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siehe Bildunterschrift

Aubrey Beardsley.
Nach einem Gemälde von J. E. Blanche. Photo: National Portrait Gallery, London

Aubrey Beardsley

Seine Schönheit erschreckt mich im Innern und tut wundervoll weh, seine Häßlichkeit verfolgt in Träumen, ich liebe ihn, daß ich ihn fast schon hasse, ich hasse ihn, daß er mich so zu törichter Liebe zwingt« – solchen etwas exaltierten Worten übergab um 1892 eine junge Frau den Eindruck, den ihr das Werk Beardsleys schaffte. Und sie äußerte keine Trauer, als sie von seinem frühen Tode hörte, denn sie meinte, er sei, als er starb, vollendet gewesen, ein längeres Leben hätte nicht mehr aus ihm machen können. Und daß uns ein menschliches Mitleid verführen könnte, uns so ganz an ihn zu verlieren, daß wir keine Wege mehr zu den Künsten anderer fänden. Was wohl nur Beherzigung von La Rouchefoucaulds Spruch war, daß man Mitleid wohl vorgeben, aber nicht haben dürfe. Ein junger Mann, der im Jahre 1896 Zeichnungen von Beardsley sah, lachte stark und suchte seine Überlegenheit in einen Witz zu fassen: er rühmte sich, gesunde Instinkte zu haben.

Eine Vignette Beardsleys darf nicht übersehen werden. Da reitet die traurig-ausgelassene Gottheit des Dekadenz gescholtenen Aufganges unserer Künste, Pierrot, Seine Durchlaucht vom Monde, auf dem Flügelroß, das sich anschickt, auf den Parnaß zu galoppieren. Darunter steht: Ne Jupiter quidem omnibus placet. Nach allem, was Freunde von Beardsley erzählen, was wir von seinem Leben wissen, was sein Werk erlebt hat: der Mensch und der Künstler hat seine Kunst und ihr Schicksal in dieses Wort gefaßt, dessen Stolz der Reiter des Rosses übermütig übertreibt. Selbst Jupiter gefällt nicht allen: Beardsley war sein eigener größter Bewunderer, uneingeschränkte Bewunderung verlangte er von seinen Zeitgenossen, alle ungünstige Kritik eines Blattes, das er selber gutgeheißen, war ihm eine persönliche Beleidigung. Beardsley konnte, als er, zwanzig Jahre alt, seine Künstlerschaft begann, die Jahre, die ihm noch zu leben waren, an den Fingern einer Hand zählen; er wußte, daß er keine Zeit habe, auf den Ruhm zu warten, den die Welt den Großen spendet, wenn diese anfangen senil zu werden. So berühmt zu werden, war nicht sein Ehrgeiz; dieser war, in Ruf zu kommen, in Mode zu kommen wie die Yvette Guilbert oder die Cléo. Er stellte vieles an, um das zu erreichen. Ärgerte sich ein Rezensent über die Kühnheit eines Blattes, so überbot er dieses durch ein noch kühneres; er meinte, sich alles, auch Schlechtes, erlauben zu dürfen. Er mystifizierte seine Feinde, wie er die übelwollenden Kritiker nannte, indem er Dinge zeichnete in einem anderen Stil, mit fingierten Autornamen, und der Gamin, der er war, freute sich sehr, als die Kritiker darauf hineinfielen und ihm die Blätter als Muster empfahlen, wie es zu machen sei. Wie allen, die so heftig die Aufregungen des Beifalls suchen, war auch ihm eine starke Verachtung des Publikums eigen. Er hatte enthusiastische Bewunderer, sehr wenige, er hatte Gegner, die ihn der Unzucht beschuldigten, alle anderen. Der Streit beider miteinander und um ihn begleitete ihn sein Leben lang und machte ihm das so kurze zu einem fröhlichen, denn er hatte, was er wünschte: Berüchtigkeit.

