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II.

Das war immer der schönste Spaziergang gewesen, den sie so viele Male gemacht hatten. Und da heute der letzte Tag war, da es ein Abschied sein sollte, so wollten sie noch einmal nach ihrer »Schönen Aussicht«, wie sie das versteckte Fleckchen nannten, das fast unbekannt war, und das sie selbst nur zufällig entdeckt hatten.

Sie saßen auf der Höhe des Steinbruchs oben und schauten in das Klostergut hinein, hinein in die zerfallene Kirchenruine, deren Mauerreste grün überwachsen waren. Im Sonnenlichte blitzte das Wasser der Elbe wie ein silbernes Band, die Steinbrüche auf der gegenüberliegenden Elbseite erschienen röter, oben aber, auf den Hügelhöhen leuchtete das Getreide goldgelb. Weiß flimmerte die Landstraße herauf, grün lag unten die tiefe Schlucht, die von den Klosterhäusern aus in die Hügelkette einschnitt. Und aus dem Grün empor streckten sich hochgewachsene, weiße Birkenstämme.

Brombeerhecken mit reifen Beeren standen in ihrer Nähe.

Auf der grünen Wiesenmatte dicht nebeneinander saßen Alex Graber und Lotte Rödern; ihre schmalen Hände hielten einen Feldblumenstrauß, den sie auf dem Wege hierher gepflückt hatte. Jetzt spielten ihre Finger mit ein paar Glockenblumen. Lotte war in den sechs Jahren, die inzwischen vergangen waren, schlank und groß geworden; ihr Haar war das braunglänzende ihrer Mutter, die Züge waren so weich geblieben wie beim einstigen Kinde, nur etwas voller geworden, so daß die etwas starke Nase nicht mehr auffiel. Aber noch schöner, noch leuchtender in der Verträumtheit schienen die großen Augen geworden sein, aus denen Güte und Weichheit sprach, wenn die langen Wimpern den Blick freigaben.

Auch die Gestalt von Alex Graber war größer und breitschultriger, das Blond seines Haares war noch goldener im Ton, noch heller und leuchtender geworden; das aber bewirkte, daß auch das Blau seiner Augen noch dunkler erschien. Die Lippen zeigten schon den leichten Flaum des keimenden Bartes. Sein Gesicht allerdings war schmal und knochig und zeigte noch mehr den ernsten, sinnenden Zug, den er als Knabe schon besessen hatte. Es sprach aus seinen schmalen, etwas zusammengekniffenen Lippen ein unbeugsamer Wille.

Die Augen der beiden schauten in die Weite, hinüber auf die Höhe mit der Windmühle und dem Zscheilaer Kirchturm, hinweg über das Silberband der Elbe bis zur dunkelragenden Albrechtsburg, über die heller die schimmernden Domtürme emporwuchsen.

»Wirst du auch wiederkommen?«

Ganz leise klang die Frage, wie ängstlich, besorgt und scheu.

»Ja, wenn ich mein Ziel erreicht habe.«

»Wann ist das?«

»Ich weiß es nicht!«

»Manchmal sollst du uns aber besuchen; es ist ja nur eine kurze Fahrt. Einen Tag einmal.«

»Ich muß arbeiten. Und dann bin ich arm. Solange ich nichts erreicht habe, muß ich immer wie ein Bettler mit leeren Händen erscheinen, der schließlich noch auf ein Geschenk wartet. Auch mißtraut mir dein Vater; er glaubt nicht an meinen Erfolg.«

»Er hat immer von deinem Fleiß gesprochen!«

»Ja! Aber den Künstler hält er für haltlos, für einen vagabundierenden Beruf ohne Sicherheit, ohne Zukunft; er hat es selbst einmal zu mir gesagt; er hat mich bestimmen wollen, in der Manufaktur zu bleiben und dort zu arbeiten, denn das sei für einen Maler immerhin eine gut bezahlte Stellung. Er war sehr enttäuscht, als ich das zurückwies.«

Ihre Augen blieben in der Ferne draußen hängen; aber der Blick schien von dem sonnenüberstrahlten Bilde doch nichts zu sehen, sondern Gedanken nachzuträumen, die der Zukunft gehörten.

Schließlich erklärte sie:

»Ja, er hat es gut gemeint. Du würdest jetzt schon viel Geld verdienen.«

»Lotte, Lo–tte, verstehst du mich nicht mehr? Könnte mir das genügen? So im Winkel zu leben, verkrochen sein, und sich mit dem letzten verschwindenden Sonnenlicht begnügen müssen? Ein ganz großer Künstler will ich werden – als Kind schon erträumte ich das. Nur dieser Ehrgeiz hat mich in diesen Jahren hungern lassen, er ließ es mich nicht spüren, wenn die Not mich klein und demütig machen wollte. Mein Ziel zerschlug die feindlichen Mächte, die mir wie Hindernisse im Wege waren. Und deshalb konnte ich daran nicht denken, was dein Vater mit bestem Willen geraten hat.«

»Ja, ich verstehe dich, Alex! Soll ich es dir sagen, wie ich es sehe?«

»Du?«

»Ja! Du willst das Märchen erfüllen, das von der verwunschenen Krone. Du siehst eine Krone, die du gewinnen willst. Und deshalb kannst du nicht still ruhen, deshalb kannst du dich nicht begnügen, bis du sie gefunden hast«

»Märchenlotte! Du bist es, wie sie dich heute noch nennen. Aber du hast recht! Eine Krone will ich mir draußen suchen, eine Krone, die mich erhebt, die mich auch wie zu einem König macht.«

«Genügt es dir nicht, daß du schon einmal eine Krone getragen hast, damals beim Kinderfest?«

Das Lächeln, das bei den Worten über ihr Gesicht huschte, machte sie schön; da strahlten die großen, dunklen Augen.

»Ich habe es nicht vergessen! Kinder waren wir. Aber weißt du es noch! Draußen auf der Boselspitze? Damals hatte ich dir schon eine andere Krone versprochen, die ich dir holen wollte, holen aus der Zukunft, die damals ganz in Sonnenglut lag.«

»Kinderträume – Märchen –«

»Damals glaubtest du daran, daß Märchen sich auch erfüllen, daß es im Leben immer noch verwunschene Prinzen und verborgene Kronen gibt. Hast du heute den Glauben daran verloren?«

Seine blauen Augen suchten wie herausfordernd die ihren; sie wich ihm nicht aus. Und als die Blicke sich begegneten, als sie ineinanderhingen, gegenseitig vertrauend, da antwortete sie:

»Nein! Ich glaube noch immer daran. Es muß eine Krone wo liegen, die den Menschen, der sie findet, reich und wunschlos glücklich macht. Manche tragen sie unsichtbar und wissen es nicht. Aber den Zauber der Krone spüren sie im Glück«

»Ich hole sie dir! Was der Knabe damals versprochen hat, das erfülle ich dir jetzt. Lotte, vertraust du mir? Ich suche und kämpfe draußen rastlos, bis ich die Krone errungen habe, die reich und wunschlos glücklich macht, die uns zu Königen erhebt. Deshalb komme ich nicht wieder, bis ich die Krone selbst gefunden habe. So lange ich auf dem Wege irre. kann ich dir nichts geben … Und ich will nur als Gekrönter kommen, um dir dann die Krone zu geben. Für dich will ich hinaus – Lotte. Glaubst du an mich? Vertraust du mir?«

Mit solchem Eifer hatte er gesprochen, daß der herbe Ernst seiner Züge sich in ein frohes Lächeln wandelte, das nur Zuversicht war, daß sogar seine Wangen rot erglühten. Die Begeisterung hatte ihn Worte finden lassen, die wie solche aus Märchen klangen.

»Ja, ich vertraue dir!«

»Und du wartest, bis ich komme, bis ich dir die Krone bringen kann, mit der ich dich zu meiner Königin machen will?«

»Ja, ich warte!«

»Ich glaube daran! Und das wird mir draußen nie den Mut nehmen! Lotte, das Versprechen des Knaben bei dem letzten Kinderfeste wiederhole ich nun! Dich mache ich zur Königin, Lotte –«

»Und ich warte, bis du kommst.«

»Nur mit der Krone aus dem Märchen, mit der, die reich und wunschlos glücklich macht.«

Jetzt kam wieder ein verträumter Zug in ihren Blick.

»Aber weißt du auch, wie die Krone sein muß, die das verleiht?«

»Das weiß ich nicht! Nur das weiß ich, daß ich sie finden muß.«

»Warum weißt du das?«

»Lotte, was fragst du? Weil ich dich liebe, weil die Liebe mich führen soll – weil meine Liebe dir das Schönste holen will. Lotte, aber du mußt an mein Kommen glauben!«

»Ja, wie an deine Liebe –«

Und da geschah es zum erstenmal, daß die beiden sich küßten; es war ein scheuer Kuß, wie Kinder sich küssen, einer, der Abschied zugleich und Versprechen war, der für sie Trennung und Gelöbnis bedeutete, mit dem sie sich einander angehören wollten.

