Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III

Die Jahre vergingen, ohne grosse Veränderungen in Siña Tonas gleichförmiges Leben zu bringen.

Aus dem Rektor war ein tüchtiger Seemann geworden, vierschrötig, bedächtig und tapfer bei Gefahren. Als rechte Hand des alten Borrasca verdiente er gut und konnte seiner Mutter jeden Monat vier bis fünf Duros in Verwahrung geben.

Anders Tonet, der nicht vorwärts kam. Zwischen ihm und seiner Mutter herrschte ein ewiger Streit. Ständig suchte sie nach neuer Beschäftigung für ihn, weil er es in keiner Stellung aushielt. Eine Zeitlang ging er in die Lehre bei einem Schuhmacher, flog aber an die Luft, da er die Arbeitsstunden nach Gutdünken innehielt; dann segelte er fast fünf Monate als Schiffsjunge, bis der Patron es satt bekam, ihn zu verdreschen, ohne sich Gehorsam verschaffen zu können. Hierauf hatte er die Absicht, Böttcher zu werden, – nach seiner Meinung der sicherste Beruf – doch der Meister setzte ihn nach kurzer Zeit wegen Frechheit vor die Tür. Schliesslich trat er, siebzehn Jahre alt, in eine Rotte Stauer ein, mit denen er zwei Tage in der Woche arbeitete – auch diese beiden Male äusserst ungern.

Nichtsdestoweniger vergass Siña Tona Umherstrolchen und üble Gewohnheiten, wenn sie ihn Sonntags zärtlich musterte: die gute, seidene Mütze über dem braunen Gesicht mit der Andeutung eines Schnurrbarts, eine knappe blaue Leinwandjacke, in der die schlanke Figur so gut zur Geltung kam, und um die Taille eine rote Binde, ebenso grell wie die schwarz und grünen Karos seines Flanellhemdes.

Konnte sie nicht stolz sein auf diesen hübschen Jungen? Und wie sich die jungen Mädchen von Cabañal um ihn rissen! …

Sie wusste von all seinen Abenteuern, und ihrem Mutterherzen taten diese Erfolge wohl. Schade nur, dass er nicht von dem verfluchten Schnaps loskam! Aber auch so war er durch und durch ein Mann, ganz anders als sein phlegmatischer Bruder, den ein Wagen überfahren konnte, ohne dass er muckste! …

Schliesslich warf der liebliche Tonet an einem Sonntag Abend in der Kneipe »Zu den guten Sitten« – der Name entsprach wenig den Tatsachen – einigen Stauern, die billiger als seine Rotte arbeiteten, Gläser und Flaschen an den Kopf, und als die Gendarmen eintraten, um Ruhe zu stiften, überraschten sie ihn, wie er mit dem blanken Messer in der Faust seine Gegner zwischen den Tischen verfolgte.

Länger als eine Woche sass er fest, bis die Fürsprache seines Onkels Mariano, der bei den Wahlen einen grossen Einfluss ausübte, es fertig brachte, ihn herauszuholen.

Leider war die Wirkung dieser Haft so gering, dass er noch am Tage seiner Freilassung das Messer gegen zwei englische Matrosen zog, mit denen er sich erst anbiederte, um sich auf ihre Kosten betrinken zu können.

Übrigens hatte er auch eine ernsthafte Liebschaft, verknüpft mit einer gewissen Intimität, die in der Meinung des Dorfes den Vorgeschmack einer Ehe besass. Seiner Mutter passten diese Beziehungen nicht. Sie wollte keine Prinzessin für ihren Tonet, aber die Tochter des Kutschers Paella erschien ihr doch zu minderwertig. Dolores, ohne Zweifel das hübscheste Mädchen in Cabañal, war frech wie ein Affe und fraglos fähig, der armen Schwiegermutter das Leben sehr schwer zu machen.

Wie konnte sie auch anders sein? … Ohne Mutter aufgewachsen neben diesem Trunkenbold Paella, der noch vormittags, wenn er sein Pferd anschirrte, torkelte!

