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Das fliehende Paradies

Um das »Rückgrat der Welt«, die Felsenwildnis unter der Cleveland-Koppe, von der die Wasser zum Stillen Weltmeere, zur Hudsonbucht und zum Golfe von Mexiko abströmen, geistert das Mondlicht. Bleichgrün strahlt der Schwarzfuß-Gletscher herab auf das Grasland, in dessen Mitte die Zelte der Indianer in weitem Kreise aufglühn. Durchscheinend, vom Feuer innen bestrahlt, zeigen die Büffelhäute ihren Bilderschmuck. Steilauf ziehn durch das offene Gestänge der Zeltspitzen blaue Rauchsäulen in die klare Nacht hinein. Mit aufgeknoteten Schweifen grasen am Rande des Lagers die Pferde. Neben ihnen, den Kopf platt ausgestreckt, ruhn in wachem Halbschlafe die großen wolfsgrauen Hunde.

Weit draußen vor dem Lager hält auf einem Schimmel einsam Menepoka, der Alte. Er blickt zu den Bergen hinüber und hinaus auf das schmale Land am Hange des wilden Gebirges, das seinem Volke geblieben ist. Das kümmerliche Vieh, das neben den Pferden der Schwarzfüße einzigen Besitz bildet, erfüllt ihn mit Verachtung, wenn er der alten, der alten Zeiten gedenkt!

Als dies Haar, das jetzt schneeweiß ihm bis auf den Schweinstachelschmuck der Achselnaht seines Hirschhauthemdes herabfällt, noch schwarz war wie seines Mädchens Augen: damals war sein Volk um vierhundert Hundertschaften stark. Und seine Herde waren die Büffel drüben im Graslande vom Oberen Missuri bis zu dem Gelbsteinflusse hinüber.

Damals, oh! Die Hirschjagd am Zwei-Meere-Passe unter den drei Tetonen! Und das Dickhorn, wie es zu Tausenden die rauhen Hochsteppen belebte!

Das alles vom Sasketschewan bis zum Lande der Salzseen war seines Volkes Heimat, und der alte Jägerpfad hat sie oft genug auf dem Kriegszuge gegen die Stämme dieses westlichen Landes gesehen. Oft genug auch ist das Land an den Schwarzen Bergen rot gewesen vom Blute des Cheyennes, hat der große Weißwind die Leichen erschlagener Schoschones unter seinem Schnee begraben, wenn das Kriegsbeil der Schwarzfüße sein Wort von Kampf und Rache gesprochen hatte.

Lässig gleitet Alt-Menepokas Hand an den Skalpen herab, die als Fransen die Ärmel seines Hirschhemdes von den Schultern bis zum Handgelenke herab schmücken.

Die Söhne seines Volkes gehn in Kleidern der Bleichgesichter. Tragen die Narrenjacken und Wollendecken von der Agentur. Er, Menepoka der Alte, verachtet sie. Sein Mantel bleibt die Haut des Jungbüffels mit der Haarseite innen und dem Schmucke vom Stachelschweine außen. Dazu die Zeichnungen mit Darstellungen seiner Heldenkämpfe. Wer fragt danach noch unter den Jungen von heute?

Menepoka greift nach dem Medizinbeutel, den er unter dem Hirschlederhemd trägt und murmelt ein Gebet zum großen Vater, der jetzt hinter den Bergen in der Hölle die Toten martert. Die Feigen läßt er verderben. Die Tapferen ziehn hinauf in den Himmel. Ins sonnige Land mit unabsehbaren Büffelherden.

Menepoka der Alte harrt des Rufes vom großen Geiste. Hat auf Erden die Marterprüfungen dreimal bestanden. Schon bei der Mannbarkeitsweihe opferte er zwei Finger der linken Hand. Ihm ist der Himmel der Helden sicher und die ewige Jagd in seligen Gefilden! Oft und öfter sind des Alten Gedanken jetzt bei den Tagen seiner Jugend.