Das war für die beiden der letzte Tag; am darauffolgenden mußte Alex Graber in Dresden eintreffen, wo ihm ein Freiplatz auf der Akademie gewährt worden war. Von anderer Seite aber war ihm noch eine freie Schlafstelle und völlige Verpflegung während der Dauer seines Studiums verliehen worden. In den sechs Jahren, die er auf der Malschule der Porzellanmanufaktur zugebracht hatte, war sein Können von allen Lehrern anerkannt worden; in rastlosem Eifer hatte er die Technik der Ölmalerei, des Malens in Aquarell und Pastell und auch die ersten Anfänge des Radierens erlernt. Immer neue Schwierigkeiten hatte er zu überwinden und zu beherrschen versucht. Bald hatte es dort für ihn nichts mehr zu lernen gegeben, so daß er in den letzten Jahren dann praktisch als Porzellanmaler gearbeitet und dabei eine große Anzahl eigener Entwürfe ausgeführt hatte. Aber eine Befriedigung hatte dies für seinen Ehrgeiz nicht sein können; jenes Wort des Lehrers damals – von den ganz großen Künstlern und von der Akademie – war von ihm nicht vergessen worden. Danach ging seine Sehnsucht und sein Streben. Zur Akademie! Wie oft hatte er den Zwinger und die Galerie in Dresden besucht – wie ein bittender Wallfahrer, der an einem Gnadenort ein Wunder erbeten will –, mit der gleichen Sehnsucht, um an den Meistern dort abzuschauen, wie sie ihre Werke vollendeten! Was er verdiente, gab er nur wieder seiner Kunst. Immer war die Gemäldegalerie sein Ziel! Dorthin!

Teilnahmlos hatte ihn der Tod seines Vaters gelassen, der einmal tot auf der Straße gefunden worden war, gleichgültig ertrug er manche Tage, an denen er hungern mußte. Nur in der Arbeit fand er Befriedigung, nur im Vorwärtsstreben.

Immer wieder hatte er es versucht, sein Ziel zu erreichen; und nun durfte er zur Akademie, als Schüler eines der bekanntesten Meister in der Dresdner Kunst, des Professors Mannhart, der sich als Lehrer zuerst frei von allen akademischen Fesseln gemacht hatte, der seine Schüler sich frei entfalten und entwickeln ließ, der die Kunst nicht im Atelierbild, sondern in der seelenvollen Wiedergabe der Natur in leuchtender, strahlender Farbenpracht suchte. Er galt als einer der ersten Modernen, der als Lehrer noch von mancher Seite bekämpft wurde.

Sein Schüler sollte Alex Graber werden.

Als die beiden dann zur Stadt zurückgekehrt waren, als sich ihre Wege dann beim Abschied zum letztenmal trennten, als sie sich nochmals die Hände reichten und die Augen tief ineinander schauten, da fühlten beide ein gleiches Weh, das gleichzeitig wie ein Wonnegefühl war, das Bewußtsein, daß sie nun einander gehörten, daß sie Verlobte waren, heimlich sich versprochen hatten.

So schieden sie!

Rascher eilte Lotte dann durch die Straßen, denn die Zeit war zu schnell verstrichen, und sie wurde zu Hause erwartet; im flüchtigen Dahinschreiten war es ihr, als wäre sie an Hugo Pohl vorbeigestreift, als hätte sie in sein rundes, rotes Gesicht gesehen, das ihr mit einem verkniffenen Lächeln zugenickt hatte.

War er es? Hatte er sie mit Alex gesehen oder gar belauscht? Was lag daran? Sie durfte doch von dem Jugendfreunde Abschied nehmen. Das andere, ja, was sie in ihren Herzen gelobt hatten, die Liebe, die nun Worte und Zukunftshoffen gefunden, davon sollte niemand etwas ahnen.

Sie wußte, daß Hugo Pohl in Alex immer noch des »Aschegrabers Jungen« sah, sie wußte, daß dieser gegen Alex einen eifersüchtigen Haß hegte, der zwar nie in Worten laut geworden war, der nie eine gegenseitige Erklärung gefunden hatte, der nur im stummen Meiden bestand. Hugo Pohl und Alex Graber waren sich bei Begegnungen stets ausgewichen, und die Grüße, die sich nie vermeiden ließen, die wenigen Worte, die der Zufall verlangte, hatten stets etwas Abweisendes. Beide fühlten, sie seien einander im Wege.

Aber auch Lotte hatte dies erkannt; seit jenem Kinderfeste schon bestand die Feindschaft. Sie aber, ihr träumerisches Wesen, ihre Weichheit, ihr Herz suchten nur Alex; ihn verstand sie, seinen Ehrgeiz, seinen trotzigen Willen, sein Ziel zu erreichen, dabei sein gleiches, verträumtes, halb in Märchenstimmung versunkenes Hoffen und Sehnen. Das derbe Wesen, das Robuste, das ganz kraftvolle Imlebenstehen, das die gesundheitstrotzende Art von Hugo Pohl hatte, dessen Ehrgeiz nicht mehr verlangte, als das Geschäft des Vaters fortzuführen, das Geld genug einbrachte, um als reich zu gelten, dies war Lotte fremd.

So hatte sie die stumme Feindschaft zwischen den beiden kalt gelassen, sie war achtlos darüber weggegangen.

Nur diesmal, als sie von Alex gekommen und an Hugo Pohl vorbeigestreift war, schien es ihr, als könnte er seinen Haß nicht mehr unterdrücken, als verriete sein Mund eine überlegene Feindschaft, die einen Sieg über den Gegner weiß. Als kündigte ihr dies sein verkniffenes Lächeln an.

Aber schon nach den nächsten zwanzig Schritten hatte sie seine Begegnung wieder vergessen.

Als sie dann am Abend im Wohnzimmer saß, an einer Strickerei, als ihr Vater etwas spät heimkehrte, als sie ihm wie immer fröhlich ihren Gruß zurief, der ja stets nur ihr »Vati« war, da fühlte sie es sofort, daß seine Antwort nicht wie sonst klang; fast abweisend fühlte sie des Vaters Gruß.

Geschäftliche Sorgen! Solche hatten bei Herrn Rödern manchmal eine knappe Zurückweisung spüren lassen; aber wenn er dann erst eine halbe Stunde unter den Seinen war, dann war diese Verstimmung noch stets verflogen. Aber an diesem Abend wollte sie nicht weichen; es war, als lägen Wolken über seiner Stirne. Und ohne eine eigene Schuld zu fühlen, spürte Lotte ein beklemmendes Herzdrücken.

Als Frau Sabine dann für längere Zeit in der Küche hantierte, fragte der Vater mit einem scharfen Blick, der jede Lüge zu durchschauen schien:

»Lotte, wo warst du am Nachmittag?«

Nicht lügen! Sie wußte es!

»Ich war mit Alex spazieren; es war hier sein letzter Tag. Morgen muß er in Dresden eintreffen.«

»Gut! Und ganz allein mit ihm?«

»Ja! Er wollte doch Abschied nehmen.«

»Lotte, du bist kein Kind mehr. Und da schickt es sich nicht, daß du mit einem jungen Burschen, der nichts ist, allein irgendwelche Wege gehst, die verborgen sind. Du mußt an dich denken, du mußt deinen Stolz haben, damit kein Mensch von dir Heimlichkeiten flüstern kann. Du hättest das nicht dürfen, nein.«

»Vati! Wir waren als Kinder Freunde, wir freuten uns damals zusammen, wir waren König und Königin damals beim Kinderfest, wir blieben uns Freunde, als er mit Entbehrungen lernte, und da wollte er Abschied nehmen, da wollte er noch von seinen großen Zukunftsplänen erzählen, da wollte er gerade mir anvertrauen, wie er zu seinem Ziel kommen möchte. Vati, wir beide dachten an keine Heimlichkeit.«

»Ich glaube dir, Lotte, du hast noch nie gelogen. Aber merke es dir! Tu es nicht wieder! Du darfst mit keinem jungen Burschen Wege gehen, auf denen du nicht von allen gesehen werden kannst. Du selbst weißt dich schuldlos, aber andere können doch Unrechtes darüber flüstern und weitertragen.«

Hugo Pohl! Jetzt dachte Lotte wieder an ihn; er mußte etwas Häßliches dem Vater zugetragen haben.

Aber der Vater glaubte an sie.

»Es war der Abschied.«

»Dann ist es ja gut! Für später also! Und außerdem: Alex mag fleißig sein, Alex mag alles Können besitzen, aber die Bahn zur Höhe der Kunst geht an vielen Abgründen vorbei. Und von Hunderten sind oft neunundneunzig elend geworden. Seine Zukunft ist also etwas ganz Ungewisses – vergiß das nicht, Lotte! Mehr brauche ich dir doch nicht zu sagen. Doch still, Mutter kommt, sie braucht davon nichts zu hören. Also keine solchen Heimlichkeiten mehr!«

Da schwiegen sie, denn Frau Sabine kam in das Zimmer.

Als Lotte dann später wieder von ihrem Stickrahmen aufblickte und die Augen ihres »Vati« suchte, da fand sie auf dessen Stirn keine Wolken mehr. Und sie atmete auf und lächelte ihm zu.

In der Nacht aber lag sie lange schlaflos in den Kissen.

Eine Heimlichkeit hatte sie doch für sich behalten! Ihre Liebe! War dies Sünde gewesen? War das eine Schuld? Nein, nein! pochte laut ihr Herz. Ihre Liebe konnte nichts Sündhaftes sein, auch nicht die Heimlichkeit, mit der sie diese bewahrte.

Und was der Vater auch von den Abgründen gesagt hatte, sie glaubte nur daran, daß Alex der eine sein müsse, der über alle den Weg finden werde, um ihr die versprochene Krone zu holen.

In halben Träumen kam es ihr dabei zum Bewußtsein, daß die Krone die Liebe sein müsse, mit der er sie zu seiner Königin machen werde.

Und sie wollte auf ihn warten, immer warten, bis er zu ihr kommen würde, bis er sein Wort erfüllte.

Und darüber schlief sie mit einem Lächeln ein.

*

Als Professor Mannhart in das große Schüleratelier trat, empfing ihn tiefes Schweigen. Kein Wort war mehr zu hören; man vernahm nur das Schnarren, das von der Spachtel herrührte, mit der einer unbefriedigt die Farben wieder von der Leinwand kratzte.