Seine ganze Kundschaft wohnte im Hafenviertel von Valencia. Lief ein englisches Schiff ein, so bot dieser schamlose Kerl den Matrosen an, sie nach den »Häusern« fahren zu wollen, und in den Sommernächten packte er auf seinen Wagen junge Damen, in weissen Morgenröcken, mit Blumen im Haar – die er zu seinen Gönnern in die Strandlokale führte, wo bis zum Morgengrauen wilde Orgien gefeiert wurden. Derweile soff er, ohne die Peitsche aus der Hand zu legen, an einem Nebentisch für sich allein, dabei mit väterlichem Wohlwollen nach seinen »Schäfchen« blinzelnd.

Er dachte nicht daran, sich vor seiner Tochter in acht zu nehmen, sondern gebrauchte ihr gegenüber dieselben Ausdrücke wie bei seinen Kundinnen. Der Wein machte ihn geschwätzig, und die kleine Dolores, die ganz still in einer Ecke kauerte, immer auf der Hut vor den rohen Fusstritten ihres Vaters, lauschte mit weit geöffneten Augen, lüsterne Neugier im Gesicht, seinen brutalen Selbstgesprächen, in denen er noch einmal die ganzen Schweinereien durchnahm, deren Zeuge er gewesen war.

So wuchs Dolores auf. Und wenn sie nicht ganz verkam, dankte sie es der Fürsorge einiger besorgter Nachbarinnen. Doch auch so trieb sie es arg genug mit Tonet, der sich bei Paella völlig zu Hause fühlte. Jeden Abend ass er bei Dolores und blieb bis spät in die Nacht, da der Kutscher erst frühmorgens heimkehrte. Häufig durchsuchte sie die Taschen ihres Vaters, liebevoll bedacht, Tonet etwas zuzustecken. Merkte dann der alte Säufer seinen Verlust, so hörte die ganze Strasse eine Litanei von Verwünschungen gegen seine Kneipbrüder, diese falschen Freunde, die seine »Stimmung« in der Taverne ausnützten, um ihm die Pesetas zu stehlen.

Siña Tona aber sass einsam hinter ihrem Ladentisch, ohne andere Gesellschaft als die des kleinen blonden Mädchens, dessen sprechende Ähnlichkeit mit dem Lump von Martinez – hoffentlich hatte ihn schon der Teufel geholt! – sie peinlich berührte.

Wirklich, der liebe Gott beschützte die guten Menschen nur zeitweise! … Das Geschäft blühte nicht mehr wie in den ersten Jahren. Auch andere abgetakelte Barken am Strande waren in Schenken umgewandelt worden, so dass die Fischer wählen konnten, und seit Siña Tona merklich alterte, zeigten sie weniger Verlangen, ihr den Hof zu machen.

Wohl konnte sie noch mit einigen treuen Stammgästen rechnen, doch der Verdienst reichte gerade zum Leben. Und manches Mal betrachtete Tona melancholisch von fern ihre weisse Bark, den kalten Herd, den verfallenen Zaun, hinter dem kein Schwein mehr das Schlachtfest erwartete, und das halbe Dutzend, magerer Hühner, die lustlos im Sande pickten.

Langsam, freudlos kroch die Zeit für sie dahin, unterbrochen nur durch Tonets Teufeleien oder trübe Betrachtungen vor dem Bilde des Señor Martinez, das sie mit einem gewissen grausamen Raffinement in ihrer Kabine hängen liess.

Dem blonden Mädchen, das dank diesem losen Zollwächter in die Barke geschneit war, zeigte die Mutter wenig Liebe.

Scheu und misstrauisch, lag die kleine Roseta am liebsten allein im Sande, wo sie stundenlang wie hypnotisiert Himmel und Meer betrachtete, während der Wind mit ihren weichen Locken spielte und unter dem verwaschenen Röckchen ein Paar schneeweisse Beinchen enthüllte, deren Waden die sengenden Sonnenstrahlen rot gebrannt hatten.

