kein Klageschrei der Laima verkündet ihn! –

Ei daina, daina!


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