Das Atelier war ein großer Raum mit gewaltigen Fenstern nach der Augustusbrücke zu.

Nach dieser Richtung standen auch alle Staffeleien der Schüler und der einen Schülerin des Professors. In der Winterlandschaft lagen tief in Schnee gehüllt die alte Brücke und die Hofkirche; der Schnee fiel in dichten Flocken, daß man fast wie in Nebel schaute. Ein Fleckchen aber hatte die Wintersonne doch entdeckt, um durch dieses ihre Strahlen ein wenig zurückwerfen zu können; so lag denn trotz des Schneetreibens heller Sonnenschein auf dem Bilde, der vor allem das Rot und Gelb der Straßenbahnen und das smaragdene Grün des Daches der Hofkirche farbig aufleuchten ließ.

Es war ein wundervoller Blick von dem hohen Fenster aus.

Und dieses Winterbild mit dem Schneetreiben, während die Wintersonne durchzuringen versuchte, dieses bewegte Bild mit den hastenden Menschen war die Aufgabe, an der die Schüler arbeiteten.

Professor Mannhart ging von Staffelei zu Staffelei; seine unscheinbare Gestalt mit dem schmächtigen, knochigen Gesicht und dem rötlichblonden, kurzen Knebelbart ließ in dieser Erscheinung den gefeierten Künstler nicht vermuten.

Mit kurzen, knappen Worten gab er sein Urteil. Die Rücksichtslosigkeit, mit der er Unfertiges und Talentloses brandmarkte, machte ihn unter den Schülern gefürchtet; er leerte sein Atelier rücksichtslos von den Mitläufern, und deshalb waren seine wenigen Schüler immer die besten aus dem jungen Nachwuchs. Wer vor der Kritik der blitzenden, grauen Augen nicht standhalten konnte, den vertrieb sein strenges Urteil bald aus dem Atelier.

Jetzt stand er mit gespreizten Beinen vor einem Bilde; ein noch junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren war zur Seite getreten, der sehr elegant gekleidet war, dessen Lackschuhe und Gamaschen, dessen schmales, goldenes Armband nicht nur seinen Reichtum, sondern auch die Vornehmheit seines Wesens verrieten. Das blasse Gesicht war fast knabenhaft, was durch das weißlichblonde Haar noch auffallender erschien. Die vollen Lippen waren nun in spannender Erwartung dicht zusammengepreßt.

Die schmale, dabei sehnige Hand des Professors rückte an der Brille, als mißtraute er dem Glas, als wollte er noch schärfer sehen; dann sagte er in ernsthaftem Tone, ohne den Ausdruck seines Gesichts zu verändern:

»Elmshorn, Sie können bei mir nichts mehr lernen. Sie sind fertig! Ich möchte es nicht wagen, irgend etwas zu zerstören.«

Und dann ging er zur nächsten Staffelei.

Alle hatten das Urteil gehört, aber kein Laut war zu hören; alle verstanden den Spott der Kritik, aber alle fürchteten schließlich ein gleiches Wort.

Mit zuckenden Lippen trat Winfried Elmshorn wieder vor sein Bild; mit ehrlicher Begeisterung und unermüdlichem Fleiß hatte er bisher gearbeitet, um als Künstler zu einem Ziel zu gelangen. Er hatte für sich den Weg leichter gedacht, da er sehr reiche Eltern hatte, die über ein Millionenvermögen verfügten. Aber die Grenzen seines wirklichen Könnens waren für sein Wollen zu eng bemessen. Still legte er die Palette weg und verfolgte nur noch, was weiter geschehen werde.

Alex Graber warf von seinem Platze aus einen flüchtigen Blick nach rechts.

Drei Urteile noch, dann traf ihn die Kritik.

Zwei Jahre waren nun verstrichen, seit er zum erstenmal in dieses Atelier gekommen war, zwei Jahre strengster Arbeit und unermüdlichsten Schaffens. Aber er selbst hatte sich dabei immer stärker werden gefühlt, er hatte erkannt, daß er nun auf dem Wege sein mußte, der ihn zu seinem Ziele bringen würde. Er spürte keine Furcht vor dem mitleidlosen Blick des Professors, er erfühlte sein Werk als gut. Zwei Jahre lebte er nun in der Stadt; niemals war er in der Zeit in seine alte Heimatstadt zurückgekommen, trotzdem er sie in kurzer Eisenbahnfahrt hätte erreichen können; es war dies gegen seinen Willen. Die Sehnsucht hatte ihn ja oft erfaßt, aber dann griff er stets zu den wenigen Briefen und Karten, die von dort zu ihm gekommen waren; aus diesen las er wohl, daß er einmal heimkehren möchte, daß aber sie selbst – Lotte – auch warten werde, bis er sein Wort einlösen würde.

Noch aber hatte er nichts erreicht, noch war er ein Suchender; und wer würde ihm glauben, wenn er kommen würde und schließlich Lottens Versprechen auch von ihrem Vater fordern wollte?

Da schrieb er dann wieder, Briefe voll Sehnsucht, Briefe in träumender Stimmung, die erzählten, wie er sich auf dem Wege wüßte, wie er sein Ziel schon nahe sehen könnte, die Krone für Lotte. Wenn er in solchen Briefen dann seine Sehnsucht hatte laut werden lassen, dann arbeitete er wieder mit der erfolgsicheren Hoffnung, die den Knaben schon beseelt hatte.

So war die Zeit für Alex Graber verstrichen. Not hatte er nicht mehr gekannt, denn es war für ihn durch eine Stiftung Wohnung und völlige Verpflegung gesichert; kleine Verkäufe von Aquarellen und Zeichnungen, sogar einige Aufträge zu Illustrationen gaben ihm weitere Mittel.

Seine Erscheinung war voller geworden, sein blondes Haar mit dem leuchtenden Gold war dicht und etwas lockig; eine Strähne fiel leicht und wie eigensinnig in die Stirn; er war eine Erscheinung, die nicht übersehen werden konnte. Die erste Schüchternheit, die er mitgebracht hatte, mit der er sich zuerst in der großen Stadt, unter seinen Mitschülern und unter den Künstlern fremd gefühlt hatte, war verschwunden. Jetzt zeigte er eher eine bewußte, selbstsichere Zurückhaltung.

Nun trat er von seiner Staffelei zurück.

Professor Mannhart stellte sich erst nahe vor sein Bild, trat dann zurück, wiegte den Kopf wie bedenklich und erklärte darauf in einem Tone, der die Ehrlichkeit der Worte nicht verkennen ließ:

»Kühn gewagt, aber gelungen; das ist Luft und Licht, und das Schneetreiben ist Schneetreiben und nicht nur weiße Schmiere. Seht!«

Und die anderen Schüler folgten der Aufforderung; Mannhart gab dabei noch weitere Erklärungen, die eine rückhaltslose Anerkennung bedeuteten. Aber das Gesicht von Alex Graber blieb dabei unbewegt; er ließ keine Überlegenheit fühlen, sondern hörte zu, als wäre er selbst unbeteiligt. Er trug ja in sich das Bewußtsein des Sieges.

Als der Professor dann weiterging, sagte er noch:

»Graber, es ist heuer ein Preis für einen Studienaufenthalt in Paris ausgeschrieben worden. Paris! Bedenken Sie, was das bedeutet. Dort finden Sie, was sie erstreben. Courbet, Renoir, Manet, Degas; Namen, die ich nicht ausdrücklich nennen muß. Der Preis ist zu holen, zwei Jahre Paris.«

Die Stimme von Alex klang nun spröd und rauh; diese Aufforderung, in welcher der Erfolg seines Versuchs herauszuhören war, hatte ihn doch überraschend getroffen.

»Ich werde mich um den Preis bewerben.«

»Tun Sie es! Es gilt den ersten Erfolg.«

Mit diesen Worten trat Professor Mannhart zur nächsten Staffelei.

Alex Graber aber blieb lange noch vor seinem Bilde stehen, ohne arbeiten zu können; mechanisch mischte er mit der Spachtel auf seiner Palette Kremserweiß und Oxydgrün; nirgends sah er die Farbe. Aber er hatte kein Bewußtsein für diese mechanische Funktion.

War das die Krone, die er erstrebte, die er zu bringen versprochen hatte? Er wollte sie gewinnen. Ruhm und Erfolg bedeutet die Krone!

War diese dann die ersehnte? Reich mußte sie machen. Und wunschlos glücklich hatte Lotte noch gesagt!

Seine Gedanken irrten zu jenem Abschied auf der schönen Aussicht zurück.

Ob Lotte ihr Versprechen unterdessen nicht vergessen hatte? Ob sie noch wartete? Ihre Briefe kamen ja, und die seinen flogen zu ihr – er selbst hatte sie nicht vergessen, und immer noch wollte er ihr die versprochene Krone bringen.

In dem Hinträumen, das nur ein paar Minuten dauerte, vernahm er plötzlich die harte, scharfe Stimme Mannharts:

»Bravo! Eine eigenartige Technik, eine andere Lösung wie die bei Graber, aber doch blendend. Luft und Licht. Und nur mit der Spachtel; aber die alten Zöpfe auf der Akademie werden bedenklich mit den Köpfen wackeln.«

Alex blickte auf; er wußte sofort, wo dies Urteil gefallen sein mußte. Und er sah die Schüler und den Professor vor dem Bilde der russischen Polin, Sascha Zychlinsky, stehen.

Alex Graber kannte ihr Bild und die Art ihrer Technik; er hatte diese selbst schon bewundert, vor allem aber die eigenartige Wirkung, die diese damit erzielte; er war sich vor ihrer Staffelei immer bewußt, daß ihr Können mit seinem eigenen gleich stand, daß sie die einzige war, die er wie in Eifersucht fürchtete.

