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Gilles de Rais

Als Gilles de Rais, Marschall von Frankreich und Herr von vielen Seelen, neunundzwanzig Jahre alt geworden war, legte er sein Schwert hin, und war doch noch lange nicht aller Lorbeer von den Bäumen geschnitten, denn ein Krieg fand nur im Beginn eines andern sein Ende, und von des Gilles Tapferkeit berichten alle Chronisten, von ihr und vielem sonst Erstaunlichen seiner Lebensweise. Denn er hatte seine eigenen Soldaten, seine Priester mit einem von ihm ernannten Bischof, dem Francesco Prelati, den er sich aus Italien holte, um einen zu haben, mit dem er lateinisch sprechen konnte, und er ließ vor dem Volke ein mächtiges Theater spielen, mit fünfhundert Akteuren, und war sein eigener Dichter, und spielte selber die Rolle des Gilles de Rais. Er verschwendete was er besaß. Und als ein königliches Dekret dem Verkauf seiner letzten Sitze Einhalt tat, ging er auf sein Schloß Tiffanges, schrieb alte Handschriften ab für seine Bibliothek, wie des Ovid Metamorphosen, für die er einen Einband fertigte aus weißem Saffian mit silbernen Ecken und einem silbernen Kreuz auf dem Rücken. Niemand war bei ihm als Francesco, mit dem er lateinisch von den Geheimnissen sprach.

Gilles: Sieh, Franciscus, ich habe mein Weib hin weggeschickt, auf daß sie dem Suchen meiner Seele nicht im Wege sei; es wäre sonst sicher ein Tag gekommen, daß ich sie hätte anders von mir entfernen müssen. Früh habe ich mit den Frauen begonnen, und dieses wohl wird es sein, das mir die Erkenntnis brachte, daß wir, die Liebe suchend, immer irren, denn immer treffen wir zu rasch die Antwort, die sich unserem Suchen als das Weib in den Weg stellt. Wir vergessen und versinken in der Lust und tragen nachher am Hasse schwer, weil wir doch nicht ganz vergaßen, nicht ganz versanken.

Franciscus: Die Liebe ist ein Unvollkommenes, o Gilles.

Gilles: Aber Gott ist in uns und sein Sinn geht auf das Vollkommene. Gott lebt in uns, und was wir mit Händen, Zähnen, Lippen und allen Teilen unseres Leibes tun, ist das Regen Gottes, der sich in das Gefängnis unseres Leibes geschlossen. Wir aber sind voll Verzweiflung, weil unsere Lippen bloß das Blut lecken, unsere Ohren nur das Schreien der Sinne vernehmen, wir aber den Sinn nicht erkennen, nach dem unser unseliges Verlangen steht für und für. Warum ist unsere Ohnmacht so groß, und unsere Macht so klein, o Franciscus?«

Franciscus: Weil sich Gott, der in uns ist, unser schämt, daß wir nicht die Schönheit lieben, sondern das Weib. So wird uns die Liebe zur Quelle alles Schmerzes und zu einem verdammten Paradies, o Gilles.

Gilles: Ich stiege in eine Hölle, um meine Liebe zu retten, ich willigte in meinen ewigen Tod, um meine Liebe vom Tode zu retten.

Franciscus: Du mußt den Sünder sich zum Könige krönen lassen mit seinen eigenen Händen, o Gilles, daß anders er nicht die größte Sünde begeht, als welche ist, daß der Mensch sich selber Gott glaubt.

Gilles: Ich will Gott an dieser Welt rächen. Auf daß er allein sei, o Franciscus, wieder allein wie zum Anbeginne.