Husch! Ho! Was sind alle Skalpe, die er den Cheyennes, Flachköpfen und Krähenmännern geraubt hat, was die fünfzig von den Schädeln der Bleichgesichter! Ein Bettel gegen die Wonne jener Stunde in der Medizinhütte!

Immer noch hört er die Weihemusik auf den Büffelsäcken, die gefüllt sind mit dem uralten Wasser der großen Flut. Nach viertägigem Fasten, wie griff dem Knaben diese Musik ans Herz! Und der Stiertanz der acht nackten Männer! Viermal am ersten, achtmal am zweiten, zwölfmal am dritten, sechzehnmal am vierten Tage! Jeder Tanz nach einer anderen Himmelsrichtung, wie der Rauch aus der Pfeife des Medizinmannes.

Und dann die Marter! Ingrimmigen Stolzes voll reckt sich der Alte auf seinem Schimmel. Auf jeder Seite der Brust fühlt er noch beglückt die Narben der Wunden, die das schartige Messer durch das heraufgezogene Fleisch geschnitten hat. Lächelnd hat er zugeschaut, wie dann durch jede Wunde ein Holzstäbchen gesteckt ward, an dem die Stricke befestigt wurden, an denen er aufwärts gehoben ward. An Füße und Arme hängten sie ihm Schilde, Bögen, Köcher und Büffelschädel. Und dann begann das wilde Wirbeldrehen, immer schneller, immer schneller. Aber von Jung-Menepokas Lippen kam kein anderer Laut als der Hohn auf alle Feinde und das Gebet zum großen Vater, ihn seines Volkes würdig zu machen.

Husch, ho! Der Medizinbeutel auf der Brust! Den hat er damals nackt und bloß in der linken Hand gehalten und im wildesten Schrinnen des Schmerzes nicht losgelassen, bis er bewußtlos am Boden lag und der große Geist ihn erweckte.

Oh! Die Prüfung war ja damit nicht zu Ende. Mit den Stäben im Fleische, die er nicht entfernen durfte, mußte er zum Büffelschädel kriechen, um den kleinen Finger der linken Hand zu opfern. Und er gab in jauchzendem Trotze auch noch den Zeigefinger dazu! Blieben ihrer immer noch genug, um den Bogen, die einzige Waffe der Linken, zu halten.

Und dann kam die Höhe von Schmerz und Seligkeit! Mit allen im Fleische hängenden Lasten ward er von zwei Jungmännern in die Mitte genommen und in rasendem Laufe durch das Dorf geführt und, als er niederbrach, im Kreise herumgeschleift, bis alle Hindernisse aus seinem Körper ausgerissen waren. Doch in der frischverstümmelten Linken hielt der Bewußtlose mit ingrimmiger Schmerzeslust den Medizinbeutel, den er sich niemals rauben lassen darf, sein Geheimnis, seinen Schutzgeist, seinen Pfadweiser in die besseren Jagdgründe des großen Vaters.

Liebkosend ruht des Alten Hand auf dem weichen Fellbeutel.

Damals, als Knabe, als er mannbar ward, ist er in die Einsamkeit gegangen, hat gefastet und unter dem Schirme einer Riesenfichte geschlafen. Bis ihm im Traume das Tier erschien, das der große Geist zum geheimnisvollen Beschützer seines Lebens bestimmt hatte. Ein Mink! Ohne Zögern hat der Knabe dann an den Bächen seines Volkes gelauert, bis er den Gesuchten erwischte. Mit den Schwänzen weißer Wiesel ist der Beutel nun geschmückt, und Granen von wundervollem Braun umsäumen seinen Rand. Sechs Hunde und drei Pferde sind ihm geopfert. Und wenn Menepoka den Medizinbeutel in Tagen achtloser Jugend beleidigt hatte, so hat er gefastet und Buße getan, bis sein Schutzgeist wieder versöhnt war.

Dennoch!