Auch er trat vor das Bild.

Sascha Zychlinsky war klein, hatte ein sonnverbranntes Gesicht mit schwarzen, flammenden Augen und langen, seidenweichen Wimpern. Die roten Lippen verrieten Leidenschaft. Zierlich, geschmeidig, mit oft schleichenden Bewegungen wie eine Katze war ihre Gestalt. Das Blauschwarz ihres Haares ließ darauf metallene Lichter erscheinen, wenn ein heller Schein darüber fiel.

Auf das Urteil des Professors ließ sie die weißen, etwas großen Zähne mit einem Lachen sehen:

»Genügt es, Herr Professor, um gleichfalls in den Wettbewerb um den Parispreis zu treten?«

»Ja! Den Versuch können Sie wagen. Aber die alten Herren werden Bedenken haben, über so viel Kühnheit.«

»Ich fürchte mich nicht. Aber nach Paris will ich!«

»Glück auf! Aber Sie werden in Graber einen gefährlichen Gegner haben!«

»Auch das erschreckt mich nicht.«

Die Brauen im Gesicht von Alex Graber wetterleuchteten; sie zuckten und um seine Mundwinkel spielte ein nervöses Lächeln.

Er wußte es; er war als Künstler in der Kritik schon zu selbständig, um nur in seiner Arbeit die Vorzüge zu sehen. Er kannte ihre Kunst und bewunderte sie ehrlich. Desto heißer und rastloser aber rang er an seiner eigenen Vollendung.

Ihm mußte der Sieg gehören; die Krone – der Lorbeerkranz – winkte.

Und er kehrte wieder vor seine eigene Leinwand zurück.

Als an diesem Abende Alex Graber die Akademie verließ und in seinen Mantel gehüllt über die Brühlsche Terrasse ging, hörte er sich anrufen:

»Heda, blonder Alex!«

Es war Sascha Zychlinsky. Unter den Schülern Mannharts herrschte ein so kameradschaftlicher Ton, daß Graber dieser Zuruf nicht überraschte.

»Sie?«

»Ja! Werden Sie mich mitkommen lassen? Oder hassen Sie mich, weil ich auch etwas bekam?«

Als ihn dabei die großen Augen anschauten, da sah er, wie diese kleine Polin auch schön war; die Mütze in dem schwarzen Haar, der Bronzeton ihrer weichen Haut, die etwas jüdische Nase, die aber dem Gesichte einen pikanten Reiz verlieh, wirkten zu einem reizvollen Bilde. Alex Graber hätte kein Künstler sein müssen, wenn er die Schönheit nicht überall erkannt hätte. Überrascht hatte ihn nur, daß Sascha Zychlinsky ihn suchte.

»Gewiß nicht. Im Gegenteil. Meine Bewunderung gilt Ihnen, vielleicht auch etwas Neid!«

»Den haben Sie nicht nötig; für die Vielen können Sie mehr; nur die Wenigen werden mich verstehen. Künstler wie Sie will ich zur Anerkennung zwingen. Sie aber sind oben im Atelier der einzige, den ich ernst nehme.«

Sie sprach so offen wie zu einem Freunde, wie zu einem gleichgestimmten Kameraden.

»Ich danke Ihnen!«

»Es ist so! Und da die Ehrlichkeit mein Laster ist, so erkläre ich Ihnen, daß es mir immer schon leid tat, daß wir nicht zusammen arbeiten. Ich will lernen und Sie auch! Ihnen ist die Kunst nicht nur ein Spiel, eine Laune oder eine Zeitausnützung. Ich will den Erfolg wie Sie! Aber wollen wir da nicht ehrliche Gegner sein?«

»Doch! Ich weiß, daß Sie neben mir allein imstande sind, den Preis zu gewinnen.«

»Fühlen Sie deshalb nicht das Bedürfnis, mir den Hals umzudrehen?«

Als sie das lachend sagte, da lachte Alex Graber ebenfalls. Dieser freie Ton tat ihm wohl; so hatte mit ihm noch niemand gesprochen.

»Nein; es wäre schade!«

»Ich habe im Großen Garten ein herrliches Motiv entdeckt. Sie werden es würdigen. Wollen Sie dort gemeinsam mit mir arbeiten?«

»Gerne!«

»Aber ich sage Ihnen gleich, Alex, was ich von Ihnen abschauen kann, was ich an Profit holen kann, das tue ich. Ich bin mit meinem Vorschlag nicht selbstlos.«

»Und ich werde es genau so machen. Auch ich will den Sieg!«

»Und ich lasse ihn Ihnen nicht, wenn ich es verhindern kann. Also Kameradschaft. Wollen wir zusammen arbeiten?«

»Natürlich, Fräulein Sascha!«

Und sie verabredeten dann gleich, wann sie zum erstenmal zusammen die Stelle aufsuchen wollten, die Sascha Zychlinsky für ein Bild entdeckt hatte.

Als Alex Graber dann allein war, weilten seine Gedanken immer noch bei der Begegnung. Nie war es ihm eigentlich so aufgefallen, von welch eigenartiger Schönheit diese Polin war; bisher hatte er immer nur ihre Arbeit gesehen, bisher war er ihr immer nur als Künstler gegenübergetreten. Aber nun waren sie sich auch als Menschen, als Kameraden begegnet.

Ihre offene Art zu sprechen, hatte etwas Behagliches, etwas Anheimelndes.

Und er freute sich, daß sie zu ihm gekommen war.

*

»Wollen Sie mich heute nicht begleiten, Graber? Meine Schwester wird sich freuen. Sie kennen ja Marga bereits.«

Alex Graber schlenderte mit Winfried Elmshorn die Schloßstraße entlang; sie waren eben aus dem Atelier gekommen und hatten noch einen Bummel geplant, um zu sehen, was die Kunsthändler an neuen Bildern anboten.

Der Winter war vorbei und der Frühling bereitete sich schon für seine Herrschaft vor. Der Schnee war verschwunden und lag nur noch auf einigen Dächern und in Winkeln, in welche die Sonne nicht eindringen konnte, in schmutzigem Grau.

Auch die Luft hatte bereits etwas von Frühlingswärme.

»Gewiß! Sie war ja auf unserem Schülerfest.«

»Und sie schwärmt für Ihre Arbeiten. Marga ist überzeugt, daß nur Sie den Preis der Akademie und damit die Parisreise gewinnen werden.«

»Hm! Fräulein Zychlinsky bewirbt sich auch um den Preis.«

»Ja! Aber ihre Technik wird kaum den Gefallen der Juroren finden. Nein! Ihre Kunst wird die Massen fesseln, Graber, der große Erfolg, der gehört Ihnen! Das sagt Marga auch!«

Die Lippen zuckten im Gesicht von Alex Graber; etwas Bitteres fühlte er in dieser Antwort, das gleiche, das er aus einer Entgegnung von Sascha Zychlinsky schon einmal gehört hatte. Die Massen wird er gewinnen können. Aber genügte das?

Der Erfolg war die Krone, der Lorbeer brachte den Reichtum, der auch wunschlos glücklich machen mußte. Dann aber hatte er ja die versprochene Krone gefunden.

Da Alex Graber auf die letzte Bemerkung von Winfried Elmshorn keine Antwort gab, erklärte dieser weiter:

»Das ist auch meine Überzeugung! Ich selbst bleibe ja ein Stümper, ein Dilettant, und der Professor hatte recht, als er sagte, daß er mich nichts mehr lehren könne, denn ich kann nichts mehr lernen, weil mein Können am Ende ist. Ich habe das eingesehen und verlasse deshalb Mannharts Atelier.«

»Sie wollten das wirklich?«

»Ja! Mannhart will keine Mitläufer; daß ich reich bin, hindert den Professor nicht, mich die Wahrheit fühlen zu lassen.«

»Was wollen Sie dann beginnen, Elmshorn?«

»Ich werde mich der Kunstgeschichte zuwenden, der Kritik. Den scharfen Blick, das Erfassen, das Erkennen besitze ich, aber das Können. Und da ich in glücklicher Lage bin, so werde ich nebenbei die Rolle eines Mäcen spielen und mir selbst eine kleine Sammlung begründen. So will ich der Kunst doch treu bleiben, nicht mit meinen Werken, sondern durch das Vermögen meines Vaters. Daß ich dabei auch an Ihre Arbeiten denken werde, ist selbstverständlich.«

Alex Graber antwortete darauf nichts. Er kannte den Reichtum der Familie Elmshorn, er wußte, daß Winfried Elmshorn einmal über ein Millionenerbe verfügen würde, aber er besaß die Gabe nicht, um seines Erfolges willen nun zu schmeicheln. Mit einem Worte hätte er jetzt schon einige seiner Skizzen verkaufen können; aber sein Stolz ließ ihn schweigen.

Um so gesprächiger aber blieb Elmshorn.

Als sich ihre Wege dann trennten, erklärte er noch:

»Es ist also bestimmt. Sie kommen heute abend. Wenn Ihnen meine Einladung nicht genügt, dann füge ich noch bei, daß es auf ausdrücklichen Wunsch Margas geschieht. Und einer Dame dürfen Sie nichts ablehnen, Graber.«

»Ich komme!«

»Um acht Uhr.«

Ein Nicken.

Am Abende dann, auf seinem kleinen Stübchen, dessen Wände überfüllt von eigenen Skizzen und Bildern waren, das aber sonst ganz im Gegensatz zu dem Leichtsinn der meisten Künstler Äußerlichkeiten gegenüber von peinlicher Sauberkeit war; vor dem Spiegel grübelte Alex Graber nochmals über diese Einladung nach. Marga Elmshorn hatte sein Kommen gewünscht.