Aubrey Vincent Beardsley wurde am 21. Juli 1872 in Brighton geboren. Von seinen Eltern hat man noch nichts aufgeschrieben: England, das sonst jedem Dorfpastor eine zweibändige Biographie aufs frische Grab legt, hat noch keine Zeit und Lust gefunden, das Leben des Künstlers aufzuzeichnen. Beardsley war neun Jahre alt, als man ihn nach Epsom schickte, damit er da von der Schwindsucht geheilt werde. Im März 1883 zog die Familie nach London. Er galt da als ein Wunderkind, doch als ein musikalisches. Er spielte mit seiner Schwester, die immer treu zu ihm hielt, in Konzerten und verblüffte durch die Brillanz seiner Technik und die Stärke seines Ausdruckes. Zur Musik hatte Beardsley zeitlebens ein starkes, vielleicht sein stärkstes Verhältnis; wenn er über sie sprach, tat er es, der sonst zu scherzen neigte, ernst und fast dogmatisch. Die Musik ist, meinte er immer, der einzige Gegenstand, über den er etwas wüßte. 1884 kam das Lesen über ihn; er verschlang Buch um Buch. Und gleichzeitig mit diesem Aufnehmen regte sich, wie immer bei ihm, die Lust zum Selbstschaffen; er begann eine Geschichte der Armada zu schreiben und verfaßte 1885 als Schüler der Grammar School zu Brighton eine Farce »Browne Study«, die von ihm und Mitschülern gespielt wurde; wie er sich in dieser Zeit überhaupt sehr mit dem Theaterwesen abgab. Er zeichnete zu den Aufführungen seiner Farce die Einladungskarten: die von der Kate Greenaway illustrierten Bücher reizten ihn, sich auch hierin zu versuchen. Er karikierte seine Lehrer, die es ihm nicht nur nicht übelnahmen, sondern sich darüber freuten und ihm gerne Modell saßen. In dem Magazin der Schule: »Past and Present«, wurden diese ersten Versuche veröffentlicht. Sie sind etwa in der Art der heutigen Punchzeichner und ganz unbedeutend. Im Juli 1888 verließ Beardsley die Schule, um in das Bureau eines Londoner Architekten einzutreten. Im nächsten Jahre gab er das auf und erhielt eine Stelle in der Feuer- und Lebensversicherung The Guardian. Im Herbst desselben Jahres meldete sich stärker wieder die Krankheit: ein Blutsturz folgte dem andern. Als ob die Muse darauf gewartet hätte, ihm Hand in Hand mit dem Tode zu nahen: die sechs Jahre seiner Künstlerschaft und seines Sterbens beginnen.

Viele Namen sind es, die den Ruhm beanspruchen, Beardsley »entdeckt« zu haben. Dies tat er wohl selbst, und das andere verhält sich so, daß Herr Vallance – William Morris' Schüler und Biograph – ihn bei den Verlegern Lane und Smithers einführte, und daß der Pompier Lighton es war, der Beardsley für die illustrative Ausstattung der Morte d'Arthur vorschlug. Dies war 1892. Im folgenden Jahre erschienen die beiden Quartbände von Ritter Malorys Sagensammlung. 1894 kam die englische Ausgabe der »Salome« mit Beardsleys Bildern, im April desselben Jahres das Yellow Book, für dessen erste vier Bände der Meister achtzehn Blätter und Zierstücke zeichnete. 1895 erfolgte der Bruch mit dieser Zeitschrift, und Januar 1896 wurde von Beardsley und Arthur Symons »The Savoy« gegründet, für den sich in L. Smithers der opferwillige Verleger fand. Es bestand nur ein Jahr. 1896 folgte Popes Rape of the Lock und die Lysistrata. Schwerkrank verläßt Beardsley im folgenden Jahre für immer England und wird im März des Jahres katholisch. Er ging zuerst nach Paris, dann nach Dieppe, Ende des Jahres nach Mentone, wo er am 20. März 1898 mit den Tröstungen seines Glaubens versehen, von Mutter und Schwester gewartet, starb. Zeichnungen zu Ben Johnsons Volpone beschäftigten ihn bis zuletzt; er hinterließ sie unvollendet.