Alle Tapferkeit Menepokas, alle Siege über seine Feinde sind umsonst gewesen. Umsonst seines Volkes Kriegerruhm!

Wie die Sonne vor dem abnehmenden Monde, flieht die Heimat des roten Mannes vor dem Bleichgesichte. Je weiter dies vordringt, desto weiter drängt es die Rothaut dem Sonnenuntergange zu!

Und wieder sind mit dem Alten die Tage des Knaben. Im Zelte Emonissis, des Weißen Otters, hört er von uralter Zeit. Husch, ho, als der hundertjährige Ahn selbst noch ein Knabe war! Groß war der Wohlstand der Schwarzfüße und aller vom Stamme der Algonquins damals in der alten Heimat. Den Boden pflügten sie mit dem Schulterblatte von Büffel oder Wapiti, und reich war das Mahl vom Pemmikan und grünen Kornkolben. Tausende von Vieh trugen den Brand der Schwarzfüße. Da rückte das Bleichgesicht auch gegen die Algonquins vor. Die Väter ließen sich zu Verträgen betören. Feierlich eingegangene Verpflichtungen, schon gebrochen, ehe noch das Kriegsbeil begraben und die Friedenspfeife geraucht war! Vertrag ist auf Vertrag gefolgt. Und immer weiter mußte die Rothaut wandern. Im schlechten Lande, wo Regen und Tau so selten sind wie ein wahres Wort aus dem Munde des Bleichgesichtes, wurden die Büffel ihre Herde und die Jagd das Glück ihrer Jahre. Die Büffel sind hingemordet von dem großen Schlächter, und abermals ist müdes Leid über die Schwarzfüße gekommen. Haben wandern müssen in dies Hochland am Osthange der wilden Felsen. Hier waren in Menepokas besten Jahren Wapiti und Dickhorn die Freude des Jägers. Die Wapiti sind um ihrer Geweihe und Granen willen mit Feuerrohren niedergeknallt. Und das Dickhorn steht nicht mehr zu Tausenden auf den Hochsteppen. Die Schafherden des Bleichgesichtes haben es verdrängt. In die heimlichen Klüfte der Hochtäler. Und eine schlimme Krankheit haben sie ihm gebracht, die garstige Räude, die von den alten bernsteinäugigen Widdern kaum noch mehr übrig gelassen hat, als bleichende Schädel und die alten tief ausgetretenen Wechsel über der Waldgrenze. Was die Räude dem Dickhorne, waren die Schwarzpocken Menepokas Volke. Alles dies hat das Bleichgesicht getan. In den Decken, die es den Schwarzfüßen lieferte, haben die schlimmen Blattern gesessen. Das Bleichgesicht hat Preise ausgesetzt für die Skalps des roten Mannes. Ohne Anlaß zu Krieg und Verfolgung. Hundert Dollar sind gezahlt für den Skalp eines »Bockes« und fünfzig für die Squaw, fünfundzwanzig für alles unter zehn Jahren! Ganze Streiftrupps sind ausschließlich ausgerüstet worden für diese Jagd auf den roten Mann, der ihre Vorväter gastlich aufgenommen und mit Pemmikan und grünem Korn bewirtet hatte. Sie aber, die Treulosen, predigen von Liebe und ewigem Frieden! Auch der Fluch des Feuerwassers ist von diesen Männern des Friedens über Menepokas Volk gebracht, um es zu vernichten.

Nie hat ein Algonquin alter Art unmäßig gelebt. Wer die Totenbräuche mit dem Zaubertiere und den Ahnenmasken ehrt, wirft sich nicht weg. In Leibesübungen unterliegt die Völlerei.

Aber da waren in jedem Kringel die Gecken und Memmen, vor denen jeder Krieger sein Antlitz im Mantel birgt. Gleich Bettlern traten sie zum Fleischkessel, ohne gejagt zu haben, und nie trachteten sie danach, im Spiele der Krieger Sieger zu werden.