»Wie das Holz, so der Span!« seufzte die Mutter, »auch der Luftikus von ihrem Vater taugte nur dazu, blöde den Horizont anzustieren und mit offenen Augen zu träumen.«

In der Schenke war Roseta zu nichts nutz. Beim Spülen zerbrachen ihr Gläser und Teller; stand sie am Herd, so liess sie unweigerlich den Fisch anbrennen. Ab und zu beherrschte sie ein leidenschaftliches Verlangen zu lernen, dann wieder schwänzte sie tagelang den Unterricht und lag von morgens bis abends am Strande.

Nur im Sommer half sie ein wenig, denn da gab es eine Beschäftigung, die ihrem Hang, ziellos umherzuschweifen, entsprach. Einen riesigen Henkelkrug am Arm, ging sie den Badestrand entlang, drängte sich keck zwischen die Equipagen und rief mit ihrem hohen Stimmchen: »Frisches, kaltes Trinkwasser!« Manchmal bot sie auch Cakes feil, kurz und sachlich: »Salzige und Süsse!« Immerhin erhellten die paar Reales, die dieser kleine Handel einbrachte, vorübergehend die trübe Miene Siña Tonas.

Ein sonderbares Kind, diese Roseta! Von allen Menschen in Cabañal hielt sie sich fern, empfing gleichmütig die Schläge ihrer Mutter, hasste Tonet, für den sie Luft war, und lächelte mit ihren verträumten Augen nur, wenn der Rektor sie Sonntags freundschaftlich an den Locken zupfte. Den Taugenichtsen am Strande aber, die gern mit ihr angebändelt hätten, zeigte sie die hochmütige Miene einer kleinen Königin.

Schliesslich kümmerte sich Tona überhaupt nicht mehr um das Mädchen, und ihre Gedanken wanderten an den trostlosen, langen Winterabenden zur Tochter des Kutschers, die es sich vorgenommen zu haben schien, der Mutter beide Söhne zu entfremden. Tonet allein genügte dieser »Verworfenen« wohl nicht mehr, denn auch der Rektor verbrachte jetzt seine ganze freie Zeit in ihrem Hause.

Aber mehr noch als der Einfluss des Mädchens auf ihre Söhne erbitterte sie das Scheitern eines seit langem gehegten Lieblingsplans: Tonets Heirat mit Rosario, der Tochter einer alten Freundin. Gewiss, an Schönheit konnte sie sich nicht mit Dolores messen; dafür lobte Siña Tona über die Massen ihr gutes Herz, verschwieg jedoch das für sie Wesentlichste, dass nämlich Rosario ein hübsches Vermögen besass, – wenigstens drei- bis viertausend Duros – das ihre Eltern, Ladenbesitzer in Cabañal, ihr hinterlassen hatten.

Und wie die Ärmste den Tonet liebte! Traf sie ihn auf der Strasse, so begrüsste ihn ein glückstrahlendes Lächeln, und ganze Nachmittage verplauderte sie in der Bootskneipe, nur um mit der Mutter des kecken Schlingels, der das ganze Dorf in Atem hielt, zusammen zu sein.

Doch von dem Jungen liess sich nichts Gutes mehr erwarten. Nicht einmal Dolores, die ihn vollkommen beherrschte, gelang es, ihn zu bändigen, wenn sein Koller ihn fasste. Unversehens verschwand er dann ganze Wochen, und erst später erfuhr man durch andere von seinen Streichen in der Stadt: bei Tage schlief er in einem der »Häuser« des Hafenviertels, verprügelte die abgebrühten Damen, falls sie ihm ihre Gastfreundschaft kündigten, und verschleuderte nachts in wüsten Saufereien alles, was er in den elenden Spielhöllen des Viertels gewann.

Bei einer dieser Bummelfahrten beging er eine Dummheit, die seiner Mutter viele, viele Tränen kostete. Mit zweien seiner Intimsten liess er sich für die Kriegsmarine anwerben, weil das Leben in Cabañal, wie er sagte, ihn anekelte und der Wein in den Tavernen immer fader schmeckte.

Drei Wochen später verabschiedete sich dieser Teufelsbraten, schmucker als je in seiner blauen Uniform und weissen Mütze, um nach dem Hafen von Cartagena zu fahren, wo sein Schiff vor Anker lag.