Franciscus: Gott verneinte die Welt vom Anbeginne, denn er wußte um die Ursache. Als er die Welt schuf, tat er nichts als dieses: er maß seinen Raum in der Unendlichkeit, bestimmte im Leeren die Weite. Er war Schöpfer auf eigene Kosten. Er war Kraft und Opfer dieser Kraft. Wir aber parodieren ihn unwissend, indem sich in uns die Folgen seines ersten Tuns begeben. Und Gott verneint uns lächelnd, o Gilles. – –

– – Das war nicht die Furcht vor Krieg, die das Volk der Bretagne so erregte, denn in sieben Jahren war es mit diesen Schrecken vertraut geworden. Es war auch nicht die Angst vor der Pest und dem großen Sterben und stand kein feuriges Schwert und keine flammende Rute am Himmel. Es war aber der Schrecken so groß, weil man ihn nicht messen konnte und weil davor aller Sinn und Trost versagte. Manche sprachen von einem Vampyr, der aber solche Gestalt angenommen habe, daß er nicht mehr auf das letzte Gebet des Opfers warten konnte. Hier war er heute, und dort, weit weg, morgen. Monate vergingen, daß man nichts von ihm merkte, bis er plötzlich wieder von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf ging: er war da! er war wieder da! Denn wieder weinte eine Mutter über ihr Kind. Von sechs zu achtzehn waren die Mädchen und Knaben alt, die verschwanden, als hätte sie die Erde verschlungen. Erst dachte man an einen Unfall, glaubte man, die kleine Marion sei in einen der tiefen Brunnen oder der kleine Jean sei von der Höhe eines steinigen Ufers ins Meer gefallen und ertrunken. Dann erst kam dieser große Schrecken, von dem die Chronisten berichten, als man sah, daß kein Haus der Gegend sicher war, daß kein Zufall den Schlag führte, daß er jeden treffen konnte. Man glaubte, der Teufel sei in Gestalt eines schrecklichen unsichtbaren Tieres auf die Erde gekommen, die Sündigen an ihren unschuldigen Kindern zu strafen. Dies dauerte Jahre. Acht Jahre währte dieser Schrecken, und Hunderte von Kindern waren verschwunden, und keines von ihnen war wiedergekommen, zu erzählen. Da nahmen es Leute, die auf den Landstraßen leben, immer häufiger wahr, daß, so oft es geschah, in der Gegend einer von Gilles Leuten sich aufgehalten hatte, den einäugigen Eustache Blanchet sah man oder Henricot Griart, den Stammler, oder Gilles de Sillé, der mit keinem Mädchen zu tun haben wollte, oder den mächtigen Trinker Hugues de Bremont, oder Etienne Carillaut mit der schönen Singstimme, oder Bobin Romulat, den »schönen Robin«, dem die linke Backe fehlte, oder die Hexe Maffraye. Das waren Abenteurer, Dichter, Priester aus Gilles geistlichem Hofstaat, vom Galgen geschnittene Soldaten. Nur den Gilles selber sah man nie. Der blieb auf Tiffanges oder Machecoul, wohin man die Kinder brachte. Sie wurden mit Speise und Spiel ergötzt, köstlich gekleidet, bis die Zeit für sie gekommen war, daß Gilles sie tötete; mit dem Dolche tat er es und langsam, saß bei den Knaben. Die schönsten Leichen küßte er und konnte sich von ihnen kaum trennen.

Gilles: Es ist gottschauende Seligkeit, o Franciscus. Durch das Böse errungen, so wunderbar sind die Wege des Herrn.