Zu denen schlich sich der Weiße und lehrte sie, daß alle Menschen gleich seien. Und brachte ihnen das Feuerwasser. Als sie erwachten vom wilden Traume des Schattens, waren sie des Bleichgesichtes Knechte geworden. Und fühlen den Schimpf ihrer Untertänigkeit nicht. Des Kriegers Schmuck von den Stoßfedern des Goldadlers dünkt sie veraltet. In den grauen Knechtsjacken des Bleichgesichtes haben sie verlernt, zu hassen und zu kämpfen.

So eilt der rote Mann wie die Sonne vor dem kranken Monde schnell gegen Abend hin zu den Schatten seiner Väter! Und das Bleichgesicht, das ihn um Land und Wohlstand gebracht hat, wird auch das Letzte ihm nehmen, die Ehre seiner Totems. Wenn die letzte Pfeife mit dem letzten Tomahawk dem letzten Schwarzfuße ins Grab gefolgt sein wird, dann wird auch der Ruhm seiner Tapferkeit, Gastfreundschaft und Treue, dem jene beiden seit den Urtagen des Großen Geistes gedient haben, von dem überlebenden Feinde zertreten werden. Gerechtigkeit hat es für den roten Mann nur gegeben, solange er das Kriegsbeil schwang und den Rauch der Pfeife in die vier Winde blies zu des großen Vaters Ehre.

Husch ho! Aus seinem Sinnen blickt Menepoka auf. Vom Lager her naht die Ablösung. Nakoa ist's, in Weste und Jacke, einen Schlapphut auf dem Kopfe.

Ohne ihn eines Grußes oder Blickes zu würdigen, reitet der Alte heim zu seinem Zelte. In wildem Galopp jagt der Bursche das Vieh zusammen. Als ob er es gelernt hätte bei den weißen Kuhbengeln.

Das Vieh, das ist sein und seinesgleichen Stolz, und sie wissen nicht, daß auch das hier oben nicht seines Bleibens hat. In der glühenden Sommerdürre und der Schneelast des weißen Wirbelwindes!

Alle die Tausende, die Menepoka herangezüchtet hat, sind von schlimmer Sucht befallen. Und was bleibt, treiben die weißen Lümmel weg, wenn ihre Herden über das Grasland ziehen und des roten Mannes Vieh mit sich nehmen. Auch das ist Vertragsbruch. Und wenn die Knaben dächten wie Menepoka der Alte, so würden sie kämpfen für ihr Recht und lieber fallen, als weiterleben in dieser Schande!

Vor seinem Zelte gleitet der Alte vom Pferde, glatt wie eine Schlange. Streift dem Schimmel den Zaum ab und wirft die Decke vor das Zelt. Die Luft ist wohligkühl, und die Sterne blinken und funkeln in unzählbarer Schar am Himmel. Der Alte lehnt sich auf die Roßdecke und blickt still und dankbar hinauf zu des großen Vaters silbernen Söhnen.

Leise spielt der Wind in den Zeltohren, die hin und her schlagen, wie ein loses Segel. Drüben vor dem Zelte des Großen Elches balgen und beißen sich die Hunde.

Dann wieder der tiefe Frieden der Nacht.

Menepoka ist aufgestanden und hat aus dem Zelte Pfeife und Kohle geholt. Behaglich öffnet er den Tabakbeutel von Otterfell und entnimmt ihm einen Kopf voll K'nick-k'neck. Das ist der Rindentabak, zwischen dem ein Stück Biberweiß liegt. Langsam schabt der Alte etwas davon ab und mischt es mit der Rinde. Dann streut er getrockneten und gepulverten Büffelmist darauf, der süß nach dem Büffelgrase duftet. Der Kopf der Pfeife ist aus Speckstein von den Quellen des Vaters der Ströme geschnitten und das fünf Fuß lange Rohr zierlich mit Stachelspitzen umwunden.

Behaglich zieht der Alte den Rauch des Nachdenkens ein und blickt hinauf zum klaren Vollmonde.