»Geh mit Gott!« Wie sehr seine Mutter ihn auch liebte – heimlich gestand sie sich doch ein, dass ihr Leben jetzt um vieles friedlicher verlaufen würde. Nur die arme Rosario erweckte ihr Mitleid. Alle paar Tage kam sie mit ihrer Näharbeit und erkundigte sich schüchtern, aber mit einer Stimme, die ihre innere Erregung verriet, nach Neuigkeiten von dem Matrosen.

Welche Aufregung, wenn auf den feuchten Schanktisch ein dürftiges Kuvert fiel, das in ungelenken Buchstaben die komplizierte Adresse trug: für Siña Tona, die von der Strandkneipe neben dem Ochsenhaus in Cabañal …

Solch ein Brief schien einen seltenen Hauch mit sich zu bringen, der von tropischer Vegetation, stürmischen Meeren, leuchtenden Küsten und einem feurigen Himmel erzählte. Immer wieder lasen die Frauen die vier Seiten, träumten von unbekannten Ländern, sahen im Geiste Neger von Havanna, Chinesen von den Philippinen und die modernen Hafenstädte Südamerikas.

»Dieser Junge!« meinte die Mutter. »Was wird er bei seiner Rückkehr nicht alles erzählen können! Vielleicht ist es doch das Beste für ihn gewesen.«

Und von der alten Vorliebe für ihren jüngeren Sohn erfasst, dachte sie mit einer gewissen Erbitterung, dass Tonet, dieser »helle Kopf«, der strengen Disziplin an Bord unterworfen war, während der Rektor, der »beschränkte Phlegmatikus«, bereits zu den ersten Leuten in der Fischerei zählte.

Er machte jetzt halbpart mit dem Besitzer seiner Bark, und da er obendrein noch heimliche Geschäfte mit seinem Onkel Mariano betrieb, verdiente er viel Geld. Aber seine Mutter grollte, weil sie nicht eine Peseta mehr von seinem schönen Verdienst zu sehen bekam. Anderswo verwahrte man seine Ersparnisse! Und wo konnte es sein? … Doch nur bei dieser verwünschten Dolores, die ihm sicherlich ein Liebespulver eingegeben hatte, da er ihr nachlief wie ein folgsamer Hund.

Auch der Rektor ging jetzt im Hause des Kutschers ein und aus, als wäre dort sein Heim. Wusste der Einfaltspinsel nicht, dass Dolores seinem Bruder gehörte? Sah er Tonets Briefe nicht und die Antworten, die sie einem Nachbar diktierte? … Doch alles Reden der Mutter blieb bei diesem Dickkopf erfolglos.

Eines guten Tages starb der alte Paella. In der Trunkenheit fiel er vom Bock, und die Räder seines eigenen Wagens gingen über ihn hinweg. Als konsequenter Mensch hielt er bis zum letzten Moment die Peitsche fest, schwitzte Schnaps aus allen Poren und warf noch einen Abschiedsblick auf die mit seinen lieben Schäfchen gefüllte Kutsche.

Damals, zwei Jahre nach Tonets Abreise, verbreitete sich die grosse Neuigkeit, dass Dolores und der Rektor heiraten wollten. Grosser Gott, gab das ein Aufsehen in Cabañal! Und die pikanten Einzelheiten, die man sich erzählte …

Siña Tona nahm kein Blatt vor den Mund, um ihrer Entrüstung Luft zu machen. Natürlich behagte es dem abgefeimten Frauenzimmer, einen Trottel zum Mann zu haben, der Tag und Nacht für sie arbeitete! O, diese Spitzbübin! Den einzigen aus der Familie einzufangen, der Geld verdiente! …

Aber gründliche Überlegung liess Tona sehr bald schweigen und sich mit einer Heirat einverstanden erklären, die ihre eigenen Pläne begünstigte. Jetzt musste Tonet die reiche Rosario heiraten! Und wenn auch widerwillig, so geruhte sie doch, der Hochzeit beizuwohnen und die schöne Schlange, die so leicht den einen für den anderen aufgab, Tochter zu nennen.