Franciscus: Wir wollen ihn loben. – –

– – Im Juli 1440 erließ der Bischof der grauen Stadt Nantes eine Infamerklärung gegen Gilles de Rais. Im September des Jahres erschienen die Bewaffneten des Bischofs vor Machecoul, wo Gilles gerade hauste, um ihn zu fangen. Er ergab sich lächelnd, obschon es ihm leicht gewesen wäre, auf dem festen Kastell mit seinen Leuten Widerstand zu leisten. Er wurde nach Nantes auf die Tour neuve gebracht und das geistliche Gericht machte ihm den Prozeß wegen Teufelsverehrung, schwarzer Kunst, vielfachem Mord und Unnatur. Gilles erschien vor dem Gericht in Weiß, Gold und Scharlach angetan und auf der Brust unter seinem tiefschwarzen Bart hing eine heilige Reliquie. Viermal weist er den viermal verlangten Eid seiner Unschuld zurück und beteuert, immer ein guter Katholik gewesen zu sein und auch jetzt noch zu sein. Und sagt den Richtern, daß er sich lieber wie ein Ehrloser hängen lasse als vor ihnen etwas auszusagen oder gar sich zu verteidigen; er verlangt ein weltliches Gericht, kein geistliches, denn er habe nichts gegen Gott getan. Erst da man ihn exkommuniziert, ändert er seine Haltung: er anerkennt das Gericht, gesteht die Morde und bittet, die Exkommunikation zu widerrufen, was auch geschieht. Die Richter waren aber mit dem allgemeinen Geständnis nicht zufrieden: gute Leute einer derben Zeit waren sie Freunde starker Dinge, wovon ihnen das Quälen dieses Menschen nicht das geringste war. Gilles sagt auf der Folter, was man von ihm nur will, aus Ekel vor der Gemeinheit. Als er von Franciscus Abschied nimmt, sagt er ihm: Gott mit dir, Franciscus, wir werden uns in dieser Welt nicht mehr wiedersehen, aber in drei Tagen werden wir der Freuden des Paradieses teilhaftig sein. Dann sprach er noch dreimal zu den Müttern und Vätern. Den Franciscus verbrannte die Inquisition, den Gilles de Rais das Hochgericht.

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Was sich da mit Gilles de Rais begab im Abspiel seines äußeren Lebens ist mannigfach erzählbar und auf jede Weise erzählt doch müßig, wenn es das Wesentliche nicht bedenkt und sich dieses immer wieder zu sagenden nicht bewußt ist: der Mensch ist die Geste einer Idee. Man vergißt das und ganze Zeiten vergessen es und suchen im Eingeweide Grund und Ursache für des Menschen wesentliche Äußerung: in der besondern Leber des Dichters sein Dichten, in den Nieren des Tapferen seine Tapferkeit, in der Lunge des Frommen seinen Glauben. Es erübrigt sich leicht, zu sagen, wie dieser Gilles erklärt wird, denn es steht jeden Tag in einer Zeitung. Ich habe dieses Beispiel mit Absicht so im Äußersten gewählt, dort, wo der Widerwille gegen die Scheußlichkeit des Mörders gerne alle Besinnung ausschaltet, um mir den Beweis dafür nicht leicht zu machen, daß der Mensch die Geste einer Idee ist. Denn nicht ist der Gedanke das Gift der Tat, sondern der Zweifel an dem Gedanken, und nicht ist der Gedanke die schwarze Schwalbe vor dem Herzen des Sonnenunterganges, sondern der Zweifel an dem Gedanken. Dieser Gilles war ganz von tiefer Inbrunst zu Gott erfaßt. Gott war wahrhaftig in ihm und führte das Messer. Gilles wollte Gott von der Welt erlösen, wollte ihn davon befreien, wollte die Ironie aufheben, die seine Gläubigkeit nicht vertrug, daß der unendliche Gott sich in seiner Schöpfung ein Maß gab: der Zeitlose sich in die Zeit, der Raumlose sich in den Raum gefangen gab. Kann man tiefer, deutlicher sehen, wie der Mensch die Geste einer Idee ist als an diesem Beispiele, da der vielfache Mörder sagen mußte: ich tat nichts gegen Gott –? Wahrhaft, er tat alles für ihn. Er tat das Scheußlichste für ihn. Man wende nichts ein. Denn wie wir Gott auch immer verehren, ob wir Herr! Herr! zu ihm sagen, ob wir ihn in der Hostie zu uns bringen, immer begehen wir eine Blasphemie. In Gott ist auch das Böse eingeschlossen und heischt Verehrung.

1901.


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