Warum?

Nie hatte er an Gründe dafür gedacht; mit einem Male sah er sich dieser Frage gegenüber. Auf dem Schülerfeste, das im Winter jährlich veranstaltet wurde, hatte er Marga Elmshorn kennengelernt; sie wußte damals schon von ihm aus den Berichten ihres Bruders und plauderte dabei mit Alex über die Bestrebungen der neuen Kunst, an die sich Alex Graber auch anschloß.

Eine eigenartige Erscheinung war Marga Elmshorn; keine Schönheit, die der Menge gefällt. Manches an ihr, das schmale, dünne Gesicht mit den etwas auffallenden Backenknochen, die Hagerkeit wirkten sogar unschön. Aber die Gesamtheit hatte etwas, das immer auffallen mußte.

Sie und Sascha Zychlinsky waren für Alex Graber die beiden einzigen weiblichen Wesen, mit denen er in Verkehr gekommen war. Mit Sascha Zychlinsky hatte er gearbeitet und dabei einen wirklichen Kameraden gefunden. Der Ton, in dem er mit ihr verkehrte, wurde zwangloser, daß ihm die Verschiedenheit der Geschlechter nie zum Bewußtsein kam. Sie war ihm ein Freund, den er nie vermissen wollte. Trotzdem sie in ihrer Kunst erbitterte Gegner waren, verstanden sie sich doch als Kameraden. Ihre reizvolle, zierliche Schönheit sah Alex Graber wohl auch, manchmal glaubte er sogar zu spüren, daß in der Polin eine heiße Leidenschaft versteckt zu lauern schien, aber er selbst fühlte sich teilnahmlos dagegen. Nur die werdende Künstlerin sah er in ihr.

Anders war sein Gefühl Marga Elmshorn gegenüber; sie bedeutete für ihn eine fremde Welt, eben jene, die er durch seine Kunst gewinnen wollte. Die Begegnung auf jenem Künstlerfeste war für ihn eine zu flüchtige gewesen, als daß er noch anders über sie hätte urteilen können; nur die Erinnerung an ihre eigenartige Erscheinung, an ihr scharfes Urteil und an ihre Sicherheit in allen Fragen der Kunst war ihm geblieben.

Warum wollte sie ihn sehen?

War er selbst schon auf dem Wege zum Erfolg?

Schließlich war die Frage auch gleichgültig; er wollte sich treiben lassen auf dem Wege nach vorwärts.

Vorwärts aber kam er.

Als er dann im Hause Elmshorn war, als er dort erst den Reichtum sah, der sich keineswegs auffällig zeigte, den Alex Graber jedoch sofort an den wertvollen Bronzen, an den Originalen bekannter Namen, die an den Wänden hingen, an feinen Gläsern, Kristallen und Porzellanen, die in Vitrinen und auf Schränken standen, erkennen mußte, da fühlte er sich nicht bedrückt oder fremd, sondern schaute auf all das Neue mit den ernsten Zügen, die er stets zeigte; er urteilte Winfried Elmshorn gegenüber über die gezeigten Originale, als fände er es als selbstverständlich, solche Werke in diesem Hause zu finden. Nur in seinen tiefblauen Augen leuchtete die Befriedigung.

Vorwärts! Er fühlte sich auf dem Wege! Die Krone, der Kranz von Lorbeer, der Erfolg; dies war das erfüllte Märchen der ersten Träume, der ersten Hoffnungen, der Kindheitssehnsucht. In solchen Räumen wollte er dann leben, wenn er erst die Krone errungen hatte, die reich und wunschlos glücklich machte. Und er ging mit Winfried Elmshorn durch die Räume, als hätte er nie andere gesehen.

Nur ganz flüchtig tauchten in seinen Gedanken andere Bilder auf: die schmale Kammer, das kurze Kinderbett, in dem er zusammengekrümmt geschlafen hatte, das Bett seines Vaters, das freundliche Stübchen bei »Vater Rödern«; auch das Gesicht von Lotte Rödern meldete sich – und in einem einzigen Augenblick prüfte er, wie diese hier in den Räumen gehen und sprechen würde.

Dann saß er in dem Speisesaal des Hauses an dem Tische, der mit Blumen geschmückt war, auf dem Kristall, Porzellan und Silber, geschliffene Gläser und Kelche standen, um den leise wie auf Gummisohlen der Diener ging, der aus silbernen Tabletts die Speisen anbot.

Alex Graber war der Tischnachbar von Marga Elmshorn. Seine Ruhe hatte ihn gewandt genug gemacht, als ihn Winfried Elmshorn seinem Vater, einer behäbigen Gestalt mit kahlem Kopf, dünnem weißen Schnurrbart und listig kleinen Augen, und den übrigen Gästen vorstellte; es war eine bekannte Finanzgröße eingeladen, ein Major von Stettenheim mit seiner Frau und noch ein Herr und eine Dame, deren Namen nur flüchtig Alex Grabers Ohr streiften.

Nach dem Mahl, dessen Reihenfolge wie auch die verschiedenen Weine und Liköre, die angeboten wurden, wie die Verwirklichung des Kindermärchens von Schlaraffenland erschien, zogen sich die Herren in das Spielzimmer zurück; Winfried Elmshorn aber spielte in dem Musikzimmer auf dem großen Blüthnerflügel, wobei er die Frau von Stettenheim und die andere Dame als Zuhörerin hatte.

In der gleichen Zeit saß Marga Elmshorn in dem sich an das Musikzimmer anschließenden Wintergarten; die Klänge des Flügels drangen gedämpft herein und waren inmitten dieser Palmen und Farren von träumerischer Wirkung; der Raum war nicht zu groß, aber durch geschickte Anlage eines sehr geschulten Gärtners wie ein Märchentraum ausgeführt. Die Lichter, die den Garten erhellten, waren so versteckt angebracht, daß kein grelles Aufblitzen störte, sondern daß über diesen tropischen Pflanzen ein grünlichblaues Licht lag, als senkte sich über diese der Abend nieder.

Marga hatte sich Alex Graber gegenübergesetzt; aus halbgesenkten Augenlidern beobachteten ihn die graugrünen Augen. Die hagere Gestalt mit den scharfgezeichneten Zügen wirkte in der Silhouette um so schärfer zu dem dunklen Grün der Farren. Ihr Haar leuchtete in auffallendem Gelb, das aber nicht das Blond Grabers war, sondern fahler und weißlicher wirkte. Die Hände waren schmal und lang, zerbrechlich zart in den Gelenken, die Finger dünn und lang; aber die Bewegungen der Hände, deren Haut einen schimmernden Elfenbeinton hatte, der die feinen Blutadern wie Perlmutter durchleuchten ließ, waren von solcher berechnender Grazie, daß Alex Graber bald nur dem Spiel dieser Hände zuschaute.

Schön war Marga Elmshorn nicht, und trotzdem fesselte sie.

Außer den schmalen Händen waren es noch die graugrünen Augen, die jeden in ihren Bann zwingen konnten; sie wirkte wie ein Bild des Toulouse-Lautrec.

»Weshalb haben Sie sich eigentlich so oft auffordern lassen, Herr Graber, ehe Sie zu uns kamen?«

Diese bestimmte Frage brachte Alex Graber doch etwas in Verlegenheit; aber das herrschende Zwielicht verbarg seine Unsicherheit. Nach ein paar Sekunden Schweigen erklärte er:

»Ich fürchtete, in Ihrem Hause nur eine geduldete Überflüssigkeit zu sein.«

»Sie, als ein Künstler, dessen Zukunft jetzt schon aus jeder seiner Arbeiten zu erkennen ist? Nein! Sie haben das Recht zu fordern, daß man Sie verlangt. Oder sollte Ihr Fernsein nicht damit zu erklären sein, daß Ihnen die Gesellschaft hier nicht genügte?«

»Nein! Das andere war es, daß ich mir zu unbedeutend schien.«

»Oh, besitzen Sie nicht den Stolz und den Trotz des Künstlers? Sie dürfen es! Oder wollen Sie erst Komplimente hören?«

»Nein, nein, in meiner Kunst weiß ich mich sicher –«

Jetzt trafen ihn die nun weitgeöffneten graugrünen Augen, die ihn so zwingen konnten, daß er dem Blick nicht auszuweichen wußte. Ihr Mund lächelte leicht, und die schmalen Finger, die fast wie Spinnenfüße waren, an denen nur ein alter, seltsam gearbeiteter Ring mit einem großen Türkis war, in den goldene wunderliche Zeichen eingeschnitten waren, spielten mit dem kleinen Strauß von Orchideen, den sie aus ihrem Gürtel genommen hatte:

»Oder galt die Abweisung mir selbst, daß ich für Sie das bin, was Sie vorher eine geduldete Überflüssigkeit nannten?«

»Nein, Fräulein Elmshorn! Ein solcher Gedanke wäre ja wie – wie eine Beleidigung.«

»Weshalb? Geben kann ich Ihnen doch nichts, auch nichts sein! Ich kann mich doch nur unter die einreihen, die den werdenden, oder eigentlich schon fertigen Künstler anerkennen. Ich bin überzeugt, daß Sie den Preis der Akademie gewinnen. Und Sie müssen mir jetzt schon versprechen, daß Sie Ihre Arbeit mir zuerst zum Kaufe überlassen.«

»Gerne! Nur dagegen muß ich Widerspruch erheben, daß Sie sich selbst so gering beurteilen wollen.«