Mit Spannung erwartete jedermann, wie sich Tonet, dessen Temperament man zur Genüge kannte, zu diesem Ereignis stellen würde. Zur allgemeinen Überraschung erklärte er sich vollkommen einverstanden. Möglich, dass die lange Abwesenheit, die grossen Reisen ihn so verändert hatten – jedenfalls schrieb er, dass für die jetzt ohne Schutz dastehende Dolores eine Heirat das beste wäre und er sie lieber seinem Bruder als einem anderen gönnte.

Ebenso vernünftig, wie in seinen Briefen, zeigte sich der Matrose, als er mit dem Entlassungsschein in der Tasche nach Cabañal heimkehrte, wo er alle Welt durch seine korrekte Haltung, wie durch die Grosszügigkeit, mit der er seine Löhnung ausgab, verblüffte. Dolores begrüsste er freundschaftlich wie eine Schwester. Zum Teufel nochmal! An die Vergangenheit durfte man sich nicht erinnern; auch er hatte inzwischen allerhand erlebt …

Ganze Nächte lang sass die Nachbarschaft vor der Tür von Paellas Haus – jetzt vom Rektor bewohnt – und lauschte den Beschreibungen ferner Länder, in die der Matrose gewandte Lügen einflocht, um das Staunen seiner einfältigen Zuhörer noch zu erhöhen.

Mit seinem aufgezwirbelten Schnurrbärtchen, den sauberen Händen und dem kurzen, in der Mitte gescheitelten Haar, von dem rechts und links eine kokette Spitze unter der Mütze hervorkam, dünkte Tonet der Weiblichkeit von Cabañal ein Aristokrat im Vergleich zu den plumpen, durch harte Arbeit abgestumpften Fischern.

Siña Tona erkannte bald, dass ihr Sohn noch derselbe Taugenichts war, wenn sich auch der Nutzen der militärischen Disziplin bemerkbar machte. Er trank, aber berauschte sich nicht, suchte auch keine Händel wie früher durch lautes Krakeelen, sondern dachte mehr daran, bequem zu leben, als dumme Streiche zu begehen.

So nahm er auch die Vorschläge seiner Mutter wohlwollend auf.

»Eine Heirat mit Rosario? … Einverstanden! Sie ist ein braves Mädchen und hat ausserdem ein kleines Kapital, mit dem ein intelligenter Mann es zu etwas bringen kann. Gerade das, was ich wünsche! Für einen Maat der Königlichen Marine schickt es sich nicht, Säcke auf der Mole auszuladen. Alles andere eher, als das!«

Und zur grossen Freude von Siña Tona fand die Hochzeit schon bald statt. Beide waren zufrieden: Rosario, schüchtern und untertänig, glaubte blindlings an ihren Mann; Tonet, stolz darauf, Kapitalist zu sein, und in strammer Haltung, als trüge er unter dem Flanellhemd einen Panzer aus den Duros seiner Frau, spielte die erste Geige in Cabañal. Tag für Tag hockte er bis spät nachts im Café, wo er alles, alte und neue Freunde, freihielt.

Dolores verriet nicht die geringste Erregung. Nur die goldenen Pünktchen, diese verräterischen Funken geheimer Wünsche, blitzten in ihren herrischen Augen auf, wenn sie ihn sah.

Ein Jahr des Glücks ging für das junge Ehepaar dahin. Das von Rosarios Eltern in ihrem kleinen Laden mühsam ersparte Geld zerrann zwischen den Fingern Tonets, und der Augenblick kam, in dem er auf den »Grund des Sacks« schaute, wie sich seine Mutter ausdrückte, die seine Verschwendung hart getadelt hatte.