Es ist ein Dogma der modernen Kritik, daß man der Beurteilung eines Werkes mit einer möglichst genauen Kenntnis der Lebensumstände seines Schöpfers einen reicheren Boden gebe, und daß man nichts versäumen dürfe, was etwa physiologisch für das Urteil von Bedeutung wäre. Natürlich ist dieses Dogma absurd und falsch, und ist das Resultat heutiger Kritik in dieser Befangenheit in sogenannte exakte Wissenschaftlichkeit gleich Null. Was das Werk nicht selbst und allein gibt, wird niemals eine Kenntnis der Lebensumstände ersetzen können, so wertvoll und merkwürdig diese auch für sich sein mögen. Das wenige, was wir von Beardsleys Leben wissen: nichts von seinen Vorfahren, nichts Eigentümliches über das Milieu seiner Kindheit und Jugend, nichts über sein Verhältnis zu Frauen und Männern, die Tatsache seiner Krankheit, seine Musikliebe – alles das wird uns nichts mehr über das Werk sagen, als wir aus ihm selbst erleben. Man kann vielleicht manches in seinen Blättern finden, das man geneigt wäre, auf seine Leidenschaft für die Musik zurückzuführen: vage, traumhafte Inhalte, denen immer ein sinnlicher, eindeutiger präziser Ausdruck in den Linien gegeben ist. Aber es ist mit solcher Zurückführung nicht mehr als ohne sie gesagt. Was Beardsley las, dazu wurde er von seiner künstlerischen Art bestimmt, wie sie sich in seinen Zeichnungen offenbart. In der Knabenzeit waren es Abenteurerromane neben den Leben der Heiligen, dann die alten englischen Dramatiker, später die Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts. Von neueren: Baudelaire, Mallarmé, Verlaine. Doch war seine Neigung für die älteren Literaturen stärker; die antiken las er, wie jeder wohlerzogene Engländer, in der Originalsprache, den Horaz besonders gerne. Beardsleys Freunde waren erstaunt über seine Belesenheit, die keineswegs eine große Kenntnis von Buchinhalten war; man erstaunt über die feine Ordnung, den schönen Gebrauch seiner Kenntnisse bei solcher Jugend. Nichts las er, nichts erfuhr und erlebte er, was sich nicht seinem Erworbenen organisch eingefügt hätte. Er kannte keine Verblüffung und spottete, wenn andere von inneren Stimmen sprachen. So sehr er auch gelegentlich Gamin war, besaß er eine außerordentliche Haltung.

Beardsleys Genie machte mit den Präraffaeliten ein definitives Ende; man möchte sagen, er hat sie totgezeichnet, wenn man von einem Tode bei dem künstlichen Leben dieser Maler reden kann, die mit Talent sehr vieles waren, nur keine Maler. Beardsley, der in seinen Anfängen nicht nur, sondern in seinem Wesentlichen, zu den Präraffaeliten gehört, hob sie auf, endgültig und selbst ein Ende. Deshalb geht von Beardsley nichts weiter; die ihm folgen wollten, verlieren sich in ihn und ahmen ihn nach. Er war das Brillantfeuerwerk des Schlusses.

Wer die beiden dicken Bände der Morte d'Arthur durchblättert, wird erstaunt sein über die Fülle von Schmuck, den der zwanzigjährige Beardsley hier gegeben hat: als der letzte Erbe der Präraffaeliten verschwendet er sorglos, bewußt möchte man fast sagen, da sich bereits etwas wie Teilnahmslosigkeit an diesen Schätzen der Älteren merklich machte, die Überdruß im zweiten Bande wird, der fast nur Wiederholungen aus dem ersten enthält. Was Beardsley von dieser Überwältigung des Präraffaelitismus zurückblieb, kam unter fremde Einflüsse. Denn darin bestand die Originalität dieses in seinen Elementen ganz unoriginellen, immer beeinflußten Künstlers, daß er, von Stil zu Stil gehend, vom Älteren behaltend, dies mit neuer Entlehnung verbindend, das Ganze immer wieder bis auf einen Rest aufgibt, um mit diesem wieder eine neue Mischung mit einer neuen Entlehnung zu bereiten. Er ahmt immer nach und ist vielleicht gerade deshalb unnachahmlich. Und er gibt der Mischung aus fremden Stücken eine persönliche Essenz bei, deren künstlerischer Charakter kaum zu definieren, vielleicht im letzten gar nicht vorhanden ist. Und auch deshalb ist alle seine Gefolgschaft steril geblieben, denn sie mußte die Essenz fälschen oder nicht merken, äußerlich oder innerlich unwahr werden. Neben Mantegna, von dem Beardsley auch später »immer noch Geheimnisse lernt«, sind es nach den Morte-d'Arthur-Zeichnungen die Japaner, die ihn gefangennahmen, ihn lehren, die früher fliegenden und schwingenden, etwas leeren Linien zu höherem Ausdruck, bis zur Groteske zu bringen und in ihm eine Liebe zum Detail zu erwecken, die ihn nie verlassen hat. Aus dieser Zeit des japanischen Einflusses sind etwa Blätter wie La Comédie aux Enfer und The birthday of Mrs. Cigale. Kaum daß diese Einflüsse festgehalten und in Beziehung zu dem früher Vorhandenen gebracht sind, werden sie auch schon wieder von anderen abgelöst. Dies sind aber nicht zufällige Einflüsse oder Änderungen – das wäre dilettantisch. Alle Einflüsse, die auf Beardsley wirken, sind in seiner mitgebrachten Art vorbedingt: sie deroutieren ihn nie. Es ist wie ein schrittweises Annähren an sein Ideal, das zu erreichen er die zuerst befreiende, dann drückende, da aber auch schon verlassene Hilfe anderer braucht. Sein Ideal ist ein Schwarzweißblatt, das nicht nur frei von allem Malerischen und Zufälligen ist, sondern den Gegenstand in seiner stärksten Intensität gibt, in seiner psychologischen Pointe. Deshalb verzichtet er auch in seinen letzten Blättern, wie denen zur Lisystrata, auf allen Hintergrund.