Wie deutlich der Mann im Monde zu erkennen ist und das Beil, das er auf dem Rücken trägt!

Ganz in Betrachtung versunken, fühlt der Alte eine Hand auf seiner Schulter. Sonnengabe, die weise Alte, ist zu ihm getreten. Schweigend setzt sie sich an Menepokas Seite und tut einen Zug aus der Pfeife, die er ihr reicht. Und vom Wasser her kommt ein junges Paar gegangen, bald auch noch ein anderes aus den Nachbarzelten. Menepokas Wachnächte sind niemals einsam.

Die Pferde grasen sich näher heran, und das Feuer vor Menepokas Zelte lodert heller auf. So recht die rechte Nacht des frohstimmenden Indianer-Sommers. Hellhörig, klar. Wie geschaffen zum Rauchen, Sinnen und Lauschen.

Als Sonnengabe die erwartenden Blicke aller auf sich ruhen fühlt, beginnt sie zu erzählen. Die alte Sage vom Sonnenvater, der Mondmutter und ihren beiden Kindern, dem Abend- und Morgensterne.

»Der Vater entdeckte, daß sein Weib in Liebe zu einer Schlange entbrannt sei. Da machte er ein groß Feuer und verbrannte die falsche Klapperschlange. Dann schickte er seine Kinder fort und gab ihnen drei Dinge: einen Stock, einen Stein und ein Stück Moos.

Und sprach: Wenn euere Mutter euch verfolgt, so werft diesen Stock hinter euch auf euren Pfad. Und kommt sie doch, so werft den Stein. Und kommt sie dennoch, so macht dies Moos naß und drückt es auf dem Pfade aus. Dann wird euere Mutter euch nichts anhaben können.

Als nun das Weib seinen Rückweg voller Feuer sah, lief es zurück. Und als es an seinem Zelte die Kinder vermißte, wollte es ihnen nachlaufen. Da schlug der Mann ihm mit seinem Beil, das er immer auf dem Rücken trug, den Kopf ab. Dann lief er fort, doch der Leib seines Weibes folgte ihm. Ihr Kopf aber lief den Kindern nach. Als die ihn kommen sahen, erschraken sie sehr. Aber der Knabe warf schnell seinen Stock hinter sich. Und da wurde hinter dem Stocke ein großer finsterer Wald. Die Kinder liefen weiter. Aber bald sahen sie wieder hinter sich das Haupt der Mutter. Da warf der Älteste den Stein hinter sich. Da ward ein gewaltiges Gebirge von Meere zu Meere. Und der Kopf der Mutter konnte nicht folgen. Sie sah aber da einen Widder weiden und bat ihn, ein Loch durch den Berg zu stoßen. Zur Belohnung wollte sie ihn heiraten. Der Widder stieß und stieß, aber er konnte den Tunnel nicht fertig bringen. Da rief die Frau den König der Ameisen und bat: Bohre mir das Loch durch den Berg fertig aus, dann will ich zur Belohnung dich heiraten! Und der Ameisenkönig rief seine Leute, und sie bohrten den Durchweg aus. Da rollte der Kopf hindurch, und bald sahen die Kinder ihn kommen, und die bleiche Furcht ergriff sie. Aber der Älteste feuchtete das Moos an und drückte es aus. Siehe, da rauschte ein See zwischen ihnen und der Verfolgerin. Und der Kopf rollte in den See und ertrank.

Die Kinder aber banden sich ein Floß, wo der See am schmälsten war, und fuhren hinüber und wandelten durch viele Länder des roten Mannes, bis sie zu den Krähenmännern und den Schlangen-Kriegern kamen. Da trennten sie sich, und der eine ging gegen Morgen, der andere gegen Abend. Weiter weiß ich nichts.«

Also klingt Sonnengabes Sage.