»Still! Sascha Zychlinsky kann Ihnen etwas geben. Ich sah Sie beide kürzlich. Ich wollte nicht stören, denn Sie waren so eifrig im Gespräch, daß Sie für anderes keine Augen hatten.« Nun senkten sich die dichten langen Wimpern wieder etwas, wodurch ihr Blick etwas Lauerndes bekam. »Oder hält Sie das ferne? Hat Sascha Zychlinsky Rechte, die Sie ganz beanspruchen? Die schwarzen Augen der Polin sind durchglüht von Leidenschaft; sie gehört zu denen, die mit allen Sinnen lieben.«

»Wir arbeiten nur zusammen. Das ist alles! Wir sind Kameraden, mehr nicht.«

»Fürchten Sie nicht, daß Kameradschaft zwischen Mann und Weib immer anders endet? In Sinnenglut oder in Haß, wenn die erwachende Leidenschaft keine Befriedigung findet –«

»Nein! Ich denke nicht daran.«

»Sie! Aber kennen Sie die Gedanken der Polin, die hinter der niederen, dunkeln Stirne schlummern? Sie wird Sie einmal besiegen.«

Alex Graber fand darauf nur ein Lächeln:

»Ich werde in ihr immer nur die Künstlerin sehen. Sonst nichts!«

»So ist es Sascha Zychlinsky nicht, die Ihnen den Weg hierher verstellte?«

»Nein! Nichts anderes veranlaßte mein Zögern als meine Unsicherheit, die ich schon erklärte.«

»Ich sagte Ihnen, wie unberechtigt diese ist. Werden Sie sich nun bekehren?«

»Wenn Sie es verlangen.«

»Gewiß! Ich will mit Ihnen plaudern, oder wenn Sie es anders hören wollen: ich möchte Sie entdecken, ich will als erste den Künstler Alex Graber entdeckt haben. Sie werden sich also nicht mehr so lange besinnen?«

»Ich komme gerne!«

»Aber ich werde Sie vielleicht oft beanspruchen.«

»Und ich werde im Gehorsam nicht müde werden.«

Da verklangen die Töne auf dem Blüthnerflügel; durch die Glastüren, die aus dem Wintergarten einen Blick in das Musikzimmer gewährten, war zu erkennen, daß dort eine Bewegung nach dem Wintergarten zu erfolgte.

Da erhob sich Marga Elmshorn.

»Kommen Sie, ich führe Sie auf einem anderen Wege nach dem Salon, ohne daß wir diesen begegnen müssen.«

Und Alex Graber folgte der schlanken Gestalt.

*

Oben auf dem Burgkeller, in dem großen, schattigen Garten veranstaltete die Sängerrunde ihr Konzert; die Stadtkapelle hatte dazu ihre Mitwirkung zugesagt, und die schmeichelnden Melodien, Wiener Walzer in wiegenden Tönen, rauschten über die Tische dahin, die dicht besetzt waren, denn die Sängerrunde war der Verein, in dem sich wohl alle Bürger der Stadt zusammenfanden.

Walzer!

Und so manche wiegten die Köpfe und wünschten den glatten spiegelnden Tanzboden herbei.

Unten lag das Dächermeer der alten Stadt mit den steilen Giebeln. Die engen Straßen verloren sich fast.

Im Westen leuchtete kupferfarben das Rot des Abends. Die Stadtkirche mit dem plumpen, massigen Turm und dem grünoxydierten Kupferdach reckte sich wie ein alter Wächter, dem Wohl und Gedeihen der alten Stadt anvertraut sind.

Grün schauten die Hügel von Spaar herüber, und in der Ferne verloren sich die kleinen, weißen Häuser von Weinböhla.

Nahe der Mauerbrüstung saßen an einem Tische Herr Rödern und Frau Sabine, zwei Geschäftsfreunde mit ihren Frauen, die gemeinsam mit Frau Sabine die Frage der Wirtschaft erörterten, Lotte und Doktor Anwander.

Doktor Arnold Anwander war Lehrer an der Fürstenschule; sein Gesicht mit dem blonden Vollbart und der blassen Gesichtsfarbe war jünger an Jahren als seine Erscheinung. Sein Haar trug er sorgsam gescheitelt, wie auch der Bart außerordentliche Pflege verriet. Die Augen waren groß und graubraun; seine schmalen Hände aufmerksam gepflegt.

Da er breitschultrig war, bot er am Tische eine kräftige, auffallende Erscheinung. Wenn er sich dann aber erhob, knickte er sofort zusammen, da er einen zu kurzen, rechten Fuß hatte, den er etwas nachschweifte.

Durch einen Zufall hatte er Herrn Rödern und gleichzeitig Lotte kennengelernt; dabei hatte sich überraschend bald eine gemeinsame Vorliebe für Bücher ergeben. Dies und wohl auch der Reiz der nun zur vollen Entwicklung gekommenen Erscheinung von Lotte, an der sich die Unausgeglichenheit der Mädchengestalt nun gerundet hatte, bewirkten es bald, daß Doktor Arnold Anwander häufiger, als es gerade der Zufall fügte, in der Gesellschaft der Familie Rödern zu sehen war.

Lotte Rödern aber hörte ihm gerne zu, wenn er über Bücher sprach, er war ja der einzige, der mit ihr über Bücher das Leben vergessen konnte.

Hier fanden sie sich; aber während Lotte sich beim Lesen nur von der phantastischen Erfindung berauschen ließ und ganz den Gefühlen einer reichen, bewegten Handlung folgte, suchte Doktor Anwander die Schönheit in der Ausgestaltung, im Stil, in der Wortkunst; Lotte Rödern liebte die Ballade, Doktor Anwander die Lyrik.

Dabei hatte er – da er ja Lehrer war – einen lebhaften Ton, der mit solcher Sicherheit sein Urteil fällte, daß kein Widerspruch dagegen möglich war.

Aber Lotte hörte ihm gerne zu.

Auch diesmal folgte sie seiner weichen, angenehm klingenden Stimme; manchmal wagte auch sie ein eigenes Urteil. Aber mit einem Male begann ihr Blick unruhig zu werden, ihre Finger zerrten zerstreut an dem Tischtuche, und ihr Körper beugte sich zurück.

Doktor Arnold Anwander sah davon nichts; er war ganz in seine eigenen Worte vertieft; ihr Schweigen schien ihm die gesteigerte Aufmerksamkeit des Zuhörens.

Aber Lotte Rödern hörte nicht auf ihn.

Sie hatte an dem Tische, dem sie selbst den Rücken zukehrte, eine Stimme erkannt, die ihr vertraut schien; dort redete in lärmender Weise Hugo Pohl, als wollte er nicht nur an seinem Tische gehört werden, als wären seine Worte nicht nur für seine Kameraden am Tische bestimmt.

Seine Stimme war es; so deutlich erkannte sie Lotte Rödern, als könnte sie gleichzeitig das volle, runde Gesicht mit den roten Wangen und den wenigen Schnurrbarthärchen über den starken Lippen sehen. Aber nicht die auffallend lärmende Stimme allein war es, die sie plötzlich so zerstreut machte, sondern mehr noch der Name, der wie herausfordernd genannt wurde. Sie mußte lauschen.

»Nach dem Alex Graber fragst du? Pah, der hat uns hier alle vergessen, alle, selbst solche, die gern daran glauben möchten, daß es anders sei. Du hast recht, der ist nicht mehr zu uns gekommen und wird es auch nicht mehr tun. Hier findet er das nicht wie in Dresden. Ich kann es begreifen, denn ich weiß alles. Ich habe ihn selbst gesehen, und das andere habe ich mir von ganz sicherer Quelle erzählen lassen«

Von Alex! Immer unruhiger spielten die Finger von Lotte Rödern mit dem Tischtuche.

Fragen nach seinen Kenntnissen drängten sich an Hugo Pohl, der bereitwillig zu erzählen begann:

»Er hat Besseres in Dresden; ich habe ihn doch mit seiner Geliebten gesehen, mit einer Malerin, einer schwarzen Katze mit brennenden Augen. Und wie die beiden eifrig waren! Ich lüge wahrhaftig nicht, denn ich kann euch auch den Namen nennen, Eine Polin ist es. Sascha nannte er sie; ich hörte den Namen von ihm selbst. Mich sah er natürlich nicht, denn er ist stolz geworden und wird den Aschegraber sicher vergessen haben. Wie eine Wildkatze ist seine Geliebte, klein, gewandt. Ihr hättet sie sehen sollen! Was also könnte er hier noch suchen wollen?«

Fragen drängten, Lachen klang dazwischen, Zustimmungen wurden laut.

Und Lotte Rödern preßte die Hand gegen das heftig pochende Herz. Sie hatte zuhören müssen, und sie wußte es immer noch. Zu ihr war dies alles gesagt worden.

Eine Geliebte hatte er! War es Wahrheit?

Wieder sprach Hugo Pohl, lauter als vorher:

»Oh, unser Alex hat rasch gelernt. Die Geliebte hat er zu seinem Vergnügen, aber das allein genügt ihm nicht. Er will doch hoch hinaus, und er hat dies ja immer schon gewollt. Und deshalb wird er auch bald eine Braut haben. Da ist er fast täglich in einer Villa nahe am Großen Garten als Gast; und dort ist eine Tochter, die gerade keine Schönheit ist, die aber Hunderttausende besitzt. Um sie streicht der Alex. Ich sah ihn mit ihr in einem Wagen, und da habe ich daran glauben müssen. Des reichen Elmshorn Tochter fängt er sich. Kennt Ihr den Namen nicht?«

Wiederum Zurufe.