Was ihn von den Japanern weiterführte, waren Whistler und die antiken Vasenbilder. Man bemerke, daß bei Beardsley nie ein Anlaß ist, von dem zu reden, was man Naturstudium nennt; wohl aber könnte man von einem Kunststudium sprechen. Eines der vielen Porträte der Réjane gibt Whistlered Beardsley. Die Bilder zum Lockenraub zeigen ihn in einer neuen Wandlung; die Dekorateure und Kostümzeichner Louis XIV. und des Regenten halten das so oft getaufte Kind über das Becken. Debucourt tritt in den Kreis und die famosen englischen Modezeichner des Empire, um die Bilder zur Mlle. Maupin zu befruchten. Dies ist so eigentümlich bei diesem Künstler: er ändert sich, und man erkennt ihn doch sofort wieder, in jedem Strich, in jeder Anordnung von Punkten. Das ist: er ahmt nie nach, sondern lernt sein Wesen an dem anderer entdecken. Ein so subtiler Künstler wie Beardsley legt Wert auf die Art seiner Signierung. Zuerst unterschreibt er, diese wundervollen frühen Zeichnungen zur Manon Lescaut etwa, mit seiner Handschrift Aubrey V. Beardsley, dann fällt das V. weg, Japan und Whistler bringen die stilisierten Samenballen der Tussilago, ein Zeichen, das in einfacher oder reicher Ausführung lange wegen seines ornamentalen Reizes gebraucht wird. Auf einigen Blättern, die in der Manier des Holzschnittes gezeichnet sind, finden sich A und B ähnlich der Dürerschen Marke; schließlich nur mehr in Versalien