Die Jungen klatschten in die Hände. Und Glückstränenauge ruft fröhlich:

»Ich weiß die Deutung! Von diesen Knaben war der ältere klug, der andere einfältig. Der Einfältige ward ein großer Krieger und der Vater der Schwarzfüße. Der Kluge wurde der Vater der Bleichgesichter. Er lernte das Eisen schmieden und alles, was der Rothaut schädlich ist. Oh, husch!«

Und Felsblumenglocke spricht ernst und sinnend:

»Der Leib der Frau ist der Mond. Sie jagt den Sonnen-Vater stromab und folgt ihm. Wenn sie ihn ereilt, wird sie ihn töten, und dann wird Nacht sein, eisigkalt und immerewig. Wenn sie ihn nie erhascht, bleiben Tag und Nacht wie jetzt. – Schöne, liebe Nacht!«

Heiter blickt die gütevolle Mondmutter auf die Erzähler vor Menepokas Zelte und auf das Geheul der Hunde herab. Sie, die Allwissende, lächelt; beide meinen es ja gut! Aber die Hunde singen rührender, inniger, ergreifender. Sie geben sich aus. Die Rothäute halten Empfindungsäußerungen für knechtisch, hündisch, elendig. Husch, oh!

Schweigend reichen sie die Pfeife herum. Wohlig zieht der feine Rauch wie Opferduft der klaren Höhe zu. Behaglich sinnen die ernsten Gäste der Nacht den großen Rätseln der goldenen Mondmutter nach.

Dann plötzlich bricht eine das Schweigen.

Und alle lauschen. Es ist, als ob durch das Helldunkel der Mondnacht ein Stern weiß aufleuchte und zucke gleich dem Pulsschlage ihrer Herzen.

Die große Frage kommt: warum ruht der Mond, wenn er dreimaldreimaldrei Tage alle Formen vom jungen, vollen, kranken und sterbenden durchlaufen hat?

Menepoka schweigt.

Und der Rauch zieht Ringe, aus denen neue Ringe entstehen.

Langsam wie Fall von tropfendem Gesteine kommt Antwort von Sonnengabe, die das Feuer schürt:

»Der große Vater nimmt die schmale Rippe und füllt sie mit Fleisch aus. So ist die erste Squaw aus dem abgerissenen Nagel des ersten Mannes entstanden!«

Ein Jüngling, der hervorgetreten ist, einer von denen, die Menepoka so sehr liebt, wirft hastig ein: »Aber der große Lehrer der Weißen hat es uns anders gelehrt!«

Menepoka bedeutet ihm mit gelassener Handbewegung, sich zu setzen. Dann reicht er ihm schweigend die Pfeife, doch mit verkehrt gewendeter Spitze. Verlegen nimmt der Vorlaute einen Zug, dann reicht er die Pfeife zurück und schleicht beschämt davon.

Glückstränenauges Hand liegt in der des Geliebten. Leise stimmt sie ein Lied an, das müde Lied der Nacht, in dem es liegt wie Mondleuchten und Blinken des Abendsternes.

Von drüben her klingt ein anderer Sang zum Preise des Totems vom Großen Bären. Eine wilde Melodie ist darin, wie Schwirren der Pfeile und Beilschlag auf dröhnenden Büffelschild. Und die Herzen der Lauschenden sind davon umfangen.

Nur Sonnengabe blickt ernst sinnend vor sich hin.

»Weise Muhme,« fragt Felsblumenglocke, auf ihren Schoß niederblickend. »Wie geht die Sage von der geheimnisvollen Geburt?«

Erst reicht Sonnengabe ihr die Pfeife. Dann erzählt sie:

»Einst kam der Böse Geist zu den Schwarzfüßen und setzte sich neben eine Frau, die nur ein Auge hatte und Getreide behäufelte. Ihre schöne Tochter kam zu ihr, und der Böse Geist bat sie, ihm Wasser zu bringen. Doch wünschte er, daß sie vorher noch zu ihm komme und etwas Büffelfleisch esse. Sie möge, sagte er, nur ein Stück aus seiner eigenen Seite nehmen. Sie tat dies, aß und fand, daß es wie Büffelfeist schmeckte. Dann holte sie Wasser, von dem beide, während sie nach dem Dorfe gingen, tranken – und weiter geschah nichts.

