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Parma Zodiacci Mirabilis

Es hat mich schon des öfteren erstaunt, daß man ein kleines Werk des Erasmus von Rotterdam kaum erwähnt, das den Titel führt: Parma Zodiacci Mirabilis. Die meisten, die es gelesen haben könnten, kennen es nicht. Andere wieder finden, es sei nichts Besonderes daran. Nenne ich ihnen dieses oder jenes daraus, vermögen sie sich nicht zu erinnern. Sodaß mich Zweifel beschleichen, ob sie die Parma auch wirklich gelesen haben. Einige zur Lektüre zu ermuntern, will ich nach der Ausgabe Paris 1690 einiges hersetzen, wobei ich bemerke, daß ich mich in der Übertragung an den Modus eines Freundes halte, der bei einem entsprechenden Anlaß aus dem Canticus Canticorum den Satz zitierte: Quae est ista, quae progreditur ut luna? und gleich also übertrug: Wer ist diese junge Person, die auf uns zukommt und deren Gesichtszüge keine besondere Intelligenz verraten?

Also in der Parma Zodiacci Mirabilis steht zum Exempel dieses:

Auf dem westlichen Himmel gondelt eine helle Wolke, fliegt, ein Flügel, gegen Süden hin, und die Sonne winkt Adieu mit ihrer Hand. An der Spitze jedes Zweiges ein goldnes Blatt, ein einziges, ein Dukaten. Und alle diese toten Vögel, Flammen aus Blut, leuchtend entzündet auf den roten Kandelabern der Bäume. Die Wiese breitet eine smaragdene Schale unter dem Himmel, den bald niedersinkenden Abend darin aufzufangen.

Drüben, wo das Grummet liegt, spannen die Kinder Bogen, und die gleiche Lust strafft Sehne und Bogen, und die horngespitzten Pfeile zerschmelzen im Licht. Der weiße Hund ihnen nach, hin und her, hin und zurück, immer im Lauf. Seine schwarzen Negeraugen fragen, sein halboffnes Maul will was reden, und die Trompete seines Schweifes tönt heroischen Vers. Unter dem starken Himmel und auf dem grünen Grummet ist blau der weiße Hund, ganz blau.

Da tritt aus seinem Turm der alte Gelehrte. Man führt ihn zu seinem Wagen. Es sieht sein Gesicht aus wie eine Pomeranze aus Wolle. Und er hat Angst vor dem guten blauen Hund. Er sagt zu seinen Begleitern: »Der schwarze Hund ist tollwütig. Man sollte ihn erschießen.«

Acht schwarze, schweigende Klosterschüler mit ihrem Präfekten treten durch das Tor in den Park. Der gute Hund jagt hinter zwei Mädchen her, und eines fällt lachend ins Gras, und die weiße Wolke der Wäsche hebt sich für eine ganz kurze Weile, daß blaues Rosa leuchtet. Da sagt der Präfekt: »Der rote Hund da ...«, und er biegt mit seinen achten in eine Seitenallee.

Ein dicker Mann wischt sich den Schweiß von der Stirn und grinst: »Der braune Hund versteht es, mit Frauen umzugehen.«

Nun breitet sich auf der Wiese der Schatten aus zu einem See, und es ist Zeit, daß wir ins Haus gehen, wir beide, ich und mein Hund. Ich pfeife. »Da herein, guter Hund! Komm' herein, Wahrheit!«

An einer anderen Stelle macht Erasmus Betrachtungen über den Satz in Martin Luthers Colloquia: »Sathan proprior nobis est quam ullus credere possit. Haec non sunt vana et insania terriculamenta.« Und erzählt die Geschichte eines Bischofs, der in Zweifel und Unglauben verfiel, gar schrecklich darunter litt und keinen anderen Ausweg mehr wußte, als sich dem Teufel zu verschreiben. Er zitierte den Bösen und schloß mit ihm einen Pakt, wonach er ihm nach seinem Tode seine Seele überlasse dafür, daß er ihm gewähre, in diesem Leben ein ordentlicher, gläubiger Christenmensch und Seelsorger zu sein. Und der Pakt kam zustande. Hinfort war der Bischof frei von allen Zweifeln, verrichtete seine Pflichten frohen Gemütes und wurde als ein heiliger Mann verehrt, so fromm und gottergeben war sein Lebenswandel und so reich an Güte und werktätiger Liebe. Als er aber ins Alter kam, und die Zeit seines Sterbens näher rückte, da faßte ihn große Angst, daß nun der Teufel warte und seine Seele zur Hölle führe. Und so lag er auf seinem Sterbebette, und vergeblich suchten die Umstehenden den Greis zu beruhigen, die nicht wissen konnten, worum seine große Not ging. Sie sagten ihm, wie er doch so ein gottgefälliges Leben geführt habe, daß er vor dem Gericht nicht Angst zu haben brauche. Und wie es mitten in der Nacht und der Sterbende für eine Weile allein war, da ergab er sich in Demut dem Willen Gottes, und alle Angst war von ihm gewichen, als der Teufel vor ihm stand. Aber er sah ihn in einem hellen Glanze, und als er die Augen auftat, siehe, da war es nicht Satan, der vor ihm stand, sondern Christus der Herr selber, der zu ihm sprach: »Ich war es, der die Gestalt des Bösen damals annahm, als du ihn in deiner großen Verzweiflung beschworest.« Und der Herr zog den Bischof an seine Brust und nahm ihn auf in sein ewiges Reich.

Erasmus unterbricht öfters den Ablauf dieser Erzählung mit theologischen Untersuchungen und Kontroversen, weshalb ich auf eine wörtliche Übertragung verzichtete und bloß den Inhalt der Legende gab, die mir tief genug zu sein scheint, als daß sie noch gelehrte Gewichte brauchte, sie in die Tiefe zu ziehen. Aber es steht da noch ein sehr erstaunlicher Schluß, der das Ganze der kleinen Geschichte ins Große weitert. Dieses nämlich.

Es war aber dieses geschehen, damals in jener dunkeln Stunde der Verzweiflung, daß dem Bischof der Christus in der Gestalt des Teufels erschienen war und den Vertrag mit ihm geschlossen hatte. O Lazarus, Lazarus, wer war es, der dich aus der gütigen Nacht erweckte zum grausamen Tag? Wer war es, der dir das weiße Linnen nahm und dir wieder den Flickenrock, den armseligen des Lebens, um die gereinigten Glieder legte? O Lazarus, wer war es, der dir wieder das einerlei Werkzeug in die reine Hand drückte, um sie schwielig zu machen aufs neue mit der Beschwernis dieses irdischen Lebens? O Auferstandener zum Wiederleben, war es Christus, der dich rief? War es Satan in der Gestalt des Herrn? Morgenfrühe, grüne Schwester du des Lazarus, du goldenes Ei im Neste des braunen Landes, welchen bösen Geistes Opfer bist du, ewig Wiederkehrende an jedem Tage? Morgenfrühe, grünliche Verwesung des schwarzen Hauptes, zitterndes Herz im Schatten, Schwester des Lazarus, die du aus dem Abgrund immer wiederkehren mußt, schwanger von ihm und mich schwängernd mit deiner Traurigkeit – welcher Dämon ruft dich? O Morgenfrühe, blasse Mutter des Tages, kleine Knospe des Lichtes!

Des Mannes, der im Lobe der Narrheit das Gesetz von der Notwendigkeit der Illusion entdeckt hat, ist dieses kleine Buch Parma Mirabilis nicht unwürdig.


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