AUBREY BEARDSLEY

Wie immer auch die Meinungen über diesen Künstler sich teilen, darin einen sie sich: daß Beardsley ein Zeichner war, der sein Mittel, die Linie, beherrschte wie keiner. Kritiker, deren Urteil darin kulminiert, ob etwas »richtig«, das heißt von außen her wahr ist, fanden diese Hand zu groß, diesen Fuß zu klein – aber sie messen überhaupt, und hier noch ganz besonders, mit einem falschen Maß, weil sie am unrechten Ort damit messen. Wo es die bescheidene Absicht eines Mannes ist (oder seine Einbildung, was auf dasselbe herauskommt), nichts als die natürliche Natur wiederzugeben, sie gewissermaßen noch einmal mit einem anderen Mittel zu machen, da wird vielleicht die Kritik am Platze sein, die an ihrer Erinnerung an dieses Stück Natur und an dieser Wiedergabe den Abstand mißt. Aber Beardsleys Kunst erhebt gar nicht den Anspruch, so äußere Natur zu sein. Beardsleys Artung war, einen seelischen Zustand, einen Charakter, eine Leidenschaft in den Linien des menschlichen Körpers und seiner Bewegungen so darzustellen, daß das Ganze ein wesentlich Neues ist, das man das Dekorative nennen mag in Mangel eines besseren Wortes. Es genügt ihm dazu nicht, etwa bloß den Blick der Augen zu ändern, um einen Affekt auszudrücken – er ändert den ganzen Körper: Hände, Füße, Haar, Kleidung und auch die Umgebung erfahren Änderungen, doch nicht etwa sogenannte symbolischer Art. Beardsley zeichnete niemals Übersinnlichkeiten, Philosophien, Ideen und solchen Tiefsinn. »Incipit vita nuova« lautet die Devise einer Groteske, die er ans Ende seiner Morte-d'Arthur-Zeichnungen setzt, die noch solchen allegorischen Sinn haben und aus Text und Schule haben mußten. Von nun ab ist die moralische Qualität des Individuums, wie sie sich in dessen Körperlichkeit ausdrückt, sein Gegenstand. Zu den Dingen, welche Beardsley liebte und häufig zeichnete, gehören die Bewegungen eines barocken Tanzens und Schreitens; Frauen bei der Toilette; eigenartige, aus vielerlei Moden und Stilen gefertigte Kostüme; ein Schmücken der Räume mit merkwürdigen Tischen und Stühlen; Geschmeide, schlanke Kandelaber mit dünnen Kerzen und reichgerahmte Spiegel; Leiber mit verwischter, hermaphroditischer oder stark betonter Sexualität; kleine Stirnen, hinter denen nichts denkt, kleine Augen, die verraten; volle Münde wie lüsterne Wunden. »Was die übrige Gesellschaft betrifft, so konnte sie sich einiger bemerkenswerter Toiletten und ganzer Tische voll der herrlichsten Frisuren rühmen. Man sah da Schleier, die gefärbt waren und Muster auf die Haut zeichneten, Fächer mit Schlitzen, um ihre Träger hindurchblinzeln und -blicken zu lassen, Fächer mit Gesichtern bemalt, mit Sonetten Sporions oder den kurzen Geschichten Scaramouchs beschrieben, und Fächer aus großen lebenden Nachtfaltern auf Bergen von Silbernadeln. Und Masken aus grünem Samt, die das Gesicht dreifach bepudert erscheinen lassen; Masken aus Vogelköpfen und Gesichtern von Affen, Schlangen, Delphinen, Männern und Frauen, kleinen Embryonen und Katzen; Masken aus dünn aufgelegtem Talk und Gummielastikum. Perücken trug man aus schwarzer und scharlachner Wolle, aus Pfauenfedern, aus Gold- und Silberfäden, aus Schwanendaunen, aus Weinsprossen und aus menschlichem Haar; ungeheure Halskrausen aus weißem Musselin, die hoch über den Kopf wegstanden, ganze Kleider aus einwärts gebogenen Straußenfedern, Tuniken aus Pantherfellen, die wundervoll über Rosatrikots aussahen, Kapots aus rosa Atlas mit Eulenflügeln, Ärmel in Gestalt apokalyptischer Tiere, Strümpfe, in deren Zwickel sich Darstellungen von Fetes galantes und sonderbare Zeichnungen befanden, und Jupons, die wie künstliche Blumen gearbeitet waren. Einige Herren trugen reizende purpurfarbene oder grüne Schnurrbarte, die mit vollendeter Kunst gedreht und gewichst waren, andere trugen große weiße Barte nach Art des heiligen Wilgeforte. Dann hatte Dorat ihnen außerordentliche Vignetten und Grotesken auf den Leib gemalt, an mancherlei Stellen: auf eine Stirne eine alte Frau, die von einem unverschämten Amor verfolgt wird, auf eine Schulter eine verliebte Affenszene, rund um eine Brust einen Kreis von Satyrn, um ein Handgelenk ein Kranz blasser, unschuldiger Kinder, auf einen Ellbogen ein Bukett Frühlingsblumen, quer über einen Rücken ein paar überraschende Mordgeschichten, in die Winkel eines Mundes kleine rote Flecke, auf einen Nacken eine Flucht Vögel, einen Papagei im Käfig, einen Zweig mit Früchten, einen Schmetterling, eine Spinne, einen betrunkenen Zwerg, oder einfach ein paar Initialen.« Man kann Beardsleys Zeichnungen nicht besser in ihrem Gegenständlichen beschreiben, als er es selber getan hat in seinem Kostümkapriccio »Venus und Tannhäuser«.