Und dann abermals Hugo Pohl:

»Der hat sich rasch zurechtgefunden Was sollte er also noch bei uns? Den sehen wir nicht mehr. Natürlich kann man ihn nur beneiden. Oho, das mit des Elmshorn Tochter ist richtig; ja, der Elmshorn von den Hesselschmidtwerken. Warum sollte er auch zögern und nicht zugreifen? Er ist ja immer dort. Und nebenbei hat er ja noch die Polin.«

Lotte Rödern konnte sich die Ohren nicht zupressen, um das nicht zu hören; es durfte nicht sein – nein, sie glaubte nicht daran.

Aber die Namen, die Sicherheit der Erzählung.

Und war es nicht möglich?

»Aber Fräulein Rödern, Sie haben ja gar nicht zugehört. Das war ja eine ganz verkehrte Antwort.«

Ein leiser Vorwurf klang daraus, und die graubraunen Augen von Doktor Anwander, die ein warmes Leuchten hatten, schauten sie fragend an.

Da sank Lotte Rödern in sich zusammen, als duckte sie sich. Und ein brennendes Rot stieg in den Wangen auf:

»Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich habe Kopfschmerzen, furchtbare Schmerzen, daß ich nicht zuhören kann.«

»Oh, wie tut mir das leid. Kann ich denn da nicht helfen? Soll ich Aspirin besorgen oder einen Migränestift? Soll ich Sie etwas aus dem Lärm hinausführen?«

»Nein, nein, lassen Sie nur! Es wird auch so vorübergehen.«

In dieser Nacht fand Lotte Rödern keinen Schlaf; immer klangen ihr die schrillen Worte in den Ohren, die sie hatte anhören müssen.

Eine Geliebte – und eine Braut, die reich war – Nein, nein, Lüge mußte es sein. Mit zusammengeballten Händen stöhnte sie das vor sich hin.

Alex hatte nie gelogen. Aber warum war er nie gekommen? Und waren nicht schon zwei Wochen verstrichen, seit sie seinen letzten Brief erhalten hatte?

Warum blieb er fern? Konnte er nicht doch einmal kommen, auch wenn er die Krone nicht bringen konnte?

Oder hatte er alles – alles vergessen? Ging er einen Weg, der ihn von ihr fortführte? Sie wollte warten, warten, wie sie es versprochen hatte.

Einmal – einmal mußte er kommen.

Das war ihr Glaube, dem sie auch vertrauen wollte.

*

»Am Donnerstag wollen Sie uns bereits verlassen?«

Die Frage galt Alex Graber, der an dem gedeckten Teetisch in der Loggia des Hauses Elmshorn saß. Die große Glaswand nach dem Garten war geöffnet, so daß man über Stufen in den Park, der sich an den Garten anschloß, sehen konnte. Der Duft der vielen buntleuchtenden Blumen erfüllte die große Loggia. Korbmöbel standen in dem luftigen Raum.

Alex Graber drehte eben eine Zigarette, als ihn die Frage von Marga Elmshorn traf; er blickte nur flüchtig auf: »Ja! Finden Sie das nicht begreiflich, daß ich so rasch wie möglich in die Stadt meiner Sehnsucht will?«

»Doch! Aber manchmal gibt es Gefühle, die uns zurückhalten. Das scheint bei Ihnen nicht zuzutreffen?«

Marga Elmshorn trug ein loses Leinenkleid mit bulgarischer Stickerei; der Ärmel des rechten Armes war zurückgefallen und ließ dabei die Schlankheit und die Zartheit der durchsichtig elfenbeinfarben schimmernden Haut sehen. Die schöne schmale Hand spielte auf dem Tische mit einem kleinen silbernen Löffelchen Aber es war wohl mehr als Zufall, daß diese Hand dabei in solche Nähe der Hände Alex Grabers kam, daß sie diese fast streifte. In ihren großen graugrünen Augen war ein lauerndes Beobachten, das sich um so schärfer zeigte, da Alex Grabers Blicke ihr nicht begegneten und sie nicht beobachten konnten.

»Sie dürfen mich deshalb nicht undankbar schelten, Fräulein Marga! Ich weiß, wieviel ich der Gastfreundschaft hier, wieviel mehr ich Ihnen selbst verdanke.«

Er wollte noch etwas sagen, aber da unterbrach ihn ihre Stimme mit einem heftigen Ton, der gegen ihren Willen über die dünnen Lippen gekommen zu sein schien:

»Also weiter nichts als Dankbarkeit?«

Da hob Alex Graber ruckartig den Kopf; er hatte das Unbefriedigtsein oder sogar den Ärger in dieser Zwischenbemerkung gefühlt.

»Nein! Es ist gewiß nicht nur die Dankbarkeit. Ich habe doch auch Freundschaft gefunden. Aber ausdrücken läßt sich das, was mir hier gegeben wurde, nur mit einem Dank. Selbst wenn ich für alles etwas wiedergeben möchte, um nicht nur Schuldner zu sein, wie könnte ich das?«

Da machte Marga Elmshorn eine hastige, unwillige Bewegung und zog dabei die Schultern hoch; während sie sich zuerst weit vorgebeugt hatte, lehnte sie sich nun weit in den Korbstuhl zurück:

»Ist das Ihr einziger Gedanke, daß Sie hier bei uns und bei mir in keiner Schuld stehen wollen? Glauben Sie denn, daß der Gedanke an eine Demütigung für Sie die Veranlassung zu diesem Verkehr gewesen sein konnte?«

Jetzt sprühten seine Augen; er spürte in der Zumutung eine Kränkung seines Stolzes:

»Wie können Sie nur diese Frage stellen? Aber Freundschaft will dem Freund wiedervergelten. Das ist es.«

»Also doch Freundschaft!« Es war, als huschte unmerklich ein Spott über ihre Lippen, der aber sofort wieder verschwand. Und ihre Stimme klang nun ruhiger: »Nein, an eine Kränkung dachte ich gewiß nicht. Sie sollen nur davon frei werden, daß Sie sich gerade als Schuldner sehen wollen. Wozu? Sie haben uns als Künstler gegeben, und deshalb stehen wir mehr in Ihrer Schuld. Geld allein ist nur ein ungenügender Ersatz. Glauben Sie nicht, daß man einen Künstler fesseln und gewinnen möchte, aber durch andere Mittel als durch Geld und sonstige Verpflichtungen? Den Menschen, ihn selbst, will man.«

»Der gehört Ihrem Hause! Und ich bin stolz, hier als Freund verkehren zu dürfen.«

Da stieß Marga Elmshorn das silberne Löffelchen zurück, mit dem ihre Hand bisher immer noch gespielt hatte. Und hastig begann sie eine andere Frage dazwischen zu werfen:

»Werden Sie die Reise mit Sascha Zychlinsky gemeinsam machen? Sie hat ja den Preis gemeinsam mit Ihnen bekommen.«

»Nein! Fräulein Zychlinsky ist in ihre Heimat gereist. Wann sie in Paris eintreffen wird, das weiß ich nicht.«

»Aber dort werden Sie sich wieder begegnen und gemeinsam arbeiten?«

»Wahrscheinlich!«

»Und haben Sie in der schönen Polin noch immer nicht mehr entdeckt als nur die Künstlerin? Künstler sind doch sonst nicht so leidenschaftslos, wie Sie es scheinen.«

»Ich weiß es nicht«, klang es kühl ablehnend, als liebte er es nicht, hier von Sascha Zychlinsky zu erzählen.

»Ich dachte ja nicht daran, daß der Preis geteilt werden könnte, daß er zweien zugleich zuerkannt werden würde. Ihnen gehörte er allein!«

»Fräulein Zychlinsky ist eine Künstlerin.«

»Sie finden sehr warme Worte für – für eine Gegnerin. Das ist sie Ihnen doch gewesen?«

»In der Arbeit! Aber doch nicht als Mensch.«

Für ein paar Sekunden preßten sich Margas Lippen dicht zusammen, so daß ein kurzes Schweigen folgte; dann erwiderte sie:

»Hm! In dem freien, ausgelassenen, lebenstrunkenen Treiben von Paris, unter dem leidenschaftdurchbebten Künstlervolk dortselbst, in der Luft Montmartres werden Sie dann auch bald von dem Genußrausch, der nun einmal in Paris pulsiert, ergriffen werden; und die schwarzen Augen der Polin werden Sie gewiß mehr lehren, als deren Hand auf der Leinewand. Ich sagte Ihnen schon einmal, daß ich an dauernde Freundschaft zwischen Mann und Weib nicht glaube.«

»Ich weiß nicht, welche Absichten Fräulein Zychlinsky hat. Vielleicht begegnen wir uns nur flüchtig. Mein Ziel sind auch nicht diese Feste und Orgien; ich will in Paris lernen.«

»Das sagte schon mancher, der dann doch der Stimme des Blutes, der Leidenschaft unterlag. Eigentlich müßte ich selbst einmal nach Paris reisen. Ich kenne die Stadt noch nicht. Dann würde ich mich selbst überzeugen können.«

»Das würde für mich eine schöne Zeit werden. Ich hoffe sogar, daß Sie diesen Gedanken nicht mehr vergessen und einmal ausführen werden.«

Während dieser Worte kam Winfried Elmshorn auf die Loggia; er trug einen Tennisanzug, während sein weißlich blondes Haar etwas vom Wind zerzaust aussah.

»Verzeiht, daß ich mich verspätete, aber die Tennispartie mußte ausgefochten werden.«

»Wir warteten nicht! Übrigens machte Herr Graber eben den Vorschlag, ihn einmal in Paris aufzusuchen; er will uns in drei Tagen doch schon verlassen. Wie denkst du über eine Reise nach Paris?«

»Daß dies ein guter Einfall ist. Dort kann auch ich Neues sehen. Nicht übel. Wir kommen einmal! Paris! Das lockt.«

»Ich würde mich sehr freuen«

Und in Anwesenheit von Winfried Elmshorn wurde darauf nur noch von gleichgültigen Dingen gesprochen; Winfried Elmshorn sprach eine Kritik über neue Werke aus, verglich diese mit anderen, redete vom Impressionismus, über die Einwirkung von Paris auf die Kunst auch in Deutschland, er berichtete ausführlich über die Kritiken, die in den Dresdner Blättern die beiden für den Parispreis von der Akademie ausgewählten Arbeiten von Graber und Sascha Zychlinsky gefunden hatten, und erörterte zuletzt die kurz erwähnte und vorgeschlagene Reise.