Die Geldverlegenheiten begannen, mit ihnen Zwietracht, Jammern und sogar Hiebe. Rosario musste wie ihre Nachbarinnen zum Fischkorb greifen, musste von ihrer Stellung als vermögende Frau herabsteigen zu dem abgehetzten Leben einer kleinen Fischhändlerin. Kurz nach Mitternacht stand sie auf, um am Strande einzukaufen. Dann keuchte sie mit ihren schweren Körben zu Fuss nach Valencia, von wo sie nachmittags völlig erschöpft zurückkehrte. Aber sie schätzte sich glücklich, dass es ihr gelang, ihrem Herrn und Gebieter das bisherige Lotterleben weiter zu ermöglichen, und häufig verzichtete sie darauf, in der Fischhalle mittags ihren nagenden Hunger zu stillen, der durch die panierten Koteletts auf den Tischen der anderen Verkäuferinnen noch gereizt wurde. Immer magerer, immer abgerissener wurde die kleine Frau. Doch was bedeutete ihr eigenes Elend, wenn nur ihr Tonet alles hatte … die Pesetas für das Café und sein Domino, gutes Essen und kleidsame Flanellhemden! Er kam ihr etwas teuer zu stehen, der Stolz, den schönsten Burschen von Cabañal ihr eigen zu nennen – noch vor dem dreissigsten Jahr war sie welk.

Das Unglück brachte die beiden dem Rektor näher, dessen Wohlstand zunahm, während sie abwärts rollten. Und so betrat Rosario, zwar ungern genug, das Haus von Dolores und fand sich damit ab, dass Tonet sich eng an seine Schwägerin anschloss. Doch auch diese Qual musste ertragen werden, denn monatelang unterhielt der Rektor das Ehepaar, wenn der Fischhandel ruhte, oder der Strolch mit dem hübschen Aussehen keine Gelegenheit fand, einen Duro als Vermittler dieser kleinen Geschäfte zu verdienen, die es nur in Hafenstädten gibt.

Aber der Moment trat ein, in dem die beiden Frauen, die sich glühend hassten, müde wurden, Freundschaft zu heucheln.

Nach vierjähriger Ehe fühlte sich Dolores guter Hoffnung, und glückstrahlend erzählte der Rektor überall die grosse Neuigkeit. Auch die Nachbarn freuten sich, indes hatte ihre Freude einen boshaften Beigeschmack. Es war nichts als eine Mutmassung, immerhin – man brachte diese späte Schwangerschaft in Verbindung mit der Zeit, als Tonet eine derartige Vorliebe für das Haus seines Bruders zeigte, dass er darüber sogar seine geliebten Kneipen und Cafés vernachlässigte. Auch seine Frau erfuhr von diesem Gerede, und die beiden Schwägerinnen zankten sich mit der ganzen in ihrem Wesen schlummernden Wildheit. Es kam zu einem endgültigen Bruch zwischen ihnen.

Nicht einmal die Zeit kühlte den Hass der armen Rosario, die über die Ähnlichkeit zwischen Tonet und seinem kleinen Neffen nicht hinwegkam. Die schöne Tochter des Kutschers Paella aber machte sich öffentlich über die »schwindsüchtige Pute« lustig, rühmte sich auch mit Behagen ihrer Macht über Tonet, der wie einst beharrlich ihre Röcke umkreiste.

Ein Hauch ständiger Kampflust, höhnischer Frechheit wehte von dem schmucken, ganz und gar renovierten Hause des seligen Paella zu der erbärmlichen Hütte, in die Rosario hatte flüchten müssen. Und die lieben Nachbarinnen übernahmen es, gewissenhaft alle Beleidigungen hin und her zu tragen, jede üble Schimpfrede genau auszurichten.

Wenn Rosario dann Erleichterung und Trost suchte, ging sie zu der Barke am Strande. Kopfschüttelnd hörten sie ihr zu – diese Mutter und ihre Tochter, die nur in einem einzigen Punkte übereinstimmten: ihrer Verachtung für die Männer.

»Ein nettes Pack!« Verstohlen schaute Siña Tona nach dem Bild des Zollwächters. »Alle, ohne Ausnahme, sind Lumpen, die nicht den Strick zum Aufhängen verdienen.«

Roseta aber murmelte nachdenklich mit den ernsten Augen einer Jungfrau, die alles weiss und über nichts mehr in Erstaunen gerät:

»Und wer kein Lump ist, der ist, wie der Rektor, ein Dummkopf!«


 << zurück weiter >>