Ich sagte, daß Beardsley es liebte, das Geschlecht seiner menschlichen Figuren manchmal übermäßig zu betonen, oft wieder hermaphroditisch zu verwischen. Ein Selbstporträt in den »Posters in Miniature« gleicht etwa dem Bilde jener Mädchen mit kurzgeschnittenem Haar und steifer Hemdbrust, wie sie die Pariser Karikaturisten gerne verlachen. Doch an Karikatur darf man bei Beardsley nicht denken, denn er übertreibt nie äußerliche körperliche Eigentümlichkeiten zu einem lächerlichen, sondern psychische, wenn man will moralische, zu einem manchmal grotesken Effekt: es ist, wenn auch Geist, so doch nicht Witz und Komik in seiner Übertreibung, die zum Lachen reizte. Seine Typen sind in ihrer monumentalen Häßlichkeit oder Schönheit Erfindungen, Visionen des Wesentlichen, aber sie haben kein Modell in der kleinen deutlichen Wirklichkeit. Man könnte sie mit den Grotesken vergleichen, die Lionardo zeichnete. Beardsley mag manchmal satirisch sein, aber er ist es gewissermaßen auf eigene Faust; er trifft sich nicht mit Gemeingefühlen; er ist gar nicht sozial. Ja, er pointiert nicht einmal seine eigene Art, denn er besaß eine zu gute Haltung. Man kann so auch nicht von Absichten sprechen, die ihn veranlassen, der Eigentümlichkeit seiner Natur entsprechend sich das Gegenständliche seiner Zeichnungen zu wählen, so sehr ist dieses untrennbar von seiner Form. Absicht, Überlegung, Ordnung sind ihm nur bewußt in Hinsicht auf das Formale. Deshalb und noch einmal: welcher Art immer die technischen Einflüsse sind, denen er sich hingibt, – seine Originalität, was das Unbewußte, sein psychisches Verhalten angeht, bleibt davon ganz unberührt und bleibt sich gleich vom Anfang bis zum Ende seiner Kunst.

Man hat sie pervers genannt, weil man ja geneigt ist, alles mit diesem diffamierenden Beiwort auszuzeichnen, was die Sinnlichkeit nicht mit dem Gemüte genießt. Beardsley sieht, ganz unnaturalistisch, Zustände und Menschen von innen heraus; das nimmt alles das Gewand der intensiv erkannten Seelen an, die den Körper deformieren. Da wird die Sünde schön und eine Tugend, weil sie groß und herrschend ist, da wird die kleine Sünde, die sich mit der kleinen Tugend um den Vorrang in einem Individuum streitet, zur widerlichen Häßlichkeit. Die Gottheit bestätigt sich irdisch in der Kraft, mag diese zum Bösen oder Guten treiben. Satan ist fromm, und der Heilige ist fromm. Möglich, daß sich Beardsley mehr jene Frömmigkeit verdeutlicht hat, die sich ihren Glauben aus der Sünde bestätigt, wie es nicht nur einmal gnostische Sekten taten, sondern wie es immer wieder geschieht und geschehen muß. Lorenzetti malte in den Fresken des Campo Santo zu Pisa die Sünderinnen der Hölle im blühendsten Fleische, Akte von fast Renoirscher Art. Beardsley ist katholischer: er zeichnet in der Messalina ein Weib von fünfzig Jahren, deren Formen in Fett verloren, deren Augen klein und hektisch, deren dicke Lippen – fast das einzig Sichtbare in dem Gesicht – fest geschlossen und deren Beine sicher voll der blauvioletten Flecken von gesprungenen Venen sind. Er steigerte so das Fleischliche zum Intellektuellen, und dieses allein ist die Sünde. In dem Zeichner dieser Blätter suchte eine Kritik, die ohne Verhältnis zur Kunst, diese nur nützt, um sie auf eine vulgäre Moral zu prüfen, ein schamloses Leben. Beardsleys Freunde haben über sein Menschentum nicht geschwiegen, ich glaube auch, nichts verschwiegen, wohl weil sie keinen Anlaß dazu hatten. Er wird beschrieben als stolz und von sich selbst überzeugt, was ihn nicht hinderte, mit großer Verehrung von dem zu sprechen, was er liebte. Er war trotz seiner Soziabilität menschenscheu; es fehlte ihm das Bedürfnis nach Mitteilung, was man oft bei Menschen findet, deren Intellekt starke Neigung zur Abstraktion zeigt. Doch verschloß er sich nie dem Leben, an das er mit vielen Interessen verknüpft war. Er kleidete sich wie ein Elegant und fand die sichtbaren äußeren Zeichen des Künstlertums, deren Pose, lächerlich; für Worte wie Inspiration hatte er nur Verachtung. Als einer ihn fragte, ob er Visionen habe, gab er die Antwort: Ich gestatte mir so etwas nur auf dem Papier. Keiner hat ihn je bei der Arbeit gesehen, die er am liebsten des Abends bei Kerzenlicht tat. Kam ein Besuch, so legte er alles beiseite, und nie hörte man ihn mit der Miene eines Geschäftigen sagen, daß er keine Zeit habe. Seine Krankheit ertrug er heldenhaft; in seinen Briefen treibt er beinahe Scherz mit ihr. Von seinen drei Gedichten und seinem Prosakapriccio hielt er viel, wie er es überhaupt liebte, sich als Homme des lettres vorzustellen. Er hatte viele Pläne dieser Art, wie einen Aufsatz über Rousseau, einen anderen über die Liaisons dangereuses zu schreiben. Den Sinn für die lebende Natur, für die Landschaft hat man Beardsley abgesprochen. Ihm eigentümlich verwendet er sie nur im Ornament aus Blumen- und Fruchtmotiven. Zum Landschaftlichen benutzte er einfach Claude und Watteau, in einer Zeichnungsart, die an Gobelins erinnert. Keine Spur einer grotesken Behandlung der Landschaft ist zu finden.