Alex Graber antwortete ihm; er tat es unbefangen und zwanglos, als hätte er in der vorausgegangenen Auseinandersetzung mit Marga Elmshorn nichts gehört wie ein Zufallsgespräch, als hätte er in allen Worten keine Absicht herausgefühlt.

Oder hatte er die erregte, gespannte Stimmung von Marga Elmshorn wirklich nicht gespürt? Hatte er sie nicht fühlen wollen?

Marga Elmshorn sprach nichts mehr; sie machte keine Bemerkung zu den verschiedenen Behauptungen und Antworten. Aber die zusammengekniffenen Lippen und die halbgesenkten Lider, hinter denen die Augen unstet flackerten und zu suchen schienen, verrieten, daß ihre Gedanken desto lebhafter arbeiteten.

Als die drei dann aufstanden, bemerkte Winfried Elmshorn flüchtig:

»Sie kommen in diesen drei Tagen doch noch einmal?«

»Gerne, wenn ich nicht lästig falle.«

»Wo denken Sie hin? Einverstanden? Am Mittwoch abend sehen wir Sie hier. Ein kleines Abschiedsessen, eine kleine Feier, damit der Lorbeer, den Sie bei der Preiszuerkennung durch die Akademie erhielten, auch seine letzte Würdigung findet.«

Nach dem Auseinandergehen suchte Marga Elmshorn ihr eigenes Zimmer auf.

Dort aber stand sie vor dem Bilde, das Alex Graber den Preis der Akademie verschafft, und das sie durch Winfried Elmshorn zu einem hohen Preise angekauft hatte; hier war sie nun allein und unbeobachtet. Hier brauchte sie sich nicht mehr zu beherrschen.

Ihre Hände ballten sich, als sie auf das Bild mit ihren großen grau-grünen Augen starrte:

»Ist er denn blind und taub und tot!« zischten ihre schmalen Lippen. »Hat er kein Blut in seinen Adern, kein Herz, keine Augen? Oder ist es Sascha Zychlinsky, die ihn schon besitzt? Ich hasse jede, die er sucht, die seine blauen Augen, die seine kraftvolle Blondheit begehrt. Und eine muß es sein, denn in seinen Adern kann nicht Eiswasser fließen. Aber wer ist die andere? Sascha – doch nur diese Polin, denn nie sah ich eine andere bei ihm, nie sprach er von einer anderen. Ich aber will ihn, ich allein! Seine Kunst und seine Arbeiten werden ihn groß machen. Und mit mir soll dies geschehen. Einmal – einmal muß er mir gehören – ich fürchte diese Sascha nicht; der Rausch wird auch noch über ihn kommen. Dann nehme ich ihn – Alex –«

All ihre Sinne gehörten dem, der fern war, und der nichts von dem zu wissen schien, was ihre Leidenschaft von ihm verlangte.

*

Der große Mädlerkoffer war bereits gepackt; noch stand er offen, und Alex Graber schaute nach dem Tische hin, als überlegte er. Er selbst war erstaunt, wieviel er mitzunehmen hatte. Flüchtig kam ihn eine Erinnerung daran, wie ärmlich, mit wie Wenigem er hierher gekommen war.

Nun war der große, moderne Rohrplattenkoffer gefüllt; nur mit Eigenem. Außerdem mußte er Skizzen, die Staffelei, seine Farbenkästen für Öl, Tempera und Pastell, sein Arbeitszeug für die Versuche in Radierungen noch gesondert abschicken. Er war hochgekommen!

Daß er aber jetzt in manchem verschwenden durfte, das ermöglichten ihm nur jene zehntausend Mark, für welche Summe Winfried Elmshorn sein Bild gekauft hatte.

Zehntausend Mark! Dazu kam noch der Preis für ein Jahr Paris; ein Jahr war auch Sascha Zychlinsky zuerkannt worden.

Zehntausend!

Das war das erste Stück der ersehnten Krone, die jetzt schon den Zauber ausübte, von dem er in Märchen gelesen hatte.

Er trat zurück und öffnete das Schubfach eines fast schon ausgeleerten Tisches; da lag ein unscheinbarer Lorbeerzweig, der wie zu einem Kranz gebunden war. Diesen hatte er bei der Zuerteilung des Preises an der Akademie erhalten.

Den bewahrte er wie die heimliche Märchenkrone –

Und sie wirkte.

Paris rief ihn, reich konnte er werden! Was sein Träumen ersehnte, das wurde Erfüllung.

Der Lorbeerkranz, den er nun in der Hand hielt, der so unscheinbar aussah, der war die verzauberte Krone, die reich und wunschlos glücklich machte.

So klang es in seinen Gedanken, und dabei wurde wieder mit größerer Gewalt lebendig, was ihn mit allem Zauber schon so oft erfaßt hatte.

Lotte! Lotte! Ihre träumerischen Märchenaugen schienen ihn zu suchen; immer wieder begegnete er ihnen, bald auf der Straße, dann vor der Staffelei, im Dunkel einer schlaflosen Nacht und im verschwenderischen Reichtum des Hauses Elmshorn. Er hatte sie in diesen Tagen nicht vergessen, aber alle die neuen Eindrücke, der Kampf und das Schaffen, zuletzt der Erfolg, alles neue Leben hatten ihn so gefangen genommen, daß seine Briefe immer seltener geworden waren.

Nun hatte er den Lorbeer!

Aber gehörte er nicht Lotte? Mußte er ihr ihn nicht bringen, wenn er seinem Versprechen nicht untreu werden sollte?

Nicht zum erstenmal fragte er sich so.

Nun schlug er den Koffer zu, setzte sich auf diesen und ließ dabei grübelnd den Lorbeer durch seine Finger gleiten; die zweite Krone war ihm der Lorbeer, nach jener Königskrone aus dem Kinderfeste.

Als ihm der Preis zuerkannt worden war, als er den Lorbeer aus den Händen des Direktors der Akademie entgegennahm, da war es ihm, als ob er nun eilen müßte; in diesem Augenblick flammte alle Sehnsucht in ihm auf, die Krone ihr zu bringen.

Dann waren die lärmenden Feste der Kameraden und Schüler gekommen, der Erfolg des Verkaufes, die Einladung bei Elmshorn und einmal auch bei Professor Mannhart. Tag für Tag war verstrichen.

Paris lockte dazu immer mehr.

Aber jetzt?

Mächtiger und stärker stieg die Sehnsucht auf.

Doch wie würde es sein, wenn er nichts als das trockene Zweiglein reichte!

Würde sie ihm glauben?

Und war dies auch die Krone, die er suchte?

War sie es?

Hatte sie ihn nicht siegen lassen? Gab sie ihm nicht die Fahrt nach Paris, nach der Stadt, die die Sehnsucht aller jungen, schaffenden Künstler war? Und reich machte diese unscheinbare Krone aus bereits verwelkendem Lorbeer?

Reich! Hatte der Lorbeer allein das Geld verschafft! Die Brauen über seinen Augen schoben sich dicht zusammen. Marga Elmshorn hatte sein Bild gekauft; Marga! Und sein Bild, nicht das auch von Sascha Zychlinsky, die doch den gleichen Lorbeer errungen hatte! So war es nicht der Lorbeer, der ihn hatte siegen lassen, sondern etwas anderes.

Und er wußte es auch!

Unwillig erhob er sich; wie lächerlich würde es sein, wenn er nichts als das Lorbeerzweiglein weisen konnte, nichts weiter.

Noch wußte er nicht, ob er durch die Reise erst das weitere Ziel gewinnen würde! Und das Geld – das hatte nicht dem Werk allein gegolten, wenn er auch wie taub zu manchen ungesprochenen und doch so gut verstandenen Worten von Marga Elmshorn war.

Nein!

So durfte er nicht kommen! Erst mußte er hinausgehen und prüfen, erst mußte er die Gewißheit haben, daß er damit jene Krone besaß, die wirklich reich und wunschlos glücklich machte.

Anders durfte er nicht zurückkehren!

Wohl meldete sich nochmals die Sehnsucht, wohl brannte in ihm das Verlangen noch heißer auf, ihr das alles selbst zu sagen. Auge in Auge, um dann in den ihren zu lesen, ob sie ihm weiter vertraute, bis diese Krone sich draußen erprobt hatte.

Lotte – an sie glaubte er!

Aber die anderen? Vater Rödern, Pohl, alle – alle. Nur ein Lachen würde sein kleines Zweiglein finden.

Aber doch war dies eine Krone, der Ruhm, der Erfolg.

Ob auch der gesuchte?

Nein! Er hatte sich geschworen, nur mit der Krone heimzukehren, mit der, die sie schmückte.

Anders nicht. Erst mußte er sie prüfen.

Und etwas später saß er dann vor dem Tische seines Zimmers und ließ die Feder hastend über das Papier hinjagen.

Ihre Märchenaugen schien er dabei vor sich zu sehen, die Augen der Träumerlotte, und ihr schrieb er, denn nur an sie dachte er, weil die Kindheit niemals aus der Erinnerung verlorengehen kann.

Ihr galt der Abschiedsgedanke, ehe er das Lorbeerzweiglein, diese zweite Krone, mit in den großen Koffer legte.


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