Die Freunde des Mädchens suchten sie bald darauf in Unehre zu bringen. Sie erzählten, daß sie schwanger sei. Das leugnete sie nicht; aber sie beteuerte ihre Unschuld und forderte jeden Mann im Dorfe auf, sie anzuklagen. Dies verursachte große Aufregung, und da niemand auftrat, um sie zu beschuldigen, so wurde sie als »große Medizin« angesehen. Bald nachdem dies geschehen, ging sie heimlich in die Mantelfichten am großen Strome, wo das Kind geboren wurde.

Nur durch Nachforschungen fand man sie. Man erwartete, daß das Kind ebenfalls große Medizin und für den Stamm von großer Wichtigkeit sein werde. Zu diesem Glauben bewog die sonderbare Weise der Empfängnis und der Geburt des Kindes. Auch bestätigten die Wunder, die es verrichtete, diesen Glauben. Außer andern Wundern gab es den Schwarzfüßen, als sie nahe daran waren, vor Hunger zu sterben, vier Büffel und sagte, daß diese sie für immer mit Nahrung versorgen würden. Auch war, nachdem sie sich gesättigt hatten, noch ebensoviel Wildpret vorhanden als vorher, ehe sie gegessen hatten. Ein alter Medizinmann war jedoch entschlossen, das Kind zu töten, und nachdem er es lange vergebens gesucht, fand er es einst an einem dunklen Orte, worauf er es ergriff und in den Fluß warf.

Mehr weiß ich nicht!«

Ringsum Schweigen und ernstes Sinnen. Nur ein Gedanke schwimmt auf dem stillen Duftmeere des Graslandes und in den Herzen der Menschen: hier ist tiefstes Geheimnis!

Langsam spricht Felsblumenglocke:

»Ich weiß die Deutung. Die Jungfraumutter ist die dunkle Mondgöttin. Sie gebiert aus sich selbst am vierten Tage den jungen Stier mit dem goldenen Horne. Der ist es, von dem die Helden verzehren mögen, soviel sie wollen. Er wächst immer wieder nach. Mehr weiß ich nicht!«

Nur ein leiser Druck der Hand antwortet der klugen Deuterin. Ein Hauch läuft über die Flamme, die Sonnengabe schweigend schürt. Für sie sind die Tiefen tiefer als für die anderen. Am Tage des Sonnentanzes, wenn sie, die heilige Frau, die Gelöbnisse zu bringen hat, erfährt sie, daß das reine Weib die »größte Medizin« des roten Mannes ist. Denn nur das Gelübde der Reinen findet Erhörung beim großen Vater!

Und wenn sie am großen Tage die bösen Geister der Krankheiten durch Tänze im Glückslichte der Sonne auszutreiben hat: so lächelt sie trübe, wenn sie gedenkt, wie meßbar die vergänglichen Dinge sind, die sie als Sinnbilder der Unendlichkeit verehren läßt. Unmeßbar ist ewig nur der große Vater, der im Blumenmonde alles erblühen, im Kornmonde die Frucht reifen läßt, dies Jahr, nächstes Jahr, ewig, ewig alle Jahre! Vieh und Menschen, Beeren und Blumen, jedes Blatt am Baum frieren oder erfrieren gar, wenn im Winter der große Vater verreist ist und der Böse aus dem eisigen Norden herrscht! Und auch der ist ewig! Mehr weiß auch Sonnengabe nicht.

Ähnlich denken die Jungmänner, aber sie haben die Jugend in den Augen.

Menepoka aber, der Schweigsame, legt ein Stück Holz zum Feuer und sinnt den knisternd zerstiebenden Funken nach. Seine Seele versenkt sich in sich selbst. Sie weiß, warum das Birkengold vom Stamme fällt. Sie ist nicht empfindungsloser als das Rohr der Seen, das sich bräunt, und der Spinnwebglast, der in Silberfäden über die Steppe zieht. Sie weiß, daß ihr Daseinswechsel vor seiner Erfüllung steht.