Eine Entwicklungslinie der bildenden Künste anzunehmen, ist nicht durchaus und deshalb abzuweisen, weil wir kein Ziel bestimmen können, nach dem diese Entwicklung tendierte. Aber man könnte ja in der Formung, die dem Ganzen dieser Kunst jeweils der einzelne Künstler gibt, ein Ziel schon sehen, das durchaus befriedigt; anders müßte ja alles immer nur ein Versuch bleiben, und müßte der zeitlich spätere geglückter sein als der zeitlich frühere, was ja nicht der Fall ist. Sind wir vor das ganze Werk eines Künstlers gestellt, so werden wir immer ein Fehlendes finden, das die Kritik ergänzt, womit nicht Kritisieren gemeint ist. Die Kritik erst vollendet das Werk. Übertragen gesprochen ist das Werk wie in der Musik ein Septakkord, der eine Auflösung verlangt: die Kritik gibt diese Auflösung. Der Künstler aber übernimmt das Werk des ihm Nahen, und dessen fehlenden Ton er spürt: er gibt in seinem Werk diesen fehlenden Ton, um auch seinerseits einen Ton auszulassen: Auch sein Werk wird ein Ganzes, ein Akkord sein, doch nie ein Dreiklang mit dem Oberton der Oktave. In einem anderen Bild gesprochen: Der Künstler baut sein Werk von innen heraus und schließt es in einen Ring und schließt es doch nicht, denn er muß eine engste Öffnung lassen, um aus dem Ringe selber heraus zum nächsten Werke zu kommen. Je unsichtbarer diese vorhandene Öffnung des Ringes, desto stärker wird der Eindruck der Vollendung sein, also daß wir von einem geschlossenen Kunstwerk reden. Was dann die Unkünstlerischen, die Virtuosen und ähnlichen merken, aber nicht als Bedingung wissen: daß ein Ring ist, aber auch eine feinste Öffnung des Ringes. Diese bilden nicht von innen, sondern von außen, wo sie immer nur stehen und daher den Ring ganz schließen können, welche gefälschte und falsche Fügung alle jene Beschauer erfreut, die nicht imstande sind, von sich aus eine Schließung des Ringes zu schaffen oder den ausgelassenen Ton in sich zum Erklingen zu bringen: mit einem Worte – die künstlerisch nicht Bereiteten. Wir hatten Maler, deren reicher Akkord mehr als eine Auflösungsmöglichkeit in sich trug, und dessen künstlerische Variation bis auf heute gewaltig ist. Man denke an Tizian und seine drei Schüler: Tintoretto, Greco, Schiavone. An Rubens und seine Folge bis auf Renoir, an Rembrandt und seine Folge bis auf Vincent van Gogh. Was man in England die Präraffaeliten nannte, war eine Bewegung außerhalb der Malerei – der Zusammenhang mit ihr war nur zufällig; für Whistler und den Radierer Brangwyn brauchten sie nicht gewesen zu sein. Ihre Ergebnisse liegen auf dekorativem Gebiet, bei den Bemühungen William Morris', dessen Anregungen weiterwirken bei Beardsley, der künstlerisch ein Ende bedeutet, aber den allgemeinen Geschmack sicher damit gefördert hat, daß er das lineare Gebilde zu subtilstem und intensivstem Ausdruck gesteigert hat.


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