Und wieder sind die Tage des Knaben bei dem Alten, der Groll des Herzens, der unverlöschbar ist, und die Sehnsucht nach dem Lande der alten Väterzeit. Und die altvertraute Seelennot, husch, oh! – –

Aus seinem Sinnen fährt der Alte plötzlich auf. Die Jungmänner laufen zu den Pferden. Wie eine Schlange ist Menepoka ins Zelt geschlüpft. Jetzt ruft er mit hohler Hand, wirft dem herbeieilenden Schimmel den Zaum über und jagt blitzgeschwind davon, ihm nach die anderen, immer mehr, immer mehr aus allen Zelten. An der Bodenwelle hebt Menepoka die Hand. Rechts durch die Vertiefung! Pfeilschnell ist der Trupp heran. Am flachen Kamme bei dem Brunnen der Weiden stoppt der Alte ab.

Drei Schüsse sind gefallen. Und der Boden dröhnt vom fortjagenden Vieh. Zwei, die sich durch das Gras geschlichen haben, bringen schon Nakoas Leiche. Und den Revolver, den er abgeschossen in der Hand gehalten hat. Mitten auf der Brust sitzen ihm zwei Kugeln.

Menepoka winkt. Sie bergen den Toten im Gebüsche, und vorwärts geht's der Herde in weitem Bogen voraus. Die Gäule strecken sich, und der Boden fliegt unter ihren Hufen. Menepokas Schimmel mit erhobenen Nüstern voraus. Unter den Erlen am Krick macht Menepoka Halt. Das Vieh ist längst in Trab gefallen und kommt in wilder Staubwolke heran. Drei Kerle sind dabei.

Nur wenige Worte flüstert der Alte seinen Leuten zu. Mit den Lümmeln will er allein fertig werden. Die anderen sollen ihr Vieh zurücktreiben, kein Stück von dem fremden! In weitem Bogen jagt Menepoka um die Viehtreiber herum. Ein paar Kugeln sausen über ihn hin. Er hat sich auf die Rückseite seines Schimmels geworfen. Zischend fährt sein Pfeil dem ersten durch den Hals, daß er tot hintenüber fällt. Dem zweiten erschießt er das Pferd unter dem Leibe und ist dann wie Wetter heran. Ein Schnitt, ein Aufschrei, der lange Skalp hängt in Menepokas Gürtel. Der dritte jagt dem Schimmel eine Kugel in die Schulter. Aber der Gaul hält aus, und ehe der Gegner gedacht, sitzt Menepoka hinter ihm im Sattel und stößt ihm das Messer durchs Herz. Mit ingrimmigem Hohne raubt er den beiden Toten die Skalpe und gibt dem Verwundeten den Gnadenstoß.

Dann den letzten Stoß seinem verendenden Rosse. Noch einmal ruft er seine Leute. Er allein hat den Kampf geführt. Er allein will und soll es gewesen sein, wenn die Soldaten von der Agentur kommen!

Dann verschwindet er im Schatten des Ufergebüsches.

Langsam, unablässig wandert er, spähend und seine Spur, wo immer es möglich ist, im Wasser verhehlend. Bis er das Gebirge erreicht und die wilden Schluchten seines Lebensmittags. Wo die Wechsel der verschwundenen Widder an schroffen Steilhängen hinführen: dort weiß er eine Bärenhöhle und darunter einen salzfreien Quell.

Dort wird er hausen, bis der große Geist ihn ruft. Und der Weißwind wird mit tiefem Geheimnisse die Stelle decken, wo Menepoka der Alte mit den Skalpen gelassen den Tod erwartet hat, der ihn hinübergeführt hat in Manitus sonnige und unerschöpfliche Jagdgründe.


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